2. Ausgabe 2015

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ein aufregendes Jahr neigt sich dem Ende zu. Auf dem GfA-Kongress in München hatten wir die Gelegenheit, viele von Euch wiederzusehen und gemeinsame Projekte zu besprechen. Besonders möchten wir Euch darauf hinweisen, dass es im nächsten Jahr wieder ein Treffen des wissenschaftlichen Nachwuchses der Anthropologie geben wird, eine Einladung mit dem genauen Datum und dem Ort folgt bald. Organisiert wird das Treffen von den beiden neuen Nachwuchs-Sprecherinnen Alisa Hujić und Beatrix Welte. Aus einigen der eingereichten Beiträge geht hervor, dass sich ein Wandel in der Anthropologie anbahnt. Wie sich dieser konkret gestalten wird – insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass noch immer viele universitäre Institute, die sich mit Anthropologie im weitesten Sinne beschäftigen, von der Schließung bedroht sind -, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Als sehr positiv für das Fach dürfen wir jedoch die Gründung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena im März 2014 ansehen. Wir bedanken uns für Eure Beiträge und wünschen Euch noch eine schöne Weihnachtszeit sowie ein gutes neues Jahr!

Das Redaktionsteam

Ausstellungen

23+: ORTE, FUNDE & GESCHICHTEN - ARCHÄOLOGIE IM BODENSEEKREIS EIN AUSSTELLUNGSPROJEKT DER EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN UND DES PFAHLBAUMUSEUMS UNTERUHLDINGEN Unter Federführung von Prof. Schöbel, dem Leiter des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen (Bodensee, Baden-Württemberg), beschäftigen sich seit einem halben Jahr Studierende der Urund Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen mit archäologischen Objekten aus 23 Gemeinden des Bodenseekreises. Diese Objekte wurden zumeist schon in den letzten Jahrhunderten geborgen. Unter den Fundstellen war auch eine Kiesgrube bei Uhldingen-Mühlhofen. Hier wurden um das Jahr 1940 mehrere beigabenreiche Grablegen gefunden. Lange war lediglich bekannt, dass sie aus alamannischer Zeit stammen. Die Einmaligkeit der Funde wurde nicht weiter beachtet. 75 Jahre später konnte nun im Rahmen der Ausstellung eine detaillierte Untersuchung der Funde und eines der Individuen verwirklicht werden. In diesem Zusammenhang werden die Ergebnisse, die Fundstücke sowie die knöchernen Überreste des Alamannen bis Januar 2016 erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert. Die Skelettreste wurden unter der Leitung von Prof. Wahl vom Landesamt für Denkmalpflege in Konstanz im Rahmen des Masterseminars von der Verfasserin ausgewertet, für die Vorstellung vorbereitet und in der Vitrine ausgelegt (Abb. 1).

Abb. 1: Isabelle Jasch mit dem Skelett eines alemannischen Mannes im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (Foto: Moritz Boley) Demnach starb dieser außergewöhnlich große Mann, mit ausgeprägten enthesealen Veränderungen an den Humeri, mit ungefähr 25 bis 35 Jahren. Sein Skelett weist zahlreiche schwerwiegende Verletzungen auf, unter anderem eine unverheilte Hiebverletzung im Bereich der rechten Orbita und mehrere verheilte Frakturen an den Langknochen. Diese zeugen von einem kriegerischen Leben. Auch in seiner Kindheit war er Widrigkeiten ausgesetzt. So litt er – wahrscheinlich im Frühjahr – regelmäßig unter Mangelernährung. Unter anderem weist das Individuum einerseits Cribra orbitalia als auch im Röntgenbild Harris Lines auf. Anhand eines 2

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veränderten Cervicalwirbels kann man eine Bandscheibenentzündung postulieren. Das Os occipitale weist Metastasen auf, die möglicherweise in Zusammenhang zu sehen sind mit einem vermuteten Primärtumor des rechten Humerus, der in Co-Symptomatik mit einem Trümmerbruch steht. Der Tumor des rechten Humerus ist jedoch aufgrund taphonomischer Prozesse nicht mehr eindeutig diagnostizierbar. Als Bauer und Krieger lebte der Mann zwischen dem Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts bei Unteruhldingen. Zu dem Individuum gehörend finden sich unter den Beifunden ein Messer sowie ein großes und zwei kleinere Schwerter, wie sie zu dieser Zeit üblich waren. Auch eine besondere Zierscheibe, ehemals vermutlich aus einer Frauenbestattung stammend, gehörte ursprünglich zum Inventar des Gräberfeldes. Die Zierscheibe datiert in die Übergangszeit vom Ende des 6. zum Anfang des 7. Jahrhunderts nach Christus und vereint sowohl heidnische als auch frühchristliche Symbolik. Somit kann es sich bei der ehemaligen Trägerin des Schmuckstückes um eine frühe Christin aus dem Bodenseeraum gehandelt haben. Vom 25.09. - 16.10.2015 wurden die Funde in den Bankfilialen der Bodenseegemeinden ausgestellt. Momentan werden sie in einer zusammengeführten Ausstellung vom 25.10.2015 bis zum 06.01.2016 im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen präsentiert. Insgesamt wird damit die Geschichte der Bodenseebevölkerung der letzten 10.000 Jahre präsentiert. Mehr Infos zum Projekt unter: www.23plus.org Kontakt: Prof. Dr. Gunter Schöbel, [email protected], Tel. 07556/928900 Isabelle Jasch Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

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Ausstellungen

MUSEEN UND AUSSTELLUNGEN AKTUELL (AUSWAHL) Musée de l´Homme Neueröffnung des Museums im Oktober 2016 Paris, Frankreich www.museedelhomme.fr Gibbons – Die singenden Menschenaffen verlängert bis April 2016 Museum der Anthropologie, Universität Zürich Zürich, Schweiz www.aim.uzh.ch/museum Menschen Museum Berlin Erstes Museum der Körperwelten www.memu.berlin Bärenkult und Schamanenzauber - Rituale früher Jäger 5. Dez. 2015 bis 28. März 2016 Archäologisches Museum Frankfurt www.archaeologisches-museum.frankfurt.de Arsen und Spitzenforschung. Paul Ehrlich und die Anfänge einer neuen Medizin und Medizingeschichte in Flaschen. Die Sammlung Rosak 29. Okt. 2015 bis 3. April 2016 Historisches Museum Frankfurt www.historisches-museum.frankfurt.de Zwerge & Riesen - Eine Frage der Perspektive 21. Nov. 2015 bis 1. Mai 2016 Neanderthalmuseum Mettmann www.neanderthal.de

REVOLUTION jungSTEINZEIT Archäologische Landesausstellung NRW 2015 4

Ausstellungen

05. Sep. 2015 bis 03. April 2016 LVR-LandesMuseum Bonn www.landesmuseum-bonn.lvr.de Culinarium – Vom Acker bis auf den Teller Ausstellung zur Kulturgeschichte des Essens und Trinkens noch bis 31. Dez. 2015 Freilichtmuseum Domäne Dahlem, Berlin www.domaene-dahlem.de Madonna. Frau – Mutter – Kultfigur 16. Okt. 2015 bis 14. Febr. 2016 Landesmuseum Hannover www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de Frozen Stories – Gletscherfunde aus den Alpen noch bis 10. Jan. 2016 und Heavy Metal – Wie Kupfer die Welt veränderte 02. Feb. 2016 bis 14. Jan. 2018 Südtiroler Archäologiemuseum www.iceman.it Krieg – eine archäologische Spurensuche 06. Nov. 2015 bis 22. Mai 2016 Landesmuseum für Vorgeschichte Halle www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte Schädel. Ikone, Mythos, Kult 25. Juli 2015 bis 3. April 2016 Völklinger Hütte, Völklingen Saarbrücken www.voelklinger-huette.org Mumien der Welt 12. Feb. bis 28. Aug. 2016 Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim www.rpmuseum.de 5

Kongresse

TAGUNGSBERICHT GFA-KONFERENZ 2015 IN MÜNCHEN Seit dem letzten Kongress der Gesellschaft für Anthropologie in Bozen 2013 sind wieder 2 Jahre ins Land gegangen. Nach dem Nachwuchstreffen im letzten Jahr in Weimar bin ich mit großer Freude nach München gereist, um Freunde und Kollegen wiederzutreffen, die man in den Jahren zuvor kennen- und schätzen gelernt hat. Vom 15.9. bis zum 18.9.2015 fand in München der 11. Kongress der Gesellschaft für Anthropologie mit dem Thema „Evolutionary and modern challenges to Homo sapiens – an anthropological inquiry“ statt. Auf der Homepage der GfA ist bereits ein sehr schöner und ausführlicher Bericht über die Konferenz zu finden, daher möchte ich mich bei meinem Beitrag eher auf einige Eindrücke, die ich während der Konferenz sammelte, beschränken. Wir alle wissen, dass die Anthropologie ein unheimlich diverses Feld ist, das haben die gehaltenen Vorträge und präsentierten Poster auch dieses Mal wieder gezeigt. Meiner Meinung nach ist es vor allem für die Nachwuchswissenschaftler/innen der Anthropologie extrem wichtig, links und rechts über den Tellerrand zu schauen, um Einblick in die verschiedenen Teildisziplinen zu erlangen. Dies ist oft schwer möglich und sehr anstrengend. Doch genau diese Möglichkeit war auch hier in München gegeben. Es gab keine parallel stattfindenden Vortragsreihen, bei denen man sich im Vorfeld hätte entscheiden müssen, welchen Vortrag man besuchen kann oder nicht. Zudem erleichterte die thematische Zusammenfassung vieler Beiträge in Panels die Orientierung. Auf diesem Weg konnte ich viele neue Erkenntnisse erlangen, die nicht primär in meinem eigentlichen Forschungsfeld liegen. Das hat viele Vorteile, auf zwei möchte ich kurz eingehen: 1) es ist möglich Fragestellungen des eigenen Forschungsfeldes mit denen in anderen Feldern zu verknüpfen; 2) erlangt man dadurch auch den Zugang, Verständnis und Wissen zu gewinnen, um einander besser zu helfen bzw. zu unterstützen. Als Beispiel möchte ich hier kurz eine Diskussion im Nachwuchsmeeting anführen. Es gibt Bereiche, in denen tiefgründige Statistikkenntnisse unabdingbar sind, und Bereiche, in denen Statistik stiefmütterlich behandelt wird. In dieser Diskussion wurde häufig der Wunsch geäußert, sich im Bereich Statistik besser austauschen und mit/voneinander lernen zu können, doch das ist nur mit einem Einblick in die Eigenheiten der verschiedenen Forschungsbereiche möglich. Das Resultat dieser Diskussion wird hoffentlich ein Workshop beim nächsten Nachwuchstreffen sein, bei dem man dann zusammen Statistikkomplexe erarbeitet. Dies lässt sich selbstverständlich auch auf andere Bereiche/Methoden übertragen. Das tolle Ambiente der Tagung (Abb. 2a, b), die wohlüberlegte Exkursion (eine gruselige Stadtführung durch die Altstadt von München) und die gesellschaftlichen Abende förderten den Austausch untereinander. Zudem erlaubte dies, die internationalen Gäste besser kennenzulernen und sich mit der Wissenschaftswelt in deren Herkunftsländern vertraut zu machen.

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Abb. 2a, b: Bei wunderschönem Spätsommerwetter wurden Mittagessen und Kaffee auf der Terrasse der Carl von Siemens Stiftung eingenommen (Fotos: Birgit Großkopf). Ein weiterer Eindruck, den ich sammelte, betrifft mehr die Gesellschaft als Ganze. Es scheint ein Generationswechsel im Gange zu sein; viele junge Leute wurden beispielsweise in den Vorstand gewählt. Mit voller Zuversicht schaue ich auf das kommende Jahr und das herannahende Nachwuchstreffen, das uns die Chance bieten wird, auch als Nachwuchs weiter zusammenzurücken und uns mit unseren jeweiligen Expertisen zu unterstützen. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch der Nachwuchs einen Anteil leisten muss, um für das Fortkommen der Gesellschaft in Zukunft zu sorgen. 7

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Zum Schluss möchte ich meinen großen Dank an das Organisationsteam aussprechen und mich für diesen tollen und kurzweiligen Kongress in München bedanken. Andreas Lehmann Universität Potsdam, Institut für Biologie und Biochemie TAGUNGSBERICHT ZUR 25. ASCHAUER SOIREE Was macht ein junger Nachwuchsanthropologe, wenn sich das Novemberwetter trist und verregnet über das Land legt und der kühle, spätherbstliche Wind auch die letzten Blätter von den jetzt immer knochiger erscheinenden Bäumen weht? Er könnte am Kaminfeuer sitzend Statistik rechnen und Paper schreiben oder aber er folgt der Einladung von Prof. Michael Hermanussen, um an der mittlerweile zur Tradition gewordenen Aschauer Soiree teilzunehmen. Die Aschauer Soiree findet traditionsgemäß im November in Aschau, einem kleinen Örtchen an der deutschen Ostsee in der Nähe von Eckernförde, im Heim oder besser gesagt im Wohnzimmer von Prof. Michael Hermanussen statt. An diesem Tag dreht sich in Aschau alles um Auxologie. Das „Wohnzimmer“ bietet gestandenen Wissenschaftlern, aber auch dem Nachwuchs die Bühne, um ihre aktuellen Forschungsthemen und die damit verbundenen Ideen und Lösungsansätze in gemütlicher Denkatmosphäre zu präsentieren und gemeinschaftlich zu diskutieren. Zum 25. Mal fand am 7.11.2015 die „silberne“ Aschauer Soiree statt. Auch dieses Jahr folgten mehr als 30 Anthropologen, Auxologen und Mediziner aus allen Herrenländern, u.a. Spezialisten aus Chile, Japan, den USA, Russland und Ägypten der Einladung von Prof. Michael Hermanussen. Das diesjährige Thema war „modelling stunted growth“; in zwei Sessions, eine am Vormittag und eine am frühen Abend, wurde in 26 Vorträgen dieses und verwandte Themen aus verschiedenen Blickwinkeln vor internationalem Auditorium analysiert. U.a. wurden in den Beiträgen Wachstumsreferenzkurven diskutiert, mathematische/statistische Modelle, die das Wachstum beschreiben und analysieren, veranschaulicht und über Körperproportionen und deren Änderungen konferiert. Auch drei Vertreter des Nachwuchses der GfA waren mit Beiträgen an dieser Soiree beteiligt; Rebekka Mumm referierte über „The association of weight, weight variability and socioeconomic situation among children“; Isabelle Jasch stellte eine Pilotstudie zum Thema „Community effect in early times?“ vor und meine Wenigkeit diskutierte „How reliable are recalled menarcheal age studies?“. Neben dem wissenschaftlichen Rahmenprogramm fällt dem Austausch, oder modern ausgedrückt, dem Netzwerken große Bedeutung zu. Hier bieten sich die Kaffee-/Teepausen, sowie das gemeinsame Mittagessen und der obligatorische Strandspaziergang an. Für uns Nachwuchswissenschaftler bot sich in diesem Rahmen auch die nicht alltägliche Möglichkeit, die „Silberrücken“ unseres Fachs persönlich kennenzulernen und sich über aktuelle Forschungsprojekte etc. zu unterhalten. Der Abend klang bei Musik und vielen Leckereien in gemütlicher Atmosphäre aus und bot nochmals die Möglichkeit, sich ausgiebig bis spät abends zu unterhalten. Nach dem gemeinsamen Frühstück am Sonntagmorgen löste sich die Soiree-Gesellschaft nach und nach auf, und jeder trat seinen mehr oder weniger weiten Heimweg an, mit im Gepäck neues Wissen und unbeschreibliche Erinnerungen. Für mich stellt die Soiree immer wieder einen der Höhepunkte im Jahr dar; die gemütliche Atmosphäre bietet den perfekten Rahmen, um das präsentierte Wissen geradezu aufzusaugen und seinen eigenen Horizont auf angrenzende Themenbereiche auszuweiten. Ich muss allerdings auch zugeben, dass dieser eine Tag sehr anstrengend ist. Aber die Aussicht, Freunde 8

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und Bekannte aus der ganzen Welt wiederzutreffen, wiegt diese Erschöpfung um ein Vielfaches auf. Einen großen Dank muss man auch den fleißigen Helfern im Hintergrund um Frau Herrmanussen aussprechen, ohne sie wäre die Soiree nicht das, was sie ist. Isabelle Jasch schildert die Eindrücke ihrer ersten Soiree wie folgt: „Das besondere einer kleinen Tagung ist, dass man mit allen Teilnehmern ins Gespräch kommen kann. Schon der Empfang war sehr herzlich und der erste Abend fand in gemütlicher Runde und lockerer Atmosphäre statt. Die Vorträge waren breit gefächert und ermöglichten mir daher einen guten Einblick in verschiedenste Forschungsprojekte weltweit. Jeder von uns dreien vom Nachwuchs hielt einen kleinen Vortrag zu seinem momentanen Forschungsprojekt. Man war zwar schon ein wenig aufgeregt, aber da die Atmosphäre sehr herzlich war, hatte ich auch keine Angst vor einem Zerriss oder Angriff. Obwohl ich, da es sich um eine kleine Pilotstudie mit einem neuen Forschungsansatz handelte, schon ein mulmiges Gefühl hatte. Jedoch erhielt ich tolle Anregungen für die weitere Arbeit, neue Ansatzmöglichkeiten und weitere Ideen. Auch kritische Anmerkungen, die während der gemeinsamen Diskussion aufkamen, halfen mir sehr weiter. Alles in allem eine super Soiree und ich freue mich auf die nächste im neuen Jahr.“ Danke an Michael Herrmanussen für dieses immer wieder atemberaubende Erlebnis und die Möglichkeit, dem tristen November auf diese Art zu entfliehen! Andreas Lehmann, Universität Potsdam, Institut für Biologie und Biochemie & Isabelle Jasch, Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

