Biologie, Ethik Ab 8. Schuljahr

1 Manuskript SENDUNG: 1.12.2016 9.30 - 9.50 Uhr/ B2 AUFNAHME: STUDIO: Biologie, Ethik Ab 8. Schuljahr TITEL: Was ist Intelligenz? Wissenschaftler...
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Manuskript

SENDUNG: 1.12.2016 9.30 - 9.50 Uhr/ B2

AUFNAHME: STUDIO: Biologie, Ethik Ab 8. Schuljahr

TITEL:

Was ist Intelligenz? Wissenschaftler erforschen einen umstrittenen Begriff

AUTOR:

Thies Marsen

REDAKTION:

Nicole Ruchlak

REGIE:

LÄNGE:

24'57 (Wortende 24'22)

PERSONEN: GESPRÄCHSPARTNER:  Prof. Elsbeth Stern, Institut für Verhaltenswissenschaften der ETH Zürich, Verfasserin mehrerer Standardwerke über Intelligenz, u.a. „Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen“ (mit Aljoscha Neubauer)  Prof. Detlef Rost, Professor für Psychologie am FB Psychologie der Philipps-Universität Marburg, Herausgeber des „Handbuch Intelligenz“  Prof. Richard E. Nisbett, Professor für Sozialpsychologie an der University of Michigan in Ann Arbor. u.a. Autor von „Intelligence and How to Get It: Why Schools and Cultures Count“

Besondere Anmerkungen: ED 20.03.2014, IQ

_____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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MUSIK (Goldene Zitonenen – Wer hier)

Zuspielung Man wird gleich, wenn man über Intelligenz spricht, im Sinne einer Elitenbildung oder unerwünschten Elitenbildung in irgendeine rechte Ecke gestellt und es gibt kaum ein Gebiet in der Psychologie, das so heftig umstritten ist. Das liegt daran, dass Intelligenz auch sehr stark genetisch verankert ist und das ist ja fast bei uns fast ein Tabu über genetische Unterschiede zwischen Menschen zu sprechen.

Sprecher Was ist Intelligenz? Wer diese Frage stellt, ist schnell bei sehr grundsätzlichen Fragen: Was macht den Menschen aus? Warum sind manche schlauer und manche weniger schlau? Ist Intelligenz angeboren oder erwirbt man sie durch Erziehung, Bildung und andere Umwelteinflüsse? Und das alles sind beileibe keine rein akademischen Fragen. Die Antworten darauf beeinflussen direkt Politik und Gesellschaft, zum Guten oder zum Schlechten – manchmal können sie sogar mörderische Folgen haben: Die Nationalsozialisten etwa – und nicht nur sie – gingen davon aus, dass bestimmte Rassen oder Völker intelligenter und damit wertvoller seien als andere. Das bildete schlussendlich eine Grundlage für den beispiellosen Massenmord der Nazis an angeblich Minderwertigen. MUSIK (Goldene Zitonenen – Wer hier) - hoch

Sprecher Die Intelligenzforschung ist angesichts dieser Vergangenheit also im höchsten Maße kontaminiert – ein Minenfeld. Zumal es der Wissenschaft bis heute schwer fällt, Intelligenz genau zu definieren. Das 2013 erschienene „Handbuch Intelligenz“ des Marburger Psychologie-Professors Detlef Rost listet allein 24 verschiedene Definitionen für Intelligenz auf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem weist der Verfasser den oft geäußerten Verdacht zurück, die Intelligenzforscher seien sich nicht einmal über ihren Forschungsgegenstand im Klaren: _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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Zuspielung Das ist das gesichertste Feld der Psychologie. Die Psychologie forscht seit ungefähr 100 Jahren empirisch und Intelligenz ist das Lieblingsfeld der Psychologie. Es gibt kein Thema, bei dem mehr Forschungsarbeiten vorliegen als bei der Intelligenz.

