DAS STUDENTEN-MAGA ZIN

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APRIL 2002

Uni Jetzt neu für ¤ 0,50

BITTERE MEDIZIN ■ HINTER DEN KULISSEN: THEATER-REGISSEURE MIT DIPLOM ■ NICHTS MENSCHLICHES: STUDENTEN KONSTRUIEREN ROBOTER ■ DIE NACHT STUDIEREN: IN MADRID LOCKEN NICHT NUR DIE UNIS

www.unispiegel.de

AUSBILDUNG OHNE PRAXIS – DER WEITE WEG ZUM TRAUMJOB IN WEISS

Wer die Liebe studieren will, geht nach Frankreich. Oder vielleicht noch nach Italien. Aber ein Auslandssemester in Sachen Sex in den USA? Okay, es gibt da Julia Roberts und Nicole Kidman (für Frauen: Brad Pitt und George Clooney), doch welcher Student trifft die schon? Und dann war da noch die Sache mit dem Praktikum im Weißen Haus. Aber was für eine Staatsaffäre die aus dem bisschen Zigarrenspiel gemacht haben. Spricht nicht gerade für hochrangige Sexpertise in den Vereinigten (!?) Staaten. Und der eine Bewerber um den Posten im Oval Office – oh Gott. Al Gore küsste beim Präsidentschaftswahlkampf vor allen Leuten melodramatisch die eigene Frau. Das war’s dann wohl. Oder? Alles Tarnung. Jetzt ist es herausUni SPIEGEL 2/2002

gekommen. Die einzig verbliebene Supermacht bildet in aller Stille ihre Jungs und Mädels zu Sexbomben aus, um dann den Rest der Welt … na ja, man muss das Schlimmste fürchten. An den Elite-Unis von Harvard bis Chicago unterweisen die Amerikaner die Jugend im Gebrauch ihrer Genitalien in Kursen wie »Erotik als Macht«. Bei erfolgreicher Teilnahme gibt es vier Punkte fürs Examen. In Berkeley lief das Projekt unter dem CodeNamen »Demokratische Erziehung«, weil dabei erfahrene Studenten als Dozenten agieren dürfen – klar, nicht jeder Professor ist den Anforderungen des Sex-Unterrichts gewachsen. Aufgeflogen ist das Ganze nämlich, weil die Klasse zum abschließenden Höhepunkt einen Strip-Club für Schwule besuchte und ihre Lehrmeister dort auf offener Bühne Sex miteinander vor-

denk mal!

ILLUSTRATION: STAFANIE WUNDERLICH

SEX AND THE UNI führten. Zur Auflockerung hatten die Dozenten ihre Eleven vorher zu sich nach Hause eingeladen und dort schnell noch eine kleine Sex-Orgie veranstaltet. Nachdem die Campus-Zeitung die außerakademischen Aktivitäten genüsslich ausgebreitet hatte, gab es das übliche heuchlerische Entsetzen der Universitätsleitung nebst dem Versprechen der brutalstmöglichen Aufklärung. Von wegen. Natürlich werden sie es weiter treiben an der Sex-Front, die Amis – und sie werden dabei unsere uneingeschränkte Solidarität erleben. Wo gibt es schließlich ein ähnlich ambitioniertes Projekt an deutschen Unis? Der akademische Nachwuchs aus SchröderLand ist ja geradezu gezwungen, Sex an US-Unis zu studieren. Auch das noch, nach dem Pisa-Schock.

Michael Schmidt-Klingenberg

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leben

arbeiten

entscheiden

studieren

In den ersten Semestern sehen angehende Ärzte kaum Patienten.

STUDENTEN IN DEN OP Eine Reform soll die Medizinerausbildung praxisnäher machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Das Portal ist eindrucksvoll. Aber anfangs fehlte es in der neuen Bremer Privatuni sogar an Tischen und Stühlen.

TESTFALL PRIVATUNI Manche der vermeintlichen Eliteschmieden lösen ihre hohen Versprechungen nicht ein. In Bremen will die neue International University mit … UND: Harvard und Princeton gleichExportgut Universität / Mehr Frauen im Hörsaal . . .12 ziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

TITELBILD Natalie Khakzad, 24, studiert im 10. Semester Medizin an der Düsseldorfer Heinrich-HeineUniversität. Im Moment macht sie ein Praktikum in der gynäkologischen Abteilung des Marienhospitals in Düsseldorf. Dort entstand das UniSPIEGEL-Titelbild: Khakzad und ihr Kommilitone Sven Zweier, 30, posierten im Gips-Raum vor einer alten OP-Lampe. Zweier famuliert derzeit an der Berliner Charité im Fach Rheumatologie.

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Die erfolgreichen Theatermacher von der Uni haben schon während des Studiums selbst inszeniert und assistiert.

Mein Nutella, deine Cornflakes: Wer sich seine Mitbewohner aussuchen darf, lebt auch besser zusammen.

BÜHNE FREI! Der Run auf junge Gesichter im Theaterbetrieb hat Regisseuren, Dramaturgen und Bühnenbildnern mit akademischer Kunstausbildung glänzende Karrieren beschert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

HEIM SWEET HEIM Wohnen im Studentenheim ist eine Weltanschauung. Wer Gemeinschaft sucht, findet Angebote vom Bauernhof bis zur Hochhaus-Wabe . . . . . . 22 CONTAINER-LIEBE Münchner Studis haben sich mit den Behelfsbleiben im Englischen Garten angefreundet . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 NICHT BLOSS BEATS Star-DJ Michael Sauer studiert seit 30 Semestern – mit Vergnügen . . . . . . . . . . . . 26 COMIC »Gute Zeiten, Uni-Zeiten« von ©TOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 … UND: Lyrik im E-Mail-Abo / Korrekt jobben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 Uni SPIEGEL 2/2002

TITELFOTO: MEYER-KAHLEN / SCHÄFER; FOTOS: STEPHAN ELLERINGMANN / BILDERBERG; WILFRIED BAUER; MARC LATZEL / LOOKAT,

In diese

surfen

studieren ausland

streiten

forschen

KARSTEN THIELKER; ROBERT BREMBECK; STEFAN BONESS / IPON; MOUNTSERRAT VELANDO / CONTACTO; FRANK BOXLER

m Heft: An der Karlsruher Uni lernen Ingenieurstudenten den Weg von der ersten Skizze bis zum fertigen Produkt.

Die Demos für die Berliner Uniklinik Im Kunststudium selbst Künstler Benjamin Franklin haben geholfen: sein – Madrid macht’s möglich. Über die Zukunft der Medizin-Fakultät wird erneut nachgedacht.

Studium am heimischen PC: Was einfach klingt, erfordert oft mehr Zeit als ein Seminar im Hörsaal.

ROBOTEN FÜRS LEBEN Angehende Maschinenbauer simulieren im Projektkurs das wahre Leben: Sie bauen einen Roboter, der aussieht wie ein Mensch, und vermarkten ihn dann – an ihren Professor. Dafür tüfteln sie monatelang . . . . . . . . . . . . . . 32

NIVEAU HALTEN, MILLIONEN EINSPAREN Beim SPIEGEL-Forum diskutieren Vertreter der Berliner Unikliniken, der Politik und der Studenten, wie in der Hochschulmedizin der Hauptstadt rund 100 Millionen Euro gespart werden sollen, ohne dass Forschung und Ausbildung leiden. Im Gespräch sind Privatisierung und Studiengebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . .36

DER CAMPUS IM NETZ Wer online studieren will, braucht Disziplin und Mut zum Risiko. Niemand weiß, was die Abschlüsse aus dem Netz wert sein werden . . . . 46

EIN MOLOCH ZUM LIEBEN An der Madrider Complutense studieren mehr als 100 000 Akademiker, die spanischen Nächte dauern bis zum nächsten Morgen. Doch bis in die Hörsäle ist die große Freiheit noch nicht vorgedrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40

… UND: Protest-Mails an Abgeordnete / Totgeschwiegene Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . 48

WIE GEHT’S? Der Hamburger Geografiestudent Pascal Schichor surft in Südafrika. Wenn Flaute ist, filmt er fürs Internet . . . . . 50 Uni SPIEGEL 2/2002

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AUF DER SUCHE NACH DEM PATIEN DEN MEDIZINSTUDENTEN FEHLT DIE PRAXIS. AUCH DIE GEPLANTE REFORM DER AUSBILDUNG LÄSST NICHT AUF BESSERUNG HOFFEN.

Der Mensch, an dem Medizinstudenten an deutschen Hochschulen ihre ersten Fachkenntnisse erwerben, ist in der Regel tot und riecht nach Formalin. Im Präparierkurs an den anatomischen Instituten zerlegen angehende Ärzte den menschlichen Körper mit Skalpell und Pinzette in seine Elemente, und am Ende können sie den Namen eines jeden Muskels aufsagen, wissen, wo er am Kno-

chen seinen Ursprung hat und welcher Nerv ihn in Aktion versetzt. Der PräpKurs, erklärt der Berliner Anatomieprofessor Gottfried Bogusch, »ist die erste ganz große Hürde im Medizinstudium«. Die zweite ist das Physikum. In der »Ärztlichen Vorprüfung« nach dem vierten Semester wird in einem MultipleChoice-Marathon geballtes Wissen in Chemie, Physik, Biochemie, Anatomie und Physiologie abgefragt. Erst wer das Physikum hinter sich gebracht hat, trifft

in den klinischen Semestern hin und wieder auf den eigentlichen Gegenstand seines Fachs: den Patienten. Das Studium der Humanmedizin ist eins der aufwendigsten Fächer an deutschen Universitäten. In kaum einer anderen Disziplin müssen ähnlich viele Prüfungen abgelegt werden, in fast keinem dauert es so lange, bis der Beruf tatsächlich ausgeübt werden kann. Denn nach Physikum, »praktischem Jahr« (PJ) und drei Staatsprüfungen müssen junge Medizi-

Angehende Mediziner im neuen Anatomiesaal der Berliner Charité: Erst nach Jahren Kontakt mit lebendigen Menschen

TEN ner noch eine zweijährige Tätigkeit als »Arzt im Praktikum« (AiP) absolvieren, gefolgt von einer Ausbildung zum Facharzt, die mindestens vier weitere Jahre dauert. Eine wirkliche Vorbereitung auf den Beruf findet indes meist erst in der PJ-Zeit statt, wenn die Nachwuchsärzte den Klinikalltag kennen lernen und täglich mit kranken Menschen zu tun haben. Vorher ist der angehende Arzt ganze drei Monate in Krankenhäusern und Arzt-

praxen zu »Famulaturen« – und ob er da etwas lernt, hängt sehr von den jeweiligen Ärzten ab. Praxisfern, realitätsfremd und vollgestopft mit unwichtigem Nischenwissen sei die Medizinerausbildung, stöhnen denn auch viele Studenten und junge Ärzte. Zum Studienfrust kommen noch Diskussionen um unzumutbare Arbeitszeiten, um Ausbeutung junger Mediziner durch arrogante Chefärzte im hierarchischen Kliniksystem, um Nie-

derlassungsbeschränkungen und Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen. Als Halbgott in Weiß treten die Ärzte nur noch in TV-Serien auf, auch wenn sie weiterhin ganz oben auf der PrestigeSkala rangieren – Ärzte genießen vor Pfarrern und Hochschulprofessoren das höchste Ansehen in der Bevölkerung. Wer sich heute als junger Mensch zum Mediziner berufen fühlt, weiß in der Regel, dass zwischen ihm und der ersehnten Oberarztstelle oder der eigenen Pra-

Ausbildungslabor an der Universität Witten-Herdecke, Studentin Arfsten (r.): »Ganz konkrete Fallbeispiele«

ALLE FOTOS: STEPHAN ELLERINGMANN / BILDERBERG

studieren 7

studieren

xis ein rigide strukturiertes Studium und viele Jahre harte und vergleichsweise schlecht bezahlte Arbeit liegen. Das Studienfach ist dennoch gefragt. Knapp 20 000 Bewerbungen zählte die ZVS zum vergangenen Wintersemester, 8000 Studienplätze waren zu vergeben. Doch mehr und mehr Studienabsolventen, beobachtet der Hamburger Radiologe Frank Ulrich Montgomery, sehen sich beizeiten nach alternativen Berufsfeldern um oder wandern ab nach England und Skandinavien, wo die Arbeitszeiten angenehmer sind. »Seit etwa zehn Jahren gibt es da eine ganz dramatische Entwicklung«, sagt Montgomery, der außerdem Chef der Hamburger Ärztekammer und der Klinikärztegewerkschaft »Marburger Bund« ist. Nach der Ärzteschwemme der achtziger Jahre, glaubt Montgomery, drohe nun eher ein Mangel an Heilkundigen. Für Simon Gröschke, 22, steht die Berufsentscheidung noch lange nicht an. Auf dem Weg zum klinischen Abschnitt hat er immerhin schon mal den Präparierkurs hinter sich gelassen. Gröschke studiert an der Berliner Humboldt-Universität und hat sein zweites Semester vorwiegend in Deutschlands modernstem Präp-Saal verbracht. Über den Präpariertischen aus Edelstahl hängen seit der Renovierung vor rund einem Jahr Filteranlagen, die etwas von dem stechenden Geruch des Formalins schlucken, einer Formaldehyd-Lösung, mit der die Leichen konserviert werden. Die neuen Räume sind so gut klimatisiert, dass der Anatomiekurs an der Charité jetzt auch im Sommersemester stattfinden kann. Die meisten Unis muten ihren Studenten den Formalindunst nur in den kühlen Wintermonaten zu. »Als am Anfang die weißen Tücher von den Leichen genommen wurden, war mir schon ein bisschen komisch«, erinnert sich Gröschke, »aber man gewöhnt sich eigentlich sehr schnell an den Anblick.« Dass sie den Aufbau des menschlichen Körpers bis ins kleinste Detail durchdringen müssen, so glaubt Anatom Bogusch, sehen die ange-

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Wittener Studenten bei der Ausbildung im Klinikum Wuppertal: Die Diagnose steht meist nicht

henden Ärzte meist ein, auch wenn sie ein Semester lang zu kaum etwas anderem kommen. »Bei Grundlagenfächern wie Chemie oder Physik fragen die sich schon eher, warum sie das jetzt so genau lernen müssen.« Den Studenten erschließt sich oft erst nach Jahren, was die PhysikVorlesung von damals mit Medizin zu tun hatte. »Wenn ich im ersten Semester was über optische Brechung lerne und im zehnten Semester kommt die Augenheilkunde«, kritisiert Medizinstudentin Tina Schweickert, »dann habe ich das doch längst wieder vergessen.« Schweickert, 24, studiert im achten Semester an der TU München. Zur Zeit verbringt sie ein Gastsemester im niederländischen Maastricht – Student Goertz beim Legen eines Katheters und sieht, dass es auch ganz anders Üben, was man am Modell gelernt hat geht. »Hier lernen die Studenten mühsam verknüpft werden. In Deutschvom ersten Semester an, Gespräche mit land war die private Uni Witten-HerPatienten zu führen«, erzählt die Deutdecke 1983 die erste – und bis Ende der sche, »die haben viel mehr Selbstverneunziger Jahre die einzige – Hochtrauen als wir, wenn sie im fünften Seschule, die eine reformierte Ausbildung mester den ersten Kranken sehen.« Und anbot. an den Kliniken »ist sich kein Arzt zu Auch in Witten wissen die Studenten fein dafür, einem Studenten etwas beinach ein paar Semestern, wie ein Knozubringen«. chen unter dem Mikroskop aussieht Die Medizinerausbildung in Maastricht und wie die Enzyme des Leberstoffsetzt auf »Problemorientiertes Lernen« wechsels heißen. Sie wissen aber außer(Pol), ein praxisnahes Lernmodell, das dem, dass man einem aufgeregten Patiallmählich auch an deutschen Unis poenten nicht mit lateinischen Fachbepulär wird. Grundlagen und klinische zeichnungen kommen sollte und dass Anwendung werden dabei von Anfang die Diagnose meist auch nicht auf der an miteinander verzahnt und müssen Stirn des Kranken zu lesen ist. Gelernt nicht erst nach Jahren des Studiums Uni SPIEGEL 2/2002

auf der Stirn des Patienten

Zukünftiger Kinderarzt Othmer Stethoskop mit Tigerente

haben sie das dann – relativ selbständig – in den Pol-Kursen. »Bei Pol erarbeiten wir den Stoff anhand konkreter Fallbeispiele«, erklärt Julia Arfsten, 23, die im fünften Semester in Witten studiert. Etwa an der Patientin Anni König, einer fiktiven Person, von der nur die Krankheitssymptome bekannt sind. Die 76Jährige ist, so die Beschreibung, auf die Hüfte gestürzt und wird mit starken Schmerzen in die Klinik eingeliefert. In kleinen Gruppen legen die Studenten selbst fest, was sie aus dem Fall lernen können. Wenn sie sich auf die nahe liegende Diagnose »Oberschenkelhalsbruch« geeinigt haben, stecken sie, unUni SPIEGEL 2/2002

terstützt von einem Dozenten, die Lernziele ab. Anatomie: Aufbau von Oberschenkelknochen und Hüftgelenk; Physiologie: die Knochenheilung; Pharmakologie: geeignete Schmerzmittel für die Patientin; Biochemie: der Knochenstoffwechsel. Anders als beim unreformierten Medizinstudium, wo streng nach Curriculum in einem Semester die Biochemie durchgekaut wird und in einem anderen die Pharmakologie, muss man bei diesem Lernen auch mal Lücken lassen. Doch dafür trainieren die Wittener Studenten den Blick auf den ganzen Menschen. »Wer bei uns studiert, bekommt von Anfang an ein sehr klares Bild von der Praxis«, glaubt Wilhelm Vermaasen, als Studiendekan für die Ausbildung verantwortlich. So wird zu Beginn der Ausbildung jeder Student von einem niedergelassenen Arzt aus der Region »adoptiert« und arbeitet jedes Jahr ein paar Wochen in dessen Praxis mit – das schult den Umgang mit den Patienten und sensibilisiert für die Alltagsprobleme des Arztberufs: Ärger mit den Krankenkassen etwa. »In der Medizin geht es nun mal nicht zu wie in einer Arztserie im Fernsehen«, sagt Florian Kipfmüller, 22, Student im fünften Semester, »zum Glück kriegen wir das nicht erst nach sechs Jahren Studium mit.« Physikum und erstes Staatsexamen entfallen für die Wittener Studenten dank einer Modellversuchsklausel in der Approbationsordnung. Bis 1999 mussten sie sich trotz reformierter Ausbildung den zentralen Prüfungen stellen und wie

ihre Kommilitonen an den Staatsunis die Bücher aus der berüchtigten »Schwarzen Reihe« durchackern, die Sammlungen der Multiple-Choice-Fragen aus früheren Examen. Jetzt gibt es in Witten die OSCE-Prüfungen. OSCE steht für »Objective Structured Clinical Examination« und bedeutet, dass die Studenten an einem Simulationspatienten, einem Schauspieler oder einem Kommilitonen, zeigen müssen, wie sie über Gespräche und Untersuchungen eine Diagnose stellen würden. Die Prüfer testen dabei Fachwissen und Geschick bei der Untersuchung, sie achten aber auch darauf, ob der Student sich dem »Kranken« vorstellt und ob er sein Stethoskop anwärmt, ehe er es dem Patienten auf die Haut presst. Echte Patienten lernen die Reformstudenten vom zweiten Jahr an in den Klinikblöcken kennen. Auf den Stationen sind sie meist gern gesehene Gäste. »Das sind schon besondere Studenten«, findet Stephan Roth, Chef der urologischen Klinik in Wuppertal. Die fünf Achtsemester, die gerade bei den Urologen mitlaufen, sind bei den Stationsbesprechungen und Visiten dabei, sie dürfen Patienten untersuchen und mit in den OP. »Wer hat noch keinen Katheter gelegt?«, fragt die Assistenzärztin in die Runde grünbekittelter Nachwuchsärzte, und dann kann Student Ole Goertz, 27, am Patienten üben, was ihm der Oberarzt im Seminar am Modell beigebracht hat. Weil in Witten pro Jahr nur 42 handverlesene Studenten anfangen, die für

