Burnout eine Herausforderung im Coaching

Organisationsberat Superv Coach (2011) 18:333–341 DOI 10.1007/s11613-011-0237-x P r a x isbe r ichte Burnout – eine Herausforderung im Coaching Elisa...
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Organisationsberat Superv Coach (2011) 18:333–341 DOI 10.1007/s11613-011-0237-x P r a x isbe r ichte

Burnout – eine Herausforderung im Coaching Elisabeth Behrends-Krahnen

Zusammenfassung:  Der vorliegende Aufsatz thematisiert die Schnittstelle von Coaching und Psychotherapie. Ausgehend von der Ähnlichkeit der Symptomatik bei leichteren Burnout-Erfahrungen und schweren depressiven Episoden wird auf die grundsätzlich unterschiedlichen therapeutischen Notwendigkeiten eingegangen. Anhand zweier Beispiele aus der psychotherapeutischen Praxis wird die Schwierigkeit einer frühzeitigen diagnostischen Differenzierung deutlich. Eine fehlerhafte Einordnung einer Depression als ein leichterer Fall von Burnout kann tatsächlich die psychische Gesundheit des Klienten/Patienten zum Negativen verändern. Der Vergleich mündet in Folgerungen für die Coachingpraxis. Dabei wird insbesondere für eine regelmäßige und engere Zusammenarbeit von Beratern mit Coaching und mit psychotherapeutischem Hintergrund geworben. Schlüsselwörter:  Burnout · Depression · Coaching · Psychotherapie

Burnout—a challenge in coaching Abstract:  This paper studies the challenges for coaches working on burnout syndromes, located at the interface to severe depressions. There is an apparent similarity of symptoms between relatively light burnout events and rather profound depression episodes. Not surprisingly, the required therapeutic activities differ considerably; an incorrect diagnosis may impair the patient health considerably. I use two case studies to show how difficult it is to distinguish between burnout and depression symptoms early on. The paper concludes by encouraging coaches to cooperate more closely with psychotherapists in an attempt to improve the quality of service. Keywords:  Burnout · Depression · Coaching · Psychotherapy

Online publiziert: 23.08.2011  © VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011 Dr. med. E. Behrends-Krahnen () Am Oberberg 4, 61476 Kronberg, Deutschland E-Mail: [email protected]

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1  Einleitung Unsere Arbeitswelten sind heute in wachsendem Maße durch einen immensen Leistungsdruck geprägt. Immer mehr Stellen werden gestrichen oder nicht wieder besetzt, und die anfallenden Arbeiten werden auf die verbleibenden Arbeitskräfte verteilt, um Einsparungen zu erzielen. Ängste, den Job zu verlieren, lassen zunehmend die Selbstfürsorge in den Hintergrund treten, und gesunde Abgrenzungsmöglichkeiten fallen dahinter zurück. Ständige Überflutung mit Emails und Mobilkontakten erhöhen den alltäglich zu bewältigenden Stress. Zunehmender Leistungsdruck, wenig Anerkennung sowie ungenügender Freizeitausgleich und Erholung führen gehäuft in eine Burnout-Symptomatik. Diese wird als ein Zustand fortgeschrittener Erschöpfung mit verminderter Leistungsfähigkeit charakterisiert. Der Begriff „Burnout“ wurde 1974 von dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger eingeführt. Helfende Berufe (Ärzte, Heilpraktiker, Rettungspersonal, Lehrer, Sozialarbeiter, Erzieher) fielen ihm durch besonders häufige Krankschreibungen, Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung auf. Ursache war seiner Meinung nach eine besonders hohe Belastung gepaart mit einem übermäßigen persönlichen Engagement. Beides würde zum „Ausbrennen“ führen. Charakteristische Symptome und Merkmale sind ein geistiger, körperlicher und seelischer Erschöpfungszustand, anhaltende physische und psychische Leistungs- und Antriebsschwäche sowie der Verlust der Fähigkeit, sich zu erholen. Im Folgenden wird auf der Grundlage der Literatur die Symptomatik von Burnout und von Depression verglichen. Sodann werden anhand zweier Beispiele aus der psychotherapeutischen Praxis die Schwierigkeiten einer Abgrenzung beider Symptombilder zu illustriert. Abschließend werden Folgerungen für die Coaching-Praxis. 2  Symptomatik von Burnout und Depression 2.1  Burnout Die Burnout-Symptomatik und ihr Verlauf werden in Tab. 1 in Stichworten charakterisiert: Zur Erläuterung der Tabelle lässt sich festhalten: Ein Burnout beginnt meistens schleichend und entwickelt sich oft über einen Zeitraum von Jahren. Zu Beginn stehen häufig ein Überengagement, Freude am Erfolg, pausenloses Arbeiten und das Gefühl der Unentbehrlichkeit. Freizeit und Familie werden mehr und mehr zurückgestellt, um sich ganz und gar der Arbeit und anderen Anforderungen zu widmen. Ängste, den Job zu verlieren, können dabei eine große Rolle spielen. Körperliche Erschöpfungssymptome werden zunächst noch erfolgreich verdrängt. Um die ständige Anspannung herunterzufahren, erfolgen oftmals abends vermehrter Alkoholgenuss, Tabak, PC-Aktivität oder/und Essen als Ausgleich. Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche schließen sich an. Eine emotionale Erschöpfung kommt hinzu. Sie ist das Leitsymptom einer Burnout-Erkrankung. Reduziertes Engagement mit Verlust von positiven Gefühlen macht sich zunehmend breit. Es treten Stimmungsschwankungen, vermindertes Selbstwertgefühl, Gereiztheit, Misstrauen und Ungeduld auf. Das Gefühl, sich distanzieren zu wollen, wird stärker. Oft

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Tab. 1:  Burnout-Symptome (Burisch 2005, S. 25 f.) Warnsymptome zu Anfang:

• Vermehrtes Engagement • Pausenloses Arbeiten • Verzicht auf Erholung und Entspannungsphasen • Gefühl von Unentbehrlichkeit • Beruf wird zum hauptsächlichen Lebensinhalt • Hyperaktivität • Erschöpfung • Chronische Müdigkeit • Abnahme sozialer Kontakte (Familie, Freunde) • Ablenkung und Entspannung mit Alkohol, Tabak, PC-Aktivität und Essen • Konzentrationsschwäche • Schlafstörung

Nach einiger Zeit

• Reduziertes Engagement • Verlust von positiven Gefühlen gegenüber Kollegen und Mitarbeitern • Stereotypisierung • Distanzbedürfnis • Aggressives Verhalten mit Schuldzuweisungen • Negative Einstellung und Vernachlässigung der Arbeit • Verstärkter Rückzug von Familie und Freunden • Klient stellt verstärkt Anforderungen an sein Umfeld • Abbau des Engagements

Durch anhaltende Probleme zeigen sich folgende Symptome:

• Desorganisation • Sicherheits- und Entscheidungsprobleme • Kognitive Leistungsfähigkeit nimmt ab • Kreativität und Motivation nehmen ab • Private Vereinsamung • Verflachung, Gleichgültigkeit, Desinteresse, Vermeidung von Kontakten • Existenzielle Verzweiflung

Endstadium des Burnout

• Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit • Niedergeschlagenheit bis zur Depression mit Sinnlosigkeit bis zum Suizid

kommt es bei wachsendem Druck zu aggressiven Ausbrüchen mit Schuldzuweisungen sich und anderen gegenüber. Eine negative Einstellung sowie Vernachlässigung machen sich mehr und mehr breit. Es folgt bei zunehmendem Burnout ein verstärkter Rückzug von Familie und Freunden nach innen. Oft werden verstärkte Anforderungen an das Umfeld gestellt aus Verzweiflung der Überforderung am Arbeitsplatz. Durch anhaltende Probleme zeigt sich ein Abbau des Engagements mit folgenden Symptomen: Es kommt zur Desorganisation mit einem Verlust des Überblicks und einer Strukturlosigkeit. Dieses führt zu vermehrter Unsicherheit und zu Entscheidungspro-  blemen. Die kognitive Leistungsfähigkeit nimmt ab, d. h. Konzentration und Aufmerksamkeit lassen merklich nach. Freude und Kreativität gehen verloren. Daraus folgt eine zunehmende Vereinsamung. Die nächste Stufe mit einer Verflachung der Denkfähigkeit führt zur Gleichgültigkeit und Vermeidung von Kontakten und endet in der Verzweiflung,

