Schweizerische Herzstiftung Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag

Das herzkranke Kind in der Schule Ein Ratgeber

Danksagung Herzlichen Dank an Frau Bundesrätin Eveline WidmerSchlumpf für die einfühlsamen einleitenden Worte. Ein ganz grosses Dankeschön geht an die Autoren. Ohne ihre unentgeltliche Arbeit hätte dieser Leitfaden nicht realisiert werden können. Die Autoren in alphabetischer Reihenfolge: Elisabeth Gähwiler, Mirjam Gähwiler, Dr. med. Matthias Gittermann, Dr. med. Ricarda Hoop, Stefan Künzi, Flavia Reginato, Dr. med. Regula Rickenbach, August Schwere, Ueli Speich, Monika Stulz, Stephan Stulz, Stefan Wirz, Esther Wunderli. Fotografen mit grossem Herz, vielen Dank an Judith und Konrad Eckert! Ein ganz grosser Dank den Korrekturleserinnen für ihre exakte Arbeit: Susanne Mislin, Elisabeth Scheuner, Sara Stulz und der Schweizerischen Herzstiftung für ihre Beratung und Unterstützung. Insbesondere danken wir der Gertrude von Meissner-Stiftung (in Erinnerung an Annette und Clas Richter). Sie hat uns die Herausgabe dieser Broschüre ermöglicht.

Herzlichen Dank den Familien der Elternvereinigung für das herzkranke Kind für die tollen Fotos!

Inhaltsverzeichnis

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Editorial

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Und dann beginnt die Schulzeit

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Medikamente bei herzkranken Kindern

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Medis zum Znüni

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Sport bei angeborenen Herzfehlern

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Ein guter schulischer Rahmen für eine erfolgreiche Entwicklung

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Vier Jahre mit Stephan

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Die «Zauberformel» der Integration

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Interview mit einem Schulleiter

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Der runde Tisch – Erfahrungen und Gedanken aus Sicht der Schulleitung

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Erfahrungen aus der Schulzeit mit meinem herzkranken Sohn

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So erlebte ich die Schulzeit meines herzkranken Bruders

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«Integration» durch «Separation»?

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Irgendwann ist die Schulzeit vorbei...

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Merkblatt für Lehrpersonen

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Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen

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Editorial

«Kinder sind Hoffnungen», soll Novalis, der deutsche Dichter der Romantik gesagt haben. Ich stimme ihm zu. Kinder sind und geben Hoffnung, gerade in schwierigen Zeiten. Auch wenn ein Kind Anlass zu Sorgen gibt, so schenkt es gleichzeitig immer auch Hoffnung, Trost und Momente des Glücks. Niemand weiss das wohl so gut wie Eltern von Kindern, die nicht gesund sind. In der Schweiz werden jährlich 800 bis 850 Kinder mit einem Herzfehler geboren. Diese Diagnose verändert nicht nur das Leben des Kindes, sondern auch das Leben seiner Eltern schlagartig. Sie erleben Angst und Unsicherheit, sie müssen damit umgehen, dass ihr Kind von Beginn an mehr Hürden auf dem Lebensweg zu bewältigen hat als andere Kinder. Die Elternvereinigung für das herzkranke Kind begleitet betroffene Kinder, Eltern und Angehörige auf diesem Weg. Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe, arbeitet mit Fachleuten zusammen und gestaltet Freizeitangebote für Herzkinder. Die Schweizerische Herzstiftung ihrerseits unterstützt die Betroffenen darin, der Krankheit positiv und aktiv zu begegnen. Sie setzt sich dafür ein, dass ihr Leben lebenswert bleibt. Mit ihrem Engagement helfen diese beiden gemeinnützigen Institutionen den Familien herzkranker Kinder, mit der herausfordernden Situation umzugehen. Oft bleibt nach der Diagnose keine Zeit, die Nachricht auch nur annähernd zu verarbeiten. Zumindest mein Mann und ich erlebten dies 1985 so, als unsere Tochter an ihrem vierten Lebenstag im Kinderspital Zürich notfallmässig operiert werden musste. Man hatte bei ihr eine Aortenbogenstenose festgestellt. Seinem Kind nicht selbst helfen zu können, löst Gefühle der Ohnmacht aus. Was Eltern und Angehörige dagegen tun können, ist vertrauen und hoffen. Nach der erfolgreichen Operation unserer Tochter sagte einer der Ärzte, sie hätten getan, was sie hätten tun können. Jetzt helfe ein Anderer. Und er fügte hinzu: «Sie wird es schaffen.» Diese Zuversicht war für uns sehr wichtig und diese Zuversicht spürte wohl auch unsere Tochter. 4

Im Falle von Herzpatienten ist die Zeit des Bangens mit dem Eingriff oft nicht vorbei. Es folgen weitere Operationen und Therapien – eine belastende Zeit für das ganze Umfeld. Mit der Einschulung des Kindes kommen schliesslich neue Herausforderungen dazu. Das Herzkind selbst, seine Klassenkameraden und die Lehrpersonen müssen einen Umgang mit der Krankheit finden, der dem Kind Sicherheit vermittelt und seinen Bedürfnissen Rechnung trägt, es zugleich aber nicht aus dem Schulgeschehen ausschliesst. Hier ist die Einsicht hilfreich, dass ohnehin jedes einzelne Kind seine ganz spezifischen Voraussetzungen, seine Stärken und Schwächen mitbringt. Die Fach- und Erfahrungsberichte in diesem Ratgeber «Das herzkranke Kind in der Schule» tragen zum verständnisvollen Umgang mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bei. Die Broschüre klärt zentrale Fragen und räumt Unklarheiten aus dem Weg. Auch das Merkblatt für Lehrpersonen sowie die verschiedenen Adressen und Links dürften sich für die Betroffenen als sehr nützlich erweisen. Es ist wichtig, als Familie und als Gemeinschaft eine Normalität zu schaffen, die die Besonderheiten der Krankheit berücksichtigt. Wir haben unsere Normalität gefunden und wir haben das Glück, dass es unserer Tochter heute gut geht. Dafür sind wir sehr dankbar. Als Mutter dreier Kinder, darunter eines Herzkindes, habe ich erfahren, was es heisst, sich um ein Kind zu sorgen. Ich weiss aber auch, was es bedeutet, zu hoffen. Diese Hoffnungen geben uns die Kinder selbst. Ich danke der Elternvereinigung für das herzkranke Kind und der Schweizerischen Herzstiftung für ihr unermüdliches Engagement und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für Ihr Interesse an diesem Ratgeber. Herzlich Eveline Widmer-Schlumpf Bundesrätin 5

Und dann beginnt die Schulzeit Dr. med. Regula Rickenbach FMH Kinder- und Jugendmedizin, FA Traditionelle Chinesische Medizin & Aurikulomedizin (ASA)

Stolz zeigen und tragen die Erstklässler ihren Schulsack. Manche von ihnen tragen neben dem Etui mit den Buntstiften unsichtbar noch anderes mit sich: Eine Geschichte und erste Lebensjahre, die von Sorge überschattet und belastet waren. Auch wenn diese Kinder äusserlich wie ihre gesunden Schulkameraden aussehen, unterscheidet sie nicht nur die Narbe am Brustkorb, die wohl erst in der Umkleidegarderobe fürs Turnen auffällt, von den anderen. Was alles dahinter steckt, ist nicht zu unterschätzen. Vielleicht ist schon während den Schwangerschaftskontrollen aufgefallen, dass mit dem Herzen des ungeborenen Kindes etwas nicht in Ordnung ist, vielleicht wurden die Eltern erst bei der Neugeborenenuntersuchung damit konfrontiert, dass ihr Kind einen Herzfehler hat. Von einem Moment auf den anderen wurde die Freude über das werdende Leben massiv erschüttert. Sorgen, Ängste und Fragen traten in den Vordergrund: «Was bedeutet es für unser Kind, einen Herzfehler zu haben?» – «Was ist mit dem Herzen unseres Kindes nicht in Ordnung? Das ist doch eines der wichtigsten und bedeutungsvollsten Organe überhaupt?» – «Was, unser Kind muss am Herzen operiert werden? Vielleicht sogar mehrmals!?» Unzählige bange Stunden, durchwachte Nächte prägen manche Wochen und Monate der jungen Familie. Während andere Kinder ihre ganze Energie und Kraft ins Wachsen und sich Entwickeln stecken können, brauchen Kinder mit einem (komplexen) Herzfehler ihren ganzen Willen und all ihre Kraft, um überhaupt zu überleben. Oft haben sie weder die Energie noch die Möglichkeit, altersentsprechende Entwicklungsschritte und Erfahrungen zu machen. Glücklicherweise gelingt es sehr vielen dieser Kinder, dies bis zum Schulalter auf- und nachzuholen, so dass sie sich auf den ersten Blick kaum von ihren Kameraden unterscheiden. Ihre Geschichte, ihre physischen und psychischen Erfahrungen tragen sie jedoch mit sich, lassen sie oft in manchen Bereichen reifer erscheinen, in anderen besteht jedoch Nachholbedarf. So gestaltet sich zum Beispiel der Ablösungsprozess von den Eltern anders als bei anderen Kindern. Bedingt durch den Herzfehler selber, mit

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allfälligen körperlichen Einschränkungen, aber auch durch die Erfahrungen, dass das «Grosswerden» des Kindes nicht selbstverständlich ist, werden die Kinder oft intensiver begleitet, beobachtet und überwacht – sie brauchen es ja auch. Dies kommt dem natürlichen Streben nach Autonomie natürlich nicht entgegen und birgt Konfliktpotenzial in sich. Selber durchgemachte Ängste, aber auch diejenigen der Bezugspersonen, prägen viele Erfahrungen und sind oft im Unbewussten noch Begleiter. Manchmal bleiben offensichtliche Schwierigkeiten wie raschere Ermüdbarkeit, verminderte Belastbarkeit und Konzentrationsprobleme zurück, die den Schulalltag erschweren können. Wie jedes andere Kind – aber sicherlich in besonderem Ausmass und besonderer Intensität – bringen die «Herzkinder» ihre individuelle Lebensgeschichte in ihrem Schulsack mit, die sich in der körperlichen Belastbarkeit, in der Ausdauer, der Konzentrationsfähigkeit, aber auch im sozialen und emotionalen Leben auswirken kann. Je nach Art des Herzfehlers leben die Kinder und ihre Eltern weiterhin mit dem Bewusstsein, dass Folgeoperationen notwendig sind, dass erneut Rückschläge auf sie zukommen können, dass sich der momentane Zustand plötzlich ohne Vorwarnung ändern und von heute auf morgen das Bangen, der schmale Grat zwischen Leben und Tod, wieder beginnen könnte. Nicht alle Herzfehler können «geheilt» werden, viele bedürfen lebenslanger Kontrollen durch die Spezialisten, und es stehen unter Umständen immer wieder neue Eingriffe an. Es scheint mir gerade bei den Herzkindern besonders wichtig, dass die Lehrpersonen auch über prägende Erfahrungen in der Kleinkinderzeit informiert sind und in einem offenen Gespräch die körperliche und psychische Belastbarkeit angesprochen wird, so dass die Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend optimal gefordert und gefördert werden können.

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Medikamente bei herzkranken Kindern Dr. med. Ricarda Hoop, Oberärztin Kinderkardiologie, Kinderspital Zürich

Wenn bei Kindern von einer Herzerkrankung die Rede ist, handelt es sich in den meisten Fällen um angeborene Herzleiden. Dies bedeutet, dass sich das Herz nicht normal entwickelt hat. Zum Beispiel gibt es Herzfehler, bei denen eine der beiden Herzkammern nicht ausgebildet worden ist. Durch die heutigen operativen Möglichkeiten können viele Herzfehler so korrigiert werden, dass die Kinder nach der Operation ohne Medikamente aufwachsen können. Dennoch gibt es Kinder, die auch nach einer oder mehreren Operation(en) lebenslänglich auf herzunterstützende Medikamente angewiesen sind. Zu den Herzerkrankungen bei Kindern zählen auch die Herzrhythmusstörungen. Diese können sowohl im Zusammenhang mit einem angeborenen Herzfehler stehen, als auch unabhängig, das heisst bei einem anatomisch normalen Herzen auftreten. Einige Herzrhythmusstörungen können mit einem Eingriff so behandelt werden, dass die Kinder keine rhythmusregulierenden Medikamente mehr brauchen. Bei anderen ist dies nicht möglich und die Kinder benötigen meist lebenslänglich Medikamente. In selteneren Fällen erkranken Kinder an einer sogenannt erworbenen Herzkrankheit. Dies kann zum Beispiel eine Entzündung des Herzmuskels sein. Wird das Herz dadurch stark geschwächt, benötigen auch diese Kinder Medikamente, welche die Herzfunktion unterstützen. Die im Folgenden aufgeführten Medikamente sollen eine Übersicht der im «kinderkardiologischen Alltag» häufig gebräuchlichen Arzneimittel geben. Eine vollständige Zusammenstellung aller herzwirksamer Medikamente und deren Wirkungen beziehungsweise Nebenwirkungen ist an dieser Stelle nicht möglich. Die bei Kindern eingesetzten Herzmedikamente können in drei Gruppen unterteilt werden: Medikamente, die dem Herzmuskel die Arbeit erleichtern und so die Pumpfunktion des Herzens verbessern Die Herzarbeit kann zum Beispiel durch entwässernde Medikamente (Diuretika wie beispielsweise Lasix®, Esidrex®, Aldactone®) erleichert werden.

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Als Nebenwirkung kann dies teilweise dazu führen, dass die Kinder häufiger auf die Toilette gehen müssen. Im Weiteren können diese Medikamente bei einer Erkrankung mit starkem Flüssigkeitsverlust, wie zum Beispiel bei einem Brech-Durchfall, zum Austrocknen oder zu einer Störung des Salzhaushaltes führen. Im Falle einer Erkrankung ist es daher notwendig, einen Arzt aufzusuchen. Im Weiteren gibt es Medikamente, welche die Gefässspannung der Arterien reduzieren und damit dem Herzen das Pumpen erleichtern (ACE-Hemmer wie zum Beispiel Captopril, Enalapril). Eine dritte Möglichkeit sind Medikamente, die direkt den Herzmuskel stärken (beispielsweise Digoxin). Herzrhythmusregulierende Medikamente Herzrhythmusregulierende Medikamente werden bei Störungen des Herzrhythmus eingesetzt. In den meisten Fällen kann dadurch ein nahezu physiologischer Rhythmus erreicht werden. Kinder, die mit herzrhythmusregulierenden Medikamenten behandelt sind, können aber dennoch eine Herzrhythmusstörung entwickeln, die sofort erste Hilfe fordert. Häufig eingesetzt werden Betablocker (zum Beispiel Inderal®, Tenormin®, Carvedilol®). Diese Medikamente verlangsamen die Herzfrequenz und erzielen auf diesem Weg ihre Wirkung. Als Nebenwirkung können Betablocker bei gewissen Kindern zu einer leichten Konzentrationseinschränkung führen. Medikamente, die einen erhöhten Druck in der Lunge reduzieren Um einen erhöhten Druck in der Lunge zu senken, gibt es einerseits Medikamente in Tablettenform (zum Beispiel Sildenafil, Bosentan), anderseits kann Sauerstoff eingesetzt werden. Dieser wird in der Regel über eine sogenannte Nasenbrille (Sauerstoffverabreichung über einen Plastikschlauch direkt in die Nase) appliziert. Der Sauerstoff muss dafür in einem Behälter als «Rucksack» mitgetragen werden. Bei einigen Herzfehlern ist vorübergehend (beispielsweise nach einer Operation) oder lebenslänglich eine Verdünnung des Blutes notwendig. Je nach dem bedarf es einer leichten oder starken Blutverdünnung. 9

Blutverdünnung Eine leichte Blutverdünnung kann durch das allgemein bekannte Aspirin® erreicht werden. Dieses Medikament wird einmal täglich eingenommen und bedarf keiner speziellen Kontrolle. Im Gegensatz dazu erfolgt eine starke Blutverdünnung durch Marcoumar®, was regelmässige Kontrollen erfordert. Es ist wichtig, dieses Mittel immer zur gleichen Zeit einzunehmen. Kinder, die mit Marcoumar® behandelt werden, haben einen persönlichen Ausweis, in welchem festgehalten ist, wie viel ihre aktuelle Blutverdünnung beträgt und wie viel Marcoumar® sie täglich einnehmen müssen. Im Falle eines Sturzes, einer Blutung oder einer Verletzung ist bei folgenden Beobachtungen Kontakt mit einem Arzt aufzunehmen:  heftiger Sturz auf den Kopf  stärkere Blutung aus Mund oder Nase  bräunlicher oder roter Urin  Erbrechen von kaffeesatzartigem Blut Bei äusserlichen, stark blutenden Verletzungen ist bereits vor der Arztkonsultation ein Druckverband anzulegen. Medikamenteneinnahme Herzwirksame Medikamente müssen in der Regel nicht häufiger als dreimal pro Tag eingenommen werden. Die Kinder können die Medikamente somit zu Hause einnehmen. Besucht das Kind aber zum Beispiel den Hort oder ein Ferienlager, hat sich ein Gespräch zwischen Eltern und Lehr- beziehungsweise Betreuungsperson sehr bewährt. Nur so können rasch und effizient die notwendigen Informationen über das/die einzunehmende/n Medikament/e vermittelt und die Verantwortung betreffend Medikamenteneinnahme besprochen werden. Bei dabei auftretenden Fragen oder Schwierigkeiten kann in der Regel auch der betreuende Herzspezialist für ein Gespräch beigezogen werden. Wird einmal eine Medikamentendosis vergessen, ist es von der Art des Medikamentes und des Herzfehlers abhängig, ob dies bereits zu Problemen führen kann. Schwerwiegende Komplikationen treten auf, wenn zum Beispiel das Medikament für eine starke Blutverdünnung (Marcoumar®) vergessen wird. Dies kann bei einer künstlichen Herzklappe zu Gerinnselbildung führen und die Funktion der Klappe und damit des Herzens massiv einschränken. Das Gleiche gilt für herzrhythmusregulierende Medikamente.

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Ein Auslassen des Medikamentes kann zu gefährlichen, ja gar tödlichen Herzrhythmusstörungen führen. Um eine solche Situation zu vermeiden, ist vor einem Klassenausflug oder Schullager ein klärendes Gespräch zwischen Eltern und Lehrern empfehlenswert. Bei Jugendlichen mit einer chronischen Krankheit, wie zum Beispiel einer Herzkrankheit, ist die Compliance der Medikamenteneinnahme als Problem erkannt. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, den Jugendlichen durch diese Jahre der Selbstfindung zu begleiten und ihn vor einer gefährlichen Situation zu bewahren. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit, als Lehrer oder Lehrerin mit einem herzkranken Kind in eine Notsituation zu geraten, sehr gering. Dennoch ist es sicherlich sinnvoll, wenn auch Lehrkräfte und Betreuungspersonen Erste-Hilfe-Kenntnisse regelmässig in einem praktischen Kurs auffrischen.

HELP®-Ausbildungsprogramm für Unternehmen, Institutionen und Organisationen Die Teilnehmenden erlernen die lebensrettenden Massnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung (Basic Life Support = BLS) und die Anwendung des automatischen externen Defibrillators (AED). Lebensrettungsausbildung für Schülerinnen und Schüler Mit dem Selbstlern-Kit MiniAnne eignen sich Jugendliche ab 10 Jahren in nur 30 Minuten die Grundkenntnisse der Lebensrettung an. Sie trainieren die grundlegenden Fertigkeiten der Herz-Lungen-Wiederbelebung selbständig mit einem persönlichen Übungskit anhand einer DVD mit Lernprogramm. Weitere Informationen finden Sie unter www.helpbyswissheart.ch 11

Medis zum Znüni Flavia Reginato, Mutter

Es ist schon eine Weile her, seit unsere Familie nach der Herztransplantation unseres Sohnes Daniel mit den ersten Herausforderungen konfrontiert wurde. Im Alter von fünf Jahren wurde er operiert und wir als Eltern mussten sehr viel über Krankenpflege lernen, insbesondere den Umgang mit der Einnahme unentbehrlicher Medikamente. Nach der ersten intensiven Phase nach der Operation wurden die Medikamente langsam reduziert. Die Einnahme drei verschiedener Medikamente, dreimal am Tag, hat sich längst in unseren Alltag integriert. Ein paar Monate später durfte Daniel bereits den Kindergarten besuchen und das hiess für uns Eltern nicht nur das Znünitäschli zu packen, sondern auch einen Teil der Verantwortung der Kindergärtnerin weiterzugeben. Das war nicht gerade einfach. Da die Kindergärtnerin unseren anderen Sohn Victor ein Jahr vorher unterrichtete, hatten wir bereits eine gute Beziehung zueinander aufgebaut. Das hat uns beim Loslassen extrem geholfen und gab uns die Sicherheit, dass unser Sohn bestens begleitet war. Nach ein paar Wochen war Daniels Begeisterung für den Kindergarten so ersichtlich, dass unsere Ängste und Unsicherheiten nicht mehr im Vordergrund standen. Die Kindergärtnerin hat uns immer sehr unterstützt, indem sie uns jeweils informierte, wenn ein anderes Kind erkrankte. Ansteckende Erkrankungen wie Scharlach, Grippe oder Windpocken waren sehr gefährlich für Daniel. Es war deshalb sehr wichtig, Symptome so rasch wie möglich zu erkennen und darauf zu reagieren. Medikamenteneinnahme – eine kleine grosse Aufgabe Im Kindergarten war die Medikamenteneinnahme eigentlich unproblematisch, denn Daniel konnte seine Tabletten meistens zu Hause einnehmen. Auf der «Kindsgireise», bei längeren Ausflügen oder beim Mittagessen bei Freunden, musste die Tabletteneinnahme aber auswärts stattfinden. In solchen Situationen haben wir mit der Kindergärtnerin beziehungsweise mit dem Mami vom Gspänli Kontakt aufgenommen und gefragt, ob sie bereit wären, die Medikamente mitzunehmen und die pünktliche Einnahme zu kontrollieren. Als wir mit der Kindergärtnerin über die Tabletten gespro-

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chen haben, erklärte sie uns, dass es immer wieder Kinder gäbe, die Medikamente einnehmen müssten: Von harmlosen homöopathischen Globulis bis zum Inhalationsspray gegen Asthmaanfälle. Die Mamis, die Daniel zum Zmittag einluden, zeigten sich sehr verständnisvoll. Durch diese Kontakte und Austausche entstanden nicht selten wunderbare Freundschaften, nicht nur unter den Kindern, sondern auch unter uns Erwachsenen. Zum Glück waren diese Personen stets einverstanden, diese kleine grosse Aufgabe zu übernehmen. So musste er nie von diesen schönen Erlebnissen ausgeschlossen werden. Auch die Klassenkameraden denken mit Die nächste Phase in der Primarschule brachte zusätzliche Herausforderungen mit sich. Man kannte Daniels Krankengeschichte nicht und so mussten wir wieder bei null anfangen: Wir haben erneut Gespräche mit den Lehrerinnen geführt, um die Situation genauer zu schildern. Mit jedem Schuloder Lehrerwechsel rückten unsere Ängste und Unsicherheiten erneut in den Vordergrund. An einem Elternabend hörten wir dann das gefürchtete Wort: «Klassenlager»! Wir hatten von da an ein Jahr Zeit, Daniel und uns darauf vorzubereiten. So war es an der Zeit, dass Daniel langsam selbständiger wurde, zumindest was die Medikamenteneinnahme anbelangte. Das lief eigentlich sehr gut und bei den kommenden Ausflügen hat er die Pillenbox selber mitgenommen. Wobei wir die Lehrerin jeweils baten, die pünktliche Einnahme zu kontrollieren. Die Tagesausflüge fanden häufiger statt, Mittagessen bei Kollegen ebenfalls und seine Klassenkameraden gingen bei uns ein und aus. Als Nebeneffekt haben wir festgestellt, dass Daniels Medikamente ein normales «Klassenthema» wurden, so, dass nicht nur die Lehrerin, sondern auch die Kollegen vermehrt fragten, ob er seine Medis schon genommen hätte. Keine Chance also, dass irgendwann eine Tablette vergessen wurde. Auf der anderen Seite fühlte sich Daniel manchmal «überbehütet» und als der «Unselbständige» in der Gruppe, das war natürlich keine bewusste Absicht der Kollegen. Aber wirklich gestört hat ihn deren behutsames Verhalten nicht. 13

Für das Klassenlager haben wir ein ausführliches und gut verständliches Notfallblatt mit allen Informationen über Medikamente, verbotene Medikamente (wegen Interaktionen), Dosierungen, Allergien, Kontaktpersonen und weiteren wichtigen Daten erstellt. Eine Kopie davon sowie ein Paket mit Reservemedikamenten haben wir der zuständigen Lehrerin vor der Reise abgegeben (unbedingt beschriften als «Reservemedikamente» inklusiv Packungsbeilagen). Daniel aber hat seine Pillenboxen für den Aufenthalt, zusammen mit dem Notfallblatt, selber mitgenommen. So war er für die Einnahme der Medikamente zuständig und wurde während des Lagers von Lehrern und Kollegen lediglich hin und wieder daran erinnert. Man kann nicht sagen, dass die Lehrerin die zusätzliche Aufgabe, den extra Aufwand und das zusätzliche «Gepäck» mit Begeisterung empfangen hat. Aber ein Jahr später, beim zweiten Klassenlager, war die Sache selbstverständlich. Sie war bereits sensibilisiert, weil sie im ersten Lager erkannt hat, dass sie dank Daniels Pflichtbewusstsein nicht zusätzlich belastet wurde. Für uns war extrem wichtig, den Lehrern genug Sicherheit zu geben, indem wir sagten (und auch im Notfallblatt notierten), dass wir jederzeit erreichbar wären, falls sie eine Entscheidung in Bezug auf Daniels Gesundheit nicht selber treffen möchten. Beispielsweise, wenn er die Tabletten zwar richtig eingenommen hat, aber eine halbe Stunde später erbricht. Als Eltern können wir zwar einiges delegieren, aber nicht alles. Es ist unsere Aufgabe, die Betreuer zu unterstützen und zu informieren, nichts sollten wir als selbstverständlich annehmen. Das gilt auch für die Betreuer selbst: Sie sollten bei Unsicherheit, auch bei vermeintlichen Bagatellen, die Eltern stets kontaktieren dürfen. Das Prinzip, im Klassenlager keinen Kontakt zwischen Eltern und Betreuer zu haben, lässt sich mit einem chronisch kranken Kind nicht einhalten. Hier ist eher die Ausnahme die Regel. Wir als Eltern können unser Kind auf solche Situationen vorbereiten, das heisst ihm auch Verantwortung delegieren, so dass es sich nur beim Betreuer meldet, wenn es sich unsicher fühlt oder etwas nicht stimmt. Beide Klassenlager waren ein sehr schönes Erlebnis. Es gab zum Glück keine Zwischenfälle und Daniel wurde ein Stück selbständiger. Unsere Ängste und Unsicherheiten rückten mehr und mehr in den Hintergrund. Handy sei Dank In der Mittelschule unternahm Daniel die erste Reise ins Ausland, wobei er mittlerweile genügend selbständig war, um das Ganze «allein» managen zu können. Trotzdem haben wir dasselbe Prozedere wie beim ersten Klassenlager befolgt: Reservemedikamente, Packungsbeilagen, Notfallblatt

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(noch besser wäre in diesem Fall, alles auch ins Englische zu übersetzen). Bei Flugreisen sollen die Medikamente im Handgepäck aufbewahrt werden. Wegen der Endokarditisprophylaxe (das sind Vorbeugungsmassnahmen gegen eine Entzündung der Herzinnenhaut, worauf die meisten Kinder mit Herzfehler achten müssen) haben wir, in Absprache mit dem Arzt, auch eine Notfallpackung Antibiotika und ein Rezept mitgegeben. Die genauen Informationen über die Endokarditisprophylaxe müssen auch vermerkt sein. Nach dem Erstellen des Notfallblatts lohnt es sich, dieses nach Möglichkeit dem Kinderarzt zu zeigen, um von ihm überprüfen zu lassen, ob etwas Wichtiges vergessen ging und ob die Angaben für Laien verständlich sind. In diesem Fall gilt die goldene Regel: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Kinder, die täglich auf Medikamente angewiesen sind, sollten möglichst früh gut über die Folgen einer Nichteinnahme aufgeklärt werden. Schritt für Schritt werden sie auf ihre Selbständigkeit vorbereitet. Zu Beginn hat Daniel die Pillenboxen für die Woche selber vorbereitet, er hat gelernt, dass Tabletten in Milligrammen berechnet werden, diese in einer Kapsel verpackt sind und auch, dass sie vor Sonne und Kälte geschützt werden müssen. Kinder können den richtigen Umgang mit den Medis früh lernen, ohne dabei überfordert zu werden. Ab der Mittelschule, das heisst ab der 7. Klasse, hat er die Medikamente auf Reisen selber aufbewahrt und die Einnahmezeiten verwaltet. Daniel selber erzählt, dass seine Kollegen noch heute ab und zu fragen, ob er die Medis schon eingenommen habe. Er empfindet das als ganz in Ordnung, denn die Tabletten gehören zu seiner Person, es ist schön, sich auch mit Tabletten akzeptiert zu fühlen. Wir alle brauchen «Erinnerungsfunktionen» im Alltag, damit wir etwas Wichtiges nicht vergessen. Heute gibt es eine Menge Möglichkeiten, die diesem Zweck dienen, es muss nicht immer die Mama oder die Lehrerin sein. Einen Wecker im Handy einstellen, um pünktlich erinnert zu werden, ja sogar »Apps» für Smartphones können diese Aufgabe übernehmen. Wir Eltern können sehr viel dazu beitragen, damit unsere Kinder eine möglichst positive Schulzeit erleben, indem wir offen und objektiv mit dem Personenkreis des Kindes, insbesondere mit den Lehrpersonen, sprechen und sie für das Thema sensibilisieren. Durch Information und Austausch sowohl zuhause als auch in der Schule ist dies durchaus möglich.

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Sport bei angeborenen Herzfehlern Dr. med. Matthias Gittermann Kinderkardiologe, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Kantonsspital Aarau

Körperliche Betätigung gehört zur normalen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Während bei ganz kleinen Kindern noch der spielerische Erwerb von motorischen Fähigkeiten im Vordergrund steht (laufen lernen, balancieren usw.), kommt mit zunehmendem Alter die Komponente Ehrgeiz und Leistungsgedanken hinzu. Sport fördert nicht nur die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, sondern kann als Teil der Gesamterziehung betrachtet werden (zum Beispiel Förderung der sozialen Kompetenz bei Mannschaftssportarten). Sport kommt dem natürlichen Bewegungsdrang von Kindern und Jugendlichen entgegen, weil diese sich entwickeln und entfalten möchten. So werden Einschränkungen bei der sportlichen Betätigung als sehr einschneidend empfunden, mehr als beispielsweise Einschränkungen bei der Berufswahl. Deshalb sollten auch Kinder mit angeborenen Herzfehlern die Gelegenheit haben, sich so viel wie möglich sportlich zu betätigen. In der Schule wird eine Befreiung vom Sportunterricht vielfach als Ausgrenzung erlebt. Sportliche Aktivität erfordert Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer sowie Koordinationsfähigkeit. Je nach Art der Belastung wird das Herz-Kreislaufsystem beansprucht, was unter Umständen zu Risiken führt. Bei einigen Patienten besteht die Gefahr plötzlicher Ereignisse bis zum plötzlichen Herztod. Besonders gefährdet sind dafür unter anderem diejenigen mit einer Verengung der Hauptschlagaderklappe (Aortenstenose), bestimmten Herzmuskelerkrankungen oder einem Lungenhochdruck. Andererseits kann sich unter Umständen eine langfristige Verschlechterung der Herzfunktion durch Überbeanspruchung einstellen. Das richtige Mass Für Betroffene und ihre Lehrer ist nun die Frage wichtig: «Was darf dem Kind/Jugendlichen zugemutet werden, ohne sie zu gefährden?» Die Antwort ist nicht einfach und schon gar nicht pauschal, denn es gibt viele unterschiedliche Herzfehler und -erkrankungen, die alle in verschiedener Ausprägung und Schwere vorliegen können, vor oder nach Operationen,

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mit oder ohne «Restdefekte». Alle diese Faktoren beeinflussen ein mögliches Risiko beim Sport. Ebenso gibt es eine Fülle verschiedener Sportarten mit unterschiedlichster Art von Belastung, die mehr oder weniger intensiv betrieben werden können. Es muss eine gute «Partnervermittlung» erreicht werden. Das heisst, Herzfehler und Belastung müssen zueinander passen und sich miteinander vertragen. Das bedeutet, man muss im Einzelfall zunächst den Herzfehler und die ihm eigenen Risiken und dann den gewünschten Sport beziehungsweise die Belastung analysieren. Mit verschiedenen Untersuchungsmethoden wie Ultraschall oder EKG kann das Herzproblem charakterisiert werden. Gelegentlich ist auch eine Belastungsuntersuchung auf dem Fahrrad oder dem Laufband angezeigt. Hierbei wird eine Belastung bis zur Erschöpfung angestrebt oder bis zu Symptomen, die einen Abbruch erfordern. Dabei wird eine maximale Herzfrequenz erreicht. Die Herzfrequenz kann man beim Sport leicht selber «mit der Hand» oder einer Pulsuhr bestimmen. Dies ist sehr nützlich, da häufig gilt, dass ein sicherer und trainingsphysiologisch sinnvoller Bereich bei fünfzig bis siebzig Prozent der Herzfrequenz liegt, die bei einem Belastungstest ohne Probleme erreicht wurde. Damit kann man kontrollieren, ob eine aktuelle Belastung noch sinnvoll oder schon bedenklich ist. Natürlich muss das alles mit dem behandelnden Kinderkardiologen individuell besprochen werden, denn nicht für jeden gilt diese simple Regel. Welche Sportart soll es sein? Bei allen Sportarten gibt es in unterschiedlichem Ausmass sowohl statische als auch dynamische Belastungselemente (statisch: wenig Bewegung – hoher Kraftaufwand, zum Beispiel Gewichtheben; dynamisch: viel Bewegung – relativ geringer Kraftaufwand, zum Beispiel Langstreckenlauf). Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich wettkampfmässig betriebene Sportarten grob entsprechend ihrer Belastung einteilen lassen. In der Regel sind dynamische Belastungen sinnvoller für Menschen mit Herzfehlern. Von grossen statischen Belastungen muss bei vielen Betroffenen abgeraten werden. Die Intensität der Belastung spielt natürlich auch eine grosse Rolle (Wettkampfsport vs. Freizeitsport). Auch «leichte» Sportarten können 17

zur Belastung werden, wenn beispielsweise durch grossen Ehrgeiz emotio-

naler Stress entsteht. Umgebungsfaktoren (Höhe, Temperatur, Luftfeuchtigkeit) können «kreislaufwirksam» werden. Zudem sind Trainingsinhalte manchmal mit Belastungen verbunden, die für die jeweilige Sportart nicht typisch sind (zum Beispiel Krafttraining für Fussballer). Bei einzelnen Sportarten sind unterschiedliche Belastungsmuster möglich (beispielsweise Torwart und Stürmer beim Fussball). Bei anderen Sportarten sind durch körperliche Kollisionen Probleme mit Herzschrittmachern, Defibrillatoren oder Verletzungen an grossen Schlagadern möglich. Andere sind besonders risikoreich, wenn der Sportler zu plötzlicher Bewusstlosigkeit (Synkopen) neigt (siehe Tabelle). Man sieht, wie komplex und individuell die Entscheidung über sportliche Betätigung bei Menschen mit angeborenen Herzfehlern ist und dass im Einzelfall eine Fülle von Faktoren berücksichtigt werden müssen. Doch für eine Vielzahl von Patienten mit angeborenen Herzfehlern gilt, dass sie sich ohne grössere Einschränkungen und nach Massgabe von Beschwerden/ Erschöpfung belasten dürfen. Schliesslich sei nochmals betont, dass allen Kindern Gelegenheit gegeben werden sollte, so viel Sport wie möglich zu treiben. Bei Kindern mit angeborenen Herzfehlern erfolgt das am besten in enger Abstimmung mit den Eltern und dem behandelnden Kinderkardiologen, der sicher gerne beratend zur Seite steht.

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niedrig

mässig

hoch

niedrig

Billard Bowling Curling Golf Schiessen

Tischtennis Tennis (Doppel) Volleyball

Badminton Ski-Langlauf (klassisch) Landhockey Orientierungslauf Langstreckenlauf Fussball * Squash Tennis (Einzel)

mässig

Bogenschiessen Tauchen + Motorradrennen *+

Fechten Leichtathletik (Sprungwettbewerb) Eiskunstlauf * Surfen *+ Synchronschwimmen +

Basketball Eishockey Ski-Langlauf (Skating) Mittelstreckenlauf Schwimmen Handball

hoch

Bobfahren *+ Leichtathletik (Wurfwettbewerb) Gymnastik + Karate/Judo * Rennrodeln *+ Segeln Klettern *+ Wasserski *+ Gewichtheben *+ Windsurfen *+

Bodybuilding *+ Ski-Abfahrt *+ Ringen *

Boxen * Kanu/Kajak Radfahren *+ Rudern Eisschnelllauf

dynamisch statistisch ⬇

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* Gefahr von körperlichen Kollisionen + Erhöhtes Risiko bei plötzlicher Bewusstlosigkeit (Synkope)

Ein guter schulischer Rahmen für eine erfolgreiche Entwicklung August Schwere, lic. phil. Vormals Primarlehrer und Schulpsychologe, aktuell Bereichsleiter Ambulatorien zentren körperbehinderte aargau (zeka) und Leiter heilpädagogischer Beratungs- und Begleitungsdienst

Herzkranke Kinder sind gleich und anders. Sie gehören dazu und müssen unter Umständen auch mal abseits stehen. Ihre chronische Krankheit führt zu einer besonderen Abhängigkeit, welche die Autonomie, die Kompetenzentwicklung, die soziale Eingebundenheit und auch die Lebensperspektive beeinträchtigen kann. Diese Beeinträchtigung gilt es ein Stück weit zu akzeptieren. Gleichzeitig soll sie aber nicht zur Barriere für eine individuell erfolgreiche Entwicklung werden. Die Schulzeit ist für die Persönlichkeitsentwicklung prägend. Einerseits werden dort die Kulturtechniken erworben, die den Zugang zur weiteren (Berufs-) Bildung öffnen. Anderseits ist es der Ort der sozialen Integration und der körperlichen Aktivität und Entfaltung. Kinder lernen generell sehr viel voneinander, ohne dass ihnen etwas bewusst vermittelt wird. Die nachfolgenden Ausführungen beleuchten Gelingensbedingungen für eine gute Entwicklung herzkranker Kinder im Schulalter. Vorschule Der Ernst des Lebens beginnt nicht erst mit der Schule: Das herzkranke Kind hat bereits vor dem Eintritt in den Kindergarten grosse Herausforderungen bewältigt und Kompetenzen erworben, mit denen es anderen Kindern weit voraus ist. Der Blick auf diese Kompetenzen und Ressourcen soll bei der Planung der Einschulung mindestens so viel Platz einnehmen wie der Blick auf die Beeinträchtigungen. Lehrpersonen und Schulleitungen neigen erfahrungsgemäss aus Angst vor Überforderung dazu, den Fokus aufs Risiko und auf die Schwächen zu legen. Einschulung Die Palette an Schulungsformen ist im schweizerischen Schulsystem äusserst breit. Mit verschiedenen Übertrittslösungen ist es für ein Kind möglich, von einer Schulungsform zur anderen zu wechseln, immer abhängig vom Verlauf seiner Entwicklung und seinen (sonder-)pädagogischen Bedürfnissen.

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Von den Eltern erfordert dies einen guten Informationsstand, eine grosse Portion Kooperationsbereitschaft und viel Vertrauen – Vertrauen in die Kompetenz und den Goodwill der Profis der Schule. Vertrauen aber auch zum Kind, welches auch vorübergehend schwierige Situationen meistern kann. Die Schulen sind angesichts der Heterogenität der Schülerschaft und der vielfältigen Ansprüche der Eltern stark herausgefordert. Wenn sie den Ansprüchen von speziellen Kindern zurückhaltend begegnen, ist dies häufig ein Zeichen des Selbstschutzes. In diesen Fällen kann es hilfreich sein, Fachstellen wie den schulpsychologischen Dienst oder die behinderungsspezifischen Beratungsstellen beizuziehen, die bei der Suche nach Lösungen dank ihrer Erfahrungen und ihrem Überblick Unterstützung leisten können. Schulische Rahmenbedingungen Ob ein herzkrankes Kind in einer Sonderschule oder in der Regelschule mit speziellen Massnahmen gefördert wird, ist abhängig von seinem aktuellen Entwicklungsstand und von seinen speziellen pädagogischen Bedürfnissen. Die bereits erwähnten vielfältigen Übertrittslösungen ermöglichen eine individuell gestaltete Schullaufbahn. Die schulische Integration beziehungsweise das «Sich-Integriert-Fühlen» hängt nicht von der Schulungsform ab. Ein Kind kann sich in einer Sonderschule persönlich und sozial integriert fühlen, wenn es seine Kompetenzen kennt und mit dem nötigen Selbstvertrauen auf andere zugehen kann. Umgekehrt kann es sich in der «integrierten Schulungsform» massiv desintegriert fühlen, wenn es aufgrund der vielen Sonderzüge, die es fahren muss, schulisch und sozial abgehängt ist. Allein der Umstand, dass das Kind an seinem Wohnort mit seinen Nachbarskindern in den Kindergarten oder in die Schule gehen kann, garantiert noch keine Integration. Das aktive Einbezogensein im Unterricht ist Voraussetzung für eine soziale und schulische Integration. Wie weit dies möglich ist, hängt sowohl von Faktoren beim Kind ab, wie auch von den Ressourcen der Schule. Weil letztere nicht a priori gegeben sind, liegt die Entscheidung für den Rahmen der Schulung des einzelnen Kindes bei der Schule. Die gesetzlichen Bestimmungen sind beispielsweise im Kanton Aargau in der Sonderschulverordnung wie folgt formuliert: 21

«Die Schulpflege am Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendlichen entschei-

det über die integrative Schulung beziehungsweise ihre Weiterführung. Im Vorfeld der Entscheidung für eine integrative Schulung müssen aber  die Inhaber der elterlichen Sorge einverstanden sein,  das Kind oder der Jugendliche aufgrund seiner Fähigkeiten voraussichtlich in der Lage sein, aus dem Unterricht in der vorgesehenen Klasse einen sinnvollen Nutzen für seine weitere Entwicklung zu ziehen sowie am gemeinschaftlichen Leben der Abteilung teilzuhaben,  die Rahmenbedingungen an der Schule geeignet sein,  mit den verstärkten Massnahmen eine angemessene Unterstützung gewährleistet sein,  die Schulleitung des Schulorts und der schulpsychologische Dienst die integrative Schulung insgesamt positiv beurteilen.» Dass die integrative Regelklassenschulung der Sonderschulung in einer spezialisierten Institution wenn immer möglich und sinnvoll vorzuziehen ist, hat wohl nicht nur einen finanziellen Grund. Vielmehr liegt dahinter der gesellschaftspolitische Auftrag der Schule, einen Rahmen zu schaffen, in dem möglichst alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Fähigkeiten, teilhaben können und eine Förderung erhalten, die sie zu selbständigen, arbeitsfähigen Persönlichkeiten heranreifen lässt. Übergeordnetes Ziel müsste sein, dass sich Regelschule und Sonderschule im Rahmen der Volksschule annähern und flexible Zusammenarbeitsformen zum Wohle der Kinder entwickeln. Ressourcen nutzen und schaffen In diesem Abschnitt wird auf die integrationsfördernden Massnahmen im Regelschulkontext eingegangen:  Niederschwellige schulische Unterstützungsmassnahmen: Jede einzelne Schule hat mit integrierter schulischer Heilpädagogik (den Regelklassen zugeteilt oder in Sonderklassen angesiedelt), mit logopädischen Angeboten, Psychomotoriktherapie, Deutschkursen, Nachhilfemassnahmen etc. niederschwellige Angebote, mit welchen sie Kinder mit speziellen pädagogischen Bedürfnissen ohne grosse administrative Bewilligungsverfahren unterstützen. 22

 Verstärkte Massnahmen werden für das einzelne Kind ad personam gesprochen, wenn sie aufgrund von ausgewiesenen Behinderungen oder von speziellen körperlichen Beeinträchtigungen (wie sie bei herzkranken Kindern vorliegen) als notwendig erachtet werden. Zu den verstärkten Massnahmen gehören Assistenzmassnahmen oder der behinderungsspezifische heilpädagogische Förderunterricht.  Behinderungsspezifische Beratungsdienste können für das Erarbeiten von speziellen Lösungen beigezogen werden. Für herzkranke Kinder ist das beispielsweise der heilpädagogische Beratungs- und Begleitdienst von zeka im Kanton Aargau, www.zeka-ag.ch. Webadressen vergleichbarer Dienste in anderen Kantonen sind im Anhang dieser Broschüre zu finden. Kreative individuelle Lösungen Herzkranke Kinder sind gleich und anders. Gleich sein dürfen und gleich sein müssen ist eine der Triebfedern der kindlichen Entwicklung. Der Vergleich, der Wettbewerb und die Konkurrenz gehören zum Schulalltag, erfahrungsgemäss auch zum Familienalltag und zum Spielplatz. Die Situation des herzkranken Kindes in Bezug auf das Gleich- oder Anderssein soll daher in der Klasse immer wieder thematisiert werden. Erklärungs- und aushandlungsbedürftig sind die speziellen Regelungen:  Nachteilsausgleich: Herzkranke Kinder können qualitativ und intellektuell oft gute Leistungen bringen, die Quantität ist aber aufgrund der körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Im Nachteilsausgleich wird vereinbart, wo die Aufgabenmenge reduziert wird und wo Hilfsmittel verwendet werden dürfen. Mehr dazu ist im Artikel von August Schwere in der Schweizerischen Zeitschrift für Heilpädagogik nachzulesen (siehe Literaturhinweise auf Seite 26).  Individuelle Lernziele: Wenn das Kind in einzelnen Fächern die Lernziele der Klasse gemäss Lehrplan nicht erreichen kann, sind individuelle Lernziele im Rahmen einer speziellen Förderplanung zu vereinbaren. Im Zeugnis ist zu erwähnen, dass das Kind in diesem Fach deshalb nicht benotet wird.

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 Dispensationen: Anpassungen im persönlichen Stundenplan können oft Rücksicht nehmen auf die persönliche Leistungsfähigkeit. Eventuell kann die Therapie in der Zeit des Turnunterrichts angesetzt werden.  Rückzugsmöglichkeiten: Im Schulzimmer und Schulhaus sollen Rückzugs- und Erholungsräume definiert werden, wo sich das Kind ausruhen oder allfällige medizinische Verrichtungen vornehmen kann.  Nachhilfeunterricht bei längerer Abwesenheit durch Spitalaufenthalte: Die Schule kann Ressourcen sprechen, damit entweder die Lehrkraft oder eine Assistentin mit dem Kind verpassten Schulstoff nachholen kann. Das wären verstärkte Massnahmen, die zusätzlich entlöhnt werden müssten.  Begleitung bei Schulanlässen: Schulreisebegleitungen sollen möglichst nicht durch Eltern erfolgen. Vielleicht lässt sich eine mit den Kindern vereinbarte, kreative Lösung mit Unterstützungsmassnahmen von Mitschülern finden. Häufig macht aber der Einbezug einer Assistenz am meisten Sinn. Sie leistet nach pädagogischen Grundsätzen dort Unterstützung, wo es auch wirklich nötig ist. Ansonsten steht sie als Helferin der Lehrperson auch für anderes zur Verfügung.  Schulwegunterstützung: Oft kann die Bewältigung des Schulwegs eine Barriere sein. In Zusammenarbeit mit der örtlichen Schulleitung soll hier eine spezielle Lösung getroffen werden. Würde ein Kind eine Sonderschule, die Einschulungsklasse oder die Oberstufenschule in der benachbarten Gemeinde besuchen, übernähme die öffentliche Hand die Kosten. Also sollte auch für die Schulweglösung des herzkranken Kindes mit der Schulgemeinde eine Finanzierung gefunden werden können.  Massnahmen beim Bau und beim Mobiliar: Oft sind es kleine Hilfsmittel, die ad hoc hergestellt, viel Erleichterung im Alltag schaffen. Die betroffenen Kinder entwickeln mit und wissen meist, was ihnen gut tut. Manchmal kommt ein Rollator oder ein Rollstuhl aus der Hilfsmittelzentrale zum Einsatz. Bei baulichen Massnahmen (Treppenlift, Lift) ist die Zusammenarbeit mit Fachleuten für behin-

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derungsgerechtes Bauen der Procap und der Invalidenversicherung IV empfehlenswert. Diese Fachleute kennen sich auch bezüglich der Finanzierungsmodalitäten aus. All diese speziellen Regelungen müssen mit den Beteiligten vereinbart werden. Sie dürfen nicht aus Bequemlichkeit oder aus falsch verstandener Schonhaltung missbraucht werden. Weil herzkranke Kinder viele Ressourcen, Kenntnisse und Fähigkeiten haben, sollen auch diese in der Klasse zum Zuge kommen. Das Kind selber entwickelt ein gesundes Selbstwertgefühl, wenn es an seinen Stärken gemessen wird. Und seine Mitschüler erleben es dadurch ebenbürtiger und nicht nur in der Rolle des Geschwächten. Konflikte können dadurch gewagt und altersadäquat ausgetragen werden. Risiken minimieren Schulen beziehungsweise Lehrpersonen befürchten, Notfallzeichen nicht zu registrieren oder im Ernstfall nicht adäquat zu reagieren. Sie haben Angst vor der Verantwortung und der Haftung. Es empfiehlt sich daher, über das Krankheitsbild gut zu informieren. Dazu sind klare und kurze schriftliche Informationen von medizinischer Seite hilfreich. Die Zuständigkeiten (Kind, Eltern, Lehrpersonen, Notfallarzt, Spitex) sind zu klären. Notfallszenarien sind durchzudenken und Massnahmen festzuhalten. Medikamente und Notfallnummern sollen griffbereit sein und Kommunikationswege vereinbart. Angesichts der vielen Personen im Schulalltag sollen die Informationen schriftlich festgehalten und für alle leicht zugänglich sein. Eltern, Kind und Lehrperson sind angehalten auch darüber zu sprechen, dass nicht alle Risiken aus der Welt geschafft werden und dass Fehler zwar minimiert, aber nicht ausgeschlossen werden können. Die latente Angst, die das Kind und seine Angehörigen beschäftigt, soll bewusst gemacht werden. Sie steuert nämlich unbewusst viele Entscheidungen.

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Kooperation – oder das Ungleichgewicht zwischen Bittstellern und Entscheidungsinstanzen Eltern herzkranker Kinder haben vieles miterlebt und früh zu kämpfen gelernt. Das hat im Spital angefangen und hört in der Schule nicht auf. Oft erleben sie Inkompetenz und zum Teil gar Arroganz. Sie wiederholen die Geschichte des Kindes zum x-ten Mal und stossen doch immer wieder auf taube Ohren. An schulischen Standortgesprächen erleben sie wertschätzende und zielfokussierte Gesprächsleitungen und andere, bei denen sie fast verzweifeln. Angesichts ihrer speziellen Abhängigkeit ist viel Frustrationstoleranz und Verhandlungsgeschick erforderlich. Eltern sind durch den Krankheitsverlauf Fachleute geworden, werden aber oft nicht als solche wahrgenommen. Sie haben im Einzelfall ihres Kindes ein grosses Erfahrungswissen erworben. Die Profis gehen trotzdem gerne auf Distanz. Sie stellen Bezüge zu anderen Verläufen her und sehen andere Lösungswege. Darin liegt ihre Kompetenz. Eltern und Kinder können durch die Fixierung auf ihre Problematik eng werden und durch militante Forderungen beim Gegenüber Abwehr statt Unterstützung auslösen. Der Beizug von Schulfachleuten ist deshalb eine Chance. Bei aller Zusammenarbeit ist auf Transparenz bezüglich der Fakten, der unterschiedlichen Interessen und der rechtlichen Befugnisse zu achten. Wichtig ist aber auch, die eigene Betroffenheit und jene des Gegenübers zu zeigen und ihr mit Einfühlungsvermögen zu begegnen. Dies und auch eine Portion Dankbarkeit sind die Zutaten für eine gute Kooperation, die individuelle Lösungen für eine optimale persönliche und schulische Entwicklung des herzkranken Kindes entstehen lässt.

Literaturhinweise Kanton Aargau (2006), Verordnung über die integrative Schulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die Sonderschulung sowie die besonderen Förder- und Stützmassnahmen (Sonderschulverordnung) https://gesetzessammlungen.ag.ch/frontend/versions/415 Schwere, A. (2010), Behinderungsbedingter Nachteilsausgleich, in Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jahrgang 16, 9/10, Seiten 20 bis 22

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Vier Jahre mit Stephan Esther Wunderli, Oberstufenlehrerin

Als mich der Schulleiter fragte, ob ich mir vorstellen könnte, einen herzkranken Schüler in meinen nächsten Klassenzug aufzunehmen, habe ich spontan zugesagt. Bevor das Schuljahr begann, gab es einiges zu organisieren. Zusammen mit dem Heilpädagogen, der Stephan zusätzlich unterstützen würde, besuchte ich ihn in der letzten Klasse der Primarschule. So begegneten wir uns also zum ersten Mal. Seinen besten Freund lernten wir bei dieser Gelegenheit ebenfalls kennen. Matthias wurde auch in meine Klasse eingeteilt. Es folgte ein Gespräch mit der aktuellen Klassenlehrerin, der Heilpädagogin und dem Schulleiter. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir von Stephans Werdegang, wie seine Möglichkeiten und Grenzen aussahen, welche Unterstützungsmassnahmen er bisher bekam und wie er als Mensch ist. Ich spürte, dass alle von ihm beeindruckt waren und von ihm schwärmten. Zusammen mit Stephan und seinen Eltern fuhren der Heilpädagoge und ich auch zum Kinderkardiologen Doktor Kretschmar nach Zürich. Er nahm sich Zeit und erklärte uns Laien Stephans Herzfehler. Wir sollten uns vorstellen, wir absolvierten auf 4000 Metern über Meer einen Hundertmeterlauf und müssten dazu rechnen. Das sei Stephans Normalzustand. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt und ich konnte es später immer wieder benutzen. Bei diesem Gespräch wurde ich auch meine grösste Angst los: Konnte ich Stephans Leben durch ein falsches Verhalten meinerseits gefährden? Doktor Kretschmar beruhigte mich. Ich könne Stephan gar nicht überfordern, sein Körper würde nicht mitmachen und die Notbremse ziehen. Eine Garantie aber, dass nie etwas passieren würde, gab mir allerdings niemand. Stephans Lebensprognose lag nach seiner Geburt bei einigen Wochen, als ich ihn kennenlernte, war er dreizehn Jahre alt! Die Eltern, Stephan, der Heilpädagoge und ich überlegten gemeinsam, was für Stephan vom Stundenplan her machbar war, wie wir ihm helfen konnten, wenn er fehlen sollte oder wo er die Pause verbringen würde. 27

Wir versuchten im Vorfeld alles Mögliche zu berücksichtigen:  Einbau Treppenlift (gemeinsam mit den Eltern und der IV-Beratungsstelle)  Transport mit Taxi (durch die Wohnortgemeinde organisiert und bezahlt)  Schulbücher im Doppel für zuhause  Information aller Fachlehrer, verbunden mit der Bitte, ihr Fach in meinem Klassenzimmer oder auf demselben Stockwerk zu unterrichten, damit es möglichst wenig Zimmer- beziehungsweise Stockwerkwechsel gäbe  Information des Lehrerkollegiums  Information der Klasse und der Parallelklassen am ersten Schultag  Information der Eltern der Klasse am Elternabend  Notfallblatt mit allen wichtigen Telefonnummern Nach den Sommerferien wurden alle neuen Schüler von den Zweitklässlern mit dem Velo oder dem Bus abgeholt, was an unserer Schule Tradition hat. Für mich war das eine erste Herausforderung. Wir lösten das Abholen am ersten Schultag so: Eine Zweitklässlerin fuhr im Taxi zusammen mit Stephan und Matthias nach Baden. Mit der Zeit lernte ich, rechtzeitig an mögliche Stolpersteine zu denken. Schnell mit der ganzen Klasse vom Klassenzimmer in die Aula wechseln, ging nicht. Stephan brauchte zu lange und es kostete ihn zu viel Energie. Also legte ich solche Verschiebungen auf den Beginn des Unterrichtes oder plante sie gleich nach der Pause ein und musste daran denken, Stephan zu informieren. In meiner Klasse haben alle gut akzeptiert, dass Stephan oft eine Ausnahmeregelung hatte. Er hat generell zwei Drittel einer Prüfung geschrieben, hat nur die Kernfächer besucht, oft nur einen Teil der Aufgaben gelöst, er durfte in der Pause drinnen bleiben und auch am Morgen früher ins Schulhaus kommen. Da der Treppenlift sehr langsam fuhr, kamen er und sein Begleiter (er hatte nicht die Kraft, den Lift alleine zu bedienen) hin und wieder zu spät zum Unterricht. Dass es ganz wenig Reibereien gab, hat natürlich auch viel mit Stephan zu tun. Er ist so ein liebenswürdiger Mensch, der auf andere zugeht, sich für sie interessiert und der ein sehr feines Gespür hat. Er merkt sehr schnell, wie es seinem Gegenüber geht. Die Oberstufe ist die Zeit der Pubertät. Die Schüler verändern sich in den vier Jahren, in denen ich sie begleite, äusserlich und in ihrem Wesen extrem stark. Der Unterschied zwischen den gesunden Jungs und Stephan

