Barrierefreie Zukunft 12. Oktober Chance flr behinderte und schwerbehinderte Menschen am Arbeitsmarkt. ANREDE

Hans Diedenhofen Barrierefreie Zukunft 12. Oktober 2012 Chance fLr behinderte und schwerbehinderte Menschen am Arbeitsmarkt. ANREDE Integration ist e...
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Hans Diedenhofen

Barrierefreie Zukunft 12. Oktober 2012 Chance fLr behinderte und schwerbehinderte Menschen am Arbeitsmarkt. ANREDE Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist

nur

möglich, wenn überall technische, soziale und

Barrieren im „Kopf“ beseitigt werden. So steht es u. a. im Text der Einladung zu dieser Fachveranstaltung. Ich möchte die mir zur Verifigung stehende Zeit nutzen, um Sie auf eine kurze Zeitreise mitzunehmen und Sie einladen mit mir zu träumen, zu träumen von einem gesellschaftlichen Wandel, der in eine barrierefreie Zukunft und Arbeitswelt ifihrt. Im FrLffijahr 1972 sprachen der damalige Wissenschaftschef des WDR Fernsehens, Alexander von Cube, und ich, als junger Redakteur, im Rahmen einer Recherche über die friedliche Nutzung der Atomenergie mit Prof. Bechert. Dieser war Physiker und Bundestagsabgeordneter und zu dieser Zeit einer der wenigen, wenn nicht der einzige im Bundestag, der vor

der Atomenergie warnte. Nach einem ganztägigen Gespräch entließ er uns mit den Worten: „Meine Herren, ich sehe, ich habe Sie mit meinen Argumenten nicht überzeugen können, dann gehen Sie zumindest dem Problem der Lagerung des Atommülls nach. Auch wenn Ihnen alle Experten versichern, in zehn Jahren sei das Problem gelöst. Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24 000 Jahren. Das Problem ist nicht zu lösen. Weder in zehn noch in 30 Jahren.“ Zur Erinnerung: Die Prognosen 1972: Alle 10 Jahre verdoppelt sich der Strombedarf. Geplant war, am Rhein von Breisach bis Kalkar im Abstand von 100 Kilometer ein Atomkraftwerk zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Niemand hätte vor 30 4o Jahren davon zu träumen gewagt, dass es zu einer Wende in der Energiepolitik kommen würde. Zumal der Anlass dazu unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Eine barrierefreie Zukunft zu erreichen, halte ich trotz der UN-Behindertenrechtskonvention und eines vermeintlichen politischen Konsenses für noch schwerer als eine Wende in der Energiepolitik. Denn der öffentlich geführten Debatte fehlt es an Klarheit und Wahrheit. Wir sprechen zu wenig öffentlich über die Berührungsängste,

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die Vorurteile, das Wegschauen, die Umsetzungsdefizite bei vielen der gesetzlichen Regelungen, der mangelnden Bereitschaft, das erforderliche Geld in die Hand zu nehmen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Ich habe den Eindruck, das trotz aller Anstrengungen unser Anliegen noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die aktuelle Plakat-Serie der „Aktion Mensch“ halte ich nicht für hilfreich, wenn sie Behinderung auf Rollstuhifahrer reduziert. In diesem Zusammenhang zitiere ich Martin Schulz, den Präsidenten des Europäischen Parlaments, der im Juni dieses Jahres bei der Sozialpreisverleihung an Ulrich Koch, den Geschäftsführer der AWA-Entsorgung GmbH, u. a. folgendes sagte: „In der durchökonomisierten Arbeitswelt steht die Profitmaxirnierung an oberster Stelle. Gesunde, leistungsfähige Menschen würden in zunehmendem Maße zu „Kostenfaktoren mit Ohren“. Eines der größten Defizite unserer Gesellschaft sei der Mangel an Respekt. Wir lebten in einer Gesellschaft, die heimatlos werde, gleichzeitig steige der Leistungsdruck und der gegenseitige Respekt voreinander schwinde. Eine barrierefreie Gesellschaft und Arbeitswelt setzt

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voraus, dass wir achtsam miteinander umgehen, unsere Wertvorstellungen definieren, dass unsere Eliten Wertvorstellungen vorleben und wieder Vorbildfunktionen ausfüllen, die der Gesellschaft Orientierung und Zusammenhalt geben. Ich träume davon, dass wir für die Schulmahizeiten unserer Kinder mehr als ein bis zwei Euro übrig haben, dass



abgesehen von den schon vorhandenen



flächendeckend in Deutschland statt zentrale Caterer zu beschäftigen, Integrationsbetriebe eingerichtet werden, in denen aus regionalen, frischen Produkten für Schulen und Kitas gekocht wird. Dann hätten zahllose behinderte Menschen eine sinnvolle Arbeit und unsere Kinder ein Essen aus Lebens- und nicht aus industriegefertigten Nahrungsmitteln. Es braucht niemand wirklich im Herbst und Winter Erdbeeren aus China