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der „Endstufe des Burnout“ mit Hoffnungslosigkeit, dem Gefühl von Sinnlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Depression bis hin zu Suizidgedanken und möglichem Suizid. 2.2  Depression In der unten stehenden Tab. 2 werden häufige Symptome einer depressiven Erkrankung zusammengestellt. Im Zentrum einer depressiven Erkrankung stehen die Symptome der „depressiven Verstimmung und gravierender Interessenverlust sowie Freudlosigkeit“. Nach dem ICD 10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) ist für die Diagnosestellung einer depressiven Episode das Bestehen von mindestens zwei oder drei Hauptsymptomen wie depressive Verstimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie erhöhte Ermüdbarkeit erforderlich. Daneben müssen bei leichteren Depressionen zwei, bei mittelgradigen drei, bei schweren Depressionen mindestens vier weitere, der in der Tabelle aufgeführten depressionstypischen Beschwerden vorhanden sein. Die Diagnose setzt voraus, dass die Symptome mindestens zwei Wochen bestehen. 1. Depressive Stimmung: In der Praxis zeigen sich sehr unterschiedliche Ausprägungen. Manche Patienten sprechen von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung. Andere betonen mehr das Gefühl der Gefühllosigkeit (sich emotional tot fühlen), d. h. die Unfähigkeit, auf Freude sowie auf bedrückende Erlebnisse zu reagieren. 70 bis 80 % der Patienten berichten über meistens ungerichtete Angstgefühle als Ausdruck von Unsicherheit und Zukunftsangst. Mehr als die Hälfte der Depressiven erleben Tagesschwankungen. Meistens geht es dem Patienten morgens besonders schlecht, und abends fühlen sich oft auch schwerst Depressive als weitgehend normal. Über 10 % der Patienten erleben ihre körperlichen Beschwerden so sehr im Vordergrund, dass sie diese, nicht aber ihre depressive Stimmung als Beschwerde schildern. Man nennt dies eine maskierte oder lavierte Depression. Verlust von Freude und InteTab. 2:  Depression nach den Kriterien des ICD 10 Die Patienten leiden seit mindestens zwei Wochen unter mindestens zwei der folgenden drei Hauptsymptome: • Depressive Verstimmung • Verlust von Interesse oder Freude • Erhöhte Ermüdbarkeit Sowie bei leichten depressiven Episoden unter mindestens zwei, bei mittelgradigen drei und bei schweren Depressionen mindestens vier weiteren in der Tabelle aufgeführten depressionstypischen Beschwerden: • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen • Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depressiven Episoden) • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven • Suizidgedanken oder erfolgte Selbstverletzungen oder Suizidhandlungen • Schlafstörungen • Verminderter Appetit

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resse wird häufig als Anhedonie bezeichnet und ist dem Außenstehenden meistens rasch erkennbar. Die Symptomatik bezieht sich zumeist auf die Führung des Haushalts, Körperpflege und berufliche Tätigkeit. Hobbys und Freizeitaktivitäten werden nicht mehr als freudvoll erlebt. Der soziale Rückzug von depressiven Patienten wird von der Umwelt häufig als Desinteresse oder Ablehnung fehlgedeutet. 2. Energielosigkeit und Ermüdbarkeit: Diese Symptome stehen im Zusammenhang mit der Antriebslosigkeit. Die Patienten erleben sich als kaum belastbar. Alltagsaktivitäten wie Anziehen und Waschen sind erschöpfend und kaum zu bewältigen. Oft erfolgt ein Rückzug ins Bett, ohne dort Ruhe oder Schlaf zu finden. Gehäuft treten darüber hinaus massive Schlafstörungen auf. 3. Schlafstörungen: Störungen des Schlafs sind das häufigste Symptom bei Depressionen mit Einschlaf- und Durchschlafstörungen oder frühmorgendlichem Erwachen. 10 % der Patienten klagen über Hypersomnie, ca. 70 % der Patienten über Appetitmangel; sie können das Essen nicht mehr genießen und erleben die Nahrung als geschmacksarm. Dieses führt häufig zu einem deutlichen Gewichtsverlust. 4. Eingeschränktes Konzentrations- und Denkvermögen: Die Patienten haben oft das Gefühl, an Alzheimer zu leiden. Dies kommt durch die starke Denkhemmung zustande. Sie sind meistens nicht in der Lage, Zeitung zu lesen oder Fernsehsendungen zu folgen aufgrund starker Grübelneigung und Konzentrationsstörungen. Schwierigkeiten zeigen sich schon am frühen Morgen bei der Kleiderwahl, die oft zu einer stundenlangen verzweifelten Prozedur werden kann. Jeder Akt der Entscheidung kann zu unlösbaren, den Patienten viele Stunden des Tages beschäftigenden Problemen werden. 5. Gefühl der Wertlosigkeit und Schuld: Auch Patienten mit an sich stabilem Selbstwertgefühl leiden in depressiven Episoden unter massivem Selbstwertmangel. Die fehlende Überzeugung, die vielfältigen Aufgaben des Lebens jetzt und vor allem in der Zukunft bewältigen zu können, führt zu Ängsten, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Die Patienten neigen aus diesen Selbstwertzweifeln heraus oft zu überstürzten Entlastungsversuchen, wie Kündigung eines Arbeitsplatzes, Auflösung der Ehe usw. Auch lange vergessen geglaubte Unkorrektheiten, wie z. B. eheliche Untreue, ein Schwangerschaftsabbruch oder ein nicht gehaltenes Versprechen, können in der Depression zu einem erdrückenden Schuldgefühl führen. Bei einem Teil der Patienten können sich diese Störungen der Realitätswahrnehmung zu einem unkorrigierbaren Wahn steigern. Man spricht dann von einer psychotischen Ausgestaltung der Depression. Diese ist mit einer erhöhten Suizidrate behaftet. 6. Suizidalität: Die Mehrzahl aller depressiven Patienten beschäftigt sich mit dem Gedanken, „es sei besser, tot zu sein“, als diesen Zustand weiter ertragen zu müssen. Nicht selten bereiten diese Patienten ihren Suizid vor, d. h. sie besorgen sich einen Strick, Medikamente oder eine Pistole, falls sie die Depression nicht länger ertragen können, um ihrem Leben und dem Leiden rasch ein Ende setzen zu können. Aus dem Gefühl der Schuld- und Hoffnungslosigkeit heraus ist es möglich, dass Depressive den Realitätsbezug verlieren und nicht mehr die Verantwortung für ihre gegenwärtige Lebenssituation tragen können. In der Regel erleben solche Patienten ihre Suizidideen als schuldhaft und verschweigen sie vor Angehörigen und Freunden. In solchen Fällen ist eventuell eine gesetzliche Unterbringung wegen Fremd- oder Selbstgefährdung indiziert.