Sprecher Auch wenn wohl fast jeder Mensch seine eigene Vorstellung darüber hat, was Intelligenz ist und was nicht – die Fachwelt ist sich inzwischen weitgehend einig. Einen der wichtigsten Beiträge zur Definition von Intelligenz lieferten 52 amerikanische Intelligenzforscher im Jahr 1994. In einer gemeinsamen Erklärung, die sie unter anderem im Wall Street Journal veröffentlichten, definierten sie Intelligenz unter anderem wie folgt:

Zitat Die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken, zum Planen, zur Problemlösung, zum abstrakten Denken, zum Verständnis komplexer Ideen, zum schnellen Lernen und zum Lernen aus Erfahrung.

Sprecher Und sie stellten klar, was Intelligenz nicht ist:

Zitat Es ist nicht reines Bücherwissen, keine enge akademische Spezialbegabung, keine Testerfahrung. Vielmehr reflektiert Intelligenz ein breiteres und tieferes Vermögen, unsere Umwelt zu verstehen, „zu kapieren“, „Sinn in Dingen zu erkennen“ oder „herauszubekommen“, was zu tun ist.

Sprecher So weit so gut – aber: Wie misst man Intelligenz? An äußerlichen Körpermerkmalen lässt sich geistige Leistungsfähigkeit jedenfalls nicht festmachen, weder an einer hohen Stirn noch an einem flachen Hinterkopf, nicht einmal an der Größe eines _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

4 Gehirns. Sonst müssten etwa Frauen grundsätzlich dümmer sein als Männer, haben sie doch im Durchschnitt ein kleineres Gehirn. Und apropos Gehirn: Selbst wenn man unserem Denkorgan mit Elektroden oder gar mit dem Skalpell zu Leibe rückt, so findet man dort keinen Intelligenzlappen oder -knoten oder sonst etwas Konkretes, das man wiegen und vermessen könnte und das allein unsere Intelligenz bestimmt, betont die Intelligenzforscherin Professor Elsbeth Stern von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich:

Zuspielung Nichts hat eigentlich einen bestimmten Ort im Gehirn, man würde eher sagen, dass bestimmte Gehirnteile an bestimmten Aktivitäten besonders beteiligt sind und da wissen wir, dass es bei der Intelligenz das Frontalhirn ist.

Sprecher Selbst wenn man noch tiefer schürft im Körper des Menschen, bleiben die Ergebnisse mager: Auch in den menschlichen Genen findet sich kein bestimmter Ort, an dem die Intelligenz sozusagen zu Hause ist, betont die Psychologin Elsbeth Stern:

Zuspielung Es gibt nicht das Intelligenz-Gen, als das Genom entschlüsselt wurde, dachte man, jetzt kämmt man mal unsere Chromosomen durch und wird dann vielleicht finden: Dort und dort sitzen die zentralen Intelligenzgene. Hier wurde nicht nur in der Intelligenzforschung sehr viel Geld verbrannt und wir sind nicht viel weiter gekommen. Es scheint einfach eine extrem komplexe Interaktion zwischen unterschiedlichen Genen zu geben, wo manche vielleicht eine Art Schlüsselfunktion haben, wenn sie aktiviert werden, dann werden ganz viele andere Gene auch aktiviert, die zur Ausprägung eines Merkmals, also in diesem Fall Intelligenz, beitragen. Die Interaktion ist so komplex, dass im Moment noch jeder Computer überfordert ist. MUSIK (Goldene Zitonenen – Positionen) _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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Sprecher Wie viele psychologischen Phänomene bleibt die Intelligenz auch nach über 100 Jahren Forschung schwer zu verorten. Immerhin hat es die Intelligenzforschung im Gegensatz zu anderen Geisteswissenschaften aber geschafft, ein Instrumentarium zu entwickeln, um ihren Gegenstand zu messen: Den Intelligenztest. Ja, eigentlich ist die gesamte Geschichte der Intelligenzforschung zugleich eine Geschichte des Intelligenztests. Und zwar seit der Psychologe Alfred Binet und der Arzt Théodore Simon um 1900 im Auftrag der französischen Regierung einen ersten solchen Test für Kinder entwickelten – mit Fragen wie:

Zitat Zeige auf dein Knie, deine Ellenbogen, deine Nase! Wiederhole die folgenden drei Zahlen! Finde drei Reime für das Wort „Kohle“.

Sprecher Der deutsche Psychologe William Stern verfeinerte 1912 diese Methode und erfand dabei den Intelligenzquotienten IQ. IQ-Tests sind zwar nicht die einzigen Intelligenztests, aber doch inzwischen die am weitesten verbreiteten – dabei müssen die Teilnehmer zum Beispiel Zahlenreihen komplettieren, Wortpaare entdecken, Textaufgaben und Bilderrätsel lösen. Am liebsten arbeiten Intelligenzforscher mit unterschiedlichen, breit angelegten Tests, um zu möglichst belastbaren Ergebnissen zu kommen.

Zuspielung Und was man misst, hängt mit Dingen zusammen wie Berufs- und Schulerfolg, die wo man sagen würde, dort spielt Intelligenz eine Rolle. Intelligenztests können wirklich Informationen über das Potential eines Menschen geben, die man auf andere Weise nicht bekommt.

Sprecher „Intelligenz ist, was Intelligenztests messen“, ist ein gern zitierter Satz, den der US_____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

6 amerikanische Wissenschaftlers Edwin Boring bereits 1923 prägte und den der deutsche Psychologe Jens Asendorpf knapp 90 Jahre später folgendermaßen ergänzte:

Zitat Intelligenz ist, was Intelligenztests messen, die so konstruiert wurden, dass sie das Bildungsniveau möglichst gut vorhersagen, oder kurz: Intelligenztests messen die Befähigung zu hoher Bildung.

Sprecher Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein Intelligenztest ist also durchaus ein veritables Instrument, um die Intelligenz eines Menschen zu messen, und damit Aussagen über seinen zukünftigen beruflichen Erfolg zu machen – oder besser: über seine beruflichen Chancen, wie sehr er den gesellschaftlichen Anforderung gewachsen ist. Wobei natürlich auch ein hoher IQ kein Garant für Erfolg ist. Ein IQTest misst die Intelligenz eines einzelnen Menschen in seinem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext. Alle Versuche von Forschern einen umfassenden Test für alle Menschen der Welt zu entwickeln, sind bislang gescheitert. Was nicht verwundert, sagt der Marburger Psychologieprofessor Detlef Rost:

Zuspielung Also: Die Intelligenz hängt ja immer vom sozialen Umfeld ab, d.h. in westlichen, hochindustrialisierten, informierten Gesellschaften, da wird das ähnlich definiert. Aber wenn Sie jetzt bspw. zu den Aboriginies in den Busch in Australien gehen, dann würden sie da vielleicht eine völlig andere Intelligenzdefinition haben: Jemand, der dort ein Wasserloch findet, ist vielleicht besonders intelligent und derjenige, der es nicht findet, ist vielleicht weniger intelligent, und ein Ingenieur, der hier Brücken baut und eine hohe intellektuelle Kapazität hätte, der würde im Busch wahrscheinlich verdursten. Das heißt: Man muss die jeweiligen Leistungen, immer in dem jeweiligen Umfeld sehen.

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7 Sprecher Umso problematischer sind Intelligenz-Vergleiche zwischen Völkern oder Ethnien oder gar zwischen sogenannten „Rassen“. Trotzdem werden sie immer wieder angestellt, besonders in den Vereinigten Staaten, kritisiert der Sozialpsychologie Richard E. Nisbett von der University of Michigan .

Zuspielung For a very long time in the US many people in the intelligence field believed that the large part of the reasons for the difference in IQs between blacks and whites was due to genetics. In fact there was never got evidence for that. Never! Overvoice Lange glaubten in den USA viele Intelligenzforscher, die unterschiedlichen Intelligenzquotienten von Schwarzen und Weißen lägen in ihren Genen – dabei gab es dafür nie einen Beleg. Nie.

Sprecher Intelligenzforschung findet eben nicht im sprichwörtlichen Elfenbeinturm der Wissenschaft statt, objektiv und wertfrei. Ganz im Gegenteil. 1996 kam eine Kommission der American Psychological Association zu dem Ergebnis: Viele Fachvertreter geben sich nur wenig Mühe, wissenschaftliche Daten von politischen Überzeugungen zu trennen. Will sagen: Bei so manchen Psychologen werden die Forschungsergebnisse von ihrer Weltanschauung bestimmt und nicht von Fakten. Anlass für die Untersuchung der Kommission war ein Buch, das in den USA kurz zuvor für einen handfesten Skandal gesorgt hatte: „The Bell Curve“ - die Glockenkurve von Richard J. Herrnstein und Charles Murray. Darin schrieben die beiden Wissenschaftler schwarzen Amerikanern im Durchschnitt einen deutlich niedrigeren IQ zu als Weißen. Gleichzeitig forderten sie unter anderem, dass die Sozialhilfe abgeschafft wird, damit arme – und somit angeblich weniger intelligente – Mütter nicht dazu animiert würden, viele Kinder zu gebären. Kritiker warfen Herrnstein und Murray vor, ihr Buch sei Teil einer konservativen Kampagne. Als die damalige US-Regierung die Sozialhilfe schließlich tatsächlich weitgehend abschaffte, hatten darunter vor allem schwarze Familien zu leiden. The Bell Curve legt nahe, _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

8 dass ein Zusammenhang besteht zwischen Rasse, Intelligenz und sozialem Status. Dabei ist schon lange bewiesen, dass Intelligenz nichts mit der Zugehörigkeit zu einer sogenannte „Rasse“ zu tun hat, betont der Professor Richard E. Nisbett. Den Beweis lieferten Studien von US-Forscher in Deutschland. Sie untersuchten Kinder, die hier eingesetzte US-Soldaten mit deutschen Müttern gezeugt hatten.

Zuspielung There were many children born to german woman and some of those of black soldiers. So if there is a genetic difference between the races, those mixed race childrens in Germany should have had significant lower IQs than the children of white fathers. And in fact there was no difference in their IQ. Overvoice Viele deutsche Frauen bekamen Kinder von US-Soldaten und manche auch von schwarzen. Gäbe es einen genetischen Unterschied zwischen den Rassen, hätten die Mischlingskinder einen signifikant niedrigeren IQ aufweisen müssen, als die Kinder weißer Väter. De facto gab es keinen Unterschied. MUSIK (Goldene Zitonenen – Wer hier)

Sprecher Hereditarianism, so nennt man im angloamerikanischen Sprachraum jene Denkschule, die davon ausgeht, dass Intelligenz vor allem vererbt wird, abgeleitet vom lateinischen Wort hereditas – Erblichkeit. Viele Hereditarians sehen einen Zusammenhang zwischen Rasse und Intelligenz und fürchten, wie die Autoren des Buches „The Bell Curve“, ein Volk könne verdummen, wenn die Intelligenten zu wenig und die Minderintelligenten zu viele Kinder kriegen. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Eine ganz ähnliche These stellte 2010 Thilo Sarrazin auf. In seinem umstrittenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ warnte er vor einem Niedergang des Landes durch zu viele Einwanderer, insbesondere muslimische Migranten, die oft bildungsfern und integrationsunwillig seien. Da Unterschichtenfamilien außerdem oftmals deutlich mehr Kinder zeugen als der Rest der Bevölkerung und Kinder die _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

9 intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern erben, wird Deutschland immer dümmer, so lassen sich Sarrazin Thesen zusammenfassen.

Zitat Denn ganz gleich, wie die Intelligenz zustande kommt: Bei höherer relativer Fruchtbarkeit der weniger Intelligenten sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Grundgesamtheit.

Sprecher Seine Thesen hat Thilo Sarrazin in zahlreichen Talkshows vertreten – und er berief sich dabei immer wieder auch auf die Intelligenzforschung – besonders deutlich wurde das in der ARD-Sendung "Hart, aber fair" mit Frank Plasberg am 1. September 2010.