TAGUNGSBERICHT ZUR INTERNATIONALEN TAGUNG AG EISENZEIT HALLEIN 2015 Vom 12.-14. November 2015 fand in Hallein (Österreich) eine Tagung zum Thema „Übergangswelten und Todesriten – Neue Forschungen zur Bestattungskultur der mitteleuropäischen Eisenzeit“ statt. Dem Tagungsthema geschuldet, und treffenderweise gut eingebettet in das Panorama des berühmten Dürrnberges von Hallein, beschäftigten sich die über zwei Tage verteilten, knapp 30 Vorträge vornehmlich mit der Präsentation der neuesten Forschung im Bereich eisenzeitlichen Lebens und vor allem Sterbens. In Anbetracht des letzten Aspektes wurde auch hier wieder die unverzichtbare Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Anthropologie in den Vordergrund gerückt, und es konnten teilweise bisher noch unpublizierte Forschungsergebnisse zu Körper- und Brandbestattungen sowie Riten des Bestattungskontextes aus internationaler Forschung vorgestellt werden. Zwischen dem Vortragsmarathon am 12. und 14.11. gab es die Möglichkeit, an einem Ausflug auf den Dürrnberg teilzunehmen, sowie in die angrenzenden Stollen der Salzwelten von Hallein einzutauchen und sich einen Einblick in das keltische Leben in dem obertage liegenden Keltendorf zu verschaffen. Nach einer kurzen Busfahrt samt Grenzübertritt wartete der Karlstein bei Bad Reichenhall samt Kapelle und mittelalterlicher Burgruine. Dort erhielt man einen guten Rundblick in die Täler und umliegenden Fundstellen der letzten Jahrtausende aus der Bronze- und Eisenzeit. Im Anschluss an die Exkursion erwartete die Interessierten ein Abendvortrag Prof. Mike Parker-Pearsons, der mit dem Titel "Dealing with the dead: archaeologigal approaches to funerary practices" interessante Einblicke in Bestattungspraktiken aus aller Welt gewährte. Schwerpunkt seines Vortrages war ein anthropologisch spannendes 9

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Thema: die Gräber der bronzezeitlichen Siedlung auf Cladh Hallan (Schottland). Betrachtet man die bisherigen Auswertungen, darf davon ausgegangen werden, dass die menschlichen Individuen nach ihrem Tod konserviert und teils sogar ergänzt wurden, bevor sie als Bestattungen in die Erde gelangten. Dabei können zwischen dem Sterbejahr und der Niederlegung in der Erde auch Jahrhunderte liegen. Es scheint sich um komplexe Chaîne opératoire Riten und Bestattungsvorbereitungen zu handeln, welche man vielleicht auch bei anderen Skelettfunden aus selbiger Zeit postulieren könnte. Neben diesem außergewöhnlichen Beitrag, welcher vermutlich zukünftig weiter für Diskussionen und andere Betrachtungsweisen prähistorischer Bestattungen sorgen wird, schlugen sich thematisch im Tagungsprogramm weitere Schwerpunkte nieder: Sonderbestattungen in Bezug von Skelettfunden im Kontext von Befestigungsanlagen, Tod während Schwangerschaft und Geburt sowie Säuglingsbestattungen und Leichenbrandauswertungen als direkte Beispiele der anthropologischen Wissenschaft als unabdinglicher Teil der archäologischen Forschung. Diese boten auch für fachferne Zuhörer einen guten Einblick in die Ergebnisse, welche eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen ermöglicht. Die gemeinsamen Mittagessen an den Tagungstagen gaben Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen. Auch am Abend der Postersession sowie beim Empfang im Museum bei Speis und Trank konnte der Nachwuchs Kontakte zu anderen Universitäten knüpfen, und man kam bei einem Glas Wein ins Gespräch. Wir freuen uns bereits jetzt auf weitere Tagungen dieser Art! Weitere Informationen entnehmbar www.salzwelten.at/de/home, www.ag-eisenzeit.de

unter:

www.keltenmuseum.at/de,

Sandra Reininghaus & Isabelle Jasch, Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Urund Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

TAGUNGSBERICHT ZUR JAHRESTAGUNG DER SCHWEIZERISCHEN GESELLSCHAFT FÜR ANTHROPOLOGIE (SGA) Die Schweizerische Gesellschaft für Anthropologie (SGA) ist der Dachverband der schweizerischen Anthropologen und vertritt die Interessen des Fachs Anthropologie gegenüber Öffentlichkeit und Behörden. Ihre Mitglieder setzen sich aus vorwiegend naturwissenschaftlich orientierten Anthropologen zusammen, die insbesondere in den Bereichen (prä-)historische und forensische Anthropologie und Paläoanthropologie tätig sind. Die alljährlich im November stattfindende Jahrestagung der Gesellschaft fand in diesem Jahr am 14. November 2015 in Lausanne statt. Eingeleitet wurde die Tagung durch einen öffentlichen Vortrag von Prof. Frank Rühli vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich zum Thema „Evolutionäre Medizin: Wenn Skelette und Mumien den Lebenden erzählen“ (in französischer Sprache). Zur großen Überraschung der Organisatoren war der Vortrag am Vorabend der Tagung jedoch nicht so gut besucht, wie aufgrund des Themas vielleicht hätte vermutet werden können. Die eigentliche Tagung begann am Samstag mit der Mitgliederversammlung. Ein neuer Vorstand wurde gewählt, wobei sich auch in der Schweiz ein Generationenwechsel vollzieht. Die Zukunft des Publikationsorgans der Gesellschaft – des Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft für Anthropologie – war bereits im Rahmen eines Treffens im Oktober 2015 diskutiert worden. Bisher bot diese in zwei Ausgaben jährlich erscheinende Zeitschrift insbesondere Platz für Fall- oder Literaturstudien sowie Ergebnisse von Workshops und Konferenzen in deutscher, französischer und englischer Sprache. Das Redaktionsteam stellte jedoch in den letzten Jahren einen erheblichen Rückgang an Beiträgen fest, was sich vor allem auf die geänderten Publikationsanforderungen an den Universitäten (international, peer10