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2.3  Vergleich Im Vergleich der beiden Tabellen Burnout vs. Depression zeigt sich: Je ausgeprägter eine Burnout-Symptomatik ist, desto höher ist die Korrelation mit einer depressiven Sym-  ptomatik. Diese überschneiden sich bei zunehmender Schwere der Symptome. Eine sichere Abgrenzung lässt sich somit nicht herstellen. 3  Zwei Fallbeispiele Die folgenden zwei Beispiele sind verfremdete Fälle auf der Grundlage eigener therapeutischer Erfahrungen. Sie sollen die besonderen fachlichen und menschlichen Herausforderung an der Grenzlinie von Burnout und Depression verdeutlichen. 3.1  Frau O. Eine 38-jährige junge Frau, die in einem mittelständischen Unternehmen seit vielen Jahren tätig ist, kommt mit chronischer seelischer und körperlicher Erschöpfung, Antriebsmangel und Schlaflosigkeit, einhergehend mit ständigen Rückenschmerzen, zur stationären Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik. Sie berichtet über zunehmende Konflikte am Arbeitsplatz, die sich zwischen ihrem Chef und dem Vorstand des Unternehmens entwickelt hätten, die sie mehr und mehr zermürben. Aufgrund von Einsparungen habe man die Stelle der zweiten Assistentin gestrichen und sie mit den zusätzlichen Arbeiten betraut, sodass sie in der Regel erst gegen 20.00 Uhr nach Hause kam und sich dann nicht mehr aufraffen konnte, noch etwas zu unternehmen. Meistens habe sie sich auf die Couch zurückgezogen, Fernsehen geschaut und vermehrt Süßes gegessen. Sie habe an Gewicht zugenommen und sich nur noch selten mit Freunden getroffen. Auch die Wochenenden hätten wenig Erholung gebracht. Die Firma sei so etwas wie eine Ersatzfamilie geworden. Hier fühlte sie sich bisher geschätzt und gebraucht. Die immense Zunahme an Überstunden und der vermehrte Leistungsdruck führte zu einer chronischen Erschöpfung und zu Antriebslosigkeit. Erst als ausgeprägte Rückenschmerzen hinzukamen, suchte sie einen Arzt auf, der sie zunächst für 14 Tage krankschrieb. Von Seiten der Firma bot man ihr ein Coaching an. Dieses empfand Frau O. als deutliche Wertschätzung, welches andererseits jedoch den Druck erhöhte, rasch wieder leistungsfähig zu sein. Der eigentliche Konflikt zwischen dem Vorstand und ihrem Chef wurde nicht thematisiert. Frau O. bemühte sich in den folgenden Wochen und Monaten auf Anraten des Coachs, mehr Sport zu treiben, gesünder zu essen und deutlichere Grenzen für die Arbeitszeit zu ziehen, welches ihr nur ansatzweise gelang. Sie entwickelte zunehmende Ängste, den Arbeitsplatz zu verlieren. Auf Anraten des Coachs wurde zu ihrer Entlastung eine zusätzliche Kraft eingestellt. Diese – jung, gut aussehend und durchaus qualifiziert – löste bei Frau O. den Verdacht aus, sie solle ersetzt werden. Sie entwickelte generalisierte Ängste, fühlte sich minderwertig und zeigte sich den Mitarbeitern gegenüber zunehmend aggressiv. Trotz der zunächst entlastenden Coachinggespräche geriet Frau O. immer mehr aus dem Gleichgewicht. Sie blieb bis spät abends im Unternehmen, um zu zeigen, wie verantwortungsvoll sie sei, beklagte sich vermehrt über