Zuspielung Sarrazin: Auch dann, wenn Deutschland gar keine Migranten hätte, dann gilt immer noch dass alle menschliche Eigenschaften eine Erbkompenente haben, darunter auch die Intelligenz, also Größe weiß man heute, ist zu 90 Prozent vererbt, bei Intelligenz weiß man, das sagt ihnen die seriöse Forschung, 50 bis 80 Prozent der Intelligenz sind vererbt, das ist eine Tatsache, über die ich an diesem Tisch gar nicht diskutieren werde, denn ich habe dazu nun wirklich die Literatur gelesen.. Moderator: Auf welche Wissenschaftler berufen sie sich da? Sarrazin: Auf Detlef H. Rost, auf den deutschen Wissenschaftler, auf die Bildungsforscherin Elsbeth Stern und auf zahlreiche andere, das ist der weltweite Stand der Forschung eigentlich eine Banalität....

Sprecher Doch Elsbeth Stern, Psychologie-Professorin in Zürich, will sich von Thilo Sarrazin nicht vereinnahmen lassen. Die absolute Intelligenz eines Menschen lasse sich gar nicht messen, betont sie.

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10 Zuspielung Sarrazin und ganz viele andere haben nicht wirklich verstanden, worauf sich die Prozentangabe bezieht: Sie bezieht sich nicht auf das Individuum, es ist nicht so, wenn ich einen IQ von 100 habe, dann habe ich 80 Punkte aufgrund meiner Gene und 20 aufgrund meiner Umwelt. Sondern sie bezieht sich auf die Unterschiede, die man in einer großen Gruppe findet. Sprecher Die Prozentangaben, auf die Sarrazin sich beruft, beruhen auf statistische Analysen, die aus der Zwillingsforschung stammen – nebenbei bemerkt: ein durchaus umstrittenes Feld, immer wieder gab es zweifelhafte Studien oder gar Fälschungsvorwürfe gegen Zwillingsforscher. Inzwischen aber, sagt die Psychologin Elsbeth Stern, seien die Methoden ausgereift, die Ergebnisse belastbar: Dabei vergleichen Forscher eineiige mit zweieiigen Zwillingspaaren. Bei eineiigen Geschwistern sind sowohl die Gene als auch die Bedingungen, unter denen sie aufwachsen, praktisch identisch. Zweieiigen dagegen sind sich genetisch weniger ähnlich. Wertet man nun die Intelligenzunterschiede der Probanden aus, kommt man zu dem Ergebnis, dass zumindest in entwickelten Ländern 50 bis 80 Prozent der Intelligenzunterschiede – nicht etwa wie Sarrazin behauptet: der Intelligenz selbst – auf genetische Variationen zurückzuführen sind. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto mehr werden die Unterschiede durch die Umweltbedingungen geprägt – je nachdem etwa ob ein Kind nun im Bildungsbürgertum oder im Prekariat aufwächst, ob es eine schlecht ausgestattete Ghettoschule besucht oder ein nobles Privatinternat. Zuspielung Wenn eben wir wirklich allen Menschen eine gute Umwelt geben könnten zur Entfaltung ihrer geistigen Fähigkeiten, dann würden wir immer noch große Unterschiede finden, weil es einfach die Unterschiede in den Genen gibt, die sich dann bei einer optimalen Umwelt unterschiedlich entfalten können. Also eine gerechte Gesellschaft, die wirklich allen Menschen jede Chance gibt, da würde man

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11 sagen, dass 100 Prozent der Unterschiede in der Intelligenz auf Gene, auf Unterschiede in den Genen zurückzuführen sind. Sprecher Und natürlich ist es keinesfalls so, dass kluge Eltern immer kluge Kinder kriegen. Gene werden eben nie einfach eins zu eins vererbt:

Zuspielung Es ist jedes Mal wieder ein neues Lotteriespiel, und wenn zwei hochintelligente Eltern ein Kind haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass dieses Kind auch überdurchschnittlich intelligent ist, dass es noch intelligenter wird als seine Eltern, da ist die Wahrscheinlichkeit nicht besonders hoch, weil die möglicherweise schon alles ausgereizt haben, was man mitbringt und danach kann es nur noch bergab gehen. Umgekehrt wissen wir auch, man findet wieder hochbegabte Kinder, in Familien, die jetzt nicht vorher durch besondere geistige Potentiale aufgefallen sind.

MUSIK (Attwenger - Kalender)

Sprecher Dass Intelligenz auch durch die Gene bestimmt wird, daran besteht kein Zweifel. Einer Schicht, einer Ethnie oder gar einer sogenannten Rasse eine bestimmte genetisch festgelegte Intelligenz zu bescheinigen, ist dagegen höchst zweifelhaft, ebenso wie die immer wieder kehrende Rede von der drohenden Verdummung eines Volkes. Trotzdem hat das eine lange Tradition, begründet im 19. Jahrhundert von dem britischen Naturforscher Francis Galton. Galton gilt als Vater der Eugenik, einer Denkschule, die eine selektive Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik forderte. Menschen mit positiv bewerteten Erbanlagen sollten zur Fortpflanzung animiert, solche mit vermeintlich negativen Erbanlagen daran gehindert werden. Die Eugenik gipfelte in der nationalsozialistische Rassenhygiene und diente zur Rechtfertigung des Massenmords an angeblich „lebensunwerten“ Menschen – die Nazis zogen die mörderische Konsequenz aus den Thesen, die Francis Galton 1869 in seinem Buch „Hereditary Genius“ aufgestellt hatte: _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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Zitat Infolge dieser verschiedenen Ursachen wird die Fruchtbarkeit der befähigteren Klassen alter Kulturvölker beständig eingeschränkt, während die Leichtsinnigen und Nichthochstrebenden den größten Teil der kommenden Generation erzeugen. So verschlechtert sich die Rasse allmählich.

Sprecher Doch obwohl der Austausch zwischen Ländern und Kontinenten – und damit auch die Vermischung der Menschen und ihrer Gene – wohl noch nie so intensiv war, wie in den letzten 100 Jahren, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein – zu diesem Ergebnis kam jedenfalls der neuseeländische Politologe James R. Flynn. Er wertete Intelligenztests aus 14 Industrienationen aus und stellte fest, dass pro Generation der IQ-Wert deutlich zunimmt, zwischen 5 und 25 Punkten. Woher dieser sogenannte Flynn-Effekt kommt, ist umstritten – manche meinen, dass er entsteht, gerade weil die Menschen sich immer mehr vermischen. Der Marburger Intelligenzforscher Detlef Rost ist sich jedenfalls sicher:

Zuspielung Es gibt viele Hinweise darauf, dass dieser Flynn-Effekt nicht nur auf Intelligenztests beschränkt ist, sondern, dass auch im Alltagsleben sich sehr viel neue und wichtige Aufgaben stellen, die vielleicht unsere Vorfahren gar nicht hätten bewältigen können. D.h.: Der Flynn-Effekt ist real, das ist keine Erfindung der Psychometrie. Und da sehe ich in den letzten Jahrzehnten einen ständigen Anstieg. Von einem Rückgang der Intelligenz, von einer Verdummung der ganzen Völker kann man nicht sprechen, das halte ich für nicht zutreffend.

Sprecher Wird die Menschheit also in Wahrheit immer schlauer?

Zuspielung Das kann nicht ewig weitergehen, sehen Sie mal, es gibt ja so was auch, das nennt _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

13 man sekundärer Trend oder Akzeleration: Unsere Kinder, unsere Jugendlichen werden von Generation zu Generation größer und das sehen Sie schon, wenn Sie sich die heutigen Jugendlichen mal angucken, aber das kann nicht ewig weiter gehen, wir werden nicht 4 Meter 50. Und so wird das auch mit dem Anstieg der intellektuellen Leistungsfähigkeit sein: Irgendwann wird mal Schluss sein, aber kein Mensch weiß wann.

Sprecher Der Vater des nach ihm benannten Effekts, James Flynn, glaubt übrigens, dass wir den Zenit bereits erreicht haben, jedenfalls in den Industrieländern. Der IQ werde wohl nicht weiter ansteigen. Auch die Zürcher Intelligenzforscherin Elsbeth Stern ist skeptisch:

Zuspielung Und ich würde Flynn zustimmen, dass wir wahrscheinlich den Zenit erreicht haben, was die Intelligenz, wenn sie mit dem Intelligenztest gemessen wird, angeht. Wegen Hunger in unseren Kreisen bleibt niemand zurück. Auch was die schulische Bildung angeht, die zur Intelligenzentwicklung wichtig ist, da dürften wir auch ein Optimum erreicht haben. Wir können viel mehr tun, damit die Intelligenz auch in intelligentes Wissen umgesetzt wird, hier gibt es noch echte Defizite, aber an der Intelligenz selber müssen wir allgemein wenig tun. Wir müssen wahrscheinlich bestimmte Schichten noch stärker fördern.

