Ausgangsituation: von der Idee zum Projekt

Entwicklung und Umsetzung des Betreuungsund Verpflegungskonzepts „Wohnbereichsküchen“ in den Seniorenzentren der AWO Rheinland e.V. Ausgangsituation:...
Author: Mathilde Kopp
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Entwicklung und Umsetzung des Betreuungsund Verpflegungskonzepts „Wohnbereichsküchen“ in den Seniorenzentren der AWO Rheinland e.V.

Ausgangsituation: von der Idee zum Projekt Wenn ältere Menschen nicht mehr in der Lage sind den Alltag zuverlässig zu meistern, kommen sie in Altenpflegeeinrichtungen, u.a. in die Einrichtungen der AWO, und erhalten dort Unterstützung. Unterstützung einerseits durch pflegerische und betreuerische Maßnahmen, andererseits aber auch durch die Gestaltung und die Bewältigung des häuslichen Alltags. In der Vergangenheit wurde immer angenommen, dass dann die vollständige Entlastung von vermeintlich lästigen Pflichten des häuslichen Alltags zum Wohle der Bewohner wäre. In der jüngeren Vergangenheit wurde aber immer häufiger die Frage aufgeworfen, ob das, was bisher mit den besten Vorsätzen gemacht wurde, nämlich den Bewohnern alle Arbeiten abzunehmen, möglicherweise aber gerade dazu führt, dass die Bewohner sich nutzlos, unselbstständig und wertlos vorkommen? Die vielfältigen, positiven Erfahrungen, die in den Seniorenzentren der AWO Rheinland e.V. in den letzten Jahren im Umgang mit dementiell erkrankten Menschen gemacht wurden, haben dazu geführt, die Frage zu stellen, ob die wesentlichen Erkenntnisse auch auf andere Bewohner übertagen werden können1. In diesen Wohnbereichen hat sich gezeigt, dass die Gestaltung des Alltags und die Teilhabe am gewohnten, häuslichen Alltag einen hohen Stellenwert für das Wohlbefinden der Bewohner haben. Alltag zu erleben gibt Sicherheit und Orientierung. Wenn Bewohner wieder mehr am Alltag teilhaben oder teilnehmen, bleiben sie länger aktiv und mobil, ernähren sich besser und gewinnen, nach den Erfahrungen in den AWO Seniorenzentren, teilweise bereits verlorene Fähigkeiten wieder zurück. Nachdem die Frage nach einer grundlegend geänderten Sicht auf den Stellenwert des Alltags für die Bewohner in den Seniorenzentren einmal aufgeworfen war, wurde eine intensivere Sichtung der Fachliteratur durchgeführt. Verschiedene aktuelle Themenstellungen, Diskussionen und Veröffentlichungen bildeten den Rahmen der weiteren Überlegungen:       

Hausgemeinschaftskonzepte Wohngruppenkonzepte Bewohnerorientierte Hauswirtschaft Normalitätsprinzip Einführung des psychogeriatrischen Pflegemodells nach Prof. Böhm Überlegungen zum Einsatz von Convenience Produkten neue Personalrichtwerte in Rheinland- Pfalz

Die Ergebnisse der Recherche in der Fachpresse einerseits, aber auch der Kontakt und die Inaugenscheinnahme von Einrichtungen, die ähnliche Überlegungen bereits angestellt und realisiert hatten andererseits, haben die AWO Rheinland darin bestätigt, an den Ideen festzuhalten und entsprechende konzeptionelle Grundlagen zu entwickeln. Sehr schnell wurde aber klar, dass die Umsetzung der Ideen eine 180° Kehrtwende im Denken aller Beteiligten erfordern würde. Das was über viele Jahre als gut und richtig kommuniziert wurde, den Bewohnern möglichst alle Arbeiten abzunehmen und sie quasi wie im Hotel und im Restaurant zu beherbergen und zu verpflegen, sollte nun nicht mehr gelten? Stattdessen sollten die Bewohner möglichst viel und lange einbezogen und gefordert werden? Es war nicht schwer zu erahnen, dass Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter diese konzeptionelle Änderung, die tief in die tägliche, operative Praxis hineinwirken wird, nur dann nachvollziehen und mittragen werden, wenn die Entwicklung und die Umsetzung des Konzeptes auf ein breites Fundament gestellt wird. 1

Die AWO Rheinland hat in ihren 14 Seniorenzentren Wohnbereiche für demenziell erkrankte Bewohner eingerichtet, in denen die Bewohner nach dem psychobiografischen Pflegemodell nach Professor Erwin Böhm in besonderer Weise betreut und gepflegt werden. Mehr dazu unter: http://www.awo-rheinland.de/senioren/pflegemodell-fuer-demenzkranke/

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Teil 1: Das EGO Gesamtprojekt Die konsens- und umsetzungsorientierte Projektorganisation Die Geschäftsleitung hat die Aufgabenstellung zur Konzeptentwicklung und zu dessen Umsetzung an eine Projektgruppe auf der Ebene des Bezirksverbands delegiert. Um einerseits ein breites Fundament der Diskussion und Kommunikation zu bilden und andererseits möglichst viel praktische Expertise im Projekt anzusiedeln, wurden aus folgenden Funktionen Vertreter in die Projektgruppe berufen:        

Geschäftsleitung, Pflegemanagement, Einrichtungsleitung, Pflege, Sozialdienst, Küche, Reinigung und Arbeitnehmervertretung.

Bei der Berufung der Projektmitglieder wurde darauf geachtet, dass eine angemessene Vertretung in der Fläche gewährleistet wurde. Bei der Auswahl der einzelnen Vertreter war die Einschätzung (häufig kann es sich dabei allerdings lediglich um Vermutungen handeln) ihrer konzeptionellen Offenheit und ihrer Bereitschaft neue (manchmal unsichere) Wege gedanklich zu beschreiten und Realität zu verändern, einer der wichtigsten Kriterien. Bereits die Anzahl der in der Projektgruppe vertretenen Funktionen deutete auf eine zu erwartende, höhere Projektkomplexität hin. Wenn dann noch bedacht wird, dass nahezu alle Prozesse der täglichen Arbeit in den Einrichtungen tangiert wurden und quantitative und qualitative Veränderungen in der Personalstruktur zu erwarten waren, wurde der Stellenwert der Projektorganisation und des Projektmanagements für den Erfolg des Projektes offensichtlich.