Ökobilanz

Ich träume davon, dass die wichtigsten Akteure für die Beschäftigung behinderter Menschen in den Betrieben, Dienststellen und Verwaltungen, nämlich die Beauftragten der Arbeitgeber und die Behindertenvertretungen, ihre Gegensätze überwinden.

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Nicht nur weil die gesetzlichen Bestimmungen ein Miteinander und kein Gegeneinander vorsehen, sondern auch, weil das gemeinsame Ziel nur in Kooperation und nicht in Konfrontation erreicht werden kann. Das bedeutet auch, dass ihre Bedeutung für die Einstellung, Beschäftigung und Begleitung behinderter Menschen innerhalb und außerhalb der Betreibe endlich beachtet und anerkannt wird. Die unspektakuläre Arbeit dieser Akteure ist allerdings nicht dazu angetan, mediales Interesse zu wecken. Was heißt es schon, ein Jahr und länger daran zu arbeiten, für einen behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu finden und einzurichten, ihn bei der Einarbeitung zu unterstützen und gleichzeitig die Berührungsängste der Kolleginnen und Kollegen ernst zu nehmen und abzubauen helfen. Diese Arbeit findet im Stillen statt

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ist wichtig im Detail.

Aber das sind nicht die Highlights, die für Medien und Politiker von Interesse sind. Ich träume davon, dass dann endlich die Bestimmungen des SGB IX umgesetzt werden. Dass die Chancen erkannt werden, die für die Betriebe in der Beschäftigung behinderter Menschen liegen. Dass ihre besonderen

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Talente und Fähigkeiten gesehen und genutzt werden. Dass Integrationsvereinbarungen nicht nur abgeschlossen, sondern auch gelebt werden. Dass die Idee des betrieblichen Eingliederungsrnanagernents von Seiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als die Chance erkannt wird, älteren, kranken, behinderten Menschen ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Ich träume davon, dass alle, die eine barrierefreie Zukunft gestalten wollen, sich zusammensetzen: Behinderte und Nichtbehinderte, Funktionsträger und Funktionslose. Dass alle ihre Forderungskataloge, Verbands- und Parteitagsbeschlüsse beiseite legen, miteinander offen und respektvoll reden und sich darauf verständigen, was getan werden muss. Ich träume davon, dass z. B. der junge behinderte Pietro, der mit seiner Familie in einem kleinen Eifeldorf wohnt, nach Abschluss seiner Ausbildung in der Caritas Werkstatt seinen neuen Arbeitsplatz in Bonn oder Koblenz mit dem ÖPVN erreichen kann. Dass die Mobilitätseinschränkungen für behinderte und ältere Menschen überall, aber auf dem Land besonders, der Vergangenheit angehören.

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Ich träume davon, dass die Integrationsfachdienste mit ihrer qualifizierten Arbeit nicht von der Bildfläche verschwinden. Dass endlich Ausnahmeregelungen ffir die Ausschreibungen genutzt werden, oder das europäische Recht geändert wird, so wie es Martin Schulz bei der Preisverleihung im Juni in Aachen gefordert hat. Ich träume davon, dass die Politiker nicht nur Gesetze beschließen, sondern ständig hinschauen, wie sie sich im Alltag bewähren. Ich habe bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit vor allem gelernt, dass die besten gesetzlichen Bestimmungen nichts bewirken, wenn ihnen nicht täglich mit Engagement und Durchsetzungswillen Geltung verschafft wird, die besten technischen Möglichkeiten ungenutzt bleiben, wenn man sie nicht kennt und einsetzen will. Ich habe gelernt, dass ich selbst brennen muss, um andere zu begeistern, dass ich mit Sonntagsreden und Hochglanzbroschüren nichts erreiche, dass jeder Tag eine neue Herausforderung bringt und dass ich mich nicht entmutigen lasse, wenn ich weiß, dass wir noch eine lange Zeitspanne und viele Rückschläge vor uns haben.

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Auch das jüdische Volk musste 40 Jahre, eine Generation lang, durch die Wüste ziehen, um sich auf die Freiheit vorzubereiten, um sich von der Sklaverei befreien zu können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit