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Author: Gotthilf Arnold
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Lebensgeschichten und Lebensträume von Migranten und Migrantinnen in Frankfurt

Berichte, Fotos, Erfahrungen und Konzepte zur pädagogischen Biografie- und Kulturarbeit mit Erwachsenen aus dem Innovationsprojekt „Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens“ Herausgeberin: Katholische Erwachsenenbildung Frankfurt

Bildungswerk Frankfurt

Diese Broschüre entstand im Rahmen des im Jahr 2009 durchgeführten Projekts „Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens“. Projektträger: Katholische Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt Projektpartner: Caritasverband Frankfurt e.V. Amt für Multikulturelle Angelegenheiten Muttersprachliche Frankfurter Gemeinden und Vereine Förderer: Land Hessen, Kultusministerium: Gefördert nach § 19 HWBG (Innovationspool) im Rahmen des Innovationsprogramms 2009 des Hessischen Kultusministeriums Impressum/Herausgeberin/Bestelladresse: Katholische Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt Dr. Hans Prömper (verantwortlich) Haus am Dom Domplatz 3 60311 Frankfurt Tel. 069/8008718-460 [email protected] www.keb-frankfurt.de

Gestaltung: Dipl.-Designerin Andrea Dörn, www.andrea-doern.de

Inhalt

Zum Geleit/Vorwort

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Ein kurzer Überblick über das Projekt: Idee, Partner, Gruppen, Projektphasen, Aktivitäten und Orte

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„SpurenSuche“ – Einblicke in beteiligte Gruppen und Personen Biografiearbeit und künstlerische Produktionen, 9 Kontaktdaten - Malgruppe im Internationalen Seniorentreff OASI / Höchst 10 - Gruppe „Frauentheater“, Portugiesische Frauen Niederrad 14 - Gruppe Kroatische Frauen, 16 Kroatische Gemeinde und Caritas - Behjat Mehdizadeh - Die Biografiearbeiterin (Marokkanische Frauen Niederrad, Interkulturelle Gruppe Gallusviertel, Gruppe Indonesische 20 Krankenschwestern) - Marta Vila, Spanische Frauen Sachsenhausen 22 - Gruppe „Körper & Seele“, 24 Caritas Fachdienste Migration - Gruppe Spanische Frauen und 1 Mann, 26 Rotes Kreuz - Gruppe Spanische Frauen, 28 Spanischsprachige Gemeinde - Gruppe Koreanische Frauen, 30 Caritas Fachdienste Migration - Gruppe Italienische Frauen und Männer, Italienische Gemeinde 32 - Einzelarbeit Französische Gemeinde 35

Biografie- und Kulturarbeit, interkulturelles Lernen, Inklusion: Das Projekt „Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens“ Eine ausführliche Projektbeschreibung

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Migrant/inn/en und ihre Biografien: Ideen und mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Maßnahmen (Ideen aus einer Zukunftswerkstatt) Migrant/inn/en und ihre Biografien: Weitere Gruppen und Personen zum Thema Biografiearbeit und Bildung (Transferprojekt)

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Mitglieder des Bildungswerks sind auch die zahlreichen „muttersprachlichen“ Gemeinden, in denen sich religiöses und soziales Leben von Migrant/inn/en abspielt. Die Bemühungen erfolgten von Anbeginn in einem Netzwerk, das Kompetenzen und Ressourcen bündelte. Erwachsenenbildung, Migrations- und Seniorenfachdienste insb. der Caritas, das Amt für multikulturelle Angelegenheiten, das Referat muttersprachliche Gemeinden der Stadtkirche und zahlreiche Einzelpersonen aus muttersprachlichen Gemeinden wirkten von Anbeginn zusammen, um immer wieder einzelne Projekte zur Förderung der Teilhabe an und durch Bildung zu realisieren.

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Bildung und soziale Teilhabe sind unteilbare Menschenrechte. Gerade auch in Frankfurt am Main. Die Multikulturalität der Metropole des Rhein-Main-Gebiets ist Herausforderung wie Gestaltungsaufgabe zugleich. Diesem hat sich die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) Frankfurt als Einrichtung wertbezogener und lebensgestaltender Bildung im Feld des freiwilligen Lernens des Erwachsener seit langem angenommen. Seit 2000 verfolgt die KEB Frankfurt konsequent eine Strategie der Öffnung ihrer Ressourcen, Unterstützungsleistungen und Bildungsangebote in Richtung der Inklusion der Frankfurter „Migranten“. Dabei motiviert sehr stark, dass – grob gerechnet – jeder dritte Katholik in Frankfurt nicht-deutscher Herkunft ist.

Das Projekt „Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens“ (2009-2010), aus dem heraus die vorliegende Broschüre entstand, ist folglich kein Solitär, sondern es kann auf Vorläuferprojekte zurück blicken: das Projekt „Förderung der Beteiligungsgerechtigkeit von Erwachsenenbildung am Beispiel älterer Migranten“ (2004-2007) , die Ausstellung „Heimat“ im Haus am Dom (2008) oder weitere Kooperationsfelder wie die Fortbildungsreihen „Sozialberatung für Migranten“ und „Wegbegleiter“ für ehrenamtliche Multiplikatoren. Dies alles bildet einen Rahmen und eine Spur der Vernetzung von Akteuren und der Artikulation von Lebensund Lernerfahrungen im öffentlichen Raum der Stadt und der Kirche. Es gehört zu meinen eindrücklichsten Erfahrungen als Leiter des Bildungswerks, hier immer wieder auch die Wertschätzung und Anerkennung, auch die persönlichen Entwicklungsprozesse zu spüren, welche die hier ermöglichten Bildungserfahrungen für die beteiligten Migrantinnen und Migranten bedeuten. So ist hier auch der Ort, den Projektbeteiligten zu danken. Da ist zunächst das hessische Kultusministerium,

Vorwort

welches (nicht nur) das Projekt „Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens“ als Innovation der Weiterbildung nach § 19 des Hessischen Weiterbildungsgesetzes finanziell förderte und dadurch vieles erst konkret ermöglichte. Zu danken ist weiterhin an hervorragender Stelle den Kooperationspartnern des Projekts, ich nenne stellvertretend: Bernhard Zepf (Caritasverband Frankfurt e.V.), Margit Spohner (Amt für multikulturelle Angelegenheiten) sowie Dr. Brigitta Sassin (Fachstelle muttersprachliche Gemeinden der Stadtkirche Frankfurt; auch wenn sie konkret bei diesem Projekt nur im Hintergrund wirkte). Stellvertretend für die vielen am Projekt beteiligten muttersprachlichen Personen danke ich herausragend: Marina Mittländer von der Spanischsprachigen Gemeinde, welche gerade auch mit ihrer reichen Lebenserfahrung viele motivieren konnte; Lála de Brito, welche als Ehrenamtliche immer wieder das praktisch Mögliche erkundete und forderte; Marta Vila, deren Engagement gerade auch in der Phase der Ausstellung allen zu Gute kam. In diesen drei Personen sei zugleich stellvertretend drei Generationen von Einwanderer/inne/n gedankt! Als Koordinatorinnen und als Fachkräfte der pädagogischen Biografiearbeit wirkten Susanne Hesse, Lourdes Guerra, Behjat Mehdizadeh und Birgit Reibel. Die Interviews mit den Gruppen führte Dr. Barbara Brüning. Als Ansprechpersonen der beteiligten Gruppen seien als an dieser Stelle weiter genannt: Drazena Bresic, Ana Maria Crespo de Köhler, Marietta Kim, Rosa MenesesGrohnwald, Donatella Parente. Für die malenden Künstler nenne ich Caterina Lapi (von ihr stammt das Titelbild der Ausstellung) und Giuseppe Venuti. Von ihnen allen habe ich gelernt, wie wichtig der Impuls und der Raum des Lernens für die Gestaltung des Lebens ist – gerade auch nach einem Leben voll Arbeit und Mühen, mit einer oft „bildungsfernen“ Biografie als Migrant und Migrantin.

Die vorliegende Broschüre verfolgt mehrere Absichten. Sie möchte die Lebensleistung Frankfurter Migrantinnen und Migranten exemplarisch darstellen und würdigen. Sie möchte den beteiligten Gruppen und Personen ein Forum der Sichtbarkeit, der Anerkennung und des Dankes sein. Sie möchte interessierten Pädagog/inn/en und Fachkräften der sozialen und pastoralen Arbeit methodische und didaktische Anregungen geben zur Biografiearbeit und zum interkulturellen Lernen. Sie möchte Leserinnen und Leser – Gruppen wie interessierte Einzelne – anregen und bewegen, die in der Dokumentation dargestellten Gruppen und Personen zu Gesprächen, Vorträgen oder interkulturellem Erfahrungsaustausch anzusprechen und einzuladen. Und die Broschüre möchte zu weiteren Projekten motivieren und anregen; dazu empfehle ich Ihnen vor allem auch den Abschnitt „Ideen für Transfermaßnahmen“. Vor allem wünsche ich der Broschüre zahlreiche interessierte und begeisterungsfähige Leserinnen und Leser. Möge der Samen der interkulturellen Bildung und Kommunikation auf weiteren fruchtbaren Boden fallen. Denn das Menschenrecht auf Bildung ist nicht nur unteilbar, es ist vor allem auch vielfältig bereichernd und unser Zusammenleben stärkend.

Ihr

05 Dr. Hans Prömper Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt am Main

Projektträger und -partner Projektträger: Katholische Erwachsenenbildung Bildungswerk Frankfurt Projektpartner: Caritasverband Frankfurt e.V., Abteilung Migrationsdienste Muttersprachliche Gemeinden und Vereine Stadt Frankfurt am Main, Amt für Multikulturelle Angelegenheiten zeitweise beteiligt: Historisches Museum Frankfurt Internationales Familienzentrum Jugendbegegnungsstätte Anne Frank Günter-Feldmann-Zentrum

Unser Ziel „Wir möchten das Leben und die Biografie von MigrantInnen in Frankfurt sichtbar machen – für sie selber wie für andere“

Unsere Idee

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Das ist die Struktur des Projektes: In Biografieworkshops (und anderen Formen der Erinnerungsarbeit) erinnern Migranten aus verschiedenen Nationen und Kulturen ihre Lebensgeschichte und entdecken Schlüsselthemen, die sie dann in eine künstlerische Präsentation (Gemälde/Bild, Foto, Skulptur ...) umsetzen. Die Kunstwerke werden öffentlich ausgestellt und bieten interkulturelle (und intergenerationelle) Lerngelegenheiten (Ausstellung, Begleitveranstaltungen, Dokumentation): Haus am Dom, Frankfurt, während der interkulturellen Wochen 2009.

Projekt "Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens" Projektstruktur / Aktivitäten Das begleitende Bildungsprogramm, die Dokumentation und spätere Transfermaßnahmen bieten vielfältige Gelegenheiten zum interkulturellen Lernen.

Phasen des Projekts 2009 - 2010 - Entwicklung und Angebot biographiegestützter Workshops als moderierte Begleitung über einen begrenzten Zeitraum (Gruppen über mehrere Monate oder Wochenend-Blöcke); Nutzung der Kommunikations- und Vertrauensräume bestehender Gruppen als Medium der Auseinandersetzung; dabei Berücksichtigung verschiedener, den Gruppen angemessener Lernumgebungen [4-9 2009] - Umsetzung biografischer Erfahrungen in ein künstlerisches Projekt als Gruppe [6-10 2009] - Öffentliche Präsentation im Rahmen einer Ausstellung im Herbst 2009 (Interkulturelle Wochen 2.-22.11.2009, im Haus am Dom, in Form von Bildern/Collagen/Fotos/Texten/Lesungen oder Theater), mit Begleitprogramm (Führungen, Erzählcafe, Lesung, Podiumsdiskussion ...) [11 2009] - Auswertung des Projekts und Zukunftswerkstatt zur Entwicklung von Transfermaßnahmen [12 2009 – 2 2010] - Transfermaßnahmen: Übertragung der Ergebnisse in andere Zusammenhänge und Einrichtungen; Übergang von der individuellen Biografie zur kollektiven Biografie von Gemeinden und Gemeinschaften; Planung weiterer interkultureller Bildungsmaßnahmen (u.a. Workshop im Historischen Museum, interkulturelle Reise „Linie 11“, Geschichtswerkstätten, Gewinnung und Qualifizierung von Zeitzeugen aus dem Migrantenmilieu für Schule, Jugendarbeit, Museum …) [3-12 2010]

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Projektsteuerungsgruppe (6-7 Personen) Monatliche Plenumtreffen der beteiligten Gruppen Die Aktivitäten der einzelnen Gruppen Ergänzungsangebot „Bezugsperson“/Projektberatung vor Ort Hilfestellungen (Expertenunterstützung) auf Anfrage: Biografiearbeit, künstlerische Umsetzung, Dokumentation Ton/Bild/Film, Theaterpädagogik, Ausstellungsvorbereitung Ergänzungsangebot Veranstaltungen, Museumsbesuche und Exkursionen (zur Ideengenerierung, zur Kommunikation und Vernetzung): Sommer 2009 Ausstellung mit Begleitprogramm, Lesungen, Führungen ... 2.-22.11.2009 Evaluation, Zukunftswerkstatt, Dokumentation, Transfermaßnahmen … 12/09-12/10

Ergänzende Angebote Sommer 2009 Veranstaltungen und Exkursionen (für Gewinnung von Ideen, zur Kommunikation und Vernetzung). Die MigrantInnen werden einzeln und als Gruppe zu besonderen Terminen „im Rahmen des Projekts“ eingeladen - Museumsbesuche mit Führungen und/oder Gesprächen Historisches Museum, Ausstellung „Von Fremden zu Frankfurtern“ - Jugendbegegnungsstätte Anne-Frank, Ausstellung über Illegale in Deutschland - Städel, Dierk-Schmidt-Installation zu einem Flüchtlingsdrama - Fahrt zur Gedenkstätte „Point Alpha“ (ehem. DDRGrenze), mit Zeitzeugengesprächen Ost-West Dabei werden Zielgruppen bewusst „gemischt“: „Sommerprogramm“, Migrantenprojekt, „Urlaub ohne Koffer“

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SpurenSuche Einblicke in beteiligte Gruppen und Personen Biografiearbeit und künstlerische Produktionen, Kontaktdaten

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SpurenSuche Internationale Malgruppe - OASI Höchst – Internationaler Seniorentreffpunkt In einem Fachwerkhaus in der Altstadt von Höchst trifft sich in einem ehemaligen Ladengeschäft die internationale Seniorengruppe OASI. Einmal in der Woche wird gemeinsam gemalt. Seit März 2009 hat sich eine Gruppe gefunden, die sich zunächst mit Lourdes Guerra mit ihren Biografien auseinandersetzte. Unter der Anleitung von Dschamilja Hergenreder bereitete sich diese Gruppe dann in Maltreffen auf die künstlerische Präsentation im Haus am Dom vor.