Abbildung 1: Auszug Projektstrukturplan2

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Wenn alle Ebenen des Projektstrukturplans dargestellt werden, erstreckt sich der Plan, bei leserlicher Darstellung, auf über 10 DIN A4 Seiten.

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Abbildung 2: Prozesse in den Wohnbereichen

Konzeptentwicklung: Projektziele, Eckpunkte und Prozesse Nach einer ersten Findungsphase im Projekt wurde die Zielsetzung des Projekts diskutiert und formuliert. Die Projektgruppe verständigte sich auf folgende Ziele: 

Die Bewohner werden nach ganzheitlichen Gesichtspunkten versorgt, betreut und gepflegt.



Die Präsenz von Mitarbeitern im Wohnbereich wird erhöht.



Arbeitsabläufe und -inhalte werden ganzheitlich gestaltet.



Personalrichtwerte werden wirtschaftlich umgesetzt.



Insgesamt werden für Bewohner und Mitarbeiter gleichermaßen Verbesserungen erzielt.

Eine ausführliche Erläuterung und Begründung der Zielsetzung würde den Rahmen der Abhandlung sprengen. Lediglich der „schillernde“ Begriff Ganzheitlichkeit soll an dieser Stelle kurz behandelt werden. Im Projekt, das den Titel „EGO“ [EGO steht für Einrichtungen Ganzheitlich Optimieren] erhalten hat, lag und liegt folgendes Verständnis von Ganzheitlichkeit zugrunde:    

Körperliche, geistige und seelische Bedürfnisse der Bewohner stehen im Vordergrund. Mitarbeiterbedürfnisse nach Arbeitszufriedenheit sind nicht zu vernachlässigen. Mehr Bewohner- und Mitarbeiterzufriedenheit werden zusammen angestrebt. In der Summe werden insgesamt positive Veränderungen realisiert.

Zur Konzeptentwicklung wurden aus dem Kreis der Projektgruppe EGO mehrere Arbeitsgruppen gebildet. Die Arbeitsgruppen hatten die Möglichkeit zusätzliche interne Experten einzubeziehen. Im Projektverlauf wurden u.a. folgende (temporäre) Arbeitsgruppen gebildet:   

AG Verpflegung, AG Prozesse oder AG personalwirtschaftliches Gesamtkonzept.

In diesen Arbeitsgruppen wurden die wesentlichen konzeptionellen, inhaltlichen Arbeiten geleistet. Auf einige der zentralen inhaltlichen Aspekte wird im Folgenden kurz eingegangen.

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Verpflegung in Wohnbereichsküchen In der Vergangenheit hatte die Hauswirtschaft und damit auch die Zentralküche in den Einrichtungen der AWO in erster Linie die Funktion, durch ein qualitativ hochwertiges Leistungsangebot, durch zuverlässige und reibungslose Abläufe sowie durch sparsame und effiziente Mittelverwendung, ihren Beitrag zur Versorgung der Bewohner zu leisten. Die Pflege und Betreuung der Bewohner war Aufgabe der Pflege und des Sozialdienstes. Die Hauswirtschaft (und damit auch die Küche) hatten dabei, durch professionelles Arbeiten in ihren Bereichen, nur mittelbar unterstützt. Die unter den Bezeichnungen “Hausgemeinschafts- und Wohngruppenkonzept“ diskutierten pflegerischen Ansätze, gehen in der Regel jedoch einher mit neuen Sichtweisen innerhalb der Hauswirtschaft, der sogenannten „bewohnerorientierten Hauswirtschaft“. Durch diese Konzepte wurden unsere Überlegungen, den Verpflegungsprozess zu dezentralisieren, intensiv beeinflusst. Bei näherer Betrachtung wurde deutlich, wie viel sich dadurch für Bewohner und Mitarbeiter in gleicher Weise positiv ändern wird. Künftig sollten in allen Wohnbereichen sogenannte Wohnbereichsküchen eingerichtet werden, die den von zuhause bekannten Wohnküchen [also weder Kochküche noch Esszimmer] sehr ähneln. Schwerpunkt bilden alle Tätigkeiten der Zubereitung und Verteilung der täglichen Mahlzeiten sowie alle damit verbundenen alltäglichen Arbeiten. Die Bewohner sollten dort die Möglichkeit erhalten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten wieder an alltäglichen Aufgaben teilzuhaben, teilzunehmen und sie entsprechend den individuellen Bedürfnissen zu gestalten. Sie werden sich daher noch mehr als bisher bei uns zuhause und wohl fühlen. Diese Überlegungen rufen auch bei den Mitarbeitern spürbare Veränderungen hervor. Der Arbeitsalltag für die Mitarbeiter wird durch die zusätzlichen Tätigkeitsbestandteile breiter. Durch Pflegetätigkeiten, die einerseits im Bewohnerzimmer erbracht werden und Betreuungstätigkeiten, die in den Wohnbereichsküchen erbracht werden, wird die Arbeit auch hinsichtlich der Möglichkeit, einen Belastungsausgleich vorzunehmen, abwechslungsreicher werden. Besonderen Stellenwert wird aber die verbesserte Versorgung und Betreuung der Bewohner mit den verbundenen positiven Auswirkungen für das Wohlbefinden der Bewohner haben. Das Erlebnis dieser positiven Veränderungen wird zu wesentlich mehr Arbeitszufriedenheit bei den Mitarbeitern führen. Zur Vorbereitung der Umsetzung waren mehrere Schritte erforderlich:

Arbeitsverlagerung und geänderte Arbeitsinhalte In der Zentralküche fällt künftig Arbeit weg. Frühstück, Zwischenmahlzeiten und Abendessen werden im Wohnbereich zubereitet. Zusammen mit der Arbeit, die in die Wohnbereiche verlagert wird, werden auch die Arbeitsplätze in die Wohnbereiche verlagert. Die Essensausgabe in Form des „Tablettsystems“ fällt weg. Frühstück und Abendessen und Zwischenmahlzeiten werden in der Wohnküche zubereitet. Das Mittagessen wird weiterhin in der Zentralküche gekocht und in beheizten Speisetransportwagen in den Wohnbereich gebracht, dort geschöpft und in Schüsseln am Tisch serviert. Die Aktivitäten zur Verpflegung der Bewohner werden in den Prozess der allgemeinen Grundpflege integriert. Zur Umsetzung dieser Konzeption war es im Vorfeld erforderlich die neuen Arbeitsabläufe detailliert zu gestalten.

Prozessgestaltung der dezentralen Verpflegung Da jeder Bewohner wählen kann, ob er seine Mahlzeiten im zentralen Speisesaal, in der Wohnbereichsküche oder im Zimmer zu sich nehmen möchte, ist eine genaue Beschreibung der Abläufe erforderlich. Die Bestellung und Abholung der Lebensmittel, die Wünsche der Bewohner erfragen, die Vorbereitung der Mahlzeiten (mit Tische eindecken), das Verteilen der Mahlzeiten mit Seite 4 von 15 Seiten

erforderlicher Hilfestellung, gehört ebenso dazu, wie die nachbereitenden Arbeiten wie Geschirr abräumen, spülen und aufräumen der Wohnbereichsküche. Der zeitliche Rahmen, wann ein Bewohner seine Mahlzeiten einnehmen will, wird erweitert. Deshalb muss die zeitliche Planung so gestaltet sein, dass flexibel auf die jeweilige Situation reagiert werden kann.

Prozessgestaltung der Pflege und Betreuung Die Mitarbeiter müssen da verfügbar sein, wo sie gebraucht werden. Es muss eine Ablaufbeschreibung, angepasst an die Bedürfnisse der Bewohner, über den ganzen Tag erstellt werden. Die Zeiten, wann ein Bewohner aufstehen will und versorgt werden muss, werden bei der Einteilung des Personals ebenso berücksichtigt, wie die Essenszeiten. Über den ganzen Tag wird eine Präsenzkraft in der Wohnbereichsküche Ansprechpartner für die Bewohner sein. So ist die Wohnbereichsküche ein sozialer und kommunikativer Mittelpunkt zum Austausch in Gesprächen. Gruppenerlebnisse machen den Tagesablauf lebendiger. Die Mitarbeiter der sozialen Betreuung sind fester Bestandteil der Planung zur Betreuung in den Wohnbereichsküchen.

Prozessgestaltung der Reinigung Die Hauswirtschaft unterstützt die bewohnerindividuelle Gestaltung des Alltagslebens. Die Ablaufbeschreibung der Reinigung muss an die Zeiten angepasst sein, in denen Bewohner entweder an Reinigungsarbeiten beteiligt werden können, oder nicht in ihren eigenen Aktivitäten behindert werden. Die Mitarbeiter der Reinigung ermöglichen den Bewohnern weitergehende zwischenmenschliche Kontakte.

Prozessgestaltung in der Zentralküche Durch die Dezentralisierung der Verpflegung wird sich der Personalbedarf in der Zentralküche verringern. Die Abläufe müssen auch dort neu beschrieben und auf die neuen Aufgaben angepasst werden. Die Lebensmittelbestellung aus den Wohnküchen wird zeitnah an die Zentralküche geschickt. Die Hygienekontrollen in den Wohnbereichsküchen (Lebensmittelhygiene) obliegen dem Küchenleiter.

Personalwirtschaftliches Gesamtkonzept Die Bedeutung der personellen Umsetzung einer neuen Verpflegungs- und Betreuungskonzeption darf nicht unterschätzt werden. Neben der rein quantitativen Neuverteilung der Arbeit und der damit einhergehenden Ressourcen, werden Arbeitsplätze mit neuen Inhalten geschaffen und darüber hinaus erprobte Abläufe, die von den Mitarbeitern routiniert beherrscht wurden, teilweise grundlegend neu definiert. Im Einzelnen waren damit folgende Aufgabenstellungen verbunden:     

Abbau von Arbeitsplätzen in der Zentralküche Wechsel von Mitarbeitern der Zentralküche und/oder der Reinigung in die Pflege Berechnung des Personalbedarfs in den Wohnbereichen Anpassung / Optimierung von Dienstzeiten Qualifizierung in den Bereichen Pflege, Lebensmittelhygiene, Service-, Tisch- und Esskultur sowie Betreuung

Im ersten Schritt wurde ein Stellenprofil für Mitarbeiter in den Wohnbereichsküchen erstellt. Dabei war die grundsätzliche Fragestellung zu beantworten, ob für die Tätigkeit in den Wohnbereichsküchen eine spezialisierte Funktion (Stelle) geschaffen oder ob die Stellen in Seite 5 von 15 Seiten

bestehende Funktionsbereiche integriert werden sollen. Die AWO hat sich entschieden, die Stellen der Präsenzkräfte in den Wohnbereichsküchen vollständig und gleichberechtigt in die Pflege zu integrieren. Folgende Erwägungen waren dafür maßgeblich:      

Vermeidung zu kleiner organisatorischer Einheiten (Engpässe bei Urlaub oder Krankheit) und Erhöhung organisatorischer Flexibilität, Abbau von Schnittstellen zwischen den Funktionsbereichen und Vermeidung neuer Schnittstellen, Ganzheitliche Versorgung der Bewohner (Bewohnerorientierung im Sinne von „one face to the customer“) Schaffung von Arbeitsplätzen mit einem breiten inhaltlichen Anforderungsspektrum (Pflege, Verpflegung und Betreuung), Belastungsausgleich für die Mitarbeiter sowie Image / Aufwertung des Präsenzdienstes in den Wohnbereichsküchen.