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reviewed) sowie auf den Zuwachs an freiberuflich tätigen gegenüber an universitäre Einrichtungen gebundenen Anthropologen zurückführen lässt. Als Dienstleister veröffentlichen die freiberuflich tätigen Anthropologen ihre Ergebnisse häufig mit oder im Auftrag der Archäologen, eventuelle Beiträge erscheinen daher vermehrt in archäologischen Publikationen. Es wurde daher festgestellt, dass eine speziell der Anthropologie gewidmete Zeitschrift nur überleben kann, wenn sie sich von ihrem aktuellen Format löst. In den nächsten Jahren soll das Bulletin daher auf Englisch umgestellt und gelistet werden. Das regelmäßige Erscheinen der Zeitschrift ist jedoch unerlässlich, um ggf. einen Impact-Faktor zu erreichen. Der Appell geht daher an die Anthropologen im gesamten deutschsprachigen Raum, Beiträge für das Bulletin einzureichen. Nach den administrativen Belangen begann der wissenschaftliche Teil der Tagung. Es wurden mehrere Beiträge zur (prä-)historischen Anthropologie vorgestellt, die sowohl genetische als auch morphologische und paläopathologische Studien umfassten. Isotopenanalysen und paläoanthropologische Untersuchungen wurden ebenfalls thematisiert. Mehrere Vorträge widmeten sich dem Spitalfriedhof in Basel. Anfang des Jahres wurden weitere Skelette dieser Serie ausgegraben. Besonders an der Serie ist, dass sich die Skelette mit Hilfe der Bestattungsund Krankenakten identifizieren lassen, und sich über weitere historische Dokumente letztendlich eine Sozialtopographie der Stadt Basel im 19. Jahrhundert erstellen lässt. Alle Standorte der Schweizerischen Anthropologie – Genf, Lausanne, Basel, Bern, Luzern, Zürich – waren durch Teilnehmer vertreten. Auch für Studenten bietet der kleine Rahmen der Konferenz eine gute Möglichkeit, Kollegen von anderen Universitäten oder Freiberufler kennenzulernen. Zur nächsten Jahrestagung – wieder im November – sind Gäste herzlich eingeladen! Amelie Alterauge Universität Bern, Institut für Rechtsmedizin, Abt. Anthropologie

BERICHT ZUM LEICHENBRANDWORKSHOP DER AGHAS IN ZÜRICH Unter Leitung von Cornelia Alder (Basel) und Andreas Cueni (Luzern) fand am 20. und 21. November 2015 ein Workshop zum Thema Leichenbrand statt. Der Workshop fand im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Historische Anthropologie der Schweiz (AGHAS) statt und konnte in den Räumlichkeiten des Instituts für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich durchgeführt werden. Insgesamt kamen 18 Teilnehmer, vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland. Die Standorte Basel, Bern, Zürich und Genf waren vertreten, ebenso Berlin und Konstanz. Die Referenten Cornelia Alder und Andreas Cueni gaben zunächst eine Einführung zu den Eigenschaften von Leichenbrand, v.a. zu den thermisch induzierten Veränderungen der Knochen. Sie zeigten die Aussagemöglichkeiten und Grenzen der Leichenbranduntersuchung auf und beschrieben die gängigsten Methoden zur Individualdiagnose und zur Bestimmung der Erhaltung/Repräsentanz und des Verbrennungsgrades. Nach dem allgemeinen Teil durften die Teilnehmer in Zweier- bis Vierergruppen am Material arbeiten. Es handelte sich um Leichenbrände aus römischer Zeit mit unterschiedlicher Erhaltung. Naturgemäß stand das Sortieren der Fragmente und die Identifizierung von anatomischen Regionen am ersten Tag im Vordergrund, am zweiten Tag gelangten die Teilnehmer jedoch zu Aussagen hinsichtlich Alter, Geschlecht und Körperhöhe, in seltenen Fällen ferner zu Pathologien und Umständen der Verbrennung und Leichenbrandauslese. Für die Mikrostruktur von Knochen war nur noch kurz Zeit, jedoch könnte dies Thema eines weiteren Workshops werden. 11

Kongresse

Insgesamt hat der Workshop den Teilnehmern vor Augen geführt, wie komplex die Leichenbrandauswertung sich gestaltet, aber auch, wie Erfahrung und ein geübter Blick den verbrannten Fragmenten Aussagen entlocken können. Amelie Alterauge Universität Bern, Institut für Rechtsmedizin, Abt. Anthropologie