WEGE ZUR HEILKUNST Zulassung an den staatlichen Universitäten: Bewerbung an die ZVS, Zulassungsbedingungen unter www.zvs.de Privatuni Witten/Herdecke: Die 42 Plätze werden nach einem Uni-eigenen Auswahlverfahren vergeben. Näheres unter: www.uni-wh.de/applicants/ Bücher: Hans-Joachim Anders: »Erfolgreich Medizin studieren«. Thieme Verlag, Stuttgart; 14,95 Euro. Detlev E. Gagel, Thomas Peters und Siegfried J. Hoge: »Studienführer Medizin«. Lexika Verlag, Würzburg; 16 Euro. Studienreform: Studentischer Protest gegen die geplante Änderung der Approbationsordnung: www.hammerexamen.de

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sen«, schimpft Axel Othmer, ihre Ausbildung insgesamt 30. Als Zivi und später etwa 15 000 Euro hinblättern während seines Studiums an müssen, sind die Bedingungen der Universität Hamburg hat kaum vergleichbar mit dem Othmer in einer Klinik im Massenbetrieb der StaatsStadtteil Altona gejobbt – als Unis. Doch auch dort geht Pfleger in der Aufnahmestatider Trend zur modernen Lehon. »Da habe ich bestimmt die re. So bietet die Berliner HumHälfte von dem gelernt, was boldt-Universität für einen ich als Arzt wirklich brauche.« Teil ihrer Medizinstudenten Die vorklinischen Semester, einen Modellstudiengang an erinnert sich der junge Kin(UniSPIEGEL 3/2000), in Hamderarzt, waren so langweilig, burg und Bochum sollen Redass er ohne den Job im Kranformstudiengänge entstehen, kenhaus wohl alles hingeauch in München, Dresden, schmissen hätte. Zur Pädiatrie Heidelberg, Münster und kam er, weil er in seiner PJ-Zeit Lübeck haben die Mediziner eher zufällig in der KinderTeile der Ausbildung neu gechirurgie landete: »Das war staltet. ein richtiges Aha-Erlebnis«, erEine grundlegende Studienreinnert er sich, »da wusste ich, form lässt dagegen seit Jahren was ich machen will.« auf sich warten. Der damaliJetzt trägt Othmer ein Stethoge Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) schei- Zweitsemester Gröschke: Den Körper bis ins letzte Detail kennen lernen skop um den Hals, das er mit gelbem Klebeband umwickelt terte 1997 mit seinen Vorhat, damit es nach Tigerente aussieht, schlägen am Widerstand der Univernicht will, muss an der Lehre nichts verund hat meistens Spaß an seinem Job. sitäten. Jetzt hat seine Amtsnachfolgerin ändern.« »Kinderärzte sind oft anders drauf als der Ulla Schmidt den Gesetzentwurf wieder Wahrscheinlich müssen die Studenten Rest der Ärzteschaft«, glaubt er, »die Kinhervorgeholt. auch weiterhin selbst sehen, wie sie sich der interessiert es nämlich nicht, ob jeNoch in diesem Jahr, verkündet die Somöglichst viel Einblick in die Praxis vermand Chefarzt ist, damit kann man die zialdemokratin, soll alles anders werschaffen. Zum Beispiel, indem sie zur schlecht beeindrucken.« Auf ein wichtiden. Neben der engeren Verzahnung von Famulatur nicht an die großen Unikliges Symbol ärztlicher Unfehlbarkeit Theorie und Praxis sieht das neue Moniken strömen, wo das gestresste Persomuss Othmer ohnehin verzichten: Zur dell vor, dass statt mehrerer Staatsexnal oft keine Zeit hat und die Famuli vier weißen Arzthose trägt er ein rotes Hemd, amina eine einzige große Prüfung nach Wochen lang im OP Haken halten. denn vor adretten weißen Kitteln haben dem PJ abgenommen wird, die alles bis »Man kann jahrelang Medizin studieseine Patienten Angst. dahin Gelernte abdeckt. Die stärkere Praren, ohne je einen Patienten anzufasJULIA KOCH xis-Gewichtung soll das AiP überflüssig machen. LANGER ANLAUF Aufbau des Medizinstudiums Doch die Studenten laufen Sturm geGELTENDE MODELLVERSUCH KÜNFTIGE gen die Pläne. Das »HammerexaAPPROBATIONSORDNUNG WITTEN/HERDECKE APPROBATIONSORDNUNG men« nach dem PJ sei kaum zu schaffen, protestieren sie – 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre während des Praktischen Vorklinisches Studium Vorklinisches Studium Vorklinisches Studium Jahrs sei man viel zu 1 Jahr Physikum Physikum sehr in die Patientenver(Ärztliche Vorprüfung) klinisches Studium (Ärztliche Vorprüfung) sorgung eingebunden, OSCE-Prüfungen mit 1 Jahr 3 Jahre Simulationspatienten um sich ausreichend auf Klinisches Studium Klinisches Studium die Prüfung vorbereiten 2 Jahre Erste Staatsprüfung (Erste und zweite Staatszu können. »Der EntKlinisches Studium prüfung entfallen, statt2 Jahre praxisnah, Kontakt mit dessen Fachprüfungen wurf lässt außerdem zu Klinisches Studium Klinik-Patienten, zweite durch die Hochschulviel Spielraum in der Zweite Staatsprüfung Staatsprüfung lehrer) Umsetzung«, kritisiert 1 Jahr 1 Jahr 1 Jahr die Münchner Studentin Praktisches Jahr (PJ) Praktisches Jahr Praktisches Jahr Tina Schweickert, die Dritte Staatsprüfung Dritte Staatsprüfung Großes Staatsexamen sich nebenbei in der 1,5 Jahre 1,5 Jahre AiP entfällt bundesweiten FachArzt im Praktikum (AiP) Arzt im Praktikum schaftsvereinigung Mevorläufige Approbation dizin engagiert: »Wer

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Giseh-Pyramiden in Ägypten

DIE WÜSTE LERNT

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genieur- und Medienberufe erlernen. Gefördert werden die Projekte unter anderem vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).Zehn Millionen Euro gibt es zunächst als Starthilfe im Rahmen des Programms »Export deutscher Studienangebote«. Der Markt ist heiß umkämpft: Zeitgleich mit der Uni Heidelberg eröffnet die USEliteschmiede Harvard eine Filiale in Chile, und auch die TU München muss sich in Singapur gegen die nicht minder große Konkurrenz des Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT) behaupten.

Computer-Simulation (an der Uni Stuttgart)

FRAU DOKTOR UND DAS LIEBE VIEH

WILFRIED BAUER

studieren

Mehr als 30 Universitäten und Fachhochschulen werden in diesem Jahr Zweigstellen im Ausland eröffnen, um ausländischen Studenten deutsche Studiengänge vor Ort zu präsentieren. Vor allem Lateinamerika, Asien und Afrika haben die Bildungsstrategen ins Visier genommen. Das Spektrum reicht vom Aufbau von Summer Schools bis hin zu ganzen Universitätsneugründungen. Größtes Projekt ist die »German University in Cairo« der Universitäten Ulm und Stuttgart. Nach der Eröffnung im September sollen bis zu 5000 Studenten nach schwäbischen Standards In-

Jeder zweite Informatikstudent in Deutschland bricht sein Studium ab. An den Universitäten liegt die Abbrecherquote sogar bei knapp 70 Prozent, wie der IT-Branchenverband Bitkom ermittelte. An den Fachhochschulen und Berufsakademien bringen es immerhin 60 Prozent der Studierenden zum Abschluss. »Wir fürchten, dass die Abbrecherzahlen noch ansteigen«, warnt Bitkom-Bildungsexperte Stephan Pfisterer. Wegen der starken Nachfrage nach IT-Fachkräften interessieren sich zwar besonders viele Abiturienten für ein Informatikstudium, doch die Hochschulen können den Andrang kaum bewältigen. »Mit 500 Erstsemestern im Hörsaal zu sitzen, kann sehr frustrierend sein«, glaubt Pfisterer. Und wer nicht vor dem Gedränge bei Studienbeginn flieht, wird oftmals mitten im Studium von Unternehmen abgeworben. Trotz lockender Angebote warnt Pfisterer jedoch vor dieser Form des Studienabbruchs: »Für den Job-Einstieg mag das noch gehen, aber beim ersten Wechsel wird nach dem Abschluss gefragt.« KARSTEN SCHÖNE / ZEITENSPIEGEL

TORSTEN SILZ / DPA

ABBRUCH ODER AUFBRUCH ?

Tiermedizinstudentinnen (in Hannover)

Der Frauenanteil ist in allen Hochschulen gestiegen. Im Jahr 1980 waren 41 Prozent der Studienanfänger weiblich, Ende der neunziger Jahre waren es knapp die Hälfte (49 Prozent). Doch nach dem ersten Studienabschluss bleibt die Uni eine Männerdomäne: Noch immer promovieren und habilitieren weitaus mehr Akademiker als Akademikerinnen. Der Anteil der Frauen mit Doktorhut

nahm allerdings in den letzten 20 Jahren zu, von 20 auf immerhin 33 Prozent. Auch bei den Habilitationen holen die Frauen auf: Die Quote stieg von 4 auf 15 Prozent. Das am stärksten weiblich dominierte Fach ist die Tiermedizin: Dort sind 85 Prozent der Studienanfänger Frauen. Der geringste Frauenanteil findet sich noch immer in den Ingenieurwissenschaften (24 Prozent).

Uni SPIEGEL 2/2002

BREMEN STATT BOSTON Die Soldaten sind abgezogen, jetzt sind die Elitestudenten angetreten. Über 30 Hektar erstreckt sich der Campus der neuen International University Bremen (IUB) auf einem ehemaligen Bundeswehr-Gelände weit im Norden der Hansestadt. Hinter dem früheren Kasernentor beginnt ein Campus wie in den USA: rote Backsteinbauten zwischen akkurat geschnittenen Grünflächen. Selbst bei strahlendem Sonnenschein lümmelt sich niemand in den Holzliegestühlen auf dem alten Exerzierplatz. Ein Seminar einfach ausfallen lassen – das gibt’s hier nicht, das fällt sofort auf. Die Anforderungen sind so hoch, dass man schnell durch eine Prüfung fallen könnte. In der »East Hall«, in »Room 8«, sitzt rund ein Dutzend Studierende hinter ihren Mikroskopen. Zwei Biologieprofessoren kümmern sich um sie, einer setzt vorn Lösungen an, der andere geht durch die Reihen, hört zu, fragt, klärt – alles auf Englisch. »Quite exciting« findet Marisano James aus San José in Kalifornien das alles – die Betreuung, die Fächer, die multikulturelle Atmosphäre. Darum ist er nach Bremen gegangen und nicht nach Boston. Hier kann er Bioinformatik studieren und zugleich Kurse in Psychologie belegen. An der IUB heißt das »Transdisziplinarität«, der Austausch zwischen Ingenieur- und Naturwissenschaften einerseits und Geistes- und Kulturwissenschaften andererseits. »Ein einzigartiges Konzept in Deutschland«, sagt Fritz Schaumann, Präsident der IUB. 350 Studenten haben sich im ersten Jahr beworben – auf nichts mehr als eine Idee, die erst noch den Realitätstest bestehen muss. Gut ein Drittel kam durch das strenge Auswahlverfahren. Die Pioniere der IUB stammen aus über 40 Nationen, aus Bulgarien, Kenia, Thailand oder aus Deutschland, wie der Stu-

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WILFRIED BAUER

EINE NEUE STUDIE ZEIGT: NICHT ALLE PRIVATUNIS SIND IHR GELD WERT. DIE NEUE INTERNATIONAL UNIVERSITY BREMEN MUSS NOCH DEN REALITÄTSTEST BESTEHEN.

Kalifornischer Student James, Professor Alexander Lerchl an der IUB: »Quite exciting«

dent Robert Eckhoff, 21, der in Bremen nur ein paar Straßen von der Hochschule entfernt lebte. Trotzdem wohnt der Student der »Integrated Social Sciences« – einem Mix aus Politik-, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften mit Soziologie – jetzt wie alle anderen Kommilitonen in den rot geklinkerten Bauten auf dem Campus, »das spart lange Wege und eine Menge Zeit«, sagt Eckhoff – Zeit, die er zum Lernen braucht. Manchmal aber auch zum Feiern im College. Erst neulich hat sich jemand über Partylärm beschwert und darum gebeten, die Seminarräume auch nachts zu öffnen, damit

BUCHTIPP: Hans-Martin Barthold: Die Alternative: Privat studieren. Societäts-Verlag, Frankfurt/M.; 328 Seiten; 14,80 Euro. Studie des Stifterverbands: Auf der Homepage www.stifterverband.org kann man die Studie unter der Rubrik Presse herunterladen (Pressemitteilung Nr. 125 vom 11. Januar 2002).

man dort in Ruhe weiterlernen könne. Zu Studienbeginn erhält jeder IUB-Student einen Laptop, mit dem er sich auf dem Campus überall per Funk ins Internet einwählen kann. Auf einen Professor kommen zurzeit gerade mal vier Studenten, auch später sollen es nicht mehr als zwölf sein. Die Seminarräume sind hell und mit neuester Technik ausgestattet. Wenige Kilometer südlich, an der staatlichen Uni Bremen, herrscht dagegen die pure Beton-Architektur, die Hörsäle sind übervoll, die Fenster schließen nicht richtig. Trotzdem hat das hoch verschuldete Bundesland Bremen mit rund 107 Millionen Euro die private Anstalt gefördert, statt die landeseigene Uni zu modernisieren. Manche der IUB-Pioniere waren dennoch nicht gleich begeistert: Anfangs hätte die Heizung nicht funktioniert, angekündigte Kurse wären ausgefallen. Es fehlten zunächst auch Tische, Stühle, Bücher, und in einer Veranstaltung saßen 70 Studenten – ziemlich erstaunlich für eine private Hochschule mit 15 000 Euro Studiengebühren im Jahr. Uni SPIEGEL 2/2002

WILFRIED BAUER ANDREAS VARNHORN

Top-Hochschule Oestrich-Winkel Probleme für Schnösel

Inzwischen funktioniert die Heizung, doch dort, wo mal die Bibliothek stehen soll, klafft immer noch ein Baggerloch. Erst Ende nächsten Jahres wird das angekündigte »Information Resource Center« stehen. Die Mensa im ehemaligen Offizierskasino verströmt noch echten Bundeswehr-Charme. Uni SPIEGEL 2/2002

Bremen ist eine der jüngsten von 44 privaten Hochschulen in Deutschland. Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich ihre Zahl verdreifacht. Mit der Masse ist die Vielfalt, doch nicht unbedingt die Qualität gestiegen. Es gibt kommerzielle und kirchliche Hochschulen, Lehranstalten mit einem breiten Fächerspektrum und mit nur einem Studienfach, einige mit nicht einmal 100 Studierenden und manche mit über 1000, für Abiturienten wie für Berufstätige. Heute kann man rund 100 verschiedene Studiengänge an privaten Hochschulen belegen – von Kunst, Musik und Architektur über Internationales Management, Chemie, Informatik oder Sucht-Therapie bis zu Jüdischer Religionspädagogik. Fast drei Viertel aller Privatstudenten schreiben sich allerdings für ein wirtschaftswissenschaftliches Fach ein, viele Hochschulen, darunter die beiden renommierten Business-Schools in Oestrich-Winkel und Vallendar, bestehen nur aus einem einzigen Fachbereich und verstehen sich vornehmlich als Kaderschmiede für den internationalen Führungsnachwuchs. An anderen freien Hochschulen, wie etwa in Witten-Herdecke, spielt die Persönlichkeitsbildung eine größere Rolle. Insgesamt sind mehr als 25 000 Studierende an privaten Hochschulen eingeschrieben, das sind zwar nur knapp 1,5 Prozent aller Studierenden in Deutschland, doch ihre Zahl steigt. »An den meisten Privatunis in Deutschland lohnt sich die Investition in ein

entscheiden

Bremer Campus auf ehemaligem Kasernengelände: Keine Zeit zum Rumlümmeln

Studium«, sagt Hans Weiler, emeritierter Professor an der kalifornischen Uni Stanford. Aber eben nicht an allen, wie kürzlich eine Expertenjury des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft unter seinem Vorsitz ermittelte. Was viel Geld kostet, ist nicht automatisch gut, stellte der Stifterverband in seiner Studie fest: Ein Vertreter der Handelshochschule Leipzig etwa prahlte mit 50 und mehr Forschungsschwerpunkten, musste auf Nachfrage aber kleinlaut einräumen, dass diese Zahlen unter Marketing-Aspekten entstanden seien, Privatunis müssten sich doch verkaufen. Solche »Luftnummern« hat Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband reihenweise ausgemacht: »Manche Hochschule präsentierte sich längst nicht so professionell, wie sie es von ihren Studenten erwartet.« Außerfachliche Angebote zur Persönlichkeitsbildung etwa, sind oft nur beliebig zusammengewürfelt und weder verbindlich noch mit dem Fachstudium vernetzt. Kritisiert werden auch irreführende Namen, fehlende Evaluierungen und undurchsichtige Auswahlverfahren. So werden an der Kassel International Management School (Kims) Studenten für die MBA-Studiengänge (Master of Business Administration) von den Unternehmen ausgewählt, die zugleich

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DIETHARD SCHÄFFTER

Sponsoren der Hochschule sind. Solche Hochschulen seien eher »Dienstleister für Unternehmen« als akademische Lehranstalt, sagt Meyer-Guckel. Die German International Graduate School of Management and Administration (Gisma) in Hannover wurde gar als »unoriginelle Kopie eines amerikanischen Studienkonzepts« bezeichnet, für das US-Profs eingeflogen würden. Zudem ist die Finanzierung unsicher. Andere Privathochschulen sind schon ganz vom Markt verschwunden. Die Akademien der amerikanischen Apollo Group in Köln und Düsseldorf etwa scheiterten bereits kurz nach der Gründung. Im Frühjahr schließt die amerikanische University of Maryland ihren Ableger in Schwäbisch Gmünd, weil sie nur rote Zahlen erwirtschaftet hat. Dieses College wurde vor zehn Jahren ähnlich euphorisch begrüßt wie jetzt die IU Bremen, und beruhte auf einem vergleichbaren Konzept, mit breitem

Diplomfeier an der EBS Abschluss mit Job-Garantie

Fächerangebot und internationaler Studentenschaft. IUB-Präsident Fritz Schaumann glaubt nicht, dass seiner Uni eine ähnlich ruhmlose Zukunft blüht: Immerhin habe auch der Stifterverband die Bremer für ihr Fächerkonzept, ihren transdisziplinären Ansatz und ihre Qualitätssicherung gelobt. Ziel sei, so Schaumann, »in den nächsten 20 Jahren zu den weltweit besten Hochschulen zu zählen«. Was die IUB noch beweisen muss, macht an anderen privaten Hochschulen längst den guten Ruf aus. Beim SPIEGEL-Hochschulranking vor drei Jahren landeten für das Fach Wirtschaftswissenschaften unter den ersten sechs gleich fünf Hochschulen mit staatlicher Anerkennung, aber freier Trägerschaft: Die EBS in Oestrich-Winkel, die WHU in Vallendar, die Uni Witten-Herdecke, die katholiUni SPIEGEL 2/2002

sche Uni Eichstätt und die Handelshochschule Leipzig. Studenten schwärmen von den Bedingungen dort. An den meisten Privatunis dürfen zudem die Studenten jedes Semester die Qualität der Lehre bewerten, was durchaus personelle Konsequenzen haben kann. An der vom Stifterverband kritisierten Handelshochschule Leipzig müssen sich die Dozenten ihr »Zeugnis« jedenfalls an die Tür hängen. Doch nicht nur die Lehrenden stehen unter besonderem Leistungsdruck, auch von den Studenten wird mehr verlangt. Marisano James stöhnt über die vielen Kurse, die er an der IUB belegen muss, oft lerne er bis in die Nacht hinein. Das erklärt, warum an Privatunis die Bibliotheken oft rund um die Uhr geöffnet sind. Trotzdem bricht kaum ein Student sein Studium ab. Wer die harten Eignungstests zu Studienbeginn bestanden hat, gibt nicht so schnell auf. So schließen viele Absolventen bereits nach drei, spätestens nach vier Jahren ihr Studium mit einem Bachelor oder Master ab. Ein Abschluss mit Job-Garantie, zumindest bei den etablierten Hochschulen. Tobias Metten, 25, hat vor einem halben Jahr sein EBS-Diplom erhalten. »Die Arbeitslosenquote unter den Absolventen ist gleich null«, lobt er. Ein Dutzend Unternehmen hatte sich für ihn interessiert, ohne dass er sich bei ihnen beworben hat. Jetzt wird er Vorstandsassistent bei der Duisburger Hafen AG. Nicht unbedingt der klassische Einstieg für einen EBSler, die meisten gehen in Unternehmensberatungen oder werden Investmentbanker. »Die wissen, was dort gelehrt wird, und was sie von den Absolventen erwarten können«, sagt Angelika Fuchs von Westerwelle Consulting, die Unternehmen bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften berät. »Deshalb haben die Absolventen privater Hochschulen oft einen leichteren Berufseinstieg.« Was nicht heißt, dass sie im Job auch besser sind als ihre Kollegen mit staatlichem Diplom. Arbeitgeber, weiß Fuchs, nehmen trotz aller Kritik gern auch Absolventen der großen BWL-Fakultäten in Mannheim, Münster oder Köln. Manche Unternehmen reagierten mittlerweile sogar allergisch auf den Zusatz »privat«, ihnen seien die Absolventen schlicht zu »schnöselig«. MARION SCHMIDT Uni SPIEGEL 2/2002

»REICH UND BERÜHMT« KARRIERE HINTER DER BÜHNE: AUCH EINIGE UNI-STUDIENGÄNGE BRINGEN INZWISCHEN ERFOLGREICHE THEATERMACHER HERVOR.

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piranten um die sieben Plätze des kommenden Wintersemesters am Regieinstitut. Und das, obwohl Regie kein klassisch akademisches Ausbildungsfach ist. Bis 1959 wurde es in Deutschland gar nicht an Hochschulen unterrichtet. Zumindest von den älteren praktizierenden Regisseuren haben die meisten das Handwerk am Theater gelernt oder als Quereinsteiger die Karriere begonnen. Inzwischen kann man Schauspielregie an zehn deutschen Universitäten, Hochschulen oder Akademien studieren. Dazu kommen praxisnahe Studiengänge wie Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen oder Kulturwissen-

schaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim. Nicolas Stemann hatte mit seinen Bewerbungen an drei Regieschulen mehr Glück, als mit der Regieassistenz am Theater: Alle drei Institute nahmen ihn 1993 an. Er entschied sich für das Wiener Max-Reinhardt-Seminar, weil dort Schauspieler und Regisseure anfangs gemeinsam studieren – was seiner eigenen Unentschlossenheit entgegen kam. Nach einem Jahr wechselte er an das Hamburger Institut für Theater, Musiktheater und Film. Dort, sagt er, »ist man näher am Theater dran«. Leiter Jürgen Flimm, von 1985 bis 2000 auch Intendant des Hamburger Thalia

MARC LATZEL / LOOKAT

Vor etwa sechs Wochen erhielt Nicolas Stemann einen Brief. Absender: Die Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz in Berlin. Inhalt: seine Bewerbungsunterlagen für einen Job als Regieassistent. Die Mappe hatte er 1993 eingesandt. Auf die verspätete Absage konnte Stemann, 33, inzwischen gelassen reagieren: Er führt längst selbst Regie. Nächsten Monat wird er seine »Hamlet«-Inszenierung beim Berliner Theatertreffen zeigen, dem wichtigsten Theaterfestival der Republik. Vor neun Jahren hatte ihn niemand haben wollen. Seine Anfragen bei deutschen Bühnen blieben ohne Erfolg. Intendant Frank Baumbauer lud ihn wenigstens zu einem Vorstellungsgespräch am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg – und lehnte ihn ab. Da hatte Stemann schon einiges ausprobiert. »Mit Anfang 20 wollte ich total viele Sachen: Ich konnte mir vorstellen, Schauspieler zu werden, Musiker zu werden, Journalist zu werden. Und wie alle, die nicht so recht wissen, was sie wollen«, erinnert sich Stemann, »habe ich dann Germanistik und Philosophie studiert.« Drei Jahre unter Studenten der Geisteswissenschaften machten ihm klar: So geht’s nicht weiter. Wenigstens wusste er aber nun, dass er ans Theater wollte. Und nach den Absagen für die Assistenzstellen bewarb sich Stemann ganz regulär für ein Regiestudium. Die Chancen standen nicht gut. Das Missverhältnis zwischen der Zahl der Bewerber und den Studienplätzen ist zwar nicht ganz so dramatisch wie bei Schauspielschulen, doch stark gefragt sind die wenigen Plätze für angehende Regisseure auch: An der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« etwa, zu deren prominentesten Absolventen der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, zählt, bemühten sich 100 As-

Theaterregisseur Stemann: »Es gab Regeln, die wir brechen konnten« Uni SPIEGEL 2/2002

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Deutschen Theaters in Berlin, Thomas Langhoff, und von ihm kam auch die entscheidende Absage. Masuch hatte so ausführlich erläutert, weshalb sie bei ihm assistieren wollte, dass er der Analyse-Begabten vorschlug, lieber Dramaturgin zu werden. Kurz darauf begann sie das zwischen Theorie und interdisziplinärer Praxis changierende Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen. Zu den Absolventen des 1982 gegründeten Studiengangs zählen die gefeierten Dramatiker Moritz Rinke und René Pollesch, Autor Tim Staffel, der Regisseur Hans-Werner Kroesinger sowie die Mitglieder der Performancegruppen Gob Squad, Hygiene Heute und She She Pop. Diese Performancekünstler brachten immerhin den mächtigen „FAZ“-Kritiker Gerhard Stadelmaier dazu, Gießen »die größte Unglücksschmiede des deutschen Theaters« zu nennen. Die Künstler ficht konservative Kritik kaum an. »Die Auseinandersetzung mit dem Theater begann für uns dezidiert mit dem 20. Jahrhundert und war immer eine Befragung auf die Gegenwart hin«, erklärt Masuch. Philosophie wird

arbeiten

Theaters, und Gastprofessoren aus der Theaterregie sorgen für Praxisnähe. Auch wenn sich viele Studenten an der Ästhetik der etablierten Profis reiben, das Modell hat Erfolg – das zeigen auch die Karrieren von Absolventen wie Falk Richter, Matthias von Hartz und Sandra Strunz. »Das Studium ist eine seltsame Mischung aus strengen Vorgaben und Allein-gelassen-werden«, sagt Stemann. »Rückblickend liegt da die Qualität: Es gab Regeln, die wir brechen konnten, und Vakuen, die wir füllen mussten.« Bettina Masuch, 37, seit knapp vier Jahren Dramaturgin an der Berliner Volksbühne, einem der wichtigsten Theater des Landes, ist auf ähnlichen Umwegen ans Theater gekommen wie Stemann. Auch sie hat bereits in der Schule Theater gespielt, auch sie wusste nach dem Abitur nicht genau, was sie wollte, bewarb sich erfolglos auf Schauspielschulen und studierte erst mal Germanistik und Philosophie. Nebenbei jobbte die Studentin als Statistin und absolvierte Regiehospitanzen. Der entscheidende Bewerbungsbrief ging an den damaligen Intendanten des

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BERND UHLIG

Waltz-Inszenierung, Bühnenbildnerin Schuppelius: Nur einen Abstecher ans Theater geplant

diskutiert, man versucht, neue Theorien auf der Bühne umzusetzen. »Das Wesentliche war, dass das Theater in Gießen selbst von den Professoren nicht als ferner Forschungsgegenstand begriffen wurde, sondern als Werkzeug zur Weltbetrachtung.« Dass Gießen eine eher langweilige Kleinstadt ist, erweist sich als Glücksfall. Die rund 100 Theaterstudenten, pro Jahr werden etwa 25 angenommen, bilden eine Gemeinschaft, die schnell kapiert, dass es dort nicht viel zu konsumieren gibt – und deshalb selbst produktiv wird. Denn wer für eine Theaterkarriere studiert, sollte schon an der Uni den Kontakt zur Bühne suchen. Sowohl Bettina Masuch als auch Nicolas Stemann gelang der Übergang ins Berufsleben fließend. Stemann inszenierte schon vor dem Diplom 1997 und machte direkt im Anschluss weiter, von kleinen Theatern ging es an die großen. Dass seine Karriere auch mit dem vor etwa vier Jahren einsetzenden Run des Kulturbetriebs auf junge Gesichter zu tun hat, ist ihm wohl bewusst. Sein Selbstbewusstsein schmälert das nicht: Sowohl den Generationswechsel am Staatstheater als auch seine Einladung zum Theatertreffen hält er für »überfällig«. Bettina Masuch assistierte nach dem Diplom ein Jahr am Frankfurter Theater am Turm, arbeitete in Amsterdam, Ber-

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gen des Bereichs Bildende Kunst gehört und ein Jahr die Bühnenbildklasse von Achim Freyer besucht. Nur für das Theater allein wollte sie nie arbeiten. »Das war als Abstecher geplant. Ich gehe gern in andere Bereiche, um von denen dann wieder etwas in den alten hereinzutragen.« Das ist bis heute so und ist bis heute eine ihrer Qualitäten. In den kleinen Berliner Sophiensälen hatte sie eine Arbeit von Sasha Waltz gesehen und die Choreografin angesprochen. Schon bei der nächsten Arbeit von Waltz assistierte sie, und bald darauf bekam Schuppelius den Auftrag, selbst die Bühne für die Choreografin zu gestalten. Der Architektin gefiel der Rhythmus am Theater – viel Zeit für Recherche und doch, verglichen mit der Bauwelt, schnell ein Ergebnis. Die Choreografin mochte ihre raumbezogenen Arbeiten: Sie wurden ein Team. 1999 ging Schuppelius mit einem DAADStipendium für Bildende Künste nach New York, schrieb eine Studie über »Kartografie und Spionage« und konstruierte nebenbei ein Bühnenbild für die renommierte OffGruppe Elevator Repair Service. Währenddessen war Waltz in Berlin künstlerische Ko-Leiterin der Schaubühne geworden. So kam es, dass das dritte Bühnenbild der Grenzgängerin Schuppelius, entworfen für das Saison-Eröffnungsstück »Körper«, die gesammelte Aufmerksamkeit des Landes hatte. Schuppelius bleibt in Bewegung: Bei der Choreografie »S« hat sie ihre Liebe zum Video entdeckt, mit »17-25/4 - Dialoge 2001« in der Schaubühne ihre erste Videoinstallation gezeigt, und wenn alles klappt, wird sie beim Festival d’Automne eine Installation im Stadtraum von Paris realisieren. »Reich & berühmt«, wie ein Nachwuchsfestival in Berlin heißt, werden die wenigsten allein mit einem TheaterStudium. Die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche künstlerische Arbeit, da sind sich Masuch, Schuppelius und Stemann einig, lernt man nur durch Machen, Scheitern, Machen, Bestehen: Es ist das Vertrauen in den eigenen Blick. CHRISTIANE KÜHL

Dramaturgin Masuch an der Berliner Volksbühne: »Theater sind noch Fürstenhöfe«

arbeiten

lin und Brüssel, unterrichtete in Mainz und Weimar und ging dann drei Jahre ans Theaterhaus Jena. »Es gibt ein Missverhältnis zwischen der Organisationsstruktur des Apparats und dem, was ästhetisch passiert«, meint sie. »Die Theater sind noch Fürstenhöfe. Es ist nicht leicht, sich und seine künstlerischen Vorstellungen da durchzusetzen.« Dramaturgie, sagt Masuch, funktioniere im besten Fall als Think Tank: Sie entwickelt im Team Ideen und Strategien für Produktionsprozesse, präzisiert, kontextualisiert und kommuniziert. Im Prater, der kleinen Spielstätte der Berliner Volksbühne, ist ihr das großartig gelungen: Für die aktuelle Spielzeit hat sie René Pollesch eingeladen, dort eine Serie von Stücken zu entwickeln. Die entstandene »Prater-Trilogie« ist zum Berliner Theatertreffen geladen. Genauso die Choreografie »Alibi« von Meg Stuart, die Ma-

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such parallel in Zürich betreute – weshalb sie sozusagen mit vier Produktionen beim Festival vertreten ist. Dass auch ein theaterfremdes Studium manchmal zu großen Bühnenerfolgen führen kann, zeigen gelernte Architekten wie Robert Wilson oder das Wiener Duo COOP Himmelb(l)au. Auch Heike Schuppelius, 32, hat als Architekturstudentin an der Berliner Hochschule der Künste angefangen, nebenbei Vorlesun-

SO GEHTS ZUM THEATER Universität der Künste, Berlin www.hdk-berlin.de Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Berlin www.berlin.de/Land/SenWissKult/hfs -ernst-busch/ Institut für Angewandte Theaterwissenschaften, Gießen www.uni-giessen.de/fb11/theater Institut für Theater, Musiktheater und Film, Hamburg www.schauspielregie.uni-hamburg.de Max-Reinhardt-Seminar, Wien www.mhsw.ac.at/a08/html/mrs/ Überblick: www.buehnenverein.de/berufe.htm

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DIE WONNEN DER WOHNIS Die Frühstückseier kommen frisch aus dem eigenen Hühnerstall auf den Tisch. Der Garten liefert Äpfel, eine Wiese Kräuter wie Wilde Malve oder Weiße Lichtnelke. Im Sommer rauchen die Grills direkt vor der Haustür, und ein kleiner See lädt zum Erfrischungsbad. So naturnah kann das Leben im Studentenwohnheim sein. Jedenfalls für die 58 Auserwählten, die zusammen mit Katze und Kater, Hühnern, Hähnen und zwei Schleiereulen den ehemaligen Bauernhof Luhrmann bewohnen, nur 15 Fahrradminuten von der Osnabrücker Altstadt entfernt. Andreas Nie, 26, wohnt dort in einer Zweier-WG. Das Domizil des Studenten der Computerlinguistik und Künstlichen Intelligenz ist ein umgebauter Schweinestall im Fachwerk-Look. Von seinem 17-Quadratmeter-Zimmer führt eine Holzleiter zur Schlafnische unterm Dach; im weiß gekachelten Bad hätte locker noch eine Tischtennisplatte Platz. Internet-Anschluss hat der Computerfreak mit Harry-Potter-Brille seit neuestem auch, »alles ziemlich cool«, wie er findet. 250 Euro warm bezahlt er fürs studentische Wohnglück monatlich an seinen Vermieter, das Osnabrücker Studentenwerk. Das hat sogar eine noch individuellere Wohnung im Programm: Ein Gartenhaus, das auf den Grundmauern eines Wehrtürmchens steht – fürstliches Zuhause für den Jura-Studenten Malte Jaegler. Ganz anders sieht die Behausung aus, für die 154 Mieter von »Haus 1« des Studentenwohnheims Siegmunds Hof in Berlin-Tiergarten monatlich etwa 150 Euro hinlegen. Pro Etage 22 möblierte Zimmer à acht Quadratmeter in FurnierOptik, kahle Flure, Etagenduschen und ein Gemeinschaftsraum, den jede Bushaltestelle an Gemütlichkeit übertrifft. »Clean the kitchen each time you use it« steht auf einem Plakat – ein frommer

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FOTOS: BIRGIT WUDTKE

IM MODERNEN WOHNHEIM WOLLEN STUDENTEN ALLES: SOCIAL LIFE, INTERNET UND IHRE RUHE.