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wurde mit der Zeit deutlicher. Im Klassenlager der zweiten Klasse wurde es schwierig für ihn. Bei vielen sportlichen Aktivitäten war er nur noch Zuschauer. In der Freundschaft mit Matthias gab es eine Krise, weil dieser wegen seinem sportlichen Engagement fast keine Zeit mehr für ihn hatte. Stephan hat sicher gelitten, er hat aber seinen Freund verstanden und den Beziehungsfaden nie abreissen lassen. Er hat Matthias auch keine Schuldgefühle gemacht. Gegen Ende der Schulzeit ist ihre Freundschaft wieder ein sicherer Wert geworden. Während den ganzen vier Jahren habe ich, nebst dem Heilpädagogen, zwei Stunden pro Woche alleine mit Stephan gearbeitet. Das war für mich sehr wertvoll. Da er alle paar Wochen einige Tage fehlte, konnten wir in dieser Zeit den Stoff aufarbeiten. Er ist äusserst gewissenhaft und oft konnte ich Druck wegnehmen und ihn beruhigen. Stofflich ist er nämlich trotz aller Entlastungsmassnahmen problemlos mitgekommen. Oft haben wir nur geredet und ich konnte so mit der Zeit ein Gespür dafür entwickeln, was kräftemässig für ihn drin lag. Während Stephan in der Primarschule oft Fieber bekam, gelang es ihm in der Oberstufe immer besser, seine Grenzen zu erkennen und rechtzeitig eine Auszeit zu nehmen. In Bezug auf Schulreisen, Exkursionen, Sporttage und Schullager brauchte es natürlich einen Zusatzaufwand. Da hatte ich mit Susanne Rutishauser vom externen Begleitdienst des zeka (zentren körperbehinderte aargau) eine wertvolle Hilfe. Sie hat Stephan während der Primarschule auf seinem Schulweg begleitet und sorgte in dieser Zeit für die Verbindung zwischen Schule und Elternhaus. In der Oberstufe begleitete sie uns dann nur noch bei ausserschulischen Aktivitäten. Stephan hat nämlich in der Kommunikation mit den Lehrern selber immer mehr Verantwortung übernommen. Dank einer sorgfältigen Planung haben wir es fertig gebracht, dass Stephan bei allen Ausflügen mit dabei sein konnte. Seit einem Jahr ist Stephan nun in der Lehre als Kaufmann. Was hat dazu beigetragen, dass diese Integration so gut funktioniert hat? Dazu gehören: Freude aneinander haben, Beziehung aufbauen, miteinander reden, schnelle und unkomplizierte Kommunikationswege, Goodwill und Flexibilität aller Beteiligten, Pragmatismus, Grenzen akzeptieren, Kompromisse eingehen. Wenn ich meine Aufzählung lese, denke ich, dass es das eigentlich bei allen Schülern braucht oder anders gesagt, um einen Schüler wie Stephan zu integrieren, sind keine speziellen Fähigkeiten nötig, sondern Zuversicht und der Wille es zu versuchen. 29

Die «Zauberformel» der Integration Stephan Stulz (18), lebt mit angeborenem Herzfehler

Zugegeben, meine Schulzeit war nicht leicht. Gerade die vielen Schulstunden und Prüfungen brachten mich immer wieder an den Rand der Erschöpfung und nicht selten auch darüber hinaus. Es war durchaus Normalität, dass ich etwa alle drei Wochen für einige Tage in der Schule fehlte. Und doch kann ich vergleichsweise von grossem Glück sprechen, wenn ich über meine Schulzeit nachdenke. Bereits in der Primarschule trafen meine Eltern und ich auf eine Schule, die sehr fortschrittlich im Bereich der Integration war. Doch in den ersten fünf Schuljahren habe ich mir weniger Gedanken darüber gemacht, warum alles so gut lief. Deshalb werde ich in diesem Artikel vor allem auf die Oberstufenzeit eingehen. Entscheidend dafür, dass ich eine so tolle Sekundarzeit hatte, war vor allem ein Grund: Meine Klassenlehrerin, Frau Esther Wunderli, begriff innert kürzester Zeit die «Zauberformel» der Integration, ohne dass dafür gross ein Input seitens meiner Eltern oder mir notwendig gewesen wäre. Es war ihre offene Art gegenüber anderen Menschen und mir, die es ihr leicht machte, die Formel zu verstehen und im Schulalltag anzuwenden. Was macht die Zauberformel aus? Sie fragen sich nun sicher, von welcher Zauberformel ich hier spreche? Dass Sie diese nicht kennen können, ist verständlich, da ich sie selber entworfen habe. Es sind zwei elementare Dinge, die meine Formel ausmachen: Zum einen ist es die Einstellung der Lehrperson gegenüber dem herzkranken Kind und zum anderen die Einsicht des Lehrers, die Integration eines behinderten Schülers als Chance für sich selbst und auch für die Mitschüler zu sehen. Begreift die Lehrperson Punkt eins, die richtige Einstellung, wird sie nach nicht allzu langer Zeit auch zur Erkenntnis kommen, dass sich dies als eine Chance für sie herausstellt. Dies geschieht, in dem das herzkranke Kind versucht, ebenso rücksichtsvoll mit der Lehrperson umzugehen und ihr dieselbe Wertschätzung entgegenzubringen, wie dies die Lehrperson dem Schüler gegenüber tut. So kann es nämlich geschehen, dass zwischen dem Lehrer und dem behinderten Schüler eine Vertrauensbasis entsteht

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und der Schüler dem Lehrer noch mehr die Gelegenheit gibt, von dieser Situation ebenfalls zu profitieren. Im Schulalltag kann dies zum Beispiel konkret so aussehen, dass der Schüler der Lehrperson ohne Angst mitteilt, wie viel für ihn möglich ist. So glaubt ihm der Lehrer beispielsweise auch, wenn der Schüler sagt, dass ihm die Kraft fehlt, um ein Diktat fertig zu schreiben. Allerdings kann auch das Gegenteil geschehen, wie dies bei mir und Frau Wunderli passiert ist: Da wir die gängige Regel hatten, dass ich jeweils «nur» zwei Drittel der Prüfung schreiben musste, teilte ich ihr auch mal mit, dass ich bei einer Wortschatz-Prüfung, wo man nur rund zwanzig Wörter übersetzen musste, problemlos alle Wörter schreiben kann. Integration als Chance Im folgenden Abschnitt möchte ich noch genauer erklären, wieso ich Integration als Chance sehe. Für eine herzkranke Person gibt es viele Situationen im Leben, in denen man vor ein Problem gestellt wird und dieses oftmals nur mit Hilfe weiterer Personen lösen kann. Es sind dies meistens Probleme, die ein gesunder Mensch womöglich gar nicht sieht, da dieser selber nicht auf Hilfe angewiesen ist. Bereits ein simples Beispiel wie eine lange Treppe stellt manche herzkranke Person vor ein grösseres Problem. Für die meisten gesunden Personen dürfte hierbei keines zu erkennen sein. Man läuft halt ganz einfach die Treppe hoch. Doch was machen gesunde Leute mit einem herzkranken Kind, wenn dieses nicht die Kraft hat, die Stufen der Treppe zu überwinden? Hier ist es nötig, gemeinsam eine Lösung zu suchen und Rücksicht auf das Kind zu nehmen. Eine enorm wertvolle Erfahrung, von der man viel lernen kann: Gemeinsam eine gute Lösung zu finden, aber auch Respekt vor dem herzkranken Kind zu haben. Denn wenn man tagtäglich vor solche Probleme gestellt wird, verdient das durchaus den nötigen Respekt. Wenn man annimmt, dass sich der Tagesablauf einer gesunden und derjenige einer herzkranken Person gleich gestaltet, läuft es darauf hinaus, dass die herzkranke Person an diesem Tag mehr Herausforderungen als die gesunde Person gemeistert hat. Wenn man also die Integration eines herzkranken Kindes in den Schulalltag als Chance ansieht, hat man meiner Meinung nach die richtige Ein31

stellung gefunden. Leider weiss ich, dass viele andere herzkranke Kinder

erfahren mussten, dass dies von ihren Lehrpersonen nicht so verstanden wird. Allerdings möchte ich hier nicht unerwähnt lassen, dass das herzkranke Kind ebenfalls viel dafür tun kann. Wie will eine Lehrperson ihre Aufgabe als Chance sehen, wenn ihr nicht die Zeit gegeben wird, den Alltag eines herzkranken Kindes verstehen zu lernen? Ich selber bin mich ja seit ewig daran gewöhnt, viel Unterstützung von Eltern, Geschwistern, Freunden und Bekannten zu erhalten. So erwartet man selber auch meist sofortige perfekte Unterstützung von Seiten einer Lehrerin. Dies ist aber nicht zwingend vom ersten Tag an möglich. Wie will eine Lehrperson eine Lösung finden, bevor sie das Problem erkennt? Dazu kommt, dass man von anderen nicht verlangen kann, etwas als Chance zu sehen, wenn man das nicht selber auch tut! Zum Schluss scheint es mir wichtig, noch eine Tatsache festzuhalten, dass man sich als herzkrankes Kind oder Jugendlicher innerhalb der Klasse nicht durch den Herzfehler in den Mittelpunkt stellen sollte. Für die Mitschüler kann es manchmal schwierig sein, einzelne Beschlüsse zwischen dem Kind und dem Lehrer zu begreifen und einige meinen, solche Nachteilsausgleiche seien unfair. Gerade im jugendlichen Alter ist es zudem so, dass viele Schüler Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten. Wenn man seinen Herzfehler ausnützt, um dies zu tun, kommt das bei den Mitschülern nicht gut an. Daher habe ich mich bewusst immer zurückgehalten. Es ist zudem nicht notwendig, dass der Lehrer jeden Beschluss der Klasse bekannt gibt. Im Kontakt mit dem herzkranken Kind werden die Mitschüler ihre eigenen Erfahrungen machen und ebenfalls auf Situationen stossen, in der sie gemeinsam nach einer Lösung suchen müssen. Müsste ich ein Fazit ziehen, würde ich wohl sagen, dass die gegenseitige Wertschätzung aller involvierten Personen auf dem Weg zu einer gelungenen Integration am wichtigsten ist. Es gibt keine Integration, die bereits am ersten Tag zu hundert Prozent glückt, weshalb man einander Zeit lassen sollte. Selbst wenn sich Lehrer und Schüler schon früh gut verstanden haben, kann man auch nach einigen Jahren noch voneinander lernen und profitieren. 32

Interview mit einem Schulleiter Monika Stulz interviewt Stefan Künzi, Schulleiter Oberstufe

Wenn mein Kind durch seinen Herzfehler Einschränkungen hat und nun eingeschult werden soll, an wen wende ich mich und wie gehe ich vor? Sie wenden sich im Herbst vor der Einschulung beziehungsweise vor dem ersten Kindergartenjahr an die Schulbehörde Ihres Wohnortes. Sie stellen einen aktuellen Fachbericht (medizinischer Bericht des Kinderkardiologen oder Hausarztes) zur Verfügung und fragen nach, wie das weitere Vorgehen sein wird.

Was tun Sie als Schulleiter als erstes, wenn Sie von einem Kind mit besonderen Bedürfnissen erfahren? Ich versuche genauere Infos zu erhalten, lese wenn möglich die Fachberichte und lade die Eltern und Fachpersonen, die das Kind kennen, zu einem Gespräch ein.

Wohin wendet sich eine Schulleitungsperson, wenn sie noch nie ein Kind mit Behinderung oder chronischer Krankheit an ihrer Schule hatte? Sie fragt beim kantonalen Bildungsdepartement nach, unter welchen Bedingungen die Schule welche Unterstützung erhält. Sie wendet sich an den schulpsychologischen Dienst oder an eine andere Fachstelle.

Mein Kind hat einen schweren Herzfehler und nicht die Kraft, den Schulweg selbständig zu bewältigen. Wohin sollen sich Eltern wenden? Dafür ist die Wohnortsgemeinde zuständig. Fragen Sie bei der Gemeinde/Stadtverwaltung nach oder wenden Sie sich an einen entsprechenden Begleitdienst Ihres Kantones. Bestimmt ist die Schulbehörde im Besitz der Adresse eines kantonalen Begleitdienstes.

Als Eltern haben wir möglicherweise Angst, dass unser Kind wegen seiner Beeinträchtigung in der Schule gehänselt wird. Wie kann dies verhindert werden? Wichtig finde ich, dass Klassenkameradinnen und Klassenkameraden sowie deren Eltern früh über die Beeinträchtigungen informiert werden. Auch über «Nachteilsausgleiche» (siehe nächste Frage) soll transparent gesprochen werden. Hänseleien kann es aber immer geben, auch bei Kindern ohne Beeinträchtigung. In diesem Fall ist entscheidend, dass die Erwachsenen sich gegenseitig über ihre Kenntnisse informieren und eine gemeinsame Strategie festlegen. Solche Auseinandersetzungen sind nicht einfach auszuhalten, vor allem wenn sie massiv sind. 33

Vielleicht hilft den Eltern die Aussicht, dass Kinder aus solchen Konflikten auch gestärkt hervorgehen können.

Was ist ein Nachteilsausgleich und wie wird er beschlossen? Ein Nachteilsausgleich ist eine «Korrektur einer unausgeglichenen Situation, um einer Diskriminierung aufgrund einer Behinderung vorzubeugen» (Aus: FAQ Nachteilsausgleich der Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik, darin wird auch die rechtliche Grundlage beschrieben). Beispielsweise kann für eine Prüfung mehr Zeit zur Verfügung gestellt werden oder eine Prüfung erfolgt mündlich statt schriftlich. An meiner Schule haben wir auch schon überlegt, welche Teile eines Faches weggelassen werden könnten (zum Beispiel im Turnunterricht) und welche Auswirkungen dies für die Benotung hat. Da gibt es keine allgemeingültige Regelung; Eltern, Schule und Fachperson müssen dies von Fall zu Fall besprechen.

Was glauben Sie macht aus, ob eine Integration gelingt oder nicht? Grundsätzlich ist eine positive Grundhaltung aller Beteiligten wichtig. Das Sprichwort «Wo ein Wille ist, ist ein Weg» hat mir schon oft weitergeholfen. Zweifel oder heikle Punkte müssen transparent angesprochen werden können, ohne dass daraus eine Grundsatzfrage wird. Ich erlebe als Schulleiter einer Oberstufe immer wieder, dass SchülerInnen mit Beeinträchtigungen gut integriert werden können, auch wenn nicht alles gleich möglich ist. Manchmal sind Kompromisse nötig. Die Schule muss von Anfang an klar kommunizieren, welche Massnahmen im Zusammenhang mit dieser Integration getroffen werden (Stundenbelastung, Lernzielbefreiung, Nachteilsausgleich) und dass diese Massnahmen nur im Zusammenhang mit dieser Integration gültig sind.

Was können Eltern aktiv dazu beitragen, damit die Integration eher gelingt? Eltern können versuchen, sich in die Situation einer Lehrperson zu versetzen, indem sie sich beispielsweise folgende Fragen stellen: «Wie funktioniert die Integration mit weiteren zwanzig bis fünfundzwanzig Kindern, die auch ihre Bedürfnisse haben? Wie gehen Lehrpersonen damit um, dass andere Kinder das Gefühl haben, ein Kind werde bevorzugt? Wie reagiert eine Lehrperson, wenn andere Eltern ihr den Vorwurf machen, ein Kind werde bevorzugt?» Damit umzugehen ist für eine Lehrperson nicht einfach. Wenn Eltern dafür Verständnis aufbringen, hilft das enorm. Kompromisse werden so weniger zu einer Grundsatzfrage.

Was können Lehrpersonen und Fachleute aktiv dazu beitragen, damit die Integration eher gelingt? Lehrpersonen können im Gegenzug ebenfalls versuchen, sich in die Lage der Eltern zu versetzen: «Wie ist das, wenn ein Kind immer spezielle Bedingungen braucht, wenn Eltern dauernd um Problemlösungen ringen, sie viele Kompromisse eingehen müssen? Und wie fühlt man sich, wenn andere Eltern allenfalls zum

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Ausdruck bringen, dass dieses Kind nicht in diese Klasse gehöre?» Mit solchen Situationen umzugehen, ist für Eltern auch nicht immer einfach, vor allem wenn es dann noch zusätzlich gilt, die eigenen Emotionen stets im Zaum zu halten. Wenn Lehrpersonen dafür Verständnis aufbringen, fühlen sich Eltern ernst genommen und notwendige Kompromisse finden sich einfacher.

Welches sind die positiven Aspekte einer Integration? Je mehr sogenannt «normale» Kinder und Erwachsene darüber erfahren, wie unterschiedlich Menschen sein können, umso besser ist das für unsere Zukunft. Sie erleben, dass Verschiedensein etwas Bereicherndes und Spannendes ist. Sie lernen zudem, dass das Zusammenleben eher einfacher wird, je grösser die Unterschiede sind. Wenn aus Kindern möglichst homogene Gruppen gebildet werden, steigert dies ein Konkurrenzdenken, das die Gemeinschaft nicht weiterbringt. Eine Leistung ist dann nur im Vergleich zu den anderen gut oder schlecht. Es ist viel besser, wenn Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend gute bis sehr gute Leistungen erbringen können. Das Vergleichen kommt noch früh genug. Ich glaube, dass die grösseren Probleme der Menschheit nur gemeinschaftlich zu lösen sind, wenn alle ihre Stärken und Möglichkeiten einbringen.

Was aber sind Probleme, die entstehen können? Probleme gibt es immer, wenn Menschen viel miteinander zu tun haben. Die einen grenzen andere aus oder manche haben Mühe, Freundinnen oder Freunde zu finden. Auch können die speziellen Lösungen zu aufwändig sein oder irgendwo fehlt die notwendige Unterstützung. Wenn es in der Integration Probleme gibt, sind nicht automatisch immer die integrierten Kinder die Opfer. Auch das gilt es hin und wieder zu akzeptieren. Es kann aber nicht das Ziel sein, stets Probleme zu verhindern, sondern zu lernen, gut damit umzugehen und Lösungen zu finden. Gerade im Bereich der Sozialkompetenz werden in integrativen Klassen viele wichtige Erfahrungen gemacht.