Bilder gemalt. Eines für die Ankunft in Deutschland – Ausdruck der Freude –, eines für ihr Leben gemeinsam mit ihrem Mann in Höchst und eines, das für die Trauer und den Abschied von dem Lebensgefährten steht.

„Es war ein hartes und oft sehr emotionales Stück Arbeit“, erzählt Hergenreder. „Viele Erinnerungen kamen hoch, gute und schlechte. Allein das war anstrengend. Aber dadurch, dass die Erinnerung einen künstlerischen Ausdruck finden sollte, musste man versuchen, sie in ein oder zwei ganz zentralen Bildern einzufangen.“ Carmen ist ein gutes Beispiel: Sie kam im Alter von 39 Jahren nach Deutschland. Sie war ihrer großen Liebe, einem Deutschen gefolgt, der sie in Madrid 10 Jahre lang umworben hatte. Dort kannte sie nur ihre Arbeit, lebte bei ihrer Tante „wie eine Arbeitssklavin“. Hier, in Höchst, trug ihr Mann sie auf Händen. Sie gingen viel spazieren und genossen das Leben. Es war eine sehr glückliche Zeit. Bis ihr Mann an Parkinson erkrankte. Vor elf Jahren ist er gestorben. Wenn Carmen davon erzählt, dann hat sie wieder Tränen in den Augen. Nach seinem Tod hat sie sich eingeigelt. Kaum noch Kontakt zur Außenwelt gehabt. Obwohl sie früher ganz gut Deutsch sprach, hat sie nun vieles wieder vergessen. Die zarte Frau hat die Malerei von ihrem Mann übernommen. Er war Hobbymaler und sie hat ihm oft zugesehen. Die Gruppe ist ein Ansporn, auch wieder Deutsch zu sprechen. Für die Ausstellung hat sie drei

Ja, sagt sie, es habe ihr gut getan. Es sei etwas mehr Distanz entstanden zu ihrem Leben. Die anderen Kursteilnehmer sind von ihr ganz begeistert, sie sei so sensibel und aufmerksam. Ihre Bilder, farbenfroh und dezent zugleich, sprechen in Allen etwas an. Sie finde immer etwas Schönes in allen Dingen, sagt Hergenreder. Und sie habe ihrer Liebe zu Höchst Ausdruck gegeben.

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Giuseppina Gueli ist ein ganz anderer Typ. Sie kam mit sechzehn Jahren zusammen mit ihren Eltern nach Deutschland. Sprach kein Wort Deutsch – und es hat sich auch niemand die Mühe gemacht, es ihr beizubringen. Obwohl sie gerne und leidenschaftlich malt – mit starken ausdrucksvollen Farben – hat sie sich dafür entschieden einen Film über ihr Leben in Deutschland zu drehen. „Ich habe eine DVD gemacht“, sagt sie selbstbewusst. Die 63jährige beherrschte die Technik nicht. „Mein Sohn hat mir geholfen,“ erklärt sie. „Ich habe ihm gesagt, dass er es mir beibringen muss.“ Sie hat alle ihre Stationen, die Ankunft, die ersten Jahre in Bergen-Enkheim und später die Pizzeria, die sie mit ihrem Mann in Höchst geführt hat, aufgenommen. „Ich wollte das machen und deshalb musste ich eben lernen, wie man mit der Kamera und dem Programm umgeht“, sagt sie. Und sie fühle, dass ihre Familie sehr stolz auf sie und ihr Leben ist. „Die sagen das zwar nicht, aber ich merke es trotzdem.“ Zum Beispiel daran, dass sie in der Bank in Höchst als Künstlerin begrüßt wird, obwohl sie selbst niemals davon erzählen würde. Nein, ihre Kinder erzählen es allen. Die ganze Familie war bei der Ausstellung, um ihren Film zu sehen. Es war ein gutes Leben, sagt sie. Ich bin stolz darauf. Und man spürt, dass sie eine Kraft in sich entdeckt hat, die kaum noch zu bremsen ist.

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Kontakt Malgruppe OASI, Interkultureller Seniorentreff Frankfurt-Höchst Träger: Caritas Frankfurt Fachdienste für Migration – Team Höchst Königsteiner Str. 8 65929 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Rosa Meneses-Grohnwald Tel. 069/314088-13 (-0) E-Mail: [email protected] migration.hoechst@caritas–frankfurt.de Biografiearbeit: Lourdes Guerra Künstlerisches Medium: Malen

SpurenSuche Internationale Malgruppe - OASI Höchst – Internationaler Seniorentreffpunkt

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SpurenSuche Portugiesische Theatergruppe in Niederrad Die Theatergruppe der portugiesischen Gemeinde ist notorisch gut gelaunt erklärt Lála de Brito. Es ist eigentlich immer gute Stimmung hier. Biographiearbeit machen sie eigentlich immer, fügt sie hinzu. Vielleicht nicht ganz so systematisch wie bei den 10 Treffen zur Vorbereitung der Ausstellung im Haus am Dom. Da wurde ganz konzentriert über die Erfahrung bei der Abreise, bei der Reise und bei der Ankunft gesprochen. Dann haben sie sich für einige Erlebnisse entschieden, die dann als Theaterstück inszeniert wurden. „Ja, damals haben wir viel geweint. Viel zu viel.“ Erinnert sich Marianna Moreira, die mit 23 Jahren mit ihrer Cousine nach Deutschland kam. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meiner Mutter und die Trennung ist ihr sehr schwer gefallen. Aber das ist ja nun vorbei. Inzwischen lebt sie einfach gern in Deutschland. Das erzählt auch Madalena Pinheiro. Sie kam mit 53 Jahren nach Deutschland. 16 Jahre lebte ihr Mann schon hier. Alleine. Dass sie plötzlich auch hier war, das verkrafteten sie nicht. Nach drei Jahren trennten sie sich. „Es war ständig Krieg zwischen uns“, erinnert sich Pinheiro. Aber sie blieb in Deutschland. „Ich habe mich in dieses Land verliebt“, erklärt sie. Merkwürdig: dabei spricht sie nur wenig Deutsch. Sie bekommt auch nur eine kleine Rente. Die frischt sie mit der Aufwandsentschädigung auf, die sie dafür bekommt, dass sie in einem Altersheim demente Frauen betreut. Da spielt Sprache nicht so eine große Rolle. Berührungen und Blicke sagen viel mehr. Pinheiro ist eine Philosophin, erklärt de Brito. Sie schreibe viel. Über alles, was geschieht, was sie erlebt. Und sie liest sehr viel. „Ich bin sehr zufrieden hier“, sagt sie. Ähnlich geht es Silvana de Sousa. Man kann kaum glauben, dass sie am Anfang ihrer Emigration glaubte, die Sprache nie zu lernen. Sie spricht fließend. Und man

sieht ihren schalkhaften Augen an, dass sie viel Freude beim Theaterspielen hat. „Niederrad liegt für mich in Portugal“, sagt sie zur Erklärung. Hier leben viele Portugiesen. Ihr Mann war außerdem Küster in der Gemeinde „Mutter vom Guten Rat.“ So kommt es, dass viele sie kennen, dass sie überall gegrüßt wird. Vielleicht liegt es daran, dass die Arbeit für die Ausstellung weder als besonders schmerzhaft noch als besonders emotional empfunden wurde. Allen ist klar, dass auch ein Leben in Portugal nicht unproblematisch gewesen wäre. Und die meisten kommen zu dem Schluss, dass sie das Leben hier genießen können.

Kontakt Gruppe Frauentheater (Portugiesische Frauen) Träger: Caritas Frankfurt Fachdienste für Migration – Team Stadtmitte Rüsterstr. 5 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Lála de Brito Tel. 069/170024-23 (Bernhard Zepf) E-Mail: [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Lála de Brito Künstlerisches Medium: Film

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SpurenSuche Kroatische Frauen In den „Memory Koffer“ hat sie Hausschläppchen gelegt. Selbstgenähte Hausschläppchen, die ihre Oma ihr für die Aussteuer genäht hatte. Für Ivanka Puljic, die 1984 mit 14 Jahren nach Deutschland kam, stellen sie eine Verbindung zu ihrer Kindheit in Kroatien her. „Meine Oma hat immer Hausschläppchen genäht“, erzählt sie und Drazena Bresic ergänzt: „Man musste immer ein neues Paar zu Hause haben. Wenn nämlich jemand stirbt, dann muss er ein neues Paar Schläppchen angezogen bekommen.“ Sie kann diesen Brauch nicht erklären, aber wie so viele dieser alten Bräuche wird auch dieser geachtet. Bresic erzählt, dass sie noch etwa 20 Paar von diesen Schläppchen zu Hause hat. „Die Motten sind noch nicht ganz durch.“

nach Deutschland kam, wurde eine schöne Zugfahrt versprochen. Die bekam sie auch. Aber man hatte ihr nicht gesagt, dass sie nach Deutschland ging und dass sie sobald nicht wieder nach Hause käme. Ivanka Puljic war schon Jugendliche, als der Rektor in ihre Klasse kam und ihr sagte, sie könne jetzt nach Hause gehen. Er wünsche ihr alles Gute. Die Eltern sagten, ja, sie führen jetzt gemeinsam nach Deutschland. Das war so ungewöhnlich nicht, denn sie und ihre Schwester hatten schon den einen oder anderen Urlaub bei den Eltern in Deutschland verbracht. Nur dass der Rektor ihr alles Gute gewünscht hatte, machte sie stutzig. Und dann gab es kein Zurück mehr. Abschied nehmen musste sie ein Jahr später.

Diese Verbindung zur Vergangenheit, die die Bräuche schaffen, die Erinnerung an Kurioses und Schönes verbindet die kleine Gruppe. Sie treffen sich schon lange in den Räumen der Kroatischen Gemeinde. Zunächst als Eltern-Kind-Gruppe, inzwischen als Besuchsdienst und Organisationskreis für den Seniorennachmittag. Manche kennen sich aus der ersten Zeit ihrer Ankunft in Deutschland, als sie noch Kinder oder Jugendliche waren. Zwischen 1968 und 1990 sind sie im Alter von 7 bis 30 Jahren hierher gekommen. Daher sind ihre Erfahrungen sehr unterschiedlich. Die meisten gehören der zweiten Generation an. Ihre Eltern dachten, sie gingen nur für ein paar Jahre nach Deutschland, bis sie genug hätten für ein Auto und ein Haus. Daher ließ man die Kinder erst mal bei den Großeltern.

Die Arbeit für die Ausstellung hat ein ganz neues Element in die Gruppe gebracht. „Es waren fantastische Treffen. Für jeden Einzelnen war das eine neue Erfahrung. Es ist in der Gruppe viel intensiver geworden. Es ist eine neue Dynamik reingekommen“. erklärt Drazena Bresic. Puljic erinnert sich an die Zeit der Vorbereitungstreffen als sehr intensiv: „Obwohl wir alle Familie haben, hatte keine von uns ein Problem, zweimal in der Woche hierher zu kommen. Und obwohl wir immer nur zwei Stunden vorgesehen hatten, saßen wir oft bis 11 Uhr abends oder sogar länger hier.“ Es sei unglaublich intensiv gewesen. Tränen sind geflossen. „Es war rührend, es war lustig. Es hat sehr viel Spaß gemacht“, bringt Bresic es auf den Punkt.