In der Konsequenz bedeutete das, dass Mitarbeiter aus anderen Funktionsbereichen in die Pflege versetzt, zu Pflegekräften qualifiziert und als Pflegekräfte eingesetzt wurden. Entsprechend der Konzeption können alle Mitarbeiter der Pflege, entsprechend der jeweiligen Dienstplanung, als Präsenzkraft in der Wohnbereichsküche oder als Pflegekraft im Wohnbereich eingesetzt werden. Wenn diese Konzeption in ihren Auswirkungen für die Mitarbeiter konkret betrachtet wird, dann bedeutet das, dass Mitarbeiter, die u.U. seit vielen Jahren in der Zentralküche gearbeitet haben nun die Möglichkeit haben (oder bei negativer Betrachtung: nun unter dem Druck stehen) in die Pflege zu wechseln. Es versteht sich von selbst, dass dies eine gravierende Veränderung der Arbeitsinhalte und der Anforderungen nach sich zieht und daher nicht von vorneherein bei jedem betroffenen Mitarbeiter von einer entsprechenden Neigung und Eignung ausgegangen werden kann. Um Neigung und Eignung der künftigen Mitarbeiter in der Pflege zu gewährleisten, wurde ein Verfahren zur Bewerberauswahl erarbeitet. Kern des Bewerbungsverfahrens war eine vorgelagerte, obligatorische Hospitation der Interessenten. Jeder Interessent durfte/musste für eine Woche in der Pflege (davon 1 Tag in der Betreuung / im Sozialdienst) mitarbeiten. So konnte er feststellen, ob die Tätigkeit in der Pflege seinen Neigungen entspricht. In gleicher Weise wurde den Führungskräften in der Pflege die Chance eröffnet, die Eignung des Interessenten zu prüfen und zu bewerten. Die Mitarbeiter, die hospitiert hatten, hatten in einem Feedbackgespräch am Ende der Hospitation die Möglichkeit, die gegenseitigen Eindrücke auszutauschen. Nach Abschluss aller Hospitationen wurde ein formales Bewerbungsverfahren eröffnet, in dem u.a. auf der Grundlage der Hospitationsergebnisse die Bewerberauswahl vorgenommen wurde.

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Qualifizierungsmaßnahmen Nach erfolgter Bewerberauswahl war es erforderlich, die künftigen Mitarbeiter der Pflege für ihr neues Aufgabengebiet zu qualifizieren. Außerdem mussten die bereits in der Pflege beschäftigten Mitarbeiter in den neu entstehenden Aufgabenfeldern geschult werden. Folgende Schulungen, die i.d.R. durch eigene Fachleute / Experten durchgeführt werden, wurden im Vorfeld konzipiert: Modul 1: „ Zielesetzung EGO“ Inhalte/Themen

Teilnehmerkreis Form/Zeitrahmen Referenten/Dozenten

1. Grundlagen/Konzeption EGO 2. Neues Wohnküchenkonzept 3. Thema Ganzheitlichkeit 4. Rollenerwartung/Haltung/Mentalität 5. Visionen 6. Vorstellung Projektstrukturplan Alle Mitarbeiter des Wohnbereichs Kick-Off Veranstaltung (ca. 2 Stunden inkl. Fragerunde) Einrichtungsleitung

Modul 2: „Pflege, Betreuung und Beschäftigung“ Inhalte/Themen

Teilnehmerkreis Form/Zeitrahmen Referenten/Dozenten

1. Arbeitsablauf/-organisation Präsenskraft EGO 2. Pflegerische Grundhaltung/Ethik 3. Beschäftigungsangebote/- material 4. Einzel- und Gruppenarbeit 5. Basiskenntnisse Demenz/Böhm 6. Konflikttraining 7. Dienstleistung, Kundenmentalität 8. Selbstverständnis/Rollenklärung 9. Angehörigenarbeit Alle Mitarbeiter des Wohnbereichs und PDL Workshop (2 Schulungstage) Sozialdienstleitung

Modul 3: „Hygiene, Technik und Service“ Inhalte/Themen

Teilnehmerkreis Form/Zeitrahmen Referenten/Dozenten

1. Unterweisung Hygienekonzept EGO 2. Hygienische Verhaltensweisen Speisenversorgung 3. Einweisung und Umgang mit technischen Geräten 4. Dekoration, Anrichten/Servieren und Portionieren 5. Besondere Anlässe, Feiertage u.ä. Alle Mitarbeiter des Wohnbereichs Schulung (3 Stunden, inkl. 1 Stunde Einweisung Geräte) Küchenleiter, ggfs. Hygienebeauftragter oder Fachberater

Sondermodul 3.1.: „Erstbelehrung Infektionsschutz“ Inhalte/Themen Teilnehmerkreis Zeitrahmen Referenten/Dozenten Verantwortlich

Erstbelehrung Infektionsschutz nach § 43 IfSG Alle Mitarbeiter des Wohnbereichs 1 Stunde Örtliches Gesundheitsamt Pflegedienstleitung/Hygienebeauftragte

Mit der oben dargestellten (vergleichsweise umfangreichen) Schulungskonzeption soll sichergestellt werden, dass alle Mitarbeiter den neuen Aufgaben gewachsen sind und dadurch Überforderungen vermieden werden. Außerdem soll so sichergestellt werden, dass den Bewohnern die bestmögliche Pflege und Betreuung zuteilwird. Für die Mitarbeiter, die aus anderen Funktionsbereichen in die Pflege wechseln, ist überdies die Teilnahme an einer awo-intern obligatorischen Grundqualifizierung für Pflegekräfte (mindestens 120 Unterrichtsstunden) vorgeschrieben. Diese, von der Umsetzung der EGO-Konzeption unabhängige Qualifizierung ist bei der AWO Rheinland eine Maßnahme, um eine qualitativ hochwertige Pflege und Betreuung der Bewohner zu gewährleisten. Organisation und Durchführung der o.g. Schulungen sind eine der wesentlichen Aufgabenstellungen für die jeweiligen Einrichtungen bei der Umsetzung des Konzeptes. Seite 7 von 15 Seiten

Quantitative Personalausstattung Die umfangreichen Änderungen in den Aufgabenstellungen, einerseits in den Wohnbereichen und andererseits in der Zentralküche, erfordern eine Neuermittlung des jeweiligen Personalbedarfs. Für die Personalbedarfsberechnung der Zentralküchen wurde durch eine Arbeitsgruppe, der mehrere Küchenleiter angehörten, ein entsprechendes Kalkulationsmodell erarbeitet. Auf der Grundlage dieses Modells ist jeder Küchenleiter bei Umsetzung der EGO-Konzeption in der Lage, seinen künftigen Personalbedarf, unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten, zu berechnen. Ebenso ist durch die Pflege die Personalbedarfsberechnung für die Wohnbereiche vorzunehmen. Für diese Berechnung können die bereits vorhandenen Instrumentarien genutzt werden. Last but not least wurden die Leistungsverzeichnisse in der Reinigung analysiert und die Effekte der Aufgabenverlagerung ermittelt. Auf der Grundlage der so ermittelten Bedarfe war es dann zum einen erforderlich, die Bedarfe der Funktionsbereiche einem „Feintuning“ zu unterziehen und zum anderen, die Einhaltung der Personalrichtwerte zu gewährleisten. Bei dieser Abstimmung wurde großen Wert auf konsensorientierte Ergebnisse gelegt, so dass i.d.R. ein Abstimmungsprozess in mehreren iterativen Schritten erforderlich war.

Raum- und Technikkonzept für die Wohnbereichsküchen Die Wohnbereichsküchenkonzeption verfolgt das Ziel, Bewohnern die Möglichkeit zur Teilhabe am Alltag zu eröffnen und eine verbesserte Betreuung durch die Mitarbeiter in der Wohnbereichsküche zu realisieren. Um diese Zielsetzungen erreichen zu können, müssen geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Die Wohnbereichsküchen müssen folgende Grundanforderungen erfüllen:    

Große, offene und kommunikative Architektur Gemütliche und funktionale Einrichtung Größtmöglicher Sichtkontakt zwischen Bewohner und Mitarbeiter „Trennung“ zwischen Arbeits- und Essbereich

Unsere Zielvorstellung sieht vor, dass jede Wohnbereichsküche einen räumlichen Teilbereich hat, in dem die Zubereitung von Speisen und Getränken erfolgt. Dieser Bereich muss die Bewohner wahrgenommen (sehen, hören, riechen) werden können. Der andere Bereich ist zum Essen und Trinken, für die Kommunikation und Geselligkeit. Dazu ist es erforderlich, beide Funktionen in einem Raum zu haben, aber doch eine gewisse Trennung (in erster Linie aus hygienischen Gründen) zu realisieren, die jedoch nicht dazu führt, dass die Alltagsarbeiten durch die Bewohner nicht mehr erlebt und wahrgenommen werden. Arbeitsbereich und Aufenthaltsbereich sind beide wohnlich zu gestalten, damit ein vertrautes und anregendes Ambiente entsteht. Die Realisierung der grundsätzlichen Anforderungen sollte sich bestmöglich dem „Ideal“ nähern. Abstriche bei der Umsetzung in den Seniorenzentren sind aufgrund räumlicher Gegebenheiten teilweise unumgänglich, dürfen aber nicht so gravierend sein, dass sie das Wohnküchenkonzept gefährden würden. Neben der Auswahl bzw. Schaffung geeigneter Räumlichkeiten ist eine funktionale, qualitativ hochwertige und gleichzeitig gemütliche Ausstattung zu gewährleisten. Damit im Bezirksverband AWO Rheinland ein einheitlich hoher Standard realisiert, Auswahlentscheidungen erleichtert und beschleunigt sowie Kostendegressionseffekte können, wurden in einer zentralen Arbeitsgruppe entsprechende Standards definiert. Neben funktionalen Spezifikationen beinhalten diese Standards auch Modell- bzw. Produktfestlegungen sowie die Auswahl „gelisteter“ Lieferanten. Die Standardisierung umfasst u.a.:

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Küchen und Küchentechnik Küchengeräte Möblierung Raumausstattung Geschirr Kleinteilesortiment

Trotz dieser festgelegten Standards besitzen die Einrichtungen entsprechende Auswahloptionen, um die Gestaltung geschmacklich und stilistisch an die lokalen Gegebenheiten und Erfordernisse anzupassen.

Hygienekonzeption Wohnbereichsküchen stellen hohe und spezifische Anforderungen an die Lebensmittelhygiene. Die bestehenden Hygienekonzepte der Zentralküchen können nicht 1:1 für die Wohnbereichsküchen übernommen werden. Aus diesem Grunde hat eine zentrale Arbeitsgruppe ein entsprechendes Hygienekonzept für Wohnbereichsküchen erarbeitet und in einem Handbuch dokumentiert. Das Handbuch ist so gestaltet, dass alle Mitarbeiter bereits anhand der Illustrationen die korrekten Verhaltensweisen zur Einhaltung aller Hygieneanforderungen nachvollziehen können. Das AWO Hygienekonzept für Wohnbereichsküchen stellt eine gute Grundlage für die jeweils lokal erforderliche Abstimmung mit den zuständigen Ämtern dar. Nachdem in der zentralen Projektgruppe EGO die wesentlichen konzeptionellen Elemente entwickelt und eine Reihe umsetzungsorientierter Grundlagen geschaffen waren, wurde die Umsetzung der EGO in einer Piloteinrichtung beschlossen. Neben den erarbeiteten Materialien wurde der Einrichtung ein Mitglied der zentralen Projektgruppe als „Pate“ zur Seite gestellt, der das Pilotprojekt begleiten und die Kommunikation zwischen dem Pilotprojekt und der zentralen Projektgruppe gewährleisten sollte.

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TEIL 2: Das EGO Pilotprojekt Umsetzung des EGO Projektes im AWO Seniorenzentrum Wörrstadt In einer Kick-off Veranstaltung wurden zunächst die Mitarbeiter über das EGO Projekt informiert. Unmittelbar folgend wurde eine einrichtungsinterne EGO Lenkungsgruppe unter Leitung des Projektpaten gebildet und die Projektorganisation definiert. Nach Konstituierung der EGO Lenkungsgruppe wurde der Projektstrukturplan für das Pilotprojekt erarbeitet.

Projektstrukturplanung Der Projektstrukturplan beinhaltete folgende Arbeitspakete:     

Projektorganisation herstellen Räumliche Voraussetzungen Personelle Umsetzung Ablauforganisation Projektkommunikation

Abbildung 3: Organisation des Pilotprojektes SZ Wörrstadt

Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte der einzelnen Arbeitspakete kurz beschrieben.

Projektorganisation Es wurde eine Projektgruppe in der Einrichtung gebildet (Lenkungsgruppe) und gemeinsam die Projektplanung erstellt (Verantwortlichkeiten und Terminierungen). Folgende Funktionen waren in der Projektlenkungsgruppe vertreten:        

Einrichtungsleitung PDL WBL SDL HWL KL Haustechnik Betriebsrat

Situativ wurde diese Projektlenkungsgruppe bei Bedarf um einrichtungsinterne oder –externe Experten ergänzt. Außerdem wurde die projektinterne Kommunikation geregelt. Neben regelmäßigen Jour fix Terminen (im Abstand von 4-6 Wochen), wurde die Erstellung von Statusberichten und die Bedarfskommunikation festgelegt.