Kurz zusammengefasst: Welches sind die wichtigsten Punkte, damit Integration klappt? Das sind eine positive Grundhaltung, Kompromissfähigkeit, Flexibilität und Transparenz aller Beteiligten.

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Der runde Tisch – Erfahrungen und Gedanken aus Sicht der Schulleitung Stefan Wirz, Leiter der Oberstufe Schöftland

«Der runde Tisch steht sinnbildlich für eine gemeinsame, demokratische und partnerschaftliche Grundhaltung bei der Suche nach Lösungen für Probleme, die sich im Bereich der Schule bei Schülerinnen und Schülern stellen.» (Steppacher Josef; Gschwend Raphael: «Webbasierter Förderplaner WFP 1.0»; in einer Powerpointpräsentation für den 5. Schweizer Heilpädagogik-Kongress in Bern). Unterschiedliche Jugendliche – unterschiedliche Bedürfnisse Zu Beginn des Schuljahres zeichnete eine Lehrperson, als sie die Klasse über die Situation eines Kindes mit einer Einschränkung informiert hat, ein schönes Bild: «Stellt euch vor, ihr müsst in der Schule einen 1000-Meter-Lauf machen, dann ist es doch unfair, wenn ein Einbeiniger für die gleiche Note die gleiche Leistung wie ein gesunder Schüler mit zwei Beinen erbringen muss.» Die Klasse hat diese Aussage mit einer Selbstverständlichkeit aufgenommen, wie ich es selten erlebt habe. Unterschiedliche Voraussetzungen erfordern unterschiedliche Rahmenbedingungen. Damit die Schule auf die Bedürfnisse von Kindern mit Einschränkungen eingehen kann, ist es nötig, dass man – dem einleitenden Zitat entsprechend – gemeinsam nach Lösungen sucht und die Rahmenbedingungen und unterstützenden Massnahmen festlegt Was bedeutet gemeinsam? – Haltung und Ressourcen Es kann einschüchternd wirken, wenn viele Fachleute an einem runden Tisch teilnehmen: Eltern, Ärzte, Lehrpersonen, Heilpädagogen, Inspektoren, Schulleiter, Schulpsychologen und andere mehr. Meiner Erfahrung nach ist es jeweils situationsabhängig, wer daran teilnehmen sollte. Wichtig ist auf der Oberstufe sicherlich, dass das betreffende Kind, dessen Eltern sowie die Klassenlehrperson und eine Vertretung aus der Schulleitung anwesend sind. Das Kind und die Eltern kennen die Bedürfnisse am besten und können aufzeigen, wo sich im Schulalltag Einschränkungen ergeben. Die Klassenlehrperson sowie das Schulleitungsmitglied können darlegen, welche Möglichkeiten sich an der betreffenden Schule, beziehungsweise im Unter-

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richt, bieten und wo während des Unterrichts die Besonderheiten des Kindes zum Tragen kommen. In vielen Schulleitbildern ist zu lesen, dass das Kind im Mittelpunkt steht und dass versucht wird, es in einem guten Lernumfeld optimal zu fördern. Diese Grundhaltung kann an runden Tischen gelebt werden, und sie ist die Ausgangslage für die Ziele solcher Gespräche: Für Kinder mit Einschränkungen sollen optimale Rahmenbedingungen erarbeitet werden. Es gibt Momente, in denen sich die «gemeinsame Suche nach Lösungen für Probleme, die sich im Bereich der Schule bei Schülern stellen», erschwert und die Ideen für kreative und massgeschneiderte Lösungen fehlen. In diesen Momenten hat sich gezeigt, dass der Einbezug von Fachleuten sehr gewinnbringend ist, da diese Personen oftmals schon ähnliche Situationen bearbeitet haben und somit auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Manchmal kommt es vor, dass Ressourcen für zusätzliche Angebote beziehungsweise zusätzliche Unterstützungs- und Begleitmassnahmen an der Schule fehlen. Diese Ressourcen werden dann in der Regel vom Kanton zur Verfügung gestellt. Falls solche Angebote in Anspruch genommen werden, ist es nötig, dass Vertreter der entsprechenden Instanz ebenfalls am runden Tisch teilnehmen. Dauer – Rahmen – Inhalte – Überprüfung Ich unterscheide hier zwischen zwei unterschiedlichen runden Tischen: Der erste runde Tisch und die Überprüfungsgespräche. Am ersten runden Tisch geht es darum, das Kind und die Situation kennenzulernen: Um welche Einschränkungen handelt es sich? Wie zeigen sich diese im Alltag und welche Erfahrungen wurden bis anhin gemacht (beispielsweise im schulischen Umfeld)? Ausgehend davon kann man gemeinsam – unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Schule – über Lösungen diskutieren und diese verbindlich festhalten. Der Zeitpunkt für solche Gespräche kann nterschiedlich sein: Oftmals ist es wertvoll, wenn das Kind im neuen schulischen Umfeld bereits einige Erfahrungen gesammelt hat. So können einerseits von den Eltern bezie37

hungsweise vom Kind und von Seiten der Klassenlehrperson treffendere

Aussagen zu den besonderen Bedürfnissen des Kindes gemacht werden. Es gibt aber auch Fälle, in denen es wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen bereits vor dem Schulantritt geklärt und nötigenfalls zusätzliche Begleitmassnahmen gesprochen werden. Mir hat sich gezeigt, dass dazu oftmals auch die Information an die Klassenlehrperson genügt, damit diese auf die neue Situation sensibilisiert ist und ausgehend davon Erfahrungen für einen ersten runden Tisch sammeln kann. Damit die Ziele des runden Tisches nicht aus den Augen verloren werden, ist es wichtig, dass dieser geleitet wird. Bei uns an der Schule moderieren Schulleitungsmitglieder solche Gespräche. Dies erscheint mir aus folgenden Gründen wichtig: Sie sind nicht direkt in das Unterrichtsgeschehen involviert und haben so die nötige Distanz. Zudem kennen sie die Möglichkeiten der Schule vor Ort sowie die nötigen Stellen, welche für zusätzliche Ressourcen zuständig sind. Diese Gespräche dauern etwas mehr als eine Stunde. Es hat sich gezeigt, dass es wertvoll ist, wenn vorgängig Fachberichte eingereicht werden, damit die Besonderheit des Kindes etwas genauer eruiert werden kann. Nach den am ersten runden Tisch getroffenen Abmachungen müssen von Zeit zu Zeit Überprüfungsgespräche stattfinden: Entsprechen die vereinbarten Massnahmen effektiv den Bedürfnissen des Kindes? Wie hat sich der Zustand des Kindes verändert? Was sind die Erfahrungen im Unterricht und Zuhause? Anfänglich sollte die Überprüfung nach spätestens vier bis fünf Monaten stattfinden. Bei unproblematischen Situationen reicht eine jährliche Überprüfung. Jeder Mensch ist anders und bringt Unterschiedliches mit. Diese Tatsache macht die Arbeit mit Menschen spannend und manchmal herausfordernd. Ich wünsche mir von den Menschen, dass sie mich so nehmen wie ich bin. Und genau so will ich auch mit den Menschen umgehen.

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Erfahrungen aus der Schulzeit mit meinem herzkranken Sohn Elisabeth Gähwiler, Mutter

Seit dem Schuleintritt unseres Sohnes Gabriel sind bereits bald elf Jahre vergangen. Ich erinnere mich gut an einige Begebenheiten, die prägenden Einfluss auf seine Entwicklung hatten. Neben vielen schönen Erfahrungen gab es auch Erlebnisse, die schmerzten. Solche gehören nun einmal auch zum Leben, und ich stellte fest, dass sie Gabriel nicht schadeten, sondern dass er dadurch in der Entwicklung seiner Persönlichkeit gestärkt wurde. Nach der überaus guten Kindergartenzeit begann ein neuer Lebensabschnitt. Das Abschlussgespräch mit der Kindergärtnerin bestätigte uns nochmals, dass Gabriel schulreif war und wir mit einem guten Gefühl der Einschulung entgegenblicken durften. Trotzdem machte ich mir Gedanken und fragte mich auch ab und zu, ob Gabriel den neuen Anforderungen wohl wirklich gewachsen war. Die komplizierten, ereignisreichen ersten Lebensjahre mit Spitalaufenthalten, Operationen, kardiologischen Untersuchungen, anderen Krankheiten und Arztterminen, Abklärungen und vielen Therapien waren nicht spurlos an uns vorübergegangen. Gabriel war in einigen Bereichen langsam und noch nicht sehr selbständig, seine zerebral bedingten grob- und feinmotorischen Schwierigkeiten waren offensichtlich, und durch seinen komplexen Herzfehler war er in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Gleichzeitig war er aber ein aufgewecktes, intelligentes und wissbegieriges Kind, das sich sehr auf die Schule freute. Schon im Laufe der ersten Schulwoche klärte ich die Lehrerin in einem ausführlichen Gespräch über Gabriels besondere Situation auf. Gemeinsam mit seinem Physiotherapeuten hatte ich schon vorher besprochen, was ich alles erwähnen wollte. Dies erwies sich als ideal, gab mir doch diese Zusammenarbeit mit einer Fachperson, die Gabriel schon einige Jahre kannte, die Gewissheit, alle wichtigen Punkte anzusprechen, damit der Schuleintritt möglichst problemlos gelingen konnte. Und so war es dann auch. Die Lehrerin war sehr froh über meine Offenheit und ging mit Gabriels Besonderheiten ganz natürlich und unkompliziert um. Für alle Fälle hatte sie ein paar Telefonnummern zur Verfügung, was sowohl ihr selber wie auch mir Sicherheit gab. In einer speziellen Klas39

senstunde informierte sie die ganze Klasse über Gabriels Herzfehler, was

diese sehr gut aufnahm. Alle behandelten Gabriel ganz normal. Seine Lehrerin verstand es sehr gut, ihn in die Klasse zu integrieren, so dass er sehr gerne zur Schule ging und dort auch Freunde fand. Damit unser Sohn möglichst selbständig sein konnte, trug er immer Kleider, die er selber mühelos aus- und anziehen konnte. Schuhe mit Klettverschlüssen waren ebenfalls praktisch. Auf diese Art kam Gabriel recht gut zurecht und fiel nicht gross auf. Die Schulstunden meisterte er fast immer ohne grössere Schwierigkeiten, er war ein guter, vielseitig interessierter Schüler. Im Schreiben war er langsam, konnte dies aber durch schnelles Denken etwas ausgleichen. Die Bewältigung eines Schultages kostete ihn aber viel Kraft, so dass er sich nach der Schule zuerst ausruhen musste, bevor er die Hausaufgaben erledigen konnte. Überhaupt war für Gabriel genügend Schlaf immer sehr wichtig. Er war oft in seinem Zimmer, brauchte Zeit für die Erholung und beschäftigte sich allein, während die anderen Kinder draussen herumtobten und spielten. Ich muss zugeben, dass mir dies manchmal weh tat und ich auch gegen aufkommenden Neid ankämpfen musste. Gabriel selber war deswegen selten traurig und konnte erstaunlich gut mit den Gegebenheiten umgehen. Von seinem Charakter her war er ein stilles, zurückgezogenes Kind, das aber auch einen Kämpfergeist in sich hatte und ein richtiges Stehaufmännchen war. Zu der Zeit lernte er auch im Schachklub Schach spielen und zeigte schon bald eine grosse Begeisterung und Leidenschaft für dieses Spiel. Er hatte grosses Talent und fand in seinem geliebten Hobby Erfüllung. Dank dieser Anerkennung und Bestätigung gelang es Gabriel immer besser, seine Unsicherheiten zu überwinden und mehr Selbstvertrauen zu gewinnen. Sehr schön war auch zu sehen, dass ihn die Schule in diesen und anderen Stärken unterstützte und er in solchen Bereichen weiter gefördert wurde. Die Schwächen, die sich zwar verbessern, nicht aber beheben liessen, gehörten zu ihm und wurden akzeptiert. Durch das Fokussieren auf die Stärken wuchs Gabriels Selbstwertgefühl und er kam viel besser mit seinen Schwachstellen und Einschränkungen zurecht. Auch die Turnstunden, die ausserschulischen Aktivitäten und Schulreisen brauchten uns keine grossen Sorgen zu machen. Seine Lehrerin war sehr flexibel, geschickt und einfallsreich. Den Turnunterricht gestaltete sie meist spielerisch. Waren die Anstrengungen für Gabriel zu gross, hielt sie wie selbstverständlich für ihn eine spezielle Aufgabe bereit, die ihn aber nie in eine unangenehme Sonderrolle drängte. Sie verzichtete auf grosse Wanderungen und dachte sich Unternehmungen aus, an denen Gabriel pro-

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blemlos teilnehmen konnte. Als ausgesprochene Tierfreundin ging sie mit ihren Schülerinnen und Schülern gerne in den Zoo. Gabriel konnte eigentlich gut mithalten. Zwischendurch setzte er sich hin, beobachtete auf diese Weise die Tiere und ruhte sich dabei gleichzeitig etwas aus. Dadurch, dass die Lehrerin von sich aus auf die Bedürfnisse von Gabriel einging und so plante, dass er dabei sein konnte, nahm er nur selten eine Sonderrolle ein. Als Gabriel in der dritten Klasse war, hielten die Ärzte aufgrund der Fehlstellung seiner Füsse eine Beinoperation für nötig, die dann jedoch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Wir versuchten weiterhin mit Physiotherapie und Schuheinlagen sein besonderes Gangbild zu verbessern, doch eine Skoliose und ein leicht verkürztes Bein erschwerten zusätzlich ein unauffälliges Gehen. Gabriel entwickelte sich körperlich nur langsam, die Unterschiede zu Gleichaltrigen wurden grösser. Das wilde Treiben auf dem Pausenplatz überforderte ihn oft und er suchte Schutz bei seiner drei Jahre älteren Schwester Mirjam. Eine Zeit lang wurde er auf dem Schulweg gehänselt und nachgeahmt. Mirjam setzte sich sehr für ihren Bruder ein und übernahm die Beschützerrolle. Für mich zeugte dies von Vertrauen und Reife, dass die beiden gemeinsam das Problem angingen und selbständig lösen konnten. Dem Übertritt in die vierte Klasse mit neuen Lehrerinnen und neuen Klassenkameradinnen und Klassenkameraden blickten wir mit gemischten Gefühlen entgegen. Gabriel wurde vor neue Herausforderungen gestellt. Das Lerntempo nahm zu, das Fach Geometrie verlangte ein gutes Vorstellungsvermögen und ein exaktes Arbeiten, die Näh- und Handarbeiten wurden komplexer, der Sport bekam mehr Gewicht, die Umgangsformen wurden rauer. Generell wurden überall mehr Selbständigkeit und Eigeninitiative erwartet. Zusammen mit Gabriel informierten wir alle Lehrpersonen und seine Klasse über seinen Herzfehler und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Auch dieses Mal wurde die Offenheit in den sehr persönlichen Gesprächen sehr geschätzt. Die Kinder verhielten sich ihm gegenüber ganz natürlich und unkompliziert, der Herzfehler war nicht oft ein Thema. Zum ersten Mal wurde mir nun aber richtig bewusst, dass seine Lehrerinnen mit einer ganz neuen Situation und unbekannten Fakten und Tatsachen konfrontiert wurden, was bei ihnen auch gewisse Ängste und Unsicherheiten hervorrief. Ich verfasste deshalb ein kleines Merkblatt mit den wichtigsten Informationen über seinen Herzfehler und Telefonnummern für den Notfall. Die Unterlagen fanden sehr Anklang und bewährten sich. Auf dieser Schulstufe setzten seine Lehrerinnen jetzt ganz auf die 41

Eigenverantwortung. Der Sportunterricht war für Gabriel anstrengend

und er war oft überfordert. Natürlich durfte er jederzeit seine Bedürfnisse mitteilen und seinen Kräften und seinem Befinden entsprechend pausieren. Dies setzte jedoch voraus, dass er seinen Körper genau wahrnahm und rechtzeitig spürte, wann es genug war. Es fiel ihm nicht immer leicht, sich richtig einzuschätzen und seine Grenzen zu akzeptieren, er überschritt diese auch immer wieder und musste zuerst lernen, den richtigen Umgang zu finden. Auf Überlastung und Erschöpfung reagierte er mit Kopf- und Bauchschmerzen und Erbrechen. Ich erinnere mich, dass in dieser Zeit einige Programme ohne Rücksicht auf Gabriel durchgeführt wurden. Es fanden Wanderungen, Velotouren und Schwimmbadbesuche statt. Die Abschlussreise am Ende der Primarschulzeit war eine strenge Bergtour. Gabriel konnte bei solchen Anlässen nicht oder nur teilweise dabei sein. Er nahm das mit grosser Selbstverständlichkeit und Gelassenheit hin, wofür ich ihn bewunderte. Ich selber hatte viel mehr Mühe damit, dass er manchmal eine Aussenseiterrolle hatte und hätte mir gewünscht, dass mehr Ausflüge geplant worden wären, an denen Gabriel uneingeschränkt hätte teilnehmen können. Wir machten die Erfahrung, dass es für ihn einfacher war, auf eine Unternehmung ganz zu verzichten. Auf diese Weise wurde ihm ein direkter, schmerzvoller Vergleich mit seinen Klassenkameraden erspart und er konnte den freien Tag nach seinen eigenen Vorlieben nutzen. Allerdings gestaltete sich nun die Pflege von Freundschaften zunehmend schwieriger und unser Sohn war viel allein. Gabriel richtete sein Leben immer mehr nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Besonderheiten ein, spürte besser, was er sich zutrauen konnte und entwickelte mehr Eigenständigkeit. Die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium hatte er zwar bestanden, aber neben den hohen schulischen Anforderungen brauchte es auch Reife, Selbständigkeit und eine gewisse körperliche Robustheit für eine erfolgreiche Mittelschulzeit. Gabriel fühlte sich all dem nicht gewachsen und bevorzugte schliesslich doch die Sekundarschule. Gemeinsam entschieden wir uns für eine Oberstufe ausserhalb unseres Wohnortes, deren Leitbild uns sehr ansprach. Die Schule mit einer bewussten Atmosphäre der Wertschätzung und in der gegenseitige Achtung und Verantwortung geübt wurden, passte sehr gut zu Gabriels Persönlichkeit. Der Mittagstisch und die Mittagszeit, die wirklich als Erholungspause genutzt wurden, trugen ebenfalls dazu bei, dass sich Gabriel sehr wohl und angenommen fühlte. War einmal eine Sonderrolle nötig, erfuhr er viel Solidarität. Sein Herzfehler rückte immer mehr in den Hintergrund, andere Fragen beschäftigten nun mehr, und zuversichtlich und zielgerichtet ging unser Sohn seinen Weg.

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Gabriel besucht nun nach abgeschlossener Sekundarschule die zweite Klasse des Gymnasiums. Sein Wunsch, eine weiterführende Schule zu besuchen, zeigt meiner Meinung nach, dass Gabriel die obligatorische Schulzeit mehrheitlich positiv erlebt hat. Im vergangenen Sommer waren zwei grosse Herzoperationen notwendig. Gabriel versuchte wie immer, mit einer positiven, lebensfrohen Einstellung das Beste aus seiner Situation zu machen. Seine Schule unterstützte ihn gut, so dass er nach den schwierigen Wochen den Wiedereinstieg schaffte. Die Schuljahre sind für die Persönlichkeitsentwicklung und den Weg eines Kindes von grosser Bedeutung. Nach meinen Erfahrungen gibt ein vertrauensvolles Verhältnis zu Eltern, Geschwistern, Ärzten, Therapeuten und Lehrpersonen dem herzkranken Kind Sicherheit im Umgang mit seiner Krankheit. Spürt es Interesse, Begleitung und Rückhalt und bekommt es das Gefühl vermittelt, dass es sich jederzeit an die Lehrerin oder den Lehrer wenden kann, dann sind das die besten Voraussetzungen für eine glückliche Schulzeit.

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So erlebte ich die Schulzeit meines herzkranken Bruders Mirjam Gähwiler, Schwester

Die lange Schulzeit ist im Leben eines Kindes sehr wichtig und sie nimmt auch im Familienalltag viel Platz ein. Mein Bruder Gabriel, der aufgrund seiner Herzprobleme immer wieder eine Sonderrolle hatte, kam während den Schuljahren in unangenehme, verhasste Situationen, in denen er ausgegrenzt wurde. Doch habe ich das Gefühl, dass er seine Schulzeit im Grossen und Ganzen positiv erlebt hat. Endlich ein Schulkind! Ich freute mich sehr, als es soweit war, und war stolz auf meinen Bruder, dass er nun auch zu den Schulkindern gehörte. Ich stellte mir vor, dass nun all die vielen Termine für Gabriel zu Ende wären und wir endlich ein ganz normales, unkompliziertes Familienleben zu viert hätten. Zwar wusste ich, dass die Herzkontrollen weiterhin notwendig waren und er auch Physiotherapie und Logopädie brauchte, doch den Schritt in die normale erste Klasse und dazu noch zu meiner Unterstufenlehrerin deutete ich als gutes Zeichen. Ich spürte aber eine gewisse Anspannung zu Hause und merkte, dass sich meine Eltern viele Gedanken machten. Auch ich war ein wenig besorgt um meinen Bruder, der mir so scheu, still und ohne Selbstbewusstsein vorkam. Ich war ja schon eine ganz routinierte Schülerin und wusste, was auf dem Pausenplatz und auf dem Schulweg so abgehen konnte. Zudem war ich ein energisches, aufgeschlossenes Kind und fand immer schnell Freunde. Gabriel brauchte aber immer noch sehr viel Zuwendung und war nicht sehr selbständig. Findet er Freunde? Wird er akzeptiert mit seinem Herzfehler? Wie gehen die Lehrerinnen mit dieser Situation um? Solche Fragen beschäftigten mich, doch ich ging ja auf dieselbe Schule und würde ihn unterstützen können. So blickte ich zuversichtlich auf den neuen Lebensabschnitt meines kleinen Bruders. Der Einstieg ins Schulleben klappte ganz gut. Seine Lehrerin hatte sehr viel Feingefühl und integrierte ihn in die Klasse, so dass er schnell neue Freunde fand und sich wohl fühlte. Er war ein guter, fleissiger Schüler und hatte sehr viel Spass am Lernen. Seine Mitschüler wussten über seine Krankheit Bescheid. Sie reagierten darauf sehr positiv und behandelten

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Gabriel wie alle anderen Kinder. Er wurde überhaupt nicht ausgeschlossen und auch nicht gehänselt wegen seines speziellen Gehens. Seine Lehrerin verstand es sehr gut, das Fach Sport so zu unterrichten, dass mein Bruder immer mitmachen konnte, und auch bei allen Ausflügen konnte er dabei sein. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er eine Sonderrolle einnahm. Nach der Schule war er meistens müde und erschöpft und zog sich in sein Zimmer zurück, während die Nachbarskinder draussen im Garten spielten. Er war nicht einmal traurig oder unglücklich, doch mir kam das schrecklich vor und er tat mir Leid. Meine eigene Schulzeit verlief wie gewohnt und unbeeinflusst von dieser speziellen Situation. Ich merkte aber, dass Gabriel sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekam und ich oft auch Rücksicht nehmen musste. Andere erzählten von ihren tollen Strand- oder Skiferien, während wir nur immer in der Schweiz Ferien machten. Dies nervte mich, ich hatte negative Gefühle in mir und ich war manchmal richtig wütend auf meinen Bruder. Ein anderer Wind weht Im Laufe der Zeit ging es unter den Jungs immer lauter und rauer zu und her. Das mochte Gabriel überhaupt nicht und er sonderte sich immer mehr ab. Als Gabriel in der dritten und ich in der sechsten Klasse war, kam er oft während den Pausen zu mir. Das war mir peinlich und unangenehm. Zwar spürte ich, dass er bei mir Schutz suchte, mich brauchte, doch ich wollte meine Freiheiten und mit meinen Freundinnen lieber allein sein. Gabriel war mir in solchen Momenten ein lästiges Anhängsel und ich konnte auch zornig und aggressiv reagieren. Andererseits tat er mir leid, ich spürte seine Hilflosigkeit und fühlte mich irgendwie verpflichtet, für ihn da zu sein. Es war mir klar, dass Gabriel anders war, doch ich konnte nicht wirklich verstehen, was ihm solche Probleme machte. Auch den anderen Kindern fiel mein Bruder auf, und ich wurde oft auf ihn angesprochen. Dies wollte ich unbedingt vermeiden, weil ich es hasste. Von nun an wollte ich in der Schule möglichst wenig mit ihm zu tun haben. Als aber auf dem Schulweg ältere Kinder sein auffallendes Gehen nachmachten und ihn auch mit schlimmen Worten provozierten, machte mich das sehr wütend. Er war ja mein Bru45

der und ich hatte ihn sehr gerne. Er selber konnte sich nicht wehren, also

setzte ich mich für ihn ein. Von nun an machten wir gemeinsam den Schulweg. Es funktionierte und die Hänseleien hörten bald auf. Mit dem Übertritt in die vierte Klasse begann für Gabriel eine viel schwierigere Schulzeit. Ich war nun am Gymnasium und bekam nicht mehr so viel mit. Die Lehrerinnen und Mitschüler waren zwar über seinen Herzfehler und die körperlichen Einschränkungen informiert, doch in der Planung von Aktivitäten wurde dies leider nicht berücksichtigt. Das fand ich sehr gemein und ungerecht. Es hätten ja nicht immer Wanderungen und Velotouren sein müssen, eine Schifffahrt zum Beispiel wäre auch cool gewesen. Im Sport- und Schwimmunterricht hatte Gabriel die schlechte Note jeweils bereits gebucht. Ich glaube, Gabriel war dies ziemlich egal, doch ich hätte mich über mehr Verständnis gefreut. Er wurde so immer wieder in eine Sonderrolle gezwungen, die nicht nötig gewesen wäre, wenn er flexiblere Lehrpersonen gehabt hätte. Wir hatten eine enge Bindung zueinander, ich hatte Vorbildfunktion, er hörte auf mich und ich übernahm als ältere Schwester in seinen ersten Schuljahren eine Beschützerrolle. Dies machte ich von mir aus und gerne. Ich merkte, dass ich ihm auf diese Art Sicherheit geben konnte. Es war mir aber auch wichtig zu spüren, dass meine Eltern hinter mir standen, wenn es mir zu viel wurde. Manchmal brauchte ich einfach meine Ruhe. Ich hatte mit zwiespältigen Gefühlen zu kämpfen und es tat mir gut, dass ich auch gelegentlich Aggressionen und meine Wut herauslassen konnte. Anderen Geschwistern rate ich, ihr herzkrankes Geschwister zu unterstützen und es zu beschützen. Dies sollte jedoch nur dann geschehen, wenn es wirklich Hilfe und Zuwendung benötigt. Ich finde es sehr wichtig, dass die Kinder lernen, sich selber zu wehren und selbständig zu sein. So fühlen sie sich nicht in eine Sonderrolle gedrängt. Für mich war es eine sehr wertvolle Zeit und es lohnte sich, dass ich mit meiner Unterstützung meinem Bruder helfen konnte. Dadurch erlebten wir beide eine positivere Schulsituation, die auch den Eltern zugute kam und daheim für ein entspanntes Familienleben sorgte.

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«Integration» durch «Separation»? Ueli Speich, Stiftungsleiter Der Autor unterrichtete elf Jahre an der Oberstufe eines Justizheimes, bevor er 1994 die Leitung des Schulheimes für Körperbehinderte in Aarau übernahm. Seit dem Jahr 2000 wirkt Ueli Speich als Stiftungsleiter von zeka (zentren körperbehinderte aargau)

Erfreulicherweise haben sich in den letzten Jahren die Voraussetzungen für eine integrative Schulung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen generell verbessert. Integration wird schon beinahe zur Pflicht – für die Schulen wie für die Eltern. Es entstand eine gesellschaftliche Tendenz, die eine temporäre oder gar dauernde «Sonderschulung» abwertend als «separativ» und «stigmatisierend» und damit als «zweitklassig» erscheinen lässt. Den unterschiedlichen individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen ist aber letztlich nur ein gleichberechtigtes Nebeneinander und insbesondere Miteinander von «Sonder-» und «Regelschulen» unter einem gemeinsamen Dach der «Volksschule» wirklich dienlich. Dieser Beitrag soll Eltern Mut machen, ihr Kind mit gutem Gewissen einer Sonderschule anzuvertrauen, wenn die Bedingungen für eine bestmögliche Förderung in der Regelschule nicht oder nicht mehr gegeben sind. Der Text nimmt nicht für sich in Anspruch, wissenschaftlich abgestützt zu sein und liefert keine Rezepte, sondern gründet auf den jahrelangen praktischen Berufserfahrungen des Autors als Stiftungsleiter von zeka. Gemäss ihrem Leistungsauftrag ist zeka auch verantwortlich für die Beratung und Begleitung herzkranker Kinder in Regelschulen oder für deren Förderung in den entsprechenden Sonderschulen. Bereits im Jahr 1996 formulierte zeka den heute noch aktuellen Leitbildsatz: «Unser Ziel ist die Integration der Menschen mit Behinderung innerhalb und ausserhalb unserer Institution». Die Frage, ob die Integration der Kinder und Jugendlichen im jeweiligen Zeitpunkt «innerhalb» oder «ausserhalb» der Sonderschule zu erfolgen habe, wird bei allen Schülerinnen und Schülern mindestens einmal jährlich überprüft.

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Grundhaltungen und (Fehl-)Interpretationen Die Salamanca Erklärung der UNESCO von 1994 lautet: Wir glauben und erklären,  dass jedes Kind ein grundsätzliches Recht auf Bildung hat und dass ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, ein akzeptables Lernniveau zu erreichen und zu erhalten,  dass jedes Kind einmalige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse hat,  dass Schulsysteme entworfen und Lernprogramme eingerichtet werden sollen, die dieser Vielfalt an Eigenschaften und Bedürfnissen Rechnung tragen,  dass jene mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu regulären Schulen haben müssen, die sie mit einer kindzentrierten Pädagogik, die ihren Bedürfnissen gerecht werden kann, aufnehmen sollen,  dass Regelschulen mit dieser integrativen Orientierung das beste Mittel sind, um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, um Gemeinschaften zu schaffen, die alle willkommen heissen, um eine integrierende Gesellschaft aufzubauen und um Bildung für Alle zu erreichen; darüber hinaus gewährleisten integrative Schulen eine effektive Bildung für den Grossteil aller Kinder und erhöhen die Effizienz sowie schliesslich das Kosten-Nutzen-Verhältnis des gesamten Schulsystems.

Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten Für die Eltern eines herzkranken oder behinderten Kindes können gängige Interpretationen von den in der Erklärung verwendeten Begriffen wie «reguläre Schulen» und «Regelschulen» fatale Folgen haben, denn die Begrifflichkeit suggeriert, dass eine Sonderschule eine «irreguläre» Schule oder Schule «ohne Regel» oder «ausserhalb der Regel» sei. Dem ist aber nicht so: Eine gute Sonderschule für Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen ist ein unverzichtbarer Teil der Schullandschaft und bemüht sich, Anschluss- und Vergleichsmöglichkeiten jederzeit sicherzustellen. Spezifische Schulen für Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen leben der Salamanca-Erklärung nach. Diese fordert ja, dass «jedes Kind ein grundsätzliches Recht auf Bildung hat und dass ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, ein akzeptables Lernniveau zu erreichen und zu erhalten» und «dass Schulsysteme entworfen und Lernpro-

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gramme eingerichtet werden sollen, die dieser Vielfalt an Eigenschaften und Bedürfnissen Rechnung tragen». Auch eine spezialisierte Schule ist eine «integrative Schule» und leistet als Teil der Regel- oder Volksschule ihren Beitrag zu einer integrierenden Gesellschaft. Sicher erfolgte die Kritik am Schulsystem der Achtziger- und Neunzigerjahre, das Kinder und Jugendliche, die nicht ins Schema passten, zunehmend ausgrenzte, zu Recht. Entgleist ist diese Debatte aber, als in einem fatalen Umkehrschluss – an Stelle der je länger je weniger integrationsfähigen «Regelschulen» – einzig die besagten Angebote an «Sonderklassen» und «Sonderschulen» für diesen «separativen» Trend verantwortlich gemacht wurden: Man müsse nur das Angebot an «separativen» Massnahmen einschränken oder gar am besten gleich ganz einstellen und die Mittel ins «Regelschulsystem» umverteilen, dann gelinge die Integration – so der naive und praxisfremd anmutende Ansatz. Damit lief die Integrationsidee den tatsächlichen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit speziellem Förderbedarf und deren Eltern zum Teil diametral zuwider. Ein diskriminierendes Sprachverständnis verrät eine diskriminierende Haltung Begriffe wie «Sonderschule» und «Regelschule» sind zwischen Anführungsund Schlusszeichen gesetzt. Es sind bereits schon diese Begriffe, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen und Krankheiten aufgrund ihrer speziellen Bedürfnisse durch unser Sprachverständnis, unsere Sprachanwendung und dahinterstehende Denkmuster stigmatisiert und diskriminiert werden. Einige wenige Beispiele mögen als Denkanstösse dienen: Die «Regelschule» Dieser Begriff wäre an sich harmlos, würde er in den aktuellen Debatten nicht dauernd in Abgrenzung zu Einschulungs-, Klein- und Sonderklassen sowie Sonderschulen verwendet. Dieses Begriffsverständnis führt dazu, dass diese Schulformen ein Image des «ausserhalb der Regel Stehenden» bekommen. Damit erfolgt eine Stigmatisierung des gesamten Angebots dieser Einrichtungen. Gleichzeitig geht dabei vergessen, dass ja auch in der «Regelschule» nicht nur «integriert», sondern fleissig in Altersklassen «binnendifferenziert» und auch gemäss unterschiedlichen Leistungsniveaus «binnensepariert» wird. Diese Binnenseparierung erfolgt spätestens auf der Sekundarstufe 1. 49

Die «Sonderschule» Der Begriff «Sonder-» findet sich beispielsweise im Begriff «besonders». Diesem Begriff haftet an und für sich nichts Negatives an, im Gegenteil: Frisch gekürte Bundespräsidenten reisen in der Regel nach ihrer Wahl zurück in ihren Heimatkanton – nicht etwa mit einem «Regelzug», sondern mit einem «Sonderzug», also mit einer Sonderlösung für besondere Persönlichkeiten. Wer käme auf die Idee, die Spitzenpolitiker deswegen mit einem «Stigma» zu belegen oder die SBB gar der Diskriminierung zu bezichtigen? Anders verhält es sich mit «Sonderschülerinnen» und «Sonderschülern». Die Stigmatisierung erfolgt nicht primär durch den Begriff «Sonderschule», sondern durch das dahinterstehende Denkmuster: In Fachkreisen wird von diskriminierender «Aussonderung» gesprochen. Dabei stellt eine Sonderschule eine «besondere» Lösung für Kinder und Jugendliche mit «besonderen» Bedürfnissen dar. Das «Kaskadenmodell» Aus den Bemühungen, Kinder und Jugendliche wenn immer möglich zuerst in der «Regelschule» integrieren zu wollen, entstand das «Kaskadenmodell». Das französische Wort «la cascade» heisst übersetzt Wasserfall. Das Konzept bedeutet: Kinder mit Beeinträchtigungen, die den vorgängigen Versuch in der Regelschule nicht schafften, werden früher oder später über einen «Wasserfall» hinuntergespült und landen dann – häufig ziemlich «kalt geduscht» – im «Auffangbecken» der Sonderschule, wo dann die Wunden des «Hinuntergespültwerdens» versorgt werden müssen. Mit der Wasserfallassoziation wird auch gleich der Niveauunterschied sowie eine «Einbahnstrasse» zwischen der Regel- und der Sonderschule zementiert. Assoziationen bezüglich «Integration» und «Separation» Mit aller Selbstverständlichkeit wird von «Integration» gesprochen, wenn ein Kind mit einer Beeinträchtigung eine Regelschule besucht. Die Förderung in einer Sonderschule hingegen wird als «Separation» bezeichnet. Wie sich diese «Integrations-» oder andernfalls «Separationslösungen» für die jeweils direkt betroffenen Kinder und Jugendlichen wirklich anfühlen, geht dabei vergessen: In der Praxis begegne ich täglich Kindern und Jugendlichen, die sich in der Regelschule mit ihrer Beeinträchtigung völlig deplatziert und desintegriert vorkamen. In einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit ähnlichen krankheits- oder behinderungsbedingten Sorgen und Nöten hingegen fühlten sich diese Kinder und Jugendlichen endlich verstanden und integriert. Dieses Phänomen ist insbesondere auf der