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Mitarbeiter mit direkten Vorwürfen, sodass sich das Arbeitsklima auch hier verschlechterte. Im Coaching wurde ihr geraten, sich medizinische Hilfe bei einem Psychiater zu holen. Dieser hielt eine „Auszeit“ mit einer stationären psychiatrischen Behandlung für dringend erforderlich. Hier erhielt Frau O. neben einer medikamentösen Behandlung physikalische Anwendungen, erlernte ein Entspannungsverfahren, erhielt psychotherapeutische Einzelgespräche und war integriert in einer gesprächsorientierten Gruppentherapie. Es zeigte sich, dass Frau O. seit der Kindheit unter einer ausgeprägten Selbstwertstörung litt, die sie stets mit viel Kraftaufwand durch Leistung zu kompensieren versucht hatte. Durch die zunehmende Arbeitsbelastung mit mangelndem Freizeitausgleich war sie letztendlich über den Konflikt zwischen den Vorgesetzten dekompensiert. Eine psychoanalytische Erklärung hierfür könnte sein, dass Frau O. in der Kindheit zwischen Vater und Mutter etwas Ähnliches erlebte und in Konfliktsituationen zu ausgeprägten Ängsten neigte. Während des stationären Aufenthalts kam es immer wieder zu depressiven Stimmungseinbrüchen mit ausgeprägter Antriebslosigkeit, starken Ängsten und dem Gefühl, dem Leben und der Arbeitssituation nicht mehr gewachsen zu sein. Diese Phasen der Antriebslosigkeit gingen gehäuft mit starken Rückenschmerzen einher. Einer antidepressiven Medikation stand die Patientin zunächst recht skeptisch gegenüber. Aufgrund der ausgeprägten Schmerzen konnte sie sich dann doch dazu entschließen. Sie erhielt Cymbalta 30 mg morgens, ein Antidepressivum, welches besonders bei zusätzlichen Schmerzen eine gute Wirksamkeit zeigt. Nach zwölf Wochen stationärem Aufenthalt kam es zu einer Rückläufigkeit der depressiven Symptomatik mit deutlicher Stimmungsaufhellung. Auch die Schmerz sym-  ptomatik hatte sich zurückgebildet. Eine sukzessive Wiedereingliederung mit Reduktion der Arbeitszeit konnte mit dem Arbeitgeber in gutem Einvernehmen vereinbart werden. Diese sah vor, dass Frau O in den ersten vier Wochen 50 % arbeitet, im zweiten Monat 75 % und nach drei Monaten wieder in Vollzeit. Während des Klinikaufenthalts hatte sich Frau O. im Rahmen einer Burnout-Prophylaxe wesentliche Punkte für die Zukunft erarbeitet, wie z. B. eine bessere Abgrenzung und die Einhaltung der Arbeitszeit, mehr Selbstfürsorge durch verbesserte soziale Kontakte, Wiederaufleben von Hobbys mit einem ausgeglichenen Freizeitprogramm. Begleitend sollten weiterhin Coachinggespräche stattfinden. 3.2  Herr P. Der Patient kommt zur stationären Aufnahme mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode im Rahmen eines Burnout-Syndroms mit Somatisierung. Herr P. gibt an, aufgrund eines plötzlichen Nervenzusammenbruchs arbeitsunfähig geworden zu sein. Er berichtet weiter, seit sieben Jahren als Manager in einer großen Werbeagentur tätig zu sein. Die Anforderungen seien sehr hoch. Er habe workaholic-mäßig von morgens sieben Uhr bis abends z. T. bis 23.00 bis 24.00 Uhr gearbeitet. Es sei ihm überhaupt keine Zeit mehr für Hobbys geblieben. Auch regelmäßige Essenspausen hätten nicht stattfinden können. Er habe viel Kaffee und Zigaretten über den Tag verteilt konsumiert. In den letzten Monaten habe er eine zunehmende Rastlosigkeit und Erschöpfung gespürt sowie eine sehr niedrige Reizschwelle in Richtung Aggression. Dieses habe im familiären Rah-