Land-Heim-Bewohner* Bauernhof-Charme mit Internet-Anschluss und Schleiereulen

Wunsch angesichts der altersstarren Dreckschicht auf dem Herd in einer der beiden Stockwerksküchen. In dem Betonklotz aus den Sechzigern wohnen viele Austauschstudenten, erzählt Bert Kracheel, Haus-1-Mieter seit eineinhalb Jahren. »Die hohe Fluktuation ist schlecht für die Gemeinschaft.« In den Pavillons nebenan mit je 16 Bewohnern gehe es deutlich familiärer zu. Begehrt sind die auf 13 Häuser verteilten 620 Wohnplätze in Siegmunds Hof bei Hauptstadt-Studenten dennoch. Viele Vorlesungssäle sind gerade mal drei Minuten entfernt. Auch entschädigt das üppige Angebot der studentischen Selbstverwaltung – Bootsverleih, Musikräume, Fitnesshalle, Computerpool, Werkstatt, Zeichenraum und die Studentenkneipe »Bierkeller« – für den kargen Wohnkomfort. Bauernhof-Idylle oder WohnwabenTrash – Deutschlands Studentenwohnheime bieten etwas für jeden Geschmack. Die Palette reicht von der Wohngemeinschaft im Reihenhaus übers Einzelapartment im Plattenbau bis zur Mutter-Kind-Wohnung in sanierten Kasernen. Genauso haben Studenten die Wahl, ob sie auf »Heim-Aktivist« machen, mit Scheuklappen durch die Flure laufen oder einfach nur ein paar Freunde unter den Zimmernachbarn finden wollen. Nur in einem Punkt herrscht unter Deutschlands Wohnheimdächern Einigkeit: Einen Internet-Anschluss, am liebsten mit direktem Draht zum Rechenzentrum der Uni, wünscht sich fast jeder Bewohner. Bislang allerdings haben die Studentenwerke nur 40 Prozent der 183 000 Heimplätze vernetzt. Dieter Schäferbarthold, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW): »Ziel ist es, mittelfristig allen Studierenden in ihren Wohnanlagen einen * Oben: Andreas Nie, Kirstin Rudolph; unten: Malte Jaegler.

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FOTOS: KARSTEN THIELKER

KONTAKTE ONLINE

preiswerten und leistungsfähigen Internet-Zugang zu ermöglichen.« Weitere 30 000 mit öffentlichen Geldern geförderte Wohnheimplätze bieten private Träger, Kirchen oder Stiftungen an. 134,83 Euro kostet die Monatsmiete im bundesweiten Schnitt – im Westen variieren die Preise zwischen 60,34 und 372,22 Euro, im Osten zwischen 42,95 und 299,11 Euro. Mieten, die mit dem studentischen Monatsbudget deutlich besser zu vereinbaren sind als die des Uni SPIEGEL 2/2002

freien Wohnungsmarkts. Neben den geringen Kosten ist für viele »Wohnis« aus Überzeugung indes vor allem ein Motiv ausschlaggebend: Studentisches »social life« ist im Mietpreis inbegriffen. Das gibt es in der Osnabrücker Caprivistraße 34 d reichlich: beim Fernsehgucken, Joggen, Feten feiern und dem täglichen Palaver am Küchentisch. »Wir sind eine WG mit Familienanschluss«, sagt Kathrin Rottmann, 22, die im siebten Semester Mathematik und Biologie für das Lehramt studiert. Aus den sechs Unbekannten, die in eines der acht Klinker-Reihenhäuser des Studentenwerks in Osnabrücks bester Wohnlage zogen, sind dicke Freunde geworden. Allein wohnen, das könnte sich keiner von ihnen vorstellen, sagen sie, genauso wenig, wie in eine dieser Kisten mit den grässlich langen Fluren zu ziehen. In ihrer adretten, fast penibel aufgeräumten Unterkunft können sie beides haben: individuelle Freiheit, zum Beispiel bei der Zimmereinrichtung, und Gruppenerlebnisse, ganz nach Lust und Laune.

Das ist auch genau das, was Studenten heute wünschen: »mehr Kommunikation, aber auch mehr Individualität als früher«, so Schäferbarthold vom DSW. Die klassische »Flurlösung«, mit der man noch vor 30 oder 40 Jahren studentische Wohnträume zu erfüllen suchte, wird diesen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Das Zauberwort heißt Wohngruppe. Osnabrück zählte zu den ersten Unistädten, die diese Wohnform anboten, inzwischen sind die Hälfte aller Heime nach dem WGSchema gestaltet. 20 Prozent der StudentenwerksBuden verströmen allerdings noch den zweifelhaften Charme von Einzelknastzellen. Das hat Folgen in Zeiten wachsender Individualisierung, nicht nur fürs Seelenheil, sondern auch für die Hygiene – im Wohnheim-Dasein nach wie vor ein existenzielles Thema. Denn wenn zu viele nacheinander in das gleiche Duschbad steigen, will es hinterher keiner putzen.

leben

Bundesweit die meisten Wohnheimplätze, rund 180 000, bietet das Deutsche Studentenwerk. Infos unter: www.studentenwerke.de/ wohnen/index.htm. Wohnheime der katholischen Kirche finden sich unter: www.katholischestudentenwohnheime.de. Für Kontakt zu Wohnheimen in aller Welt: www.heim1.tu-clausthal.de/ studentenwohnheime/.

Mammut-Heim Siegmunds Hof in Berlin Nur drei Minuten bis zum Hörsaal

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ger. Dann werden, je nach GruppenGusto, so lästige Dinge wie Kloputzen streng nach Plan erledigt, wie in der Caprivistraße 34 d, oder frei improvisiert. Für die drei Bewohner der Wohnung 19.06.19, des Ferdinand-Thomas-Wohnheims in Berlin-Lichtenberg ist Putzen meist eine spontane Aktion, genau wie das Kochen, WG-Zimmer: Netter kochen, besser putzen erzählt Ivana Koubkova aus Prag, einem Zimmer. Was für westdeutsche die seit vier Monaten zusammen mit den Individualisten unvorstellbar ist, war Brüdern Thomas und Martin Langer in für den sozialistischen Akademikerdem sanierten Teil eines Plattenbaus in Nachwuchs die normalste Sache der der Storkower Straße wohnt. Gerade Welt: Mehrbettzimmer, Stockbetten und blubbt Spinat auf dem Herd. Heimaufsicht. Martin, 25, Student der Elektrotechnik, Noch 1991 lebten 86 Prozent aller Ostund sein Bruder, der an der HumboldtStudenten in Wohnheimen. Zum VerUniversität in Sozialwissenschaften eingleich: Heute liegt die bundesweite geschrieben ist, haben schon im noch Heimquote bei rund 13 Prozent. Inzwiunsanierten Hausteil zusammen geschen wurde mehr als die Hälfte der wohnt, der jetzt leer steht: zu zweit in KARSTEN THIELKER

Gisela Plückbaum, Verwaltungsleiterin von Siegmunds Hof in Berlin, steht manchmal »fassungslos vor dem Dreck und Chaos, den die Studenten hinterlassen«. Ihre Mieter wiederum regen sich über »zu viel Kontrolle« seitens der Verwaltung auf. Probleme mit der Sauberkeit und Lärmbelästigung geben am häufigsten Anlass zu Beschwerden, bestätigt denn auch Ursula Rosenstock, Leiterin der Osnabrücker Wohnheimverwaltung. Bei rund 1900 Wohnheimplätzen hat sie meist aber nicht mehr als fünf Problem-Akten auf dem Schreibtisch. Ihre Erfahrung: Wenn die Studenten ihre Wohnheimmitbewohner selbst aussuchen dürfen, gibt es am wenigsten Är-

WIE BEIM CAMPING MÜNCHNER STUDENTEN WOHNEN IM CONTAINER – UND GENIESSEN DAS SOGAR.

leben

Ren Suns neues Zuhause misst drei mal sechs Meter. Schreibtisch, Bett und ein Kleiderschrank, für mehr ist in seiner Studentenbude kein Platz. Seit dem vergangenen Wintersemester wohnt der Nachrichtentechnikstudent Suns, 22, aus Schanghai zusammen mit 23 Kommilitonen in einem Container in München. Die Wohnsituation der 76 500 Münchner Studenten ist so dramatisch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Nicht selten leben die Zugezogenen am Semesteranfang im Wohnwagen. Die Unterbringung im Container ist allerdings bisher einmalig in Deutschland. »Ich bin froh, in München was gefunden zu haben«, sagt Ren. »Vorher habe ich mit sechs Leuten in einer Notunterkunft gewohnt. « Der wirtschaftliche Aufschwung hat Wohnungen in »Boomtown« München knapp und teuer gemacht. Noch 1994 gab es für Studenten rund 5000 Zimmer auf dem Mietmarkt, mittlerweile ist die Zahl auf 1590 geschrumpft, Tendenz sinkend. Das Studentenwerk steht vor fast unlösbaren Problemen. Der Ausweg mit den Wohnkisten brachte immerhin bundesweit Publicity. Ren kommt kaum noch zum lernen. An seinem Zimmer mit der Nummer 01 klingeln die Journalisten zuerst. Die provisorischen Behausungen liegen idyllisch am Rand des Englischen Gartens, in der Studentenstadt zwischen richtigen Wohnheimen und einem Fußballfeld. Zwei blau-grüne Container sind übereinander gestapelt: Oben wohnen die Mädchen, unten die Jungs. Sie ha-

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ben je einen Dusch- und einen WC-Container sowie zwei Küchen. Die Gestaltung des »neuen Wohnraums« stammt von Studenten der »Akademie der Bildenden Künste« . Die 22 Einzel- und das eine Doppelzimmer kosten 145 beziehungsweise 175 Euro monatlich, Nebenkosten inklusive. Rens Nachbar Moritz hatte sofort zugesagt, als das Studentenwerk ihm einen Wohncontainer Containerplatz anbot, »denn das ist al- Oben Mädchen, unten lemal besser als pendeln«. Auch wenn Jungs die Behausung des Maschinenbaustudenten aus Landshut den Charme eines Campingwagens ausstrahlt: »Die Wände sind sehr dünn, dadurch ist es hier ziemlich hellhörig, die Duschen sind winzige Plastikzellen.« Jedes Zimmer hat einen Gasofen. »Energiewirtschaftlich gesehen ist das absoluter Wahnsinn. Im Winter lasse ich meine Heizung den ganzen Tag laufen«, gesteht Moritz, »sonst ist es einfach zu kalt.« Der Bayer ist die Kälte immerhin gewöhnt. Anders geht es da seinen beiden Mitbewohnern aus Afrika. »Die frieren immer richtig.« Verantwortlich für die Containeraktion ist Dieter Maßberg, Geschäftsführer des Studentenwerks München. »Jedes Jahr das gleiche Bild: Rund 3000 Studenten suchen allein in diesem Semester eine Bleibe«, beschreibt er die Wohnungsnot. »24 Plätze helfen nicht viel, aber wir erhoffen uns durch das große Medienecho, dass der eine oder andere Münchner Bürger uns vielleicht hilft.« Für die nächsten Jahre plant das StudentenUni SPIEGEL 2/2002

geschaffen werden, fordert das Studentenwerk. Doch mit der Unterbringung allein ist es nicht getan: In Zukunft sollen verstärkt Tutoren bei der Integration helfen, indem sie die Neulinge etwa bei Behördengängen oder der Jobsuche unterstützen und mit den Landessitten vertraut machen. »Von Mülltrennung haben viele keine Ahnung«, erzählt BWLStudent Özkan Kaplangil, einer von zwei Tutoren im Osnabrücker Wohnheim am Jahnplatz, einer ehemaligen Gasuhrenfabrik. Die Hälfte der 310 Wohnplätze ist hier an ausländische Studenten vermietet. »Wenn die Quote zu hoch ist, dann klappt das mit dem multikulturellen Zusammenleben einfach nicht mehr«, so die Erfahrung von Frank Willenborg, einem angehenden Grundschullehrer, der mit acht Kommilitonen Tür an Tür lebt. Mit Heimmitbewohner Stefan Nawrath war er schon drauf und dran, sich eine ganz normale Wohnung zu mieten – und ließ es dann doch bleiben. »Das Gemeinschaftserlebnis kriegst du sonst halt nicht.« ULLA HANSELMANN

SLAVICA

KARSTEN THIELKER

ten Teil zurück«. 60 Prozent der rund 500 Bewohner sind Ausländer. Thomas, der am Wochenende oft nach Hause ins brandenburgische Hermersdorf fährt, genießt die »internationale Atmosphäre«. Doch der wachsende Anteil ausländischer Studierender in den Wohnheimen – 28 Prozent im Bundesdurchschnitt, teilweise Treffpunkt Heimküche: Gemeinschaft inbegriffen sogar über 50 Prozent – bereitet in vielen Städten Probleme. Nach AnWohnheime in den neuen Ländern auf gaben des Studentenwerks sorgt neben Weststandard getrimmt. der steigenden Zahl von StudienanWie in Berlin-Lichtenberg: weiße Fasfängern der Zuzug von ausländischen saden mit blauen und orangen Farb-AkStudenten für Engpässe, nachdem zenten an den Hauseingängen, moderder Wohnheim-Markt jahrelang entne Einbauküchen in den Ein-, Zwei- oder spannt war. Zu Beginn des vergangeDrei-Zimmer-Apartments, helle Holznen Wintersemesters mussten die Stumöbel und rote Sessel im neu eingedentenwerke in vielen Unistädten richteten Studentenclub. Thomas LanNotunterkünfte bereitstellen. Falls ger, 23, gefällt sein neues Domizil, »für der Ruf von Bund und Ländern nach kein Geld der Welt wollte ich in den alAkademikernachwuchs aus dem Ausland gehört wird, müssten mindestens 20 000 neue Wohnplätze

werk den Bau weiterer Wohnheime. Diese könnten aber frühestens im Wintersemester 2003/2004 zu einer Entspannung der Situation führen, rechnet Maßberg. Die Container hatte die Technische Universität München zuvor als Baustellen-Unterkünfte benutzt. »Die stellen sie uns für einen symbolischen Preis von 5 Euro pro Container und Monat zur Verfügung«, erklärt Helmut Gierke, Leiter für studentisches Wohnen beim Studentenwerk. In zwei Jahren soll das Containerdorf umziehen, dann läuft die Genehmigung für den jetzigen Standort ab. Immerhin: Telefon haben die 24 Studenten schon, am Internet-Anschluss wird gearbeitet, Briefkästen und Fahrradständer sind installiert. Renate Sterzel, Verwaltungsleiterin der Studentenstadt, ärgert sich, dass die Container manchmal als „Wohnklos“ abgetan werden. Die Studenten seien zufrieden, und „wenn man im Sommer dann direkt am Englischen Garten wohnt, kann ich mir vorstellen, dass sie sich das mit dem umziehen ohnehin noch mal überlegen«. MORITZ KÜPPER Uni SPIEGEL 2/2002

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ger. Dann werden, je nach GruppenGusto, so lästige Dinge wie Kloputzen streng nach Plan erledigt, wie in der Caprivistraße 34 d, oder frei improvisiert. Für die drei Bewohner der Wohnung 19.06.19, des Ferdinand-Thomas-Wohnheims in Berlin-Lichtenberg ist Putzen meist eine spontane Aktion, genau wie das Kochen, WG-Zimmer: Netter kochen, besser putzen erzählt Ivana Koubkova aus Prag, einem Zimmer. Was für westdeutsche die seit vier Monaten zusammen mit den Individualisten unvorstellbar ist, war Brüdern Thomas und Martin Langer in für den sozialistischen Akademikerdem sanierten Teil eines Plattenbaus in Nachwuchs die normalste Sache der der Storkower Straße wohnt. Gerade Welt: Mehrbettzimmer, Stockbetten und blubbt Spinat auf dem Herd. Heimaufsicht. Martin, 25, Student der Elektrotechnik, Noch 1991 lebten 86 Prozent aller Ostund sein Bruder, der an der HumboldtStudenten in Wohnheimen. Zum VerUniversität in Sozialwissenschaften eingleich: Heute liegt die bundesweite geschrieben ist, haben schon im noch Heimquote bei rund 13 Prozent. Inzwiunsanierten Hausteil zusammen geschen wurde mehr als die Hälfte der wohnt, der jetzt leer steht: zu zweit in KARSTEN THIELKER

Gisela Plückbaum, Verwaltungsleiterin von Siegmunds Hof in Berlin, steht manchmal »fassungslos vor dem Dreck und Chaos, den die Studenten hinterlassen«. Ihre Mieter wiederum regen sich über »zu viel Kontrolle« seitens der Verwaltung auf. Probleme mit der Sauberkeit und Lärmbelästigung geben am häufigsten Anlass zu Beschwerden, bestätigt denn auch Ursula Rosenstock, Leiterin der Osnabrücker Wohnheimverwaltung. Bei rund 1900 Wohnheimplätzen hat sie meist aber nicht mehr als fünf Problem-Akten auf dem Schreibtisch. Ihre Erfahrung: Wenn die Studenten ihre Wohnheimmitbewohner selbst aussuchen dürfen, gibt es am wenigsten Är-

WIE BEIM CAMPING MÜNCHNER STUDENTEN WOHNEN IM CONTAINER – UND GENIESSEN DAS SOGAR.

leben

Ren Suns neues Zuhause misst drei mal sechs Meter. Schreibtisch, Bett und ein Kleiderschrank, für mehr ist in seiner Studentenbude kein Platz. Seit dem vergangenen Wintersemester wohnt der Nachrichtentechnikstudent Suns, 22, aus Schanghai zusammen mit 23 Kommilitonen in einem Container in München. Die Wohnsituation der 76 500 Münchner Studenten ist so dramatisch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Nicht selten leben die Zugezogenen am Semesteranfang im Wohnwagen. Die Unterbringung im Container ist allerdings bisher einmalig in Deutschland. »Ich bin froh, in München was gefunden zu haben«, sagt Ren. »Vorher habe ich mit sechs Leuten in einer Notunterkunft gewohnt. « Der wirtschaftliche Aufschwung hat Wohnungen in »Boomtown« München knapp und teuer gemacht. Noch 1994 gab es für Studenten rund 5000 Zimmer auf dem Mietmarkt, mittlerweile ist die Zahl auf 1590 geschrumpft, Tendenz sinkend. Das Studentenwerk steht vor fast unlösbaren Problemen. Der Ausweg mit den Wohnkisten brachte immerhin bundesweit Publicity. Ren kommt kaum noch zum lernen. An seinem Zimmer mit der Nummer 01 klingeln die Journalisten zuerst. Die provisorischen Behausungen liegen idyllisch am Rand des Englischen Gartens, in der Studentenstadt zwischen richtigen Wohnheimen und einem Fußballfeld. Zwei blau-grüne Container sind übereinander gestapelt: Oben wohnen die Mädchen, unten die Jungs. Sie ha-

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ben je einen Dusch- und einen WC-Container sowie zwei Küchen. Die Gestaltung des »neuen Wohnraums« stammt von Studenten der »Akademie der Bildenden Künste« . Die 22 Einzel- und das eine Doppelzimmer kosten 145 beziehungsweise 175 Euro monatlich, Nebenkosten inklusive. Rens Nachbar Moritz hatte sofort zugesagt, als das Studentenwerk ihm einen Wohncontainer Containerplatz anbot, »denn das ist al- Oben Mädchen, unten lemal besser als pendeln«. Auch wenn Jungs die Behausung des Maschinenbaustudenten aus Landshut den Charme eines Campingwagens ausstrahlt: »Die Wände sind sehr dünn, dadurch ist es hier ziemlich hellhörig, die Duschen sind winzige Plastikzellen.« Jedes Zimmer hat einen Gasofen. »Energiewirtschaftlich gesehen ist das absoluter Wahnsinn. Im Winter lasse ich meine Heizung den ganzen Tag laufen«, gesteht Moritz, »sonst ist es einfach zu kalt.« Der Bayer ist die Kälte immerhin gewöhnt. Anders geht es da seinen beiden Mitbewohnern aus Afrika. »Die frieren immer richtig.« Verantwortlich für die Containeraktion ist Dieter Maßberg, Geschäftsführer des Studentenwerks München. »Jedes Jahr das gleiche Bild: Rund 3000 Studenten suchen allein in diesem Semester eine Bleibe«, beschreibt er die Wohnungsnot. »24 Plätze helfen nicht viel, aber wir erhoffen uns durch das große Medienecho, dass der eine oder andere Münchner Bürger uns vielleicht hilft.« Für die nächsten Jahre plant das StudentenUni SPIEGEL 2/2002

geschaffen werden, fordert das Studentenwerk. Doch mit der Unterbringung allein ist es nicht getan: In Zukunft sollen verstärkt Tutoren bei der Integration helfen, indem sie die Neulinge etwa bei Behördengängen oder der Jobsuche unterstützen und mit den Landessitten vertraut machen. »Von Mülltrennung haben viele keine Ahnung«, erzählt BWLStudent Özkan Kaplangil, einer von zwei Tutoren im Osnabrücker Wohnheim am Jahnplatz, einer ehemaligen Gasuhrenfabrik. Die Hälfte der 310 Wohnplätze ist hier an ausländische Studenten vermietet. »Wenn die Quote zu hoch ist, dann klappt das mit dem multikulturellen Zusammenleben einfach nicht mehr«, so die Erfahrung von Frank Willenborg, einem angehenden Grundschullehrer, der mit acht Kommilitonen Tür an Tür lebt. Mit Heimmitbewohner Stefan Nawrath war er schon drauf und dran, sich eine ganz normale Wohnung zu mieten – und ließ es dann doch bleiben. »Das Gemeinschaftserlebnis kriegst du sonst halt nicht.« ULLA HANSELMANN

SLAVICA

KARSTEN THIELKER

ten Teil zurück«. 60 Prozent der rund 500 Bewohner sind Ausländer. Thomas, der am Wochenende oft nach Hause ins brandenburgische Hermersdorf fährt, genießt die »internationale Atmosphäre«. Doch der wachsende Anteil ausländischer Studierender in den Wohnheimen – 28 Prozent im Bundesdurchschnitt, teilweise Treffpunkt Heimküche: Gemeinschaft inbegriffen sogar über 50 Prozent – bereitet in vielen Städten Probleme. Nach AnWohnheime in den neuen Ländern auf gaben des Studentenwerks sorgt neben Weststandard getrimmt. der steigenden Zahl von StudienanWie in Berlin-Lichtenberg: weiße Fasfängern der Zuzug von ausländischen saden mit blauen und orangen Farb-AkStudenten für Engpässe, nachdem zenten an den Hauseingängen, moderder Wohnheim-Markt jahrelang entne Einbauküchen in den Ein-, Zwei- oder spannt war. Zu Beginn des vergangeDrei-Zimmer-Apartments, helle Holznen Wintersemesters mussten die Stumöbel und rote Sessel im neu eingedentenwerke in vielen Unistädten richteten Studentenclub. Thomas LanNotunterkünfte bereitstellen. Falls ger, 23, gefällt sein neues Domizil, »für der Ruf von Bund und Ländern nach kein Geld der Welt wollte ich in den alAkademikernachwuchs aus dem Ausland gehört wird, müssten mindestens 20 000 neue Wohnplätze

werk den Bau weiterer Wohnheime. Diese könnten aber frühestens im Wintersemester 2003/2004 zu einer Entspannung der Situation führen, rechnet Maßberg. Die Container hatte die Technische Universität München zuvor als Baustellen-Unterkünfte benutzt. »Die stellen sie uns für einen symbolischen Preis von 5 Euro pro Container und Monat zur Verfügung«, erklärt Helmut Gierke, Leiter für studentisches Wohnen beim Studentenwerk. In zwei Jahren soll das Containerdorf umziehen, dann läuft die Genehmigung für den jetzigen Standort ab. Immerhin: Telefon haben die 24 Studenten schon, am Internet-Anschluss wird gearbeitet, Briefkästen und Fahrradständer sind installiert. Renate Sterzel, Verwaltungsleiterin der Studentenstadt, ärgert sich, dass die Container manchmal als „Wohnklos“ abgetan werden. Die Studenten seien zufrieden, und „wenn man im Sommer dann direkt am Englischen Garten wohnt, kann ich mir vorstellen, dass sie sich das mit dem umziehen ohnehin noch mal überlegen«. MORITZ KÜPPER Uni SPIEGEL 2/2002

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leben

»ALLES IST BILDUNG«

SIMONE SCARDOVELLI

DER STAR-DJ MICHAEL SAUER STUDIERT SEIT 30 SEMESTERN, UM IM NACHTLEBEN NICHT ZU VERBLÖDEN.

Es ist noch früh. 23.30 Uhr. Gelassen, konzentriert, fast unbewegt, steht er an seinem Platz. Vier Flaschen Mineralwasser zu seiner Rechten, die Hand auf dem Plattenteller, die nächsten Stücke schon im Kopf. Freitagnacht im Hamburger »Mojo Club« ist »Electric Mojo« mit DJ Michael Sauer. »Als ich klein war, wollte ich Baggerfahrer werden – im Vergleich dazu sind meine Eltern, glaube ich, jetzt ganz froh.« Plakate mit seinem Namen hängen in ganz Hamburg, er wird zu Gastauftritten in Köln, Frankfurt oder München eingeladen, er produziert eigene CDs – Michael Sauer, 33, ist ein deutscher Star-DJ. Und wenn seine Eltern darauf allein nicht stolz sind: Er geht auch einem anständigen Studium nach – Pädagogik, Physik und Philosophie im 11. Fachsemester. Seine Gesamtstudienzeit nähert sich allerdings dem 30. Semester. Er sei ein typischer Vertreter der Generation X, sagt der DJ, der Prototyp des Slacker: Jemand, der nicht zu viel will und der relaxed im Hier und Jetzt lebt. Daher auch seine eher ausgedehnte Studiendauer: »Ich sammle keine Scheine um der Scheine willen, ich besuche alle möglichen Veranstaltungen, die mich interessieren. Ich lass mich nicht hetzen.« Als Michael 1990 aus Stuttgart nach Hamburg kam, war er bereits volle sechs Jahre Popmusik-süchtig. Inzwischen kann er längst nicht mehr sagen, wie viele Scheiben er hat (zu viele stellte er beim letzten Umzug fest). Das Plattenauflegen interessierte ihn erst nicht besonders. »Ein Freund meinte irgendwann, ich soll doch mal mitmachen – da habe ich Blut geleckt.« Seit 1992 ist er nun schon am Plattenteller. Das Studium hat für ihn dabei eine besondere Funktion: nicht zu verblöden im Nachtleben. Außerdem ist sein Studentendasein voll kompatibel mit dem Job als DJ: Täglich mindestens neun Stunden Schlaf, damit lassen sich die Arbeitszeiten von 23.00 bis 5.00 oder 6.00 Uhr früh gut verkraften. Und von aufputschenden Giften wie Nikotin und Koffein hält er sich auch fern. Offenbar ein Geheimrezept, auch mit Anfang 30 noch wie Mitte 20 auszusehen. Ob das wichtig für die Club-Karriere ist, kann Michael nicht genau sagen. Heute passiert es ihm aber nicht mehr, von der Türsteherin vor Arbeitsbeginn Discjockey Sauer Ziele in Wadenhöhe Uni SPIEGEL 2/2002

abgewiesen zu werden: »Du bist der DJ? Haha!, toller Trick.« Die DJ-Stars in den Staaten oder Großbritannien sind alle Mitte, Ende 30. Gibt es gar keine Altersgrenze? »Na ja, die Frage ist doch, wie lange man das überhaupt machen will. Immer das Gleiche ist doch auch langweilig.« Wenn der Nachtarbeiter tagsüber nicht an der Uni ist (was in den letzten zwei Jahren häufig vorkam), beschäftigt er sich vorzugsweise mit – Musik. Seine neueste CD »Electric Mojo III« kommt Ende April auf den Markt. Vergangenes Jahr konnte er mit »Michael Sauer vs. Phoneheads feat. Bill Ramsey: ,Why And How‘« wieder mal Pluspunkte bei seinen Eltern sammeln. Die kennen Ramsey nämlich als Star aus den Sechzigern, als er Schlager wie »Flotter Dampfer« zum Besten gab. Aber der alte Herr war offenbar schon immer ein VollblutJazzer; seine nicht minder betagte Gattin sprach er bei der Aufnahme natürlich mit »Baby« an. »Meine Ziele liegen in Wadenhöhe«, erklärt Michael ebenso verschmitzt wie undurchsichtig. Sein Studienziel lenkte er jedenfalls auch mehr auf die musikalische Beinarbeit. Als er 1993 alle Scheine in Physik zusammen hatte und die Diplomarbeit anstand, bekam er es mit der Angst zu tun: ein Jahr im Keller der Hamburger Großforschungsanlage Desy? »Ach, nö.« Mit dem Musikmachen wäre es auch schwierig geworden. Also entschied er sich, weiter zu studieren, auf Magister in Pädagogik. Seine Abschlussarbeit bereitet er gerade vor, das Thema dreht sich um – wie könnte es anders sein – elektronische Tanzmusik in der Popkultur. »Das ist ja das Schöne an Pädagogik – alles ist Bildung.« Den pädagogischen Lehrsatz »Du musst die Leute da abholen, wo sie sind, und sie dahin bringen, wo du sie haben willst«, setzt Michael als Discjockey mühelos um. Er schafft es, sein Publikum so einzustimmen, dass er ihnen neue Sounds vorführen kann, ohne sie zu irritieren. Unbekannte Stücke oder neue Mixe müssen nämlich musikalisch geschickt vorbereitet werden. 0.30 Uhr. Langsam füllt sich der Club an der Reeperbahn. Die meisten bleiben gleich auf der Tanzfläche. Die Rhythmen halten jeden im Raum in Bewegung, und die Übergänge zwischen den einzelnen Liedern sind so weich, dass alles im Fluss bleibt. Kein Zweifel: DJ Michael hat die Leute da, wo er sie haben will – und die genießen das. KATHARINA STEGELMANN

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UND NOCH ’N GEDICHT Dichtende Studierende suchen immer häufiger per Internet den Weg zum Ly- Goethe-Porträt von Andy Warhol rik-liebenden Publikum. Nicht immer sind die Werke der Poeten mit Studentenausweis jedoch schon hohe Kunst (UniSPIEGEL 1/2002). Der Berliner Politikwissenschaftsstudent Gregor Koall, 29, versorgt die elektronische Poesie-Gemeinde dagegen täglich mit qualitätsgesicherter Lyrik. Per E-Mail versendet Koall jeden Werktag an inzwischen über 6000 Abonnenten ein Gedicht, überwiegend Klassiker deutscher Dichtkunst (»wegen der Urheberrechte«). Der digitale Reime-Service ist kostenlos, weil Lyrik laut Koall ohnehin unbezahlbar ist (www.lyrikmail.de). Doch der Schöngeist hat auch ein Herz für den Dichter-Nachwuchs. Jeden Mittwoch setzt Koall, der auch selbst schreibt, ein ausgesuchtes Werk eines Neulings in die Netzwelt. Das Problem allerdings sei, so der Abo-Veranstalter, die minderbegabten Verseschmiede auszusondern.

ANDY WARHOL FOUNDATION OF VISUAL ARTS

HELFER BEVORZUGT Jeden Tag eine gute Tat: Auch Studenten können diesem Motto folgen – als Studienhelfer für körperbehinderte Kommilitonen. Sie gehen mit ihnen in Vorlesungen, schreiben mit, kopieren aus Seminarordnern und helfen bei der Literatur-Recherche. Sehbehinderten lesen sie Texte auf Band vor, Rollstuhlfahrern assistieren sie im Labor. Studienhelfer müssen klaren Anweisungen folgen, diszipliniert und zuverlässig sein. Wer als Studienhelfer arbeiten möchte, kann sich an den Behindertenbeauftragten der Hochschule oder an das örtliche Studentenwerk wenden. An vielen Unis gibt es auch Interessengemeinschaften behinderter Studenten sowie Ansprechpartner beim Asta. Bezahlt werden Studienhelfer ähnlich wie studentische Hilfskräfte mit sieben bis zehn Euro die Stunde. Und: Studienhelfer können bevorzugt an dem Studienort zugelassen werden, an dem sie einem behinderten Studenten helfen wollen.

DAVID AUSSERHOFER / JOKER

JOBBEN OHNE RISIKO

Studentin bei einer Promotion-Aktion

Trotz etwas mehr Bafög und Scheck von Oma – zwei Drittel aller Studierenden verdienen während des Semesters oder in der vorlesungsfreien Zeit eigenes Geld, wie die 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) ergab. Über »Risiken und Nebenwirkungen des Jobbens« informiert eine neue Broschüre des DSW. »Die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bedingungen sind sehr kompliziert«, erklärt DSW-Generalsekretär Dieter Schäferbarthold, »Studierende müssen aufpassen, dass sie nicht über 7188 Euro im Jahr verdienen – inklusive Bafög.« Denn sonst entfallen Kindergeld und Steuerfreibeträge für die Eltern. Die Broschüre kann unter www.studentenwerke.de/bafoeg/index.htm heruntergeladen werden.

leben

»HIGHTECHMÄRCHEN« HABEN KONJUNKTUR

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Täglich dringen neue Heilsversprechungen aus den Labors der Hightech-Industrie: Die selbst ernannten Gurus der Chips und Gene versprechen uns nichts weniger als die Befriedigung all unserer Bedürfnisse – mit Hilfe von Teleshopping, Cybersex oder auch dem Umbau unserer Erbanlagen. Und natürlich wird durch Einsatz der digitalen Demokratie bereits in wenigen Jahren der Frieden auf Erden einkehren, so es denn der Computer will. SPIEGEL-Redakteur Hil-

mar Schmundt, 35, schaut hinter das vielstimmige Cyber-Blabla, amüsiert sich über die Märchenerzähler der Zukunft und zeigt die Grenzen wie die Banalitäten der Hochtechnologie auf: »Alles ist eben relativ, nur die Blödheit mancher Konstrukteure ist absolut.« Hilmar Schmundt: »Hightechmärchen. Die schönsten Mythen aus dem Morgen-Land«. Argon Verlag, Berlin; 256 Seiten; 18,90 Euro. Uni SPIEGEL 2/2002

DREI ARME FÜR KALIMERO KARLSRUHER STUDENTEN LERNEN, INTELLIGENTE ROBOTER ZU BAUEN – UND SICH DABEI CLEVER ZU VERKAUFEN.

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ALLE FOTOS: ROBERT BREMBECK

forschen

Im Grunde genommen gut vier Monate lang getüftelt, geplant, ist es Quatsch, einen Rogebastelt und geflucht. Und nun stellen boter zu konstruieren, sie »Kalimero« vor, das heißt so etwa auf der aussieht wie ein Griechisch »Guten Tag« und steht für Mensch. Ein Roboter »Karlsruher innovativer menschlicher nützt nur was, wenn er Dinge besser als Roboter«. Drei Teams konkurrieren um sein Schöpfer erledigt: Abwasserrohre den besten Arm, zwei Mannschaften hareinigen, verdächtige Koffer öffnen oder ben einen Kopf konstruiert und das letzTüren an halbfertige Autos schrauben, te Team den Torso. zum Beispiel. Roboter, die so etwas tun, Beine gibt’s keine. Beine sind ohnehin ähneln eher einem Bodenstaubsauger mehr oder weniger ein Irrweg der EvoRoboterarm: Bloß kein Leck-Öl oder einem Riesenschraubendreher lution, jedenfalls seit es motorgeals einem Menschen. triebene Fortbewegung und linoIn Japan gibt es den »Honda-Mann«, leumglatte Flure gibt. Ein modereinen Roboter, der aussieht wie ein ner Roboter rollt herum. Wenn er Raumfahrer, und der sogar Treppen zwei Arme und einen Kopf hat, ist steigen kann. Das ist eine Meisterdas immer noch menschenähnlich leistung der Ingenieure, nur leider genug. völlig unnütz, wenn man bedenkt, Derzeit existiert Kalimero nur als dass der Aufzug längst erfunden ist. Ansammlung von Pixeln in einer Humanoide Maschinen werden nur Computeranimation. Es gibt noch aus zwei Gründen gebaut: Um zu nicht einmal ein 1:1-Modell aus Papzeigen, dass es geht. Oder: Um herpe. Aber eines Tages wird er bei den auszufinden, wie es am besten geht. Karlsruher Maschinenbauern im An der Uni in Karlsruhe haben sie Eingang stehen und huldvoll windaraus einen Wettbewerb gemacht: ken. Denn die besten Varianten solWie sieht das optimale Innenleben len tatsächlich gebaut werden. eines Roboters aus, der eines fernen Das ist für die Studenten aber nur Tages in einer Küche steht und seiein Zusatzanreiz. Eigentlich geht es nem Besitzer ein Süppchen kocht? im Seminar »Integrierte ProduktDabei ging es gar nicht mal um die Roboterarm-Konstrukteur Meye (l.), Team*: Arbeit in Schichten entwicklung« vor allem darum, Intelligenz, die man zum Suppe koPraxisluft zu schnuppern. chen zweifellos benötigt – es ging um Das fängt damit an, dass die Studenten viel grundlegendere Frasich vorstellen müssen, sie würden in gen: Wie schaffe ich es, einem mittelständischen Unternehmen dass sich die Arme heben arbeiten. Ihr Professor, der Ingenieurund senken? Wie stelle wissenschaftler Albert Albers, spielt den ich es an, dass die KameBoss. Vom Chef gibt es nur einen verra-Augen beweglich sind, gleichsweise unklaren Auftrag: »Baut aber weder herauskulmir einen Arm, weniger als zehn Kilolern noch sich irgendwo gramm schwer, er muss einen ein Kiloverhaken und den Robogramm schweren Gegenstand bewegen ter zum Schielen brinund drei Kilogramm ausgestreckt halgen? Und wie baut man ten können.« Wie die Studenten das aneinen Arm so sicher, dass stellen, bleibt ihnen überlassen. kein Schmieröl in den »Sie müssen erst einmal recherchieren, Kochtopf tropft? was der Markt bisher so bietet«, sagt ProSechs Teams von Maschi* Robert Spasov, Jochen Baier, Mark Römer. nenbaustudenten haben Lego-Modell eines Arms: Beine gibt’s keine Uni SPIEGEL 2/2002

studieren

fessor Albers. »Dann müssen sie neue Ideen finden und nach geeigneten Werkstoffen fahnden.« Diese Phase dauerte ein paar Wochen, dann zogen die Teams zum Chef und stellten ihre Ideen vor. Die Geschäftsleitung gab schließlich drei verschiedene Arme in Auftrag. Für die Studenten ist das Projekt Modelle und Entwürfe für Roboter völliges Neuland. Normalerweise Getüftelt, geplant, gebastelt, geflucht bedeutet Uni, dass man Formeln büffelt oder Werkstoffe kennen lernt. hin oftmals keinerlei praktische ErfahDass man Werkstoffe auch wirklich mal rung. Wie man im Team zurecht in die Hand nimmt und Formeln tatkommt, wie man überhaupt eine Idee sächlich anwendet, sollte zwar selbstentwickelt, müssen sie erst lernen. verständlich sein, ist es aber nicht. Selbst die Handhabung von EntwickDie Karlsruher Seminarteilnehmer halungssoftware haben die meisten noch ben im Schnitt schon zehn bis elf Semesnie zuvor geübt. ter hinter sich. Es sind allesamt gute LeuEin 3-D-Modell im Computer entwerte, denn Professor Albers kann sich seine fen? Woher sollen sie das können, wenn »Firmenmitarbeiter aussuchen«. Das Sedie meisten von ihnen noch am Zeiminar hat 30 Plätze und 60 Bewerber. chenbrett gelernt haben? Als Moritz Meye, 24, sich bewarb, wusste »Die Ausbildung von Führungskräften er wie alle anderen nicht, welches Prodes 21. Jahrhunderts kann nicht mehr dukt in diesem Semester entwickelt wermit den Methoden und Ansätzen des den sollte. In den letzten Jahren waren es 19. und 20. Jahrhunderts erfolgen«, sagt mal neuartige Kaffeemaschinen, mal ein Albers. Also lernen seine Studenten – Fensterputzautomat gewesen – der PutzStudentinnen sind in diesem Semester roboter kommt demnächst auf den nicht dabei, im vergangenen kamen Markt. immerhin zwei – auch noch diverse ProStudent Meye wusste gramme kennen. nur eines: Das wird verSie lernen auch, was es heißt, mit Zuliedammt viel Arbeit. »Sehr ferfirmen zu verhandeln. Student Meye, zeitaufwendig«, sagt er dessen Team einen Hydraulikarm für höflich. »Als ob man Kalimero entworfen hat, stieß bei der wirklich arbeitet«, sagt Suche nach geeigneten Bauteilen nicht ein Kommilitone. Die nur auf Begeisterung: »Wir haben den vergangenen Monate Firmen ja komplette Anforderungslisten werkelten die Studenten geschickt. Das macht denen natürlich in Acht-Stunden-Schichganz schön Arbeit.« »Ach so, ein Uniten, manchmal länger. Projekt«, hieß es dann manchmal. »Da Genau so solle es auch kommt ja ohnehin nichts bei raus.« sein, meint Professor AlVon wegen. bers. Bei der Präsentation der Ergebnisse sitDenn selbst die besseren zen außer der Spiel-Geschäftsführung Studenten haben bis daund einem Spiel-Kunden auch echte

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Firmenvertreter im Hörsaal. Die wollen zwar nicht unbedingt Roboterarme kaufen. Aber sie suchen Nachwuchs-Ingenieure. Und von denen kriegen sie hier einige zu sehen. Und weil es mittlerweile nicht mehr allein darauf ankommt, gute Entwürfe zu fertigen, sondern auch darauf, sie überzeugend zu präsentieren, haben die Studenten auch das geübt. Alle tragen Anzug. Nicht alle sehen glücklich darin aus. Aber alle können locker mit einer Power-Point-Präsentation umgehen, werfen animierte Bilder von Robotergelenken an die Hörsaalwand, geben dem Publikum kleine LegoModelle zum Anfassen in die Hand und reden über »hydraulische Antriebe in Drehflügelbauweise« als hätten sie sich nie mit etwas anderem beschäftigt. Als Albers das Team »Moving Head« fragt, ob ihr Roboterschädel denn auch nicken könne, kommt die Antwort wie bei einem echten Verkaufsgespräch: »Wenn der Kunde das will, kann der Kopf nicken. Aber dann wiegt er 250 Gramm mehr.« Manchmal merkt man doch, das die Studenten in erster Linie Konstrukteure sind und nicht Verkäufer: Das Wort »Leck-Öl«, so moniert Albers, habe in einer Kunden-Präsentation nichts zu suchen – auch dann nicht, wenn die Studenten nur klar machen wollten, wie pfiffig sie das Nachfüllen gelöst haben. Auch »Plastikbauteil« ist tabu. Welcher Arm gebaut wird, ist noch nicht klar. Am besten gefallen hat Albers einer, der ganz trivial mit Seilzügen bewegt wird. Aber auch die anderen Lösungen fand Albers überzeugend. »Mal sehen«, sagt er, »wahrscheinlich bauen wir alle drei.« ANSBERT KNEIP Uni SPIEGEL 2/2002

PAUL LANGROCK / ZENIT

Uniklinikum Benjamin Franklin in Berlin-Steglitz: »Das sind Peanuts«

Protestierende UKBF-Mitarbeiter: »Nicht einfach ein

»DIE SPITZE DER BEWEGUNG« SPIEGEL-FORUM AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN AM 13. FEBRUAR 2002 ZUM THEMA »WOZU BRAUCHT BERLIN ZWEI UNIKLINIKEN?« Der rot-rote Berliner Senat war noch gar nicht im Amt, da brachte er schon eine komplette Klinikbelegschaft gegen sich auf. Um den überstrapazierten Landesetat zu entlasten, kündigten SPD und PDS im vergangenen Dezember an, das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF), die Klinik der Freien Universität (FU) im Stadtteil Steglitz, zu einem normalen Krankenhaus herunterzustufen. Rund 98 Millionen Euro pro Jahr sollten damit eingespart werden. Zu Tausenden gingen aufgebrachte Ärzte und Studenten auf die Straße, um gegen die Pläne zu proUniSPIEGEL: Herr Henke, lassen sich die Berliner ihre Gesundheit mehr kosten als der Rest der Republik? Henke: Allgemein lässt sich sagen, dass das Berliner Gesundheitswesen im Vergleich zu Westdeutschland teurer ist. Wenn man die Universitätsmedizin für sich betrachtet, und nur die steht hier zur Diskussion, trifft das aber nicht zu. Berlin ist so hoch verschuldet, dass täglich 5,7 Millionen Euro an Zinszahlungen anfallen. Das Forum moderierte SPIEGEL-Redakteur Johann Grolle.

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testieren, die das Ende der Medizinerausbildung an der FU bedeutet hätten. Nur die Charité, das Klinikum der Humboldt-Universität, sollte nach diesen Plänen weiter bestehen. Schließlich lenkte der Senat ein: Er beauftragte den Wissenschaftsrat damit, eine Expertenkommission einzusetzen. Diese soll prüfen, ob in der Berliner Hochschulmedizin drastische Kürzungen auch ohne die Umwandlung der FU-Klinik möglich sind. Beim SPIEGEL-Forum diskutierten Vertreter der Kliniken, der Politik, der Gesundheitsökonomie und der Studenten über die Zukunft der Berliner Unikliniken.

Dagegen sind die Millionen, die wir bei den Kliniken einsparen wollen, wirklich Peanuts. Das heißt aber nicht, dass wir nicht sparen müssen. UniSPIEGEL: Herr Senator Flierl, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat erklärt, wenn man den Umwandlungsbeschluss für das Klinikum Steglitz nicht durchsetzen könne, bewege sich in dieser Stadt praktisch gar nichts mehr. Nun haben Sie diesen Beschluss doch fürs Erste aufgegeben – ein Offenbarungseid? Flierl: Ich sehe es als großen Fortschritt an, dass wir von einer zunächst nur

haushaltspolitisch orientierten Entscheidung nun zu einer Entwicklung kommen können, die auch wissenschaftlich orientiert ist. Das ist ein Prozess, der die haushaltspolitischen Notwendigkeiten berücksichtigt und akzeptiert und dennoch zu sinnvollen Strukturen führen soll. UniSPIEGEL: Herr Paul, in ihrer ursprünglichen Form sollten die Kürzungen vor allem das Klinikum Steglitz betreffen. Sehen Sie jetzt die Möglichkeit, den geforderten Betrag von knapp 100 Millionen Euro einzusparen, ohne eine der Klinken zu schließen? Uni SPIEGEL 2/2002

KARSTEN THIELKER

ADVANTAGE

Spitzenforschung am UKBF*: »Enge Verzahnung mit anderen Fachbereichen«

Paul:

Uni SPIEGEL 2/2002

Der Pathologieprofessor Manfred Dietel, 53, ist Ärztlicher Direktor der Charité.

Thomas Flierl, 44, studierte Philosophie an der Berliner HumboldtUniversität. Seit Januar 2002 ist der PDS-Politiker Wissenschaftssenator von Berlin. Klaus-Dirk Henke, 59, hat an der Technischen Universität Berlin den Lehrstuhl für Finanzwissenschaften und Gesundheitsökonomie inne. Bernhard Motzkus, 59, ist Leitender Verwaltungsdirektor der Charité und gehört dem Vorstand der Berliner Krankenhausgesellschaft an. Der Pharmakologieprofessor Martin Paul, 44, steht als Dekan dem Fachbereich Humanmedizin der Freien Universität (FU) Berlin vor. Linus Grabenhenrich, 24, studiert im 6. Semester Medizin an der FU Berlin und ist Fachschaftssprecher.

UniSPIEGEL: Herr Dietel, Sie haben für Solidarität der Kliniken plädiert. Nun sieht es so aus, als würden die Einsparungen auch die Charité betreffen. Bereuen Sie Ihre Solidaritätsbekundungen bereits? Dietel: Ganz gleich, wie die Sparmaßnahmen aufgeteilt werden, sie werden nicht ohne einen schweren Schaden für die Hochschulmedizin Berlins zu Stande kommen. Die Vorgabe der Koalition, dass man 100 Millionen Euro einsparen und gleichzeitig die Medizin auf ihrem Niveau halten soll, ist schlicht zynisch. Das ist, als würde man in einen Mercedes 300 einen VW-Motor einbauen und dann sagen: »Nun fahr genauso schnell wie vorher.« Wir müssen uns klar machen, dass nicht nur die Hochschulmedizin, sondern auch ihr Umfeld – die biotechnologischen Firmengründungen oder die Freie Universität als Lehranstalt – einen schweren Schaden nehmen wer-

streiten

Die wichtigste Aufgabe der jetzt eingesetzten Kommission ist es, Umstrukturierungen zu entwickeln, die die gesamte Universitätsmedizin in Berlin einbeziehen. Deswegen haben wir uns gegen den ursprünglichen Beschluss auch gemeinsam mit den Kollegen von der Charité gewehrt. Es ist unter planerischen Gesichtspunkten einfach nicht sinnvoll, ein Bein abzuhacken und alles andere unverändert zu lassen. Ich persönlich denke, dass radikale Reformen notwendig sind. Wir haben jetzt die große Chance, dass die Universitätsmedizin hier von der Lachnummer der Nation zur Spitze der Bewegung wird. Dann hätten wir wirklich etwas erreicht. Motzkus: Die Einsparungen sind aber erst der Anfang der Problembewältigung. Wir haben in Berlin 22 500 Krankenhausbetten, bei einer durchschnittlichen Verweildauer der Patienten von 12 Tagen. Wir wissen aber aus internationalen Vergleichen, dass bei der Vergütung nach Fallpauschalen, wie sie jetzt kommen soll, die Verweildauer bei sechs Tagen liegt. Das heißt, wenn wir die Zahl der Betten nicht reduzieren, kommt es zu einem unkontrollierten Kliniksterben. Für die Expertenkommission geht es nicht nur um 98 Millionen Euro, es geht darum, dass wir die Hochschulmedizin hier insgesamt erhalten.

KARSTEN THIELKER (5); KAY HERSCHELMANN

Bein abhacken«

* Augenklinikchef Michael Foerster.

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KARSTEN THIELKER

SPIEGEL-Forum in Berlin: »Modelle wie in Harvard oder Stanford«

streiten

den, wenn diese Vorgabe eingehalten werden muss. UniSPIEGEL: Herr Grabenhenrich, inwieweit sind die Studenten von dieser Diskussion überhaupt betroffen? Grabenhenrich: Für uns steht nicht so sehr die Frage im Vordergrund, wie viele Millionen oder wie viele Betten an welchen Standorten eingespart werden müssen. Eine Universität besteht ja zum einen aus Wissenschaft und Forschung und zum anderen aus der Lehre – die ist für uns Studenten natürlich das Wichtigste. Für uns ist entscheidend, ob wir unser Studium so weiterführen können, wie es im Moment möglich ist. Es gibt nur wenige Orte in Deutschland, wo man in der Medizin ein ähnlich breites Angebot hat. Viele FU-Studenten nutzen die Möglichkeit, auch mal einen Kurs an der Humboldt-Universität zu machen oder sich dort einen Doktorvater zu suchen. Ob es eine oder zwei Unis gibt, ist für uns ganz wichtig. Dietel: Vergessen Sie noch eines nicht: Medizinstudenten werden auch am Patienten ausgebildet. Deswegen ist auch für sie wichtig, dass es an den Kliniken vernünftige Strukturen mit genügend Betten gibt. Es müssen genügend Patienten da sein und auch nicht zu kurze

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Zeit in den Betten liegen, weil eine Untersuchung durch Studenten unmittelbar nach einer Operation für alle Beteiligten nicht das Beste ist. UniSPIEGEL: Wie könnte eine Kosten sparende Strukturreform aussehen? Paul: Ein Punkt könnte die Trennung von Krankenversorgung einerseits und Forschung und Lehre andererseits sein – auch in den Budgets und bei der Verantwortung für die Kosten. Zwischen Forschung und Lehre müssten die Finanzen allenfalls besser voneinander abgegrenzt werden. Man wird auch über eine Rechtsformänderung nachdenken müssen. UniSPIEGEL: Herr Henke, liegt das Heil in der Privatisierung? Henke: Ohne eine Sockelfinanzierung von staatlicher Seite kommen wir nicht aus. Wir brauchen eine »Public-Private-Partnership«. Zum Beispiel könnten im Fall der FU Private 75 Prozent des Kapitals übernehmen, zugleich aber sollte das Präsidium der Universität eine Sperrminorität ausüben. So wäre gesichert, dass Forschung, Lehre und die Berufungen nach alten Standards laufen. Was ich hier predige, sind Modelle, wie sie zum Beispiel auch Harvard oder Stanford haben. UniSPIEGEL: Woher soll das Geld kommen? Mündet das nicht notwendigerweise in Studiengebühren? Oder

erhoffen Sie sich große Spenden aus der Industrie? Henke: Sowohl als auch. Wir müssen schauen, dass wir über Spenden und Drittmittel an Geld kommen. Dass Studiengebühren auch eine Rolle spielen müssen, ist unstrittig. Aber das ist in einem Kooperationsvertrag zwischen einer Universitätsleitung und Geldgebern auszuhandeln. UniSPIEGEL: Wie klingt das in den Ohren eines PDS-Senators: Berlin als Vorreiter bei der Uni-Privatisierung? Flierl: Es ist klar, dass die Modernisierung des Staates auch etwas mit Entstaatlichung zu tun hat. Aber wir haben uns in der Koalition entschieden, keine Studiengebühren einzuführen und Forschung und Lehre im Hochschulbereich weiterhin öffentlich zu finanzieren. Es geht um die Sockelfinanzierung; um die Trennung der Budgets und natürlich um eine Reaktion auf die von uns nur bedingt steuerbaren Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen. Das heißt, wir werden vermutlich um Privatisierungsmodelle – ob in landeseigener Trägerschaft oder anderer – im Bereich der Krankenversorgung gar nicht herumkommen. Motzkus: Ich habe die Privatisierung schon seit längerem gefordert – allerdings nur die Privatisierung der Krankenversorgung. Wenn die Fallpauschalen kommen, gehe ich davon aus, dass eine große Anzahl von öffentlichen Krankenhäusern – nicht nur Universitätskliniken – ihre Krankenhausträgerschaft aufgeben wird, weil einfach im öffentlichen Dienstrecht die Wettbewerbsfähigkeit dieser Einrichtungen nicht mehr gegeben ist. Zuhörer (aus dem Publikum): Was ist denn effektiver – zwei kleine, abgespeckte Universitätskliniken oder eine Mammutfakultät, wie sie im Gespräch war? Henke: Das ist betriebs- bzw. volkswirtschaftlich nicht so untersucht, dass man da Zahlen nennen könnte. Uni SPIEGEL 2/2002

schungsstandortes größer als die Einsparungen?

Paul: Paul:

MARCEL METTELSIEFEN / DPA

Ein wichtiges Argument, alle Standorte zu erhalten, ist, dass sie in eine Struktur eingewachsen sind. Die enge Verzahnung nicht nur des Klinikums mit den vorklinischen Instituten, sondern auch mit den uns umgebenden naturwissenschaftlichen Fächern ist ein Grund dafür, diesen Standort nicht aufzugeben. Man kann ihn auch nicht transplantieren, dafür ist er in seinen Strukturen viel zu differenziert. Grabenhenrich: Die Konkurrenz zwischen den beiden medizinischen Fachbereichen habe ich Demonstration vor dem Kanzleramt als sehr beflügelnd und kon- »Zynische Vorgaben der Politik« struktiv erlebt. Ich habe die Studenten die Türen an allen UniHoffnung, dass auch in den nächsversitätskliniken offen stehen, so ten zehn Jahren diese Universitätswie wir das schon heute haben. kliniken noch so zusammenarbeiten, dass alle Studenten und vielZuhörer (aus dem Publikum): leicht auch Professoren miteinWären langfristig die Folgekosten ander arbeiten und vor allem den bei der Schließung eines For-

Es gibt eine Reihe von Berechnungen, die darauf hindeuten, dass wir für jede Mark oder für jeden Euro, den wir an Geld für die Forschung einsparen, gesamtwirtschaftlich ein Mehrfaches verlieren. Auch wenn man pleite ist, sollte man nicht gerade da sparen, wo man vielleicht noch etwas verdient und eine Wertschöpfung erzielt. Flierl: Es geht um strukturelles Sparen. Dass der Schließungsbeschluss mit erheblichen Folgekosten verbunden wäre, ist völlig klar. Wir müssen tatsächlich auch überlegen, ob wir die eine Mark ausgeben sollten, um die zweite und dritte Mark durch Drittmittel und Bundesmittel kassieren zu können. Berlin darf sich nichts vormachen: Wir sind tatsächlich so arm, dass wir uns das Sparen kaum noch leisten können.

VON MADRID IN DEN HIMMEL Im Jahre 1499 gründete der Franziskaner Francisco Jiménez de Cisneros, Kardinal und mächtiger Erzbischof von Toledo, in Alcalá de Henares eine Universität – 30 Kilometer entfernt von einem unbedeutenden Dorf namens Madrid. Der Kirchenmann wünschte ein frommes Gegengewicht zur Hochschule in Salamanca, die vorwiegend Juristen für die weltliche Gerechtigkeit ausbildete. Nach Complutum, der alten Römer-Stadt an dieser Stelle, nannte der Erzbischof seine Universität Complutense. Inzwischen ist aus dem Dorf die spanische Hauptstadt mit fast drei Millionen Einwohnern geworden. Und die Universidad Complutense, 1836 nach Madrid verlagert, ist mit rund 103 000 Studenten im Jahr 2000 zu einer der größten Hochschulen Europas gewachsen. Fast 5000 Philologen konkurrieren um Plätze in den Hörsälen. Als Anja Wetzel, 21, aus MecklenburgVorpommern zum ersten Mal den Campus der Universidad Complutense betrat, war sie erschrocken über das Gewusel. Ohne innezuhalten eilen die jungen Spanier zwischen den roten Backstein-Gebäuden herum, die grünen Hügel unter Zypressen und Kiefern sind voll mit Studenten, die gerade Picknick machen. Zwischen den Vorlesungen verschlingen sie da ein Bocadillo, das mit Schinken oder paprikaroter ChorizoWurst belegte Weißbrot. Doch inzwischen stimmt die Kunst- und Spanischstudentin von der Uni Greifswald theatralisch in den Schlachtruf der verrückten Künstlerszene Movida ein, die Anfang der achtziger Jahre Madrid aufmischte: »De Madrid al cielo«, von Madrid in den Himmel. Das Großstadtflair »ist für mich das Tollste«, gesteht Anja. Sie kann sich nicht mehr so recht vorstellen, wie sie wieder in ihr Heimatnest Lübz bei Schwerin zurückkehren oder später mal in einer deutschen

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ALLE FOTOS: MOUNTSERRAT VELANDO / CONTACTO

DAS STUDIUM IN SPANIENS HAUPTSTADT IST EHER TROCKEN: DOCH DAS WILDE LEBEN IN DER NEUEN EUROPÄISCHEN METROPOLE ENTSCHÄDIGT FÜR ALLES.

Auslandsstudentin Knischewski an der Plaza Mayor: Pulsierende Nächte, bleierne Vorlesungen Uni SPIEGEL 2/2002

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* Jan Bernd Opfermann (M.), Jana Padel

(r.).

ausland

Studenten in Madrider Bar*: Nicht vor sieben ins Bett

»Ich war total gestresst von der Wohnungssuche.« Fünf Tage lang stand sie morgens um sechs Uhr auf, durchsuchte die druckfrischen Zeitungen auf Zimmerangebote und stellte sich mit bis zu 100 Bewerbern beim Vermieter an. Ergebnis: Bis Weihnachten hatte sie ein Zimmer mit Ausblick – auf den Lichtschacht. »Madrid me mata«, Madrid bringt mich um. Über die Wohnungsmisere klagen alle deutschen Austauschstudenten. Studentenwohnheime gibt es zu wenige. Ohnehin würde die Rundumversorgung in einem so genannten Colegio Mayor mit Bettwäsche, Mahlzeiten, Sport und Kino im Monat 750 Euro kosten – doppelt so viel wie Anja monatlich vom DAAD bekommt, ein Sechsfaches vom Stipendiensatz der ErasmusStipendiaten. Die jungen Deutschen geraten daher oft betrügerischen Maklern in die Klauen, die vorab bis zu 250 Euro Vermittlungsgebühr kassieren, um dann nur »Interiores« anzubieten. Was kuschelig klingt, ist schnöde ein Zimmer ohne Aussicht. Da werden bisweilen 210 Euro für fünf Quadratmeter verlangt. Und das im volkstümlichen Viertel Argüelles, nur weil es nahe am Campus, der »Ciudad Universitaria«, liegt. Inzwischen ist Anja in einer Multikulti- Wohngemeinschaft von sieben bis elf Ausländern gelandet. Sie wohnt im lauten, Tag

studieren

Kunstliebhaberin Wetzel: Den Moloch lieben lernen

Kleinstadt unterrichten soll. Es ist die Stadt, die jedes Studium lohnt: Madrid, die jüngste und verrückteste Metropole der Welt, doppelt so groß wie München, bekannt durch die schrillen Filme des OscarPreisträgers Pedro Almodóvar (»Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs«). Seit der erzkatholische Diktator Generalísimo Francisco Franco im November 1975 an Altersschwäche starb, wandelte sich die gesichtslose Verwaltungsstadt mit den protzigen Bankpalästen zum Trendsetter: Weit über Spanien hinaus drangen die hohen Sirenenklänge der Disco-Hymne vom Mondsohn, »Hijo de la Luna«, setzte sich die Mode des freien Bauchnabels durch. Weil es fast vier Jahrzehnte lang im Gefängnis der Franco-Diktatur gehalten wurde, hat sich Madrid der großen Freiheit verschrieben. Alles gibt’s, alles geht, die Nächte sind wild, und »wer vor sieben Uhr am Samstagmorgen ins Bett kommt, hat sich nicht amüsiert«, sagt Anja Wetzel. Sie ist immer noch platt über so viel »marcha«, jenen Impuls, der ihre spanischen Kommilitonen von einer Bar in die andere treibt. Als die junge Ostdeutsche zu Beginn des Wintersemesters, mit einem DAAD-Stipendium für das Romanistenprogramm ausgestattet, in der spanischen Hauptstadt eintraf, drohte der Moloch Madrid sie zu verschlingen.

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und Nacht pulsierenden Herzen von Madrid, an der Puerta del Sol. Dort stand sie mit ihrer deutschen Mitbewohnerin Lena Knischewski, 24, in der Silvesternacht vor dem Regierungssitz der Region Madrid, dessen Uhr das Glück der Spanier bestimmt. Wer es schafft, zwölf Trauben im Rhythmus der Schläge zu verschlingen, dem lacht der Himmel im neuen Jahr. »Vor lauter Trubel haben wir die Glocken gar nicht gehört«, empört sich Lena von der Uni Mannheim. Es befremdete Anja und Lena zunächst, dass die Professoren sich duzen lassen und in der Cafeteria genüsslich eine dicke Tüte Haschisch durchziehen. Und sie waren erst mal enttäuscht über das Angebot, das im Vorlesungsverzeichnis so interessant geklungen hatte. Denn das Studium in Spanien hat wenig mit Freiheit des Denkens und Forschens zu tun. Es ist streng gegliedert in drei Stufen, so genannte ciclos: Grundstudium und Hauptstudium, nach vier bis sechs Jahren Abschluss mit einer »licenciatura«, die etwa einem Diplom oder Staatsexamen entspricht. Zur Promotion führt ein dritter Zyklus von zwei

Deutsche Studentinnen auf dem Complutense-Campus*: Verdutzt über Hasch rauchende Profs

Jahren. Anschließend wird die Doktorarbeit verfasst. Die Studienpläne sind fest vorgeschrieben und innerhalb eines Fachs für alle gleich. Seminare sind selten, die Akademiker werden meist mit frontalen Vorlesungen traktiert. Die Spanier, so Jana Padel, 23, aus Münster, »schreiben mit wie die Weltmeister«. Den Stoff pauken sie stur auswendig und spucken ihn in einer Semesterabschluss-Klausur wieder aus. Jana hat in Köln Geschichte, Politik und Philo-

sophie belegt, jetzt hat sie sich für die andere renommierte Madrider Uni, die Universidad Autónoma (UAM) im Norden entschieden. Als Reform-Anstalt mit größerer Unabhängigkeit vom Regime wurde die Autonome Universität 1968 während einer Phase relativer Öffnung der Franco-Diktatur gegründet. Die inzwischen 35 000 eingeschriebenen Studenten erreichen * Anja Wetzel, Lena Knischewski, Beatrix Böhm.

ihre Hörsäle in den Waschbetonquadern vom Zentrum aus nach halbstündiger Fahrt im Nahverkehrszug oder Bus. Dort in Cantoblanco, idyllisch zwischen Schafweiden und Bauernhöfen, prügelten in der brutalen Endphase der FrancoDiktatur Polizisten die linksbewegten Politikwissenschaftler und Philologen zusammen. Von den bleiernen Jahren zeugen noch Eisengitter vor den Fenstern der Cafeteria des Philosophikums, die eigens 1974 eingezogen wurden, um Fluchtwege zu versperren. Etwas vom damaligen Geist scheint an der Autónoma die Jahrzehnte überdauert zu haben. Die Pflichtvorlesung »Unterweisung im Franquismus« jedenfalls nahm der betagte Professor wörtlich: »Lasst euch nicht von negativen Parolen über den Caudillo verseuchen«, mahnte der Franco-Sympathisant mit drohendem Zeigefinger. Die Studenten schwiegen und schrieben. Da war für Jana Padel der Kurs nach der ersten Stunde gestrichen. Keine Entschädigung boten die Philosophie-Vorlesungen, immerhin im vierten und letzten Studienjahr. »Handbuch-

niveau, nix da mit Wissenschaft, platter Reader’s Digest«, stellte Jana fest. Auf der Lektüreliste standen beispielsweise im vergangenen Semester nicht weniger als fünf Werke des deutschen Denkers Immanuel Kant, aber gelesen haben die spanischen Kommilitonen keines. Wie »ein Haufen Kindergartenkinder« kämen ihr die Studenten oft vor, bestätigt Gisela Rumold, 30, die an der Autonomen Universität Madrid als DAAD-

IN MADRID STUDIEREN Universidad Complutense de Madrid: www.ucm.es Studium: www.ucm.es/info/vicrint/faq.htm Universidad Autónoma de Madrid: www.uam.es Studium: www.uam.es/internacionales/ informacionacademica.html Sokrates/Erasmusstudenten an der Complutense: www.ucm.es/info/vicrint/ Socrates/socrates.htm Informationen zum Studium im Ausland: www.daad.de

Lektorin in der Abteilung für Touristik Deutsch lehrt. Die meisten beginnen mit 18 zu studieren, leben zu Hause und kommen in geschlossenen Cliquen von der Schule an die Universität. »Sie sind unreif, wagen nicht, eine eigene Meinung zu haben«, klagt die Dozentin. Spanier seien gewohnt, nur für die Prüfung zu lernen, »von wegen fürs Leben«. Ein Student, der bei ihr ein Referat über den deutschen Bundesrat halten sollte, räumte ein, er habe keine Ahnung, ob es Unterschiede zur spanischen zweiten Kammer gibt. »Das war letztes Jahr dran, das hab ich vergessen.« Dennoch ist Raúl Villar, der Rektor der Autónoma, stolz auf das »liberale Klima« an seiner Uni. Als 1968 der Lehrbetrieb begann, wurden aus dem Exil namhafte Professoren geholt, wie etwa der Medizin-Nobelpreisträger Severo Ochoa. Die medizinische Abteilung genießt bis heute den Ruf als beste im Land. Das hat den Hannoveraner Florian Riese, 24, angelockt. Der Erasmus-Stipendiat studiert Medizin an der Vorzeige-Uni des deutschen Ostens, in Dresden. Zwar seien die Dias für die Vorlesungen in

studieren ausland

Madrid veraltet, und »die Statistiken brechen 1980 ab«, aber die Praktika wiegen den Theorie-Rückstand voll auf. Statt mit 400 Kommilitonen um den Platz am Krankenbett bei der Visite zu rangeln wie in Dresden, »hab ich hier nur 40 Leute im Jahrgang«. Jeden Tag etwa drei Stunden zieht sich Florian den weißen Kittel über und besucht in einem der vier Lehrkrankenhäuser der UAM, der Clínica de la Concepción, Patienten. Jeden Monat lernt er ein neues Fachgebiet kennen. Mit der Sprache hat Florian Riese kei- Angehende Journalistin Böhm: Fernsehnachrichten als Lehrstoff ne großen Probleme, und in den Vorroutiniert. Unter dem Arm geklemmt lesungen dominiert ohnehin das FachAfghanistan am nächsten Morgen von trägt sie meist eine gigantische Bilderlatein. Weil er vor dem Spanien-Aufentden dort lehrenden Journalisten in Lehrmappe. Denn am meisten Freude bringt halt schon eine Sprachschule in Guatestoff verwandelt wurden. Wie die andeihr der Kurs »Anatomisches Zeichnen«. mala besucht und ein Praktikum in Peru ren deutschen Stipendiaten glaubt auch So eine Möglichkeit, ganz in Ruhe vor absolviert hatte, kann er die Patienten Beatrix, dass es sich empfiehlt, in Aktmodellen oder einem Skelett zu siteinigermaßen verstehen. Deutschland zunächst das Grundstudizen und die Proportionen abzugucken, Auch Anja Wetzel von der Uni Greifsum abzuleisten und wissenschaftliche dann zu probieren, die aufs Papier zu wald ist in Madrid gerade von den prakFundamente zu legen, um von der Prabannen, das »gibt’s zu Hause nicht«. tischen Kursen schwer begeistert. Auf xisorientierung in Spanien zu profitieIm Studiengang Publizistik erlebte Beadem Complutense-Campus bewegt sich ren. Zur Vorbereitung auf ein Studium trix Böhm, 23, von der Uni Münster, wie die hoch gewachsene Deutsche mit dem an einer deutschen Uni sei das spanische die abendlichen Fernsehnachrichten aus dunkeln Pagenkopf inzwischen ganz System völlig ungeeignet. Deshalb ist die Romanistin Katharina Deloglu, 25, von der Uni Mainz erst drei Semester vor ihrem Abschluss in Vergleichender Literaturwissenschaft an die Complutense gegangen. »Ich bin sehr froh, mich so entschieden zu haben.« Hier kann sie ihren letzten Schein ablegen, weil sie sich gut mit dem Prof zu Hause abgesprochen und das Glück hatte, einen Madrider Dozenten aufzutreiben, der gar bereit ist, eine Hausarbeit zu korrigieren. Ihr Thema »Spanische Autoren nach 1975«, das sie auch für die Magisterarbeit gewählt hat, wird in Mainz noch gar nicht angeboten. Katharina, die zuvor ein Semester im französischen Tours verbrachte, ist vom Kulturangebot Madrids überwältigt: Die Museen kann man am Sonntag gratis besuchen. »Els Joglars«, die bekannteste spanische Schauspieltruppe aus Barcelona, »für 8,50 Euro, wo gibt’s das schon«, schwärmt sie. Spätabends zieht sie gern durch Kneipen, wo das Publikum selbst ausgedachte Chansons vorträgt oder ein Geschichtenerzähler die Nachtschwärmer in Bann schlägt. Das kostet keinen Eintritt, und das mitten im dichten Touristentrubel nahe der Plaza Santa Ana.

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»Ich wollte was erfahren.« Das ist ihm gelungen. Nach einem halben Jahr an der freundlichen und »top ausgestatteten« Privat-Uni im andalusischen Córdoba, wo er mit einem Erasmus-Stipendium Spanisch lernte, hat er ein so genanntes Leonardo-Praktikum, vom DAAD vermittelt, an der DeutStipendiatin Wetzel im Praxis-Kurs: „Das gibt’s zu Hause nicht“ schen Außenhandelskammer für Spanien in Madrid an»Man kann in Madrid leben, wie in eigehängt. nem Dorf, na ja, wie zu Hause in StuttDa serviert Jan Bernd, verkleidet als gart«, sagt die angehende Journalistin Euro-Münze, Klienten schon mal CockBeatrix: »Wenn ich morgens in die tails, oder er schreibt eine Marktanalyse Bäckerei gehe, die Bäckersfrau mir zufür einen deutschen mittelständischen lacht und mir ungefragt genau das richUnternehmer aus der Schuhbranche. tige Brot reicht oder wenn mein LiebDas Leben in den Straßen der Hauptstadt lingsbusfahrer mich zur Uni fährt.« findet er »klasse, auch im Vergleich zu Er habe eingerechnet, dass »ich ein Jahr Córdoba«. Dort sparten die Studenten karrieremäßig verliere«, gesteht Jan Disco-Eintritt und trafen sich auf den Bernd Opfermann, 25, BWL-Student Plätzen zum Botellón, der Flaschenparan der Fachhochschule Augsburg.

ty auf der Straße, bei selbst gemischtem Cola-Rotwein. In Madrid, klar, geht das Geld schnell drauf für ein paar Tapas, die kleinen Häppchen zum Bier, und viele, viele Drinks beim samstäglichen Zug durch die »bares de copa«. Jana Padel nahm ihr Philosophiestudium in Madrid mangels interessanter Theorie ganz praktisch: »Ich hab viel über mich gelernt, mich neu definiert.« Sie jobbte in Zeitungsredaktionen und beim Goethe-Institut, lernte bei ihrem spanischen Mitbewohner die Handtrommel aus Westafrika, Djembé, spielen, wie es gerade in ist. Eine gewisse »Relaxedheit der Spanier, erst mal ’nen Kaffee trinken, dann seh’n wir weiter«, das will sich Jana abgucken. Auch wenn sie die Oberflächlichkeit, das totale Desinteresse ihrer spanischen Altersgenossen an der Vergangenheit der Diktatur oft nervt, der deutsche Ernst sei auch übertrieben. »Cabeza cuadrada«, Quadratschädel, ist der Spitzname für die »alemanes«. Die erkennt man daran, dass sie sogar in der Disco grübeln und diskutieren wollen statt zu tanzen. HELENE ZUBER

DIGITALE HOCHSTAPELEI STUDIEREN PER INTERNET IST BEQUEMER ALS IM HÖRSAAL ZU SITZEN. ABER DAS ANGEBOT IST DÜRFTIG.

Wenn sich abends die Büros leeren, bleibt Gerti Mager noch am Computer sitzen. Denn jetzt beginnt ihr Studium. Tagsüber arbeitet die diplomierte Sprachwissenschaftlerin als Abteilungsleiterin bei der Berliner Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung. Am Abend aber wechselt Mager die Rolle. Dann wird sie zur Studentin der Sozialen Verhaltenswissenschaft, die für ihren Semesterschein pauken muss. Thema des Seminars: Entwicklung von Fragebögen. Ort des Seminars: Die unendlichen Weiten des Cyberspace. Eigentlich absolviert die Marktforscherin ein klassisches Fernstudium per Post an der Fernuniversität Hagen. Für ihr Fragebogen-Seminar ist sie aber auf den virtuellen Campus gewechselt, den die Hagener 1999 eingerichtet haben. Schon in der Ankündigung des Kurses stand, dass ein virtuelles Seminar besonders zeitintensiv ist. »Sie sollten täglich Ihre Mail abrufen können«, hieß es da, »und am besten alle zwei Tage die News lesen und jeweils zügig antworten.« Dazu kamen kleine Tests, die Arbeit in der Referatsgruppe und die umfangreiche Abschlussarbeit. »Von Einsamkeit am Computer kann gar keine Rede sein. Stattdessen gab es eine unglaubliche Dynamik, weil wir verpflichtet waren, immer wieder online zu gehen«, berichtet Mager. In den Gruppen wurde ständig unter der Leitung der Dozenten diskutiert. »Und durch das permanente Chatten und Mailen mit den Leuten aus der Referatsgruppe ist eine ganz dichte Arbeitsatmosphäre entstanden.« Motivationsprobleme habe es so erst gar nicht gegeben. Doch Mager weiß, dass das allein nicht ausreicht: »Bei so einem Studium muss man vor allem äußerst diszipliniert sein. Man muss genau wis-

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DIRK KRÜLL / LAIF

SABINE SAUER

was der Abschluss einer Netz-Uni späCyber-Ausbildung, sobald der Studiensen, was man will. Und man muss es ter in der wirklichen Welt wert ist. Wer alltag beginnt. konsequent durchziehen.« sich heute einschreibt, nimmt teil an eiTrotzdem ist die Nachfrage nach virtuWenn Rolf Schulmeister solche Erfolgsnem großen Experiment, das durchaus ellen Studiengängen in Deutschland in geschichten hört, zuckt er nur mit den schief gehen kann. den vergangenen zwei Jahren enorm geAchseln. Als Professor am InterdisziWas manche abschreckt, ist für andere stiegen. Interesse zeigen längst nicht plinären Zentrum für Hochschuldidakeine Herausforderung. So zum Beimehr nur jene, die ein Fernstudium abtik der Universität Hamburg hat er sich spiel für Rolf Bäcker, dem es bei seisolvieren müssen, weil sie Kinder haben seit der Einführung des World Wide nem virtuellen Studium gar nicht so oder auf dem Land wohnen. Jetzt dränWeb mit den Möglichkeiten des OnlineStudiums beschäftigt. Vor einem Jahr ist seine detaillierte Studie über virtuelle Universitäten erschienen, die jeder lesen sollte, der ein Studium im Cyberspace beginnen will. Die meisten Bildungsexperten sind eher skeptisch, wenn es um das Studieren im Netz geht. Dass eine ehrgeizige Studentin wie Gerti Mager gut mit einem virtuellen Seminar zurechtkommt, wundert Schulmeister nicht: »Wenn man schon ein Stu- Online-Studenten Mager, Bäcker: »Man muss es konsequent durchziehen« dium abgeschlossen hat und sehr um den hochkarätigen Abschluss gen Fortbildungswillige wie Gerti Maweiß, wie man lernen muss, dann kann geht. ger ins Netz, die bereits im Job stehen das Online-Studium durchaus erfolgDaheim in Kerpen sitzt er an seiner Pround sich Schlüsselqualifikationen für reich sein.« Schwierig wird es dagegen motion über spanische Musik der Reihren Beruf versprechen. für die Erstsemester, die noch nie eine naissance. Für die Arbeit braucht er den Auf den Seiten von studieren-im-netz.de, Uni betreten haben. »Die haben Orienunmittelbaren Kontakt zur iberischen auf denen die deutschen Uni-Angebote tierungsschwierigkeiten und LernproKultur. Als ihm eine Dozentin von der versammelt sind, werden monatlich bleme«, konstatiert Schulmeister, »die virtuellen Universitat Oberta de Catarund 20 000 Zugriffe gezählt. Der verQuote derer, die ein solches Studium ablunya (UOC) erzählte, an der man Kaantwortliche Redakteur Folker Schröbrechen, ist deshalb äußerst hoch.« talanische Kunstgeschichte studieren del: »In den meisten E-Mails wird nicht Auch für erfahrene Studenten lauern Gekann, meldete er sich sofort an. Seither nach einzelnen Kursen gefragt, sondern fahren in der virtuellen Bildungswelt. promoviert er in Köln und Kerpen – und nach kompletten Online-StudiengänDer Online-Campus der Fernuniversität studiert in Barcelona mit Kommilitonen, gen.« Meist werden jedoch nur spezielle Hagen zählt für Schulmeister noch zu die über die ganze Welt Themen oder Ergänzungsstudiengänge den seriösen Anbietern auf einem verstreut sind. An der angeboten. Wer allerdings MedieninMarkt, auf dem die digitale Hochstapelei UOC sind mehr als 20 000 formatik studieren will, findet ein breizur Normalität gehört. Immer neue Studenten eingeschrietes Angebot an der Virtuellen FachInstitutionen öffnen mit immer schrilben, die von mehr als hochschule, die von der FH Lübeck inileren Parolen ihre virtuellen Portale, um 1000 Dozenten und Tutotiiert wurde und an der sich im verganzahlende Studenten zu gewinnen. Aber ren umsorgt werden. genen Wintersemester mehr als 150 Stuoft verschwinden die Anbieter schnell Drei schriftliche Arbeiten denten immatrikulierten. wieder vom Bildschirm, weil sie ihr Konmusste Bäcker einreichen Doch auch in Lübeck ist die Euphorie zept nicht finanzieren können. »Oder – parallel zum üblichen gedämpft. Bislang weiß niemand genau, sie schrauben ihre Ausbildungsqualität Seminarbetrieb im Netz. auf ein indiskutables Niveau zurück«, STUDIUM IM NETZ Die Mühe hat sich geweiß Schulmeister. lohnt. Nicht nur weil heuFür die privaten Anbieter gibt es keine Links: te auf seinem Schein die Kontrollinstanz. Nur in den seltensten www.oncampus.es Bestnote steht. »Ich wollFällen, warnt Schulmeister, können die www.uoc.de te ja auch prüfen, ob mein Studenten vorher prüfen, wie der Unwww.studieren-im-netz.de Katalanisch überhaupt terricht abläuft und welche Qualität die www.fernuni-hagen.de Buchtipp: ausreicht«, sagt er stolz. Unterrichtsmaterialien haben. Die meisRolf Schulmeister: »Virtuelle Univer»Und ich wollte ausproten Netzseiten der virtuellen Universität – Virtuelles Lernen«, Oldenbourg bieren, wie ein virtuelles sitäten sind passwortgeschützt. Wer Verlag, München 2001; 480 Seiten; Studium funktioniert.« nicht zahlt, darf auch nicht rein. Für 59,80 Euro. viele platzt deshalb der Traum von der STEPHAN POROMBKA

surfen

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WWW.UNISPIEGEL.DE

SERVICE FÜR MÜDE REVOLUZZER Protest-Post an Abgeordnete – das klingt so mühsam wie altbacken. Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) spielt für müde Revoluzzer jetzt den elektronischen Briefträger: Mit wenigen Mausklicks können Schreibtisch-Protestierer bunte Motive auswählen, Mandatsträger anklicken und ihnen per E-Mail mitteilen, wie wenig sie von Studiengebühren halten. Mit der Kampagne »Gute Bildung braucht Zeit« wendet sich das ABS gegen jede Form von Gebühren, auch gegen Studienkonten oder Bildungsgutscheine. www.gute-bildung.de/protest

WAS VOM TAGE ÜBRIG BLIEB

surfen

Manche Themen haben das Zeug zur Story, tauchen aber kaum in den Medien auf. Seit fünf Jahren fahndet die »Initiative Nachrichtenaufklärung« nach solchen Stiefkindern der Redaktionen. Alle Vorschläge der Bürger werden von Studenten aus Siegen und Dortmund recherchiert. Einmal jährlich ermittelt eine Jury aus Journalisten und Wissenschaftlern eine Rangliste der »unterdrückten Nachrichten«. Auf Platz 1 des vergangenes Jahres landete die »Monopolisierung der Trinkwasserversorgung«. Ebenfalls unter den Top Ten: »Unternehmen verdienen an Folterinstrumenten« und »CNN-Selbstzensur« im Afghanistan-Krieg. www.nachrichtenaufklaerung.de

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SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG Abo-Service: Tel. (040) 3007-2700, Fax: (040) 3007-3070 Postfach 10 58 40; 20039 Hamburg E-Mail: [email protected] Online: www.unispiegel.de

Moritz Küpper, Jochen Leffers, Stephan Porombka, Marion Schmidt, Katharina Stegelmann, Helene Zuber Gestaltung: Sebastian Raulf Bildredaktion: Christiane Gehner Schlussredaktion: Lutz DiedrichsSchneider, Hermann Harms, Tapio Sirkka Herausgeber: Rudolf Augstein Dokumentation: Carsten Voigt; JörgChefredakteur: Stefan Aust Hinrich Ahrens, Dr. Helmut Bott, Viola Verantwortlich: Dr. Martin Doerry, Broecker, Johannes Eltzschig, Hartmut Michael Schmidt-Klingenberg Heidler, Angela Köllisch, Sonny KrausRedaktion: Julia Koch, Cordula Meyer, pe, Stefan Storz, Petra Santos, Andrea Joachim Mohr Wilkens, Karl-Henning Windelbandt Mitarbeit: Johann Grolle, Ulla Hansel- Verantwortlich für Anzeigen: mann, Ansbert Kneip, Christiane Kühl, Jörg Keimer

STUDIENPLATZTAUSCH: Nichts wie weg Jedes Semester verbannt die ZVS Tausende von Erstsemestern in Studienorte fernab von ihrer WunschUni. Aber den Studienplatz kann man tauschen – den passenden Partner vermittelt die Tauschbörse bei UniSPIEGEL ONLINE. STUDENTENJOBS: Die Praxis testen UniSPIEGEL ONLINE berichtet über die skurrilsten Jobs für Studenten – zum Beispiel als FußballScouter, Messe-Hostess oder Rikschafahrer. Die Jobbörse enthält fast 1000 Angebote. STIPENDIEN: Nicht nur für Streber Mit Stipendien können Studenten ihr knappes Budget aufbessern und Kontakte knüpfen. Die Stiftungen suchen keineswegs nur Überflieger – eine Serie bei UniSPIEGEL ONLINE. Verlagskoordination: Matthias Schmolz Druck: Neef+Stumme Gmbh & Co. KG Repro: Hamburger Reprotechnik GmbH Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 3 vom 1. Januar 2002 Den UniSPIEGEL erhalten alle Bezieher des SPIEGEL-Studentenabonnements. Ein aktuelles Heft senden wir auf Wunsch gern zu. Telefon: 040/411 488, E-Mail: [email protected] In der Gesamtauflage dieser Ausgabe befindet sich eine Beilage der »Financial Times Deutschland«, Hamburg, sowie in einer Teilauflage eine Beilage der Firma Beiersdorf, Hamburg.

I M P R E S S U M

Kampagnen-Motive vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren

NEUE SERIE: Schnappschuss aus Cambridge Die spinnen, die Briten: An ehrwürdigen englischen TraditionsUnis lassen die Studenten es gern mal krachen. Aus Cambridge berichtet Gregor Schmitz über das legendäre Ruder-Rennen, Alkohol-Exzesse und königliche Studenten.

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PASCAL SCHICHOR, 28, GEOGRAFIESTUDENT IN HAMBURG, SURFT VOR SÜDAFRIKA UND BERICHTET IM INTERNET ÜBER STRAND UND LEUTE.

Frage: »Wie geht’s?« Pascal: »Wie bitte?« Hörst du schlecht? Ja, mein Ohr ist voll Antibiotika-Creme. Wieso? Ich hab eine dicke Entzündung. Die kommt von meinem »surfer’s ear«. Was ist das denn? Ein medizinisches Phänomen. Wenn man beim Windsurfen ständig ins kalte Wasser fällt, wachsen einem die Gehörgänge mit der Zeit fast zu. Dann kann der Dreck rein, aber nicht mehr raus, und das Ohr entzündet sich. Warum fliegst du zwölf Stunden bis Südafrika zum Surfen? Weil da im Winter der beste Wind ist. Und wie ist es jetzt? Deprimierend. Seit sieben Tagen rührt sich kein Lüftchen. Wie kommt das? Der Passat hat ausgesetzt. Kein Mensch weiß warum. Vielleicht ist das die Klimakatastrophe? Für mich ist es jedenfalls eine. Aber als Geografiestudent hast du doch nun Zeit, dir das Land anzusehen. Ja, ja. Aber eigentlich bin ich doch wegen der Superwellen hier. Wie wäre es mit einer Diplomarbeit über die Geografie des Surfens? Schön wär’s, wenn das ein Professor nehmen würde. Ich wär schon froh, wenn ich jetzt einen Praktikumsschein bekäme. Wofür?

Mit meiner Freundin Eva berichte ich bei livetravel.net über Surfen und Südafrika. Wir machen Fotos und Videos mit einer digitalen Kamera, schreiben Texte dazu und schicken die per Internet nach Hamburg. Und wozu soll das gut sein? Die armen Leute im Büro können da jeden Tag am Computer miterleben, wie schön es am Ende der Welt ist. Was gibt es denn derzeit Neues aus Kapstadt? Zum Beispiel die Hai-Geschichten. Angeblich schwimmen Massen Weißer Haie hier herum, einer aus unserer Lodge will schon gesehen haben, wie ein Hai Wellen reitet. Und wenn wir dann zu dem Strand rasen, wo die Haie aufgetaucht sein sollen, ist weit und breit keine Dreiecksflosse auszumachen. Hast du keine Angst beim Surfen? Nein, Windsurfer sind kaum gefährdet. Schlechter ist es für Wellenreiter. Wenn sie auf ihren Brettern liegend rauspaddeln, sehen sie für die Haie von unten wie Robben aus. Wirklich gefährlich ist es am Kap Agulhas. Da tauchen Touristen im Käfig ab, und vor ihren Augen werden die Haie mit blutigen Steaks gefüttert. Da gibt’s Haie wie Sand am Meer, und der Surfer ist auch schnell gegessen. Und wie sind die Südafrikaner? Das ist schon komisch. Als ob es immer noch die Apartheid gäbe. Am Strand sind die Weißen unter sich, höchstens liegt mal eine schwarze Schönheit noch mit dabei. Als Tourist hat man den Eindruck, dass alle Billigjobs von Schwarzen gemacht werden. Unter den Surfern haben wir keinen einzigen Schwarzen getroffen. Das ist hier schon ein LuxusSport. Aufgezeichnet von: Michael Schmidt-Klingenberg

Der nächste UniSPIEGEL erscheint am 18. Mai 2002 50

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