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Abschlussarbeiten

CHIARA GIROTTO: ANTHROPOLOGISCHER VORBERICHT ZUM URNENFELDERZEITLICHEN GRÄBERFELD VON ERLENBACH „KÄPPELESÄCKER“, KREIS HEILBRONN (BACHELORARBEIT AM INSTITUT FÜR UR- UND FRÜHGESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DES MITTELALTERS, EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN) Das Ha A2/B1 zeitliche Urnengräberfeld von Erlenbach „Käppelesäcker“, Kreis Heilbronn (Neth 2004) wurde im Rahmen einer Arbeit analysiert, in der die räumliche Verteilung der Urnenfelderkultur in Nordwürttemberg sowie mögliche Schlussfolgerungen für die damalige Gesellschaft untersucht wurde. Die Beigabensitte dieser Zeit bietet nur eingeschränkte Möglichkeiten, das Geschlecht der Bestatteten zu bestimmen, sodass die Anthropologie einen wertvollen Beitrag zur Interpretation der Gräber und der Gesellschaft liefern kann. Bisher liegen aus der Region nur wenige publizierte Gräberfelder vor (u.a.: Dehn 1971; Dehn 1972; Reichel 2000). Der Bestattungsritus der Region kann bisher als sehr variabel rekonstruiert werden. Es sind sowohl verschiedene Formen der Brandbestattung als auch über 30 Körperbestattungen aus dem exzeptionellen Männerfriedhof von Neckarsulm (Knöpke 2009) bekannt. Aus dem Gräberfeld wurden fünf Urnen und eine Leichenbrandaufsammlung geborgen. Für die Analyse wurden der Fragmentierungs- und Verbrennungsgrad (Wahl 1981), sowie Alter (u.a. Ubelaker 1978; Scheuer/Black 2000) und Geschlecht (u. a. Ferembach et al. 1979; Schutkowski/Hummel 1987) bestimmt. Doppelbestattungen liegen nicht vor. Trotz des relativ hohen durchschnittlichen Gewichts (495 g; SD=331 g; n=6) konnte das Leichenbrandgewicht für keine weiteren Analyseschritte heran gezogen werden. Die Urnen wurden bereits vor der Bergung durch landwirtschaftliche Tätigkeiten stark gestört. Tabelle 1: Ergebnisse Geschlechtsbestimmung "Käppelesäcker". Individuum

der Alters- und von Erlenbach

Geschlecht

Aufsammlung indifferent

Alter 20-40

Grab 1

indifferent (Tendenz ♀)

7-10

Grab 2

eher ♀

17-40

Grab 3

eher ♂

17-40

Grab 4

Tendenz ♀

~ 40-60

Grab 5

eher ♂

40-60

Es konnten die Altersklassen Infans II bis Maturus (s. Tabelle 1) nachgewiesen werden. Eine Einordnung in spezifische Altersklassen war für die meisten Individuen möglich. Die Leichenbrände zeigten nur wenige eindeutige Geschlechtsindikatoren, sodass trotz metrischer Analysen keine eindeutigen Ergebnisse erzielt werden konnten. Im Gräberfeld wurden zwei eher männliche, ein eher weibliches und ein tendenziell weibliches Individuum bestattet. Für das Kind aus Grab 1 konnte kein eindeutiges Geschlecht festgelegt werden, eine leichte weibliche Tendenz war gegeben. 13

Abschlussarbeiten

Die Bestimmungen aus Grab 1 zeigten eindrucksvoll den Einfluss der Anthropologie auf die archäologische Interpretation. Die Ausstattung, mit aufwändig gestalteter Keramik, einem Vogelgefäß, mehreren Bronzegegenständen und einem kleinen Golddrahtring (Neth 2004) wird innerhalb der Archäologie eher männlichen Individuen, mit hohem sozialem Status, zugesprochen. Das Ergebnis zeigt die Spannbreite urnenfelderzeitlicher Beigabensitte, denn der Umfang potenzieller Statusbeigaben wird aus archäologischer Sicht meist für höhergestellte Erwachsene angenommen. Weitere archäologische und insbesondere anthropologische Studien würden zu einem besseren Verständnis der Region und der Gesellschaft während der späten Bronzezeit führen. Literatur: R. Dehn, Ein Gräberfeld der Urnenfelderkultur von Oberboihingen (Kreis Nürtingen), Fundberichte aus Schwaben 19, 1971, 68–81. R. Dehn, Die Urnenfelderkultur in Nordwürttemberg, Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 1 (Stuttgart 1972). S. Knöpke, Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm. mit einem Beitrag von J. Wahl, Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 116 (Stuttgart 2009). A. Neth, Neue Grabfunde der Urnenfelderzeit aus dem nördlichen Kreis Heilbronn, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2004, 65–68. M. Reichel, Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld von Gemmerigheim, Kreis Ludwigsburg, Fundberichte aus Baden-Württemberg 24, 2000, 214–306. L. Scheuer/S. Black, Developmental juvenile osteology (San Diego California 2000). H. Schutkowski/S. Hummel, Variabilitätsvergleich von Wandstärken und ihre Bedeutung für die Diagnose von Leichenbränden, Anthropologischer Anzeiger 45, 1987, 43–47. D. H. Ubelaker, Human skeletal remains. Excavation, analysis, interpretation, Manuals on archeology 2 (Washington 1978). J. Wahl, Beobachtungen zur Verbrennung menschlicher Leichname. Über die Vergleichbarkeit moderner Kremationen mit prähistorischen Leichenbränden, Archäologisches Korrespondenzblatt 11, 1981, 271-279.