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Oberstufe zu beobachten: Die mit der Pubertät verbundene Suche nach dem eigenen «Ich» und die zusätzliche und schmerzhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit oder Behinderung gelingt oftmals nur unter Teenagern, die von gleichen oder ähnlichen Problemen und Fragestellungen betroffen sind. Wie «integrativ» kann überhaupt eine Regelschule sein? An dieser Stelle sei nochmals der letzte Teilsatz der UNESCO-Erklärung von 1994 zitiert: «Darüber hinaus gewährleisten integrative Schulen eine effektive Bildung für den Grossteil aller Kinder und erhöhen die Effizienz sowie schliesslich das Kosten-Nutzen-Verhältnis des gesamten Schulsystems.» Da steht ausdrücklich: «… für den Grossteil aller Kinder». Auch die vielzitierte Erklärung von Salamanca gesteht ein, dass integrative Schulen eine effektive Bildung zwar für einen grossen Teil, aber eben nicht für alle Kinder sein können. Realitäten in der Regelschule Die Regelschule wurde in den letzten Jahren mit verschiedensten Frage- und Problemstellungen, aber auch Problemlösungen, geradezu überschwemmt: Lehrplanüberarbeitungen, neue Promotionsverordnungen, neue erweiterte Lehr- und Lernformen, Werkstattunterricht und binnendifferenzierte Schulung, Einzug der Informationstechnologie in die Klassenzimmer, geleitete Schulen, Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts in die Mittel- oder gar Unterstufe, damit verbundenes Fachlehrersystem, zunehmendes Jobsharing und/oder Teamteaching, klassenübergreifender Unterricht, integrative Schulung, etc. Gleichzeitig landete der althergebrachte Frontalunterricht, wie ihn ältere Generationen in damaligen Lehrerseminarien noch vermittelt bekamen, auf dem pädagogischen Müllhaufen. Die neue Schulsituation bietet zahlreiche Chancen, stellt aber hohe und zum Teil neue Anforderungen – nicht nur an die Lehrkräfte, auch an die Schülerinnen und Schüler. Dem Kind mit einer körperlichen Beeinträchtigung und normalen intellektuellen Fähigkeiten kommen diese Neuerungen in der Regel entgegen und verbessern die Rahmenbedingungen für die Integration in der Regelschule. Etliche dieser Entwicklungen waren Voraussetzung dafür, dass im Kanton Aargau mit Unterstützung von zeka zahlreiche Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen – darunter auch solche mit Herzkrankheiten – erfolgreich am Unterricht der Regelschule teilnehmen können. 51

Allerdings tauchen in diesen zeitgemäss geführten Regelschulen neue «Behinderungsbilder» auf: Die Fachwelt rätselt über die Gründe für die Zunahme von Kindern und Jugendlichen mit «psychischen Beeinträchtigungen», «Wahrnehmungsstörungen» oder mit «autistischen Zügen». Auch Schülerinnen und Schüler mit massiven «Verhaltensauffälligkeiten» bereiten den Regelschulen zunehmend Schwierigkeiten. Könnte es nicht auch sein, dass diese Symptome zumindest teilweise die Kehrseite der Medaille dieser Schulentwicklungen darstellen? Würden Sie gerne in einem Grossraumbüro arbeiten? Genau so geht es heute in zahlreichen Schulzimmern und -häusern zu und her. Diese Atmosphäre mag für einen Grossteil der Kinder und Jugendlichen Inspiration bedeuten. Früh üben sie sich in ihren Fähigkeiten zum Multitasking, in Sozialkompetenz und in selbständigem Arbeiten. Damit erwerben sie wichtige Voraussetzungen für ihre späteren beruflichen Tätigkeiten und für das lebenslange selbständige Lernen. Ist dieses Lernumfeld aber tatsächlich für alle Kinder und Jugendlichen geeignet? Wie verkraftet ein Kind, das physisch oder psychisch nur eingeschränkt belastbar ist, dieses Umfeld? Konstante Lehrpersonen und ein damit verbundener stabiler und enger Beziehungsrahmen sind eine wichtige Voraussetzung für den Bildungserfolg. Längst nicht mehr jede Regelschule kann heute noch ein solches Umfeld sicherstellen. Die Entwicklung der Regelschulen hat Folgen für die Zusammensetzung der Klientel von Sonderschulen. Die Partizipation in der Regelschule wird häufig nicht mehr primär durch eine körperliche Behinderung oder eine Krankheit eingeschränkt, sondern durch damit verbundene sekundäre Störungen im Bereich der Wahrnehmung, der psychischen und physischen Belastbarkeit oder des Verhaltens. Die integrative Wirkung einer Sonderschule oder «Integration durch Separation» zeka lässt seine Arbeit regelmässig überprüfen. So wurden beispielsweise im Rahmen einer Masterarbeit die Auswirkungen einer Integrationswoche untersucht. zeka hatte für eine Woche beide Sonderschulen geschlossen und alle Sonderschülerinnen und Sonderschüler in die Regelschule integriert. Eine weitere Masterarbeit befasste sich mit der Langzeitwirkung der Sonderschulen von zeka. Eine Befragung zahlreicher ehemaliger Absolventinnen und Absolventen bildete die Grundlage dieser Arbeit. Als wohl wichtigste Erkenntnis aus beiden Arbeiten geht hervor, dass der Grossteil der Kinder und Jugendlichen, insbesondere aber auch deren Eltern, die beste-

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hende Sonderschullösung auch im Nachhinein als ideale – und auch persönliche integrative – Lösung betrachten. Über achtzig Prozent der ehemaligen Schülerinnen und Schüler würden auch rückblickend ihren Bekannten den Besuch der Sonderschule empfehlen. Die persönliche Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen Integriert oder separiert ist man nicht, sondern man fühlt sich entsprechend. Es gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen, innerhalb unserer Gesellschaft Gruppierungen und Interessengemeinschaften zu bilden, mit denen sich das einzelne Individuum identifizieren kann und sich darin aufgehoben, eben «integriert» fühlt. In der Sonderschule treffen sich Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen: Hier ist es – im Gegensatz zur Regelschule – ganz normal, durch eine gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigung behindert zu sein. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen lassen sich Strategien zum Umgang mit der eigenen Beeinträchtigung entwickeln und Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen für eine spätere Integration in die Regelschule und/oder ins Berufsleben aufbauen. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen haben neben dem Anspruch auf schulische Förderung einen zum Teil intensiven Bedarf an medizinisch- und/oder pädagogisch-therapeutischen Massnahmen. Durch die räumliche Nähe aller Angebote unter dem Dach der Sonderschule wird die schulische Förderung durch therapiebedingte Schulausfälle so wenig wie möglich eingeschränkt, und die ganzheitliche Förderung der Kinder und Jugendlichen durch die enge schulinterne Zusammenarbeit zwischen Schule und Therapie unterstützt. Handlungskompetenz dank Fachkompetenz und Erfahrung Wo stecken die Möglichkeiten, wo allenfalls behinderungs- oder krankheitsbedingte Grenzen der individuellen Förderung? Dank der grossen behinderungsspezifischen Erfahrung der Mitarbeitenden einer Sonderschule können Förderplanungen im Rahmen der Verlaufsassessments gezielt und auf grösstmögliche fördernde Wirkung ausgerichtet werden. Die latente Gefahr, Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung in ihrer effektiven Leistungsfähigkeit zu unterschätzen und eine unangebrachte Schonhaltung ihnen gegenüber an den Tag zu legen, ist im 53

Vergleich zur integrierten Regelschullösung zumindest reduziert. Gleich-

zeitig besteht eine verbesserte Chance, Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderungen bereits Jahre vor Schulaustritt ganz gezielt im Hinblick auf in der Berufswelt gefragte Kompetenzen zu fördern. Es geht also nicht nur um die aktuell diskutierte schulische Integration, sondern auch darum, beste Voraussetzungen für eine spätere optimale berufliche Integration und Partizipation am Erwerbsleben zu schaffen. Entwicklungsthemen für Sonderschuleinrichtungen Das nachfolgende «Plädoyer» für die Förderung im Rahmen einer Sonderschule soll nicht in Abrede stellen, dass auch bei Sonderschulen Entwicklungsbedarf besteht: Pflege und Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Sonderschulen und Regelschulen Seit Jahren pflegt zeka auf verschiedenen Ebenen eine intensive Zusammenarbeit mit diversen Regelschulen und verschiedenen Regelschulklassen, dies häufig in Form von gemeinsamen Projekten oder Projektwochen. Solche Projekte sollen vor allem eines: Anregen zur Zusammenarbeit und zum Austausch im Alltag. Dieser dient einerseits den wichtigen Begegnungen zwischen den Kindern und Jugendlichen der Sonderschulen mit gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen der Regelschulen. Mindestens ebenso wichtig erscheint aber auch der fachliche Austausch zwischen Lehrkräften von Sonder- und Regelschulen. Nur so gelingt es der Sonderschule auf Dauer, den Anschluss an wichtige Entwicklungen in der Regelschule nicht zu verpassen, das Unterrichtsniveau zu halten und damit die Voraussetzungen für eine Reintegration von Kindern und Jugendlichen aus der Sonderschule in die Regelschule zu schaffen und zu bewahren. Gleichzeitig profitiert die Regelschule vom Know-how der Sonderschulen bezüglich individualisierter und binnendifferenzierter Unterrichtsmethoden. Den Entwicklungen Rechnung tragen Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Integration von Kindern und Jugendlichen mit körperlichen Beeinträchtigungen, aber normalen intellektuellen Fähigkeiten haben sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. Gleichzeitig haben andere Kinder mit vermeintlich geringfügigen beziehungsweise auf den ersten Blick kaum erkennbaren Krankheiten und Behinderungen aufgrund sekundärer Störungen in Bezug auf Belastbarkeit, Psyche, Wahrnehmung und Verhalten vermehrt Mühe, sich in die gewandelte und mitunter hektische Lernwelt der Regelschule zu integrieren. Es

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ist der Auftrag der Sonderschulen, sich auch diesen Kindern anzunehmen und die entsprechenden Persönlichkeits- und Fachkompetenzen bei den Mitarbeitenden sicherzustellen. Die Sonderschulen haben ihre Angebote nach den tatsächlichen Bedürfnissen der ihnen zugewiesenen Kinder und Jugendlichen auszurichten und nicht umgekehrt. Eine gute Sonderschule stellt hohe Anforderungen – an Mitarbeitende wie an Kinder und Jugendliche! Sonderschulen können «Hochrisikogebiete» für Harmoniesucht sein. Die Sonderschulen, die zumindest vorübergehend Kindern und Jugendlichen einen gewissen Schutz vor den «Stürmen des Alltags» geben sollen, laufen Gefahr, auch von Mitarbeitenden als dauernde «Schonräume» angesehen und damit für ureigene (Harmonie-) Bedürfnisse missbraucht zu werden. Wer vor dem Leistungsdruck in der Regelschule (Leistungsdruck sowohl gegenüber den Schülerinnen und Schülern als auch gegenüber den Mitarbeitenden) in eine Sonderschule «flieht», ist in einer qualitätsbewussten Sonderschule nicht am richtigen Ort. In der Ehemaligenbefragung von zeka-Absolventinnen und zeka-Absolventen wurde genau dieser weltfremde Schonraum unserer Sonderschulen am heftigsten kritisiert. Schulische und therapeutische Förderung erfolgt dann, wenn Kinder und Jugendliche entsprechend gefordert werden und insbesondere das Geforderte auch konsequent eingefordert wird. Konfliktfähigkeit wird nur erworben, indem Differenzen offen und direkt angesprochen und Konflikte auch tatsächlich ausgetragen werden – auf allen Ebenen! Gleichzeitig müssen die Mitarbeitenden von sogenannt separativen Einrichtungen wohl vermehrt dazu angehalten werden, zwischendurch den «Duft der grossen weiten Welt» einzuatmen, zum Beispiel im Rahmen eines «Seitenwechselprojektes»: Nur wer die Gesellschaft kennt, an der die Kinder und Jugendlichen mit körperlichen Beeinträchtigungen partizipieren sollen, kann seinen pädagogischen Auftrag letztlich verantwortungsvoll wahrnehmen. Fazit Sonderschuleinrichtungen sind für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen da. Mit einem gleichberechtigten, differenzierten und qualitativ hochstehenden Angebot an Beratungs-, Begleitungs- und Schulungsmöglichkeiten, sowohl in Regelschulen als auch in heilpädagogischen Zentren unter dem gemeinsamen Dach der Volksschule, schaffen moderne Sonderschuleinrichtungen für Betroffene echte Alternativen. Das durch55

lässige Nebeneinander von «integrativen» als auch «separativen» Schul-

formen löst einen gesunden Wettbewerb aus. Die jederzeit sichergestellte Wahlmöglichkeit lässt zu, zur richtigen Zeit die geeigneten Massnahmen zu treffen, um eine grösstmögliche Integration sicherzustellen. Damit dies gelingt, brauchen wir Integrationsideale, aber keine Integrationsideologien. Literaturhinweise Die Salamanca-Erklärung stammt aus: UNESCO: Die Salamanca Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse, angenommen von der Weltkonferenz «Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität» Salamanca, Spanien, 7.–10. Juni 1994 Weitere zugezogene Werke: Masterarbeit MAS 15 «Ganzheitliches Management» 2011 an der FHNW Hochschule für Wirtschaft zum Thema «Nachhaltigkeit der Schulung durch zeka», Verfasser: Thomas Müller, stv. Bereichsleiter Schulen/Teamleiter, zeka Diplom-/Masterarbeit Schulische Heilpädagogik HfH 2007 / Pädagogik bei schulischen Schwierigkeiten zum Thema «Projektwoche Integration: Die Sonderschulen von zeka schliessen ihre Tore», Verfasserin: Monika Speich-Beyeler, Sonderschullehrerin zeka Dieses Kapitel ist eine auf Herzkinder angepasste, redaktionell überarbeitete Version eines Beitrages, der in vollem Umfang in folgendem Buch nachgelesen werden kann: «Spannnungsfeld schulische Integration» (S.83-S.97), Hrsg. Susanne Schriber und August Schwere, 2011 (ISBN 978-3-905890-06-8)

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Irgendwann ist die Schulzeit vorbei... Monika Stulz

Was gilt es zu bedenken Die Berufswahl kann für Jugendliche mit einem Herzfehler eine schwierige Zeit werden. Sie muss es aber nicht, wenn sich alle Beteiligten für die Vorbereitungen zu diesem Übertritt genügend Zeit nehmen und sich gut organisieren. Ausserdem können die Ressourcen, die sich Familien in den Schuljahren angeeignet haben, jetzt mit viel Selbstvertrauen eingesetzt werden. So, wie sich die Komplexität der Herzfehler extrem unterscheidet, wird sich auch die Berufsfindung einfacher oder komplexer gestalten. Trotz der Herzkrankheit dürfen wir nicht vergessen, dass auch gesunde Kinder oft nicht wissen, wie ihr weiterer Werdegang sein soll und auch sie nicht immer genau die Ausbildung machen können, von der sie träumen. Möglicherweise kann es vorteilhaft sein, wenn Eltern mit einem herzkranken Kind bis zu diesem Zeitpunkt gelernt haben in kleineren Schritten zu planen und ihnen bewusst ist, dass auch durch Umwege Ziele erreicht werden. Mit dieser Einstellung die Berufsplanung anzugehen, erzeugt weniger Stress für alle Beteiligten. Auf jeden Fall empfiehlt sich eine frühzeitige (Anfang 8. Schuljahr) und intensive Auseinandersetzung mit der Situation. Noch früher mit der Berufswahl zu beginnen, macht keinen Sinn, denn es gilt zu berücksichtigen, dass das Kind selber auch fähig sein muss, sich über einen möglichen Beruf ernsthaft Gedanken zu machen. Spätestens jetzt nämlich sollen herzkranke Jugendliche so weit selbständig sein, dass sie mitentscheiden und Verantwortung übernehmen können. Eltern müssen lernen ihrem Kind das Handeln und Entscheiden, wann immer möglich, zu überlassen und vermehrt nur noch beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Du bist auf der Suche Nebst all den Fragen, die gesunde Kameraden/innen auch zu klären haben, hast du als Herzkranker möglicherweise noch einige Fragen mehr, auf die du gerne eine Antwort hättest. 57

Welche Leistung kannst du erbringen? Ist eine Vollzeitausbildung möglich oder muss eine Teilzeitausbildung in Betracht gezogen werden? Lass dich nicht von Anfang an von irgendwelchen Gedanken abschrecken, dass etwas nicht geht oder du etwas nicht kannst. Geh mit der Einstellung an die Sache: Vieles ist machbar. Es müssen dann meist immer noch Kompromisse gefunden werden, aber so unterbindest du nicht von Beginn an deine Möglichkeiten.

Was ist eine Teilzeitlehre? Manche herzkranke Jugendliche können nicht 100% arbeiten. In der heutigen Berufswelt sind verschiedene Modelle möglich, auch eine reduzierte Arbeitszeit und eine verlängerte Lehrzeit. Mit dem Willen aller Beteiligten ist sehr viel machbar. Integration ist für viele Arbeitgeber kein Fremdwort mehr.

Gibt es Berufe oder Schulen, die du wegen deinem Herzfehler nicht ausüben kannst? Weisst du, was aufgrund deines Herzfehlers für dich möglich ist und was nicht? Sprich mit deinem Kardiologen über deine allfälligen Befürchtungen, aber auch über deine Wünsche und Visionen. Vertraue auf seine Erfahrung und sein Wissen. Jetzt ist es auch an der Zeit, dass du über deinen Herzfehler Bescheid weisst und ihn anderen Leuten erklären kannst.

Reicht eine herkömmliche Berufsberatung oder muss die IV-Berufsberatung miteinbezogen werden? Jugendliche mit einem Herzfehler haben Anrecht auf Unterstützung durch die IV-Berufsberatung. Falls dein Herzfehler so schwerwiegend ist, dass nur eine sogenannte «geschützte» Lehrstelle für dich in Frage kommt, wird dir und deinen Eltern die IV behilflich sein, eine solche zu finden. Aber auch wenn du eine ganz normale Lehre in einem Lehrbetrieb machen oder eine weiterführende Schule besuchen möchtest, kannst du möglicherweise auf die Unterstützung der IV zählen.

Wie ist die Unterstützung der IV, wenn du eine weiterführende Schule besuchst (Mittelschule, Gymnasium)? Während der regulären Schulzeit ist der Kanton für unterstützende Massnahmen zuständig. Danach übernimmt die IV die Leistungen für eine erste Ausbildung oder eine weiterführende Schulbildung. Ein Besuch bei der IV-Berufsberatung wird über die Leistungen Klarheit schaffen. Ebenfalls sehr gut beraten wirst du bei Procap (Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Handicap in der Schweiz, www.procap.ch) oder bei den jeweiligen kantonalen heilpädagogischen Beratungs- und Begleitdiensten (siehe Adressliste auf Seite 65). Die Tipps und Erfahrungen solcher Stellen können dir oft gut weiterhelfen, nimm sie bei Bedarf unbedingt in Anspruch. 58

Sollst du in deiner Bewerbung bereits von deinem Herzfehler berichten? Wenn der Herzfehler nicht allzu schwerwiegend ist und keine grösseren Einschränkungen für den Arbeitgeber zur Folge hat, reicht es sicherlich auch, erst im persönlichen Vorstellungsgespräch darauf einzugehen. Wenn der Herzfehler sehr schwer ist, wird sich eine ganz normale Bewerbung wohl sowieso in den meisten Fällen erübrigen. Du und deine Eltern werden am besten von Anfang an mit einem potentiellen Lehrbetrieb oder einer höheren Schule das persönliche Gespräch suchen. Aber auf jeden Fall bist du verpflichtet, einen Arbeitgeber über deine Krankheit zu informieren. Besprich mit deinen Eltern, wann dazu der richtige Moment ist und wie du es formulieren möchtest.

Welche Stellen und Ämter müssen bei einer «Spezialausbildung» miteinbezogen werden? Bei der Planung und Realisierung einer speziellen Ausbildung ist eine Koordination verschiedenster Stellen notwendig. Am besten organisiert man dafür einen «runden Tisch». Solche Gesprächsrunden sind dir möglicherweise seit der Schulzeit bekannt. Es macht Sinn, dass deine Eltern hier aktiv werden und die Organisation einer solchen Runde übernehmen. Falls sie dazu nicht in der Lage sind, hilft bestimmt jemand Externes, sei es von Procap, einer sonstigen Beratungsstelle, der IV oder des kantonalen Ausbildungsamtes. Bringe dich selber aber trotzdem aktiv mit in die Runde ein. Folgende Zusammensetzung sollte Erfolg bringen: – Du und deine Eltern – Lehrbetrieb (Lehrlingsverantwortliche/r und Abteilungs- oder Geschäftsleiter/in) – Berufsschule oder weiterführende Schule (Schulleiter) – Kantonales Amt für Berufsbildung (Berufsverantwortliche/r) – Invalidenversicherung (Berufsberater/in) – Eventuell zusätzliche Berater, wie oben erwähnt – Möglicherweise macht es auch Sinn, deine/n aktuelle/n Lehrer/in oder deine/n aktuelle/n Schulleiter/in mit an diese Gesprächsrunde einzuladen. Sie können aus ihren Erfahrungen berichten und oft Ängste beschwichtigen. Das ist aber eine Vertrauensfrage.

Meine persönlichen Erfahrungen Ob herzkranke Jugendliche nach der regulären Schulzeit eine weiterführende Schule oder eine Lehre anstreben, grundsätzlich ist heute vieles möglich. Bei Jugendlichen mit leichterem Herzfehler wird sich die Lehrzeit sicherlich nicht allzu kompliziert gestalten. Bei Jugendlichen mit mittelschwerem oder schwerem Herzfehler ist es von Vorteil, wenn sich die Familie bereits während der regulären Schulzeit zu organisieren gelernt 59

hat. Mit dem Eintritt in die Berufszeit gilt für Eltern, ihre Kinder loszulassen

und es ist ratsam, dieses Loslassen schon in der Oberstufe zu üben. Viele Lehrbetriebe schätzen es nicht, wenn Eltern ständig auf «der Matte» stehen und glauben, sich für ihre Kinder einsetzen zu müssen. Spätestens jetzt wird vom Jugendlichen erwartet, dass er seinen Herzfehler kennt, um seine Grenzen weiss und diese auch kommunizieren kann. Nicht nur der Arbeitgeber, auch der behandelnde Kardiologe, wird in den meisten Fällen vermehrt das Gespräch mit dem Jugendlichen direkt anstreben. Auch wenn diese Ablösung oft für beide Seiten keine einfache Zeit ist, birgt sie auch viele Chancen in sich. Verantwortung abgeben, heisst für Eltern nicht, dass sie sich ab sofort nicht mehr um ihre Kinder kümmern. Eltern und Kinder bleiben ein Team. Selbstverständlich werden schwierige Entscheidungen weiterhin in gemeinsamen Gesprächen getroffen, natürlich brauchen Jugendliche hin und wieder die Hilfe der Eltern und sind froh um deren Begleitung. Aber letztendlich müssen sie vermehrt lernen, selber Entscheidungen zu fällen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Eigentlich unterscheidet sich die Erziehung herzkranker Jugendlicher in vielem nicht von einem gesunden Kind. Nur fällt Eltern das Loslassen kranker oder behinderter Kinder meist viel schwerer. Meine ganz persönliche Erfahrung zeigt, dass Loslassen auch durchwegs positiv sein kann. Keiner spürt und kennt seinen Körper besser, als die Herzkranken selber. Über Jahre haben wir Eltern Verantwortung für etwas übernommen, von dem wir eigentlich nie genau wussten, wie es sich anfühlt. Dass unsere herzkranken Kinder dies nun selbständig tun, kann auch ungemein entlastend und befreiend sein. Seien wir uns einfach bewusst, nicht wir Eltern haben den Herzfehler, sondern unser Kind. Spätestens jetzt, wo wir uns gemeinsam mit der Berufswahl auseinandersetzen, ist es an der Zeit, unserem herzkranken Kind in seinen Entscheidungen und Wahrnehmungen zu vertrauen. Mein Tipp: Wenn Eltern an die Zukunft ihrer Kinder glauben, ihnen diesen Glauben vermitteln und sie wo nötig unterstützen, dann werden die Kinder ihre Ziele auch erreichen. Dies gilt für gesunde Kinder, wie auch für jene mit einem Herzfehler!

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Merkblatt für Lehrpersonen

Das folgende Merkblatt ist eine Zusammenfassung verschiedenster vorgängig abgehandelter Themen und ist vor allem für Lehrpersonen als Hilfe gedacht. Es dient aber Eltern genauso. Die regelmässige Überprüfung der schulischen Situation anhand dieser Liste kann die positive Integration des herzkranken Kindes fördern. Auch wenn sich jede Situation ein bisschen anders gestaltet, lassen sich einige wichtige Aussagen allgemein machen. Es versteht sich von selbst, dass im Einzelfall weitere wichtige Punkte dazukommen können, die Auflistung also nicht vollständig ist. Als Grundlage diente uns das Merkblatt «Ein Kind mit Körperbehinderung in der Klasse» von Frau Susanne Schriber, HfH Zürich, aus dem Buch «Spannungsfeld Schulische Integration», 2011. Eingangsvoraussetzungen

Unterstützung durch die Schulgemeinde, Schulleitung – Sichern Sie sich bei der Schulleitung, bei der Schulgemeinde ab, dass Sie in den Integrationsbemühungen Rückhalt erhalten. – Berücksichtigen Sie die kantonalen Rahmenbedingungen zur schulischen Integration. – Gehen Sie sicher, dass Sie in Ihren Bemühungen allenfalls auch personell unterstützt werden. Die Integration eines chronisch kranken Kindes gelingt in der Regel nur in der Teamarbeit.

Schulweg, Zugänglichkeit Klassenzimmer – Vergewissern Sie sich, dass der Schulweg, Schultransport organisiert ist (die Verantwortung liegt in der Regel bei den Eltern und der Gemeinde. Die Assistenz zur Bewältigung des Schulwegs gehört nicht zur Aufgabe der Lehrperson). – Mehrfaches Treppensteigen vor, während und nach dem Unterricht kann ein herzkrankes Kind sehr anstrengen. Richten Sie den Zugang zum Schulraum so ein, dass er möglichst leicht zu erreichen ist (ev. Schulzimmer im Erdgeschoss, Liftschlüssel organisieren oder wenn nötig, Treppenlifteinbau via IV und/oder Schulgemeinde abklären). Hilfestellungen, Alltagsbegleitung

So wenig wie möglich, so viel wie notwendig – Klären Sie ab, ob das Kind für Alltagshandlungen Hilfe benötigt. – Schwere Schultaschen zu schleppen ist für herzkanke Kinder nicht gesundheitsfördernd. Prüfen Sie, ob die Möglichkeit besteht, dass das Kind einen Satz Schulbücher daheim und einen weiteren Satz 61

im Schulzimmer besitzen darf.

Merkblatt für Lehrpersonen

– Gehen Sie nicht davon aus, dass die Mitschüler/innen «automatisch» helfen. In der Regel klappt die spontane Hilfe in den ersten Wochen, dann kann dieser Anspruch zu Frustration, im ungünstigsten Fall zur Ausgrenzung des kranken Schülers führen. – Falls regelmässig kleinere Hilfestellungen notwendig sind (z.B. Liftfahren zu zweit), regeln Sie diese in einem Turnus oder besprechen Sie in der Klassenstunde, wer wann welche Hilfe übernimmt. Gehen Sie sicher, falls immer dieselben Schüler/innen helfen, ob das in Ordnung ist oder einer Änderung bedarf. – Falls Hilfsmittel im Unterricht eingesetzt werden (Laptop, Rollstuhl für Ausflüge etc.) sprechen Sie mit den Mitschülern darüber und geben sie diesen die Gelegenheit, die Dinge auch einmal auszuprobieren. Danach gehören die Hilfsmittel einzig dem betroffenen Kind. Medikamente, medizinische Notfälle

Medikamente – Informieren Sie sich, ob das Kind Medikamente braucht, wer für die Verabreichung zuständig ist und welche allfälligen Nebenwirkungen für den Schulalltag von Bedeutung sein können. (Siehe Kapitel «Medikamente bei herzkranken Kindern» auf Seite 8). – Halten Sie im Voraus fest, was als medizinischer Notfall gilt, was in diesem Fall zu tun ist und wer wen informiert. Bewahren Sie eine allfällige Liste mit Telefonnummern für Sie griffbereit auf. Umgang mit Zeit, Tempo und Quantität

Nachteilsausgleich: gleiche Qualität (Lehrplan) – unterschiedliche Quantität (Zeit, Anzahl) – Kindern mit einem Herzfehler geht oft schnell die Energie aus. Zyanotische («blaue») Kinder kommen noch schneller an ihre Grenzen und benötigen im Vergleich zu Alterskolleginnen und -kollegen für alltägliche Handlungen oft mehr Zeit. Gewähren Sie dem Kind Hilfsmittel (z.B. Taschenrechner, Laptop), selbst wenn diese (z.B. in einer Prüfung) nicht zugelassen wären. – Überprüfen Sie stichprobenartig, ob das Kind die Aufgabe auch ohne Hilfsmittel lösen kann. – Gewähren Sie dem Kind in der Prüfung allenfalls mehr Zeit oder lassen Sie eine Aufgabe weg. Die Prüfung muss aber leistungsmässig mit der Mehrheitsprüfung vergleichbar sein. 62

Merkblatt für Lehrpersonen

– Erklären Sie der Klasse, dass es um Nachteilsausgleich und nicht um Bevorzugung geht. FAQ Nachteilsausgleich: www.szh.ch (Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik, Bern). Download als pdf, siehe «wichtige Adressen» auf Seite 65. Spezifische Situationen, die Mobilität erfordern

Pausen, Sportunterricht, Schulreise etc. – Klären Sie mit dem Kind und den Eltern, wie Situationen, die eine ausserordentliche Mobilität erfordern, individuell und situationsspezifisch gelöst werden können (z.B. Exkursionen, Schulreisen, Radtouren etc.). – Kinder mit Herzfehler lernen, dass für sie manchmal nicht alles gleich möglich ist. Wichtig ist, dass aktiv nach einer Lösung für die Teilnahme gesucht wird. Dabei kann auch eine Teillösung tauglich sein (z.B. Kind wird mit Taxi, Privatauto zu einem Treffpunkt gefahren, stösst später dazu etc.). – Prüfen Sie gemeinsam, ob und wie eine Teilnahme am Sportunterricht möglich und sinnvoll ist. – Nimmt das Kind an Unterrichtsstunden nicht teil, weil es beispielsweise diese für individuelle Physio- oder andere Therapien nutzt, ist das der Klasse zu vermitteln, um Gefühle der Bevorzugung zu vermeiden. Schulische Integration, gemeinsames soziales Lernen

Gleich sein – anders sein – dazu gehören – Informieren Sie die Mitschülerinnen und Mitschüler – wenn möglich, bzw. je nach Alter und Entwicklungsstufe, gleich mit und durch das Kind selbst – über die Krankheit, die Ursachen, die Folgen und notwendigen Hilfestellungen. – Informieren Sie die Eltern der Mitschüler/innen gleichermassen sorgfältig über die Art der Behinderung des Schülers, der Schülerin. Sprechen Sie sich dafür vorgängig mit den Eltern des Herzkindes ab, welche Informationen weitergegeben werden dürfen. – Verdeutlichen Sie gegenüber der Klasse und den Eltern, dass besondere Massnahmen für den Schüler, für die Schülerin mit körperlichen Besonderheiten nicht eine Bevorzugung, sondern eine faire Ausgangsbedingung sind, um gleiche Chancen zu erhalten (Nachteilsausgleich). – Fördern Sie die Integration, indem Sie auch die Stärken des Kindes mit Herzfehler aufzeigen. – Prüfen Sie regelmässig mit allen Beteiligten, ob das schulische Setting

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aktuell, sinnvoll und leistbar ist.

Merkblatt für Lehrpersonen

– Bedenken Sie, dass Kinder, die ausserhalb der Schule auch noch Therapien besuchen müssen, eine Zusatzleistung erbringen und ihre Freizeit dadurch reduziert wird. Achten Sie auf allfällige Überforderungs- oder Stresssymptome. – Das Jugendalter kann für Schüler/innen mit einem Herzfehler eine besondere Herausforderung sein (Narben, Betonung Körperlichkeit, erste Liebschaften etc.). Die Gefahr besteht, dass sich Jugendliche dann zurückziehen. Kooperation, Informationen

Schüler/in mit Herzfehler – In der Regel wissen Schüler/innen mit einem Herzfehler ab zirka dem siebten Lebensjahr recht genau, was sie können, was für sie schwierig ist und wo sie Unterstützung brauchen. Beziehen Sie die Schüler/innen so früh wie möglich mit ein, wenn es darum geht, Lösungen zu entwickeln.

Eltern – Eltern kennen ihre Kinder sehr gut, sie sind mit den Möglichkeiten ihrer Kinder bestens vertraut. Fragen Sie die Eltern, wie gewisse Situationen zu Hause gelöst werden. – Räumen Sie regelmässige Zeitgefässe für Absprachen und Informationen zwischen Ihnen, weiteren Fachpersonen und den Eltern ein.

Schulische Übergänge – Rechnen Sie ausreichend Zeit für Planung und Gestaltung von schulischen Übergängen ein (Wechsel Schulstufen, Wechsel Schulsystem, Schulaustritt und Ausbildung).

Kompetenzzentren – Zu einem Kompetenzzentrum in Ihrer Region (Schulen für körper- und mehrfachbehinderte Kinder) gehören Fachstellen für Integration für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Wenden Sie sich an diese Stellen: Sie werden beraten, es werden Hilfen vermittelt. (Adressliste siehe «Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen» nächste Seite) – Schulische Heilpädagogen decken bei begründetem Bedarf eine gewisse Lektionenzahl pro Woche als gezielte Unterstützung vor Ort ab. Da diese Unterstützungsstunden direkt vom Kanton bezahlt werden, bedarf es regelmässiger Anträge zur Übernahme der Kosten.

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Liste wichtiger und hilfreicher Kontaktstellen Integration und Schule Webplattform zu Integration und Schule mit vielen wichtigen Links und Informationen www.integrationundschule.ch Procap, für Menschen mit Handicap Procap ist der grösste Mitgliederverband von und für Menschen mit Handicap in der Schweiz. Hier erhält man Beratung, Rechtsberatung, Bauberatung www.procap.ch Egalité handicap, Fachstelle der DOK Juristische Beratung für Personen, die aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden www.egalite-handicap.ch Stiftung Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik Informieren auch über Angebote und Konzepte in den Kantonen www.szh.ch Eidg. Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Allgemeine Informationen, Unterstützung von Projekten, Förderung der Integration von Menschen mit Behinderung www.edi.admin.ch/ebgb/ Elternvereinigung für das herzkranke Kind (EVHK) Selbsthilfeorganisation für Familien mit herzkranken Kindern Schweizerische Herzstiftung Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag

www.evhk.ch

www.swissheart.ch

Cuore Matto Patientenorganisation für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern www.cuorematto.ch Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligung bei Menschen mit Behinderungen Gesetzesartikel www.admin.ch/ch/d/sr/151_3/index.html

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Integrationsfachstellen der grössten Schweizerischen Kompetenzzentren (Quelle «Spannungsfeld Schulische Integration», Schriber, Schwere Hrsg.) Fachleute dieser Kompetenzzentren unterstützen Eltern und Schule bei der Integration behinderter oder chronisch kranker Kinder in die Regelschule oder helfen mit bei der Entscheidungsfindung bei Übertritten. Die Aufzählung erfolgt nach geografischem Kriterium von Ost nach West. Einen Überblick zu rechtlichen Grundlagen, Adressen und Beratungsstellen aus allen Schweizer Kantonen zu Integration erhält man auch auf der Webseite «Integration und Schule», www.integrationundschule.ch.

Schulheim Chur www.schulheim-chur.ch CP-Schule Birnbäumen, St. Gallen www.ghgsg.ch Fachstelle für integrierte Sonderschulung, Winterthur www.hps.winterthur.ch/integrierte-sonderschulung Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte, SKB Zürich www.stadt-zuerich.ch/skb Stiftung Rodtegg, Luzern www.rodtegg.ch zeka zentren körperbehinderte aargau www.zeka-ag.ch tsm Schulzentrum Münchenstein, Baselland www.tsm-schulzentrum.ch Zentrum für körper- und sinnesbehinderte Kinder, zksk Solothurn www.zksk-so.ch Schulheim Rossfeld, Bern www.rossfeld.ch

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Impressum Herausgeber: Schweizerische Herzstiftung, Schwarztorstrasse 18, Postfach 368, 3000 Bern 14 [email protected], www.swissheart.ch Elternvereinigung für das herzkranke Kind EVHK, Neuhusstrasse 35c, 8630 Rüti [email protected], www.evhk.ch Redaktionelle Leitung: Monika Stulz, Birmenstorf Übersetzungen: Claude Hugonnaud, Ferreyres Grafik: Leibundgutdesign, Visuelle Gestaltung, Bern Druck: W. Gassman AG, Biel Fotos: Judith und Konrad Eckert, Brugg Hinweise der Redaktion: Wir haben darauf verzichtet, die verschiedenen Typen angeborener Herzfehler aufzulisten. Mehr dazu erfahren Sie in der bei der Schweizerischen Herzstiftung erhältlichen Broschüre «Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler» sowie auf folgenden Websites  www.evhk.ch  www.cuorematto.ch  www.swissheart.ch/wissen  www.corience.org Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung – auch auszugsweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Herausgeber © Schweizerische Herzstiftung, Elternvereinigung für das herzkranke Kind, März 2013

Schweizerische Herzstiftung Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag

Die Schweizerische Herzstiftung setzt sich dafür ein, dass weniger Menschen an Herz- und Gefässleiden erkranken oder einen Hirnschlag erleiden, Menschen nicht durch eine Herz-Kreislauf-Krankheit behindert bleiben oder vorzeitig daran sterben, für Betroffene das Leben lebenswert bleibt.

Die Elternvereinigung für das herzkranke Kind bietet betroffenen Familien Begleitung und Unterstützung in regionalen Gruppen, aktuelle Informationen und Freizeitangebote für Herzkinder und deren Familien. 67

Schweizerische Herzstiftung xAktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag x x Schweizerische Herzstiftung Schwarztorstrasse 18 Postfach 368 3000 Bern 14 Telefon 031 388 80 80 Telefax 031 388 80 88 [email protected] www.swissheart.ch

Elternvereinigung für das herzkranke Kind Neuhusstrasse 35c 8630 Rüti Telefon 055 260 24 52 [email protected] www.evhk.ch

Die Schweizerische Herzstiftung ist seit 1989 ZEWO-zertifiziert. Das Gütesiegel steht für: • zweckbestimmten, wirtschaftlichen und wirksamen Einsatz Ihrer Spende • transparente Information und aussagekräftige Rechnungslegung • unabhängige und zweckmässige Kontrollstrukturen • aufrichtige Kommunikation und faire Mittelbeschaffung

© Schweizerische Herzstiftung, März 2013

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