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Die Einbindung der Zivilgesellschaft in das Reformprogramm Europa 2020 in Österreich Florian Oberhuber / Ursula Breitenfelder / Daniela Wittinger Wi...
Author: Greta Kalb
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Die Einbindung der Zivilgesellschaft in das Reformprogramm Europa 2020 in Österreich

Florian Oberhuber / Ursula Breitenfelder / Daniela Wittinger

Wien, Oktober 2012

Einbindung der Zivilgesellschaft in das Reformprogramm Europa 2020 in Österreich

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Inhaltsverzeichnis Executive Summary ............................................................................. 5 Einleitung .......................................................................................... 15 1

Die Strategie Europa 2020: Rahmenbedingungen ..................... 17 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Vorläufer Lissabon Strategie .................................................. 17 Sozioökonomischer Kontext ................................................... 18 Die Architektur von Europa 2020 ............................................ 19 Das Europäische Semester .................................................... 24 Akteure und Instrumente ........................................................ 27 1.5.1 Mehrjähriger Finanzrahmen 2014-2020............................ 28 1.6 Nationale Umsetzung und Reformprogramme ........................ 30

2

Einbindung der Zivilgesellschaft: Europäische Praxis und Österreich im EU-Vergleich ....................................................... 34 2.1

Einbindungspraxis auf EU-Ebene und Europa 2020................ 34 2.1.1 Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung in der EU-Kommission ..................................................... 35 2.1.2 Beispiel: Das Konsultationsverfahren im Vorfeld von Europa 2020 ............................................................. 37 2.1.3 Europäische NGO-Dachverbände .................................... 39 2.2 Einbindungspraxis auf nationaler Ebene................................. 41 2.3 Österreich im EU-Vergleich .................................................... 45 2.3.1 Österreichische Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung . 45 2.3.2 Das Österreichische Reformprogramm Europa 2020........ 46 2.3.3 Einbindung in Österreich im EU-Vergleich ....................... 48 2.3.4 Einbindung von Nichtregierungsorganisationen................ 49 2.4 Schlussfolgerungen................................................................ 50

3

Einbindung in Österreich: Die Perspektive der Verwaltung ........ 52 3.1

Bisherige Praxis und Erfahrungen mit der Einbindung der Zivilgesellschaft ..................................................................... 53 3.1.1 Im BMASK ....................................................................... 53 3.1.2 Im Lebensministerium ...................................................... 56 3.1.3 In der Kohäsions- und Regionalpolitik (ÖROK)................. 57 3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung in Europa 2020 ... 58

4

Die Perspektive der Nichtregierungsorganisationen................... 63 4.1 4.2 4.3 4.4

Verortung der Strategie Europa 2020 in der Arbeit der NGOs . 65 Einbindung im europäischen Vergleich ................................... 67 Beteiligungsprozesse in der Vergangenheit ............................ 68 Wahrnehmung der Einbindung rund um die Erstellung des NRP 2011 ....................................................... 72 4.5 Die Steuerung des NRP-Prozesses durch das BKA ................ 73 4.6 Das Nationale Reformprogramm ............................................ 74 4.7 Wie vernetzt sind die NGOs untereinander? ........................... 75 4.8 Relevante Themen im Zusammenhang mit Beteiligung........... 77 4.9 Künftige Ideen und Erwartungen zur Beteiligung .................... 82 4.10 Wünsche und Ideen in Bezug auf eine Veranstaltung ............. 90 4.11 Schlussfolgerungen aus den NGO-Interviews ......................... 93

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Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.............................. 95 5.1 5.2 5.3

Einbindung der Zivilgesellschaft in den Ressorts .................... 98 Einbindung in der Kohäsions- und Regionalpolitik ................ 101 Fazit..................................................................................... 103

Abkürzungsverzeichnis .....................................................................105 Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen........................................106 Bibliographie.....................................................................................107

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Daten zur Untersuchung

Thema:

Die Einbindung der Zivilgesellschaft in das Reformprogramm Europa 2020 in Österreich

Auftraggeber:

Bundeskanzleramt, Sektion IV

Beauftragtes Institut:

SORA Institute for Social Research and Consulting, Wien

Projektleitung:

Dr. Florian Oberhuber, Mag.a Daniela Wittinger

AutorInnen:

Dr. Florian Oberhuber, Mag. a Ursula Breitenfelder MSc., Mag.a Daniela Wittinger, Mag. Werner Sturmberger

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Executive Summary

Transparenz und qualitätsvolle Öffentlichkeitsbeteiligung gelten in modernen Demokratien als eine der wesentlichen Säulen des „guten Regierens“ (good governance). Auch im Rahmen der Strategie Europa 2020, die vom Europäischen Rat am 17. Juni 2010 angenommen wurde, formulierten die Staats- und Regierungschefs ein Commitment zur partnerschaftlichen Umsetzung der Strategie unter Beteiligung regionaler und lokaler Verwaltungsebenen, der Sozialpartner sowie von VertreterInnen der Zivilgesellschaft. Die Erfahrungen des ersten Zyklus des neuen „Europäischen Semesters“ zur wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung zeigen jedoch über alle EU-Mitgliedsstaaten hinweg Anlaufschwierigkeiten und ähnliche Probleme bei der Einbindung der Zivilgesellschaft und insbesondere europäische Dachverbände von Nichtregierungsorganisationen formulierten Kritik an einer mangelnden Einbindung von NGOs in die Strategie Europa 2020 bzw. die Nationalen Reformprogramme. Das Österreichische Bundeskanzleramt, das als koordinierende Stelle für die Erarbeitung des Österreichischen Reformprogramms zuständig ist, beauftragte daher das Institut SORA, die Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Optimierungspotentiale für die Einbindung von NGOs in den Europa 2020Prozess zu untersuchen. Im Rahmen des mehrstufigen Forschungs- und Beratungsprozesses wurden unter anderem die Perspektiven und Erwartungen von NGOs mittels ausführlicher ExpertInneninterviews erhoben. Ergebnisse der Analyse wurden an die relevanten Stellen in der Verwaltung rückgespiegelt und im Rahmen eines halbtägigen Workshops diskutiert. Der vorliegende Bericht fasst die Endergebnisse dieses Forschungsprojektes zusammen.

Zentrale Ergebnisse der Studie: 1. Die Nationalen Reformprogramme (NRPs) der EU-Mitgliedsstaaten erfüllen eine spezifische Funktion im Rahmen des Europäischen Semesters, insbesondere mit Hinblick auf das Monitoring nationaler Reform- und Haushaltspläne durch die Europäische Kommission. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten ersucht, sich bei der Erarbeitung der Nationalen Reformprogramme an die Vorgaben betreffend die Form und den Inhalt zu halten. Dementsprechend sollen die Reformprogramme über jene Maßnahmen

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informieren, die auf Ebene der Mitgliedstaaten ergriffen wurden, um die länderspezifischen Empfehlungen umzusetzen und die, für die nationale Ebene geltenden, Europa 2020 Ziele zu erreichen. 2. Im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Kontext Europa 2020 spielen die Reformprogramme also eine klar definierte Rolle: Sie bereiten im Wesentlichen den Status quo der nationalen Umsetzung entsprechend den detaillierten Vorgaben der Europäischen Kommission auf. Damit versetzen sie die Europäische Kommission in die Lage, den Stand und Umfang der Reformen zu beurteilen. 3. Aufgrund dieser engen europäischen Vorgaben für das Nationale Reformprogramm ist eine wesentliche Voraussetzung für die unmittelbare Öffentlichkeitsbeteiligung an dessen Erarbeitung nicht gegeben. Um ein für alle Beteiligten zufriedenstellendes Ergebnis hervorzubringen, sollte die Öffentlichkeitsbeteiligung möglichst früh im „policy cycle“ stattfinden. Sie sollte also zu einem Zeitpunkt vorgesehen werden, an dem noch Gestaltungs- und Verhandlungsspielraum vorhanden sind, sodass die Ergebnisse einer breiten Konsultation von Stakeholdern in der Entscheidungsfindung noch berücksichtigt werden können. 4. Um mehr über die diesbezüglichen Erwartungen, Perspektiven und Wahrnehmungen der NGOs zu erfahren, wurden im Rahmen des Forschungsauftrages qualitative Interviews mit zehn VertreterInnen von NGOs geführt. Die Auswertung der Interviews zeigt, dass NGOs unter Bedingungen knapper personeller und finanzieller Ressourcen arbeiten. Sie stellen daher ihre Teilnahme an Beteiligungsprozessen unter ein klares Kalkül: Beteiligung ist für sie dann befriedigend und zielführend, wenn dem oft hohen Aufwand der Teilnahme eine effektive inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit von Politik entspricht. 5. Aus Sicht der befragten NGO-VertreterInnen werden dabei insbesondere jene Verfahrensweisen positiv wahrgenommen, die frühzeitige, transparente und umfassende Information seitens der Verwaltung etablieren, in deren Rahmen NGOs ihre Expertise sinnvoll und zielgerichtet einbringen können und in deren Rahmen sachlich begründete NGOPositionen wertschätzend aufgenommen und in der Politikgestaltung berücksichtigt werden. 6. Im Rahmen der Studie wurden darüber hinaus auch die bestehenden Formen der Einbindung von NGOs in die Strategie Europa 2020 näher untersucht und analysiert. Dabei zeigt sich, dass bereits eine Vielfalt von Beteiligungspraktiken existiert und institutionalisiert ist. Die untersuchten Beteiligungsprozesse decken eine weite Bandbreite der unter

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die Kernziele Klimaschutz/Energie sowie soziale Eingliederung fallenden Politiken ab. Die Beteiligung erfolgt z.B. im Rahmen der Gesetzesbegutachtung, in Beteiligungsprozessen zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen und Strategien, im Rahmen institutionalisierter Gremien sowie mittels themenspezifischer Stakeholder-Dialoge. 7. Grundsätzlich finden alle Beteiligungsprozesse zu einem frühen Zeitpunkt statt und sind auf einer der Berichterstellung vorgelagerten Ebene angesiedelt. Damit ist die gemäß den österreichischen und europäischen Standards geforderte frühzeitige und proaktive Beteiligung bei entsprechendem politischem Gestaltungsspielraum gegeben. 8. In diesem Zusammenhang kann unter anderem die im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz verankerte „Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ genannt werden, oder der im Sommer 2012 gestartete Beteiligungsprozess zur Erarbeitung der für die neue Strukturfonds-Periode grundlegenden Partnerschaftsvereinbarungen mit der Europäischen Kommission. Sie sind, ebenso wie der Stakeholder-Dialog „Wachstum im Wandel“, positive Beispiele, wie Stakeholder-Beziehungen zwischen Verwaltung und NGOs für beide Seiten ressourcenschonend und gewinnbringend ausgestaltet werden können. 9. Die Auswertung der Interviewergebnisse mit den VertreterInnen der NGOs zeigen aber dennoch ein etwas differenzierteres Bild: Aus Sicht der NGOs war insbesondere das Angebot enttäuschend, illustrative Projekte, die zur Erreichung der nationalen Europa 2020 Ziele beitragen, zu nennen und in einem eigenen Annex zum Nationalen Reformprogramm 2011 zu dokumentieren. 10. Aufgrund dieser Interessen und Erwartungen von NGOs auf der einen Seite und dem mangelnden Gestaltungsspielraum bei der Erarbeitung des Österreichischen Nationalen Reformprogramms auf der anderen Seite, wird daher eine Beteiligung von NGOs an der jährlichen Berichterstellung als nicht zielführend angesehen. Entsprechend den Österreichischen „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ werden Entwicklungsmöglichkeiten aufgrund dieser Prozessbeschaffenheit allenfalls auf der ersten Intensitätsstufe von Beteiligung gesehen: Die Beteiligten erhalten Informationen über die Planung oder Entscheidung. Sie haben jedoch keinen Einfluss darauf. Die Kommunikation verläuft nur in eine Richtung, nämlich von den Planungs- oder EntscheidungsträgerInnen zur Öffentlichkeit.

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11. Hinsichtlich der Stakeholderbeteiligung auf Ressortebene finden sich durchaus Beteiligungsprozesse, die jedenfalls der zweiten Intensitätsstufe – also der konsultativen Öffentlichkeitsbeteiligung – entsprechen bzw. Elemente der dritten Intensitätsstufe – der kooperativen Öffentlichkeitsbeteiligung – enthalten. 12. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die vorhandenen Formen der Einbindung im Bewusstsein der zivilgesellschaftlichen (Fach-)Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der Verwaltung, noch nicht umfassend als Europa 2020 Beteiligungsprozess codiert sind. Dieser Befund gilt noch ausgeprägter für die europäische Ebene, wo die in Österreich bestehenden Einbindungspraktiken in vorliegenden Berichten und Debatten nicht oder kaum wahrgenommen werden.

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Die Strategie Europa 2020 und die Nationalen Reformprogramme Die Strategie Europa 2020 bündelt zahlreiche Politikbereiche unter den fünf Kernzielen Beschäftigung, F&E, Klimaschutz und Energie, Bildung sowie Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Darüber hinaus sollen nach Möglichkeit bestehende politische Strategien, Instrumente und Rechtsvorschriften der EU auf die Realisierung dieser Ziele hin ausgerichtet werden. Zudem werden mit dem neuen Koordinierungsinstrument des „Europäischen Semesters“ erstmals „Wachstumsstrategie“ (Europa 2020) und fiskalische Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zusammengeführt.

Entsprechend der thematischen Breite der Strategie Europa 2020 umfasst die nationale Umsetzung in den Mitgliedsstaaten eine Vielzahl von Politikbereichen sowie Verwaltungsebenen, Institutionen und Akteuren. Die Nationalen Reformprogramme erfüllen im Europäischen Semester die Funktion, über wirtschaftspolitische (Reform-)Maßnahmen zu informieren und die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen zu dokumentieren. Um der Kommission ihre Aufgabe des Monitorings der nationalen Reformvorhaben und Haushaltsentwürfe zu ermöglichen, soll dabei dargelegt werden, mit welchen Maßnahmen und mit welchen budgetären Konsequenzen, welche messbaren Effekte im Hinblick auf Wachstum und die Erreichung der fünf nationalen Kernziele erreicht werden. Dabei ist festzuhalten, dass sich die Arbeitsschwerpunkte eines großen Teils der österreichischen NGOs (in den Bereichen Umwelt und Soziales) nicht mit jenen Schwerpunkten decken, die auf der europäischen Ebene als zentrale Wachstumshemmnisse identifiziert wurden, nämlich die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei gleichzeitiger Förderung von Wachstum, die Stärkung des Finanzsektors und der Binnennachfrage, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung sowie die Ausrichtung der Bildungssysteme auf die Verbesserung des Humankapitals und Stärkung der Innovationskapazitäten.

Öffentlichkeitsbeteiligung am Österreichischen Reformprogramm: Rahmenbedingungen Auf Initiative des Lebensministerium und des Bundeskanzleramts wurden in Österreich „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ entwickelt, die am 2. Juli 2008 vom Ministerrat beschlossen und damit der Bundesverwaltung als freiwillige Selbstverpflichtung zur Anwendung empfohlen wurden.

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Diese Standards umfassen detaillierte Empfehlungen für die Gestaltung von Beteiligungsprozessen auf drei unterschiedlichen Intensitätsstufen: Information, Konsultation sowie kooperativer Entscheidungsfindung. Als Grundvoraussetzung für qualitätsvolle Beteiligung wird dabei – analog den Standards auf EU-Ebene – eine möglichst proaktive Beteiligung genannt, d.h. Beteiligung zu einem Zeitpunkt, an dem noch möglichst viele Optionen offen sind. Aufgrund der engen europäischen Vorgaben für das Nationale Reformprogramm ist diese wesentliche Voraussetzung für eine unmittelbare Beteiligung an dessen Erarbeitung nicht gegeben. Die Stärke von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung wird laut europäischer und österreichischer Standards in der Phase der Problemdefinition und der möglichst breiten Identifikation und Deliberation von Optionen für die Politikgestaltung gesehen – also in der Phase vor der Entscheidungsfindung. Die Nationalen Reformprogramme hingegen befinden sich an einer späteren Stelle im „policy cycle“: Sie berichten der Europäischen Kommission, welche Maßnahmen zur Erreichung der Europa 2020 Kernziele und zur Förderung von Wachstum bereits laufen oder beschlossen wurden sowie über den Status der Implementierung und die erzielten Effekte dieser Maßnahmen.

Einbindung auf Umsetzungsebene Auf der Umsetzungsebene umfasst die Strategie Europa 2020 in Österreich zahlreiche Maßnahmen, Programme und Strategien, wie sie unter Verantwortung der zuständigen Ressorts auf den unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung entwickelt und implementiert sowie im NRP nachträglich dokumentiert werden. Welche vielfältigen Formen der Beteiligung auf dieser Ebene der konkreten Politikentwicklung und -gestaltung bestehen, wurde in der vorliegenden Studie am Beispiel der Beteiligungsprozesse im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), dem Bundesministerium für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft (BMLFUW) sowie in der Kohäsions- und Regionalpolitik untersucht. Zusammenfassend kann aufgrund dieser Untersuchung festgehalten werden, dass in Österreich in den genannten Bereichen die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Nichtregierungsorganisationen an der Umsetzung der Strategie Europa 2020 dauerhaft institutionalisiert und etabliert ist. Dabei lassen sich folgende grundsätzliche Formen von Beteiligung unterscheiden:

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Abbildung 1: Einbindung von NGOs auf Ressortebene

Gesetzesbegutachung

Beteiligung in der Maßnahmenentwicklung

Institutionalisierte Beteiligung in Gremien

Thematische StakeholderDialoge

13. Einbindung im Rahmen der Gesetzesbegutachtung, 14. Formen der Information, Konsultationen und kooperativen Entscheidungsfindung bei der Entwicklung spezifischer Maßnahmen und Strategien; 15. Institutionalisierte Gremien unter Beteiligung der Zivilgesellschaft; 16. Themenspezifische Stakehoder-Dialoge unabhängig von der Entwicklung konkreter Maßnahmen und Politiken.

Einbindung von Nichtregierungsorganisationen in die Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMLFUW Unter die Verantwortung des Lebensministeriums fallen zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung des Kernziels „Klimaschutz und Energie“ der Strategie Europa 2020. Die Formen der Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen werden in diesen Bereichen jeweils maßnahmenspezifisch ausgestaltet. Generelle Regel ist die Einbeziehung in die Gesetzesbegutachtung. Darüber hinaus werden für einzelne Prozesse (z.B. Entwicklung der Energiestrategie Österreich) Beteiligungsprozesse mit eigener Präsenz im Internet aufgesetzt. Als dauerhafte, institutionalisierte Formen der Akteursbeteiligung bzw. Information sind darüber hinaus zu nennen: -

Klimaschutzbeirat (2011 eingerichtet)

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Informationsveranstaltungen (jour fix) für NGOs im Umfeld der EUUmweltministerräte

Schließlich fördert das Lebensministerium weitere Dialogforen, in deren Rahmen Stakeholder themenspezifisch einen strategischen Dialog führen und sich vernetzen, z.B.: den „Österreichischen Walddialog“ (www.walddialog.at) oder die Initiative „Wachstum im Wandel“ (www.wachstumimwandel.at).

Einbindung von Nichtregierungsorganisationen in die Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMASK Als für Nichtregierungsorganisationen zentraler Themenbereich wurden in der vorliegenden Studie die im BMASK angesiedelten Beteiligungsmöglichkeiten unter dem Kernziel soziale Eingliederung untersucht. Wie im Lebensministerium ist auch im BMASK die Einbeziehung von NGOs im Rahmen der Gesetzesbegutachtung die Regel. Zusätzlich wurden und werden für einzelne Maßnahmen spezifische Beteiligungsprozesse aufgesetzt, etwa für die Entwicklung des NAP Behinderung. Ebenfalls Standard ist die Einbindung von Stakeholdern in die Entwicklung von Strategien im Bereich der OMK Sozialschutz und soziale Eingliederung (Nationale Aktionspläne, Berichte …) sowie im Rahmen der Europäischen Schwerpunktjahre. Eine Besonderheit und von den im Rahmen dieser Studie befragten Beteiligten durchwegs positiv bewertete Einrichtung stellt schließlich die „Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ dar. Im Rahmen dieser institutionalisierten Plattform treffen mindestens zweimal jährlich Stakeholder u.a. aus Verwaltung, Ländern, Sozialpartnern sowie NGOs zusammen und es können Unterarbeitsgruppen zu spezifischen Themen eingerichtet werden. Die Plattform erfüllt dadurch eine Funktion der Vernetzung und des Informationsaustauschs. Darüber hinaus werden aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene sowie richtungsweisende Themen des BMASK vorgestellt und diskutiert.

Einbindung in der Kohäsions- und Regionalpolitik Im Sinne eines übergreifenden strategischen Daches soll die Strategie Europa 2020 auf alle EU-Politikfelder ausstrahlen bzw. durch diese implementiert werden, darunter auch die Kohäsions- und Regionalpolitik. In Österreich liegen im Bereich Strukturfonds und ländliche Entwicklung eine Vielzahl etablierter Möglichkeiten der Akteursbeteiligung vor, und zwar sowohl in der

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Programmierung der neuen Strukturfonds-Periode 2014-2020 als auch begleitend zu deren Implementierung. Der im Sommer 2012 gestartete Beteiligungsprozess zur Erarbeitung der für die neue Strukturfonds-Periode grundlegenden Partnerschaftsvereinbarung mit der Europäischen Kommission kann dabei beispielgebend als „good practice“ genannt werden (vgl. www.stratat2020.at): Bereits frühzeitig – eineinhalb Jahre vor der Finalisierung der Partnerschaftsvereinbarung – setzte dieser Beteiligungsprozess mit einer öffentlich zugänglichen und breit beworbenen Informationsveranstaltung unter Einbindung sämtlicher Stakeholder ein. Neben weiteren öffentlichen Foren erlauben im Verlauf des Prozesses zwei formalisierte, schriftliche Konsultationsverfahren eine Beteiligung auch zum konkreten Text der Partnerschaftsvereinbarung. Eine intensive inhaltliche Mitarbeit zu einzelnen Themenbereichen wird zusätzlich mit dem Format von Fokusgruppen angeboten. Schließlich wird begleitend zum Gesamtprozess auf einer Homepage sowie mittels eines Email-Newsletters eine proaktive Information und transparente Dokumentation des Beteiligungsverfahrens sichergestellt.

Optimierungspotentiale: Transparenz und internationale Sichtbarkeit Abschließend kann festgehalten werden, dass in der Umsetzung der Strategie Europa 2020 auf Ressortebene (im BMASK sowie BMLFUW) sowie in der Kohäsions- und Regionalpolitik eine Vielfalt von Beteiligungspraktiken etabliert und institutionalisiert ist sowie eine Reihe von Beispielen guter Praxis identifiziert werden konnte. Auf der anderen Seite wurde festgestellt, dass das Bewusstsein über diese Prozesse und ihrer Rolle in der Strategie Europa 2020 sowohl in Teilen der Verwaltung als auch den zivilgesellschaftlichen (Fach-) Öffentlichkeiten noch nicht umfassend als Stakeholderbeteiligung verankert ist. Dieser Befund gilt noch ausgeprägter für die europäische Ebene, wo die in Österreich bestehenden Einbindungspraktiken in vorliegenden Berichten und Debatten nicht oder kaum wahrgenommen werden. Eine Ursache dieser mangelnden Sichtbarkeit kann in der hohen Fragmentierung der öffentlichen (Online-) Dokumentation laufender und abgeschlossener Beteiligungsverfahren in Österreich gesehen werden. Ähnlich wie in anderen kleineren EU-Mitgliedsstaaten gilt auch für Österreich eine vergleichsweise geringe Standardisierung und Formalisierung von Beteiligungsprozessen. Während dies für die beteiligten Akteure und Institutionen ressourcensparend und vereinfachend sein kann, folgt daraus auf der anderen Seite, dass für Nichtregierungsorganisationen oder die interessierte Öffentlichkeit derzeit kei-

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ne Möglichkeit besteht, sich an einer zentralen Adresse über Beteiligungsmöglichkeiten und deren Ergebnisse zu informieren bzw. einen Überblick zu verschaffen. Künftige Entwicklungsmöglichkeiten von Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen von Europa 2020 können daher insbesondere auch in der Intensivierung der Information über die Strategie Europa 2020 gesehen werden, sowie in der weiteren Optimierung der öffentlichen Dokumentation der bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten und -prozesse.

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Einleitung Die Integrierten Leitlinien zur Umsetzung der Strategie Europa 2020 1 formulieren ein europäisches Commitment zur partnerschaftlichen Umsetzung der Strategie unter Beteiligung der Zivilgesellschaft: Auch wenn sich diese Leitlinien an die Mitgliedstaaten und die Europäische Union richten, sollte die Strategie Europa 2020 in Partnerschaft mit allen nationalen, regionalen und kommunalen Behörden und in enger Zusammenarbeit mit den Parlamenten sowie den Sozialpartnern und den Vertretern der Zivilgesellschaft umgesetzt werden, die in die Erarbeitung der nationalen Reformprogramme, ihre Umsetzung und die umfassende Kommunikation über die Strategie einbezogen werden sollten. (Amtsblatt der Europäischen Union, L191/28, Abs. 14)

Die Europäische Union schließt mit dieser Formulierung an das etablierte breite Verständnis von „Zivilgesellschaft“ an, wie es auch den zahlreichen Konsultationsprozessen der Europäischen Kommission zugrunde liegt. Unter Zivilgesellschaft werden demnach sozialpartnerschaftliche Institutionen ebenso verstanden wie lokale und regionale Gebietskörperschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Unternehmen, wissenschaftliche Institutionen bis hin zu einzelnen Bürgerinnen und Bürgern. Zentral für erfolgreiche Beteiligungsprozesse sind aus Sicht der EUInstitutionen die Prinzipien der Offenheit, der Transparenz und der breiten Partizipation im gesamten policy cycle.2 Als Vorteile der „partnerschaftlichen Umsetzung” werden eine Qualitätssteigerung aufgrund des Poolens von Wissen und Ressourcen sowie ein größerer Impact von Europa 2020 durch das breite Commitment und die koordinierten Anstrengungen aller Stakeholder angesehen. Die konkrete Ausgestaltung zivilgesellschaftlicher Beteiligung im Kontext der nationalen Umsetzung der Strategie Europa 2020 blieb bisher allerdings offen, und dementsprechend unterschiedlich gestalten sich in den Mitgliedsstaaten die Prozesse im Rahmen des Europäischen Semesters (s. Kapitel 2). Die vorliegende Studie untersucht 1. Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung der Zivilgesellschaft 2. Bestehende Einbindungsmodelle in Österreich und in anderen EUMitgliedsstaaten

1 2

Angenommen vom ECOFIN-Rat am 13. Juli 2010 und vom BESO-Rat am 21. Oktober 2010. Vgl. European Commission (2001): European Governance. A White Paper. COM (2001) 428 final.

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3. Optimierungspotentiale für die Einbindung von NGOs in das österreichische Reformprogramm

Anknüpfungspunkte für zivilgesellschaftliche Beteiligung werden dabei insbesondere bei den Kernzielen Energie/Klima sowie soziale Eingliederung festgestellt: Es besteht ein hoher zivilgesellschaftlicher Organisationsgrad und NGOs leisten gesellschaftlich breit anerkannte Arbeit. Dementsprechend werden in Kapitel 3 Beteiligungsformen von NGOs in der Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMASK sowie im BMLFUW dargestellt. Besonderes Augenmerk wird zudem auf Öffentlichkeitsbeteiligung in der Kohäsions- und Regionalpolitik gelegt, die für viele NGOs als Projektträger von Bedeutung ist. Die Perspektive von NGO-VertreterInnen auf diese Beteiligungsmöglichkeiten wird in Kapitel 4 näher dargestellt. Auf der Basis qualitativer ExpertInnenInterviews kommen dabei die Erfahrungen und Erwartungen der NGOVertreterInnen im Hinblick auf Partizipation und die Strategie Europa 2020 detailliert zur Sprache. Zusammenfassend wird in Kapitel 5 festgestellt, dass in den untersuchten Bereichen über die vergangenen Jahren eine Vielfalt von Beteiligungspraktiken geschaffen wurden, die mittlerweile gut etabliert und institutionalisiert sind, darunter im Rahmen der Gesetzesbegutachtung, in Beteiligungsprozessen zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen und Strategien, im Rahmen institutionalisierter Gremien sowie mittels themenspezifischer Stakeholder-Dialoge. Aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen der Governance von Europa 2020 (s. Kapitel 1) stellt diese Einbindung auf Umsetzungsebene eine kohärente und zielführende Realisierung des Commitments zur partnerschaftlichen Umsetzung von Europa 2020 dar.

Zu guter Letzt möchte SORA den VertreterInnen von NGOs sowie in der Verwaltung danken, die sich zu ExpertInnen-Interviews bereit erklärt und damit die vorliegende Studie ermöglicht haben.

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Die Strategie Europa 2020: Rahmenbedingungen

1.1 Vorläufer Lissabon Strategie Die Strategie Europa 2020 schließt inhaltlich sowie methodisch an die Lissabon Strategie an, die von den Staats- und Regierungschef der Europäischen Union im März 2000 angenommen worden war, geht aber in diesen beiden Aspekten deutlich über ihre Vorgängerin hinaus. Als generelles Ziel der Lissabon Strategie galt, „… die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“ 3 Der Kern des Programms war demnach „der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft“ 4: Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums führen und eine Überwindung des Produktivitätsrückstands gegenüber Japan und den USA ermöglichen. Der Kontext dieser Ideen ist jener der Knowledge-Based-Economy, im Deutschen meist als Wissensgesellschaft bezeichnet. Entsprechende Überlegungen wurden bereits in den späten 1960er Jahren von amerikanischen Soziologen wie Robert E. Lane oder Daniel Bell vorgebracht. Im Kern steht die Annahme, dass die zentrale Produktivkraft der Zukunft Wissen ist; Arbeit, Kapital und Rohstoffen wird ein geringerer Stellenwert beigemessen. Aus wirtschaftspolitischer Perspektive wird so auch eine Verschiebung von materieller hin zu immaterieller Arbeit angenommen.

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Lissabon Strategie war Wirtschaftswachstum durch eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Erreicht sollte dies durch Innovation (Wissen) sowie Forschung und Entwicklung werden. Gleichzeitig sollte als unterstützende Maßnahme das Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte gesteigert werden. Die strukturelle Umgestaltung der europäischen Ökonomien hin zur Vollendung des Binnenmarkts sollte dabei nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern auch zur Bekämpfung von Armut beitragen.

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Europäischer Rat: Schlussfolgerungen des Vorsitzes; Lissabon – Tagung am 23./24. März 2000. Ebenda.

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Eine ernüchternde Halbzeitbilanz5 führte im Februar 2005 zu einer Fokussierung der Strategie auf drei Prioritäten, allesamt im Bereich Wachstum und Beschäftigung: Vervollständigung des Binnenmarktes, Forcierung von Wissen als Produktivitätsfaktor, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Qualifikationsmaßnahmen.6 Da in dieser Empfehlung ökologische und soziale Zielsetzungen weitgehend unerwähnt blieben, wurden diese Aspekte im folgenden Monat beim Beschluss der überarbeiteten Agenda erneut bekräftigt.7 Noch vor Auslaufen der Dekade der Lissabon Strategie wurde diese allerdings durch das Einsetzen der Finanzkrise im Jahr 2008 nachhaltig gestört. Wirtschaftliche Zielgrößen wurden unerreichbar, und entsprechend andere Schwerpunkte traten auf die politische Agenda der Union und ihrer Mitgliedsstaaten.8

1.2 Sozioökonomischer Kontext Die Strategie Europa 2020 basiert wesentlich auf der Analyse der Dekade der Lissabon Strategie und berücksichtigt auch Erfahrungen, die mit der Offenen Methode der Koordinierung als Governance-Instrument gemacht wurden. Ein erster Vorschlag zur Nachfolgestrategie wurde von der Europäischen Kommission bereits im Jahr 2009 vorgelegt und einer öffentlichen Konsultation unterzogen. Die neue Strategie wurde schlussendlich vom Europäischen Rat am 17. Juni 2010 angenommen. In ihrem Zentrum stehen drei miteinander verzahnte Wachstumsprioritäten: intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum.9 Der Kontext, in dem diese Wachstumsstrategie entwickelt wurde, entspricht weitgehend jenem, der bereits für die Halbzeitevaluierung der Lissabon Strategie galt, wobei die Krise die Ausgangslage drastisch verschlechtert hat. Wie die Kommission in ihrer Analyse festhält, wurden viele positive Entwicklungen zunichte gemacht. Insbesondere kann das Finanzsystem noch immer nicht auf gewohnte Weise Finanzierungsaufgaben ausfüllen und die staatlichen Haushalte sind in Mitleidenschaft gezogen worden: „zwei Krisenjahre haben zwanzig Jahre Haushaltskonsolidierung zunichte gemacht.“10 Zugleich verweist die Kommission auf Strukturprobleme, die bereits vor der Krise zu einer schwächelnden Konjunktur geführt haben. „Das durchschnittliche Wachstum lag strukturell unter demjenigen unserer wichtigsten 5

Weidenfeld, Werner (2010), S. 180. Europäische Kommission (2005). 7 Europäischer Rat (2005). 8 Vgl. Breuss (2009). 9 Europäische Kommission (2010b). 10 Ebenda, S. 8. 6

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Handelspartner, was in erster Linie auf ein Produktivitätsgefälle zurückzuführen ist, das sich im letzten Jahrzehnt noch verstärkt hat.“ Der Grund dafür wird in einem Innovationsrückstand gesehen – zu geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung, Rückstände im Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie – und in einem noch nicht vervollständigten Binnenmarkt. Als weitere interne Herausforderung Europas werden zudem unzureichende Beschäftigungsquoten identifiziert sowie generell die demographische Entwicklung (sinkende Zahlen an Erwerbstätigen und steigende Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme). An globalen Herausforderungen nennt die Kommission unter anderem den sich zuspitzenden internationalen Wettbewerb, die anstehende Neuordnung des Weltfinanzsystems, den Klimawandel und damit verbunden die Rohstofflage sowie die starke Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. 11 Es geht also darum, so das Fazit, sich gemeinsam den „ … unmittelbaren Herausforderung des wirtschaftlichen Aufschwungs und auch den längerfristigen Problemen (Globalisierung, Ressourcenknappheit, Alterung)“ 12 zu stellen – durch Steigerung der Produktivität und damit verbunden die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit.

1.3 Die Architektur von Europa 2020

Fünf Kernziele Im Vergleich zu der vorangegangenen Lissabon Strategie nimmt Europa 2020 davon Abstand, Wirtschaftswachstum einzig in Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts zu messen. Stattdessen werden weitere ökonomische Kenngrößen und soziale Indikatoren herangezogen. 13 Die Kommission hat folgende Kernziele für den EU-Raum vorgeschlagen:14 -

Förderung der Beschäftigung: es wird eine Beschäftigungsquote von 75% der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren angepeilt.

-

Innovationsfähigkeit steigern: 3% des Bruttoninlandsproduktes sollen für Forschung und Entwicklung aufgewendet werden.

-

Erreichung europäischer Klimaschutz- und Energieziele: eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20% verglichen mit dem Niveau von 1990

11

Europäische Kommission (2010b), S. 9. Ebenda, S. 10. 13 Vgl. Hacker / Van Treeck (2010), S. 3 und Pereira (2011), S. 2f. 14 Europäische Kommission (2010b), S. 5. 12

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ist angestrebt. Darüber hinaus sollen sowohl Energieeffizienz als auch der Anteil erneuerbarer Energieträger um 20% gesteigert werden. -

Qualifikationsniveau anheben: es soll eine SchulabbrecherInnenquote von weniger als 10% und eine HochschulabsolventInnenquote von 40% unter den 30- bist 34-jährigen erreicht werden.

-

Armutsbekämpfung intensivieren: im Jahr 2020 sollen 20 Millionen Menschen weniger armutsgefährdet sein.

Die oben genannten Kernziele sollen bis zum Jahr 2020 erreicht werden. Zur Erreichung der genannten Ziele setzt die Strategie Europa 2020 auf drei sich selbst verstärkende Wachstumsaspekte: Wachstum soll intelligent, nachhaltig und integrativ sein.15 -

Intelligent: Förderung einer innovativen, wissensbasierten Wirtschaft

-

Nachhaltig: Ressourcenschonendes und ökologisches Wirtschaften soll zu mehr Wettbewerbsfähigkeit beitragen

-

Integrativ: Wachstum soll auch zu einer hohen Beschäftigungsquote und hohem sozialem Zusammenhalt beitragen

Um in diesem Sinne Wachstum zu fördern, dienen eine Reihe von einander wechselseitig verstärkenden Maßnahmen sowohl auf europäischer Ebene als auch auf Eben der Mitgliedsstaaten, die zusammen in den Steuerungsprozess des Europäischen Semesters eingebettet sind (s. Kapitel 1.4 unten).

Sieben Leitinitiativen – europäische Impulsgeber Die Leitinitiativen sind ein Instrument der europäischen Ebene, mit dem diese als Impulsgeber die Erreichung der fünf Kernziele vorantreiben will:16

15 16

-

Innovationsunion: Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung um kommodifizierbare Innovationen zu generieren.

-

Jugend in Bewegung: Schaffung leistungsfähigerer Bildungssysteme, die Jugendlichen den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Europäische Kommission (2010b), S. 5. Ebenda, S. 6.

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-

Digitale Agenda für Europa: Ausbau schneller Internet Zugangsdienste um die Vorteile eines digitalen Binnenmarktes besser nutzbar zu machen.

-

Ressourcenschonendes Europa: Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung um den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu unterstützen. Dazu zählt auch die Steigerung der Energieeffizienz und des Anteils erneuerbarer Energieträger sowie die Modernisierung des Verkehrswesens.

-

Industriepolitik im Zeitalter der Globalisierung: Förderung einer international wettbewerbsfähigen Industriestruktur und Verbesserung der Rahmenbedingungen für KMU.

-

Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten: Steigerung der Erwerbsquote durch lebenslanges Lernen, Erhöhung der Arbeitsmobilität und Modernisierung der Arbeitsmärkte.

-

Europäische Plattform zur Bekämpfung von Armut: Von Wachstum und Beschäftigung sollen alle profitieren und so der soziale Zusammenhalt gestärkt werden.

Zehn Leitlinien und die Nationalen Reformprogramme „Die Strategie Europa 2020 stützt sich auf ein kleineres Bündel von Leitlinien, das das bisherige Bündel von 24 Leitlinien [Anm.: der Lissabon-Strategie] ersetzt und beschäftigungspolitische Fragen und allgemeine 17 wirtschaftspolitische Fragen auf kohärente Weise behandelt.“ Die Erfahrung, so die Kommission, hat gezeigt, dass die in 24 Leitlinien festgehaltenen mikround makroökonomischen sowie arbeitsmarktpolitischen Ziele nicht klar genug definiert gewesen waren und nicht stark genug ineinander griffen. 18 Im Rahmen der Strategie Europa 2020 sind die Integrierten Leitlinien die zentralen europäischen Rechtsinstrumente, mit denen der Rahmen für Reformen auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten abgesteckt wird und auf die sich die Europäische Kommission im Monitoring nationaler Fortschritte stützt. Die Leitlinien sollen bis 2014 unverändert bleiben und lauten wie folgt:19 1. Gewährleistung der Qualität und langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen 2. Beseitigung makroökonomischer Ungleichgewichte

17

Europäische Kommission (2010d), S. 8. Ebenda; S. 6. 19 Vgl. Europäische Kommission (2010c), S. 9ff und Europäische Kommission (2010d), S. 10 ff. 18

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3. Abbau von Ungleichgewichten in der Eurozone 4. Optimierung der FuE- sowie der Innovationsförderung, Stärkung des Wissensdreiecks und Freisetzung des Potenzials der digitalen Wirtschaft 5. Verbesserung der Ressourceneffizienz und Abbau der Treibhausgasemissionen 6. Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen und Verbraucher und Modernisierung der industriellen Basis 7. Erhöhung der Beschäftigungsquote und Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit 8. Heranbildung von Arbeitskräften, deren Qualifikationen den Anforderungen des Arbeitsmarkts entsprechen, Förderung der Arbeitsplatzqualität und des lebenslangen Lernens 9. Steigerung der Leistungsfähigkeit der allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme auf allen Ebenen und Verbesserung des Zugangs zur Hochschulbildung 10. Bekämpfung von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Armut

In ihren Nationalen Reformprogrammen (NRPs) sind die EU-Mitgliedsstaaten dazu angehalten, sich bei der Umsetzung der Reformen an diesen Integrierten Leitlinien zu orientieren und zu berichten mit welchen Maßnahmen sie die fünf Kernziele erreichen und die wichtigsten Wachstumshemmnisse beseitigen werden.20

Übergreifende Governance Die übergreifende Steuerungsarchitektur der Strategie Europa 2020 wird von der Europäischen Kommission entlang von drei Säulen dargestellt (s. Tabelle 1 auf der nächsten Seite):21

20 21

Europan Commission (2010b), S. 2. Vgl. im Detail auch Auböck / Burger / Mangler (2011).

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Tabelle 1: Governance der Europa 2020 Strategie22 5 EU-Kernziele Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) 10 integrierte Leitlinien

Nationale Ebene

Makroökonomische

Thematische

Überwachung

Koordinierung

Leitlinien 1-3

Leitlinien 4-10

Nationale Reformprogramme

Fiskalpolitische Überwachung

Stabilitäts- und Konvergenzprogramme

Jahresswachstumsbericht der Kommission EU-Ebene

Jährliche horizontale und länderspezifische Empfehlungen Leitinitiativen und Instrumente der EU

22 23

-

Die erste Säule befasst sich mit der makroökonomischen Überwachung und beinhaltet die Leitlinien 1 bis 3. Ziel ist es, auf makroökonomischer Ebene Ungleichheiten und Schwachstellen anzusprechen, um einen Rahmen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Dies fällt in den Aufgabenbereich des Rats für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN). 23

-

Die zweite Säule bildet die thematische Koordinierung mit dem Ziel, „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ und Beschäftigung sicherzustellen. Die Leitlinien 4 bis 10 geben die Richtung hierfür vor. Die Leitinitiativen der Kommission sollen Fortschritte in den entsprechenden Bereichen unterstützen. Gemessen werden diese an den EU-Kernzielen und den entsprechenden nationalen Zielen. Eine zentrale Rolle für die thematische Koordinierung spielen die EU-Ministerratstreffen. „Der thematische Ansatz spiegelt die EU-Dimension wider, verdeutlicht die enge Verflechtung der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten und ermöglicht eine größere Selektivität bei konkreten Initiativen, mit denen die Strategie und

Quelle: Europäische Kommission (2010a), S. 2. Marlier, Eric / Natali, David / Van Dam, Rudi (2010), S. 18.

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die Verwirklichung der Kernziele auf EU- und auf mitgliedstaatlicher Ebene vorangebracht werden sollen.“24 -

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) bildet die dritte Säule, indem er den Rahmen für Haushaltsdiziplin setzt und so zur fiskalischen Konsolidierung beitragen soll.

Der Rahmen für das politische Handeln der Mitgliedsstaaten ist also einerseits durch die Leitlinien und andererseits durch den SWP vorgegeben. 25 Die Umsetzung der Europa 2020-Vorgaben auf nationaler Ebene dokumentieren die – in Österreich vom Bundeskanzleramt koordinierten – Nationalen Reformprogramme. In diesen soll Österreich bzw. die Mitgliedsstaaten darlegen, „ … welche Maßnahmen sie zur Umsetzung der Strategie planen, und insbesondere erläutern, wie sie ihre nationalen Ziele erreichen und die Hemmnisse für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum auf nationaler Ebene beseitigen wollen.“26 Die Leitinitiativen der EU wiederum definieren den Rahmen, innerhalb dessen mit Instrumenten der europäischen Ebene die nationalstaatlichen Bemühungen unterstützt werden.

1.4 Das Europäische Semester Das Europäische Semester ist ein integrierter Bestandteil der Architektur von Europa 2020 und zielt auf die systematische Koordinierung sowie das Monitoring der oben dargestellten drei Säulen der Strategie ab, wodurch insbesondere eine frühzeitige (ex-ante) Überprüfung der nationalen Reformvorhaben und Haushaltsentwürfe erreicht werden soll.27 Dabei bleiben zwar die Koordinierungsinstrumente des SWP und von Europa 2020 legal und formal getrennt voneinander, doch durch die Angleichung der Koordinierungszyklen wird es der Union nunmehr möglich, mehrere Ressorts und Einzelpolitiken in ihren Empfehlungen zu berücksichtigen und Bezüge zwischen diesen herzustellen.28

24

Europäische Kommission (2010b), S. 32. Im europäischen Semester wurden die Berichterstattung der Union und der Mitgliedsstaaten bezüglich dieser beider getrennter Instrumente nun auch terminlich angeglichen. Dies erlaubt es, beide Bereiche wechselseitig in Berichten und Empfehlungen zu berücksichtigen. 26 Europäische Kommission (2010c), S. 2. 27 Hacker / Van Treeck (2010), S. 3 und Molino / Zuleeg (2012) S. 11. 28 Hacker / Van Treeck (2010), S. 6. 25

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Im Kern handelt es sich beim Europäischen Semester, welches in der Verordnung (EU) Nr. 1175/201129 kodifiziert wurde, um einen jährlichen Zyklus von Berichterstattung und Rückmeldungen. Zentrale Akteure in diesem Prozedere sind einerseits die Kommission, die ein Gros der administrativen Aufgaben stemmt und insbesondere eine Schlüsselposition bei der Erstellung länderspezifischer Empfehlungen einnimmt. Bei der Überprüfung und Diskussion der Nationalen Reformprogramme nehmen aber auch die jeweiligen Fachministerräte eine wichtige Rolle ein. Der Europäische Rat ist für die Makrosteuerung der Strategie verantwortlich, d.h. für die Festlegung der horizontalen Leitlinien und die jährliche Gesamtbewertung der Fortschritte. Das Europäische Semester besteht im Wesentlichen aus folgenden Schritten (s. Tabelle 2 auf der folgenden Seite):30 -

Semesterbeginn: „Gegen Jahresende, spätestens aber am Beginn des darauf folgenden Kalenderjahres, beurteilt die Kommission in ihrem Jahreswachstumsbericht die Entwicklung der EU hinsichtlich folgender Punkte: makroökonomische Entwicklungen, Fortschritt bei der Umsetzung der EU-Kernziele, Gesamtfortschritt bezüglich fiskalischer Zielsetzungen. Gleichzeitig werden zentrale Herausforderungen für das bevorstehende Jahr thematisiert.

-

März: Vorbereitet durch die Räte für Wirtschafts- und Finanzpolitik (ECOFIN) und für Beschäftigung, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) spricht der Rat anlässlich der Frühjahrstagung erste Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten aus.31 Angesprochen werden dabei die Haushaltskonsolidierung, makroökonomische Strukturreformen und Wachstumsförderung. Diese sollten bereits in den von den Mitgliedsstaaten im Folgemonat zu übermittelnden Berichten berücksichtigt werden.

-

April: Die Mitgliedsstaaten übermitteln ihre Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme und Nationalen Reformprogramme entsprechend den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der Integrierten Leitlinien als auch der Orientierungen, die der Europäische Rat auf seiner Frühjahrstagung im März vornimmt.

-

Juni: Basierend auf den Berichten der Mitgliedsstaaten präsentiert die Kommission länderspezifische Empfehlungen bzw. Entwürfe für Stellungnahmen des Rates. Dabei wird erwartet, dass die Mitgliedsstaaten

29

Verordnung (EU) Nr. 1175/2011, des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken. 30 Vgl. Europäische Kommission (2010a), S. 4ff und Europäische Kommission – Europa 2020 (Internetportal): http://ec.europa.eu/europe2020/making-it-happen/index_de.htm. 31 Europäische Kommission (2010a), S. 4.

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diesen Empfehlungen folgen, und dass diese bei der folgenden Abfassung ihrer Haushaltsentwürfe und Strukturreformen berücksichtigt werden. -

Zweite Jahreshälfte: Sie soll dazu genutzt werden, die Empfehlungen der EU in nationale Politik umzusetzen. Im folgenden Jahreswachstumsbericht sowie den länderspezifischen Empfehlungen des folgenden Zyklus wird die Union wiederum prüfen, wie sehr diese Empfehlungen beachtet wurden.

Tabelle 2: Das Europäische Semester32 Europäische Kommission

Europäisches Parlament

Ministerrat

Europäischer Rat

Jahreswechsel

Jahreswachstumsbericht

Februar

Diskussion des Berichts

Diskussion des Berichts

März

Frühjahrsgipfel

Erstellung nationaler Berichte für die haushalts- und strukturpolitische Überwachung (NRP)

April Mai Juni Juli 2. Jahreshälfte 32

Mitgliedsstaaten

Analyse der Berichte und Erstellung von länderspezifischen Empfehlungen und Vorschlägen für Stellungnahmen des Rates

Verabschiedung der Empfehlungen und Stellungnahmen

Vorbereitung des Jahreswachstumsbericht

Quelle: Ebenda; S. 7.

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Juni-Gipfel

Entscheidungen auf nationaler Ebene Budgeterstellung

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1.5 Akteure und Instrumente Wie aus der Darstellung der Inhalte von Europa 2020 und ihrer Umsetzung im Zuge des Europäischen Semesters deutlich wird, ist es eine Vielzahl von Akteuren, die in diesen Prozess eingebunden sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Zusammenspiel von Union und Mitgliedsstaaten, die jeweils über unterschiedliche Instrumente verfügen (s. Tabelle 3). Tabelle 3: Instrumente auf EU- und nationaler Ebene33 EU Prioritäten

Fünf Kernziele Zehn Integrierte Leitlinien

Instrumente auf EU-Ebene

Europäisches Semester: -

Makroökonomische Überwachung

-

Thematische Koordinierung

-

Fiskalpolitische Überwachung

Sieben Leitinitiativen Vervollständigung des Binnenmarktes, Industriepolitik, Außenhandelspolitik, Kohäsions- und Regionalpolitik, GSR Fonds usw. (bzw. EU-Haushalt generell) Instrumente auf Ebene der Nationalstaaten

Nationale Ziele im Rahmen der EU-Kernziele Maßnahmen und Strategien aller Verwaltungsebenen sowie weiterer Institutionen und Akteure zur Umsetzung von Europa 2020 (wie in den NRP dokumentiert); nationale Haushalte Verwendung von Mitteln der EU-Fonds bzw. Regionalpolitik und ländliche Entwicklung

Verantwortlich für die Steuerung der Strategie und die Abstimmung der Politik ist der Europäische Rat. Er „ … beobachtet die Umsetzung des Programms Europa 2020 und kann sich bei künftigen Tagungen auf spezifische Themen (z. B. Forschung und Innovation, Qualifikationen) konzentrieren und Orientierungshilfe sowie notwendige Impulse geben.“34 Dabei arbeitet er eng mit dem Ministerrat zusammen. Dementsprechend spielen die Fachministerräte eine zentrale Rolle im Informationsaustausch und daher auch in der Umsetzung von Europa 2020. 33 34

Vgl. Marlier / Natali / Van Dam (2010), S. 30 und Europäische Kommission (2010a), S. 3. Europäische Kommission (2010b), S. 33 f.

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Die Europäische Kommission übernimmt im Rahmen von Europa 2020 die zentrale Aufgabe des Monitorings und der Entwicklung länderspezifischer Empfehlungen, d.h. der Überwachung der nationalen Reform- und Haushaltsentwürfe.35 Bei mangelnder Beachtung oder Umsetzung der Empfehlungen können politische Warnungen ausgesprochen und Sanktionen verhängt werden. – Die Kommission setzt auf Ebene der Union aber auch selbst Akzente, etwa mit den sieben Leitinitiativen und ihren unterschiedlichen Fonds und Budgets (vgl. Kapitel 1.5.1.) Insgesamt verfolgt die Kommission das Ziel, die Mittel der Union verstärkt an den angestrebten Zielen von Europa 2020 auszurichten (siehe auch die aktuellen Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020). 36 Die Verantwortung für die Umsetzung der Integrierten Leitlinien liegt bei den Mitgliedsstaaten und deren regionalen und lokalen Gebietskörperschaften. Dabei soll eng mit Parlamenten, Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet bzw. diese in die Umsetzung einbezogen werden. 37 Darüber hinaus übernimmt das Europäische Parlament als Mitgesetzgeber eine wichtige Rolle und kann im Vorfeld der Frühjahrstagung des Europäischen Rates eine Entschließung zur Bewertung der Strategie Europa 2020 vorlegen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen sollen zivilgesellschaftliche Strukturen stärken und Kooperationen auf unterschiedlichen Ebenen anregen. 38

1.5.1 Mehrjähriger Finanzrahmen 2014-2020 „Die Kommission möchte, dass das Geld im nächsten EU-Haushalt anders ausgegeben wird, mit einer größeren Betonung auf Ergebnissen und Wirkung und einer stärkeren Konzentration auf die Verwirklichung der Strategie Europa 2020.“39 Eine möglichst effiziente Ausrichtung des Budgets auf die Ziele der Union ist insofern von besonderer Bedeutung, als dieses einen starken Hebel 40 für die Erreichung der Kernziele bereitstellt.

35

Die Kommission „legt einen Jahresbericht über die Ergebnisse der Strategie Europa 2020 vor, konzentriert sich dabei auf die bei den vereinbarten Kernzielen erreichten Fortschritte und bewertet die Länderberichte und die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme. Vor diesem Hintergrund spricht die Kommission politische Empfehlungen oder Verwarnungen aus, präsentiert politische Vorschläge für die Verwirklichung der Ziele der Strategie und legt eine spezifische Bewertung der im Euroraum erreichten Fortschritte vor.“ (Europäische Kommission 2010b, S. 34). 36 Chiorean-Sime / Dhéret / Zuleeg (2012), S. 10. 37 Ebenda. 38 Europäische Kommission – Europa 2020 (Internetportal): http://ec.europa.eu/europe2020/who-doeswhat/eu-institutions/index_de.htm. 39 Europäische Kommission (2011c), S. 11. 40 Pereira (2011), S. 4.

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Tabelle 4: Volumen des Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 (Vorläufige Zahlen aufgrund des Kommissionsvorschlags vom Juni 2011) 41 2014-2020 1. Intelligentes und integratives Wachstum

490.908

davon: Soziale, wirtschaftliche und territoriale Kohäsion

376.020

2. Nachhaltiges Wachstum: Natürliche Ressourcen

382.927

davon: Marktbezogene Ausgaben und Direktzahlungen

281.825

3. Sicherheit und Unionsbürgerschaft

18.535

4. Globales Europa

70.000

5. Verwaltung

62.629

davon: Verwaltungsausgaben der Organe

50.464

Mittel für Verpflichtungen insgesamt

1,025.000 (in Mio. EUR - zu konstanten Preisen 2011)

Um das Budget – zwischen 2014 und 2020 etwas mehr als eine Billion Euro – besonders effektiv für die Kernziele der Union einsetzen zu können, sieht die Kommission unter anderem folgende Neuerungen vor: -

Horizont 2020: 42 Die bestehenden Forschungs- und InnovationsFörderinstrumente (Forschungsrahmenprogramm, Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation) werden durch Horizont 2020 ersetzt. Im Zeitraum zwischen 2014 und 2020 sollen ca. 80 Milliarden Euro aufgewendet werden, um Europas Innovationsrückstand zu reduzieren. Zusätzlich könnten noch, wie in der Periode zwischen 2007 und 2013, weitere 60 Milliarden Euro aus den Strukturfonds dafür aufgewendet werden.

-

Kohäsionspolitik: „Die Kommission möchte die Kohäsionsausgaben durch eine systematischere Verknüpfung mit den Zielen von Europa 2020 stärker an Ergebnissen und Wirkung ausrichten.“43 Die Mitgliedsstaaten sollen dazu verpflichtet werden darzulegen wie der Einsatz der unterschiedlichen Finanzierungsinstrumente zu den Zielen von Europa 2020 beiträgt. Insgesamt sollen der Kohäsionspolitik ca. 380 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Ein Viertel davon soll allein auf den Europäischen Sozialfonds entfallen.

-

Gemeinsame Agrarpolitik:44 Die Mittel der Agrarpolitik sollen nicht mehr nur zum Zweck der Produktivitätssteigerung, Marktstabilisierung und Un-

41

Europäische Kommission (2011c), S. 7. Europäische Kommission (2011c), S. 11 ff. 43 Ebenda, S. 13. 44 Ebenda, S. 17 ff. 42

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terstützung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen verwendet werden. Die Schonung von Klima und Ressourcen soll in den Förderrichtlinien, entsprechend Europa 2020, mehr Beachtung finden. Auch der Europäische Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes soll stärker an diesen Zielen ausgerichtet werden. Um die Durchführung des Budgets zu vereinfachen, soll die Anzahl unterschiedlicher Programme und Instrumente verringert werden bzw. wie etwa bei Horizont 2020 verschiedene Instrumente unter einem Rahmen kombiniert werden. Dies betrifft in ähnlicher Weise auch folgenden Fonds: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, Europäischer Sozialfonds, Kohäsionsfonds, Europäischer Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds. Ein gemeinsamer strategischer Rahmen soll in all diesen Fonds für eine zielgerichtete Anwendung der Mittel Sorge tragen. Die Fonds sollen so auch koordinierter umgesetzt werden und klare Investitionsprioritäten festlegen.45

1.6 Nationale Umsetzung und Reformprogramme Die Nationalen Reformprogramme (NRPs) der EU-Mitgliedsstaaten erfüllen als zentrales Element des Europäischen Semesters eine spezifische Funktion im Rahmen bestehender rechtlicher und politischer Verpflichtungen auf europäischer Ebene: Sie ermöglichen die Ex-ante-Überwachung der nationalen Reformvorhaben und Haushaltsentwürfe durch die Europäische Kommission und damit das Einfließen der EU-Dimension in die Willensbildung auf nationaler Ebene.46 Die Struktur der NRPs folgt dabei den detaillierten Vorgaben der Europäischen Kommission: 47 NRPs „should identify how Member States have translated the EU headline targets into national targets and how they intend to put the Integrated Guidelines into practice. Furthermore, NRPs should set out how Member States aim to meet these targets and overcome the main obstacles to growth”.48 – Dies soll in den NRPs fokussiert erstens in Bezug auf die Integrierten Leitlinien 1-3 in einem Abschnitt zur “Makro-ökonomischen Überwachung” dargelegt werden; zweitens in Bezug auf die Integrierten Leitlinien 4-10 in einem Abschnitt zur „Thematischen Koordinierung“.

45

Molino / Zuleeg (2011), S. 24f; Chiorean-Sime / Dhéret / Zuleeg (2012), S. 21. Vgl. Köhler-Töglhofer / Part (2011), S. 75-76. 47 European Commission (2010b, 2012). 48 European Commission (2010b), S. 2. 46

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Die NRPs sollen auf die jeweiligen Vorgaben aus dem Jahreswachstumsbericht, den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats sowie den länderspezifischen Empfehlungen eingehen. Um der Kommission ihre Aufgabe des Ex-ante-Monitorings zu ermöglichen, soll dabei dargelegt werden, mit welchen Maßnahmen und mit welchen budgetären Konsequenzen, welche messbaren Effekte im Hinblick auf Wachstum, die länderspezifischen Empfehlungen bzw. die fünf Kernziele erreicht werden. Dokumentiert werden sollen in den NRPs daher nicht allgemeine Strategien, Pläne und Absichten, sondern konkrete, in ihren Effekten möglichst quantifizierbare Maßnahmen, die bereits laufen oder beschlossen sind oder kurz vor der Beschlussfassung stehen. Den Schwerpunkt der politischen Agenda im Rahmen von Europa 2020 sollen dabei aus europäischer Sicht die Beseitigung von spezifischen makrostrukturellen Wachstumshemmnissen bilden, wie sie auf Basis einer Analyse der Europäischen Kommission im EU-Ministerrat diskutiert49 und bestätigt wurden. Für Österreich sind dies: 50 1. Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei gleichzeitiger Förderung von Wachstum 2. Stärkung des Finanzsektors 3. Stärkung der Binnennachfrage 4. Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, insbesondere von älteren ArbeitnehmerInnen 5. Ausrichtung der Bildungssysteme auf die Verbesserung des Humankapitals und Stärkung der Innovationskapazitäten.

Dieser Aufgabenkatalog soll für die Dekade 2010-2020 der Strategie Europa 2020 die Agenda prägen, wobei die jährlichen länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters den Fortschritt überwachen und konkrete Reformanregungen geben.

Das Österreichische Reformprogramm In Österreich wird die Erstellung des Nationalen Reformprogramms vom Bundeskanzleramt koordiniert. Aufgrund des Jahreswachstumsberichts 2010 und 49

Im Wirtschafts- und Finanzausschuss sowie im Wirtschaftspolitischen Ausschuss des Rates der Europäischen Union. 50 European Commission (2010a), S. 97-100.

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im Dialog mit der europäischen Ebene wurden im ersten Zyklus des Europäischen Semesters entlang der fünf EU-Kernziele folgende nationale Ziele für Österreich vereinbart und im Reformprogramm dokumentiert: Tabelle 5: Europa 2020 Kernziele: EU und Österreich 51 EU-Kernziel

Österreich

Beschäftigungsquote (in %)

75%

77-78 %

FuE in % des BIP

3%

3,76%

Verringerung des CO2 Ausstoßes im Nicht-Emissionshandelssektor (gegenüber 2005)

-10%

-16%

Erneuerbare Energien

20%

34%

Energieeffizienz – Verringerung des Energieverbrauchs in Mio. t RÖE

368 Mio. t ROE = Anstieg der Energieeffizienz um 20%

7,16 Mio. t ROE

Schulabbrecherquote in %

unter 10%

9,50%

HochschulabsolventInnen in %

min. 40%

38%

minus 20 Mio. Personen

minus 235.000

Senkung des Anteils der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Bevölkerung in Personen

Die länderspezifischen Empfehlungen für Österreich fokussierten im ersten Zyklus des Europäischen Semesters auf folgende Punkte:52 1. Budgetkonsolidierung; 2. Reformen zur Angleichung der legislativen und administrativen Zuständigkeitsbereiche zwischen den Regierungsebenen, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens; 3. Reformen zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit des Pensionssystems; 4. Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung; 5. Steigerung des Wettbewerbs durch Abbau von Zugangsbeschränkungen und Stärkung der Wettbewerbsbehörde.

Maßnahmen zur Umsetzung dieser Empfehlungen sollten aufgrund der Vorgaben der Europäischen Kommission im folgenden Reformprogramm des 51 52

Europäische Kommission (2011b), S. 28, 30; Österreichisches Nationales Reformprogramm 2012, S. 11. Rat der Europäischen Union (2011).

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zweiten Zyklus des Europäischen Semesters besonders hervorgehoben, der Stand der Implementierung beschrieben und die jeweiligen budgetären Konsequenzen sowie Wachstumseffekte exakt quantifiziert werden. Darüber hinaus sollen weitere Maßnahmen berichtet werden, die zur Erreichung der EU 2020 Kernziele dienen, wobei der Fokus auf den auf europäischer Ebene vereinbarten gemeinsamen Prioritäten liegen soll. Berichtet wird dementsprechend im Kapitel „Thematische Koordinierung“ des Österreichischen Reformprogramms 2012 über Maßnahmen im Verantwortungs- bzw. Zuständigkeitsbereich folgender Ressorts auf Bundesebene: Bundesministerium für Finanzen (BMF), Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ), Bundeskanzleramt (BKA), Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF), Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW), , Bundesministerium für Unterreicht, Kunst und Kultur (BMUKK). Darüber hinaus enthalten die Reformprogramme ausgewählte Maßnahmen bzw. Best-Practice-Beispiele auf Länderebene, der Sozialpartner, einiger Städte und Gemeinden sowie weiterer Institutionen.53 Ebenfalls informiert wird über die Verwendung von Mitteln der EUStrukturfonds zur Finanzierung von Maßnahmen, die den Europa 2020-Zielen zugeordnet werden können. 54

53

Beispielsweise des Klima- und Energiefonds (BMLFUW), der Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) oder des Arbeitsmarktservice (AMS). 54 Vgl. Bundeskanzleramt (2011): Annex I zum Nationalen Reformprogramm. VERWENDUNG VON MITTELN DER EU-STRUKTURFONDS ZUR FINANZIERUNG VON MASSNAHMEN ZUR UMSETZUNG DER ZIELE DES NATIONALEN REFORMPROGRAMMS. Wien.

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Einbindung der Zivilgesellschaft: Europäische Praxis und Österreich im EU-Vergleich

2.1 Einbindungspraxis auf EU-Ebene und Europa 2020 Die US-amerikanische Politologin Vivien Schmidt kommt in ihrem groß angelegten Vergleich der politischen Systeme der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zum Schluss, dass die Europäische Union ein Defizit in repräsentativer Demokratie, aber eine Stärke in Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung habe.55 Das Defizit in repräsentativer Demokratie wird in der wissenschaftlichen Literatur insbesondere in der Schwäche der europäischen politischen Parteien, dem konsensorientierten politischen System und daher dem geringen Einfluss von Wahlergebnissen auf die politische Agenda gesehen: Voters in Euro-elections are simply not offered an opportunity to choose between rival partisan elites presenting alternative programs at that level of aggregation. ... Most important, there is virtually no way that individual citizens voting in free, equal, fair, and competitive Euroelections could influence the composition of Euro-authorities, much less bring about a rotation of those in office ... it remains impossible to translate a majority produced by the European electorate at large into an effective and predictable change in government or policy.56

Der Ausbau von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung war nicht zuletzt eine Reaktion der Europäischen Institutionen auf eine wachsende Kritik an einem demokratischen Defizit der EU seit dem Ende der 1970er Jahre. Ein wichtiger Moment in diesem Zusammenhang war der negative Ausgang des ersten Dänischen Referendums zum Vertrag von Maastricht (1992), welcher auf Ebene der Regierungschefs wie der Kommission mit einem Aufruf zu mehr Bürgernähe beantwortet wurde und in den folgenden Jahren in zahlreiche Initiativen zur Stärkung von Transparenz, Information und Partizipation mündete. 57

55

Schmidt, Vivien A. (2007).

56

Schmitter, Phillippe C. (2000), S. 7.

57

Am 30. Juni 1993 verabschiedete die Europäische Kommission eine neue Informationspolitik (EC, 1994, Information, Communication, Openness, SEC (93) 916/9), die eine breite Einbindung der BürgerInnen in den Integrationsprozess in Aussicht stellte. Zu den weiteren Maßnahmen vgl. Mak (2002), S. 12-13, 50-85.

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2.1.1 Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung in der EU-Kommission Ein Meilenstein für die Stärkung und systematische Verbesserung der Beteiligungsverfahren in der Kommission war die Veröffentlichung des „Weißbuch Europäisches Regieren“ im Jahr 2001. 58 In diesem Dokument stellte die Kommission ihr Projekt eines Ausbaus von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung als ein Element von „good governance“ entlang der Kriterien der Offenheit, der Einbindung, der Verantwortlichkeit, der Effektivität und der Kohärenz vor. Ein zentrales Argument des Papiers bestand darin, dass Öffentlichkeitsbeteiligung proaktiv sein solle, d.h. nicht nachträglich, sondern vor der Entscheidungsfindung stattfinden solle – ein Prinzip, das bis dato auch für die institutionalisierten Beratungsgremien Ausschuss der Regionen sowie Wirtschafts- und Sozialausschuss nicht verwirklicht gewesen war. Den Mehrwert einer proaktiven Beteiligung argumentierte die Kommission wie folgt: Solche Konsultationen helfen der Kommission und den übrigen Institutionen, einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Forderungen und Prioritäten zu finden und eine längerfristige politische Perspektive zu entwickeln. Partizipation heißt nicht Institutionalisierung von Protest. Partizipation bedeutet vielmehr wirkungsvollere Politikgestaltung auf der Grundlage frühzeitiger Konsultationen und der Erfahrungen der Vergangenheit. (Weißbuch Europäisches Regieren, S. 21)

Im Anschluss an das Weißbuch entwickelte die Kommission allgemeine Grundsätze und Standards der Konsultation, die – nach umfangreichen Anhörungen – am 11. Dezember 2002 veröffentlicht wurden.59 Während Konsultationsverfahren bislang aufgrund der eigen Praktiken und Standards einzelner Dienststelle abgewickelt wurden, sollte damit eine transparentere, kohärente, faire und effektive Kultur der Konsultation gefördert werden. Grundsätzliche Leitlinie für die Öffentlichkeitsbeteiligung blieb dabei eine klare Trennlinie zwischen der Politikvorbereitung auf der einen und den formellen Beschlussfassungsprozessen auf der anderen Seite. Konsultation heißt demnach die Einbeziehung externer Parteien vor einem Beschluss durch die Kommission. [Es] muss eine klare Trennlinie zwischen Konsultationen, die auf eigene Initiative der Kommission vor Annahme eines Vorschlags

58

Vgl. European Commission (2001): European Governance. A White Paper. COM (2001) 428 final. Mitteilung der Kommission „Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission“, KOM (2002) 704 endgültig.

59

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eingeleitet werden, und dem sich anschließenden formellen und verbindlichen Beschlussfassungsprozess entsprechend den Verträgen gezogen werden.60

Öffentlichkeitsbeteiligung soll dazu dienen, den verschiedenen Stakeholdern bzw. zivilgesellschaftlichen Gruppen auf breiter Basis eine Stimme in der Politikgestaltung zu geben, bzw. aus Sicht der Kommission die Qualität der Politikgestaltung zu erhöhen, indem die gesellschaftlich vorhandene Expertise, die Perspektiven von Betroffenen und die unterschiedlichen Interessen überblickt werden können. Um dieses Ziel zu verwirklichen, legte die Kommission folgende Standards für Konsultationsverfahren fest:

60

-

Inklusivität (möglichst umfassende Einbeziehung)

-

Bei auf bestimmte Zielgruppen beschränkte Konsultationen: Transparente und klare Kriterien für die Auswahl

-

Transparenz und Öffentlichkeit des gesamten Konsultationsverfahrens für die Beteiligten und die breite Öffentlichkeit: Welche Themen stehen zur Debatte, welche Mechanismen werden zur Konsultation verwendet, wer wird angehört und warum, wodurch wurden die Entscheidungen bei der Politikgestaltung beeinflusst?

-

Einrichtung einer öffentlichen Datenbank mit Informationen zu den in Konsultationsverfahren einbezogenen Organisationen und ihrer Repräsentativität (CONECCS)

-

Effektivität der Öffentlichkeitsbeteiligung (Verhältnismäßigkeit des Aufwandes, Zeit- und Kosteneffizienz)

-

Kohärente Anwendung innerhalb der Kommission, Einrichtung von Feedback-, Evaluierungs- und Überprüfungsmechanismen (jährliche Berichte)

-

Feedback und Nachvollziehbarkeit der Berücksichtigung in der Politikgestaltung: Zu diesem Zweck sollen sich die Begründungen zu den Legislativvorschlägen oder zu den Mitteilungen der Kommission im Nachgang zu einem Konsultationsverfahren auf die Ergebnisse dieser Konsultationen beziehen sowie Erläuterungen zu ihrer Durchführung und zu der Art und Weise, wie die Ergebnisse im Vorschlag berücksichtigt wurden, enthalten.

Ebd., S. 9.

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Die Kommission sorgt aufgrund interner Verfahren für eine Berücksichtigung dieser Standards in der Verwaltungspraxis. Im Rahmen der Initiative „Better Regulation“ werden die Konsultationsverfahren evaluiert und jährlich in den „Better Lawmaking Annual Reports“ berichtet. Im Rahmen der „European Transparency Initiative“ wurde ein ausführlicher Review der Konsultationsmechanismen – unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft – durchgeführt und weitere Maßnahmen zur Verbesserung eingeleitet.61

2.1.2 Beispiel: Das Konsultationsverfahren im Vorfeld von Europa 2020 Die Europäische Kommission führte bereits Ende 2009 eine öffentliche Konsultation zur Strategie Europa 2020 durch. Alle Einzelpersonen, Unternehmen, Organisationen und politischen Institutionen konnten von 24.11.2009 bis 15.01.2010 online Stellungnahmen abgeben. Grundlage der Konsultation war ein 15-seitiges Arbeitspapier, das aus Sicht der EU-Kommission die wesentlichen Herausforderungen sowie zukünftige Handlungsfelder definierte. 62 Bis zum Ende des Beteiligungsverfahrens erhielt die Kommission 1.400 Stellungnahmen aus allen Mitgliedsstaaten, von Parteien, Ministerien, EUInstitutionen, Sozialpartnern, Berufsverbänden, Unternehmen sowie 190 NGOs, 54 „think tanks“, 32 akademischen Einrichtungen und 500 individuellen BürgerInnen. Die Kommission fasste die Ergebnisse der Konsultation am 4.3.2010 in einem 30-seitigen öffentlichen Bericht zusammen. Traditionell werden die Stellungnahmen dabei nach Herkunft des/r BeiträgerIn gegliedert – auch, um die unterschiedliche Repräsentativität der Beiträger (z.B. nationale Regierungen vs. NGOs) zu berücksichtigen. Folgende Gliederung wurde vorgenommen: 1. Mitgliedsstaaten 2. Europäische und nationale politische Parteien 3. Regionale und lokale Gebietskörperschaften 4. Europäische Institutionen und Organisationen 5. Sozialpartner 6. Andere Stakeholder (v.a. NGOs), gegliedert nach Themenbereich (sozial, Umwelt, KonsumentInnenschutz, Gesundheit, Bildung) 61

Communication from the Commission - Follow-up to the Green Paper 'European Transparency Initiative' [SEC (2007) 360], COM/2007/0127 final. 62 European Commission (2009): Commission working document. Consultation on the future “EU 2020” strategy. COM (2009) 647.

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7. Einzelne BürgerInnen 8. Internationale Stakeholder

Im Anschluss an diese Konsultation veröffentlichte die Kommission am 3.3.2010 ihren ersten Vorschlag für die Strategie Europa 2020, 63 die die Basis für den Entscheidungsprozess zwischen Europäischem Rat, Ministerrat, Europäischem Parlament und Kommission bis zur Annahme der Strategie bildete.

Österreichische BeiträgerInnen zur Konsultation Europa 2020 Folgende österreichische BeiträgerInnen beteiligten sich an dem Konsultationsverfahren zu Europa 2020:

63

-

Österreichische Bundesregierung

-

Bundesministerium für Unterricht Kunst und Kultur (BMUKK)

-

Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Österreich (BMWA)

-

Land Niederösterreich

-

Landwirtschaftskammer – EU und Internationale Angelegenheit

-

Wirtschaftskammer (WKO)

-

AK Wien – EU & Internationales

-

Österreichischer Gewerkschaftsbund

-

Österreichische Industriellenvereinigung

-

Städtebund

-

Koordinationsstelle österreichischer Umweltorganisationen (ÖKOBÜRO)

-

Die Armutskonferenz

-

Verband der Elektrizitätsunternehmen Österreichs (VEO)

-

Verbund – Österreichische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft

-

Volkshochschule Meidling

-

Axel Borsdorf (Institut für Geographie, Universität Innsbruck)

Europäische Kommission (2010b).

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Vor- und Nachteile für NGOs Für NGOs bieten derartige EU-Konsultationsverfahren sowohl Vor- als auch Nachteile: Vorteile: -

Transparenz des Verfahrens, Veröffentlichung und Berücksichtigung aller Beiträge

-

Gleichberechtigung aller BeiträgerInnen bzw. unterschiedliche Berücksichtigung aufgrund klarer Kriterien (Repräsentativität der BeiträgerInnen)

-

Veröffentlichung einer ausführlichen Zusammenfassung, frühzeitiges Konsultationsverfahren, daher Beachtung in der Politikformulierung möglich

Nachteile: -

hoher Aufwand, kurze Fristen, aufgrund Anzahl der BeiträgerInnen geringer Einfluss einzelner Organisationen

-

punktuelle Einbindung anstatt längerfristigen Dialogs z.B. im Rahmen von institutionalisierten Arbeitsgruppen oder Begleitausschüssen

-

schriftliche Form ermöglicht keinen direkten Dialog

-

im Falle der Konsultation zu Europa 2020 sehr breites Thema und daher über die Zusammenfassung der Ergebnisse hinaus keine konkrete und nachvollziehbare Darstellung, wie die Beiträge in den Vorschlägen der Kommission aufgenommen und berücksichtigt wurden

2.1.3 Europäische NGO-Dachverbände Im Zuge der Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung auf EU-Ebene haben sich – auch gefördert von der Europäischen Kommission – in zahlreichen Themenfeldern europäische Dachorganisationen von NGOs etabliert. Diese vertreten die Interessen der NGOs gegenüber den europäischen Institutionen. Sie pflegen in Konferenzen und Workshops den Diskurs mit Fachöffentlichkeiten und der Verwaltung und sind in konstantem Austausch mit der Europäischen Kommission sowie dem Europäischen Parlament. Zu den für Europa 2020 wesentlichen Organisationen gehören: European Anti Poverty Network (EAPN): EAPN ist ein im Jahr 1990 gegründetes Netzwerk von 30 nationalen NGOs sowie 23 europäischen Organisationen im Bereich der Armutsbekämpfung. EAPN ist Mitbegründer der „Social Platform“.

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Social Platform: Die “Social Platform” wurde 1995 als Dachorganisation von etwa 40 europäischen Dachorganisationen bzw. Netzwerken im Sozialbereich gegründet. European Network of Social Integration Enterprises (ENSIE): ENSIE ist der 2011 gegründete europäische Dachverband der gemeinnützigen sozialen Unternehmen, wie sozialökonomischen Betrieben, Beschäftigungsprojekten oder Beratungs- und Betreuungsorganisationen im arbeitsmarktpolitischen Bereich. Der österreichische Bundesdachverband für soziale Unternehmen (BDV) ist Gründungsmitglied von ENSIE. European Environmental Bureau (EEB): Das EEB wurde im Jahr 1974 gegründet und ist derzeit die größte europäische Dachorganisation im Umweltbereich mit mehr als 140 Mitgliedsorganisationen. Im Executive committee des EEB vertreten ist aktuell (2012) Veronika Haunold vom österreichischen EU-Umweltbüro. Spring Alliance: Spring Alliance ist eine gemeinsame Initiative von EEB, ETUC (European Trade Union Confederation), Social Platform und Concord. Ziel ist, die Strategien der EU in Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu beeinflussen sowie eine Demokratisierung der Europäischen Union.

Aktivitäten: Vernetzung, Diskurs, Informationsaustausch, Lobbying Die europäische Vernetzung im Rahmen der Dachverbände führt zu einem intensiven Informationsaustausch unter den nationalen Mitgliedsorganisationen: Relevante Informationen werden rasch weitergegeben, so etwa über die unterschiedlichen Erfahrungen, die NGOs mit der Einbindung in Europa 2020 machen. Gegenüber den nationalen Mitgliedsorganisationen übernehmen diese Dachverbände eine Brückenfunktion nach Brüssel, d.h. sie informieren über die europäische politische Agenda und unterstützen beim Lobbying auf nationaler Ebene.64 Eine zentrale Rolle ist schließlich die Förderung des politischen, wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses in den Themenbereichen in zahllosen Konferenzen, Workshops und Arbeitskreisen. Insbesondere für die Dissemination von Themen der EU-Politik – wie Europa 2020 – spielen die europäischen Dachorganisationen daher die Rolle eines Verstärkers und Übertragungskanals in die Mitgliedsstaaten.

64

Das EAPN veröffentlichte auch einen eigenen Bericht zu den Nationalen Reformprogrammen 2011 im Rahmen von Europa 2020: http://www.eapn.eu/images/stories/docs/NRPs/nrp-report-final-en.pdf (Download März 2012).

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2.2 Einbindungspraxis auf nationaler Ebene Verwendete Quellen: Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung sind tief in nationalen politischen Kulturen verankert und haben einen starken informellen Anteil. Für das vorliegende Kapitel gilt daher das generelle Caveat, dass die in Berichten zugänglichen Informationen zu Beteiligungsformen nicht vollständig die gelebte Praxis abbilden. Ein aktueller Survey der OECD kommt zu dem Schluss: „’Minding the gap’ between principles and practice is important. Some countries may appear to meet technical requirements for BR [Better Regulation] processes, but a closer examination suggests that their effective application in practice may have some way to go.”65 Für einen allgemeinen Überblick zu nationalen Praxen der Öffentlichkeitsbeteiligung unter den EU-15 wird auf die von der OECD in Zusammenarbeit mit der EU Kommission erarbeiteten Berichte „Better Regulation in Europe“ verwiesen. Zu Einbindungspraktiken im Rahmen von Europa 2020 liegt kein Material vergleichbarer Qualität vor. Primär wurden folgende Quellen ausgewertet (siehe auch die jeweiligen Fußnoten im Text): - Nationale Reformprogramme 2011 und 2012 - Monitoring Reports des Ausschusses der Regionen zu Europa 2020 (2010, 2011). - Berichte der nationalen Sozialpartner über die Einbindung in Europa 2020 an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (2010 und 2011) - Online verfügbare Berichte zivilgesellschaftlicher Dachverbände zur Einbindung in Europa 2020 (European Environmental Bureau, Mental Health Europe, European Anti Poverty Network)

Neue Herausforderungen „Europäisches Semester“ und ressortübergreifende Thematiken Überblickt man die vorliegenden Berichte zur Einbindung der Zivilgesellschaft in die Umsetzung von Europa 2020, so zeigen sich zunächst über alle Länder hinweg Anlaufschwierigkeiten und ähnliche Probleme:

65

OECD (2010a), S. 1.

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-

Das Europäische Semester konfrontiert die Verwaltungen und Stakeholder mit einem neuen europäischen Kalender der Politikgestaltung und teilweise sehr kurzen Fristen, in denen Papiere an Brüssel abzuliefern sind.

-

Die nationale Umsetzung von Europa 2020 involviert mehrere Ressorts und erfordert eine ressortübergreifende Koordination sowie – in föderalen Systemen – eine vertikale Koordination zwischen den Verwaltungsebenen.

Dementsprechend berichten auch Stakeholder aus Ländern mit einer starken Tradition der Öffentlichkeitsbeteiligung von Schwierigkeiten bei der Einbindung der Zivilgesellschaft bzw. verweisen die nationalen Reformprogramme (etwa von Schweden und den Niederlanden) darauf, dass entsprechende Strukturen und Foren für eine systematische Einbindung erst im Aufbau begriffen seien bzw. geschaffen werden sollen. In den Niederlanden etwa haben daher die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften sowie die Sozialpartner im Jahr 2011 ihre eigenen Annexe zum Nationalen Reformprogramm verfasst. Für Schweden resümieren die Arbeitnehmerverbände im Rückblick: In 2011 we have had one meeting in June. This meeting was a bit vague, and no real discussion took place. The above-mentioned proposed meeting for the autumn 2011 has not yet been decided or convened.66

Beispiel Dänemark: Ein “Civil Society Contact Committee” für Europa 2020 Dänemark gehört zu den Ländern mit den stärksten Traditionen von Bürgerbeteiligung und hat seit seinem EU-Beitritt der demokratischen Kontrolle der Exekutive in der Europapolitik eine hohe Priorität eingeräumt. Dementsprechend stark sind auch Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen von Europa 2020 institutionalisiert. Im Anschluss an die bewährte Praxis im Rahmen der Lissabon Strategie wurde im Jänner 2010 ein „Civil Society Contact Committee“ für Europa 2020 eingerichtet, in dem sowohl VertreterInnen der relevanten Ministerien als auch von Gebietskörperschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen vertreten sind. (siehe Tabelle 6) In diesem Komitee laufen ressort- und themenübergreifend die für EU 2020 relevanten Informationen zusammen und es wird ein regelmäßiger und systematischer Dialog über die Strategie in ihrer Gesamtheit ermöglicht.

66

EESC (2011b) S. 89.

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Die Mitglieder des Komitees werden über Meilensteine im Europäischen Semester frühzeitig informiert und führen einen Diskurs zu den Dänischen Positionen und den Prioritäten in der nationalen Umsetzung (siehe Tabelle 7). Das Komitee erfüllt so die Rolle einer übergreifenden Plattform für die themenspezifischen Politikprozesse im Rahmen von Europa 2020.

Tabelle 6: Mitglieder des Contact Committee67 3F

The Trade Union NNF

The Danish Confederation of Professional Associations, AC

Greenpeace

The Economic Council of the Labour Movement

HK

The National Council for Children*

The Danish Federation of Small and Medium-Sized Enterprises

The Confederation of Danish Employers (DA)

The Danish Society of Engineers, IDA

Danish Energy Association

The Danish IT Industry Association (ITB)

The Danish Chamber of Commerce

Local Government Denmark (LGDK)

Confederation of Danish Industry

Women’s Council in Denmark*

The Danish Metalworkers' Union

Danish Agriculture & Food Council

The Danish Youth Council

The Danish Association of Managers and Executives

Disabled Peoples Organisations Denmark (DPOD)

The Danish Confederation of Trade Unions

Danish Regions

The Council for Socially Marginalized People*

The Ecological Council

The Danish Confederation of Employers' Associations in Agriculture (SALA)

EAPN.DK – European Anti Poverty Network*

World Wide Fund for Nature

Confederation of Professionals in Denmark

The Trade Union NNF

Anm.: * = neue Mitglieder seit Februar 2011

67

Denmark’s national reform programme 2011, S. 66.

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Tabelle 7: Treffen des Contact Committee bis April 201168 28 January 2010 (preparation of the Danish hearing statement) 16 March 2010 (run-up to the spring summit) 27 May 2010 (run-up to the European Council) 1 July 2010 (reporting from the European Council) 3 September 2010 (preliminary National Reform Programme) 11 October 2010 (meeting with the EU Commission concerning the preliminary National Reform Programme) 22 February 2011 (preparation of the final National Reform Programme) 15 April 2011 (general presentation of the final National Reform Programme)

Europa 2020 im öffentlichen Diskurs: Konferenzen, Roundtables, Disseminations-Aktivitäten Neben unterschiedlichen Praktiken der Konsultation, wie Hearings, schriftlichen Konsultationen oder ExpertInnen-Roundtables, berichten einige Länder über gezielte Disseminations-Aktivitäten mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft über Europa 2020 zu informieren und einen breiteren Diskurs anzuregen, der zwar nicht unmittelbar in die Politikgestaltung einfließt, aber mittelbar dem Dialog zwischen Politik und Gesellschaft dient. Ungarn berichtet von der Veranstaltung einer Konferenz am 24. Jänner 2011 mit den relevanten Stakeholdern und ExpertInnen aus sozialpartnerschaftlichen Organisationen, Gebietskörperschaften und NGOs, in deren Rahmen die verantwortlichen Minister über die ungarischen Ziele und Maßnahmen zu Europa 2020 informierten.69 In Rumänien gab es eine Serie von Roundtables zu den nationalen Zielen im Rahmen von Europa 2020 und ebenso eine große Konferenz zu „Rumänien und Europa 2020: Visionen, Herausforderungen und Prioritäten“ bereits im Juni 2010. Darüber hinaus wurde Europa 2020 in einer Sonderausgabe des Fachmagazins „European Counsellor“ (Mai 2010) behandelt sowie zwischen Juni und November 2010 einer Serie von Konferenzen in den Landeshauptstädten veranstaltet.70 In einigen Ländern wurde Europa 2020 mehrmals in parlamentarischen Debatten behandelt und so eine breitere Öffentlichkeit geschaffen.

68

Denmark’s national reform programme 2011, S. 67. Quelle: Ungarisches NRP 2011. 70 Quelle: Brief des Europaministers vom 29.12.2010, (http://www.eeb.org/EEB/?LinkServID=9064BCA6FCB8-F6E6-981167EDFDB21D94, Download am 5.3.2012). 69

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2.3 Österreich im EU-Vergleich

2.3.1 Österreichische Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung Auf Initiative des Lebensministerium und des Bundeskanzleramts wurden in Österreich „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ entwickelt, die am 2. Juli 2008 vom Ministerrat beschlossen und damit der Bundesverwaltung als freiwillige Selbstverpflichtung zur Anwendung empfohlen wurden. 71 Ein erster Entwurf der Standards wurde von einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung externer Stakeholder und ExpertInnen entwickelt. Nach einem schriftlichen Konsultationsverfahren (41 Stellungnahmen langten ein) wurde der Entwurf überarbeitet. Die Konsultation diente der Einholung von Rückmeldungen zur praktischen Anwendbarkeit der Standards. Deren Ergebnisse wurden in einem Bericht dokumentiert und sind nebst einer Prozessdokumentation auf der Website www.partizipation.at abrufbar. Die „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ umfassen detaillierte Empfehlungen für die drei Phasen eines Beteiligungsprozesses: Vorbereitung, Durchführung sowie Monitoring und Evaluierung. Unterschieden wird dabei generell zwischen drei unterschiedlichen Intensitätsstufen von Beteiligungsprozessen, die je nach den gegebenen Rahmenbedingungen gewählt werden sollten:72 -

Information: die Öffentlichkeit wird über Planungen oder Entscheidungen informiert, sie hat aber keinen Einfluss darauf;

-

Konsultation: die Öffentlichkeit kann zu Entwürfen Stellung nehmen und ihre Meinung äußern;

-

Kooperation: die Öffentlichkeit gestaltet die Politiken, Pläne, Programme und Rechtsakte aktiv mit

Als Grundvoraussetzung für alle drei Formen wird dabei – analog den Standards auf EU-Ebene – eine möglichst proaktive Beteiligung genannt: „Damit die Öffentlichkeitsbeteiligung wirksam und effizient ist, sollten Sie die Öffentlichkeit so früh wie möglich beteiligen, also ‚zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind’ (siehe Aarhus-Konvention, Artikel 6 (4))“. 73 Beteili-

71

Siehe http://www.partizipation.at/standards_oeb.html. Vgl. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft / Bundeskanzleramt (2011), S. 29. 73 Ebenda, S. 52. 72

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gung zu einem Zeitpunkt, wo bereits alle Entscheidungen gefallen sind, kann hingegen Frustration bei den Beteiligten hervorrufen. Neben dieser Voraussetzung des gegebenen Gestaltungsspielraums und der proaktiven Beteiligung wird als weitere Grundvoraussetzung genannt, dass die politischen EntscheidungsträgerInnen einer Beteiligung zustimmen und diese – in der gewählten Intensitätsstufe – mittragen. Dabei heißt Einbindung generell laut österreichischen „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“74 nicht 1:1-Annahme aller Vorschläge durch die Politik, sondern deren transparente Dokumentation (auch von Minderheitenmeinungen) und Berücksichtigung, das bedeutet: -

„respektvolle“ Auseinandersetzung mit den Ergebnissen einer Konsultation

-

Bezugnahme auf die Ergebnisse in den Entscheidungen

-

im Idealfall Begründung von Entscheidungen, die den Ergebnissen der Konsultation zuwiderlaufen

2.3.2 Das Österreichische Reformprogramm Europa 2020 In Österreich ist das Bundeskanzleramt federführend für die Koordination des Nationalen Reformprogramms zuständig. Der Endbericht wird von der Österreichischen Bundesregierung verabschiedet. Nach der Beschlussfassung im Ministerrat wir das Nationale Reformprogramm dem österreichischen Parlament zur parlamentarischen Behandlung übermittelt. Wie in Kapitel 1.6. ausführlich dargestellt, erfüllen die Reformprogramme eine spezifische Funktion im Rahmen der verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Kontext Europa 2020, d.h. sie bereiten den Status quo der nationalen Umsetzung aufgrund der detaillierten Vorgaben der Europäischen Kommission auf, um diese in die Lage zu versetzen, den Stand und Umfang der Reformen zu beurteilen. Aufgrund dieser engen europäischen Vorgaben für das Nationale Reformprogramm ist eine wesentliche Voraussetzung für die unmittelbare Öffentlichkeitsbeteiligung an dessen Erarbeitung nicht gegeben, nämlich die proaktive Beteiligung an einer Stelle, an der noch viele Optionen offen und eine breite Konsultation von Stakeholdern entsprechend die Entscheidungsfindung informieren und verbessern kann. Die Stärke von Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung wird laut europäischer und österreichischer Standards in der Phase der Problemdefinition und der 74

Ebenda., S. 60.

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möglichst breiten Identifikation und Deliberation von Optionen für die Politikgestaltung gesehen – also in der Phase vor der Entscheidungsfindung. Die Nationalen Reformprogramme hingegen befinden sich wie in Abbildung 2 unten dargestellt an einer späteren Stelle im „policy cycle“: Sie berichten der Europäischen Kommission, welche Maßnahmen zur Erreichung der Europa 2020 Kernziele und zur Förderung von Wachstum bereits laufen oder beschlossen wurden sowie über den Status der Implementierung und die erzielten Effekte dieser Maßnahmen.

Abbildung 2: Das NRP im Policy Cycle

NRP

Um unter diesen Rahmenbedingungen dennoch eine Einbindung zivilgesellschaftlicher Stakeholder zu gewährleisten, werden vom Bundeskanzleramt jährlich im Vorfeld der Erstellung des NRP Länder, Städte und Gemeinden, Sozialpartner sowie weitere Institutionen eingeladen, eigene Maßnahmen, die zur Erreichung der Kernziele von Europa 2020 geeignet sind, zu übermitteln. Diese Maßnahmen werden in einem Annex zum NRP gesondert zusammengefasst. – Laut vorliegender Berichte des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und des Ausschuss der Regionen ist diese Beteiligungsmöglichkeit im europäischen Vergleich stark etabliert und wird von den beteiligten Stakeholdern positiv bewertet (s. Kapitel 2.3.3 unten). Im ersten Zyklus des Europäischen Semesters erging diese Einladung auch an Nichtregierungsorganisationen, die in einer Informationsveranstaltung im Februar 2011 über die Strategie Europa 2020, den Prozess der nationalen Umsetzung und das Reformprogramm informiert wurden. – Wie in Kapitel 4 ausführlich dargestellt, entsprach dieses Angebot jedoch nicht der Interessenlage von NGOs. Die Option, eigene Maßnahmen zum NRP beizutragen ist aus

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Sicht der NGOs, die stärker an Politikgestaltung interessiert sind (auch vor dem Hintergrund des Kosten-Nutzen-Kalküls) nicht attraktiv genug.

2.3.3 Einbindung in Österreich im EU-Vergleich

Einbindung der Sozialpartner („organised civil society“) Für die Sozialpartner hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sowohl für das Jahr 2010 als auch für 2011 einen Survey unter seinen Mitgliedsorganisationen durchgeführt, in dem die Formen der Einbindung im Kontext von Europa 2020 untersucht wurden. Generell berichtet die Mehrheit der nationalen Sozialpartner Schwierigkeiten in der Einbindung, unter anderem aufgrund der knappen Zeitläufe für das Verfassen der Nationalen Reformprogramme. Die einzelnen politischen Prozesse unterscheiden sich dabei stark nach den jeweiligen nationalen institutionellen Gegebenheiten und den politischen Traditionen. Österreich hat im EU-Vergleich einen guten Ruf, was die Einbindung der Sozialpartner betrifft. Die Sozialpartner resümieren in ihrem Statement an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: „Grundsätzlich wurden die österreichischen Sozialpartner von der Regierung gut in die Erstellung des NRP eingebunden.“ 75 Zugleich fordern die österreichischen Sozialpartner die Europäische Kommission auf, „die Guidelines für die Erstellung der NRPs hinsichtlich der Einbeziehung der Sozialpartner und non-governmental stakeholders“ zu überarbeiten, „um den Regierungen eine präzisere Anleitung zu deren Einbindung zu geben.“

Einbindung regionaler und lokaler Gebietskörperschaften Für die Einbindung lokaler und regionaler Gebietskörperschaften hat der Ausschuss der Regionen (AdR) von Mai bis Juni 2011 eine Befragung seiner nationalen Delegationen durchgeführt.76 Der AdR resümiert, dass die Einbindung von den Institutionen ähnlich gesehen wird wie im Fall der Lissabon Strategie. In der Mehrheit der Mitgliedsstaaten erfolgte eine Einbindung in Form von Konsultationen, zumeist zwischen der Formulierung der Entwürfe des NRP und der finalen Version. Dabei gaben 15 von 18 Befragten an, dass die Beiträge der Gebietskörperschaften in begrenztem Ausmaß auch im NRP reflektiert wurden. 75 76

EESC (2011b), S. 79. Committee of the Regions (2011): Second CoR Monitoring Report on Europe 2020, S. 18-32.

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Österreich ist in diesem europäischen Vergleich unter den Ländern mit der intensivsten und effektivsten Einbindung, d.h. diese wird von den im Survey Befragten Stellen als systematisch und auf breiter Basis unter Beteiligung der regionalen und lokalen Stakeholder organisiert angesehen. Ebenfalls positiv erwähnt wird vom AdR an der österreichischen Praxis die Koordination der Europa 2020 Strategie mit den territorialen Beschäftigungspakten und die dort etablierte Zusammenarbeit der Stakeholder.

2.3.4 Einbindung von Nichtregierungsorganisationen Von Seiten zivilgesellschaftlicher Dachverbände wurde mit dem ersten Zyklus des Europäischen Semesters generell Kritik an einer mangelnden Einbindung von NGOs im Kontext von Europa 2020 geäußert.77 Dies folgt einerseits aus der – im Vergleich zu regionalen Gebietskörperschaften (AdR) und Sozialpartnern (EWSA) – schwachen institutionellen Einbindung der NGOs im politischen System der EU. Auf der anderen Seite setzen wie oben dargestellt die Rahmenbedingungen des Europäischen Semesters der Beteiligung an den Nationalen Reformprogrammen enge Grenzen, die nicht den Interessen von NGOs an einer effektiven und konkreten Beeinflussung von Politikgestaltung entsprechen (vgl. dazu im Detail Kapitel 4 unten). Bereits in der Vergangenheit wurde entsprechende Kritik an den Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung (OMK) formuliert. Österreichische NGOs im Sozialbereich etwa kritisierten die Praxis, in den entsprechenden Berichten nur bereits umgesetzte oder geplante Maßnahmen zu dokumentieren. Die Armutskonferenz stieg daher aus den betreffenden Beteiligungsprozessen aus und veröffentlichte nur mehr eigene „Schattenberichte“ zu den Nationalen Berichten. 78 Aufgrund dieser Ausgangslage wird in den folgenden Kapiteln des vorliegenden Berichts der enge Fokus auf unmittelbare Beteiligungsmöglichkeiten an der Erarbeitung der Nationalen Reformprogramme erweitert auf Einbindungsformen in die nationale Umsetzung der Strategie Europa 2020 generell. Diese Umsetzung umfasst in Österreich zahlreiche Maßnahmen, Programme und Strategien, wie sie unter Verantwortung der zuständigen Ressorts sowie auf den unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung entwickelt und implementiert sowie im NRP nachträglich dokumentiert werden. Welche vielfältigen Formen 77

Vgl. z.B. Newsletter #59 (Oktober 2011) des European Environmental Bureau, die Analyse der NRPs durch Mental Health Europe (2011) sowie einen Brief der Spring Alliance vom 18. Oktober 2010 zur Einbindung der Zivilgesellschaft in die NRPs. 78 S. Lamprecht (2010), S. 202, 204; Kargl / Schenk (2010), S. 85-86.

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der Beteiligung auf dieser Ebene der konkreten Politikentwicklung und gestaltung bestehen, wurde in diesem Bericht am Beispiel der Beteiligungsprozesse im BMASK, dem BMLFUW sowie in der Kohäsions- und Regionalpolitik untersucht. Dabei gilt, dass die bestehenden Formen der Einbindung auf den dem NRP vorgelagerten Ebenen in internationalen Berichten und Debatten bisher wenig oder nicht wahrgenommen wurden.79 Diese umfassen wie im Detail im folgenden Kapitel 3 dargestellt beispielsweise: -

Formen der Information und Konsultation in der Klima- und Umweltpolitik mit Bezug auf Europa 2020 (im BMLFUW);

-

Seit Beginn der OMK etablierte Formen der Information und Konsultation von Stakeholdern (Länder, Sozialpartner, NGOs…) im Bereich der Armutsbekämpfung (BMASK);

-

Einbindung von Stakeholdern in der Umsetzung von Europa 2020 mittels der Strukturfonds sowie im Bereich ländliche Entwicklung.

2.4 Schlussfolgerungen Die vorliegenden Berichte des Ausschusses der Regionen sowie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur nationalen Einbindung der Zivilgesellschaft in die Strategie Europa 2020 haben bisher nur auf Formen der Einbindung rund um die Nationalen Reformprogramme abgestellt. Zur Beurteilung der Einbindung von NGOs ist dieser enge Fokus insofern irreführend, als sich Europa 2020 als breite, themenübergreifende Strategie versteht, die mittels einer Vielzahl politischer Maßnahmen in der Verantwortlichkeit der unterschiedlichen Ministerien und auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen umgesetzt wird. Einbindung in Europa 2020 heißt daher Einbindung in die Politikentwicklung und Politikgestaltung auf den verschiedenen Ebenen der Verwaltung, auf denen jene Maßnahmen entwickelt werden, die später in den Nationalen Reformprogrammen dokumentiert werden. Eine Einbindung allein auf Ebene der NRPs würde an einer zu späten Stelle im policy cycle ansetzen, wo eine Beeinflussung der konkreten policies nicht mehr möglich ist. – Dementsprechend heißt es etwa im britischen NRP unter der Überschrift „Stakeholder

79

So wird in einer vergleichenden Studie des European Democracy Observatory (EUDO 2011, S. 7-12) generell der Befund einer Exklusion nicht-sozialpartnerschaftlicher Interessen in den österreichischen Beteiligungsformen vermittelt.

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engagement”: „All the actions reported in this National Reform Programme have been subject to extensive public consultation.“ 80 Welche Möglichkeiten der Einbindung in die Strategie Europa 2020 auf dieser Ebene in Österreich bestehen, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt, wobei sowohl die Perspektive von VertreterInnen aus der Verwaltung als auch von VertreterInnen aus Nichtregierungsorganisationen zur Sprache kommt. Bezüglich der Vorteile von zivilgesellschaftlicher Beteiligung auf dieser Umsetzungsebene können aufgrund der internationalen (OECD, EU) und österreichischen Standards folgende Punkte für Europa 2020 hervorgehoben werden: - Poolen von Wissen & Ressourcen: NGOs verfügen über thematische Expertise und große Nähe zu Problemlagen und Betroffenen. Dieses Wissen und diese Ressourcen können im Rahmen von Beteiligungsverfahren für die Verwaltung zugänglich gemacht werden. - Katalysator für ressortübergreifende Zusammenarbeit: NGOs bearbeiten Themen und Anliegen, die oftmals Ressortgrenzen überschreiten (z.B. Armut betrifft Sozial- sowie Bildungspolitik). Das Schaffen von Dialogforen unter Einbeziehung von NGOs kann daher Impulse zur inhaltlichen Zusammenarbeit über Ressortgrenzen setzen (siehe z.B. die 2008 ins Leben gerufene „Integrationsplattform“). - Transparenz und Entlastung von Erwartungsdruck: Öffentlichkeitsbeteiligung gestaltet Prozesse transparent und nachvollziehbar. Werden die Verantwortungsbereiche der beteiligten Gruppen klar dargestellt, kann eine „Entlastung von Erwartungsdruck und Lobbying einzelner Interessengruppen“ die Folge sein.81

80 81

Europe 2020: UK National Reform Programme 2011, S. 8. Vgl. BMLFUW / BKA / Arbter (2011): Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung. Praxisleitfaden, Wien, S. 8.

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3

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Einbindung in Österreich: Die Perspektive der Verwaltung

Im vorliegenden Kapitel werden einerseits bestehende Einbindungsprozesse, wie sie für NGOs im Rahmen der nationalen Umsetzung der Strategie Europa 2020 relevant sind, zusammengefasst. Andererseits werden die Einschätzungen und Perspektiven der VerwaltungsvertreterInnen auf diese Prozesse und ihre zukünftige Entwicklung erhoben. Aufgrund der thematischen Schwerpunkte des Großteils österreichischer NGOs bezieht sich das vorliegende Kapitel auf die EU 2020 Kernziele Klimaschutz und Energie sowie soziale Eingliederung und entsprechende Maßnahmen und Strategien im Lebensministerium sowie dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Darüber hinaus wird auch auf Einbindungsmöglichkeiten in der Kohäsions- und Regionalpolitik eingegangen, die für viele NGOs als Projektträger von Bedeutung ist. Datengrundlage für die folgende Darstellung sind öffentlich zugängliche Dokumente (Websites, nationale Strategien, Stellungnahmen partizipierender Organisationen, Sitzungsprotokolle) sowie sieben semistrukturierte Interviews mit BeamtInnen der betreffenden Stellen in den Ressorts sowie mit einem Ländervertreter. Die Interviews wurden im Februar und März 2012 mit Ausnahme eines Interviews persönlich durchgeführt und dauerten durchschnittlich eine Stunde. Die zentralen Blöcke des Interviewleitfadens waren: -

Praktiken der Einbindung der NGOs auf Ebene der einzelnen Ressorts bzw. in der Kohäsions- und Regionalpolitik

-

Beurteilung der bisherigen Einbindungsprozesse und der Koordination des NRP-Prozesses durch das BKA

-

Künftige Ideen zur Einbindung der Zivilgesellschaft in die nationale Umsetzung von Europa 2020 sowie Good-Practice-Beispiele

-

Erfolgs- und Risikofaktoren für die Einbindung

Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet, (teil-)transkribiert und zusammenfassend sowie vergleichend ausgewertet. Ein weiteres Interview wurde im Juli 2012 zur Klärung offener Detailfragen geführt.

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3.1 Bisherige Praxis und Erfahrungen mit der Einbindung der Zivilgesellschaft

3.1.1 Im BMASK

Einbindungsprozess der NGOs im Rahmen der OMK Bei der Umsetzung der Offenen Methode der Koordinierung im Sozialbereich82 (seit 2000) sind die NGOs gemeinsam mit den Sozialpartnern und LändervertreterInnen regelmäßig in die Erstellung von Berichten und Entscheidungsgrundlagen eingebunden gewesen (z.B. NAP, NAP Inclusion, Rentenberichte etc.).83 Die Zusammenarbeit mit NGOs wird dabei über deren Dachorganisationen abgewickelt, was sich in der Vergangenheit und auch gegenwärtig bewährt habe. Die Armutskonferenz erhält als zentrale Dachorganisation im Armutsund Sozialsektor vom BMASK eine Basisförderung für Koordinations- und Vertretungstätigkeiten. Durch die Legitimität der Dachorganisation soll gleichzeitig auch gewährleistet werden, dass die NGOs des Armuts- und Sozialbereichs repräsentativ vertreten sind und die Abstimmungsprozesse vereinfacht werden. Zu den eingebundenen Stakeholdern zählen: -

Sozialpartner

-

LändervertreterInnen sowie Städte und Gemeinden über relevante Bünde (z.B. Städtebund, Gemeindebund)

-

Organisationen der Zivilgesellschaft und Dachorganisationen wie z.B. Österreichisches Komitee für Soziale Arbeit (ÖKSA), Armutskonferenz, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe etc.

Neugestaltung des Einbindungsprozesses der NGOs im Rahmen von Europa 2020 Grundsätzlich wird der Einbindungsprozess von Seiten des Ministeriums als gut etabliert beschrieben. Es konnte in den letzten Jahren ein großer Profes82

Eingeführt durch den Europäischen Rat von Lissabon (März 2000) und schrittweise ausgeweitet auf den Rentenbereich (seit 2001) und den Bereich Zukunft des Gesundheitswesens und der Langzeitpflege (seit 2004). 83 Vgl. im Detail Lamprecht (2010).

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sionalisierungsgrad in der NGO Arbeit beobachtet werden. Darüber hinaus hat das BMASK eine Sozialplattform („Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“) eingerichtet, die den Austausch zwischen Ministerien und relevanten Stakeholdern im Armuts- und Sozialbereich unterstützen soll.84 Es wird angemerkt, dass die Kontakte zu den NGOs formalisierter sind als im Rahmen der Nationalen Aktionspläne (NAPs), weil die Vorgaben der EU für Europa 2020 weniger auf inhaltliche Details, sondern stärker auf einen allgemeinen Orientierungsrahmen fokussieren. Während die NGOs bei der Erstellung der NAPs eingebunden waren, ist dies bei der Erstellung des Nationalen Reformprogramms im Rahmen von Europa 2020 nicht direkt der Fall. Das NRP wird unter der Federführung des BKA von den öffentlichen Stellen ausgearbeitet und dokumentiert beschlossene oder laufende Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie Europa 2020 in Österreich. Dabei wird angemerkt, dass der Anspruch der Einbindung in die Berichtserstellung auch in der Vergangenheit ein eher theoretischer war und die Nichtberücksichtigung von Vorschlägen seitens der NGOs in Nationalen Aktionsplänen häufig zu Frustrationen und Verstimmungen geführt hat. Es wird aber betont, dass die Einschätzungen und Stellungnahmen der zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Entwicklung von Maßnahmen und den inhaltlichen Dialog als sehr wesentlich und wertvoll angesehen werden.

Beispiele für die institutionalisierten Praktiken der Zusammenarbeit mit den NGOs: -

Über die Sozialplattform („Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“) versucht das BMASK alle relevanten Akteure (Länder, Städtebund, Sozialpartner, NGOs etc.85) in die Armutsbekämpfung einzubinden. Die Plattform dient einerseits als Informationskanal, um spezifische Themen, die auf EU-Ebene berichtet werden, vorzustellen, andererseits werden im Rahmen der Plattform inhaltliche Vorschläge und richtungsweisende Themen des Ministeriums auf breiter Ebene diskutiert. So wurden beispielsweise Jahr 2012 gemeinsam mit den Akteuren der Plattform nati-

84

S. http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/EU_Internationales/Die_gemeinsame_Strategie_fuer_Sozialschutz_ und_Soziale_Eingliederung/Europaeische_Plattform_gegen_Armut_und_soziale_Ausgrenzung. Die TeilnehmerInnen der Plattform sowie die Termine und Protokolle der Treffen werden auf dieser Seite online dokumentiert. 85 Laut Online-Dokumentation auf der Homepage des BMASK sind In der Plattform sind u.a. vertreten: Sozialpartner, Ministerien, Länder, Gemeindebund, Städtebund, Seniorenbund, Seniorenrat, Bundesjugendvertretung, NGOs und VertreterInnen der Zivilgesellschaft, von Armut und Ausgrenzung Betroffene, Statistik Austria, VertreterInnen von Roma-Organisationen.

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onale Armutsindikatoren entwickelt, die dann von der Statistik Austria öffentlich zur Verfügung gestellt werden sollen. -

Weiters hat das BMASK im ersten Zyklus des Europäischen Semesters einen begleitenden Konsultationsprozess zur Flankierung des Armutsziels initiiert. Im Rahmen der Sozialplattform wurden die Akteure im Armuts- und Sozialbereich zwei Mal im Jahr (Mai / Oktober) zum Status quo des Europa 2020 Prozesses auf österreichischer Ebene – mit Fokus auf das Armutsziel – informiert. Die Akteure wurden nach der ersten Veranstaltung gebeten, Rückmeldungen und Stellungnahmen abzugeben, die im Rahmen der zweiten Veranstaltung in kondensierter Form präsentiert wurden. Bis November bestand für NGO-VertreterInnen die Möglichkeit zu nachträglichen Ergänzungen. Die Beiträge wurden vom BMASK gesammelt und schriftlich dokumentiert. Darüber hinaus wurden die Beiträge auf der BMASK-Homepage veröffentlicht und an relevante Institutionen und Stakeholder disseminiert (z.B. bm:ukk, BMF, BMG, LändervertreterInnen etc.). Ziel dieses Dokumentes war es, zu verdeutlichen, was die Zivilgesellschaft für die Flankierung des Armutszieles als wesentlich erachtet.

-

Im Bereich des ESF (Programmperiode 2007-2013) sind die Dachorganisationen der NGOs als stimmberechtigte Mitglieder des Begleitausschusses thematisch eingebunden. Der Begleitausschuss „OP Beschäftigung“ tagt ein Mal jährlich, wobei sich die NGOs in diesem Gremium sehr engagiert einbringen. Zusätzlich gibt es vier Mal im Jahr einen Jour fixe mit den umsetzenden Bundesstellen, wo auch die Sozialpartner und NGOs in den inhaltlichen Teil involviert sind. Derzeit arbeiten die Dachorganisationen der NGOs auch bei der Erstellung der Partnerschaftsvereinbarung für die Programmperiode 2014-2020 (STRAT.AT 2020) mit. Die Einbindung der NGOs in die Programmerstellung wird von Seiten des Ministeriums geplant, wobei das genaue Prozedere zum Zeitpunkt des Interviews im März 2011 noch offen war.

-

Angeregt wird, dass die NGOs in die regionalen Netzwerke der TEPs (Territoriale Beschäftigungspakte) stärker eingebunden werden, wo alle relevanten Stakeholder der Arbeitsmarktpolitik (AMS, Länder, Sozialpartner, Bundessozialämter, SchulinspektorInnen, GemeindevertreterInnen etc.) vertreten sind. Die Beteiligung wird jedoch von diversen Stakeholdern als kritisch betrachtet, da die NGOs teilweise auch Projektträger sein können und durch ein Mitbestimmungsrecht eine Wettbewerbsverzerrung befürchtet wird. Angemerkt wird, dass das Know-how der NGOs für die TEPs von großer Relevanz ist.

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3.1.2 Im Lebensministerium Generell ist im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) Öffentlichkeitsbeteiligung traditionell stark verankert. Etwa in den Themenbereichen Umwelt, Tier- und Naturschutz ist die Zusammenarbeit mit einer Vielfalt von Stakeholdern die Regel. Öffentlichkeitsbeteiligung ist daher in vielen Strategien des Ministeriums ein Element. Man sieht NGOs als Ressource für eine bessere und effektivere Politik. Zu den eingebundenen Stakeholdern zählen: -

Länder, Städte, Gemeinden

-

Sozialpartner

-

NGOs in den Bereichen Umwelt, Soziales und Entwicklung

-

Breite Öffentlichkeit (BürgerInnen, Unternehmen, Wissenschaft, etc.)

Die Einladungspolitik zu den unterschiedlichen Foren der Öffentlichkeitsbeteiligung kann je nach Maßnahme unterschiedlich sein: Manchmal ist die Einladung zur Beteiligung völlig offen, manchmal werden nur bestimmte Stakeholder angesprochen. Zu den institutionalisierten Praktiken der Zusammenarbeit mit NGOs gehören:

86

-

Jährlich findet ein großer NGO-Event mit dem Bundesminister statt; als informeller Teil wird ein NGO-Heuriger veranstaltet, zu dem auch entwicklungspolitische und sozialpolitische NGOs eingeladen werden;

-

Mehrere MitarbeiterInnen stehen als NGO-Kontaktpersonen zur Verfügung;

-

Im Umfeld der EU-Umweltministerräten werden im Rahmen eines Jour fixe auch NGOs über die Themen und die österreichischen Positionen informiert (ca. vier Mal jährlich);

-

In der Gesetzesbegutachtung verwendet das Ressort einen offenen Verteiler, d.h. die Einladung zur Kommentierung ergeht auch an NGOs;

-

Der Dialog mit NGOs wird auch unabhängig von konkreten Gesetzesvorhaben auf der strategischen Ebene geführt, aktuell beispielsweise im Rahmen des Stakeholder-Dialogs „Wachstum im Wandel“86;

http://www.wachstumimwandel.at.

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-

Im Kontext der Erarbeitung größerer Strategien – wie des „Österreichischen Waldprogramms“ oder der „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel“ – werden mehrstufige Beteiligungsprozesse organisiert (z.B. mittels Stakeholder-Dialogen, Workshop-Reihen, schriftlichen Konsultationen usw.);87

-

Das Lebensministerium und das Bundeskanzleramt haben gemeinsam das Projekt „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ initiiert, um die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Politiken, Plänen/Programmen und Rechtsakten von Seiten der Bundesverwaltung stärker zu fördern. Die Standards der ÖB wurden 2008 vom Ministerrat beschlossen und damit der österreichischen Bundesverwaltung zur Anwendung empfohlen.88

3.1.3 In der Kohäsions- und Regionalpolitik (ÖROK) Die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) wird von Bund, Ländern und Gemeinden getragen und koordiniert die österreichische Raumordnung auf gesamtstaatlicher Ebene. Seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 nimmt die ÖROK eine Schnittstellenfunktion für die europäische Regionalpolitik ein. Aktivitäten umfassen u.a. die Abstimmung der nationalen Verteilung der EU-Strukturfondsmittel, die strategische Planung, die Begleitung des Programmzyklus (Programmierung, Evaluierung, Programmabschluss, etc.) sowie die Funktion einer Koordinations- und Informationsplattform für die Implementierung der Strukturfondsprogramme. Im Rahmen von Europa 2020 wird die Strukturpolitik als integriertes Element zur Zielerreichung gesehen. In den vergangenen Jahren wurde im Rahmen dieser Agenden die Einbeziehung von NGOs verstärkt. In der Programmperiode 2007-2013 wurden NGOs für Umwelt- und Chancengleichheit eingebunden. In den Programmbegleitausschüssen sind NGOs (Dachorganisationen) folgendermaßen vertreten: Im ESF: -

Begleitausschuss (1 x jährlich, themenspezifische Arbeitsgruppen)

-

4 x jährlich jour fix mit umsetzenden Bundesstellen

87

Vgl. z.B. den Walddialog (http://www.walddialog.at) oder die Öffentlichkeitsbeteiligung zur „Österreichischen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel“, 2011-2012. (http://www.lebensministerium.at/umwelt/klimaschutz/klimapolitik_national/anpassungsstrategie/strategieaussendung.html). 88 Siehe http://www.partizipation.at/standards_oeb.html.

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Im ELER: -

Begleitausschuss (1x jährlich, themenspezifische Arbeitsgruppen (z.B. zu Chancengleichheit))

Im EFRE: -

Begleitausschüsse (NGO-VertreterInnen als beratende Mitglieder)

-

Regionale Begleitgremien

Für die Periode 2014-2020 sollen diese Beteiligungsformen weitergeführt werden. Zudem ist eine Einbindung in die Prozesse der Programmierung der Fonds vorgesehen, und zwar im ESF, ELER, EFRE und EMFF jeweils fondsspezifisch unter Verantwortung der programmierenden Stellen des Bundes und der Länder. Schließlich hat die ÖROK unter dem Titel „STRAT.AT 2020“ einen mehrstufigen Prozess gestartet, der unter breiter Beteiligung von Stakeholdern die Erarbeitung der Partnerschaftsvereinbarung (PV) mit der Europäischen Kommission begleitet. Eine Auftakt- und Informationsveranstaltung zu diesem Prozess fand am 16. April 2012 im Tagungszentrum Schönbrunn in Wien statt.89 Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass neben dieser Einbindung auf Planungsebene von NGOs insbesondere auch eine Beteiligung auf der Umsetzungsebene bzw. im konkreten Projektbereich gewünscht wird.

3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung in Europa 2020 Eine Einbindung von NGOs in die Erarbeitung des NRP wird demnach von den Befragten skeptisch betrachtet: Unter den gegebenen Bedingungen des hohen Zeitdrucks, des notwendigen politischen Konsenses und der primären Funktion einer aggregierten Dokumentation bereits beschlossener Maßnahmen ist eine effektive Einbindung schwer zu realisieren. Ein Gestaltungsspielraum ist de facto nicht gegeben. Eine Einbindung zu versuchen, könnte daher falsche Erwartungen wecken und letztlich zu Konflikten führen. Zwei Befragte schlagen vor, die bestehenden Formen der Akteursbeteiligung (auf Ressort-, aber auch Länderebene) besser sichtbar zu machen und so-

89

Siehe die Web-Präsenz zum STRAT.AT 2020 Prozess unter http://www.stratat2020.at.

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wohl in der Verwaltung als auch den NGOs ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was es in diesem Bereich an Möglichkeiten gibt. Damit verbunden ist der Vorschlag, ein ressortübergreifendes Diskussionsforum für Europa 2020 zu schaffen. Dies würde für die Verwaltung einen Mehrwert im Bereich der horizontalen Koordination erbringen. Auch VertreterInnen der Zivilgesellschaft würden den Austausch mit der Verwaltung auf der strategischen Ebene schätzen. Ein Befragter schlägt vor, einen Beteiligungsprozess zum fertigen NRP zu starten, sodass hier Kritik und Anregungen seitens der NGOs entgegen genommen werden können. Eine Befragte schlägt vor, die Einbindung von NGOs in die operationalen Programme der Strukturfonds zu verbessern, da diese Ebene für die NGOs besonders relevant ist.

Europäische Best Practice Auf die Frage nach internationaler guter Praxis für die Einbindung in Europa 2020 nennen die befragten Personen keine konkreten Beispiele. Verwiesen wird darauf, dass es sektoral – etwa im Sozialbereich – in vielen Ländern Einbindungsprozesse ähnlich wie in Österreich gibt (z.B. in Deutschland, Luxemburg, Schweden). Die praktische Wirksamkeit könne allerdings von außen schwer eingeschätzt werden. In Irland und Großbritannien sei es in den vergangenen Jahren zu einer Verschlechterung gekommen. Im Hinblick auf eine Einbindung in Europa 2020 als integrativen Prozess stünden aktuell alle EU-Mitgliedsstaaten vor den gleichen Herausforderungen, wobei die föderalistische Organisation einiger Mitgliedsstaaten zusätzlichen Koordinationsbedarf mit sich bringe.

Risiko- und Erfolgsfaktoren für die Öffentlichkeitsbeteiligung aus Sicht der Verwaltung Im Rahmen der Leitfadeninterviews wurden die mit zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozessen befassten VertreterInnen der Verwaltung abschließend zu generellen Risiko- und Erfolgsfaktoren für die Öffentlichkeitsbeteiligung befragt. Dabei zeigt sich, dass sich die genannten Faktoren großteils mit jenen Aspekten decken, die auch von den befragten NGO-VertreterInnen als entscheidend hervorgehoben wurden (s. Kapitel 4.11 unten):

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Glaubwürdigkeit: Die Einbindung von NGOs darf kein Potemkinsches Dorf sein, sondern muss konkrete Ergebnisse in Aussicht stellen, die dann auch eingehalten werden. Dazu gehört ebenso das Aufzeigen der Grenzen der Beteiligung schon zu Beginn eines Prozesses. Eine Befragte streicht heraus, dass bereits zu Beginn mit allen Beteiligten Spielregeln vereinbart werden sollten: Worüber soll gesprochen werden, wie wird der Beteiligungsprozess organisiert, wie werden die Ergebnisse dokumentiert, wie werden sie weiter verwendet, wo besteht Gestaltungsspielraum, wo nicht? NGOs würden einen Raum des strategischen, inhaltlichen Dialogs mit der Verwaltung auch dann schätzen, wenn der Einfluss auf die Politik gering bliebe – sofern dies von Beginn an klargestellt wird. Regelmäßigkeit: Als ein Element der Glaubwürdigkeit wird betont, dass Gespräche nicht nur ein Mal jährlich, sondern regelmäßig stattfinden sollten, um wirksam zu sein. Es soll ein tatsächlicher Dialog etabliert werden, in dem Erläutern, Hinterfragen und Diskussion ermöglicht wird. Transparente Dokumentation: Die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen sollen schriftlich dokumentiert, öffentlich zugänglich gemacht und breit disseminiert werden. Gleichberechtigung: NGOs möchten am gleichen Tisch sitzen wie etwa Ländervertreter und Sozialpartner, wenn nicht triftige Gründe dagegen sprechen. Professionelle Moderation: Der Dialog mit Personen aus unterschiedlichen Institutionen und „Kulturen“ ist eine große Herausforderung. Um diesen Dialog zu fördern bedarf es einer professionellen externen Moderation. Eine Beschränkung von Beteiligung auf virtuelle Online-Konsultationen wird von einer Befragten explizit als nicht ausreichend abgelehnt. Effektive Ebenen der Einbindung anbieten: Erfahrungen aus bisherigen Beteiligungsprozessen haben gezeigt, dass Erwartungshaltungen und reale Einflussmöglichkeiten frühzeitig abgeklärt werden sollten. Unterschiedliche Herausforderungen ergeben sich dabei aus der jeweiligen Ebene der Einbindung: Die Einbindung auf strategischer Ebene kann für NGOs unbefriedigend sein, wenn konkrete Auswirkungen der Strategiepapiere wenig sichtbar sind. Beteiligungsprozesse sollten aus NGO-Sicht mit vertretbarem Aufwand einen hohen Effekt auf den jeweiligen Politikbereich haben. Dies ist meist bei einer Beteiligung auf Maßnahmenebene gegeben, wo NGOs darüber hinaus aufgrund ihrer Projekterfahrung hohe Kompetenzen einbringen. In der Strukturpolitik wird auf die Programmierungsprozesse als sinnvolle Ebene der Einbindung hingewiesen. Informationspolitik: Neben der Klärung der Rahmenbedingungen eines Beteiligungsprozesses ist eine transparente und effiziente Weitergabe von

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Informationen wichtig. Hier seien auch die NGOs gefordert, beispielsweise innerhalb von Dachverbänden effektive Strukturen zu etablieren. Ownership: Auf Seiten der NGOs bestehe teils eine Angst vor Vereinnahmung, d.h. sie wollen das Ownership ihrer Projekte behalten und sind zurückhaltend, wenn ihre Ideen von der Verwaltung im Rahmen von Maßnahmendokumentationen nach Brüssel kommuniziert werden sollen.

Erfolgs- und Risikofaktoren aus Sicht eines Ländervertreters Für die vorliegende Studie wurde neben VertreterInnen der Verwaltung auf Bundesebene auch ein Ländervertreter befragt, der in verschiedenen Funktionen Erfahrungen mit Prozessen im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung sammeln konnte, und zwar sowohl in der Gremienarbeit in Brüssel als auch der innerösterreichischen Koordination von Positionen im Zuge der Berichtserstellung im Armuts- und Sozialbereich. Seine zentralen Beobachtungen sollen an dieser Stelle zusammengefasst werden: 1. Strategieprozesse und Berichte im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung der EU bedeuten im föderalistischen System Österreichs einen hohen Aufwand der Koordination zwischen den Ebenen und Akteuren der Verwaltung sowie der politischen Ebene. Dieser hohe Aufwand steht im Widerspruch zu den häufig kurzen Fristen der EU-Politik. Zudem entsprechen die Fristenläufe der EU nicht jenen der politischen Willensbildung (Regierungsprogramme) und Budgetplanung auf Länder- und Bundesebene. 2. Die Prozesse im Rahmen der OMK sind daher nicht immer effektiv in die politischen Prozesse auf Bundes- und vor allem Länderebene integriert. Wenn in den für die EU verfassten Papieren nur vorhandene und beschlossene Maßnahmen gesammelt und strategischen Zielen zugeordnet werden, ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht sinnvoll, da deren Ergebnisse keinen Einfluss auf die Politikgestaltung haben werden. Zivilgesellschaftliche AkteurInnen könnten aufgrund eines Beteiligungsprozesses erwarten, dass ihre Stellungnahmen Einfluss auf politische Strategien und Maßnahmen haben. Diese Erwartung erweist sich als falsch, wenn die Strategien und Maßnahmen bereits in anderen Foren beschlossen wurden und im Rahmen der OMK nicht mehr beeinflussbar sind. 3. Öffentlichkeitsbeteiligung ist daher umso effektiver, je höher das vorausgehende Commitment aller für die politischen Entscheidungen zuständigen AkteurInnen ist, die Ergebnisse der Beteiligungsprozesse in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. 4. Eine problematische Schnittstelle im Sinne des politischen Commitments ist in derartigen Prozessen zwischen Bund und Ländern angesiedelt. Wenn die

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Länder keine Möglichkeit haben, ihre Politik an EU-Strategien auszurichten, werden auch die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen auf Bundesebene keinen Einfluss auf die Länderpolitik haben. 5. In großen Foren, wo NGOs und Ländervertreter an einem Tisch sitzen, gibt es immer wieder folgende Konfliktlinie: Die Ländervertreter können im Kontext der Sparpolitik keinen Maßnahmen mit Mehrkosten zustimmen. NGOs wiederum fordern eine Vermehrung der Anstrengungen zur Armutsbekämpfung. Aus Sicht der Länder verbleiben deren Beiträge auf der Ebene einer Wunschliste, die nicht umsetzbar ist. Um nun nicht in die Kritik der NGOs zu geraten, bringen Ländervertreter ihre Positionen gar nicht erst in die gemeinsamen Sitzungen ein.

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Die Perspektive der Nichtregierungsorganisationen

Forschungsstand und methodische Vorbemerkungen Wie Alexandra Lamprecht in ihren Publikationen zu Beteiligungsprozessen von österreichischen NGOs im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung bemerkt, ist die empirische Erforschung der Partizipation von NRO an OMKProzessen im Vergleich zur theoretischen Debatte gering ausgeprägt. Eine diesbezügliche Studie für Österreich fehlt bis zum heutigen Zeitpunkt sogar noch völlig.90

Neben den Arbeiten von Lamprecht stützt sich das vorliegende Kapitel daher primär auf eine eigene Erhebung: Um die Erfahrungen und Erwartungen der NGO-VertreterInnen im Hinblick auf Partizipation, die Strategie Europa 2020 und das NRP zu erfragen, wurden semistrukturierte Interviews mit zehn VertreterInnen von NGOs in den Bereichen Umwelt und Soziales durchgeführt. 91 Bei der Auswahl der zu interviewenden Personen wurde aufgrund eines qualitativen Samplingplans darauf geachtet, die Vielfalt der Organisationen möglichst zu berücksichtigen. Dennoch kann nicht beansprucht werden, dass die Ergebnisse für alle österreichischen NGOs Gültigkeit haben. Die Auswahl der InterviewpartnerInnen wurde unter Zugrundelegung der in den Ressorts eingebundenen Organisationen erstellt. Alle ausgewählten Personen erklärten sich zu einem persönlichen Interview bereit. Die Interviews wurden im März 2012 geführt und dauerten rund eine bis zu zwei Stunden. Zentrale Inhalte der Interviews waren: -

Verortung von Europa 2020 in der NGO-Arbeit

-

Beteiligungsformen der NGOs rund um Europa 2020 (inkl. Erfahrungen aus der Vergangenheit)

-

Beurteilung der Leitungs- und Steuerungsfunktion des BKA im Rahmen von Europa 2020

-

Künftige Ideen zur Beteiligung von NGOs an Europa 2020

-

Wünsche in Bezug auf eine Veranstaltung und Schlussbetrachtungen

90

Lamprecht (2010), S. 189. Volkshilfe Österreich, Bundesdachverband für Soziale Unternehmen (bdv austria), Die Armutskonferenz, ASB Schuldnerberatungen GmbH, Caritas Österreich, Interkulturelles Zentrum, EU-Umweltbüro, Ökosoziales Forum, Umweltdachverband, Ökobüro.

91

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Die Interviews wurden mit Einverständnis der InterviewpartnerInnen akustisch aufgezeichnet und anschließend für die inhaltsanalytische Auswertung transkribiert.

Qualitative Inhaltsanalyse (softwaregestützt) Der Schwerpunkt der Auswertung im vorliegenden Kapitel liegt auf einer umfassenden Darstellung der in den qualitativen ExpertInnen-Interviews zur Sprache gekommenen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Bewertungen und Erwartungen der Befragten. Dazu wurden die Interview-Transkripte mittels der Software MAXQDA systematisch entlang eines Codierschemas strukturiert und ausgewertet. Dieses Auswertungsverfahren folgt etablierten Ansätze der qualitativen Textanalyse 92 und erlaubt eine zusammenfassende und zugleich gegenstandsnahe Darstellung manifester Inhalte großer Textkorpora. Im Rahmen dieser Verdichtung der Ergebnisse wurden bewusst zahlreiche Zitate und auch längere Interviewpassagen eingebaut, um ein umfassendes Bild der Bedürfnisse und Anliegen der NGOs zu ermöglichen und sie dabei auch selbst zur Sprache kommen zu lassen. Diese Verwendung von Originalzitaten orientiert sich am Prinzip qualitativer Forschung der gegenstandsnahen und empirisch grundierten Datenanalyse sowie am praktischen Anliegen, die Sichtweisen der NGO-VertreterInnen „von innen heraus“ darzustellen.93 Die Quellenangaben zu den Zitaten erfolgt anonymisiert mittels Kürzeln; geschlechtsspezifische Pronomen zur Bezeichnung der zitierten Personen werden im Sinne der Anonymisierung zufällig verwendet.

92

Mayring, Philipp (2000): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim; Kuckartz, Udo et al. (2008): Qualitative Evaluation: Der Einstieg in die Praxis, 2. Aufl., Wiesbaden; Altheide, David (1996): Qualitative Media Analysis, Thousand Oaks. 93 Zu Prinzipien und Gütekriterien qualitativer Forschung vgl. Steinke (2005).

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4.1 Verortung der Strategie Europa 2020 in der Arbeit der NGOs Sowohl für die interviewten VertreterInnen von NGOs aus dem Bereich Umwelt als auch für jene aus dem Bereich Soziales hat die Strategie Europa 2020 grundsätzlich große Bedeutung. Sie wird als „Kompass“ und „Referenzpunkt“ bezeichnet. Weitere Einschätzungen lauteten: „Von dort gehen alle Impulse aus“, sie „tangiert uns“ und: „[V]on der Zielrichtung her unterstützt sie uns.“ Die Strategie Europa 2020 hat für die NGOs eine Legitimierungsfunktion und bietet eine Basis für die Argumentation eigener Anliegen, sozusagen eine Art „Unterfutter“. Da sich viele der Ziele und Anliegen der Strategie mit jenen der NGOs decken, haben sie in ihr ein offizielles strategisches Papier, auf das sie verweisen können. Außerdem werden Programme und nationale Strategien von der Strategie Europa 2020 abgeleitet. Das betrifft auch die Arbeit der NGOs. In diesem Zusammenhang wird auch auf Europa 2020 als Bezugspunkt für die neue Strukturfonds-Periode 2014-2020 verwiesen. Es gibt also einen hohen Identifikationsgrad mit den in der Strategie festgelegten Zielen. Zum Teil haben NGOs über ihre Einbindung in internationale Netzwerke auch an der Entstehung der Ziele mitgewirkt und sich im Entstehungsprozess kritisch eingebracht. Dass es die Strategie Europa 2020 gibt, war, so drückte es ein Interviewpartner aus, „auch für uns ein Erfolg.“ (8_6082) Ein weiteres Statement spricht inhaltliche Übereinstimmungen an: „Wenn die EU, die ja als Wirtschaftsunion verschrien ist, jetzt sehr stark auch sozialpolitische Zielrichtungen formuliert, sehen wir grundsätzlich, dass diese sich mit unseren decken.“ (4_147-181) Was die Umsetzung betrifft, folgt jedoch eine „gewisse Ernüchterung“. Zum einen scheine die EU die Ziele nicht ernst zu nehmen: „[W]enn man sich die Entwicklungen anschaut und auch jetzt die Entscheidungen auf wirtschaftlicher Ebene, dann [entsteht] schon sehr stark […] der Eindruck, dass diese Papiere sehr wenig wert sind.“ (8_60-82) Zum anderen würden die Ziele von nationalen Regierungen nicht ernst genommen bzw. wird, wie auch schon in den OMK-Prozessen im Rahmen der Lissabon-Strategie, vermutet, dass die im Kontext von Europa 2020 verfassten Papiere letztlich für die nationale Politik in Österreich nur von geringer Bedeutung sind. 94 Auf der Umsetzungsebene wird also ein großer Mangel gesehen. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, „dass das alles in einem reinen Emp-

94

Vgl. die in einem Papier der Armutskonferenz aus dem Jahr 2009 geäußerte Wahrnehmung, dass die Nationalen Aktionspläne politisch weitgehend bedeutungslos seien, da zentrale politische Vorhaben in den Regierungsprogrammen festgelegt werden, „weshalb sich die Arbeit an den Aktionsplänen weitgehend auf eine reine Berichtslegung gegenüber der Europäischen Kommission reduziert“ (Armutskonferenz 2009, S. 3f.); vgl. Kargl / Schenk (2010), S. 85.

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fehlungsrahmen bleibt; im Grunde genommen passiert nichts, wenn man sich nicht daran hält.“ (8_60-82)

Was die österreichische Politik in der Umsetzung der Strategie Europa 2020 betrifft, so gibt es unterschiedliche Sichtweisen: -

Positiv wird von einem NGO-Vertreter hervorgehoben, dass sich z.B. bei den Armutszielen „Österreich sehr gut gehalten, sich sehr eingesetzt und auch wirklich bemüht [hat], […] auch die vorgegebenen Ziele anzuvisieren. [Die] Umsetzung ist wieder eine andere Frage, […] die anderen Länder haben das zum Teil nicht ernst genommen.“ (8_60-82)

-

„Bei manchen Prozessen gibt es mittlerweile Bereitschaft und Interesse seitens der Regierung, das zu nutzen. Meiner Wahrnehmung nach ist bei ‚Europa 2020‘ […] das Interesse seitens der Regierung nicht vorhanden.“ (1_2_3 17-22)

-

Die Ziele von Europa 2020 und die Realpolitik klaffen auseinander, so andere Befragte. Es sei nicht ersichtlich, dass beschlossene Maßnahmen von diesen Zielen abgeleitet würden, auch wenn diese in die richtige Richtung gingen. Das sei auch auf EU-Ebene so, auf der politische Vorgaben, z.B. ausgabenseitig zu sparen, einige Ziele konterkarieren würden.

Neben spezifischen inhaltlichen Themen, die von den NGOs als Schnittstellen zu ihrer eigenen Arbeit angeführt werden – wie nachhaltiges, innovatives Wachstum, Korrektur der zunehmenden Armut, mehr Beschäftigung, weniger BildungsabbrecherInnen, Verringerung des Energieverbrauchs – ist die Strategie Europa 2020 für die NGOs auch eng mit dem Thema „Einbindung der Zivilgesellschaft“ generell verbunden. Diese Einbindung wird als demokratiepolitisch höchst relevant angesehen. Sie erhöhe durch ein breiteres Meinungsspektrum und mittels Einbeziehung von Betroffenen die Qualität und Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen.

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4.2 Einbindung im europäischen Vergleich Nach internationalen Good-Practice-Beispielen für die Einbindung von NGOs befragt, konnten viele der befragten NGO-VertreterInnen keine nennen oder hatten lediglich Vermutungen: -

In Norwegen (Vermutung)

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In Malta (Vermutung)

-

In Griechenland gibt es keine NRPs mehr (Vermutung).

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In Schweden sind sie in das Regierungsprogramm eingebunden.

-

In Irland ist der dritte Sektor generell anders eingebunden, in Richtung erweiterte Sozialpartnerschaft.

-

In Großbritannien, Schottland wird versucht, breiter in der Bevölkerung Themen zu diskutieren, in verschiedensten Gruppen. Es gibt einige Projekte, die stärker unmittelbar Betroffene einbinden.

-

In Finnland hat es früher sehr gute Prozesse gegeben.

-

In Frankreich gibt es den Grenelle-Environnement-Prozess (Nachhaltigkeitsstrategie für ganz Frankreich).

-

In den skandinavischen Ländern gibt es eine entsprechende Kultur mit BürgerInnen- und Zukunftsräten. Z.B. haben Bürgerbeteiligungsprozesse für Risikothemen in Schweden konkrete Auswirkungen auf politische Entscheidungsprozesse.

Mehrmals kam zur Sprache, dass die Einbindung in Österreich – verglichen mit anderen EU-Ländern – relativ gut sei. Dies sei jedoch kein Grund zur Zufriedenheit, da die Einbindung EU-weit zum Teil sehr schlecht funktioniere. „Ich fürchte, es gibt leider viele Länder, wo es noch schlechter läuft als in Österreich. Und das ist kein Grund, zufrieden zu sein.“ (8_247-257) „Das ist wirklich problematisch. Wenn wir nach Europa schauen, ist das überall letztlich die gleiche Geschichte und zum Teil haben wir [in Österreich] noch ganz gute Zugänge an Informationen, aber es ist in Wirklichkeit ein Trauerspiel.“ (7_419-442) „Auf europäischer Ebene machen wir Erhebungen unter NGOs: Es gibt Fragebögen, wo wir dann ausfüllen, was steht zu welchem Themenbereich drinnen, wart ihr eingebunden, wie wart ihr eingebunden und so weiter. Und dann wird das zusammengetragen und dann wird ein Bericht geschrieben. Und dann gibt es natürlich auch eine Stellungnahme auf europäischer Ebene. Wie aus Sicht des EAPN die Einbindung der NGOs gelaufen ist. […] Was soll ich sagen, das ist furchtbar. Also da

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finde ich, da erscheinen wir [in Österreich] oft im Vergleich noch als Best-Practice-Beispiel. Weil wir überhaupt eingeladen sind. Und überhaupt Informationen bekommen. Manche [in anderen Ländern] wissen gar nichts, aber das ist jetzt auch keine Entschuldigung.“ (7_419-442)

Eine NGO-Vertreterin meint, wenn öfter gesagt werde, in Nordeuropa seien die NGOs besser eingebunden, habe dies weniger damit zu tun, dass sie de facto besser eingebunden seien, als vielmehr damit, dass die Kultur dort grundsätzlich eine andere sei: Es würden dort alle NGOs gleich behandelt, die Einbindung sei transparent, die Verwaltung generell offener, und es gebe keine Berührungsängste den NGOs gegenüber. Auf nationaler Eben wird von einem NGO-Vertreter Vorarlberg besonders hervorgehoben. Dort gebe es seit einiger Zeit BürgerInnenräte, Vorarlberg habe diesbezüglich eine Vorreiterrolle in Österreich.

4.3 Beteiligungsprozesse in der Vergangenheit In einer weiteren Fragestellung wurden die Erfahrungen der NGOs mit der Beteiligung an politischen Prozessen in der Vergangenheit erhoben.

In welche nationalen Gremien und Prozessen waren und sind die NGOs grundsätzlich eingebunden? NGOs sind auf sehr unterschiedliche Art und Weise in verschiedene Gremien und Prozesse eingebunden. Zum einen gibt es Fachkreise, in die die Ministerien NGOs einladen; manchmal werden auch Gesetzesentwürfe mit der Bitte um Begutachtung und Stellungnahme vorgelegt. „Wir werden eingeladen, es gibt Diskussionen, oft unterschiedlich gestaltet; ich erkenne da ein Bemühen, eine Gestaltungsform zu finden, um einen Diskurs zu ermöglichen. Und dann gibt es Fristen mit Stellungnahmen.“ (4_182-233) Vor allem die Einbindung durch das BMASK wird von den meisten befragten NGO-VertreterInnen positiv hervorgehoben. „Ich denke, dass man sagen kann, dass die Prozesse, die das BMASK koordiniert hat, ziemlich gut laufen. […] sowohl bei den europäischen Jahren als auch bei den NAPs oder auch bei der Sozialplattform. Das ist transparent […]. Da gibt es eine breite Einbindung, mittlerweile auch eine Einbindung von Menschen mit Armutserfahrung. […] Das könnte man wirklich lobend [erwähnen].“ (10_255-267) Von den Befragten wird darauf hingewiesen, dass es sich um eine deutlich wahrnehmbare Entwicklung hin zu einer Verbesserung handele:

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„Also im Prinzip hat sich das sehr gut entwickelt. Wenn wir uns anschauen, wie das begonnen hat, mit so einer Art Konferenztagung, […]in der Karwoche, niemand war da. Der Minister hat gesprochen, ist dann wieder gegangen ohne sich andere Beiträge anzuhören, das ist jetzt schon anders. Es sind jetzt wirklich Treffen, wo alle die ganze Zeit beisammen sind. Natürlich sind die Minister nicht immer anwesend, das ist auch nicht zwingend notwendig, wiewohl es manchmal sinnvoll und gut ist. Und […] es ist auch transparent, wie es passiert. Man kann seine Eingaben machen, das wird auch aufgenommen. Da hat sich der Prozess sehr positiv entwickelt. […] Die Einladungspolitik ist auch sehr transparent. Es gibt auch immer eine Kommunikation darüber und das läuft gut.“ (8_125-154)

Sehr beeindruckend war für die NGO-VertreterInnen, dass das BMASK auch armutsbetroffene Menschen in eine Sitzung eingeladen hat: „[…] da habe ich mir gedacht, hier passiert […] etwas wirklich Neues.“ (7_121-167) In der Zusammenarbeit mit dem BMASK wird auch die Sozialplattform erwähnt, „die ja im Zuge der EU-2020-Strategie entstanden ist.“ (10_55-67) Ebenfalls im BMASK angesiedelt ist die Koordination des Europäischen Sozialfonds (ESF). Auch diesbezüglich gibt es positives Feedback zu den Beteiligungsprozessen, und auch hier werden – im Vergleich zu früher – Verbesserungen im Bereich der Partizipation wahrgenommen: „Am Anfang war es so, dass wir ein Mal im Jahr in den Begleitausschuss eingebunden waren und das war mehr oder weniger ein Absegnen dessen, was auf dem Tisch gelegen ist. Und dann haben wir uns zusätzlich mit dem Leiter der ESF-Abteilung getroffen im Rahmen eines Jour fixe und uns mitgenommen, was für uns relevant ist. Aber das waren lediglich halb-öffentliche Treffen. […] Was sich jetzt verändert hat, ist, dass wir nicht mehr nur in den Begleitausschuss eingebunden sind, sondern auch in die diversen Unterarbeitsgruppen. Es gibt auch ein Jour fixe innerhalb dieser Gruppe, mit den so genannten zwischengeschalteten Stellen, die ESFGelder dann auch tatsächlich verwalten. Da ist das AMS dabei, das bm:ukk, das BMASK, die Sozialpartner, und eben NGOs. In diesen Treffen gibt es einen noch weiter gehenden inhaltlichen Austausch. Man bekommt noch viel mehr mit, was sich wo gerade inhaltlich tut. Es ist einfach breiter geworden, wir sind mehr eingeladen gewesen, in den verschiedenen Prozessen zu partizipieren.“ (7_193-234)

Weniger positiv wurde im Bereich der Strukturfonds der STRAT.AT-Prozess im Rahmen der Lissabon-Strategie empfunden: „Da gab es […] so etwas wie eine gläserne Decke, da sind wir einfach nicht weiter gekommen. […] Das haben wir dann über den ESF gemacht.“ (7_193-234)