Sprecher Für die Intelligenzforschung bleibt also noch genug zu tun. Vor allem geht es darum, ein gerechtes Bildungssystem zu entwerfen, in dem jeder seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend gefördert wird, ob Migrant oder Einheimischer, ob Junge oder Mädchen.

Zuspielung Was wir tatsächlich finden in der Grundschule ist, dass die Mädchen genauso viel dazu lernen wie Jungen, aber wenn sie sich's raussuchen dürften, ob sie lieber _____________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

14 Physik machen oder schminken lernen oder was auch immer, dann müsste man damit rechnen, dass die Mädchen, dass mehr Mädchen sich nicht für Physik entscheiden würden. Unsere Ergebnisse zeigen: Wenn es Unterschiede gibt, sind es nicht intellektuelle Unterschiede, sondern Interessenunterschiede und da kann man gut gegenwirken.

Sprecher Und auch besonders intelligente Menschen brauchen eine spezielle Förderung, sagt Professor Detlef Rost. Rost initiierte vor Jahrzehnten das Marburger Hochbegabtenprojekt. Und seine Forschungsergebnisse deuten daraufhin, dass es auch bei der Hochbegabtenförderung nicht um Elitenbildung, also Separation geht, sondern eher um Integration:

Zuspielung Also die Tatsache, dass wir gefunden haben, dass innerhalb der Gruppe der Hochbegabten die Variabilität in den Persönlichkeitsmerkmalen im Prinzip nicht kleiner und nicht größer ist als bei den durchschnittlich Begabten, spricht an und für sich gegen einen frühe Separierung von Hochbegabten in Sonderklassen oder Sonderschulen, was ja nun von vielen Bildungspolitikern bspw. in Bayern oder Baden-Württemberg präferiert wird. Durch einen guten schulischen Unterricht, durch innere Differenzierung kann man auch Hochbegabte im normalen Schulwesen hervorragend fördern.

Sprecher Bildung und damit Intelligenz zu fördern ist freilich nicht nur Aufgabe der Schule, sondern auch von Gesellschaft und Politik, indem etwa Chancengleichheit geschaffen wird, damit jeder Mensch so aufwächst, dass er sein persönliches Intelligenzpotential bestmöglich ausschöpfen kann. Wobei natürlich die Eltern die entscheidende Rolle spielen. Denn die Grundlagen werden uns im Wortsinne in die Wiege gelegt – nicht nur genetisch:

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15 Zuspielung Wenn z.B. mit Kindern nicht genug gesprochen wird und zwar nicht auf irgendwie sophistizierte oder künstliche Weise, sondern wenn einfach Gegenstände auf die sie schauen und auf die sie zeigen nicht benannt werden, weil die Eltern mit was auch immer beschäftigt sind, dann wirkt sich das negativ auf die Intelligenzentwicklung aus. Wenn es weiter so geht, dass die Eltern die ganze Zeit mit ihrem I-Phone beschäftigt sind, wenn sie mit ihren Kindern unterwegs sind, und nicht mehr schauen, wo die Kinder hinschauen und wohin sie zeigen, und ihnen dann die Gegenstände benennen, dann würde ich dem Kollegen recht geben, der sagt, wir werden immer dümmer. Aber wenn man sich rechtzeitig noch besinnt und weiß welche Anregungen man Kindern geben muss, damit sich ihre Intelligenz entwickelt, nämlich ganz normal mit ihnen sprechen und ihre Interessen erkennen und die verstärken, ihnen Geschichten vorlesen, dann sehe ich hier kein Problem. MUSIK (Goldene Zitonenen – Wir hier)

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