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Abschlussarbeiten

ALISA HUJIĆ: DAS KIND IN UNS UNTER DER LUPE DER ISOTOPIE, ALLOMETRIE UND PATHOLOGIE. ZUSAMMENHANG ZWISCHEN Δ15N UND Δ13C ALS EIWEIßPROXY UND DEM LONGITUDINALEN KNOCHENWACHSTUM BEI PRÄHISTORISCHEN SKELETTINDIVIDUEN UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VERSCHIEDENER INDIKATOREN FÜR NÄHRSTOFFVERSORGUNG (DISSERTATION, INSTITUT FÜR PRÄHISTORISCHE ARCHÄOLOGIE, FREIE UNIVERSITÄT BERLIN) Im Rahmen dieser Dissertation des Projektes „Lebensbedingungen und biologischer Lebensstandard in der Vorgeschichte“ der Emmy-Noether Nachwuchsgruppe unter Leitung von Fr. Dr. Eva Rosenstock sollte zum ersten Mal unter Anwendung geochemischer und anthropometrischer Untersuchungsmethoden in einer Retrospektivstudie an Männern und Frauen aus zwei linienbandkeramischen Gräberfeldern, Stuttgart-Mühlhausen und Schwetzingen, der Zusammenhang zwischen δ15N und δ13C im Primärdentin der Molaren, der größten Langknochenlänge sowie der geschätzten Endkörperhöhe untersucht werden. In einem zweiten Schritt wurden diese Isotopenverhältnisse im Kollagen der Rippen derselben Individuen gemessen, um beurteilen zu können, ob und inwiefern sich die Ernährung während der Kindheit von der Ernährung im Erwachsenenalter unterschieden hat. Zum Schluss sollte getestet werden, ob das Tertiärdentin die Isotopenverhältnisse im Primärdentin beeinflusst, und ob somit pathologische Zähne von Isotopenuntersuchungen ausgeschlossen werden sollten. Weitere Daten, welche zur Klärung bestimmter Trends und Interpretation der Daten relevant sein könnten, z. B. Daten zu Pathologien, Aktivitätsmustern, sowie ökologische und klimatische Daten aus der entsprechenden Zeit und Region, wurden gesammelt und sind in die Auswertung eingeflossen. Es konnten sowohl positive als auch negative Korrelationen zwischen δ15N/δ13C und der größten Diaphysenlänge bzw. Körperhöhe festgestellt werden, sodass scheinbar nicht nur die Proteine bei Wachstumsprozessen von Bedeutung sind. Die meisten Korrelationen wurden bei Männern mit ihren zweiten und dritten Molaren, bei Frauen mit ihren ersten und zweiten Molaren beobachtet, was möglicherweise mit den Wachstumsschüben zusammenhängen könnte, da Mädchen vor der Pubertät stärker wachsen als die Jungen. Ein Einfluss von unspezifischen Stressanzeigern auf das Langknochenwachstum während der Kindheit war nicht erkennbar. Dies könnte damit erklärt werden, dass nur adulte Individuen untersucht wurden, die diese Stressphasen überlebt und ihr Wachstum nach eventuellen Wachstumsstörungen aufgeholt haben, weshalb sie an der Endkörperhöhe nicht mehr erkennbar sind. In beiden Gräberfeldern konnten geschlechtsspezifische Unterschiede während der Kindheit, allerdings nur in Stuttgart-Mühlhausen auch im Erwachsenenalter festgestellt werden. Eine Zunahme der Körperhöhe konnte nur bei Frauen erfasst werden. Der angenommene Konsum von Milchprodukten bei Individuen aus dem Areal I von StuttgartMühlhausen soll durch proteomische Analysen noch geprüft werden. Es konnten keine verlässlichen Aussagen zum Einfluss vom Tertiärdentin auf die Isotopenverhältnisse im Primärdentin getroffen werden, da hierfür Röntgenaufnahmen für die Differenzierung zwischen den beiden Dentinarten notwendig sind, und weil die möglichen Unterschiede nicht sicher auf die Aktivität von Mikroorganismen zurückgeführt werden können. Abschließend kann geschlussfolgert werden, dass nicht nur die Proteine, sondern wahrscheinlich auch die Gesamtenergiemenge für das Längenwachstum entscheidend ist, da die Proteinsynthese ohne genügend Energie nicht stattfinden kann. Außerdem hängen Genetik und Umwelt stark zusammen, und Vermischung beider kann für individuelle Unterschiede sorgen. Die Ursachen für solche Unterschiede sind sehr komplex und die verschiedenen Einflussfaktoren lassen sich nur schwer voneinander isolieren und getrennt betrachten, sodass ein einfaches "nature vs. nurture" kaum vertretbar ist.

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Abschlussarbeiten

BEATRIX WELTE: ZEITZEUGEN AUS DEM WÜSTENSAND – DIE ALTÄGYPTISCHEN MUMIENSCHÄDEL AUS ABUSIR EL-MELEQ (DISSERTATION, INSTITUT FÜR UR- UND FRÜHGESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DES MITTELALTERS / INSTITUT FÜR NATURWISSENSCHAFTLICHE ARCHÄOLOGIE, EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN) Mit dem Beginn der Ägyptomanie um die vorletzte Jahrhundertwende wurden viele menschliche Überreste aus dem Alten Ägypten aus ihrem archäologischen Fundkontext gerissen. Der dadurch entstandene gesamtwissenschaftliche Informationsverlust ist immens. So ist es der heutigen Forschung auferlegt, die über die ganze Welt verstreuten ägyptischen Funde fachgerecht zu dokumentieren und verwaiste Objekte nachträglich dem einstigen Umfeld zuzuordnen. Bei dem im Rahmen dieser Dissertation untersuchten Material handelt es sich um insgesamt 467 Mumienköpfe beziehungsweise mazerierte Schädel, die Bestandteil der Osteologischen Sammlung der Universität Tübingen und der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin sind. Die Fundstelle Abusir el-Meleq, aus der die Mumien stammen, liegt am Eingang zur Fayum-Oase, etwa 80 Kilometer südlich von Kairo. Obgleich nur spärliche archäologische Hintergrundinformationen existieren, legen viele Indizien eine Hauptdeponierung für die vorliegenden anthropologischen Überreste ab der Spätzeit bis in die hellenistisch-römische Epoche nahe. Es bot sich die einmalige Möglichkeit Funde aus einer Altgrabung, die zu Beginn des 20ten Jahrhunderts auf Basis der damals gängigen Wissenschaftspraxis auseinandergerissen wurden, wieder zu vereinen, als Ensemble zu untersuchen und dadurch einen Beitrag zur Kulturgeschichte Ägyptens zu leisten. Das untersuchte Skelettmaterial stammt zwar aus einem einzigen Grablegungsareal, es handelt sich aber nicht um eine in sich geschlossene Friedhofspopulation - im Sinne einer vollständig ausgegrabenen Nekropole mit einer gesicherten inneren Chronologie und Belegungsabfolge sondern vielmehr um einen willkürlichen Ausschnitt einer im Fayum ansässigen Gemeinschaft. Neben der Rekonstruktion der Fundumstände beinhaltet die anthropologische Untersuchung unter anderem eine Alters- und Geschlechtsbestimmung, eine pathologische Einschätzung sowie die Aufnahme metrischer, nicht-metrischer und odontologischer Merkmale. Die Klärung dieser Punkte ermöglicht eine regionale und überregionale demographische Beschreibung der Fayumer Stichprobe und die nachträgliche Einbettung in einen geschichtlichen als auch anthropologischen Kontext.

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Abschlussarbeiten

ANNA-MARIA BEGEROCK: EIN LEBEN MIT DEN AHNEN - DER TOD ALS INSZENIERUNG FÜR DIE LEBENDEN. EINE UNTERSUCHUNG ANHAND AUSGEWÄHLTER KULTUREN DES WESTLICHEN SÜDAMERIKA ZU HINWEISEN EINER INTENTIONELLEN MUMIFIZIERUNG DER VERSTORBENEN UND DER KULTURIMMANENTEN GRÜNDE (DISSERTATION AM LATEINAMERIKA-INSTITUT, FACHBEREICH GESCHICHTS- UND KULTURWISSENSCHAFTEN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN) Mumien waren und sind seit dem 18. Jahrhundert ein unabdingbarer Bestandteil von anatomischen/anthropologischen und ethnologischen/ethnographischen Sammlungen in Europa und Nordamerika. Waren es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch vornehmlich die einbalsamierten Körper hochrangiger Ägypter, die auf vielfältige Weise ihren Weg nach Europa nahmen, importierte man seit Beginn des 20. Jahrhunderts eher Mumien aus Südamerika, um die Sammlungen zu vervollständigen. Die Zunahme des Handels mit den dort vorhandenen natürlichen Rohstoffen ließ manche Geschäftsleute jahrelang vor Ort in Chile oder Peru verweilen und sich neben ihren Tagesgeschäften der Erkundung der „Altertümer“ Südamerikas widmen. Die großen vorspanischen Friedhöfe in der Nähe der neuzeitlichen Häfen wurden zu beliebten Ausflugszielen des europäischen Handelsbürgertums. Man bezahlte Ausgräber, ließ graben und bergen und sondierte anschließend, was sammlungswürdig erschien und sich auch nach der Rückkehr in die Heimat an die europäischen bzw. zu einem geringeren Teil auch an die nordamerikanischen Museen und Privatsammler verkaufen ließe. Fundkontexte spielten dabei keine Rolle, auch nicht die Erhaltung der Totenbündel (mit Schilfmatten oder Textilien und Beigaben), in denen die vorspanischen Kulturen ihre Toten in meist gehockter Position beigesetzt hatten. Die einstige kulturelle Herkunft dieser Mumien ging so verloren. Sie läßt sich bis heute nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden rekonstruieren. Eine gezielte interdisziplinäre Kombination mit den vor allem archäologischen und kulturhistorischen Methoden macht eine Rekontextualisierung jedoch möglich. Dies ist in der Dissertation an drei Beispielen analysiert worden. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Ahnenkult im vorspanischen Südamerika kulturimmanent ist, und bereits um 5000 v.Chr. der Abgrenzung von anderen, zeitgleichen Gruppen diente. Auch wurde deutlich, dass die Ahnen aus der jenseitigen Welt heraus Macht über die Lebenden besaßen, als Bringer von Fruchtbarkeit verstanden wurden und als rechtmäßige Besitzer der Anbauflächen das Leben ihrer Nachkommen bestimmten. Die Nachfahren ihrerseits hatten den Ahnenkult durchzuführen und die Toten weiterhin zu versorgen. Einen besonderen Fall stellen die Inka dar, die etwa 100 Jahre vor der spanischen Eroberung ihrerseits weite Teile des westlichen Südamerikas erobert hatten. Auf ihren Eroberungszügen waren sie jedoch derart vielen Gruppen mit einer stark ausgeprägten Ahnenverehrung begegnet, dass sie selbst für ihre eigenen verstorbenen Könige einen Ahnen/Mumienkult einführen und fördern mussten, um ihre Vormachtstellung gegenüber den anderen Gruppen durchsetzen zu können. Die Mumifizierungsmethoden der Inka sind, wie diese Arbeit belegen konnte, jedoch nicht bekannt. In der spanischen Kolonialzeit schriftlich dokumentierte Beschreibungen der Mumien der inkaischen Könige sind nur allgemeiner Art. So können, auch aufgrund der vorangegangenen Schriftlosigkeit, die spezifischen Rituale der zeitgleichen und vorinkaischen Gruppen wohl nicht mehr umfassend rekonstruiert werden. Gerade anhand der spezifischen Totenbehandlungen jedoch lassen sich, so konnte die Dissertation zeigen, Kulturgruppen bestimmen. So wird eine kulturelle Rekontextualisierung erster Mumien in den heutigen Sammlungen möglich. Ein weiteres Problem stellen die Mumifizierungsmethoden dar. Diese lassen sich mit den derzeit anwendbaren/entwickelten naturwissenschaftlichen Methoden noch nicht bestimmen. Eine Auswertung der von den spanischen Eroberern im 16. Jahrhundert schriftlich festgehaltenen 17

Abschlussarbeiten

Berichte der vorspanischen, schriftlosen Gruppen konnte jedoch einige Methoden aufzeigen. Weitere Methoden konnten durch die Analyse der Ausgrabungsberichte und der Beobachtungen der Experten vor Ort ergänzt werden. Die Dissertation schlägt somit eine Brücke zwischen den Natur- und Kulturwissenschaften und hat Grundlagen erarbeitet, wie südamerikanischen Mumien aus Sammlungen wieder zu einem Kontext verhelfen werden kann.

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Knochenquiz

Auflösung zum Quiz in der 1. Ausgabe 2015: Schädel & Femur rechts

Konzept & Idee: Galina Kulstein

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