Der Begriff des Pastiche

Der Begriff des Pastiche Leif Ludwig Albert sen, Aarhus M anchmal entsteht die Erneuerung der literarischen Sprache dadureh, daB em A utor bewuBt iib...
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Der Begriff des Pastiche Leif Ludwig Albert sen, Aarhus

M anchmal entsteht die Erneuerung der literarischen Sprache dadureh, daB em A utor bewuBt iiber einige Zeitalter zuriickgreift, an einem Punkt in der Vergangenheit haltm acht und jenes alte W erk als Vorbild auf den Schild hebt. Fasziniert wird der Neuentdecker dabei nicht nur von den exotischen Reizen einer veralteten Sprache, einer befremdenden Form und eines seiner eigenen Zeit wenig bekannten Inhalts. Vielmehr glaubt er, oft durch die Fehlinterpretation einer naiven now-meaning auf falsche Wege gelockt, ein spezifisches Ethos, eine bestimmte Haltung aus dem Werk herauszuhoren, die ihm vorbildlich scheint. In dieser Situation wird er, wenn er auf einmal Gestalt und Gehalt dieses vergessenen alten Werkes erlebt, die beiden Aspekte seines Erlebnisses als nicht trennbare Elemente auffassen und versucht sein, bei einer Neubelebung des Inhalts auch eine approximative oder akkomodierte Neubelebung der Form zu wagen. Seiner von der vorhergehenden Generation geschaffenen Umwelt, die er iiberwinden mochte, halt er als Kontrast andere, vergessene, aber vielleicht hohere Werte entgegen. M anche neue Epoche schopft auf diese Weise einen Teil ihrer Kraft aus einer Neubelebung durch Riickbesinnung. In der neueren deutschen Literaturgeschichte findet sich dieser Vorgang wiederholt, insbesondere zwischen der Mitte des 18. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Dieser Zeitraum ist dadureh ausgezeichnet, daB in ihm die Vorstellung von einer normativen Poetik, einem zeitlosen Kanon abgelost worden war von der Lehre vom organisch gewachsenen, existentiell notwendigen Originalwerk, der personlichen sprachschopferischen und sprachweltschopferischen Leistung, der gegeniiber alles bloB traditionelle Dichten zum Epigonentum herabgewiirdigt wurde. Was prinzipiell unveranderlich war, wie Rhetorisches, Allegorisches, Topisches, verlor an Wert; wichtig wurde vor allem der originale Zug, durch den sich jeder neue Dichter, jede neue Epoche

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als Antithese zum unm ittelbar Vorhergegangenen sah. Es enistand jener epochale Wellengang, der zugleich eine historisch orientierte Erforschung der Literatur aufkommen lieB. Erst zu dieser Zeit wird es sinnvoll, einen Dichter einen Epigonen zu schelten, wenn er fromm wie die V ater weiterdichtet, statt immer neue Wege zu suchen. Da aber der menschlichen Phantasie Grenzen gesetzt sind, befreit man sich von dem Fluch des Epigonentums nicht nur durch absolute Originalitåt. Der prim åre Drang ist ja der nach Uberwindung der unmittelbaren Vorwelt. Wahlverwandte fiir diesen Kampf findet der Dichter dabei m itunter in einer entfernteren Vergangenheit. Sein Ekel vor seiner eigenen Zeit fiihrt zu einer Aufhebung der Zeitdimension, zu einer idealen Gleichzeitigkeit mit jenen fem en Mustern. Der Dichter gibt sich zeitweilig selber auf, fugt sich in eine fremde Form, um sie in sich aufgehen zu lassen, weil er dadurch seiner Umwelt das bringen zu konnen meint, was ihr nottut. So ging Klopstock den scheinbar altgermanischen Bardengesangen auf die Spur, so vertieften sich die Hainbiindler in den Minnesang, um an edlere nationalere Welten zu erinnern. Umgekehrt iiberwand Goethe in der Epoche der im engeren Sinne des Wortes klassizistischen Klassik der 1790-er Jahre den nunm ehr als eng-germanisch empfundenen Sturm und Drang durch neue Riickbesinnung auf romische Antike. Die Beispiele lassen sich vermehren; sie sind allbekannt. Was fehlte, war eine Parallelisierung der Einzelfalle, ein iibergreifender Terminus. In den die Neugermanistik umgebenden Literaturwissenschaften bezeichnet man seit langem diesen Vorgang als Pastiche. Von Pastiches spricht man in der Romanistik, der Skandinavistik und der Nederlandistik. W ahrend der Terminus in der Skandinavistik rein stilistisch ist, bezeichnet er in der Romanistik und Nederlandistik die liebevolle Einfiihlung in die Gestalt, um auf diese Weise Gehaltwerte wiederauferstehen zu lassen. Es scheint sinnvoll, ihn in dieser Bedeutung in die Germanistik einzufiihren um so mehr, da er in der akuten Gefahr steht, von Germanisten in ganz anderer, irrefiihrender und iiberfliissiger Bedeutung verwendet zu werden. Vor allem mul3 davor gewamt werden, zu glauben, daB das liebevolle Pastiche, in dem der Verfasser sich selber aufgibt, um auf hoherer Ebene wiedergeboren zu werden, irgendeine Verwandtschaft hatte mit der Parodie oder der Travestie, in denen der Ver­ fasser vielmehr das Vorbild polemisch umformt, um sich selber vor ihm zu behaupten.

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Die neueste und zugleich bisher gelungenste eingehende Definition des Begriffes Pastiche brachte der Romanist Wido Hempel 1965 in seinem Aufsatz Par odie, Traves tie und Pastiche, zur Geschichte von Wort und Sache.1 Nachdem Hempel zunachst gegeniiber bisherigem MiBbrauch der Begriffe gezeigt hat, daB der Begriff der Travestie nicht, wie in Nachschlagwerken zu lesen ist, eine Umkehrung, sondern vielmehr bloB eine zeitlich bedingte A bart der Parodie ist, vergleicht er diese Begriffe mit dem Pastiche: Das Pastiche enthalte nicht wie die Parodie (und die Travestie) eine bewuBt relativierende Z utat des Verfassers, sondern es sei, oft als spielerisches Produkt eines literarischen Milieus, eine Kom-Position in der M anier des Nachgeahmten. Ebensowenig sei das Pastiche der Falschung gleichzusetzen, erstens weil der Terminus Falschung nicht aus der eigentlichen Literaturwissenschaft, sondern aus der Wirkungsgeschichte komme und der Ethik angehore, —zweitens aber, weil man auch dort von einem Pastiche sprechen miisse, wo es nicht eine absolut tauschende Nachahmung des Vorbildes, son­ dern lediglich ein akkomodierendes Pastiche ist, das dem Vorbild wesentliche Ziige entlehnt. Ein willentliches Pastiche konne laut Hempel wie bei Proust Teil eines Reifungsprozesses oder wie bei Wilde Ausdruck einer sublimen Huldigung sein. Mit diesen Bemerkungen hat Wido Hempel zum erstenmal den Begriff in deutscher Sprache zum deskriptiven Terminus erhoben. Auf franzosisch gibt es den Begriff in der hier skizzierten Bedeutung von alters her. Die klassische Definition findet sich seit 1835 im W orterbuch der Académie Fran^aise: P a stich e en litté ra tu re se dit d ’un ouvrage ou l ’on im ite les idées et le style de q u e lq u ’écrivain celebre; exem ple: C ertain es réflexions de ce m o raliste so n t un p astiche ou il a im ité le ra iso n n em en t et le style de P ascal.

Gegen diese Definition richtete sich allerdings das W erk des literaturwissenschaftlichen AuBenseiters Octave Delepierre Supercheries Littéraires, Pa­ stiches, Suppositions d ’Auteur, dans les Lettres et dans les A rts2, in dem der Autor, der in friiheren W erken Mélanges und Centons behandelt hatte, das W ort Pastiche fiir die eigentliche Falschung reservierte. Uns interessiert dabei eher die von Delepierre zitierte, hier wiederholte Definition der Aca-

1. Germanisch-romanische M onatsschrift XLVI (1965) 150- 176. 2. Londres 1872.

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démie Fran^aise von 1835, die der von Hempel nahekommt abgesehen von der wesentlichen Tatsache, da6 die Franzosen zwischen Pastiche und Im ita­ tion nicht unterscheiden, weil ihre klassizistischere Literatur weniger als die deutsche den Unterschied kennt zwischen der W iederaufnahme einer abgebrochenen Tradition (Pastiche) und der Weiterfuhrung einer noch immer lebendigen (Imitation). Wesentlich scheint uns iiber die Differenzen zwischen der Akademie und Delepierre hinweg die Tatsache, daB keiner der beiden das Pastiche mit der Parodie vermischt. Lediglich von der Abgrenzung zur Imitation, zur Fålschung oder besser Mystifikation ist die Rede. In der dånischen Literaturwissenschaft wird der Begriff Pastiche als rein sprachstilistischer Terminus verwendet seit Paul Rubows Saga og Pastiche von 19233. W ahrend die offizielle franzosische Definition von einer Nachahmung der Ideen und des Stiles sprach (l’on imite les idées et le style), untersucht Rubow und mit ihm die danische Literaturwissenschaft lediglich die Archaismen, teils der romantischen Sagas, teils der historischen Romane des 19. Jahrhunderts. Rubow hebt hervor, daB das Pastiche eine neue Moglichkeit, etwas anderes ist als etwa die Falschungen und Parodien der Volksballaden im friihen 18. Jahrhundert: im Pastiche werde die alte Sprache zum Eigentum des Verfassers4. Rubow schatzt das akkomodierende Pastiche der Rom antiker hoher ein als das scheinbar genauere der spateren historischen Romane, ohne von seiner rein stilistischen Sicht aus dieses W erturteil begrunden zu konnen. Wenn wir aber wie die Romanistik nur dort vom Pastiche sprechen, wo nicht nur le style, sondern ebenso sehr les idées aufgegriffen werden, verstehen wir Rubows mehr affektiv bedingtes Urteil. Die Rom antiker wollen eben iiber den auBeren Weg der Sprache zur Wiederbelebung alter innerer Qualitaten beitragen, wogegen Verfasser von historischen Romanen im spaten 19. Jahrhundert keineswegs deshalb eine alte Sprache nachahmen, damit sie zugleich die Philosophie ihrer eigenen Zeit iiberwinden konnen. Vielmehr wollen sie der Vorzeit ihre eigene personliche Schau aufdrangen. Aber erst an der Stelle, wo eine akkomodierende Nachahmung der Gestalt von einer Begeisterung flir den Gehalt bestimmt ist, wird es sinnvoll und interessant, von einem Pastiche zu sprechen. Diese Bedeutung des Begriffes finden wir nicht nur auf franzosischem, sondern auch auf niederlandischem Gebiet. Jan Grootaers bemiiht sich in seinem groBen Buch Maskerade der muze 3. Paul V. Rubow Saga og Pastiche, Bidrag til dansk Prosahistorie København 1923. 4. aaO. 271.

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von 19545, alle Arten von vervalsing, namaak en letter dief stal in der Weltliteratur zu verzeichnen und zu analysieren, und baut dabei auf einer GroBzahl bisheriger Untersuchungen zu diesen Problemen auf. Als Ausdruck kråftigster vermomming, der gelungensten Maske, sieht Grootaers die Mysti­ fikation (mystificatie). Die Mystifikation bemiihe sich vor allem, die Umwelt zu bluffen, und strebe daher eine absolute Nachahmung entweder eines beruhmten oder aber (wie im Falle Ossian) eines nicht existierenden Vorbildes an. W ahrend sornit die Mystifikation in erster Linie umweltbezogen sei, gelte das nicht unbedingt fiir das Pastiche und die Parodie, die fur Grootaers auf einer anderen Stufe stehen. Dabei entspringe die Parodie einer Abneigung, das Pastiche einer Bewunderung; die Parodie konkretisiere auf derbe Weise eine Kritik (meist, aber nicht unbedingt eine Kritik am parodierten Objekt), wahrend das Pastiche ein kunstfertiges Mittel sei, W ahlverwandtschaft auszudriicken6. Als Beispiel eines Werks, das an der Grenze zwischen neckender, also in erster Linie umweltbezogener Mystifikation und bewunderndem personlich bedingtem Pastiche stehe, nennt Grootaers Hoffmanns von F al­ lersleben mittelniederlandische Gedichte. Ein kurzer Ausblick auf das Wortfeld Pastiche in der deutschen und franzosischen Romanistik unter Hinzuziehung der Skandinavistik und Nederlandistik låBt es als sinnvoll erscheinen, den Begriff in die germanistische Literaturwissenschaft einzufiihren. Indem wir uns Hempel und Grootaers anschlieBen, gilt vom Pastiche folgendes: Das Pastiche ist ein Werk, das sich in seiner Sprache, seinem Inhalt und seiner Haltung akkomodierend in die nicht polemische Nachfolge eines nicht unm ittelbar vorhergehenden Vorbilds stellt, ohne wie die Mystifikation die Umwelt bluffen zu wollen. Das Pastiche will nicht wie in alteren Zeiten die Imitation, in neueren Zeiten das Epigonalwerk7 eine ungebrochene Tradition

5. Jan Grootaers Maskerade der muze, Vervalsing, namaak en letterdiefstal in eigen en vreemde letterkunde Amsterdam 1954. 6. aaO. 13: »De parodie is nadrukkelijke nabootsing, en de pastiche soms onuitgesproken nabootsing. De parodie komt meestal voort uit een houding van afkeer, de pastiche uit een gevoelen van bewondering, al moge het dan van critische bewondering zijn. De parodie is gewoonlijk een vrij ruw procédé om zijn critiek te concretiseren, de pastiche bij uitstek een kunstzinnig middel om zijn »Wahlverwandtschaft« te suggereren.« 7. Vgl. M anfred W indfuhr Der Epigone, Begriff, Phanomen und BewuBtsein im Archiv fiir Begriffsgeschichte IV (Bonn 1959) 182-209. Hervorzuheben ist in unserem Zusammenhang an dieser Abhandlung, daB, wie W indfuhr nachweist, m ancher bedeutendere Dichter unter seinem Epigonentum leidet. Ein solches Leiden kann ins Pastiche umschlagen.

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fortsetzen, sondern beruht auf einer personlichen Wahl des Autors, der auf Form und Sprache eines liebgewordenen Vorbilds zuruckgreift, um durch seine Nachahmung jenes Vorbild hoher zu stellen als die eigene Zeit und die unmittelbare Vorzeit. Eine Aufnahme des Begriffes in diesem Sinne in die Germanistik wiirde diese der internationalen Wissenschaft nåherbringen. DaB der Begriff dariiberhinaus einen Teil der deutschen Literatur besser verstehen hilft, ist noch nachzuweisen. Es gibt aber noch einen Grund, flir eine international gegriindete Aufnahme des Begriffes zu pladieren: In einem zentralen Handbuch der Germanistik kommt er bereits vor, und zwar in einer recht ungliicklichen Bedeutung, die ungern FuB fassen sollte. Gero von Wilperts verdienstvolles kleines Sachworterbuch der Literatur enthalt zu diesem Stichwort die Erklarung, daB das Pastiche entweder einem Mangel an eigener Personlichkeit entspringe oder parodischen Zwecken diene, - daB also ein Pastiche entweder ein epigonales oder ein parodisches W erk sei8. Diese Definition ist ungliicklich. Erstens wird der Begriff zum iiberfliissigen Synonym. Zweitens wird nicht unterschieden zwischen solchen nachfolgenden Werken, die dem Vorbild bewuBt eine polemische Note hinzufiigen (wie die Parodie bzw. Travestie), und anderen. Drittens ist ein Epigonalwerk Ausdruck einer unfreiwilligen, unmittelbaren Nachfolge, wahrend der Verfasser eines Pastiche, wie der Begriff bisher auBerhalb der Ger­ manistik verwendet wurde, sein Vorbild frei unter denen der nicht unmittelbar vorhergehenden Vergangenheit wahlt. Es ware iiberflussig, den Begriff des Pastiche in der bei Wilpert gebrachten Definition in die Germanistik einzufuhren, und es scheint denn auch bisher nicht in auffallendem Grad geschehen zu sein. AbschlieBend wollen wir den Begriff gegen einige der weiteren gangigen literaturwissenschaftlichen Termini abgrenzen, die sich scheinbar mit ihm decken, wie z.B. Fålschung, Plagiat, Kontrafaktur, archaisierende Dichtung: Der Terminus Fålschung gehort weniger in die Literatur- als in die Rechtswissenschaft. U nter diesem Begriff werden in der Germ anistik9 Werke ge-

8. 3. verbesserte und erweiterte Auflage 1961 nennt das Pastiche eine »genaue Nachahm ung des Stils eines Autors in Formen- und Phrasenschatz unter Vermeidung eines Individualstils aus Mangel an eigenem PersonlichkeitsbewuBtsein oder besonders zum Zwecke der Pa­ rodie«. 9. t)ber literarische Falschungen vgl. Elisabeth Frenzel im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 2. Ausgabe.

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sammelt, die man besser Mystifikationen nennen sollte, - Werke, die eine Umwelt bluffen und manchmal auch aus diesem AnlaB verfaBt wurden. Mit dem Ausdruck Falschung wird die Wirkungsgeschichte als ein Feld hingestellt, in das man Werke verweist, denen man keinen inneren Gehalt zutraut. Sprechen wir kiinftig besser vorurteilslos von Mystifikationen und meinen wir damit Werke, von deren innerem Gehalt wir auf Grund ebendieser augenscheinlichen Umweltbezogenheit vorlaufig nicht iiberzeugt sind. Eine Analyse etwa von Hoffmanns von Fallersleben mittelniederlåndischen Gedichten wird zeigen, daB, was beim ersten Anblick eine zynische Falschung zu sein scheint, in Wirklichkeit eine tiefere Folgeerscheinung der Begeisterung fiir eine friihere Epoche, eine A rt magische Selbsterziehung ist zu dem Ethos des Vorbilds auf dem Wege formaler Nachahmung. Es ware sinnlos, sich nicht die Moglichkeit einer terminologischen Unterscheidung vorzubehalten zwischen diesen Gedichten und solchen, die rein umweltbezogen sind, wie etwa W. K. Oemlers Schillerfalschungen10. Der ebenfalls mehr juristische Begriff des Plagiats kommt auch in der Germanistik vor11; zeitlich ist er auf die letzten Jahrhunderte begrenzt. W ahrend das Pastiche ein nicht verfaBtes Werk einer friiheren Epoche entstehen laBt, ist das Plagiat eine Abschrift, eine Titelauflage im iibertragenen Sinne des Wortes, ein Werk, das fiir die reine Literaturgeschichte kaum ein Interesse hat. Wåre das Plagiat nicht vollkommen umweltbezogen, konnte sich der sogenannte Verfasser ja die Miihe sparen, sein Vorbild abzuschreiben, und es statt dessen einfach lesen. Das Plagiat zeugt von Indolenz und Egozentrizitat des Verf assers; das braucht beim Pastiche nicht der Fall zu sein. Die Kontrafaktur im eigentlichen Sinne des Wortes ist zeitlich auf bestimmte Epochen begrenzt. Bekanntlich verandert die K ontrafaktur be­ wuBt ein Element des Vorbilds, namlich den Inhalt, ohne dadureh das V or­ bild unbedingt angreifen zu wollen. In der Barockzeit wurde das, was wir heute Kontrafaktur nennen, als Parodie bezeichnet, und seit dieser Zeit wird der Begriff der Parodie, statt auf polemisch ausgerichtete W erke beschrankt zu bleiben, im freieren Sinne auch fiir andere Arten der Gegengesange ver-

10. Heinrich Klenz Literarische Fdlschungen und M ystifikationen passim in der Zeitschrift fur Bucherfreunde N F X V I-X V 1II (1924-26). 11. Hellmut Rosenfeld im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 2. Ausgabe.

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wendet12. DaB dieses Element des Kontra im Pastiche nicht vorliegt, braucht kaum weiter nachgewiesen zu werden. Endlich ist es sinnvoll, unter Pastiche anderes und mehr zu verstehen als archaisierende Dichtung bzw. das Archaisierende in der Dichtung. M an muB eine Grenze ziehen, um nicht etwa jeden Roman ein Pastiche nennen zu mussen, in dem nicht jede Person die Sprache der unmittelbaren Gegenwart spricht, und wir glauben diese Grenze dadurch festlegen zu konnen, daB wir weniger das W ort Pastiche im Sinne Rubows verwenden als darunter das verstehen, was Grootaers unter Pastiche verstand. Also nennen wir weniger daher Brentanos Chronika ein Pastiche, weil dort einige altertiimelnde syntaktische Konstruktionen vorkommen, als daher, weil diese Archaismen eins der Mittel sind, mit denen Brentano flir seine neue Dichtung ein poetisches Vorbild aus einer besseren Zeit errichtet. Mancher historische Roman ist um genaue geschichtliche Fixierung bemiiht, um eigene Philosophie moglichst iiberzeugend zuriickprojizieren zu konnen, wahrend das Pastiche vielmehr eine Uberzeit, eine Zeitlosigkeit errichtet, in der die als ungeniigend empfundenen zeitbedingten Voraussetzungen des Verfassers ertrinken. Fassen wir zusammen: Parodie, Travestie, Kontrafaktur andem absichtlich am Vorbild, Imitation bzw. Epigonalwerk fiihren eine ungebrochene Tradition weiter, Fålschung, Mystifikation, Plagiat sind umweltbezogene Termini, Archaismen lediglich eine Frage des Stils. Das Pastiche dagegen ist ein Werk, das sich in seiner Gestalt an ein fiktives oder akkomodierend an ein vorhandenes, aber sonst nicht m ehr mustergiiltiges Vorbild anlehnt, um dessen Gehaltwerte zeitiiberbriickend fiir die eigene Zeit zu retten. Der heuristische W ert des Begriffes liegt in seiner Moglichkeit, die Rolle des OriginalitatsbewuBtseins bei dem Entstehen einiger poetischer Epochen in den letzten paar hundert Jahren um eine Nuance bereichern zu konnen.

12. So in der umfassenden Einleitung der Anthologie Gegengesange, Lyrische Parodien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, ausgewahlt und eingeleitet von Erwin Roterm und, Miinchen 1964.