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Zum bm:ukk gibt es Kontakt entlang der Themen Integration, Inklusion und Diversität sowie Informationen über Veranstaltungen, hin und wieder Einladungen, mitzuarbeiten oder etwas zu konzipieren. In der Zusammenarbeit mit dem Lebensministerium wurde die Einbindung in die Nachhaltigkeitsstrategie als positives Beispiel hervorgehoben. Es war zwar nur ein Teil der Zivilgesellschaft eingebunden, „aber diejenigen, die da drinnen sind, die werden tatsächlich eingebunden. Da gibt es, bevor etwas im Ministerium endgültig bearbeitet wird, Sitzungen, in denen dieser Rat mit eingebunden wird.“ (1_2_3 17-22). Dort wird „diskutiert“, es kann „Input reinkommen, bevor etwas beschlossen wird.“ (1_2_3 17-22). Mit diesen Worten kennzeichneten unsere InterviewpartnerInnen, was für sie Einbindung bedeutet. Auch im Zuge der Erarbeitung der Energiestrategie wurden NGOs eingebunden, es gab gemischte Gruppen aus Zivilgesellschaft, Sozialpartnern und ExpertInnen, die gemeinsam Vorschläge entwickelten. In diesem Kontext wurde jedoch berichtet, „dass dann darüber eine politische Steuerungsgruppe stand. […] [Dadurch wurde] die Zivilgesellschaft wieder komplett rausgedrängt […].“ (1_2_3 17-22) „Es war ein bisschen eine Scheinpartizipation. Man hat zwar mitreden dürfen und anfangs mitgestalten; aber dann, wenn es darum ging, [die Ergebnisse] zu verdichten oder klar zu machen, hat man die Zivilgesellschaft wieder außen vor gelassen.“ (1_2_3 17-22). Ebenso wurde die Einbindung in den Klimagesetzbeirat erwähnt: „Der Beirat hat nicht wirklich etwas zu entscheiden. […] aber da wurden die NGOs zumindest eingeladen. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.“ (1_2_3 29-45) Was in der Kooperation mit dem Lebensministerium weiters gut funktioniere, sei das Debriefing nach den Umwelt-Ministerräten, da erhalte man Informationen nach den Ratssitzungen. Als positives Beispiel in der Zusammenarbeit mit dem Lebensministerium wird schließlich auch der Begleitausschuss im Programm für die ländliche Entwicklung beschrieben: „Hier werden seitens des Ministeriums die Maßnahmen oder die Maßnahmenumsetzung des Programms vorgestellt, es wird im Detail diskutiert, es werden einzelne Schwerpunktthemen herausgegriffen. So hat man hier in jedem Schritt die Möglichkeit einer entsprechenden Kommentierung, einer entsprechenden Dokumentierung und natürlich, was ganz wichtig ist, ist auch der Zugang zur Information gegeben, der vielfach einfach ein schwieriger ist, insbesondere für Nichtregierungs-Akteure.“ (6_40-55)

Hingewiesen wurde auch von einigen NGO-VertreterInnen auf die Europäischen Schwerpunktjahre. Da gebe es „NGO-Foren […] in denen die Ländervertreter sind und die NGOs.“ (10_55-67) In diesem Bereich wird die

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Einbindung als zufriedenstellend wahrgenommen: „Ich würde sagen, dass wir dort wesentlich mehr einbezogen sind. Da gibt es einen Lenkungsausschuss, in dem die NGO-VertreterInnen [sitzen] […] [Es ist zu fragen,] ob das ausreichend ist, es sind ja die Mittel meistens nicht adäquat […] Aber dann wird doch diskutiert, man sieht sich ein paar Mal im Jahr, es gibt gemeinsame Kick-Off-Veranstaltungen, […] dazwischen Tagungen und diverse Aktivitäten. Da hat man schon den Eindruck, das wurde ernst genommen von der Regierung.“ (10_241-255) Unterschiedliche Erfahrungen gibt es mit der Einbindung in Nationale Aktionspläne. Einige der befragten NGO-VertreterInnen geben an, dass sie sich bei den NAP stärker eingebunden fühlen als im Jahr 2011 bei der Erstellung des NRP: „Es gibt Information von Seiten des Ministeriums, aber auch die Möglichkeit, Kritik anzubringen. Manche Dinge werden auch noch aufgenommen werden. […] Und ich glaube, bei den NAPs gab es immer so einen Anhang, […] der direkt auch nach Brüssel geschickt worden ist.“ (10_55-67) Zur Einbindung bei Nationalen Aktionsplänen werden aber auch andere Erfahrungen berichtet: Zum Beispiel, dass die NGOs über Entwürfe zum NAP nicht informiert wurden. Erst über das europäische Netzwerk hätten sie den Entwurf erhalten, hätten dann Stellungnahmen geschrieben und wären aufgrund dessen zu einem Treffen mit den zuständigen Stellen eingeladen worden. (6_1928) Um welche Nationalen Aktionspläne es sich dabei genau handelt, geht aus den Interviews nicht immer hervor bzw. wurde nicht nachgefragt. In einem Beispiel wurde jedoch konkret die Vorgangsweise beim Nationalen Aktionsplan zur Integration kritisiert: „Diese Diskussionen um den Nationalen Integrationsplan waren für mich ein Beispiel, wie es sicher nicht funktionieren soll: Ich bin zu einer ExpertInnengruppe […] eingeladen worden, das war schon die zweite oder dritte Gruppe, bin extra aus dem Urlaub dorthin gegangen und habe dort Punkte eingebracht, die uns wichtig sind. Die Aussage der politischen Verantwortlichen war daraufhin: ‚Ja, eigentlich gibt es jetzt keine Möglichkeit mehr, dass etwas in den Text einfließen kann, es ist eigentlich schon alles fertig und es wird sicher nichts mehr geändert werden.‘ Da habe ich mich schon ein bissel „gehäkelt“ gefühlt. […] Das ist verpuffte Energie, sowohl auf meiner Seite als auch auf ihrer Seite. Es geht [nicht mehr um Partizipation, sondern] nur mehr um Rechtfertigung, d.h. zu sagen: Ja, wir haben die und die Organisationen eingeladen. Und da sind weder NGOs noch Personen langfristig bereit, sich das gefallen zu lassen.“ (9_98-126)

Ebenfalls negativ wurde die Beteiligung beim Aufbau der Integrationsplattform erlebt. Bei diesem Prozess seien nur sehr wenige NGOs eingeladen gewesen. Daraufhin haben die NGOs ein eigenes Netzwerk gegründet: „Wir

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haben vor sechs, sieben Jahren das Netzwerk „Rechte – Chancen – Vielfalt“ gegründet. Darin sind ca. 20 bis 25 NGOs zusammengeschlossen, die sich mit dem Bereich Integration [...] beschäftigen.“ (9_68-97) Dieses Netzwerk verfolgt aktuell das Vorhaben eines „Gesellschaftsklimabündnisses“ zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas. In diesem Zusammenhang hat das Netzwerk zu einem Pre-Workshop eingeladen, an dem sich auch einige Ministerien beteiligten. Erwähnt wurde schließlich noch die Teilnahme an internationalen Foren. Dieser Bereich laufe, so wurde berichtet, recht gut, z.B. bei RIO+20 werden NGO-VertreterInnen in die österreichische Delegation mit aufgenommen. Wenn man in der offiziellen Delegation mitfährt, bekomme man Zugang zu anderen Kreisen, das wird positiv gesehen. Allerdings würden solche Aktivitäten im Gegensatz zu früher finanziell nicht mehr unterstützt; vor allem kleinere Akteure bräuchten eine Art Honorar oder Unterstützung Als ein nationales Good-Practice-Beispiel wird die Vorgehensweise des ehemaligen Bundesministers Erhard Busek geschildert: „Für mich war ein Idealbeispiel […] Minister Busek. […] Er hat, wenn er Gesetze in Begutachtung geschickt hat, nach Ende der Begutachtungsfrist, vor dem Ministerratsbeschluss, alle EinbringerInnen von Stellungnahmen eingeladen. […] Es war ein riesiger Saal, ich weiß nicht, wie viele Leute da gesessen sind, und er ist das Gesetz durchgegangen. Er hat keine allgemeinen Pamphlete zugelassen, wie schrecklich alles ist und so weiter und das allgemeine Sammelsurium, da hat er die Leute sehr kurz gehalten, aber er ist Paragraph für Paragraph durchgegangen, hat gefragt, ob jemand noch etwas vorbringen will. […] Und wenn man schnell war und sich gemeldet hat, hat er sich das angehört, hat dann den Beamten Stellung nehmen lassen und je nachdem, welches Argument für ihn einsichtiger war, hat er gesagt: Das wird gemacht. Oder eben das schauen wir uns noch an. […] Das war einfach großartig. Weil man einfach eine Rückmeldung hatte, in der Form: Ihr werdet ernst genommen, es ist uns wichtig, was ihr uns sagt. […] Und wir erklären euch aber auch, warum wir jetzt das oder das nicht machen.“ (4_267-312)

4.4 Wahrnehmung der Einbindung rund um die Erstellung des NRP 2011 Die Einbindung in den Prozess rund um die Erstellung des Nationalen Reformprogramms 2011 – d.h. die Einladung zu einer Informationsveranstaltung am 17. Februar und die Einladung, eigene Maßnahme zur Aufnahme in einen

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Annex zum NRP einzubringen – wurde von den befragten NGO-VertreterInnen entweder gar nicht oder tendenziell negativ wahrgenommen. Aus den Interviews kristallisieren sich die folgenden Punkte als zentral für die Unzufriedenheit der NGOs an diesem Prozess heraus: -

Die Einladungspolitik sei nicht transparent gewesen, relevante Stakeholder hätten gefehlt.

-

Die Erwartung von Seiten des BKA, die NGOs würden positive Beispiele zum Bericht beisteuern, diesen „illustrieren“, ohne dass ihre Anliegen diskutiert werden, wurde kritisiert.

-

Es sei eher eine reine Informationsveranstaltung als echte Einbindung gewesen.

-

Man sei nicht ernst genommen, nur zum Schein einbezogen worden („Scheinpartizipation“), ohne als ExpertInnen gesehen zu werden.

-

Damit einhergegangen sei das Gefühl, durch Beteiligung an einem Prozess, bei dem man nicht wirksam werden kann, knappe (Zeit-)Ressourcen zu verschwenden.

-

Es habe im weiteren Verlauf keine Rückmeldungen und Informationen gegeben, auch über die länderspezifischen Empfehlungen sei nicht informiert worden.

-

Der Prozess habe nicht den Standards für Öffentlichkeitsbeteiligung entsprochen.

4.5 Die Steuerung des NRP-Prozesses durch das BKA Die NGO-VertreterInnen sehen die Verantwortung für die Steuerung des NRPProzesses beim BKA, dieses sei die „Schnittstelle“. Dennoch können sich einige von ihnen vorstellen, dass die Einbindung in den NRP-Prozess über die Ministerien geschieht. Ein direkter Kontakt zum BKA sei dabei nicht zwingend notwendig: „Ich denke, die Schnittstelle ist im BKA. Und sonst kann natürlich auch die Einbindung über die Ministerien passieren. Das ist aber auch nicht passiert. Es ist auch egal, auf welcher Ebene. Es ist vielleicht sogar besser, das vorher auf der Ebene der Ministerien zu machen.“ (10_190-202)

In diesem Fall bräuchte es allerdings, so ein NGO-Vertreter, einen Ministerratsbeschluss, dass die Beteiligungsprozesse in den jeweiligen Ministerien stattfinden. Dies wird eher unproblematisch gesehen, da die meisten Ministe-

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rien bereits Beteiligungsprozesse durchführen, z.B. das Lebensministerium, das Wirtschaftsministerium und das Sozialministerium. Schwieriger sei es beim Finanzministerium: „Das erlebe ich ziemlich geschlossen, da ist es immer Glück, ob man irgendwie reinkommt.“ (1_2_3 70-74) Andere Befragte hingegen halten es für wichtig, dass auch ein direkter Kontakt zwischen den NGOs und dem BKA besteht. „Ein direkter Kontakt [zum BKA] wäre sicherlich von Vorteil. Weil auch das BMASK ist ein Ministerium und tickt anders als eine NGO, und wenn das dann sozusagen nochmals gefiltert vom BMASK an das BKA weitergeht – natürlich wollen wir immer direkte Einbindung. […] Da wäre es sicher gut, einen Prozess zu starten. Das müsste dann auch wirklich ein Prozess sein, der Lust macht, sich einzubringen. Wo man das Gefühl hat: Ja, die wollen das wirklich wissen.“ (7_370-382)

Notwendig sei auf jeden Fall der richtige Mix zwischen Ressort- und BKAEinbindung: „Über die Ressortebene ist sicher richtig, weil es um die thematischen [Dinge geht]. Für den gesamten Bericht wäre es klug, wenn das BKA die involvierten NGOs zumindest informiert. Denn es gibt letztlich den Gesamtbericht für Österreich, der abgegeben wird. Und es ist ja auch so, dass Maßnahmen in einem Bereich sehr wohl andere beeinflussen. Viele wirtschaftspolitische Entscheidungen wirken in den sozialen Bereich. Und insofern wäre es gut, wenn das BKA sich unmittelbar an die NGOs wenden und sie in der einen oder anderen Form einbeziehen würde.“ (4_614-634)

4.6 Das Nationale Reformprogramm Nicht zufriedenstellend war für die NGOs nicht nur der Einbindungsprozess zum NRP 2011. In den Interviews wird auch deutlich, dass das NRP selbst als inhaltlich enttäuschend erlebt wird. Hier könnte durchaus ein Zusammenhang zu dem hohen Identifikationsgrad mit den Zielen von Europa 2020 (siehe Kapitel 4.1) bestehen. Nicht nur der Entstehungsprozess, auch der Inhalt des NRP, so wie es vom BKA realisiert wurde, scheint vor dem Hintergrund der Erwartungen der NGOs Enttäuschungen hervorzurufen – umso weniger sind sie willens, ihrer Wahrnehmung nach „scheinpartizipativ“ und ohne Gestaltungsmöglichkeiten an der Erstellung des NRP teilzuhaben. „Das war immer eine Kritik […], auch schon an den Nationalen Aktionsplänen, dass es weniger darum geht, einen Aktionsplan zu machen oder ein Reformprogramm zu machen, um gewisse Ziele zu erreichen, sondern dass es in erster Linie darum geht, darzustellen: Wir machen das eh toll mit dem, was wir jetzt schon tun. Es ist weniger ein Akti-

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onsplan oder ein Reformprogramm, [sondern] eine Darstellung von Maßnahmen. […] Und darum haben wir damals auch gesagt, wir werden keine Good-Practice-Beispiele zur Illustration des NRP liefern.“ (10_212-230) „Wir waren vom jetzigen NRP sehr enttäuscht, weil wir das Gefühl hatten, es war mehr oder weniger eine sehr beliebige Aufzählung. […] Es war offensichtlich, dass da keine große Strategie dahinter steht. […] Ich hatte den Eindruck, die Länder werden gefragt, was sie an Relevantem gemacht haben […] und Salzburg hat viel zurück gemeldet und deshalb […] ist Salzburg überproportional vertreten und der Rest war mehr oder weniger ein „copy & paste“ von bestehenden Maßnahmen, aber keine erkennbare große Strategie.“ (7_95-120)

Die Wahrnehmung, dass es sich beim NRP nicht um eine wirkliche Strategie handelt, sondern nur um die Erstellung eines „Papiers“ ohne große Relevanz, wirkt sich deutlich auf die Motivation der NGOs an der Beteiligung aus: „In dieser Kombination von schlechten Prozessen, dem „Wenig-gehörtWerden“ auf der nationalen Ebene und dem Gefühl, dass diese Strategien eigentlich nur auf Papier bestehen, wird es schon sehr demotivierend und man überlegt sich, ob man die Energie und die Zeit besser anders investiert.“ (8_174-190)

4.7 Wie vernetzt sind die NGOs untereinander? Die NGOs sind untereinander und auf europäischer Ebene sehr gut vernetzt, wobei die Kommunikation und der Austausch innerhalb dieser Netzwerke unterschiedlich zufriedenstellend zu funktionieren scheinen. Von der Armutskonferenz wurde berichtet, dass der Austausch aufgrund ihrer enormen Größe zum Teil nicht optimal funktioniere. Als wichtig wird das European Anti Poverty Network (EAPN) eingeschätzt: „Hier gibt es ganz starke Berührungspunkte auf europäischer Ebene und die relevanten Informationen bekommen wir von dort. […] Weil das EAPN sehr umfassend, auch mit Mitteln der Kommission, ausgestattet ist.“ (7_7-77). Genannt wird im Bereich der Armutsbekämpfung auch die Sozialplattform. Vernetzung findet ebenso über das European Network for Social Integration Enterprises (ENSIE) statt. Außerdem wird Solidar genannt, ein europäisches Netzwerk für soziale Gerechtigkeit. Die NGOs aus dem Ökologie-Bereich engagieren sich im European Environmental Bureau (EEB). Ein NGO-Vertreter berichtet wie oben zitiert von der Gründung des „Netzwerks Rechte – Chancen – Vielfalt“ als Alternative zur nicht zufriedenstellend erlebten Integrationsplattform. Im Netzwerk tauschen sich NGOs aus dem Bereich Integration und Chancengleichheit aus.

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Darüber hinaus werden Dachorganisationen wie das Österreichische Komitee für soziale Arbeit, der Hospizdachverband, die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsträger und der Bundesdachverband Austria, die Vernetzung der sozialökonomischen Betriebe und Organisationen, angeführt. Einige NGOs kommunizieren ihre Anliegen im Rahmen der Strategie Europa 2020 über die internationalen Netzwerke direkt mit der europäischen Ebene bzw. streben dies an. Sie empfinden die vernetzte Einflussnahme auf europäischer Ebene zum Teil als sehr wichtig. Außerdem hilft die Vernetzung auf europäischer Ebene, an relevante Informationen über nationale Agenden zu kommen. So berichtet ein NGO-Vertreter, seine Organisation habe den Entwurf zum Nationalen Aktionsplan über das Netzwerk EAPN bekommen, nachdem er ihnen vom Wirtschaftsministerium nicht weitergegeben wurde. In der EU gebe es keine Geheimnisse. Wenn Informationen nicht direkt an die NGOs übermittelt werden, „frage ich einfach den schwedischen Kollegen, was Österreich im EU-Ministerrat gesagt hat.“ (1_2_3 100-110) Wichtig im Hinblick auf die Partizipation ist, dass NGOs sich manchmal auch dann nicht eingebunden fühlen, wenn eine Dachorganisation, in der sie Mitglied sind, eingeladen wurde. Diese „Doppelidentität“ wird in mehreren Interviews deutlich: „Als ‚Dachorganisation‘ waren wir eingebunden, als einzelne NGO aber nicht.“ Stellungnahmen werden jedoch laut Aussage eines NGO-Vertreters meist von den einzelnen Organisationen abgegeben, nicht von den Dachverbänden oder Netzwerken, während Projekt- und Konzeptentwicklung auch im Dachverband oder Netzwerk stattfinden kann. Bei der von den NGOs gewünschten „transparenten Einladungspolitik“ und bei der Gestaltung von Partizipationsprozessen könnte es deshalb wichtig sein, darauf zu achten, wie vertreten sich die NGOs von den jeweiligen Dachorganisationen tatsächlich fühlen und ob es ausreiche, die Dachorganisationen anzusprechen. Auf Basis der Ergebnisse dieser Studie neigen wir zu dem Schluss, dass die NGOs tendenziell auch als eigene Organisation eingeladen werden wollen. In diese Richtung geht auch das Anliegen eines NGO-Vertreters, Strukturen speziell für kleinere NGOs zu schaffen: „Es gibt viele Initiativen, die sehr kompetent in den relevanten Bereichen arbeiten, weil sie ganz nah dran sind. Und ich glaube, dass man diese Kompetenzen liegen lässt, diese Expertisen und Erfahrungen, das Wissen geht verloren, es wird nicht genutzt. […] Und das lässt sich auch von den großen NGOs, die eingebunden sind in die Sozialpartnerstruktur, nicht abdecken.“ (9_2-29)

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4.8 Relevante Themen im Zusammenhang mit Beteiligung Aus den Gesprächen über die Erfahrungen mit Beteiligung kristallisierten sich einzelne Themen heraus, die für die Gestaltung von Kommunikations- und Beteiligungsprozessen mit NGOs zentral sind.

Einladungspolitik: nicht immer transparent und oft auf bestehenden Kontakten beruhend Die Einladungspolitik wird nicht nur im Zusammenhang mit dem NRP-Prozess kritisiert. Generell wird es als sehr unterschiedlich und nicht immer als transparent erlebt, wie man zu einer Einladung in ein Gremium oder einen Prozess kommt. Ein NGO-Vertreter führt die Einbindung beispielsweise auf Kontakte zurück, die man sich aufbaut: „Das ist aufgrund der Kontakte passiert, die [man] dann im Laufe der Zeit aufbaut. […] dann hat man Kontakte […] zu verschiedenen Ministerien in dem Bereich, dann hat man auch den Faden zu bestimmten Personen. […] [dann wird] man […] zu bestimmten Konsultationen eingeladen.“ (9_68-97)

Know-how über die Gestaltung von Beteiligungsprozessen nicht immer vorhanden Das Know-how über die Gestaltung von Beteiligungsprozessen wird als unterschiedlich ausgeprägt und oft noch als verbesserungsfähig wahrgenommen. Hier geht es zum einen um Standards zur Öffentlichkeitsbeteiligung – diese zu kennen und sie auch tatsächlich anzuwenden –, zum anderen aber auch um methodisches Know-how: Wie gestalte ich Großgruppenveranstaltungen, wie wickle ich einen Beteiligungsprozess methodisch ab?

Zusammenhänge zwischen vorhandener Einbindung, Strategie Europa 2020 und Realpolitik sind unklar Inwiefern die Einbindung der NGOs, die Strategie Europa 2020, Regierungsprogramm bzw. -politik und „Realpolitik“ miteinander zu tun haben, ist den NGOs unklar. Einige NGO-VertreterInnen sprechen dabei von „Parallelprozessen“: Es gibt zwar Zusammenarbeit und Einbindung in einigen Ministerien und Ressorts, doch stellt sich die Frage, inwiefern diese Prozesse tatsächlich in die Real-Politik einfließen.

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Ähnlich auch die Überlegungen zu den Europa-2020-Zielen: Werden diese bei der Formulierung der Regierungspolitik überhaupt berücksichtigt? Bei einigen NGO-VertreterInnen besteht der Eindruck, Regierungspolitik und -programm sowie Realpolitik auf der einen und Europa 2020 und die Einbindung der NGOs auf der anderen Seite seien zwei parallel verlaufende, kaum miteinander kommunizierende Prozesse: „Ein weiterer Punkt ist die Frage, wie diese Prozesse mit der nationalen Politik zusammenhängen. […] Wir hatten den Eindruck, das läuft ein Stück weit parallel […]. Es steht zum Beispiel nichts davon im Regierungsprogramm; somit ist eigentlich schon klar, dass das kann nicht umgesetzt werden kann. So etwas ist natürlich unbefriedigend. Man hat das Gefühl, man arbeitet eigentlich an einem Schattenpapier. Und es ist oft zu wenig klar, in welcher Form das wirklich weiterverfolgt wird.“ (8_125-154)

Auch die Gesamtarchitektur der Strategie Europa 2020 und der Zusammenhang des NRP mit den Prozessen in den unterschiedlichen Ressorts und auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen wird z.T. als unklar beschrieben: „Ich weiß, dass ich eingebunden bin beim NachhaltigkeitsstrategieProzess, ich weiß, dass ich eingebunden war beim EnergiestrategieProzess […] und das hängt natürlich auch irgendwie mit Europa 2020 zusammen, aber nicht mit dem eigentlichen Prozess.“ (1_2_3 17-22)

Einbindung vorhanden, Umsetzung jedoch nicht zufriedenstellend Ein häufiger Kritikpunkt der NGOs ist, dass die Einbindung zwar gegeben sei, bei der Umsetzung aber nicht mehr sichtbar wird. Als wirkungslos erlebte Einbindung schlägt in Frustration und Unzufriedenheit um, in Gefühle wie „nicht ernst genommen werden“, und wird mit Begriffen wie „Scheinpartizipation“ belegt. Angesichts permanenten Ressourcenmangels auf Seiten der NGOs werden Beteiligungsprozesse, die als „Schein“ oder unwirksam erlebt werden, von den NGOs auch nicht mehr „bespielt“. „Gewisse Stakeholder haben nicht die Ressourcen, unter Anführungszeichen, um sich auch wirklich effektiv an jedem dieser einzelnen Prozesse zu beteiligen, weil sie auch nicht sehen, dass ihre Meinung sich dann wiederfindet […] deswegen ist das ein beinharter Abwägungsprozess für viele Organisationen […] ob sie bei gewissen Beteiligungsprozessen mitmachen.“ (6_129-146)

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Zeiteinsatz, Ressourcenmangel und finanzielle Unterstützung für die Beteiligung Die meisten NGO-VertreterInnen weisen darauf hin, dass Beteiligung auch für sie einen erheblichen Zeiteinsatz erfordert. Da ihre Ressourcen sehr beschränkt sind, müssen sie nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip auswählen, an welchen Prozessen sie sich beteiligen. Deshalb wären für Beteiligungsprozesse auch Aufwandsentschädigungen sinnvoll. Es reicht nicht aus, Strukturen zu schaffen. Wenn sie bespielt werden sollen, brauchen die NGOs auch die Ressourcen dafür. „Wir bereiten uns […] auch intern vor, wir befragen intern unsere Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern […] zu den diversen Themen. Das sind aufwändige Prozesse. Und wir nehmen das auch immer sehr ernst. Nur merken wir, dass wir massiv an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen: Ich bin nicht dafür bezahlt, Stellungnahmen zu schreiben. Das ist eigentlich ein Nebenprodukt meiner Arbeit […]. Und leider ist oft so, dass man überhaupt nichts erreichen kann, man sitzt aber mitunter tagelang und nächtelang daran.“ (4_182-233)

Beteiligung wird also auch auf Seiten der NGOs nach einem Kosten-NutzenPrinzip entschieden: „A) ist das politisch das, wo wir unseren Fokus haben, b) ist das ein Gremium, wo ich wirklich etwas bewegen kann […] Da kann es auch dazu kommen, dass von der Umwelt-NGO-Seite her keine Beteiligung stattfindet.“ (1_2_3 93-100) Ein NGO-Vertreter spricht von der „Partizipationsfalle“: Man brauche viel Energie und Ressourcen, um sich informiert zu halten, viele Papiere müssten gelesen werden. Die Ressourcen sind jedoch bei den NGOs begrenzt – umso mehr erwartet man sich, dass bei Beteiligungsprozessen etwas real Greifbares herauskommt.

Motivation zur Partizipation Zeit- und Ressourcenmangel auf der einen, langwierige und wirkungslose Beteiligungsprozesse auf der anderen Seite – in diesem Spannungsverhältnis sind Frustration und Motivation der NGOs angesiedelt. Positiv sei an dieser Stelle gefragt: Was motiviert NGOs, sich zu beteiligen? Zum einen wird es als motivierend angesehen, wenn es ein Forum gibt, in dem man seine Anliegen verständlich machen kann. Wichtig ist auch, dass es eine Reaktion gibt, und dass ein fortschreitender Prozess gesehen wird; dass klar wird, was geschieht mit den Ergebnissen, wie geht es weiter. Darüber muss dann auch informiert werden.

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Keineswegs erwarten die NGOs, dass ihre Anliegen 1:1 umgesetzt werden. Sie erwarten jedoch, dass ihre Beiträge ernst genommen, wertgeschätzt und dokumentiert werden. Als Motive für die Beteiligung wurden genannt: -

die Politik ein Stück weit an die Realität der Menschen heranführen

-

demokratiepolitische Relevanz

-

an Strategiepapieren mitarbeiten

-

Ziele für die Gesellschaft definieren

-

Repräsentation eines Teils der Gesellschaft

-

Vision einer gerechteren Welt

-

die Umsetzung wird leichter, wenn die Entscheidungen von einer breiteren Basis getragen werden

-

Expertise einbringen

Die NGO-VertreterInnen wurden auch gefragt, was Ministerien und BKA dazu motivieren könnte, die Zivilgesellschaft einzubinden. Zum Teil, so hieß es, seien es Vorgaben, denn die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist in der EU2020-Strategie vorgegeben. Außerdem sei es sicher eine Motivation, politische Maßnahmen im Vorhinein einem Prüfprozess zu unterziehen, bevor es in den tatsächlichen Gesetzgebungsprozess geht, um sich „im Nachhinein Schelte zu ersparen.“ (1_2_3 93-100) Nachhaltigkeit und Qualität würden steigen, wenn ein breiteres Meinungsspektrum berücksichtigt wird. „Wenn sie wirklich Interesse hätten“, müsse die Motivation des BKA und der Ministerien sein, „gute nachhaltige Lösungen im Sinne des Ganzen zu erarbeiten.“ (1_2_3 83-93)

Konkurrenz mit Sozialpartnern Immer wieder wird in den Interviews thematisiert, dass die Sozialpartner mehr Rechte, Einfluss, Macht und Beteiligungsmöglichkeiten haben als die NGOs, nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb formaler Prozesse. Beispielsweise wird von einer „geheimen Klimarunde“ erzählt, „die nirgendwo aufscheint. In dieser Klimarunde sitzt die Wirtschaftskammer, die Arbeiterkammer, da sitzen die Sozialpartner und die geben die Linie vor.“ (1_2_3 29-45)

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Von mehreren NGO-VertreterInnen wird auch wahrgenommen, dass Sozialpartner und Länder die NGOs in Gremien und Prozessen nicht immer dabei haben wollen: „Es widerspricht dem österreichischen System der Sozialpartnerschaften […] Es gibt dann nicht nur von Seiten des Ministeriums […] Widerstände, [es] wird auch deutlich, dass auch die Sozialpartner [es nicht wirklich gut finden], dass die NGOs auch mitreden. Ich glaube, da ist noch ein langer Weg zu gehen.“ (8_43-58) Die Einbindung der Zivilgesellschaft wäre ein Weg, von „partialen Eigeninteressen“ weg zu einem breiteren Meinungsspektrum zu kommen. Hier wird Widerstand auf Seiten der Sozialpartner geortet: „Wenn sie daran kein Interesse haben, was ja leider oft der Fall ist, also wenn es vor allem um politische Spielchen geht oder teilweise auch darum, Pfründe zu verteidigen oder abzusichern, dann sind natürlich zivilgesellschaftliche Akteure ein Störfaktor. […] Den Sozialpartnern ist teilweise recht, dass es so läuft, wie es jetzt läuft.“ (1_2_3_83-93) Als Lösungsansatz wird auf das Modell der „erweiterten Sozialpartnerschaft“ in Irland verwiesen. Umwelt-NGOs nennen in diesem Zusammenhang die Einführung einer „Ökosozialpartnerschaft“ als Anliegen.