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Projektkommunikation Im nächsten Schritt wurde die Kommunikationsplanung erstellt (einrichtungsinterne und “externe” Kommunikation). Für folgende Adressaten wurden die entsprechenden Kommunikationswege und –medien vereinbart:   

Mitarbeiter: Betriebsrat: Bewohner:

 

Angehörige: Sonstige:

regelmäßige Information in den Teams (Teambesprechungen) Teilnahme in der EGO Lenkungsgruppe Information des Heimbeirates, Bewohnerversammlung, Heimbeiratssitzung und Hauszeitung Angehörigenabend, Angehörigenbrief, Angehörigenbeirat Ehrenamtliche, Gesundheitsamt, MDK/Heimaufsicht, Feuerwehr: bei Bedarf

Räumliche Voraussetzungen Die Auswahl von geeigneten Räumlichkeiten war bereits frühzeitig vor Projektbeginn geprüft und vorgenommen worden. Folgende, weitere Arbeiten mussten geplant und bewerkstelligt werden: erstellen des Raum- und Einrichtungsplans erstellen der Kostenplanung (Angebote einholen, ggf. Nachverhandeln, Genehmigungen,) Bauantrag stellen (Abstimmung mit Gesundheitsamt wg. Hygienekonzept) Organisation der Bau- und Umzugsphase (Aufträge erteilen, Termine planen und abstimmen)  Bau- und Einrichtungsarbeiten durchführen (Bauzeitenplan erstellen und abstimmen, Baufortschrittkontrolle, Bauabnahme).    

Personelle Umsetzung Die personelle Umsetzung der EGO Konzeption stellt eine komplexe Aufgabenstellung dar, die aufgrund der persönlichen Betroffenheit der Mitarbeiter eine sehr sensible Fragestellung und gleichzeitig durch die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Funktionsbereiche eine äußerst erfolgskritische Thematik ist. In den folgenden Absätzen werden die einzelnen Aktivitäten lediglich skizziert. In einer weiteren Informationsveranstaltung wurden zunächst die Mitarbeiter der DSG Abteilungen Küche und Reinigung/Hauswirtschaft - über das EGO Projekt und die personellen Implikationen informiert. Anschließend folgte ein Hospitationsangebot an die Mitarbeiter der DSG, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen einen Einblick in den Pflege- und Betreuungsbereich zu erhalten. Die Hospitationszeiten wurden im Leitungsteam geplant und organisiert. Während der Hospitation erhielten die Mitarbeiter pflegefachliche Begleitung. Anschließend wurde das Hospitationsergebnis ausgewertet. Die Personalbewirtschaftung der Wohnbereiche nach Personalrichtwerten wurde kalkuliert, der Personalbedarf inklusive WBK-Präsenzkraft berechnet und eine abschließende Personalberechnung erstellt. Daraufhin konnte der erste Muster-Dienstplan angefertigt werden. Die Ermittlung des Personalbedarfs in der Zentralküche erfolgte durch eine überschlägige Bedarfsberechnung, die Bestimmung der potenziellen Personalabgabe und die Erstellung eines Musterdienstplanes. Die Personalabgabe wurde im Leitungsteam abgestimmt und entschieden. Am vorläufigen Ende dieses Prozesses war bekannt, welche personellen Ressourcen künftig in den Wohnbereichen benötigt und finanziert wurden und welche Ressourcen durch die Zentralküche dafür zur Verfügung gestellt werden konnten. Nach einer einrichtungsinternen Stellenausschreibung folgten Bewerbungsgespräche und die Bewerberauswahl. Seite 11 von 15 Seiten

Die formale, verwaltungstechnische Umsetzung der Versetzung in die AWO Altenhilfe GmbH wurde in der Bezirksgeschäftsstelle geregelt. Die Mitarbeiter erhielten ein Arbeitszeugnis für ihre bisherige Beschäftigung in der AWO DSG und neue Arbeitsverträge für die AWO Altenhilfe GmbH. Für die neuen Mitarbeiter in der Pflege wurden Schulungen (160 Std. mit Zusatzqualifikation zur Betreuungskraft nach §87b) organisiert und durchgeführt. Sie erhielten Einarbeitung in den Bereichen Grundpflege, Betreuung/Beschäftigung und im Themenfeld Service /Tisch- und Esskultur.

Ablauforganisation Auf Grundlage der zentralen Prozessbeschreibungen wurden in den einzelnen Abteilungen die Arbeitsabläufe schnittstellenübergreifend neu strukturiert und optimiert, so dass ein ineinandergreifender, fließender Arbeitsablauf zwischen Zentralküche, Wohnbereichsküche, Pflege, Sozialdienst/Betreuung und Reinigung entstanden ist. Einzelne Prozesse wurden detailliert geplant und beschrieben und dienen einer einheitlichen Arbeitsweise (Verpflegung zu den einzelnen Mahlzeiten, Entsorgung Speisereste, Kontrolle Kühlschranktemperatur, Kontrolle Temperatur des warmen Essens, Desinfektionsplan Wohnküche, Angebot Betreuungsleistungen, Bestellprogramm Zentralküche). Der Vorgang der Ablaufoptimierung wurde mehrmals durchlaufen, um in allen Funktionsbereichen die erforderlichen Abstimmungen zu gewährleisten.

Konzeptumstellung Nachdem alle Arbeitspakete bearbeitet oder die Bearbeitung und Erledigung konkret geplant wurden, hat sich die Projektlenkungsgruppe auf den konkreten Umstellungstermin verständigt. Bei der Festsetzung dieses Termins waren die Umbau- und Einrichtungsarbeiten limitierender Faktor, da die Arbeiten analog der neuen Konzeption erst dann begonnen werden konnten, wenn die Umbau- und Einrichtungsarbeiten abgeschlossen waren. Erfahrungsgemäß kommt es bei Baumaßnahmen häufig zu Verzögerungen, die gerade in Seniorenzentren zu besonderen Beeinträchtigungen führen. Durch Staub, Lärm und Unruhe werden die Bewohner gestört. Gerade demenziell erkrankte Bewohner können dadurch sehr unruhig und gestresst werden. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Beanspruchung der Mitarbeiter. Deren Arbeit wird aber auch dadurch erschwert, dass z.B. Verkehrswege nicht genutzt werden können, technische Funktionalitäten vorübergehend nicht betrieben werden können oder aber Mehrarbeit (z.B. Reinigung) durch Bauarbeiten hervorgerufen werden. Aus diesem Grunde wurden planerisch alle Vorkehrungen getroffen, um die Umbauphase möglichst kurz zu halten. Während des Umbaus hat sich ein wöchentlicher Jour fix, in dem der Bauzeitenplan bearbeitet, der Status der Bauarbeiten festgestellt und die weiteren Arbeiten koordiniert wurden sehr bewährt. Ebenfalls bewährt hat sich die rechtzeitige und konkrete Information der Bewohner und Angehörigen. Unmittelbar nach Abschluss der Bau- und Einrichtungsarbeiten wurde zum vereinbarten Stichtag das Konzept umgestellt. Trotz detaillierter Vorplanung und Prozessabstimmung gab es in den ersten Tagen nach der Umstellung eine Vielzahl kleinerer Unklarheiten und Unstimmigkeiten. Es hat sich hier bewährt, dass die Führungskräfte in dieser Zeit eine hohe Präsenz in den Wohnbereichen gezeigt haben und schnelle Entscheidungen treffen konnten. Durch die tägliche Abstimmung im Leitungsteam wurden alle „Mängel“ sofort abgestellt. Es hat sich dabei insbesondere gezeigt, dass die Dienstzeiten einer mehrfachen Feinjustierung bedurft haben. Nach einer ersten Anpassungsphase verliefen dann die neuen Prozesse vergleichsweise schnell sehr routiniert.

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Evaluation Seit Juli 2011 ist das EGO Pilotprojekt erfolgreich abgeschlossen und die veränderte Arbeitsweise zu einem festen Bestandteil der Einrichtung geworden. Anhand eines dezidierten Beurteilungskatalogs, der sich eng an den Projektzielsetzungen orientiert, wurde eine Evaluation in der EGO Lenkungsgruppe vorgenommen. Diese Evaluation führte zu folgenden wesentlichen Ergebnissen: Die Bewohner des Seniorenzentrums Wörrstadt werden nach ganzheitlichen Gesichtspunkten versorgt, betreut und gepflegt. Es besteht eine höhere Präsenz von Mitarbeitern im Wohnbereich, die Arbeitsabläufe und -inhalte wurden ganzheitlich gestaltet. Die Personalrichtwerte werden umgesetzt. Aus Sicht der Bewohner konnte insbesondere erreicht werden:         

mehr Selbstbestimmung mehr Alltagskompetenz das Personal geht auf die Bewohnerwünsche flexibler ein mehr und dauerhafte, systematische und strukturierte Betreuung im zentralen Aufenthaltsbereich des Wohnbereichs (Wohnbereichsküche und “restlicher” Wohnbereich) mehr Leben auf dem Wohnbereich Erhalt der guten Essensqualität mehr Essensanreize Verbesserung des Ernährungszustands Erhalt und Wecken der Fähigkeiten im und für den Alltag

Auch aus Sicht der Mitarbeiter gab es positive Resultate:     

Ganzheitlich gestaltete Arbeitsinhalte und -abläufe (mit der Möglichkeit, die Wünsche der Bewohner zeitnah und flexibel erfüllen zu können) Aufbruch der Schnittstellen zwischen den Funktionsbereichen (Integration der Funktionsbereiche (inklusive der zusätzlichen Betreuungskräfte, Teambildung) breitere Arbeitsinhalte (Pflege, Verpflegung und Betreuung) Zukunftsfähigkeit, Identifikation mit der Arbeit und dem Arbeitgeber, Mitarbeiterzufriedenheit mehr Präsenz im Wohnbereich (Entlastung der Pflege)

In kurzer Zeit sind die Wohnbereichsküchen zum Mittelpunkt der Wohnbereiche geworden, indem sich die Senioren regelmäßig versammeln. Eine Bewohnerin fühlt sich zum Beispiel beim Kartoffelschälen in alte Zeiten versetzt: „Es riecht wie zu Hause, wenn wir Kartoffelsuppe gekocht haben.“ Dass das Konzept in jeder Hinsicht aufgeht, bestätigt sich in der Einrichtung täglich: „Die Mitarbeiter sind bei der Zubereitung des Frühstücks und des Abendessens dabei und verbringen so neben den eigentlichen Pflegetätigkeiten mehr Zeit mit den Bewohnern“, sagt Ina Emrich, Wohnbereichsleiterin des Wohnbereichs 1 in Wörrstadt, „sie können auf die Wünsche der Bewohner direkt eingehen, und genauso können die Bewohner Wünsche direkt äußern.“ Auch für das Arbeitsfeld der Mitarbeiter hat das Projekt enorme Vorteile: „Pflege, Küche und Sozialdienst arbeiten enger zusammen und entwickeln mehr Verständnis füreinander“, so Emrich. Auch Wohnbereichsleiterin Aloisia Mann arbeitet erfolgreich: „Bei uns hat sich eine Essensgruppe gebildet. Es gibt mehr Alltagsnormalität für die Bewohner und eine größere Auswahl bei den Mahlzeiten.“ Seite 13 von 15 Seiten

Mehr Zufriedenheit unter den Senioren stellt zudem Wohnbereichsleiterin Myriam Müller fest: „In unserer Frühstücksgruppe schmieren die Bewohner ihre Brote selbst, sie gestalten ihre Mahlzeiten nach ihren eigenen Wünschen.“ Insgesamt wird festgestellt, dass die Bewohner schon nach kurzer Zeit deutlich selbstständiger geworden sind, aktiver sind und verloren geglaubte Fähigkeiten wiederentdeckt haben. Für alle spürbar hat sich das „Klima“ im Wohnbereich positiv verändert.