Viele von ihnen kamen hierher ohne zu wissen, dass sie bleiben würden. Die Eltern wollten wohl Diskussionen und Widerspruch vermeiden. Vielleicht auch den Kindern den Abschied erleichtern, indem sie die Abreise geheim hielten. Drazena Bresic, die mit vier Jahren

Sie haben sich schließlich dafür entschieden, eine Fotocollage zu machen: Persönliche Fotos als visuelles Gedächtnis von Lebensgeschichte, von Augenblicken: das trifft es am meisten. Bresic hatte den Eindruck, dass Augenblicke über Raum und Zeit hinweg transportiert wurden. Die Vergangenheit wurde in den Fotos lebendig.

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18 Sie haben sich dann für drei Wände entschieden: Wo kommen wir her? Wie ist es uns hier ergangen? Wie geht es uns jetzt? Ein verbindendes Element waren Handarbeiten: gehäkelte, gestrickte und geklöppelte Deckchen, die als Hintergrund für die Bilder zuerst an

den Wänden befestigt wurden. Die Oma in Kroatien strickte und häkelte. Und ihre Mutter habe auch hier immer gehäkelt, erinnert sich Puljic. Morgens sei sie extra früher aufgestanden, um noch ein paar Reihen vor der Arbeit hinzubekommen. Sie habe manchmal auch in

SpurenSuche Kroatische Frauen der Straßenbahn an ihren Deckchen gearbeitet. „Das war einfach zur Entspannung.“ Und manche Handarbeiten sind bei den Treffen zur Biografiearbeit entstanden. Daher gehören sie selbstverständlich auf alle drei Wände. Neben den Bräuchen und den Handarbeiten ist noch ein drittes Element aufgetaucht, das alle drei Lebensphasen begleitet. Es kam unerwartet, beim Austausch der Erinnerungen: das Läuten der Kirchenglocken. „Wir kommen alle aus kleineren Orten“, erzählt Ivanka Puljic, „dort ist die Kirche das Zentrum und am Sonntag hören alle das Läuten.“ Gemeinsam haben sie ein Gedicht über die Glocken geschrieben und an ihre Pinnwand gehängt. „Nachdem wir das geschrieben haben,“ erinnert sich die vierfache Mutter, „bin ich auch hier oft stehen geblieben und habe die Glocken gehört - und bewusst zugehört.“ Der Hektik ihres Lebensrhythmus und den vielen Terminen schreibt sie zu, dass sie das vorher gar nicht wahrgenommen hat. Aber sie haben nicht nur über die kroatischen Migranten gesprochen, sondern auch über die vielen anderen Ausländer hier, auf die man bei der Arbeit trifft, die sich alle gegenseitig unterstützen. Es sei innerhalb der Gruppe die Idee entstanden, dass man sich immer mehr als Mensch Europas verstehen sollte. „Wir vernetzen uns ja ständig, wir sind ja auch ständig mit anderen Nationalitäten zusammen.“ Trotz aller Widrigkeiten sei der Tenor gewesen: „Eigentlich bin ich dem Schicksal dankbar, dass ich hier bin. Das ist mit all den Schwierigkeiten, die uns hier begegnen in Ordnung.“ Die Gruppe möchte gerne weiter zusammen arbeiten. Sie könnten sich vorstellen, zusammen mit anderen Gruppen an einem Projekt zu arbeiten. Oder man könnte Themen vorgeben, zu denen Mitglieder ver-

schiedener Gruppen zusammen etwas herstellen, so dass die Gruppen gemischt werden. Themen könnte z.B. „Wohnen in Frankfurt“ oder „Vielfalt in Frankfurt“ sein. „Wo treffen wir aufeinander?“ Wäre auch ein Thema.

Kontakt Gruppe Kroatische Frauen Träger: Kroatische Katholische Gemeinde Niedenau 27 60325 Frankfurt; und Caritas Frankfurt Fachdienste für Migration – Team Stadtmitte Rüsterstr. 5 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Drazena Bresic Tel. 069/170024-11 E-Mail: [email protected] [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Drazena Bresic Künstlerisches Medium: Handarbeiten (Klöppeln), Foto-Text-Collagen, Erinnerungskoffer

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Ein großer heller Raum voller alter Möbel erwartet den Besucher. Ein grünes Sofa und zwei grüne Sessel aus den 60ern. Daneben eine alte Holztruhe mit der Aufschrift „1870“. Auf einem kleinen Tisch steht ein schweres, großes schwarzes Telefon. Es muss eines der ersten Modelle gewesen sein, die in die Haushalte Einzug gefunden haben. „So eins hatten wir zu Hause im Iran“, erinnert sich Mehdizadeh. „Ich habe viele alte Gegenstände hier gesammelt, um den Zugang zur Erinnerung zu erleichtern.“ Hier hat sie sich unter anderem mit der Gruppe der indonesischen Krankenschwestern getroffen. „Ich arbeite gerne mit Fotos aus der Vergangenheit, aber auch mit Dingen, die ein Symbol für ein Erlebnis oder eine Erinnerung sind.“ Anhand von den Gegenständen finden die Teilnehmerinnen einen Draht zu der Erinnerung. Schritt für Schritt nähern sie sich dem Ereignis. Die Suche durchläuft einen Prozess.

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Die indonesischen Krankenschwestern waren etwa 20, 25 Jahre alt, als sie nach Deutschland kamen. Alle sind mit einem deutschen Mann verheiratet. Manche haben schon dort geheiratet, andere erst hier. Gegen Ende der Gruppe waren auch die Ehemänner sehr aktiv dabei. „Ich habe versucht anzuregen, dass sie sich auch in der Familie mit dem Thema beschäftigen“, erklärt Mehdizadeh. Einige Töchter und Söhne haben auch mitgemacht. Manchmal haben die Ehemänner unterstützend eingegriffen und etwas genauer beschrieben. Die Frauen haben dann nicht auf ihrer eigenen Sichtweise beharrt. Die Art wie Art, wie etwas beschrieben wird und für wen man etwas beschreibt, ist wie ein Filter, der die

SpurenSuche Behjat Mehdizadeh – Die Biografiearbeiterin Erinnerungen verändert. Dadurch ist immer ein bisschen Fiktion darin. Es gibt schöne Erinnerungen von früher, die man nutzen kann, weil die Freude Kraft gibt. Wenn man etwas Schwieriges überwunden hat, dann kann man die Strategie von damals für heutige Probleme nutzen. Nach dem Erzählen hat Mehdizadeh die Frauen aufgefordert, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Jede hat für sich geschrieben. Mehdizadeh hat die Texte überarbeitet, gelobt, gefördert, aufgefordert, genauer zu beschreiben. Schließlich haben sie alle ihre Texte vorgelesen. „Da sind dann auch schon oft die Männer mitgekommen zu den Treffen.“ Für die öffentliche Lesung im Haus am Dom hat Mehdizadeh eine Schauspielerin eingeladen, damit die Aussprache und das langsame Lesen geübt werden konnte. Das Erinnern durch Texte zusammen mit dem Ehemann und dem Kind oder den Kindern war noch einmal etwas ganz besonderes. Man konnte beobachten, wie sich die Erinnerung durch das gemeinsame Gespräch verändert. Der Mann sagte etwa, sie habe sich nicht richtig erinnert, und wollte sie verbessern. Aber es galt darauf zu achten, dass jeder selbst Herr über seine Erinnerung ist, sich da nicht dreinreden zu lassen. Insgesamt haben die Frauen sehr an Achtung gegenüber sich selbst gewonnen. Es war ihnen oft gar nicht klar, über welche Fähigkeiten sie verfügen. Es war ihnen nicht bewusst, welch schwierige Situationen sie schon gemeistert hatten. „Meine Güte, was bin ich für einen Weg gegangen.“ „Ich wusste nicht, dass meine Geschichte für andere Leute so interessant sein kann!“ Eine Tochter, 23jährig, hat spontan eine Power Point Präsentation über Indonesien für die Ausstellung gemacht.

„Ich habe die Familien etwas beobachtet während der Ausstellung. Ich glaube, die Kinder und die Ehemänner haben ihre Mütter bzw. Ehefrauen noch nie in so einer Situation erlebt. Vieles war auch für sie neu.“ „Wir haben ihre Kinderlieder auf deutsch und auf indonesisch gesungen. Das haben wir auch nach der Präsentation im Haus am Dom gesungen. Ich würde das gerne auch in einem familiären Rahmen fortsetzen.“

Kontakt Gruppe orientalische Frauen Niederrad Gruppe indonesische Frauen Interkulturelle Gruppe im Gallus Träger: Caritas Frankfurt, Fachdienste für Migration – Team Stadtmitte Rüsterstr. 5 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Bernhard Zepf Tel. 069/170024-23, E-Mail: [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Behjat Mehdizadeh ([email protected]) Künstlerisches Medium: Kurzgeschichten, Gedichte, Erinnerungsvitrinen, Erinnerungskoffer, Powerpoint, Singen

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Marta Vila ist 43 Jahre alt und lebt seit 19 Jahre in Deutschland. In England und Schweiz lernte sie Sprachen und arbeitete dann in Barcelona als Rezeptionistin in einem Architekturbüro und übersetzte. 1990, aus beruflichen Gründen, kam sie nach München. Kurz darauf wurde ihre erste Tochter geboren. Sie arbeitete für eine Fluggesellschaft und übersetzte in München und Berlin. 1997 machte sie ihr Diplom als Modestylistin. Sie arbeitete dann als Image Consultant und Übersetzerin. 2004 bekam sie in München ihr zweites Kind und seit 2007 lebt sie in Frankfurt. Sie wurde vom kollektiv „Mujeres“ angesprochen, um miteinander für das Projekt „Spuren Suche“ zu arbeiten. Allerdings waren ihre Vorstellungen von Kunst nicht zu vereinbaren, so dass Marta Vila beschloss alleine weiter zu arbeiten. Sie funktionierte kurzerhand ihr Esszimmer zu einem Atelier um. “Kunst und Biografie – bei diesem Thema habe ich Feuer gefangen“, erinnert

sie sich heute. Und es waren die Aussagen von Susanne Hesse, die sie motiviert haben, immer weiter zu machen. Für die Ausstellung hat sie mit zwei verschiedenen Materialien gearbeitet. Zunächst mit Ton. „Die Erde, das ist der Ton. Ich stehe darauf. Mein Leben steht darauf“, sagt Marta Vila. Faustgroße Tonstücke hat sie mit der Hand zusammengepresst bis sie nur noch etwa fingerdick waren und die Abdrücke der Hand festhielten. In ein schmales Ende hat sie ein Loch gebohrt. Nach dem Brennen hat sie mit einer Heißpistole ein Seil in diesen Löchern befestigt. Jedes Stück, das sie Perle nennt, hat eine ganz eigene Form. Es kommt ganz auf den Zeitpunkt und die Stimmung an, in der es entsteht. Manche hat sie auch ohne Löcher und Befestigung einfach in einem Kreis spiralförmig ausgelegt. Die „Perlen“ sehen von einer Seite aus wie zarte Knöchelchen und wirken sehr fragil. Die Arbeit sei für sie eine Zeit der Reflexion gewesen, in der sie über den Weg

SpurenSuche Marta Vila und ihre Schwierigkeiten nachgedacht habe. „Meine Reflexion in Form von diesen Taktil-Perlen ging in zwei Richtungen: sie zeigen einmal das Knochige und einmal das Weiche.“ Daher legt sie eine Spirale aus Perlen mit der weichen Seite nach oben, und darauf eine Spirale in die andere Richtung mit der knochigen Seite nach oben. Eine große Anzahl der Perlen mit den Seilen hat sie zusammengebunden und an die Wand gehängt. Ein anderes Projekt war die Arbeit mit Haushaltsfolie. „Die Folie ist etwas Alltägliches.“ Und es hat sie fasziniert, dass sie in etwas so Alltäglichem ein Ausdrucksmittel gefunden hat: „Es war nur die Frage, welche Energie ich da rein stecke.“ Hier hat sie sehr viel experimentiert. Mit einem Feuerzeug kann man die Folien erhitzen, so dass sie aneinander kleben und ein Teppich entsteht. Man kann auch mehrere Schichten aufeinander kleben, so dass der Teppich dicker wird, wie Parkett. Sie hat zentimeterdicke Quadrate geklebt und diese dann aneinandergefügt. „Ich habe auf dem Boden gekniet und mit einer Küchenrolle gearbeitet“, beschreibt die Künstlerin ihre Arbeitsweise. Ein anderes Mal hat sie die Folie aufgerollt. In der Mitte ein großes Loch, sieht auch das aus wie eine überdimensionale Perle. Im Sonnenlicht glänzt die HaushaltsfoliePerle wie ein außerirdisches Objekt. Im Gegensatz zu den Arbeiten der anderen Gruppen hat sie nicht den Anspruch, Aspekte ihres Lebens für andere lesbar und erkennbar darzustellen. „Für mich waren alle Aspekte in dem, was ich gemacht habe“, erklärt sie. Während des Rollens seien ihr all die Aspekte, die die anderen wie in einem Bilderbuch dargestellt haben, in den Sinn gekommen. „Und die Nostalgie war vielleicht nicht eine der stärksten. Sondern meine Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Und dass ich manchmal doppelt so gut sein musste wie eine Deutsche.

Man kann nicht direkt in meiner Arbeit lesen. Manche Leute werden es als rein ästhetischen Ausdruck ansehen. Für mich zählt der Prozess, dieses Drehen. Alle diese Gedanken stecken in diesem Rollen.“ „Ich habe an Grenzüberschreitung gedacht. Ich meinte die Grenzen der Länder. Aber auch meine eigene. Man sprengt die Grenzen und setzt sich damit auseinander. Grenzen der Haushaltsfolie. Ich habe einfach immer weiter gemacht. Ich habe diese Grenze geknackt. Endlich mal konnte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen. Ich bin so dankbar für diese Chance.“ Und dieser lange Prozess des Rollens und Durchknetens der Vergangenheit führt schließlich zu einem positiven Resumé: „Ich bin sehr gerne Gast hier. - Mein Gastland ist mein Zuhause geworden.“ Und sehr entschieden sagt sie, dass sie den Weg mit der Kunst auf jeden Fall weiter verfolgen möchte. „Ich hoffe, dass es noch die Möglichkeit gibt, die Exponate woanders zu zeigen.“

Kontakt Spanische Frauen: Marta Vila / Gruppe Mujer es Ansprech-/Kontaktperson: Marta Vila Schwanthaler-Str. 59, 60596 Frankfurt E-Mail: [email protected] Künstlerisches Medium: Ton und Folie

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SpurenSuche Körper und Seele Spanische und Portugiesische Frauen: Yoga- und Meditationsgruppe Vier Frauen sitzen entspannt mit Lála de Brito im Kreis. Ihr Blick ist noch ganz woanders und es dauert einen Moment, bis sie wieder ganz hier in Frankfurt angekommen sind. Zum Teil kommen sie schon seit zehn Jahren Woche für Woche hierher und treffen sich zur Entspannung und zur Meditation. Sie kommen aus Spanien und Portugal und sind schon sehr lange in Deutschland. Aber über ihre Emigration haben sie selten gesprochen. Eher über die aktuellen Probleme. Maria Paz Romero hatte noch ganz scharfe Bilder vor Augen, wenn sie an ihre erste Reise nach Deutschland dachte. Aber sie waren so bizarr, dass sie sich manchmal nicht sicher war, ob alles nicht nur ein Traum war. Erst in den Gesprächen zur Vorbereitung der Ausstellung wurden diese Erlebnisse zum Thema. Und sie konnte beruhigt feststellen, dass sie nicht geträumt hat, dass alles genau so geschehen ist, wie sie sich daran erinnert. Tatsächlich fühlt man sich bei ihrer Erzählung an einen traumatischen surrealistischen Film erinnert. Damals, anfangs der 60er Jahre hatte das deutsche Arbeitsamt Außenstellen in Spanien und Portugal. Wer nach Deutschland ausreisen wollte, musste vorher ein Attest von seinem Hausarzt vorweisen. Aber das genügte den Deutschen nicht. Es gab deutsche Ärzte, die die Frauen noch einmal untersuchten. Dazu wurden mehrere Frauen in einen Raum geschickt. Zehn Frauen mussten sich zusammen nackt ausziehen und wurden dann untersucht. Der Arzt war für spanische und portugiesische Verhältnisse riesengroß. Die Frauen geben zu, dass er vielleicht noch größer schien als er tatsächlich war, weil sie die Situation allein schon als furchteinflößend empfanden. Romero erinnert sich insbesondere an einen Podest, zu dem eine kleine Treppe führte, auf dem der Arzt stand, um von dieser höheren Warte seine Anweisungen zu erteilen. Nur wer diese penible Untersuchung bestand,

durfte nach Deutschland ausreisen. Wegen Allergien oder Hautausschlag wurde man abgelehnt. Manche mussten auch erst eine Zahnbehandlung über sich ergehen lassen. Man bekam dann allerdings noch zu Hause einen Arbeitsvertrag und einen Platz in einem Wohnheim und eine Zugfahrkarte. Damit man bei eventuellem Umsteigen auch richtig weiter geleitet wurde, bekam jede der Glücklichen einen Zettel mit einer Nummer (und den Angaben der Firma, für die man arbeiten sollte) umgehängt, die man während der Fahrt anbehalten sollte. Beim Umsteigen in Köln, erinnert sich Romero, wurden die Fahrgäste dann anhand der Nummern sortiert und in die weiterführenden Züge gesetzt.

Kontakt Gruppe „Körper und Seele“ Träger: Caritas Frankfurt Fachdienste für Migration – Team Stadtmitte Rüsterstr. 5 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Lála de Brito Tel. 069/170024-23 (Bernhard Zepf) E-Mail: [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Lála de Brito Künstlerisches Medium: Film

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SpurenSuche Spanische Frauen und ein Mann – Rotes Kreuz Marina Mittländer und Felisa Fernandez (74) Die Gruppe hat erzählt und einen Koffer zusammengestellt. Eine Collage gemacht. „Wir sind an unsere Grenzen gekommen“, erzählt Mittländer, „es waren die Grenzen dessen, was wir ausdrücken konnten und wollten“. Sie selbst habe schon öfter Biographiearbeit gemacht und wisse daher, dass man jedes mal ein Stückchen weiter komme. Dass man jedes Mal mehr Gefühle zulassen kann. Manche in der Gruppe hatten Angst vor diesen Gefühlen und sind nicht wieder gekommen. „Um die Angst zu verlieren, muss man sehr viel sprechen. Es hat uns alle viel Kraft gekostet. Aber es hat auch Kraft gegeben.“ „Ja, es ist die Realität, wir sind mit Träumen gekommen. Wir waren jung und da träumt man. Und es war vor allem der Traum von der Rückkehr. Aber spätestens dann, wenn die Eltern gestorben sind, ändern sich die Träume. Ich (Mittländer) bin hier reif geworden. Ich bin hier erwachsen geworden.“ „Ich (Fernandez) bin mit Frankfurt eng verbunden. 1963 als ich hierher kam, da war das Hotel Interkontinental das höchste Gebäude in Frankfurt. All die Hochhäuser die standen noch nicht. Ich habe miterlebt, wie Frankfurt gewachsen ist und sich verändert hat. Ich bin für sechs Monate hierher gekommen. Aber dann hatte ich kein Geld für die Rückfahrt und bin länger geblieben. Bis heute. 23 Jahre habe ich im Interconti gearbeitet. Später als Hausdame. Wir sind in einer Gruppe von jungen Leuten gekommen. Wir hatten viel Spaß – aber unterschwellig war schon auch ein mulmiges Gefühl dabei: wir gehen ins Unbekannte. Vor allem mit dem Essen, das war schwierig am Anfang. Wir bekamen im Hotel unser Essen. Einmal gab es Pellkartoffeln. So was kannten wir aus Spanien überhaupt nicht. Das gab's da nur für Schweine. Wir waren empört und haben den Chef rufen lassen. Der hat

uns alles erklärt.“ Wenn man sich mit anderen Kulturen auseinander setzt, dann ändert sich auch der Blick auf die eigene Kultur. „Wir wollten mit dem Inhalt unseres Koffers auch zeigen, wie wir uns verändert haben. Neben dem spanischen Kochbuch liegt ein deutsches. Und Rheumacreme haben wir dazu gelegt. Wir sind alle älter geworden. Eine deutsche Landkarte, ein Flugticket. Pendeln ist unser Schicksal. Bis heute.“ „Ich (Mittländer) habe meine Freiheit hier – so wie ich sie in Spanien nie gehabt hätte. Aber ich musste auch die ganze Verantwortung tragen. Ich musste mich mit Kultur und Religion auseinander setzen. Weil nichts mehr selbstverständlich war.“

Kontakt Spanische Seniorengruppe Rotes Kreuz Träger: DRK Ortsgruppe Frankfurt 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Marina Mittländer Tel. 069/575252 Leitung/Biografiearbeit: Marina Mittländer, Lourdes Guerra Künstlerisches Medium: Gruppenarbeit Foto-Text-Bild-Collage, Erinnerungskoffer

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SpurenSuche Seniorentreff der Spanischsprachigen Gemeinde Die Frauen im Seniorentreff sind beschäftigt. Der Tisch wird gedeckt. Kekse kommen auf den Tisch. Kaffee wird gekocht. Einmal in der Woche treffen sie sich zum Reden. Zum Erfahrungsaustausch. Jetzt war eine Weile Pause, weil Marina Mittländer in Spanien war. Ana Maria Crespo de Köhler, ebenfalls Ehrenamtliche der Spanischen Gemeinde, ist auch dabei. Marinas Reise nach Spanien wird zum Anlass, über die Erfahrungen mit Spanien zu sprechen. Genoveva Suarez hat noch eine ganz besondere Erfahrung. Sie hatte sich entschlossen, nach Spanien auszuwandern. Herrlich dachte sie sich, den ganzen Tag am Meer entlang zu promenieren. Im Café zu sitzen und den Leuten zusehen. Zu Hause sein. Heimat. Nach drei Wochen wurde es langweilig. Nach sechs Wochen fiel ihr ein, dass es in Frankfurt den Main gibt. Da kann man auch wunderschön entlang spazieren. Und es gibt Bänke, da kann man sitzen und die Leute beobachten. Und selbst das Treppenhaus in ihrer alten Wohnung, das sie gehasst hatte, weil sie es so oft hatte putzen müssen, es schien ihr plötzlich seinen ganz eigenen Charme zu haben. Und nach sieben Wochen, war sie wieder zurück in Frankfurt. Sogar in ihre alte Wohnung konnte sie wieder einziehen. Tja. Die anderen bestätigen ihre Erfahrung. Alle sind sie in dem Alter, in dem man so lange Urlaub machen kann, wie man will. Aber sechs Wochen sind allen eindeutig genug. Dann zieht es sie wieder nach Frankfurt. Kein Wunder, haben sie doch länger hier gelebt als in der „ersten Heimat“. Die Erinnerung an die Abreise und an die erste Zeit hier ist dennoch sehr schmerzlich gewesen. Natürlich kennen sie sich schon lange. Sie sprechen oft über ihre Erfahrungen hier. Der Mann stirbt, man lebt alleine. Die Kinder gehen weg, manche leben im Ausland. Aber „zu Hause“ ist auch nichts mehr wie früher. Die Freunde

sind hier. Bei der Erinnerung an die erste Zeit sind viele an ihre Grenzen geraten, erzählt Mittländer. Aber es hat allen gut getan. Es hat sie letztendlich doch in dem Gefühl bestärkt, dass es ein guter Schritt war. Und das Wissen, dass sie so viel verdient haben, dass sie nun jederzeit nach Spanien fahren können, dort den Urlaub genießen können, macht sie zufrieden. Das Herz bleibt geteilt. Aber es ist nicht weniger, es ist mehr, was sie nun haben. Diese Einsicht ist geblieben.

Kontakt Seniorengruppe der Spanischsprachigen Gemeinde Träger: Spanischsprachige Katholische Gemeinde Thüringer Str. 35 (Allerheiligen) 60316 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Marina Mittländer, Tel. 069/575252; Ana Maria Crespo de Köhler, Tel. 069/506457 E-Mail: [email protected]; bzw. [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Marina Mittländer, Ana Maria Crespo de Köhler Künstlerisches Medium: Gruppenarbeit Foto-Text-Bild-Collage

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Für die Ausstellung haben sie Origami Blüten gefaltet und daraus eine Karte von Korea gebildet. Die Blüte des Hibiscus syriacus, auch Sharonblume genannt, ist die Nationalblume von Korea. Die meisten Teilnehmerinnen der Gruppe sind ehemalige Krankenschwestern, die in den 60er Jahren nach Deutschland kamen. Sie wurden von der Regierung angeworben, weil hier ein akuter Mangel an Krankenschwestern herrschte. Ok-Ja Shin ist eine von ihnen. Mit 29 kam sie nach Deutschland. Sie war in Korea verheiratet und hatte zwei Kinder. Es war der Traum vom eigenen Häuschen, den man sich von dem Geld zu erfüllen hoffte, der sie ins Ausland trieb. Aber auch eine Prise „Abenteuerlust und Neugier.“ Und der Wunsch, noch mal etwas ganz anderes zu erleben. „Ja, wir waren auch ein bisschen modern“, sagt sie. Allerdings kam dann alles ganz anders: Da gab es eine Witwe, die sich um den Haushalt ihres Mannes kümmern sollte. Sie nahm ihre Aufgabe offenbar ernster als geplant. Die beiden wurden ein Paar. Shin ließ sich scheiden und blieb allein in Deutschland.

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Jeden dritten Mittwoch im Monat treffen sich etwa 15 Frauen aus Korea in den Räumen der Caritas im Westend. Leiterin ist die ehemalige Caritasmitarbeiterin Marietta Kim. Die Themen der Treffen vereinbaren die Frauen gemeinsam zum Jahresbeginn. Manchmal geht es um Kunst oder Musik, manchmal werden Ausflüge organisiert. Stets wird ganz nebenbei viel Lebenspraktisches vermittelt.

Ihr gefiel das unabhängige Leben. Später ließ sie ihre Tochter nachkommen, beantragte die Staatsbürgerschaft und wurde selbst Deutsche. Den Sohn wollte ihr Mann auf jeden Fall bei sich behalten. Als die Tochter hier war, stand auch für sie endgültig fest, dass sie hier bleiben würde. Sie sollte hier ihre Ausbildung machen. „Am Anfang hatte ich Heimweh“, erinnert sie sich. „Aber jetzt nicht mehr. Wir fahren ja auch oft nach Hause, mein Sohn lebt dort. Hier ist meine zweite Heimat.“ Dort zu leben komme nicht in Frage. Das Leben sei ihr zu hektisch, erzählt sie. Alles drehe sich um Arbeit.

SpurenSuche Koreanische Frauen – Caritas Sie malt sehr gerne und viel, interessiert sich für Kunst. Für die Ausstellung im Haus am Dom hat sie selbst einige Bilder beigesteuert. Die 68jährige pflegt einige östliche Traditionen. Eine Frau aus der Gruppe hat Origami, die Kunst des Papierfaltens unterrichtet. Es sei unglaublich entspannend, berichtet Shin. „Außerdem mache ich jeden Morgen eine halbe Stunde Yoga und Tai-Chi.“ Manchmal, sagt sie, mache sie morgens ganz früh einen Kopfstand im Park und beobachte die Leute aus dieser Perspektive. Den Park hat sie gemalt mit ihr selbst auf dem Kopf stehend – und den Raben. Ok-Cha Elsenheimer ist keine Krankenschwester. Sie kommt aus einer Kaufmannsfamilie. Über ihre ältere Schwester hat sie ihren zukünftigen Mann mit 25 kennengelernt. Ihre Familie wollte sie nicht gehen lassen. Eigentlich hatte sie geplant nach Amerika auszuwandern. Sie wollte etwas von der Welt sehen. Das war schon immer ihr Traum. Da ihre Eltern das niemals erlaubt hätten, war sie darauf eingestellt, eines Tages von zu Hause wegzulaufen. Dann aber setzte ihr Mann sich durch – sie heirateten und gingen gemeinsam nach Deutschland. Hier fühlte sie sich in den ersten Jahren sehr fremd. In den ersten Jahren habe sie oft gedacht: „Oh mein Gott, was habe ich da getan.“ Sie hatte den Eindruck, alle würden sie auf der Straße ansehen. Manchmal hörte sie, dass die Leute sich darüber unterhielten, ob sie wohl Japanerin sei. Ihr Mann war jedoch sehr geduldig und einfühlsam. Er hat sie an der Bachschule angemeldet, damit sie erst mal die Sprache lerne. Er nahm sie viel mit auf Reisen, sie lernte Deutsch und mit den Jahren wurden Ausländer aus allen möglichen Ländern in Frankfurt so selbstverständlich, dass niemand sich mehr nach ihr umdrehte. Dann bekam sie zwei Kinder, die inzwischen auch

schon selbständig sind. Sie ist ehrenamtlich seit 19 Jahren zwei- bis dreimal in der Woche im Altenheim tätig. Die 63jährige ist froh darüber, anderen helfen zu können. „Ich gucke nicht nach oben und nicht nach unten. – Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“ Heute fährt sie alle paar Jahre nach Korea in Urlaub. Ihr Mann möchte dort nicht leben und deshalb steht es nicht zu Debatte zurückzugehen. Ihr hat es gut gefallen, etwas gemeinsam in der Gruppe zu produzieren. „Ich habe keinen Mut etwas eigenes zu machen“, – aber in der Gruppe würde sie gerne noch einmal mitmachen.

Kontakt Gruppe Koreanische Frauen Träger: Caritas Frankfurt Fachdienste für Migration – Team Stadtmitte Rüsterstr. 5 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Bernhard Zepf Tel. 069/170024-23, E-Mail: [email protected] bzw. [email protected] Leitung/Biografiearbeit: Marietta Kim Künstlerisches Medium: Origami, Malen, Text-Bild-Collage

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Diese Gruppe von fünf bis sieben (ein Ehepaar war zur Zeit des Interviews im Urlaub) Frauen und Männern italienischer Abstammung ist zusammen gekommen, um sich mit ihren Biografien zu beschäftigen und etwas für die Ausstellung herzustellen. Donatella Parente, die Pastorale Mitarbeiterin, hat sie nach dem Gottesdienst angesprochen und gefragt, ob sie nicht mitmachen wollten. „Es war schön für die Leute, etwas von sich zu zeigen“, erzählt Parente. Sie trafen sich fünf- bis sechsmal und sprachen über ihre Lebensgeschichten. Später kam die Theaterpädagogin Birgit Reibel hinzu und sie haben gemeinsam kleine typische Szenen aus ihrem Leben ausgewählt und dargestellt. Diese wurden mit Video aufgezeichnet. Zwei Personen haben Bilder für die Ausstellung gemalt.

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Giuseppe Venuti liest sein Leben als Erfolgsgeschichte. Er verließ sein Heimatdorf mit 19 Jahren – nicht aus finanzieller Not. Er wäre in jedem Fall weggegangen, sagt er. Wenn nicht nach Deutschland, dann vielleicht in den Norden Italiens. Es war die Enge des Dorfes, die er unerträglich fand. Seine Eltern, Landwirte, die das Land mit primitiven Werkzeugen bestellten, ließen ihn das Schuhmacherhandwerk lernen. Sie erhofften sich, dass er zu Hause bleiben und sich um sie kümmern würde. Sie ließen ihn nicht gerne gehen. Im Schwarzwald wurde er nach Jobs Taxifahrer. Bis er sich in ein deutsches Mädchen verliebte. Ihr folgte er in ihre Heimatstadt Frankfurt und fing dort noch einmal ganz von vorne an. Schließlich arbeitete er 33 Jahre in der Druckerei des Deutschen Reisebüros, war über 20 Jahre im Betriebsrat aktiv. Brachte das Bocciaspiel nach Frankfurt und wurde mehrmals Deutscher Meister. Durch Zufall hat er vor wenigen Jahren das Malen entdeckt. Als Hobbymaler ist er sehr erfolgreich und hat schon mehrere Einzelausstellungen hinter sich.

SpurenSuche Italienische Frauen und Männer Die Biografiearbeit hat ihn sehr gerührt. „Ich habe oft geweint“, gesteht der 68jährige. „Es war neu. Es hat mich sehr berührt.“ Es seien Freudentränen gewesen, sagt er: „Meist war es Freude darüber, dass alles so gut gelungen ist.“ Er habe viele Sachen wieder entdeckt: „Ich habe z.B. eine Öllampe von zu Hause mitgebracht, an die ich gar nicht mehr gedacht habe.“ Rodolfo Catapano bringt seine erste Fahrkarte, mit der im Mai 1961 von Neapel nach Heilbronn gefahren ist. Für alle Stationen seines Lebens hat er ein Foto herausgesucht, denn es ist ihm wichtig zu zeigen, dass es „wirklich“ so war. Eine Kopie seiner ersten Überweisung an seinen Vater vom 26.6. 1961 ist auch fein säuberlich aufgeklebt. Über zwanzig Jahre hat er jeden Monat Geld an seine Familie in Italien geschickt. Sein Vater starb 1963. „Ich bin stolz darauf, was ich geschafft habe.“ Ihn haben die Sprachen fasziniert. In Heilbronn begann er für die Amerikaner zu arbeiten und lernte Englisch. Einem deutschen Mädchen folgte er nach Frankfurt. Schon verlobt, scheiterte die Beziehung an der Religion: sie war Methodistin und ihr wurde eine Ehe mit einem Katholiken nicht erlaubt. Später machte er Karriere – brachte es zum Manager. Und arbeitete die letzten Jahre als internationaler Reiseführer. Nebenbei hat er neapolitanische Feste organisiert und als Conferencier moderiert. Das macht er auch heute noch. Stundenlang habe er Fotos rausgesucht und kopiert, erzählt Catapano. Die Arbeit hat ihm sichtbar viel Freude gemacht. Auch von den Videoaufnahmen erzählt er mit echter Begeisterung. Niemand habe sich beschwert, Szenen wieder und wieder zu spielen. Einen Samstag seien sie von elf bis 18 Uhr beschäftigt gewesen. Daher ist die Enttäuschung groß, dass die Aufnahmen „nichts geworden“ sind.

Ganz anders ist die Geschichte von Carmela Capillo (63). Sie kam als 14jährige zusammen mit ihren Eltern nach Deutschland und hat mit 18 geheiratet. Ihr Mann hatte den festen Plan, nach Sizilien zurückzugehen. Er hatte dort angefangen, ein Haus zu bauen und wollte nur hier bleiben, bis die Schulden bezahlt wären. Nach fünf Jahren in Sizilien mussten sie allerdings wieder aufbrechen, denn er fand dort keine Arbeit. Mit inzwischen vier Kindern gingen sie nach Saarbrücken. Dort eröffneten sie eine sehr erfolgreiche Pizzeria. „Nach fünf Jahren haben wir ein Haus gekauft. Dann haben wir ein Haus mit Lokal gekauft.“ „Am Ende bin ich wieder genauso weit wie am Anfang, als ich nach Deutschland gekommen bin“. Inzwischen ist sie allerdings geschieden. Ihr Mann hatte eine andere Frau. Sie verließ alles und hat sich um Finanzielles nicht gekümmert. Während ihr Mann weiterhin in Saarbrücken lebt, ist sie nach Frankfurt, der ersten Station auf ihrem Weg aus Italien, zurückgekehrt. Sie ist allein, keines ihrer Kinder ist in der Nähe. Sie wirkt depressiv, da es ihr zudem gesundheitlich nicht gut geht. „Allen Kindern geht es gut, allen geht es gut – nur mir geht es nicht gut. Ich bin stolz auf das, was ich gemacht habe. Wenige Leute haben soviel erreicht, wie ich. Aber was nützt mir der Stolz – ich lebe jetzt in zwei Zimmern. Alles was ich gemacht habe, war für die anderen.“ Sie würde auch nach Italien zurückgehen, aber seit ihre Mutter gestorben ist, kennt sie dort niemanden mehr. Alle Freunde und Verwandte haben die Stadt verlassen. Wenn sie aber von Catapano, den sie schon lange kennt, auf ihre Aktivitäten als Tänzerin angesprochen wird, dann sprüht noch einmal Feuer aus ihren Augen. Sie zeigt, wie sie sich zu den Sizilianischen Volkstänzen bewegt und sieht temperamentvoll und lebendig aus. „Ja“, sagt sie, „ich bin stark und habe viel Temperament, aber jetzt habe ich keine Kraft mehr.“ In der

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SpurenSuche Italienische Frauen und Männer Biografiearbeit konnte sie das eine Zeitlang vergessen und zu alten Kraftquellen zurückkehren. Es habe ihr Spaß gemacht, sagt sie rückblickend. Beim Theaterspiel, „da hat sie gelacht“, erzählt Catapano. „Sie hat geblüht, wie ein junges Mädchen“, fügt Venuto hinzu. Eine ähnliche Kraftquelle war das Projekt für Caterina Lapi, die das Titelbild für das Begleitheft zur Ausstellung gemalt hat. Beim Treffen meldet sie sich selbstbewusst zu Wort und bringt ihr Anliegen vor. Zum Schluss sagt sie, dass bei aller Kritik an der Organisation doch eines nicht zu verachten sei: „Ohne diesen Workshop hätte ich niemals den Mut gefunden, mich hier zu Wort zu melden.“

Kontakt Italienische Katholische Gemeinde Bettinastr. 26 60325 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Donatella Parente Tel. 069/550110 E-Mail: [email protected] Giuseppe Venuti, E-Mail: [email protected]

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Biografiearbeit: Donatella Parente Theaterpädagogik: Birgit Reibel Künstlerisches Medium: Malen, Theater, Video, Powerpoint

SpurenSuche Einzelarbeit Französischsprachige Gemeinde

Das Bild verbindet Elemente der bretonischen Heimat mit dem Neuen der Großstadt Frankfurt: Crepes statt Hammering Man, der Dom ähnelt Sacre Coeur in Paris, die bretonische Flagge weht in der Main-Metropole.

Kontakt Französischsprachige Gemeinde Oeserstr. 126 65934 Frankfurt Mitwirkung: Morgane Lirzin E-Mail: [email protected] Künstlerisches Medium: Malen

0. Zusammenfassung „Das Leben und die Biografie von Migranten in Frankfurt sichtbar machen – für sie selber wie für Andere.“ Das ist die Grundidee. In Biografieworkshops, Museumsbesuchen, Lesungen und Erzählcafes erinnerten Migrant/inn/en aus verschiedenen Nationen und Kulturen im Verlauf des Jahres 2009 ihre Lebensgeschichten und entdecken Schlüsselthemen, die sie dann in künstlerische Präsentationen (Gemälde/Bild, Foto-Collagen, Theater, Filme, Kurzgeschichten ...) umsetzten. Die Kunstwerke wurden im Rahmen der Frankfurter Interkulturellen Wochen im Haus am Dom öffentlich präsentiert und boten – mit verschiedenen Begleitveranstaltungen interkulturelle (und intergenerationelle) Lerngelegenheiten. In Auswertungsgesprächen und einer Zukunftswerkstatt wurden Transfermaßnahmen entwickelt, welche ab 2010 neben einer pädagogischen Verstetigung und Umsetzung der Erfahrungen vor allem auch auf das kollektive Gedächtnis zur Migrationsgeschichte zielen.

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1. Vorgeschichte und Kontext Die Katholische Erwachsenenbildung Frankfurt verfolgt seit etwa 10 Jahren ein Konzept der Öffnung und Vernetzung im Blick auf Bildungsbenachteiligte und Migranten, das vor allem durch die Mitwirkung an bundes- und landesweiten Innovations- und Organisationsentwicklungsprojekten angestiftet, praktiziert, evaluiert und reflektiert wurde.1 Das aus dem Innovationspool der Weiterbildung in Hessen geförderte Projekt "Förderung der Beteiligungsgerechtigkeit in der allgemeinen Erwachsenenbildung am Beispiel älterer MigrantInnen" (2004-2007) war mit seinen Erfahrungen, Vernetzungen und Kooperationsstrukturen Ausgangspunkt vielfältiger Bemühungen, trägerübergreifend neue Wege in der Bildungsarbeit mit Migranten und Migrantinnen zu entdecken und zu gehen. Daraus entwickelten sich größere und kleinere Kooperationsprojekte verschiedener Art und in verschiedenen Zusammensetzungen, welche allesamt eine größere Beteiligung von Migranten an Maßnahmen allgemeiner Erwachsenenbildung zum Fokus hatten. Dazu zählen die kooperative Fortbildungsreihe für ehrenamtliche Multiplikatoren „Sozialberatung für Migranten“ (im Jahr ca. 6-8 dreistündige Fortbildungsangebote, seit 2007 bis heute; KEB Frankfurt, Caritas Präventive Altenhilfe, Amt für multikulturelle Angelegenheiten), ein Ausstellungsprojekt „Heimat“ (Gemäldeausstellung und Begleitprogramm mit ca. 80 Bildern Frankfurter Migranten – Einzelkünstler - , April 2008; KEB Frankfurt, Referat muttersprachliche Gemeinde der Stadtkirche, Caritas Fachdienste für Migration) oder die Qualifizierung und Supervision von ehrenamtlichen Migranten in der aufsuchenden, wohnortnahen Beratung und Betreuung älterer Italiener (Projekt „Wegbegleiter“ in Kooperation von Caritas Frankfurt, Italienischer Gemeinde, Italienischem Konsulat und KEB Frankfurt; seit 2009).

2. Hintergrund/ In Folge veränderter Lebensbiografien vieler Migranten der ersten, zweiten und dritten Einwanderergeneration verändern sich deren religiöse und kulturelle Gemeinden und Gemeinschaften von Durchgangsstationen auf Zeit für „Arbeitsmigranten“ zu dauerhaften Sprachcommunities in einer multikulturellen Großstadt, welche sich in neuer Weise mit Fragen von Sprache, kultureller Identität, Mehrgenerationalität etc. konfrontiert sehen. Dies erzeugt neue Notwendigkeiten von Identitätsvergewisserung sowohl „nach innen“ im Gefüge der Generationen als auch "nach außen" in der Positionierung im sozialen Raum der Stadt.2 Viele Migrant/inn/en sind zwar als Wirtschaftsfaktor der deutschen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, mit ihrer Kultur und vor allem auch ihrer Lebensleistung werden sie aber vielfach nicht "gesehen". Ihre mit Migration und Neubeheimatung verbundene erfolgreiche Lebensgestaltung tritt oft hinter Gefühlen und Bildern des "Fremden" und Nichtzugehörigen zurück; Sprachbarrieren verstärken den Rückzug und die Selbstabkapselung in migrantische Communities. Mangelnde soziale Anerkennung mit ihren negativen Folgen für Gesundheit und psychisches Wohlbefinden sind die Folgen. Umgekehrt werden ehrenamtliche Tätigkeiten und sozial-kommunikativpflegerische Leistungen der Migrant/inn/en von der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen. Hier möchte das Projekt Zugänge eröffnen, soziale Identitäten stärken und zu wechselseitiger Wahrnehmung und Integration beitragen. 3. Das Ziel der interkulturellen Öffnung von Erwachsenenbildung Eine der wesentlichen Bedingungen dieser Kooperationen ist der ausdrückliche, institutionell verankerte Wille, als Einrichtung der allgemeinen Erwachsenenbildung in diesem Feld überhaupt tätig zu sein. Diesen motiviert neben dem Blick auf die spezifische Bevölkerungsstruktur der Metropole Frankfurt mit ihren hohen (Ein-) Wanderungsanteilen vor allem auch die bildungsethisch motivierte Orientierung am Menschenrecht auf Bildung.3 Der Exklusion von Bildung und sozialer Beteiligung über die Lebensspanne hinweg sollte im Rahmen allgemeiner Erwachsenenbildung entgegengewirkt werden.4 Viele, vor allem ältere MigrantInnen zählen zu den eher bildungs/lernungewohnten Gruppen, die von formellen Bildungsangeboten der Bildungsträger nicht erreicht werden. Deshalb sollen sie vor allem im Rahmen bestehender Migrantengruppen und –treffpunkte angesprochen und zu "Biografiearbeit" eingeladen werden. Dies meint selbstreflexive Lernprozesse in Form von Biografie-Workshops, Geschichtswerkstätten, Erzählrunden etc., in welchen Migranten ihre eigene Lebensgeschichten als Orte signifikanter Erfahrungen erinnern und wertschätzen lernen. Die Rahmung durch bestehende Migrantengruppen hatte auf dem Hintergrund der Kürze der

Projekt "Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens" Eine ausführliche Projektbeschreibung Projektlaufzeit den Vorteil, dass diese über Bezugspersonen leichter ansprechbar sind und untereinander über eine gewisse Vertrautheit verfügen, welche das biografische Arbeiten und die künstlerische Produktion erleichtern. Aus diesem zu hebenden Fundus persönlicher Geschichten sollten dann generative, verbindende Themen erarbeitet und in künstlerische Formen umgesetzt werden. Diese sollen dann im Rahmen der Frankfurter Interkulturellen Wochen mit Begleitprogramm im Haus am Dom öffentlich präsentiert werden. Weiter verbanden sich mit dem Projekt die Ziele: Förderung von Lernprozessen zwischen Generationen und Kulturen, Einbezug und Vernetzung von "verschiedenen" Einrichtungen und Gruppen wie Museum, sozialem Treffpunkt, Pfarrei, Verein, Bildungshaus oder Beratungsstelle, Erprobung milieuorientierter und geschlechtersensibler Zugänge und Methoden (Zeitzeugengespräche, Geschichtswerkstatt, Biografiearbeit) sowie als weitergehendes Ziel die interkulturelle Auseinandersetzung mit der Geschichte und Identität Europas als Einwanderungsland. Die künstlerischen Produkte sollten optimal für spätere Nutzungen zur Verfügung stehen (Ausstellungen, Lesungen, Lesebücher, Zeitzeugengespräche ...). 4. Projektstruktur und Arbeitsphasen 4.1. Beteiligte Einrichtungen Als Kooperationspartner beteiligen sich: Katholische Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt (mit dem Auftrag öffentlicher Erwachsenenbildung in katholischer Trägerschaft in Frankfurt) Caritasverband Frankfurt e.V., Fachdienste für Migration/Team Stadtmitte (Sozialpädagogischer Fachdienst mit den Bereichen Migrationsberatung, Hausaufgabenhilfe sowie spezielle Angebote für Frauen, Jugendliche und Senioren) Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt (mit den Aufgaben der Förderung des Zusammenlebens, der Integration, der Antidiskriminierung und der Förderung von Toleranz) Historisches Museum Frankfurt (u.a. mit der „Bibliothek der Alten“, einem offene Kunst und Erinnerungsprojekt, in dem Migranten bislang noch unterrepräsentiert sind) Die mitwirkenden katholischen Sprachgemeinden sind aus den Missionen der 1. und 2. Einwanderergeneration entstanden und verfügen heute über eigene Zentren und eigenes hauptamtliches Personal. Weiter zeitweilig beteiligt sind das Günter-Feldmann-Zentrum (pädagogisch-psychosoziale Beratung für jüdische Einwanderer), die Jugendbegegnungsstätte Anne Frank, das Projekt Stadtteilhistoriker der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und weitere Gruppen und Personen. 4.2. Steuerungsgruppe und Vernetzungstreffen Herzstück der Projektarbeit war eine Steuerungsgruppe, bestehend

aus der Projektleitung, Kooperationspartnern und den Fachpersonen/Honorarkräften für Biografiearbeit und künstlerische Begleitung. In deren 3-4-wöchentlichen Treffen wurden alle Aktivitäten koordiniert und rückgekoppelt. Die Steuerungsgruppe ergänzte monatliche Koordinierungstreffen der beteiligten Gruppen, an welchen sich vor allem auch ehrenamtliche Vertreter der mitwirkenden Gemeinschaften und Treffpunkte beteiligten. In diesen Vernetzungstreffen erfolgte mündlich die Kommunikation und Beratung der Projektziele und der möglichen Aktivitäten, aber auch der Unterstützungsmöglichkeiten der einzelnen Gruppen sowie der Austausch über die ergänzenden Bildungsangebote und die Vorbereitung der Ausstellungswochen. Dadurch hatten der weitere E-Mail- und postalische Kontakt oft eher eine erinnernde und bestätigende Funktion. Zur Verbindlichkeit trug neben der wiederholten und vielfältigen Kommunikation die schriftliche Mitwirkungserklärung der Gruppen bei. 4.3. Motivierung und Kommunikation Die Kommunikation der Projektziele und Mitwirkungsmöglichkeiten erfolgte zu Beginn über mehrere Mailings/Briefe sowie persönliche Kontakte zu Multiplikatoren, die konkret zur Mitwirkung motiviert wurden. Zur Mitwirkung angesprochen wurden vor allem Migrantenselbstorganisationen wie kirchliche Sprachgemeinden, muttersprachliche Treffpunkte/Cafés, der Community vertraute migrationsspezifische/muttersprachliche Beratungsstellen. Vertraute (bekannte) Einzelpersonen waren in dieser Phase wichtige Anker. Neben der aktiven, persönlichen Einladung an Gruppen und Einzelpersonen vermittelten die Projektausschreibung und später konkrete Förderangebote die Möglichkeiten einer im vorgegebenen Rahmen weitgehend selbstbestimmten und aktiven Erwachsenenbildung. In diesem Fall stank Geld nicht! Über die Ausschreibung mit dem Angebot der Zuweisung außerordentlicher finanzieller Zusagen für die jeweiligen Projekte sowie der möglichen Unterstützung mit personellen Ressourcen (Vor-Ort-Beratung, Vermittlung von Experten) oder mit Sachmitteln (Räume, technische Geräte) konnten jedenfalls neue Zielgruppen zur Mitwirkung gewonnen werden können. Dies erfolgte in den Monaten April bis Mai 2009. Etwas schwierig war es in dieser Phase zu verdeutlichen, dass sich das pädagogische Konzept und die Angebote an Gruppen richteten. So gab es interessierte Einzelkünstler aus einem früheren Ausstellungsprojekt, welche sich in dieses Konzept letztlich nicht einbinden ließen. 4.4. Biografieworkshops / Pädagogische und organisatorische Unterstützungsangebote In manchen Gruppen ab März, sonst teils erst ab Juni und Juli 2009 erfolgte eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Es gab