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men vermehrt zu Konflikten mit der Ehefrau und den Kindern geführt. In einem Meeting sei es dann zu einem „Blackout“ gekommen. Er habe plötzlich keine Wahrnehmung für das Geschehen um ihn herum gehabt und sei von einem plötzlichen Weinkrampf derart geschüttelt worden, dass er das Meeting abbrechen musste. Er habe sich daraufhin sofort in medizinische Behandlung begeben. Unter der ambulanten Behandlung mit zusätzlicher Krankschreibung habe sich sein Zustand jedoch nicht verbessert. Die Rastlosigkeit habe zugenommen mit ständigem Grübeln und Hoffnungslosigkeit, starken Ängsten und Konzentrationsstörungen, sodass ihm zu einer stationären psychiatrischen Behandlung geraten wurde. Der psychopathologische Befund bei der Aufnahme zeigte eine deutliche Konzentrationsstörung. Der Patient wirkte sehr getrieben, innerlich angespannt und unruhig. Die Stimmung war gedrückt, der Antrieb deutlich gesteigert. Herr P. beschrieb Schlaflosigkeit und ständiges Gedankenkreisen. Körperlich wirkte er sehr erschöpft und ausgelaugt. Da er eine antidepressive Medikation ablehnte, erhielt er lediglich eine Schlafmedikation mit Stilnox eine Tablette zur Nacht. Er klagte weiterhin über seit längerem bestehende Rücken- und Kopfschmerzen. Diesbezüglich erhielt er eine Schmerzmedikation bei Bedarf. Ein wichtiges Therapieelement während der stationären Behandlung war die Eingliederung in einen intensiven psychotherapeutischen Prozess. Es wurden regelmäßige psychotherapeutische Einzelgespräche geführt. Darüber hinaus nahm er an einer täglich stattfindenden Gruppengesprächstherapie teil, erlernte ein Entspannungsverfahren (Qi Gong) und erhielt physikalische Anwendungen neben einem bewegungstherapeutischen Programm. In den Einzelgesprächen und auch in der Gruppensituation zeigten sich sehr deutlich die Schwierigkeit, sich abzugrenzen, sowie die Tendenz, sich schnell zu überfordern und wenig Selbstfürsorge zu haben. Die wesentliche Identifikation zeigte sich über Leistung. Dieses sei bereits in der Primärfamilie sehr ausgeprägt gewesen. In den darauf folgenden sechs Wochen war Herr P. zunehmend in der Lage, dieses zu reflektieren. Die neu erarbeiteten Orientierungen führten zu einer deutlich verbesserten Abgrenzung und Selbstbehauptungsfähigkeit mit positiveren und eher ich-syntonen Perspektiven. Zusätzlich wurde mit Herrn P. im Rahmen eines Coachingprogramms eine verbesserte WorkLife-Balance erarbeitet, wie z. B. die Einhaltung von Arbeitszeiten, Essenspausen, Zeit für die Familie, Wiederaufnahme von Hobbys und sozialen Kontakten. Gegen Ende des stationären Aufenthaltes kam es zu einer Stabilisierung, sodass Herr P. in die ambulante Behandlung entlassen werden konnte. Eine Wiedereingliederung mit reduzierter Stundenzahl wurde gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet. Auch wurde ihm empfohlen, in den nächsten Monaten zusätzlich Coaching-Gespräche in Anspruch zu nehmen, um eine zusätzliche Unterstützung im Arbeitsprozess zu erreichen. 4  Schlussfolgerungen Im Vergleich von Beispiel 1 zu Beispiel 2 wird Folgendes deutlich: Eine Burnout-Sym-  ptomatik ohne Selbstwertstörung zeigt eine gute Rückläufigkeit innerhalb relativ kurzer Zeit (sechs bis zwölf Wochen); mit einer Auszeit und entsprechender medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung lässt sich eine gute Work-Life-Balance sowie eine 

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Burnout-Prophylaxe durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen im Arbeitsprozess erarbeiten. Im Unterschied hierzu liegt bei einer fortgeschrittenen Burnout-Sym-  ptomatik eine typischerweise bereits beginnende Depression vor, die einer intensiven psychiatrischen Behandlung bedarf, in der zugrunde liegende biographische Faktoren (z. B. eine hauptsächliche Identifikation über Leistung und entsprechende Abhängigkeit) therapeutisch aufgearbeitet werden sollen. Eine leichte Burnout-Symptomatik, die als temporäre Überforderung anzusehen ist und sich allein durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen oder der Arbeitstechniken wieder verändern lässt, entspricht eher einer klassischen Coachingsituation, in der Verhaltensweisen aktiv reformiert werden können. Nur wenn diese Unterscheidung gelingt, kann ausgeschlossen werden, dass es zu einem unerwünschten Coachingergebnis kommt mit einer allenfalls verzögerten Einleitung in eine depressive Phase. Literatur Beschoner, P., Schönfeldt-Lecona, C., Braun, M., Pajonk, F.-G. (2009). Eine psychatrisch-psychotherapeutische Perspektive. Psychotherapie im Dialog, 10, 215–221. Burisch, M. (2005). Das Burnout-Syndrom. Heidelberg: Springer. Jaggi, F. (2008). Burnout – praxisnah. Stuttgart: Thieme. Reime, B., Steiner, I. (2001). Ausgebrannt oder depressiv? Eine empirische Studie zur Konstruktvalidität von Burnout in Abgrenzung zur Depression. Psychosomatik und medizinische Psychologie, 51, 304–307. WHO. (Hrsg.). (1994). Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 (2. Aufl.). Bern u. a.: Huber. Dr. med. Elisabeth Behrends-Krahnen, Allgemeinmedizinerin, Ärztin in einer psychiatrischen Klinik mit Zusatzqualifikationen in Psychotherapie und Sexualtherapie, Coachingausbildung 2008–2009.