Lessons learned Obwohl das Pilotprojekt im AWO Seniorenzentrum in Wörrstadt insgesamt positive Ergebnisse erzielt hat, wurden wertvolle Erkenntnisse für die Umsetzung der EGO Wohnbereichsküchenkonzeption in den übrigen Einrichtungen der AWO Rheinland gewonnen: 1. Im Vorfeld des Pilotprojektes war die Frage der Gestaltung und Einrichtung der Wohnbereichsküchen nur sehr wenig standardisiert. Es hat sich im Pilotprojekt gezeigt, dass diese Aufgabenstellung, ohne vorherige Standardisierung, enorm arbeits- und zeitaufwendig ist. Eine Vielzahl von Vorstellungen, Ideen, Vorlieben und Wünschen musste diskutiert und unter einen Hut gebracht werden. Eine Einschränkung des Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums kann die Bearbeitung dieses Arbeitspaketes wesentlich beschleunigen. Aufgrund der Erfahrungen im Pilotprojekt wurde im Projektverlauf durch die zentrale Projektgruppe eine Standardisierung vorgenommen, die in anderen Einrichtungen, die zwischenzeitlich das EGO Wohnbereichsküchenkonzept umgesetzt haben zu einer deutlichen Beschleunigung der Umsetzung geführt hat. 2. Die Arbeit der Präsenzkräfte in den Wohnbereichsküchen ist sehr anspruchsvoll. Außerdem ist der Arbeitsanfall im Tagesverlauf sehr unterschiedlich. Es hat sich gezeigt, dass die Präsenzkräfte besonders während der Mahlzeiten (hier in erster Linie während des Mittagessens) Unterstützung durch die übrigen im Dienst befindlichen Mitarbeiter aus der Pflege benötigen. Die Organisation dieser Unterstützung kann nicht in allen Fällen der Selbststeuerung der Mitarbeiter überlassen werden. 3. Die ursprünglich geplante „Öffnung“ der Wohnbereichsküchen zwischen 7 Uhr und 19 Uhr hat sich zum Teil als unnötig oder wenig sinnvoll erwiesen. Abhängig von der jeweiligen Bewohnerstruktur, deren Bedürfnissen oder Vorlieben wird die Wohnbereichsküche zwischen Mittagessen und Nachmittagskaffee kaum frequentiert. Während hier wohnbereichsspezifisch entschieden werden muss, ob die Bereithaltung der Präsenzkräfte sinnvoll ist, stellt sich in anderen Wohnbereichen die Frage, ob die Wohnbereichsküchen nicht früher am Morgen oder länger am Abend geöffnet sein sollten. 4. Die effiziente Organisation der Mahlzeiten durch die Präsenzkräfte benötigt mehr praktische Erfahrung, als zu Beginn des Pilotprojektes vermutet. Um den Mitarbeitern den „Einstieg“ zu erleichtern, müssen einerseits die Abläufe noch detaillierter beschrieben und andererseits muss durch entsprechende Dienstplanung (weniger Wechsel zwischen Präsenzdienst und Grundpflege) schneller Routine erzeugt werden. 5. Das ursprüngliche Vorhaben, beim Mittagessen konsequent das Schüsselsystem zu praktizieren, kann nicht in jedem Wohnbereich in Reinkultur umgesetzt werden. Es hat sich gezeigt, dass bei einem hohen Anteil an Bewohnern mit entsprechenden Bewegungseinschränkungen, eine Modifikation erforderlich bzw. sinnvoll ist. Hier hat sich gezeigt, dass das Essen zunächst auf dem Teller angerichtet und serviert werden sollte und erst für den Nachschlag auf das Schüsselsystem übergegangen werden kann. 6. In der Piloteinrichtung Wörrstadt haben alle Mitarbeiter, die aus der Küche oder aus der Reinigung in die Pflege gewechselt sind, im Vorfeld an einer Qualifizierungsmaßnahme im Umfang von 160 Stunden zur Vermittlung von grundpflegerischen Kenntnissen Seite 14 von 15 Seiten

teilgenommen. Der damit verbundene Personalausfall (in relativ kurzer Zeit) hat zu einer hohen Belastung der verbleibenden Mitarbeiter geführt. Außerdem hat sich gezeigt, dass den Mitarbeitern der Erwerb theoretischen Wissens leichter fällt, wenn die Pflegepraxis schon besser bekannt ist. Aus diesem Grunde wird bei künftigen Konzeptumstellungen die in der AWO Rheinland obligatorische Schulung über einen größeren Zeitraum gestreckt werden. 7. Die Erwartungshaltung, dass die Präsenzkräfte die Bewohner vor, während und zwischen den Mahlzeiten auch betreuen kann schnell zu einer Überforderung der Mitarbeiter führen. Hier hat sich gezeigt, dass die Mitarbeiter im Vorfeld auf diese Aufgabenstellung vorbereitet werden müssen. Deshalb ist es aber auch erforderlich, den Mitarbeitern konkrete Ideen und Vorschläge für die Einbeziehung der einzelnen Bewohner an die Hand zu geben, um den Bewohnern mit ihren Vorlieben, Abneigungen und vorhandener Alltagskompetenz gezielter gerecht werden zu können. 8. Der Projekterfolg hat einen zentralen Stellenwert für das Wohlbefinden der Bewohner einerseits und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter andererseits. Aus diesem Grunde wird künftig die Evaluation des Projekterfolges neben der Evaluation durch die Projektlenkungsgruppe auch um Module der Evaluation durch Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter ergänzt. Die o.g. Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt werden über die weiterhin bestehende zentrale Projektgruppe EGO in den zurzeit laufenden Umstellungsprozess eingebracht. Auch in den gegenwärtig laufenden sowie in den noch ausstehenden Umsetzungsprojekten werden weitere Erkenntnisse gewonnen werden, die über die Projektgruppe in die Einrichtungen kommuniziert werden.

Ausblick In vier Seniorenzentren des AWO Bezirksverbands Rheinland e.V. wird mittlerweile bereits nach den Prinzipien des EGO-Konzeptes gearbeitet. In weiteren fünf Einrichtungen befinden sich die Umstellungsprojekte in unterschiedlichen Projektphasen. In den verbleibenden Seniorenzentren sollen die Umsetzungsprojekte in diesem Jahr gestartet und möglichst noch vollständig abgeschlossen werden. Wir arbeiten an der weiteren Umsetzung in der Gewissheit, dadurch unserem Ziel, die Selbstständigkeit jedes einzelnen Bewohners zu erhalten und ihm weitestgehend ein selbstbestimmtes Leben zu bieten, einen weiteren Schritt näher zu kommen.

Mehr Informationen rund um die AWO Rheinland sind auch im Internet auf der Seite www.awo-rheinland.de oder bei Facebook www.facebook.com/awobezirksverbandrheinland erhältlich.

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