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fortlaufende Gruppen mit wöchentlichen Treffen, teilweise gab es Kompaktworkshops am Wochenende. In der Regel waren jeweils zwischen 7 und 15 Personen beteiligt. Kontakt, Beratung und Unterstützung der mitwirkenden Gruppen erfolgte neben den Plenartreffen, dem Telefon oder E-Mail-Kontakt vor allem auch durch den direkten Vor-Ort-Kontakt durch die Honorarkraft zur künstlerischen Begleitung. Dies war z.B. sehr wichtig in der Phase der konkreten Ausstellungsplanung, wo es um die Auswahl und Zuordnung der Gruppen und Objekte zum verfügbaren Platzangebot ging. Die konkreten Unterstützungsmöglichkeiten in den einzelnen Projektphasen wurden sowohl mündlich in den Plenumtreffen als auch in Form eines vorschriftlichten Angebots kommuniziert. Dies waren entsprechend der Projektphasen: In der Phase Biografie-Workshops: Vermittlung von Referent/inn/en und Begleitern; Hilfestellung bei der Formulierung und Entwicklung von Ideen für Biografie-Workshops und andere Formen der Erinnerungsarbeit (Zeitzeugengespräche, Fotosammlungen, Erzählabend, Geschichtswerkstatt, Museumsbesuche, Chronik …); konkrete Zusagen einer finanziellen Unterstützungsrahmens pro Gruppe für Honorare, Tagungskosten, Raumkosten, Material etc.. In der Phase der Umsetzung in ein künstlerisches Projekt: ebenfalls Vermittlung von Referent/inn/en und Begleitern, Vermittlung von Kooperationspartnern; Hilfestellung bei der Formulierung und Entwicklung von Ideen für künstlerische Präsentationen (Malen, Fotoworkshop, Film- und Tonaufnahmen, Kurztexte, Geschichten, Theateraufführungen …), konkrete Zusagen eines finanziellen Rahmens (Honorare, Tagungskosten, Raumkosten, Material …) pro künstlerischem Objekt. In der Phase der „Ausstellung“ vom 2.-22.11.2009 mit Begleitprogramm: Bereitstellung von Ausstellungsflächen und Veranstaltungsräumen im Haus am Dom (in Absprache mit der KEB Frankfurt); Hilfestellung bei der künstlerischen Präsentation; bei Bedarf Übernahme finanzieller Kosten für Bilderrahmen, technische Geräte etc.; Möglichkeiten der Mitwirkung beim Begleitprogramm sowie dann eben Öffentlichkeitsarbeit, Werbung (Internet, Flyer, Pressearbeit …) Nach Absprache möglich war die Beschaffung bzw. Ausleihe technischer Geräte für Ton- und Filmaufnahmen sowie in Ausnahmefällen die Finanzierung von Übersetzungen. Begleitend erfolgte die Dokumentation durch Fotos und Interviews mit Gruppenvertretern. 4.5. Ergänzende Angebote zur Ideengenerierung In den Monaten Mai bis August 2009 wurden die beteiligten Migrantengruppen und Interessierte zu verschiedene öffentlichen wie gruppenbezogenenen Museumsbesuchen und Kontaktgesprächen mit Experten eingeladen. Ziel war die Generierung weiterer Motivation, Vernetzung und vor allem auch weiterer Ideen zur

Projekt "Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens" künstlerischen Umsetzung. Es konnte quasi "bei den Großen" abgeguckt werden. Einzeln und als Gruppe wurde zu besonderen Terminen „im Rahmen des Projekts“ eingeladen. Dazu zählte das Historische Museum Frankfurt mit seiner Dauerausstellung „Von Fremden zu Frankfurtern“ (mehrere Gruppenbesuche), die Jugendbegegnungsstätte Anne-Frank mit einer Sonderausstellung “Unsichtbare Welten“ (zu Illegalen in Deutschland) und der Dauerausstellung „Anne Frank“ (incl. Gespräch mit der Leitung), eine Tagesfahrt ins Grenzmuseum „Point Alpha“ in Rasdorf/Rhön an der ehemaligen DDR-Grenze mit Zeitzeugengesprächen oder Angebote zum Besuch des Städel-Museums mit der Dierk-Schmidt-Installation zu einem Flüchtlingsdrama. Diese Besuche mit jeweiligen Reflexionsrunden weckten und generierten Ideen und Zusammenhänge, auch zu Dokumentationsarten oder potentiellen Kooperationen. Dies betraf einerseits Techniken und Möglichkeiten der künstlerischen Umsetzung, aber ins Gespräch kamen auch eigene Erfahrung mit Illegalität, Grenzübertritten etc.. Teilweise erfolgte auch eine bewusste Mischung der Zielgruppen, z.B. bei der Tagesfahrt zum "Point Alpha" gab es Gruppenkontingente aus Migrantenprojekt, "Sommerprogramm" der KEB sowie mit "Urlaub ohne Koffer" für Personen mit wenig Geld. 4.6. Umsetzung in künstlerische Objekte (und Vorbereitung der Präsentation) Im Zeitraum Juli bis September wurde innerhalb der Gruppen, aber auch in eigens angekündigten Workshops an der Umsetzung der biografischen Erfahrungen in künstlerische Projekte gearbeitet. Diese Produktionen wurden sowohl von der Projektmitarbeiterin Susanne Hesse als auch durch Expertinnen aus den Bereichen Film, Geschichten schreiben, Theaterpädagogik begleitet und unterstützt. Die Kontaktaufnahme zwischen den Gruppen und den Expertinnen erfolgte nach Möglichkeit in den Plenartreffen, in denen sich die einzelnen Personen vorstellten und vertraut wurden. Es entstanden als Objekte und Produktionen Gemälde/Bilder zu generativen Themen, Foto-Text-Collagen, Kurzgeschichten und Gedichte, Tonarbeiten, Koffer-Installationen mit Erinnerungsstücken, Kurzfilme, Theatersequenzen. Die meisten Gruppen betraten hier künstlerisches Neuland; sie taten Dinge, die sie noch nicht gemacht hatten; sie entwickeln eigene kreative Ideen in der Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgeschichte. Vor allem präsentieren sie sich und ihre Geschichte(n) erstmals öffentlich; sie erfuhren sich als Personen, die mit ihrem Leben etwas geleistet haben und leisten. Fazit: Insgesamt werden ca. 50 Ideen für Bildungsprojekte entwickelt. 12 Einrichtungen beteiligen sich mit eigenen Maßnahmen an der Realisierung. In über 20 verschiedenen Teilprojekten werden über 800 Unterrichtsstunden durchgeführt.

4.7. Öffentliche Ausstellung mit Begleitprogramm Die öffentliche Präsentation der Ergebnisse und der Menschen dahinter erfolgte im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel "SpurenSuche" im Haus am Dom vom 2.-22.11.2009 mit begleitendem öffentlichem Bildungsprogramm. Dazu gehörte die Ausstellungseröffnung im Giebelsaal des Haus am Dom mit Würdigung der Ausstellung durch Stadtdekan Michael Metzler und Caritasdirektor Hartmut Fritz. Fast 150 Personen nahmen an diesem Nachmittag die Gelegenheit wahr, sich die Ausstellung von den anwesenden Künstlergruppen vorstellen und erläutern zu lassen. Die gut besuchten sonntäglichen Öffentlichen Führungen mit Länderberichten richteten sich in der Ausschreibung teilweise gezielt an bestimmte Sprachgruppen: Spanier und Portugiesen, Kroaten und Koreanerinnen, Italiener und Marokkanerinnen. Weitere Führungen fanden auf Anfrage und individuell durch eine der Künstlerinnen statt, welche sich oft im Haus aufhielt. Ergänzend gab es "Erzählcafes mit Führungen" zu den Themen "Ehrenamt, Gewerkschaften, Integration durch soziales Engagement", "Familie, Eltern und Kinder, Verhältnis der Generationen", "Arbeiten, Arbeitswelt, Arbeitskämpfe" sowie das Angebot "Erzählter Geschichten von und mit Frauen". Letztere fanden im „Sakristeum“, einem Schauraum des Dommuseums im Untergeschoss des Haus am Dom statt; gerade dieser Rahmen wurde von den Beteiligten als besondere Form der Wertschätzung erfahren. 4.8. Auswertung, Zukunftswerkstatt und Transfer Bei einem Evaluationstreffen mit den beteiligten Projektgruppen im Dezember 2009 und in einer Zukunftswerkstatt mit Projektbeteiligten und möglichen neuen Akteuren und Interessierten im Februar 2010 wurden eine Reihe von Ideen zur Weiterentwicklung und zum Transfer dieses Arbeitsansatzes entwickelt. Ihr Ziel ist, die gewonnenen Erfahrungen und freigesetzten Impulse in neue Arbeitsfelder zu übertragen bzw. mit weiteren Partnern in andere Bereiche und Zusammenhänge zu übertragen. Neben biografisch-personbezogenem Lernen geht es dabei auch um politisch-gesellschaftliche Lernprozesse als Teile einer regionalen Kultur. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Übergang von der individuellen Migrantenbiografie zur kollektiven Migrationsgeschichte. Bleibende Herausforderungen bilden der stärkere Einbezug von Männern sowie die weitere interkulturelle Vernetzung mit „deutschen“ Gemeinden und Einrichtungen. Ein Versuch hierzu bildet das Bildungsprojekt „Interkulturelle Reise entlang der Linie 11“ im Rahmen der Interkulturellen Wochen 2010. Die künstlerischen Produkte (Foto-Kollagen, Kurzgeschichten, Kalenderblätter, Gemälde, Tonaufnahmen, Kurzfilme ….) stehen nach Möglichkeit für weitere Verwendungen zur Verfügung; denkbar sind Ausstellungen an anderen Orten, Lesungen, Lesebücher, Zeitzeugengespräche, Chroniken, Bilderbücher oder Kalender.5

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5. Gedanken zur Relevanz des Projekts 5.1. Erreichte Zielgruppen In das Projekt waren verschiedene Migrantengenerationen einbezogen: Einwanderer der „Gastarbeiter“-Generation der 60- bis 80er Jahre (heute meistens im Ruhestand, den sie in Deutschland bzw. pendelnd verbringen) und jüngere Migrantinnen, welche sich eher als Europäerinnen mit einer hybriden Identität (deutsch-spanisch, deutsch-französisch …) fühlen. Dabei wurden vor allem in der ersten Gruppe "bildungsungewohnte" Migrantengruppen erreicht, welche als Gruppen angesprochen – sich in neuer Weise mit ihrer Lebensgeschichte und Lebensleistung auseinander setzten. Vor allem die kreativ-künstlerischen Formen trugen dazu bei, dass emotionales, signifikantes Lernen ermöglicht wurde, dass sie sich jenseits von Schriftlichkeit einbringen konnten, dass sie die Projektarbeit für Kompetenz- und Identitätsgewinne nutzen konnten. Die öffentliche Präsentation im Rahmen der Ausstellung ermöglichte auch intergenerationelle Gespräche innerhalb der Migrantencommunities.

Die vorhandenen Kontakte und Gruppenstruktur begünstigten die Mitwirkung. Soweit es um die Gründung neuer Gruppen geht, sollte und muss ein längerer Zeitraum eingeplant werden. Die Frage der Erreichbarkeit von Männern ist nach wie vor offen. Sowohl die gezielte Ansprache als auch die Durchmischung unterschiedlicher Milieus und Zielgruppen (Beispiel Besuch „Point Alpha“-Museum) ist möglich und produktiv. Die interkulturelle Projektstruktur erwies als kreatives Laboratorium für neue Kontakte und Arbeitsweisen. Die BiografieErfahrungen der beteiligten MigrantInnen. Bei den Migranten der 1. und 2. Generation der Gastarbeiter besteht ein tiefer Wunsch nach Sichtbarkeit (und Wertschätzung) der Biografie gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. 5.2. Erfahrungen mit dem offenen Konzept Zu Beginn wollten sich zunächst einige Einzelkünstler an einem Ausstellungsprojekt beteiligten. Hier bedurfte es einiger Mühen, das Konzept der Verknüpfung von Biografiearbeit in Gruppen und sich daraus ergebenden künstlerischen Objekten in Gruppen zu vermitteln.

Projekt "Migrantenbiografien als Medium interkulturellen Lernens" Einzelne Künstler konnten in Gruppenaktivitäten integriert werden, andere konnten sich auf dieses neue Konzept nicht einlassen. Nicht alle Gruppen kamen zustande. Für den Aufbau einer neuen Gruppe erwies sich der zeitliche Rahmen durch die Vorgabe der Orientierung auf eine Ausstellung teilweise als zu kurz. Umgekehrt war für bestehende und sich teils neu bildende Gruppen (zu letzteren zählt die Gruppe der Italienischen Gemeinde) die Orientierung auf die Ausstellung ein großer Ansporn für Beteiligung und Aktivitäten. Teilweise war seitens der Projektleitung viel Unsicherheit auszuhalten in Bezug auf Mitwirkung und Aktivitäten einzelner Gruppen. Dieses "Aushalten" von Unsicherheit schuf aber erst den Rahmen, der die Gruppen zur Entfaltung ihrer je eigenen Kreativität, ihres eigenen Stils brachte. 5.3. Herausforderungen und Wirkungen Einige der teilnehmenden Personen kamen im Verlauf der Gruppenarbeiten aber auch an ihre persönlichen Grenzen bzw. mussten bis dahin erfahrene Begrenzungen überschreiten. Dies bezieht sich vor allem auf psychische Belastung durch Erinnerungen, auf Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks und des emotional differenzierenden Erlebens, Zuhörens und Mitleidens (Empathie), aber auch auf den persönlich möglichen künstlerischen Ausdruck. Hier konnten jeweils vorhandene Begrenzungen der Bildsamkeit überschritten werden. Dies führte im Endeffekt zu einer hohen Identifikation mit dem Erreichten, dem gemeinsamen Produkt; aber auch zu einer hohen Dankbarkeit, welche den Gesamtprozess als sehr anerkennend und wertschätzend erfahren ließ. Nicht verschwiegen werden sollen auch einige negative Erfahrungen und Emotionen, die daraus resultierten. Die große Offenheit der möglichen Umsetzung in Kombination mit einer im Endeffekt doch eher bescheidenen pädagogischen Unterstützung führte dazu, dass mit Medien und Techniken gearbeitet wurde, die nicht in jedem Fall optimal genutzt werden konnten, auch weil das "Einkaufen" einer Kompetenz von außen zu teuer geworden wäre. Dies führte zu einigen ungenügenden Realisierungen: verwackelte Bilder im Film, fehlerhafte Übersetzungen, unzureichende technische Ausstattung für die öffentliche Präsentation, falsche Zuordnungen von Texten und Bildern etc. Diese eher "handwerklichen" Fehler erhielten bei den beteiligten Gruppen teilweise eine hohe emotionale Bedeutung – gerade weil sie sich so mit "ihrer Sache" identifizierten. Oder es fiel schwer einzusehen, dass ein guter Film sehr viele Aufnahmen und Bearbeitungsschritte erfordert. Aber diese ermöglichende Offenheit der Gestaltung war andererseits eine große Stärke des Projekts, da sie die Kreativität und Identifikation der Teilnehmenden im Ergebnis sehr förderte. (Text: Dr. Hans Prömper)

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Vgl. Ralph Bergold/Annette Mörchen/Ortfried Schäffter (Hrsg.): Treffpunkt Lernen. Ansätze und Perspektiven für eine Öffnung und Weiterentwicklung von Erwachsenenbildungsinstitutionen. Bd. 1. Bonn (EB-Buch 23) 2002; dort insb. Hans Prömper: EMI – Engagement meets Internet: TPL Frankfurt, S. 123-159; Ortfried Schäffter/Christel Weber: Bericht der wissenschaftlichen Evaluation, insb. S. 333-338; zuletzt Hans Prömper: Bildung älterer Migranten. In: Hans Prömper u.a. (Hrsg.): Was macht Migration mit Männlichkeit? Kontexte und Erfahrungen zur Bildung und Sozialen Arbeit mit Migranten. Opladen und Farmington Hills (Barbara Budrich) 2010, S. 173-182; sowie Hans Prömper: Inklusion durch Bildung? Konsequenzen, offene Fragen und pädagogische Impulse für die (Erwachsenen)Bildungsarbeit mit männlichen Migranten, ebd. S. 185-219, insb. S.206ff.. 2 Ende 2009 legt die Frankfurter Integrationsdezernentin Grundlagen und Ideen eines neuen Integrationskonzeptes vor, welche die vielfältigen Differenzierungen, transsektionalen Überschneidungen und Vernetzungen im Kontext von sozialen Milieus, sozialer Schicht, Religion und Migration ("Supervielfalt") in ein neues Bewusstsein und städtisches Netzwerk einer vielfältigen Bürgergesellschaft überführen möchte, welche soziale Inklusion zur Aufgabe aller macht. In diesem Übergang von einer Gesellschaft des Nebeneinanders abgeschotteter "Multi-Kulturen" zu einem Miteinander in kultureller Vielfalt gewinnt das dargestellt Projekt in seiner Öffnungsstrategie eine weitere kommunale, auch politische Relevanz. Vgl. Stadt Frankfurt am Main, Dezernat XI – Integration: Entwurf eines Integrations- und Diversitätskonzepts für die Stadt Frankfurt am Main. Frankfurt 2009. 3 Vgl. Heimbach-Steins, Marianne/Kruip, Gerhard/Kunze, Axel Bernd (Hrsg.): Das Menschenrecht auf Bildung und seine Umsetzung in Deutschland. Diagnosen – Reflexionen – Perspektiven. Bielefeld (W. Bertelsmann Verlag) 2007. 4 Zum Begriff der Exklusion vgl. Kronauer, Martin (Hrsg.): Inklusion und Weiterbildung. Reflexionen zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Gegenwart. Bielefeld (W. Bertelsmann Verlag) 2010. 5 Siehe als Anregung dazu: Amt für multikulturelle Angelegenheiten (Hg.): „Mit Koffern voller Träume…“. Ältere Migrantinnen und Migranten erzählen. Frankfurt 2001; Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hg.): Zeitzeugengespräche mit Migrantinnen und Migranten. Frankfurt 2006; oder das Projekt „Lesefreuden“ des BüroAktiv Frankfurt mit ehrenamtlichen Vorleserinnen für Vereine, Gruppen etc..

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Die folgenden Ideen für weitergehende Schritte und Projekte entstanden im Rahmen von Evaluation und Zukunftswerkstatt. Sie wollen anregen, Erinnerungsund Biografiearbeit auf vielfältigen Ebenen für eine Kultur der Begegnung und Auseinandersetzung zu nutzen. Dabei werden Nicht-Frankfurter das FrankfurtSpezifische sicherlich leicht auf ihre eigene Situation beziehen können. 1. Angebot und Durchführung von „Biografiearbeit" im Rahmen bestehender Migrantengruppen und -treffpunkte 2. interkulturell gemischte Biografiegruppen zur Verbreiterung der Erfahrungen 3. gemeinsame Biografie-Workshops zwischen deutschsprachigen Territorialgemeinden und muttersprachlichen Gemeinden 4. gezieltes Biografie-Projekt mit Männern (evtl. als Zeitzeugen-Gruppe zur Migrationsgeschichte eines bestimmten Ortes …) 5. Workshop (mit Einbezug der Migrant/inn/en) zu einem möglichen neuen Ausstellungskonzept des Historischen Museums Frankfurt zum Thema Migration 6. Gewinnung und Qualifizierung von Migrant/inn/en als Zeitzeugen: für Museen, Altenclubs, Kindergärten, Schulen und Gemeinden 7. Impuls-Workshop zur Machbarkeit einer „Frankfurter Landkarte der Migration“ (mit möglichen Partnern; Ideenaustausch, auch zu Machbarkeitsoptionen; evtl. auch schon Beginn mit einem kleinen Pilotprojekt) 8. Einbezug von Migranten in die „Bibliothek der Alten“ des Historischen Museums Frankfurt

Migrant/inn/en und ihre Biografien: Ideen und mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Maßnahmen (Ideen aus einer Zukunftswerkstatt) 9. kleine lokalgeschichtliche Projekte mit Migrant/ inn/en und ggf. Stadtteilhistorikern (auch Vorarbeiten und Dokumentationen für Jubiläen, Festschriften, Erinnerungsbücher, kleine Ausstellungen …) 10. Erkundung eines möglichen Stadtteilprojekts zum Thema Migration/Migrationsgeschichte(n)/Veränderungen durch Migration, z.B. in FrankfurtHöchst, z.B. zu Plätzen, Straßen, Orten, Einrichtungen, Gemeinden, Vereinen … 11. Biografie-Fortbildungen für ehrenamtliche Wegbegleiter in der aufsuchenden Sozialen Arbeit mit Migranten 12. Exkursionen zu deutschen Museumsorten der Migration, z.B. Köln, Ruhr-Gebiet 13. Vorbereitung eines neuen Ausstellungsprojekts „mixed“ in Haus am Dom: mit einer explizit interkulturellen, deutsch-muttersprachlich-gemischten Zusammensetzung als Teil der Aufgabenbeschreibung: um den Einbezug und die Beteiligung der herkunftsdeutschen Bevölkerung sicher zu stellen 14. Projekt „Lange Nacht der Migration“ im Rahmen der Interkulturellen Wochen: Veranstaltungs-Stafette zur Kommunikation und Vernetzung von Orten und Einrichtungen zur Migration entlang der Straßenbahnlinie 11 von Fechenheim nach Höchst; auch als Bildungsveranstaltung in Form einer „interkulturellen Reise“ 15. Zeitzeugenprojekt/Geschichtswerkstatt mit Dokumentation im Internet 16. Transfer-Workshop mit Praktikern und Wissenschaftlern zum Thema Biografie und Migration 17. interkultureller, interreligiöser Biografie-Workshop mit dem thematischen Fokus „Biografie und Religion“

18. Verknüpfung des Themas Biografie und Migration mit anderen Themen wie Ernährung, Erziehung, Kultur … 19. Buch-Projekt mit Berichten/Lebensgeschichten aus Biografiegruppen 20. Fortführung/Neuauflage von Teilen der Ausstellung an weiteren Orten in Frankfurt 21. generell: Versuch des Aufbaus von Dokumentationsseiten im Internet Mitglieder der Katholischen Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt können zur Planung und Umsetzung solcher oder anderer Projekte Beratung, Förderung sowie personelle und finanzielle Unterstützung über das Bildungswerk erhalten. Andere finden hier zumindest die Möglichkeit einer Erstberatung.

Kontakt Katholische Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt Dr. Hans Prömper (Leitung) Haus am Dom Domplatz 3 60311 Frankfurt Tel. 069/8008718-460 [email protected] www.keb-frankfurt.de

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In einer Transferphase des Projekts im Jahr 2010 haben sich weitere Gruppen und Einzelpersonen eingebracht, die hier mit Themen und Kontaktpersonen angegeben werden. Sie finden hier auch neue Themen und Verknüpfungen.

„Biografiearbeit in der Ausbildung ehrenamtlicher Wegbegleiter (Italiener)“

„Günter-Feldmann-Zentrum“ Träger: Günter-Feldmann-Zentrum e.V. Pädagogisch-psychosoziale Beratung Waldschmidtstr. 115 60314 Frankfurt

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Ansprech-/Kontaktperson: Sofja Vinarskaia Tel. 069/5973181 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Biografie in der Sozial- und Kulturarbeit mit jüdischen Migranten

Träger: Caritasverband Frankfurt e.V. Anlaufbüro Seniorengruppen Humboldtstr. 94 60318 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Gabriella Zanier Tel. 069/959663-21 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Qualifizierungsblock „Biografische Gespräche mit Dementen und älteren Menschen als Medium der Beziehungsaufnahme“ im Rahmen der Qualifizierung ehrenamtlicher „Wegbegleiter“, einem Projekt aufsuchender sozialer Hilfen für ältere Italiener.

Weitere Gruppen und Personen zum Thema Biografiearbeit und Bildung (Transferprojekt) „Theaterprojekte und Biografiearbeit mit älteren Menschen“

„Eritreische Samstagsschule“ Träger: Eritreische Elterninitiative c/o Katholische Gemeinde Allerheiligste Dreifaltigkeit Homburger Landstr. 387 60433 Frankfurt Ansprech-/Kontaktperson: Kaleb Kelati, E-Mail: [email protected] bzw. Kontakt über: Dr. Brigitta Sassin Referat Muttersprachliche Gemeinden, Fachstelle für katholische Stadtkirchenarbeit, Haus am Dom, Domplatz 3 60311 Frankfurt Tel. 069/8008718-326 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Sprachunterricht für Kinder in Tigrigna, der Herkunftssprache ihrer Eltern; Biografische Generationen-Reise Eltern und Kinder nach Eritrea, dem Heimatland der Eltern; Flucht und Migration

Ansprech-/Kontaktperson: Birgit Reibel Theologin und Theaterpädagogin, Schauspielerin Tel. 0173/2372087 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Theaterprojekte, szenische Inszenierungen, Tanztheater; Biografiearbeit im Unterricht der Altenpflegeschule

„Migration als Thema der Frankfurter Stadtgeschichte“ Träger: Historisches Museum Frankfurt Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Ansprech-/Kontaktperson: Wolf von Wolzogen (Museumspädagogik, Öffentlichkeitsarbeit, Bibliothek der Alten) Tel 069/212-34611 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Integration der Dauerausstellung „Von Fremden zu Frankfurtern. Zur Geschichte der Migration in Frankfurt“ in ein neues Gesamtkonzept des Museums; „Bibliothek der Alten“

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„Biografiearbeit und Erwachsenenbildung“

„Projekt StadtteilHistoriker“ Träger: Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main Schaumainkai 91 60596 Frankfurt am Main

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Ansprech-/Kontaktperson: Dr. Katharina Uhsadel (Projektleitung) Dr. Oliver Ramonat (Projektkoordination) Tel. 069/838306-1035 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Biografie und Migration als ein Themenfeld der aktuellen Projektarbeiten ehrenamtlicher Frankfurter Bürger

Ansprech-/Kontaktperson: Prof. Dr. Dieter Nittel Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung, Campus Bockenheim Robert-Mayer-Str. 1 60045 Frankfurt Tel. 069/798-222111 E-Mail: [email protected] Aktivität/Thema: Biografieforschung, Biografie als Thema der Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens, verschiedene Forschungsprojekte zum Thema Biografie, Geschichte der Erwachsenenbildung in Personen; Cafe Sagenhaft (Geschichten- und Erzählerbörse, Didaktische Grundlagen und Online-Lernmodule) www.cafesagenhaft.de