Kooperation mit den Ländern Als sehr wichtig und ebenfalls nicht unproblematisch wird die Kooperation und Beteiligung auf Länderebene gesehen. „Das ist vielleicht noch ein zweiter, ganz wichtiger Punkt. Die Länder, das ist gerade in unserem Bereich, in der Sozialpolitik, ein großes Problem, dass die Länder sehr relevante Akteure sind. Es hat [zwar] einen zaghaften Versuch gegeben: Im Rahmen des 2010er-Jahres gegen Armut fanden regionale Stakeholder-Konferenzen statt, wo man versucht hat, in Richtung regionaler Aktionspläne etwas zu machen. Aber meines Wissens ist das in keinster Weise weiter verfolgt worden.“ (8_155-173)

Die Bedeutung einer Einbindung auf Länderebene wird klar erkannt; sie scheint jedoch deutlich schwieriger zu sein als auf Bundesebene. Dies wird auch in den Interviews mit den VertreterInnen der Verwaltung so gesehen (siehe dazu Kapitel 3) „Das ist ein problematischer Punkt bei uns, dass wir viel auf Bundesebene versuchen, aber die relevanten Entscheidungen werden sehr oft in den Ländern getroffen, auch was die Strukturfonds betrifft. Wir merken, dass unsere Mitglieder, also auch die Landesnetzwerke, zum Teil [auf Länderebene] gar nicht eingebunden sind […]. Was die TEPStrukturen, Territorialen Beschäftigungspakte, betrifft, sind viele unse-

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rer Mitglieder nicht eingebunden. Da wird auch in unserer Positionierung [stehen]: Dei den TEPs ist die Einbindung von NGOs derzeit eine Kann-Bestimmung, und wir wollen lobbyieren, dass das eine MussBestimmung wird.“ (7_193-234)

4.9 Künftige Ideen und Erwartungen zur Beteiligung In diesem Kapitel sollen die Ideen und Erwartungen der NGOs in Bezug auf Beteiligung generell und im Speziellen zur Einbindung in den NRP-Prozess zusammengefasst werden. Die Bedürfnisse gehen vielfach in ähnliche Richtungen – mehr Transparenz, Wertschätzung und finanzielle Unterstützung – und sie decken sich auch weit gehend mit jenen Faktoren, die von den VertreterInnen der Verwaltung als entscheidend für das Gelingen von Beteiligung genannt wurden (s. Kapitel 3.3). Die Erwartungen der befragten NGO-VertreterInnen unterscheiden sich jedoch in der Ausprägung: Während die einen bereits damit zufrieden wären, wenn in Beteiligungsprozessen die Beteiligungsstandards eingehalten werden, andere ihre Positionen und Anliegen zumindest auch „gehört“ und „diskutiert“ wissen wollen, gibt es auch NGO-VertreterInnen, denen Beteiligung ohne wirkliche Beeinflussung von politischen Entscheidungen zu wenig erscheint. In diesem Zusammenhang erscheint vor allem die Transparenz der Möglichkeiten, der Form und des Ausmaßes der Beteiligung ganz zu Beginn eines Beteiligungsprozesses hilfreich, um die Erwartungen mitsteuern zu können und Enttäuschungen und Kritik zu vermeiden.

Transparente Einladungspolitik Wie schon an mehreren Stellen erörtert, ist eine transparente Einladungspolitik den NGOs in sämtlichen Beteiligungsprozessen, so auch im NRP-Prozess, sehr wichtig. Die Auswahl der Eingeladenen soll nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar erscheinen und die relevanten Stakeholder umfassen.

Transparenz der Möglichkeiten, des Prozesses, der Dokumentation Ein großes Anliegen der NGOs ist echte Einbindung statt Pro-FormaBeteiligung und Scheinpartizipation. An welchen Kriterien aber werden die Unterschiede festgemacht? Zum einen geht es auch hier um Transparenz: Es muss klar sein, welche Möglichkeiten die NGOs im Rahmen der Einbindung haben, d.h. inwiefern sie

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mitgestalten können und was mit ihren Beiträgen passiert. Dafür ist auch der Zeitpunkt der Einbindung relevant. Wenn bereits alles entschieden ist, sollte das schon zu Beginn entsprechend transparent kommuniziert und die Einbindung als dem Zweck der Information dienend deklariert werden. Das Interesse an der Beteiligung an reinen Informationsveranstaltungen dürfte sich jedoch – so zeigen die Interviewergebnisse – in Grenzen halten. Ein Bedürfnis der NGOs ist auch die Transparenz des Prozesses, in welchen einzelne Gespräche, Diskussionen, Konsultationen und Veranstaltungen eingebettet sind. Gefordert werden Klarheit und Information darüber, was mit ihren Beiträgen und Stellungnahmen passiert, wie sie aufgegriffen und weitergeführt werden, was das Ergebnis ist. „Wenn das nur ein Diskussionsforum wird, dann ist es wahrscheinlich unbefriedigend für alle Akteure. Es müsste zumindest anfänglich auch festgehalten werden, wie weit der Interaktionsrahmen für beteiligte Akteure im Endeffekt ist. […] Zum Beispiel so, dass der Bericht dann abgestimmt wird […].“ (6_40-55) Transparenz wird auch bei der Dokumentation gewünscht: Diskussionsbeiträge, auch wenn sie Minderheitenthemen darstellen, sollen nicht „in der Schublade verschwinden“, sondern in die Dokumentation aufgenommen werden.

Entscheidungsprozesse Wie eingangs erwähnt, sind Ausprägung und Intensität der von den NGOs erwünschten Beteiligung sehr unterschiedlich. Auch in dem Bewusstsein, dass die Letztentscheidungen in einem demokratischen Prozess im Parlament getroffen werden, ist es manchen von ihnen ein Anliegen, im Falle einer Beteiligung auch in den Vorentscheidungsprozess einbezogen zu werden – zumindest so weit wie die Sozialpartner. Vielfach besteht die Wahrnehmung, dass nach einem Beteiligungsprozess, in dem Positionen der NGOs diskutiert wurden, die „Vorentscheidungen“ auf informellem Weg, hinter verschlossenen Türen und unter Beteiligung der Sozialpartner getroffen werden und sich die Positionen der NGOs darin nicht mehr wiederfinden. Diese Vorgangsweise wird als nicht zufriedenstellend erlebt. „Die Transparenz des Zustandekommens von Entscheidungen ist für uns ein ganz zentraler Punkt. Es bringt nichts, wenn wir ein tolles Beteiligungsgremium haben, in dem […] diskutiert wird und vielleicht sogar sich Kompromissmöglichkeiten abzeichnen, die sich dann aber im politischen Prozess nicht wiederfinden, sondern […] in irgendeinem netten Beibericht festgehalten werden, auf die jedoch in keiner Weise politisch reflektiert wird.“ (6_123-128)

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„Es ist logisch, dass dann der ganz normale parlamentarische Prozess abläuft.“ Nicht demokratisch sei allerdings, wenn bereits im Vorfeld gefiltert werde: „Wenn dort schon diese Filterung stattfindet, wenn erst wieder nur die Sozialpartner überbleiben.“ Lösungen würden „ausgeschnapst“, das sei intransparent und undemokratisch, aber „Usus in Österreich“. Einbindung sei gerade auch dort wichtig, wo „Vorentscheidungen“ getroffen werden. (1_2_3 83-93)

Verwendung der Österreichischen Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung Viele der von den NGOs geäußerten Wünsche und Erwartungen entsprechen den Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung, die im Auftrag von BKA und Lebensministerium erarbeitet und am 2. Juli 2008 vom Ministerrat beschlossen wurden (abrufbar auf http://www.partizipation.at). Die NGOs verweisen in den Interviews immer wieder auf diese Standards und würden sich wünschen, dass auch der NRP-Prozess ihnen entsprechend durchgeführt wird. „Es wäre schon geholfen, wenn allen relevanten Menschen, die in diesen Prozessen verortet sind, dieses Papier [die Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung] bekannt wäre. Und wir uns daran halten würden, wunderbar. […] Ein wunderbares Papier, aber die Frage ist, wie es auf den Boden kommt und ob das auch wirklich gelebt wird, oder ob es ein Stück Papier bleibt, wovon ich eher den Eindruck habe. Aber dieses Papier, auch wenn es Jahre alt ist, das kann man 1:1 nehmen und ich weiß, dass da sehr kluge und gute Sachen stehen, wie Stakeholder-Beteiligung funktionieren kann.“ (7_305-318) „Es wäre wirklich wichtig, wenn es zumindest so laufen würde, wie es in diesem Papier zur Stakeholder-Beteiligung beschrieben ist, dann wäre schon viel gewonnen. Das hat eine Gruppe erarbeitet unter unterschiedlichster Beteiligung von verschiedenen Akteuren, da ist schon sehr vieles drinnen, was notwendig ist. Und ich finde, eine minimale Anforderung wäre, dass MitarbeiterInnen, die in solche Prozesse involviert sind, dass die solche internen Papiere auch kennen und sich in irgendeiner Form daran orientieren. Das muss man sich zumindest erwarten.“ (8_191-216)

Wertschätzende Haltung Von Seiten der NGOs wird erwartet, dass sie und ihre Anliegen ernst genommen werden. Es ist ihnen bewusst, dass ihre Anliegen nicht 1:1 umgesetzt werden. Sie erwarten sich jedoch, dass die Beiträge, die sie leisten, gehört und diskutiert werden, sich in einer Dokumentation wiederfinden, dass sie als

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ExpertInnen wahrgenommen und aus diesen Gründen proaktiv zu Beteiligungsprozessen eingeladen werden. Auch rechtzeitige Information und Einladung werden unter dem Aspekt einer respektvollen Haltung gesehen. „Der Bereich der Wertschätzung ist ein ganz wichtiger und zentraler. Das ist jetzt nicht etwas, das sich unmittelbar, an konkreten Indikatoren festmachen lässt, aber das einfach sehr wichtig ist. […] Da kommt es sehr viel darauf an, dass sich die Organisationen wertgeschätzt fühlen und einfach auch sehen: Wenn ich mich einbringe, dann wird das auch ernst genommen, auch wenn nicht jeder Punkt übernommen wird. Aber so wird das zumindest in die Überlegungen einmal mit einbezogen und es wird einmal durchgedacht, was eingebracht wurde und dann abgewogen.“ (6_155-162)

Sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, sich nicht wie das „fünfte Rad am Wagen“ fühlen zu müssen, am untersten Ende der Hierarchie, wäre für eine NGO-Vertreterin ein wichtiger Schritt: „[Die Bundesverwaltung hat] sehr viel zu tun, schon allein wegen des Föderalismus. Das ist natürlich für alle Gesetzgebungsabläufe wichtig. Dann haben sie noch die Sozialpartner und den Seniorenbeirat, diese gesetzlich verankerten Beiräte. In dieser Hierarchie kommen die NGOs ganz am Schluss. Das spüren wir. Wir sind das fünfte Rad am Wagen. […] Es ist klar, die NGOs können Sozialpartner nicht ersetzen, wir haben eine ganz andere Rolle. […] Aber vielleicht kann es gelingen, dass wir nicht das fünfte Rad am Wagen sind. [Deshalb ist] dieser Diskurs […] wichtig, diese Rückmeldungskultur und diese GleicheAugenhöhe-Kultur. Das ist wichtig, auch wenn ich weiß, dass es, wenn ein Landeshauptmann etwas sagt, ein anderes politisches Gewicht hat, als wenn unsereiner etwas sagt.“ (4_818-838)

Die NGOs sehen sich – u.a. aufgrund langjähriger Erfahrung, Nähe zu Betroffenen, intensiver Beschäftigung mit ihren Fachthemen – als ExpertInnen, die sinnvoll zur Politikgestaltung beitragen können. Als solche wollen sie auch wahrgenommen werden. In manchen Bereichen funktioniere dies bereits zufriedenstellend: „Ich habe schon das Gefühl, im BMASK werden wir inzwischen einfach auch als Akteure [gesehen], die Expertise einbringen können. Und es gibt nicht dieses Bild: Die sind ständig dagegen, die jammern und so weiter. Sondern es wird auch, glaube ich, erkannt, dass unsere Kritik oft berechtigt ist. Und ich finde es sehr wichtig, dass diese Erkenntnis, dass diese Einstellung wächst, dass es [bei den NGOs] etwas an Wissen zu holen gibt, das für die Politikentwicklung und -gestaltung relevant sein kann. Auch wenn man es nicht immer umsetzen kann.“ (8_87-96)

Wertschätzung wird aber ebenso im Zusammenhang mit finanzieller Unterstützung thematisiert. Finanzielle Unterstützung für zeitaufwändigere Beiträge

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und Prozesse würde auch sichtbar machen, dass die Beteiligung und die Expertise der NGOs als wert- und sinnvoll angesehen und gewollt werden. Zudem würde es eine Erhöhung der Qualität durch Vertiefung und Kontinuität ermöglichen.

Methoden-Repertoire Ein weiteres von einzelnen NGO-VertreterInnen geäußertes Anliegen ist, dass die Verwaltung sich auch methodisch den Herausforderungen von Öffentlichkeitsbeteiligung stellt. Das geht zum einen in Richtung der bereits angesprochenen Beteiligungsstandards, zum anderen steckt dahinter auch das Bedürfnis nach funktionaler Veranstaltungs- und Sitzungsgestaltung. So spricht ein Interviewpartner an, „dass man das Gefühl hat, die öffentliche Verwaltung ist auch methodisch nicht so fit. Das entspricht ja nicht ihrer Kultur. So sind auch die Sitzungen […] nicht so optimal. Es gibt Großgruppenmethoden, die wahrscheinlich mehr Ergebnisse bringen könnten.“ (8_97-117) Ein auf das BMASK bezogenes Beispiel: „[Es wäre gut], wenn Möglichkeiten [für mehr Diskurs] geschaffen werden […] Man sitzt dann dort […] und jeder referiert seinen Punkt. Aber es kann eigentlich nicht wirklich eine Diskussion entstehen. Denn diese Form, in einem riesigen Saal des Ministeriums riesige Tischkreise – 70 Leute […] oder auch nur 40 –, das fördert nicht die Kommunikation. [In diesem Kontext] andere Formen zu erproben, das würde ich als Weiterentwicklung sehen.“ (8_125-154) Ein Interviewpartner verweist darauf, dass man, wenn man bei der Öffentlichkeitsbeteiligung hohe Qualität erzielen möchte, einen entsprechenden Aufwand verursacht und dementsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen müssten. Online-Konsultationen seien in diesem Kontext nur begrenzt sinnvoll: „Und vor allem, wenn das eine Online-Konsultation ist, ist der Nutzen einfach begrenzt. Wenn die Kommission wirklich Interesse daran hätte, zu hören, was diese Stakeholder sagen und wo wirklich die Druckstellen […] liegen, dann müsste sie andere Beteiligungsmodelle wählen, die allerdings administrativ aufwändiger wären und vielleicht auch unangenehmer […] Eine Online-Konsultation, das ist so wie ein Online-Fragebogen, nicht, wann werden Sie da wirklich eine halbe Stunde Zeit aufwenden, um alle Dokumente durchzukauen und dann zu sagen: Jetzt schreibe ich mir etwas zusammen, damit ich es dann in einem Online-Fragebogen eingebe, also das ist in gewisser Weise fern der Realität. Wenn man hingegen so etwas wie eine Umfrage macht, wo man mit den Leuten redet, […] dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man […] jene Punkte identifiziert, an denen der Schuh wirklich drückt und die die wirklich relevante Rückmeldungen sind, ein-

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fach höher; und somit die Qualität der Rückmeldungen, des Prozesses auch höher.“ (6_129-146)

Auch das Bedürfnis, dass im Laufe eines Beteiligungsprozesses alle Stakeholder und Akteure zusammenkommen, um sich vernetzt, umfassend, eventuell auch ressortübergreifend auszutauschen, kann als ein Appell in Richtung „Methoden“ gesehen werden. Vorschläge und Erwartungen in diese Richtung gibt es von mehreren InterviewpartnerInnen. Auch der Wunsch, dass Formen gefunden werden sollten, in denen Diskussionen möglich sind, wurde mehrfach geäußert. „Da fände ich es schon wichtig, wenn in irgendeiner geeigneten Form die Akteure – natürlich mit einem Vertreter – zusammen kommen können, um zu diskutieren. Aber es muss natürlich gut moderiert sein und ein Prozess, der auch Diskussionen zulässt […] Auch wenn uns das manchmal unterstellt wird, wir sind nicht so naiv anzunehmen, wenn wir irgendwas sagen, dass das 1:1 dann von einer Regierung umgesetzt wird. Das ist uns schon klar, aber es geht ja sehr stark auch darum, überhaupt Dinge einmal in die Diskussion zu bringen. Und vielleicht gibt es dann auch irgendwann eine Einsicht, dass das doch eine sinnvolle Maßnahme wäre.“ (8_217-246)

Eine NGO-Vertreterin schlägt weiters vor, „zu ausgewählten Themen Fokusgruppen zu machen. Und zwar vor allem auch mit Betroffenen. […] Zu ausgewählten Themen, zu Fragestellungen […] bei denen man hängt, schon seit mehreren Jahren, und nicht weiterkommt.“ Drauf aufbauend könnte man dann Workshops mit „Leuten aus der Praxis aus dem NGO-Bereich“ und VertreterInnen aus der öffentlichen Verwaltung (Ministerien, BKA) machen, „einen moderierten Prozess, bei dem man überlegt, was könnte man da eigentlich sinnvoll machen und bei dem auch die NGOs ihre Forderungspapiere nicht mitnehmen; beide Seiten […] Ministeriumsebene, BKA-Ebene, […] einen geschützten Rahmen, wo man das ausspricht, was man sich denkt.“ (4_693-752) Schließlich schlägt ein Interviewpartner auch die Erstellung einer Datenbank vor, aus der „ersichtlich ist, wie, wer, wo an welchen Themen arbeitet oder zu welchen Themen man miteinbezogen werden könnte. Das ist auch eine Form von Anerkennung für die Initiativen.“ (9_214-245)

Finanzielle Unterstützung Ein sehr wichtiges Thema in den Interviews ist die Ressourcenknappheit bei den NGOs (siehe auch Kapitel 4.5 ) und damit einhergehend der Wunsch nach finanzieller Unterstützung für die Beteiligung, vor allem bei längerfristigen Prozessen. Die involvierten NGOs könnten sich dann intensiv mit der Materie auseinandersetzen, ohne immer abwägen zu müssen, ob es vielleicht

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andere Prozesse gäbe, in denen mehr zu erreichen wäre. Dies würde die Qualität der Beteiligung und der Ergebnisse erhöhen. Ein Vorschlag war, eine entsprechende Entschädigung als „technische Hilfe“ zu deklarieren, z.B. für das Verfassen von Protokollen. Ein NGO-Vertreter legte auch nahe, Förderinstrumente für finanzielle Unterstützung zu nutzen: „Es gibt verschiedene Instrumente, die wir für sehr gut halten, wie zum Beispiel Global Grants. Das ist die Möglichkeit, im Bereich von 5.000 Euro sehr schnell Projekte zu unterstützen, relativ unbürokratisch. Das wird von Österreich überhaupt nicht verwendet, dieses Instrument. Wir wollen, dass dieses Instrument verwendet wird und auch […] nachgedacht wird [über] gemeinsamen Aktionen, Joint Actions, Joint Global Actions heißt das, glaube ich.“ (7_235-303)

Evaluierung der Zielkonformität und der Zielerreichung Damit die Ziele der Strategie Europa 2020 wirklich relevant und wirksam sein können, müssten die Gesetzwerdungsprozesse konkret und ressortübergreifend darauf hin ausgerichtet werden, so mehrere NGO-VertreterInnen. „Was ich mir wünschen würde, als NGO-Vertreter, ist, dass diese Ziele letztlich auch überprüft werden, in der Politik der Kommission oder in der Politik der nationalen Regierung, und da passt es meines Erachtens überhaupt nicht zusammen. […] Das ist wie zwei unterschiedliche Welten, die Formulierung von ‚2020‘ und die Realpolitik, mit der Krise umzugehen, da sehe ich nicht so viel Gemeinsames, mehr Trennendes. […] Weil wenn ich sag’e wir haben ‘2020‘-Ziele, wo definiert ist, wie viel, wo es um Senkung der Arbeitslosen geht, wo es um mehr Inklusion im Bildungsbereich geht, da müsste man sich ja eigentlich auch die Gesetze etwa im Stabilitätspakt auf das hin anschauen, ob der Stabilitätspakt auch diesen Zielen entspricht oder nicht. Also wir sind da überhaupt nicht eingebunden. Also das wäre eine Fragestellung.“ (10_140-189)

Manche NGO-VertreterInnen erwähnen auch eine Einbindung in die Evaluierung der Zielerreichung als wünschenswert: „Bei der Evaluierung fände ich [Beteiligung] sehr relevant. [Früher] wurden ja oft Pläne, […] Vorhaben hinein geschrieben, die sind nie, also sind nicht einmal ansatzweise realisiert worden. Das waren Wunschvorstellungen und ich glaube, bei der Evaluierung muss man sich dann schon einmal genau anschauen, was ist jetzt wirklich passiert, was läuft da weiter? Auch in der momentanen Situation wird man schauen müssen, was ist von Einsparungen betroffen an Maßnahmen, die da geschildert werden.“ (8_217-246)

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Erstellung des NRP und Rolle des BKA Über die bisher dargelegten Anliegen zu Einladungspolitik, Transparenz und Wertschätzung hinaus äußerten die NGO-VertreterInnen spezielle Vorschläge in Hinblick auf die Erstellung des NRP. So gibt es beispielsweise den Wunsch, den Prozess mehrjährig aufzusetzen, sodass auch Evaluierungen der Ziele und Maßnahmen darin Platz finden. „Und das heißt natürlich auch für die NRPs, dass die Maßnahmen nicht nur dargestellt werden müssen, sondern auch die Auswirkungen der Maßnahmen. Wo es definierte Ziele gibt, kann man diese auch in den NRP schreiben. [Z.B.] so und so viele Langzeitarbeitslose, so und so viele MindestsicherungsbezieherInnen oder Armutsbetroffene abzubauen. […] [Ich meine] definierte Ziele, die man dann auch überprüfen müsste.“ (10_241-255) Eine längere Textpassage aus einem Interview zeigt, wie für die betreffende NGO-Vertreterin dem Bedürfnis nach „echter Einbindung“ entsprochen werden könnte: „Wichtig wäre ein klarer Prozess, der auch transparent ist und orientiert an dem, was man sich schon einmal als Richtlinie gegeben hat. Eine gute Informationspolitik, dann eine Konsultation, die auch wirklich den Namen verdient, wo es Möglichkeiten gibt, gehört zu werden, Dinge anzudiskutieren, wo man mit verschiedenen Akteuren zusammentrifft und nicht in Einzelgrüppchen. […] Wichtig ist auch dieses Grundverständnis, dass NGOs auch relevante Akteure sind, dass das nicht nur halt so ein ‚Must‘ ist, das man machen muss, um irgendeinen Punkt auf einer Kommissionsempfehlung abzuhaken. Dass man sich vor uns weder fürchten muss, noch sonst was, also auch ein Abbau von Vorurteilen, würde ich einmal sagen. Dass wir Anliegen vertreten, die sich viel spießen mit dem, was momentan umgesetzt wird, aber dass das weder aus Jux und Tollerei ist und auch nicht nur, um lästig zu sein, sondern dass da einfach Anliegen aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe heraus vertreten werden und dass es durchaus auch was bringen kann, das zu hören.“ (8_276-286)

Im Zusammenhang mit der Erstellung des NRP wird die Rolle des BKA als koordinierend, steuernd und moderierend gesehen. Wichtig seien für die Ausübung dieser Steuerungsfunktion, sofern man NGOs bzw. die Zivilgesellschaft darin tatsächlich einbinden möchte, ein gewisses Verständnis für Stakeholder- und Beteiligungsprozesse und die Berücksichtigung von Beteiligungsstandards. Darüber hinaus wäre ebenso ein Teil dieser Steuerungsverantwortung, darauf zu achten, wie die Prozesse in den Ressorts funktionieren und wie man mit ressortübergreifenden Themen umgeht: „Na ja, das BKA müsste vielleicht zuerst selber auch ein Verständnis haben für die Prozesse, es wäre halt schon auch noch mal eine Verantwortung zu schauen, wie dann auch in den einzelnen Ressorts

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diese Prozesse adäquat laufen.“ (8_258-264) „Dann auch noch mal eine wichtige Rolle, den Prozess zu steuern und wirklich auch dafür zu sorgen, dass alle Akteure eingebunden sind. Und sich zu überlegen, wie das gut zusammenkommen kann und dann natürlich auch, was mit Themen ist, die ressortübergreifend sind.“ (8_258-264) „Wie können wir als Bundeskanzleramt, sozusagen als Regierung, den Prozess so gestalten, dass wir ihn partizipativ und transparent anlegen. Das wäre die eine Ebene, wo man nachdenken sollte für die Zukunft.“ (10_256-272)

Ein NGO-Vertreter wünscht sich das BKA auch als eine Art Mediator: „Ich meine, diese Rolle, die könnte das Bundeskanzleramt spielen, nimmt es [aber] wahrscheinlich zu wenig wahr: […] als dritter Player. Der, der grob [gesagt] Menschen zusammenbringt, muss nicht unbedingt Experte oder Expertin sein. Ich denke, von der Herangehensweise hätte eigentlich das Bundeskanzleramt die Chance, die Fäden in die Hand zu nehmen und zu sagen, das ist ein Thema, da bringen wir jetzt alle zusammen.“ (9_214-245) Auch gemeinsame Überlegungen von Ministerien und BKA zur Prozessgestaltung werden als sinnvoll angesehen: „Ich denke, da müssen sich die Ressorts und das BKA miteinander überlegen, wie sie das am besten gemeinsam gestaltet.“ (8_191-216)

4.10 Wünsche und Ideen in Bezug auf eine Veranstaltung Nach Wünschen und Ideen zu einer (jährlichen) Veranstaltung im Rahmen des NRP-Prozesses gefragt, wiesen die meisten NGO-VertreterInnen darauf hin, dass eine solche nur dann Sinn machen würde, wenn sie in einen Gesamtprozess eingebettet ist. „[Es] macht dann Sinn, wenn es danach einen Prozess gibt, damit die Reflexion Eingang findet. […] Nur eine reine Anhörung, wo man sagt man hat […] einen Meinungsaustausch, aber dann gehen die Türen wieder zu und es treffen sich die Sozialpartner oder nur das BKA intern und schreibt was und das ist es, […] ohne eine Feedbackschleife […], das würde mich nicht zufriedenstellen. […] Das müsste wirklich ein partizipativer Prozess sein.“ (1_2_3 114-120) Fasst man die Anliegen zusammen, dann sollte die ideale Veranstaltung -

in einen Prozess eingebettet sein, der auch weitere Schritte und Rückmeldungen beinhaltet

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eine transparente Einladungspolitik haben

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keine reine Informationsveranstaltung sein

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ein größerer, breiter Kick-Off mit einer großen Bandbreite an unterschiedlichen AkteurInnen und Stakeholdern sein

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Klarheit über Möglichkeiten und den Prozess der Mitwirkung aufzeigen

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Diskussionsmöglichkeiten bieten

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Mitwirkungs- und Beeinflussungsmöglichkeiten bieten

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Vernetzung und das Knüpfen von Kontakten ermöglichen

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Nutzen und Sinnhaftigkeit für die NGOs müssten gegeben und erkennbar sein

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Einladungen und Vorabinformationen müssten rechtzeitig erfolgen.

Manche NGO-VertreterInnen skizzierten im Rahmen des Interviews auch ein grobes Prozess-Design: 1. Großer Kick-Off mit VertreterInnen der Regierung und der Zivilgesellschaft. Präsentation von Ziel und Plan; ein Signal, dass jetzt die Arbeit beginnt. 2. „Und dann geht es in die Ministerien. Dabei ist definiert, welches Ministerium welches Feld bearbeitet. Dort gibt es ebenfalls Dialogforen, in denen man über die einzelnen Bereiche die Zielerreichungen verhandelt und diskutiert, vielleicht auch gemeinsame Standpunkte findet, und dann wird das protokolliert […] Damit ist Einbindung gegeben.“ (10_203-211) „Wenn das Nationale Reformprogramm ernst genommen würde, [wäre es wichtig], in irgendeiner Form alle Akteure einmal an den Tisch zu bringen, vielleicht am Anfang, und dann weiter zu arbeiten in den Ressorts.“ (8_97117) Dass die Veranstaltung dafür genutzt werden könnte, Klarheit über den Prozess und die Mitwirkungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wird auch von mehreren InterviewpartnerInnen vorgeschlagen: „Also sinnvoll wäre, denke ich, weil das ja etwas Neues ist, dass man der Zivilgesellschaft dann zeigt: So ist der Prozess angedacht und da könnt ihr euch einbringen. Damit man dann weiß, da gibt es Möglichkeiten.“ (1_2_3 120-128) „Ich könnte mir vorstellen, dass das BKA, wenn sie wirklich Interesse haben, dass NGOs eingebunden sind, zu diesem Thema StakeholderEinbindung sich traut, eine Veranstaltung zu machen und einfach einmal zu erklären, was ist der Prozess, worum geht es, wie könntet ihr eingebunden sein, was sind eigentlich eure Themen? Einfach Offen-

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heit, sozusagen, dass sich die Leute auch eingeladen fühlen. Und nicht ständig das Gefühl haben, sie müssten […] tausend Mal gegen die Tür laufen, bevor sie einen Spalt breit aufgeht. Sondern auch die Tür mal aufmachen und sagen, ok, vielleicht gibt es ja Anknüpfungspunkte. Und vielleicht profitiert ja auch das BKA davon, die NGOs kennen zu lernen und das Wissen, das sie haben, und die Erfahrung, die sie haben.“ (7_319-331)

Teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass der Prozess selbst im Dialog mit den NGOs konzipiert werden sollte, um sich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Zielen auszutauschen und gegenseitige Erwartungen abzuklären, aber auch, um die Ressourcenfrage, die wie erwähnt ein großes Thema ist, zu klären. „Ich glaube, es bedarf wirklich einer transparenten Struktur, wie das gewollt wird. Vielleicht auch von unserer Seite her, wie wir uns das vorstellen könnten oder auch tun könnten, aufgrund dessen, was an Ressourcen oder Nicht-Ressourcen da ist. Das Problem ist sowieso immer, dass die Vernetzungsarbeit, auch auf der Seite der Zivilgesellschaft, das ist eigentlich immer etwas, was Leute zusätzlich machen. Das heißt, niemand wird für Vernetzungsarbeit bezahlt oder praktisch niemand.“ (9_137-142)

Als wichtig genannt werden auch die Vernetzung und das Knüpfen von Kontakten im Rahmen einer solchen Veranstaltung bzw. davor und danach. „Interaktive Atmosphäre“ (7_838-410) sei wichtig. Der Gestaltung des Diskurses wird große Bedeutung für das Gelingen zugeschrieben: „Wie moderiere ich diesen Diskurs, sodass wirklich die Quintessenz rauskommt? Damit es nicht ein allgemeines Gejammere wird für das Ressort. Was die sich immer wieder anhören müssen, die tun mir oft leid. Und auf der anderen Seite [muss der Diskurs] für die NGOs so gestaltet [sein], dass sie wirklich mit ihren Anliegen durchkommen und die Möglichkeit haben, das gut zu deponieren. Auf gleicher Augenhöhe und [mit] Rückmeldung.“ (4_772-793) Mehrere NGO-VertreterInnen können sich einen ressortübergreifenden Austausch im Rahmen einer Veranstaltung gut vorstellen und befürworten diesen. Als Argumente für eine ressortübergreifende Veranstaltung werden genannt: -

Es gebe ohnedies ein starkes Ressortdenken in Österreich.

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Viele Themen der Strategie Europa 2020 würden miteinander zusammenhängen, z.B. Armut mit Wirtschaft und Bildung, aber auch mit Energie.

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Es gebe sehr viele AkteurInnen mit unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungshintergründen und es wäre interessant, bestimmte Themen mit allen zu diskutieren.

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Es gebe Erfahrung aus bisherigen Beteiligungsprozessen, dass es sehr fruchtbar sein kann, sich mit Personen aus anderen Ressorts, anderen Themenfeldern auszutauschen.

Es gibt aber auch die gegenteilige Ansicht: ressortübergreifend vorzugehen sei zu ambitioniert, es wäre besser, im Fach zu bleiben.

4.11 Schlussfolgerungen aus den NGO-Interviews Aus den Ergebnissen der NGO-Interviews lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Eine Identifikation mit den Zielen der Strategie Europa 2020 ist gegeben, die konkrete Umsetzung führt bei den NGOs jedoch zu Enttäuschungen und Frustration. Dabei wird anerkannt, dass Österreich sich im EU-Vergleich relativ stark bemüht, auch was die Einbindung der Zivilgesellschaft betrifft. Die NGOs sind in den untersuchten Ressorts (im BMASK und im Lebensministerium) gut eingebunden, können aber die Verbindung zu Regierungsprogramm, Realpolitik, Strategie Europa 2020 und NRP nicht immer klar erkennen. In diesem Zusammenhang wird von „Parallelprozessen“ gesprochen. Aufgrund der Neuheit der Abläufe im ersten Zyklus des Europäischen Semesters besteht nur ein eingeschränktes Bewusstsein der Aufgaben und Handlungsspielräume der beteiligten Akteure auf Verwaltungsebene im Gesamtrahmen von Europa 2020 (s. Kapitel 1 in diesem Bericht). Eine umfassende Orientierung zu den Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation ist nicht gegeben. Die wichtigsten Anliegen in Bezug auf Beteiligung gehen generell in Richtung Transparenz: transparente Einladungspolitik, transparente Prozesse, Klarheit über Form und Ausmaß der Mitwirkungsmöglichkeiten, transparente Dokumentation im Falle eine Mitwirkung. Beiträge von NGOs sollen sich in der Dokumentation wiederfinden. Weitere Wünsche sind Wertschätzung und Anerkennung der NGOs als ExpertInnen, deren Einbindung sinnvoll ist und einen Mehrwert für den Politikgestaltungsprozess bringt. Diskussionsmöglichkeiten und das Gefühl, mit ihren Anliegen gehört und wahrgenommen zu werden, sind für die NGOs ebenfalls sehr relevant. Für die Gestaltung der Prozesse würden sich die NGOs das Einhalten der Standards zur Öffentlichkeitsbeteiligung erwarten, so auch für den NRP-Prozess. Wenn das gelänge, wäre schon ein großer Schritt gemacht.

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Das BKA wird als steuernde, koordinierende Schnittstelle für das NRP und in der Verantwortung für die Prozessgestaltung gesehen, inhaltliche Arbeitsgruppen dagegen auf Ressortebene. Für die Gestaltung des NRP-Prozesses gibt es zahlreiche Vorstellungen und Vorschläge. Die ideale Veranstaltung in diesem Kontext sollte u.a. in einen transparenten Gesamtprozess eingebettet sein, Auskunft über diesen Prozess geben und Klarheit bezüglich der Mitwirkungsmöglichkeiten schaffen. Sie sollte keine reine Informationsveranstaltung sein, sondern ein größerer, breiter Kick-off mit einer umfassenden Bandbreite an unterschiedlichen AkteurInnen und Stakeholdern. Weiters sollte sie Diskussionsmöglichkeiten, Mitwirkungsund Beeinflussungsmöglichkeiten bieten und Vernetzung bzw. das Knüpfen von Kontakten ermöglichen. Die Veranstaltung sowie der Gesamtprozess sollten von einem ernsthaften Wunsch, NGOs einzubinden, getragen sein und keine „Scheinveranstaltung“ darstellen. Aufgrund der großen Ressourcenproblematik wählen die NGOs jene Veranstaltungen und Prozesse aus, in denen sie das beste Kosten-NutzenVerhältnis vermuten, d.h. Wirksamkeit und Aufwand müssen in einem für sie sinnvollen Verhältnis zueinander stehen. Transparenz im Prozess, auch hinsichtlich der Möglichkeiten und Erwartungen, erleichtert ihre diesbezüglichen Entscheidungen und hilft, Enttäuschungen und Frustration zu vermeiden. Die befragten NGO-VertreterInnen äußerten sich in den Interviews sehr offen über ihre Anliegen und Bedürfnisse und kritisch über jene Punkte, die sie für problematisch und verbesserungswürdig halten. Es gab aber auch Lob und Freude über funktionierende Einbindungsprozesse und Verständnis für politische Rahmenbedingungen und Herausforderungen, vor denen die AkteurInnen auf Seiten der Politik und Verwaltung im Zusammenhang mit Öffentlichkeitsbeteiligung stehen. Unserer Einschätzung nach besteht trotz kritischer Haltung eine kooperative und verständnisvolle Grundstimmung, auf der auch Implementierungen und Verbesserungen von Beteiligungsprozessen aufbauen können.

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Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Strategie Europa 2020 bündelt zahlreiche Politikbereiche unter den fünf Kernzielen von Beschäftigung, F&E, Klimaschutz und Energie, Bildung sowie Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Darüber hinaus sollen nach Möglichkeit bestehende politische Strategien, Instrumente und Rechtsvorschriften der EU auf die Realisierung dieser Ziele hin ausgerichtet werden. Zudem werden mit dem neuen Koordinierungsinstrument des „Europäischen Semesters“ erstmals „Wachstumsstrategie“ (Europa 2020) und fiskalische Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zusammengeführt. Entsprechend der thematischen Breite der Strategie Europa 2020 umfasst auch die nationale Umsetzung in den Mitgliedsstaaten eine Vielzahl von Politikbereichen sowie Verwaltungsebenen, Institutionen und Akteuren. Aufgrund dieser angestrebten breiten Verankerung in der Mehrebenen-Struktur europäischer Governance ergeben sich sowohl für die Umsetzung als auch die strategische Steuerung der Strategie Europa 2020 komplexe Herausforderungen, die im Rahmen des Koordinierungsprozesses des Europäischen Semesters beantwortet werden. Als wesentliche Merkmale dieses Prozesses können festhalten werden: -

Begleitendes Monitoring und Steuerung in einem jährlich wiederkehrenden Zyklus

-

Verantwortung für die nationale Umsetzung verbleibt auf der nationalen Ebene

-

Strategische Begleitung im Dialog von Mitgliedsstaaten und europäischer Ebene (Kommission, Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union)

Abbildung 3 unten stellt diesen Prozess in schematischer Form auf einer Zeitleiste dar. Zentraler Partner gegenüber der EU-Ebene ist in dieser Grafik die Bundesregierung, die jeweils im April eines Jahres ihr Nationales Reformprogramm (NRP) veröffentlicht, auf dessen Basis die Europäische Kommission länderspezifische Empfehlungen erarbeitet, die vom EU-Ministerrat nach Zustimmung des Europäischen Rates angenommen werden.

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Abbildung 3: Nationale Umsetzung Europa 2020

Strategie Europa 2020

EU2020 Ziele AT

Länderspezif. Empfehlungen

Länderspezif . Empfehlungen

Bundesregierung

NRP `11

NRP `12

Städte/Gemeinden Bund

Länder

Z ivilgesellschaft

2010

Policies (Strategien  ‐ Programme  ‐ Maßnahmen) 2011

2012 . . .

2020

Wie in Kapitel 1.6 ausführlich dargestellt, erfüllt das NRP im Rahmen dieses jährlichen wirtschaftspolitischen Koordinierungszyklus die Funktion eines Berichts des Status quo der nationalen Umsetzung gegenüber der europäischen Ebene. Dokumentiert werden entsprechend der gemeinsamen europäischen Vorgaben primär bereits beschlossene oder laufende Maßnahmen in den unterschiedlichen Politikbereichen, womit die Kommission in die Lage versetzt wird, den Stand und Umfang der Reformen zu beurteilen. Die Konsequenzen dieser Rahmenbedingungen des Europäischen Semesters für Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlicher Beteiligung wurden in Kapitel 2 im europäischen Vergleich untersucht. Ausgegangen wurde dabei von geltenden europäischen sowie österreichischen Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung. Als zentrale Voraussetzung für qualitätsvolle Beteiligung wurde der bestehende Gestaltungsspielraum hervorgehoben, d.h. proaktive Beteiligung an einer frühzeitigen Stelle im „policy cycle“, an der eine breite Konsultation von Stakeholdern die Entscheidungsfindung tatsächlich informieren und verbessern kann.95 Bezüglich der Nationalen Reformprogramme wurde als zentrales Ergebnis festgehalten, dass deren klar umgrenzter Funktion im Europäischen Semester 95

In Dänemark wurde der unter der Lissabon Strategie institutionalisierte Weg fortgeschrieben, mit dem Civil Society Contact Committee einen breit besetzten Ausschuss einzurichten, der themenübergreifend die nationale Umsetzung von Europa 2020 begleitet.

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dieser Voraussetzung nicht entspricht und daher eine unmittelbare Beteiligung von NGOs nicht zielführend ist und den Erwartungen von NGOs an Partizipation (s. Kapitel 4 in diesem Bericht) nicht gerecht werden könnte. Zudem gilt für das NRP, dass die Schwerpunkte der Arbeit eines großen Teils der österreichischen NGOs (in den Bereichen Umwelt und Soziales) sich nicht mit jenen Schwerpunkten decken, die auf der europäischen Ebene als zentrale im Rahmen von Europa 2020 zu überwindende Wachstumshemmnisse identifiziert wurden96 – und auf die sowohl NRPs als auch länderspezifische Empfehlungen fokussieren sollen. Die in Abbildung 3 dargestellt Breite der Strategie Europa 2020 – horizontal über mehrere Ressorts bzw. Politikbereiche sowie vertikal über die Verwaltungsebenen inklusive weiterer Akteure – impliziert weiters, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen des österreichischen politischen Systems (Föderalismus, Ressortprinzip) eine hierarchische top-down Steuerung der nationalen Umsetzung nicht möglich ist. Die Gesamtsteuerung der Strategie erfolgt daher in Österreich im Dialog der verantwortlichen Stellen inklusive der europäischen Ebene. NGOs sind in diese strategische Governance nicht einbezogen, sondern sie werden als sektorale, fachspezifische Öffentlichkeiten im Rahmen von Beteiligungs- und Konsultationsprozessen auf Ressortebene eingebunden. Diese derzeit geltenden, generellen Rahmenbedingungen für Beteilig sollten im Sinne einer transparenten Kommunikation und als Orientierung für NGOs klar kommuniziert werden.

Einbindung auf Umsetzungsebene Auf der Umsetzungsebene umfasst die Strategie Europa 2020 in Österreich zahlreiche Maßnahmen, Programme und Strategien, wie sie unter Verantwortung der zuständigen Ressorts sowie auf den unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung entwickelt und implementiert sowie im NRP nachträglich dokumentiert werden. Welche vielfältigen Formen der Beteiligung auf dieser Ebene der konkreten Politikentwicklung und -gestaltung bestehen, wurde in diesem Bericht am Beispiel der Beteiligungsprozesse im BMASK, dem BMLFUW sowie in der Kohäsions- und Regionalpolitik untersucht. Zusammenfassend kann aufgrund dieser Untersuchung festgehalten werden, dass in Österreich in den untersuchten Bereichen die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Nichtregierungsorganisationen an der Umsetzung der Strategie 96

Das ist die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei gleichzeitiger Förderung von Wachstum, die Stärkung des Finanzsektors und der Binnennachfrage, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung sowie die Ausrichtung der Bildungssysteme auf die Verbesserung des Humankapitals und Stärkung der Innovationskapazitäten (vgl. Kapitel 1.6).

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Europa 2020 dauerhaft institutionalisiert und etabliert ist.97 Die Effektivität dieser Beteiligung im Hinblick auf die Zielerreichung oder auf normative Kriterien wurde im Rahmen der vorliegenden Studie nicht systematisch evaluiert. Zudem sind die Ergebnisse und Befunde aufgrund des qualitativen Forschungsdesigns ausschließlich auf die untersuchten Politikbereiche und Institutionen beschränkt.

5.1 Einbindung der Zivilgesellschaft in den Ressorts Aufgrund der Analyse der Beteiligungsmöglichkeiten in der Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMASK sowie im BMLFUW lassen sich folgende grundsätzliche Formen von Beteiligung unterscheiden: 1. Einbindung im Rahmen der Gesetzesbegutachtung; 2. Formen der Information, Konsultationen und kooperativen Entscheidungsfindung bei der Entwicklung spezifischer Maßnahmen und Strategien; 3. Institutionalisierte Gremien unter Beteiligung der Zivilgesellschaft; 4. Themenspezifische Stakeholder-Dialoge unabhängig von der Entwicklung konkreter Maßnahmen und Politiken.

Abbildung 4: Einbindung von NGOs auf Ressortebene

Gesetzesbegutachung

Beteiligung in der Maßnahmenentwicklung

Institutionalisierte Beteiligung in Gremien

Thematische StakeholderDialoge

97

Das Bewusstsein der im Rahmen dieser Studie befragten AkteurInnen, dass sie über diese Beteiligung auf der Ebene der konkreten Politikentwicklung und -gestaltung mittelbar Teil der nationalen Umsetzung der Strategie Europa 2020 sind, war im ersten Zyklus des Europäischen Semesters (2011) nicht ausreichend verankert.

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Einbindung von Nichtregierungsorganisationen in die Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMLFUW Unter die Verantwortung des Lebensministeriums fallen zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung des Kernziels „Klimaschutz und Energie“ der Strategie Europa 2020 wie beispielsweise: -

Ökostromgesetz

-

Klimaschutzgesetz

-

Strategie zur Anpassung an den Klimawandel

-

Energiestrategie Österreich

-

Nachhaltigkeitsstrategie (NSTRAT)

-

Ressourceneffizienz Aktionsplan

Die Formen der Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen werden in diesen Bereichen jeweils maßnahmenspezifisch ausgestaltet. 98 Generelle Regel ist die Einbeziehung in die Gesetzesbegutachtung. 99 Darüber hinaus werden für einzelne Prozesse (z.B. Entwicklung der Energiestrategie Österreich100) Beteiligungsprozesse mit eigener Präsenz im Internet aufgesetzt. Als dauerhafte, institutionalisierte Formen der Akteursbeteiligung bzw. Information sind darüber hinaus zu nennen: -

Klimaschutzbeirat (2011 eingerichtet)

-

Informationsveranstaltungen (jour fix) für NGOs im Umfeld der EUUmweltministerräte

Schließlich fördert das Lebensministerium weitere Dialogforen, in deren Rahmen Stakeholder themenspezifisch einen strategischen Dialog führen und sich vernetzen, z.B.: -

Österreichischer Walddialog (www.walddialog.at)

-

Initiative „Wachstum im Wandel“ (www.wachstumimwandel.at)

98

Vgl. Lebensministerium (2011): Praxisdokumentation Beteiligungsprozesse des Lebensministeriums, Wien. S. online unter http://www.lebensministerium.at/ministerium/begutachtungsverfahren.html. 100 Vgl. http://www.energiestrategie.at/prozess. 99

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Einbindung von Nichtregierungsorganisationen in die Umsetzung der Strategie Europa 2020 im BMASK Als für Nichtregierungsorganisationen zentraler Themenbereich wurden in der vorliegenden Studie die im BMASK angesiedelten Beteiligungsmöglichkeiten unter dem Kernziel soziale Eingliederung untersucht, worunter in den Nationalen Reformprogrammen 2011 und 2012 unter anderem Maßnahmen und Strategien in folgenden Politikbereichen dokumentiert wurden: -

Zielgruppenspezifische Strategien und Maßnahmen (für Ältere, Frauen, Arbeitslose, Kinder, Menschen mit Behinderung

-

Leistbares Wohnen

-

Arbeitsmarktintegration

-

Bedarfsorientierte Mindestsicherung

-

Gesundheitsprävention

Wie im Lebensministerium ist auch im BMASK die Einbeziehung von NGOs im Rahmen der Gesetzesbegutachtung die Regel. 101 Zusätzlich wurden und werden für einzelne Maßnahmen spezifische Beteiligungsprozesse aufgesetzt, etwa für die Entwicklung des NAP Behinderung. Ebenfalls Standard ist die Einbindung von Stakeholdern in die Entwicklung von Strategien im Bereich der OMK Sozialschutz und soziale Eingliederung (Nationale Aktionspläne, Berichte …) sowie im Rahmen der Europäischen Schwerpunktjahre (z.B. „Europäisches Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen 2012“ (s. http://www.aktivaltern2012.at). Eine Besonderheit und von den im Rahmen dieser Studie befragten Beteiligten durchwegs positiv bewertete Einrichtung stellt schließlich die „Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ dar. Im Rahmen dieser institutionalisierten Plattform treffen mindestens zweimal jährlich Stakeholder u.a. aus Verwaltung, Ländern, Sozialpartnern sowie NGOs zusammen und können Unterarbeitsgruppen zu spezifischen Themen eingerichtet werden. Die Plattform erfüllt dadurch eine Funktion der Vernetzung und des Informationsaustauschs. Darüber hinaus werden aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene sowie richtungsweisende Themen des BMASK vorgestellt und diskutiert.

101

S. http://www.bmask.gv.at/site/Das_Ministerium/Begutachtungsentwuerfe/.

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5.2 Einbindung in der Kohäsions- und Regionalpolitik Im Sinne eines übergreifenden strategischen Daches soll die Strategie Europa 2020 auf alle EU-Politikfelder ausstrahlen bzw. durch diese implementiert werden, darunter auch die Kohäsions- und Regionalpolitik, die aufgrund der neuen Strukturfondsverordnung102 neu organisiert und explizit auf die Kernziele der Strategie Europa 2020 ausgerichtet wird. Die österreichische Politik im Bereich Strukturfonds und ländliche Entwicklung ist daher ebenfalls als Element der nationalen Umsetzung von Europa 2020 zu verstehen. Die in diesem Bereich etablierten Möglichkeiten der Akteursbeteiligung werden in Abbildung 5 unten schematisch zusammengefasst.

Abbildung 5: Beteiligungsmöglichkeiten im Bereich Strukturfonds und ländliche Entwicklung

Europa 2020 GSR EU2020 Z iele A T

Dac hprozess

PV

Um set zung

*2

*1 G SR‐ Fonds

2012

12/ 2013

Ländl.  Entwicklung

2014 - 2020

* 1 Fore n, Stell ungn ahmen , Fo kusgru ppen * 2 Be glei ta usschüsse ESF, ELER / lä ndl iche Entwick lung , EFR E

Beteiligung findet demnach einerseits vor der neuen Strukturfonds-Periode 2014-2020 statt, andererseits begleitend zu deren Implementierung. Der im Sommer 2012 gestartete Beteiligungsprozess zur Erarbeitung der für die neue Strukturfonds-Periode grundlegenden Partnerschaftsvereinbarung (PV) mit der Europäischen Kommission kann dabei beispielgebend als „good practice“ genannt werden (vgl. www.stratat2020.at): Wie die Verortung auf der Zeitachse zeigt, erfüllt dieser Prozess in vorbildlicher Form die Voraussetzung einer frühzeitigen, proaktiven 102

Vgl. Europäische Kommission (2012a, b).

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Akteursbeteiligung: Bereits eineinhalb Jahre vor der Finalisierung der Partnerschaftsvereinbarung setzte der Beteiligungsprozess ein, der darauf ausgerichtet ist, breit die Perspektiven der unterschiedlichen Stakeholder zu erfassen: -

STRAT.AT 2020-Foren sind offen für alle an der Kohäsionspolitik und der Politik für den ländlichen Raum interessierten AkteurInnen und dienen der Information über Zwischenergebnisse, dem Feedback sowie der Vertiefung des Austauschs zwischen den AkteurInnen aller beteiligten Programmwelten.

-

Zwei Stellungnahmeverfahren zum „ExpertInnenpapier“ ab Mitte Juli 2012 sowie zum „Rohbericht“ ab Frühjahr 2013 ermöglichen eine breite Beteiligung auch zu den konkreten Texten auf dem Weg zur PV;

-

Mit dem Format der Fokusgruppen ist eine aktive und flexible Beteiligungsmöglichkeit für eine inhaltliche Mitarbeit u.a. auch für NGOs gegeben;

-

Bezüglich der Programmierung der Fonds für die Periode 2014-2020 ist eine Einbindung der Zivilgesellschaft vorgesehen und erfolgt im ESF, ELER, EFRE und EMFF jeweils fondsspezifisch unter Verantwortung der programmierenden Stellen des Bundes und der Länder.

Während der neuen Strukturfonds-Periode (2014-2020) sollen dann wie bereits in der vorangegangenen Periode institutionalisierte Gremien unter breiter Beteiligung von Stakeholdern die laufende Implementierung begleiten (Begleitausschüsse sowie themenspezifische Arbeitsgruppen).

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5.3 Fazit Der Start des ersten Europäischen Semesters im Jahr 2011 brachte gegenüber den im Rahmen der Lissabon Strategie etablierten Verfahren weit gehende Veränderungen und insbesondere einen erhöhten vertikalen und horizontalen Koordinationsbedarf mit sich. Die im Zuge der vorliegenden Studie im März 2012 mit Vertreterinnen und Vertretern österreichischer Nichtregierungsorganisationen geführten Interviews zeigen generell ein hohes Bewusstsein der Strategie Europa 2020, die als Referenzpunkt auch für die eigene Arbeit betrachtet wird. Bezüglich der Beteiligung von NGOs in der nationalen Umsetzung von Europa 2020 herrschen hingegen teils Unklarheiten über den Gesamtprozess und die gegebenen Möglichkeiten und Grenzen. Die vorliegende Untersuchung hat diesbezüglich gezeigt, dass eine Einbindung von NGOs in die Erarbeitung des Nationalen Reformprogramms aufgrund von dessen Funktion als Bericht über bereits laufende oder beschlossene Maßnahmen nicht zielführend ist. Entsprechend den „Österreichischen Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“ werden Entwicklungsmöglichkeiten aufgrund dieser Prozessbeschaffenheit allenfalls auf der ersten Intensitätsstufe von Beteiligung gesehen: Die Beteiligten erhalten Informationen über die Planung oder Entscheidung. Sie haben jedoch keinen Einfluss darauf. Die Kommunikation verläuft nur in eine Richtung, nämlich von den Planungs- oder Entscheidungsträgerinnen zur Öffentlichkeit. Die Studie zeigt aber auf, welche Angebote der Einbindung in die Umsetzung der Strategie Europa 2020 auf Ressortebene (im BMASK und BMLFUW) sowie in der Kohäsions- und Regionalpolitik vorhanden sind. Zusammenfassend kann diesbezüglich festgestellt werden, dass in den untersuchten Bereichen eine Vielfalt von Beteiligungspraktiken etabliert und institutionalisiert ist, darunter im Rahmen der Gesetzesbegutachtung, in Beteiligungsprozessen zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen und Strategien; im Rahmen institutionalisierter Gremien sowie mittels themenspezifischer Stakeholder-Dialoge. Viele dieser Beteiligungsprozesse entsprechen der zweiten Intensitätsstufe – also der konsultativen Öffentlichkeitsbeteiligung – bzw. enthalten Elemente der der dritten Intensitätsstufe – der kooperativen Öffentlichkeitsbeteiligung. Diese Beteiligungsmöglichkeiten decken eine weite Bandbreite der unter die Kernziele Klimaschutz und Energie sowie soziale Eingliederung fallenden Politiken ab, und eine Reihe von Beispielen guter Praxis in diesen Bereichen liegt vor. In diesem Zusammenhang kann beispielgebend die im BMASK verankerte „Österreichische Plattform zur Begleitung der Umsetzung des Zieles zur

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Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ genannt werden, oder der im Sommer 2012 gestartete Beteiligungsprozess zur Erarbeitung der für die neue Strukturfonds-Periode grundlegenden Partnerschaftsvereinbarungen mit der Europäischen Kommission. Sie sind, ebenso wie der Stakeholder-Dialog „Wachstum im Wandel“, positive Beispiele, wie Stakeholder-Beziehungen zwischen Verwaltung und NGOs für beide Seiten ressourcenschonend und gewinnbringend ausgestaltet werden können. Auf der anderen Seite wurde festgestellt, dass bezüglich der Sichtbarkeit der bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten aktuell eine hohe Fragmentierung der öffentlichen (Online-) Dokumentation besteht. Ähnlich wie in anderen kleineren EU-Mitgliedsstaaten gilt auch für Österreich eine vergleichsweise geringe Standardisierung und Formalisierung von Beteiligungsprozessen. Während dies für die beteiligten Akteure und Institutionen ressourcensparend und vereinfachend sein kann, folgt daraus auf der anderen Seite, dass für Nichtregierungsorganisationen oder die interessierte Öffentlichkeit derzeit keine Möglichkeit besteht, sich an einer zentralen Adresse über Beteiligungsmöglichkeiten und deren Ergebnisse zu informieren bzw. einen Überblick zu verschaffen.

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Abkürzungsverzeichnis BKA – Bundeskanzleramt Österreich bm:ukk – Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur BMASK – Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz BMF – Bundesministerium für Finanzen BMG – Bundesministerium für Gesundheit EAPN – European Anti Poverty Network EEB – European Environmental Bureau EFRE – Europäischer Fonds für regionale Entwicklung ELER – Europäischer Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raumes EMFF – Europäischer Meeres- und Fischereifonds ENSIE – European Network of Social Integration Enterprises ESF – Europäischer Sozialfonds KMU – Kleine und mittlere Unternehmen NAP – Nationaler Aktionsplan NGO – Non Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) NRP – Nationales Reformprogramm im Rahmen der Strategie Europa 2020 OMK – Offene Methode der Koordinierung PV –

Nationale Partnerschaftsvereinbarung mit der Europäischen Kommission für die Programmperiode 2014-2020 der Kohäsions- und Regionalpolitik

RIO+20 – 20. „Weltgipfel“ zur Nachhaltigkeit, 20.06. - 22.06.2012 in Rio de Janeiro STRAT.AT – Nationaler Strategischer Rahmenplan für die Regionalpolitik und ländliche Entwicklung SWP – Stabilitäts- und Wachstumspakt TEPs – Territoriale Beschäftigungspakte (d.h. regionale Partnerschaften zur Koordinierung der verschiedenen Partnerorganisationen und -inhalte in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik)

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Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Tabelle 1: Governance der Europa 2020 Strategie Tabelle 2: Das Europäische Semester Tabelle 3: Instrumente auf EU- und nationaler Ebene Tabelle 4: Volumen des Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 Tabelle 5: Europa 2020 Kernziele: EU und Österreich Tabelle 6: Mitglieder des Contact Committee Tabelle 7: Treffen des Contact Committee bis April 2011 Abbildung 1: Einbindung von NGOs auf Ressortebene Abbildung 2: Das NRP im Policy Cycle Abbildung 3: Nationale Umsetzung Europa 2020 Abbildung 4: Einbindung von NGOs auf Ressortebene Abbildung 5: Beteiligungsmöglichkeiten im Bereich Strukturfonds und ländliche Entwicklung

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23 26 27 29 32 43 44 11 47 96 98 101

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Sekundärliteratur

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