Auf dem Weg zur molekularen Analyse der Mikrophthalmie des Texelschafes

ZueKu1-08_AK2 18.12.2007 12:23 Uhr Seite 73 Züchtungskunde, 80, (1) S. 73 – 81, 2007, ISSN 0044-5401 © Eugen Ulmer KG, Stuttgart Auf dem Weg zur ...
Author: Klara Gärtner
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Züchtungskunde, 80, (1) S. 73 – 81, 2007, ISSN 0044-5401 © Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Auf dem Weg zur molekularen Analyse der Mikrophthalmie des Texelschafes J. Tetens1, 2 und C. Drögemüller1, 3

1 Einleitung Seit den 1950er Jahren ist in den Niederlanden und Frankreich bei Texelschafen über eine kongenitale Anomalie berichtet worden, die durch beidseitige hochgradige Verkleinerung der Augäpfel und vollständige Blindheit bei ansonsten vitalen neugeborenen Lämmern gekennzeichnet ist (Abbildung 1; De Groot, 1957; Zwiep, 1958; Hanset, 1961). Die betroffenen Lämmer sind hilflos und finden in der Herde ihre Mutter nicht. Sie bedürfen zu ihrer Erhaltung bis zum schlachtreifen Alter der besonderen individuellen Pflege und Betreuung, welche ihnen in der Praxis von großen Schäfereien in der Regel nicht zuteilwerden kann. Daher müssen sie im Allgemeinen den Lämmerverlusten

Abb. 1. Neugeborene Lämmer mit Mikrophthalmie Newborn lambs showing microphthalmia 1 Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover 2 Institut für Tierzucht und Tierhaltung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Olshausenstr. 40, 24098 Kiel, E-Mail: [email protected] 3 Institut für Genetik der Vetsuisse-Fakultät Universität Bern, Bremgartenstr. 109a, CH-3001 Bern, E-Mail: [email protected] Die Autoren danken Dr. H. Peters, Prof. Dr. M. Ganter, Dr. D. Bürstel, Prof. Dr. A. Meyer-Lindenberg, Dr. A. Krause, PD Dr. G. Müller, Dr. C. Döpke, PD Dr. T. Goldammer und Prof. Dr. O. Distl für die Unterstützung. Besonderer Dank gilt der H. Wilhelm Schaumann Stiftung für die Gewährung eines Stipendiums. Diese Arbeit wird von der H.W.Schaumann Stiftung, Hamburg, sowie dem Schweizerischen Nationalfonds, Bern, unterstützt.

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zugerechnet werden. Die bisherigen Untersuchungen zu diesem als Mikrophthalmie bezeichneten Erbdefekt des Texelschafes beschäftigten sich hauptsächlich mit der Morphologie und Entwicklung der Erbkrankheit (Labs, 1977; Van der Linde-Sipman et al., 2003). Darüber hinaus wurde für die Mikrophthalmie beim Texelschaf durch gezielte Anpaarungsversuche ein monogen autosomal rezessiver Erbgang mit vollständiger Penetranz festgestellt (Haring und Gruhn, 1970). Nach der Einfuhr von Schafen der Rasse Texel aus den Niederlanden in den 1960er Jahren ist die Mikrophthalmie auch in Deutschland aufgetreten (Haring und Gruhn, 1970). Im Jahr 2000 wurden in Deutschland mehr als 230.000 Texelmutterschafe gehalten, wobei die sehr gute Fleischleistung sowie die Eignung zur Koppelschafhaltung als ausschlaggebend für die Verbreitung angenommen werden (Süss, 2001a,b). Der zunehmende Anteil an Texelschafen sowie die Einkreuzung von Texelschafen in andere Rassen (z.B. Weißköpfiges Fleischschaf) hat somit zur Verbreitung der Mikrophthalmie beigetragen. Da in Deutschland beim Schaf keine systematischen Daten zum Auftreten von angeborenen Anomalien erfasst werden, liegen keine Angaben zur tatsächlichen Verbreitung der Mikrophthalmie vor. Den Autoren wurden jedoch allein aus Schleswig-Holstein in der Ablammsaison 2004 über 50 Fälle mitgeteilt, was auf eine relativ hohe Defektallelfrequenz in der Population hinweist. Vor kurzem wurde das Auftreten der Mikrophthalmie auch in Neuseeland beschrieben und dort auf einen vorangegangenen Import von Zuchtschafen und Embryonen der Rasse Texel aus Europa zurückgeführt (Roe et al., 2003). Solange kein Gentest verfügbar ist, kann eine Bekämpfung einer monogen rezessiv vererbten kongenitalen Anomalie effektiv nur durch den konsequenten Zuchtausschluss von erkannten Anlageträgern und deren gesamter Nachzucht erfolgen, was in der Praxis im Fall der Mikrophthalmie beim Texelschaf jedoch häufig unterlassen wird. Alternativ könnten bei Böcken mit einem Trägerrisiko gezielte Testanpaarungen im Rahmen eines Prüfeinsatzes an Töchter von bekannten Trägern durchgeführt werden, was ebenfalls in der Regel nicht durchgeführt wird. Eine zufällige Aufdeckung eines Trägers im Rahmen des normalen Deckeinsatzes ist nicht immer zu erwarten, da insbesondere bei Einkreuzung von Texelschafen in andere Rassen zunächst von einer sehr niedrigen Frequenz des Defektallels in der Population ausgegangen werden kann. Um Anlageträger zukünftig vor dem Auftreten erkrankter Nachzucht bzw. ohne einen zeitaufwändigen Nachkommentest zu identifizieren, liefert die vorgestellte Studie einen Beitrag zur Entwicklung eines gendiagnostischen Verfahrens für die Selektion erbgesunder Texelschafe. Das Ziel der Studie bestand zunächst darin, das unbekannte Gen für die ovine Mikrophthalmie (OMO) im Schafgenom zu lokalisieren und danach die entsprechende Region weiter einzugrenzen.

2 Kopplungsanalyse Die Kartierung des für die kongenitale Mikrophthalmie des Texelschafes verantwortlichen OMO-Genortes wurde auf der Basis eines komparativen Kandidatengenansatzes durchgeführt. Dazu wurden bei den molekulargenetisch deutlich besser charakterisierten Spezies Mensch und Maus durch eingehende Datenbank- und Literaturrecherchen insgesamt 27 Gene identifiziert, die im Zusammenhang mit entsprechenden kongenitalen Augenentwicklungsstörungen bekannt waren. Die vermutliche chromosomale Lage dieser Gene beim Schaf wurde anhand der Sheep Predicted Map 1.4 (Australian Sheep Gene Mapping Website: http://www1.angis.org.au/jmaddox/cgibin/shp_predict_map. pl) vorhergesagt. Dabei wird die Lage von Genen im Schafgenom anhand komparativer Kartierungsergebnisse von Schaf, Rind, Mensch und Maus abgeleitet. Die 27 ausgewählten Gene verteilten sich auf insgesamt 17 verschiedene Chromosomenabschnitte im Schafgenom, und es wurden insgesamt 50 Mikrosatelliten, jeweils 2 – 3 flankierende Marker für die jeweilige Kandidatengenregion, für eine Kopplungsanalyse von der ge-

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netischen Karte des Schafs, version SheepMap 4.5 (Maddox et al., 2001; http://www1. angis.org.au/jmaddox/pages/shpmapbp.htm), ausgewählt. Das für die Kopplungsanalyse eingesetzte Familienmaterial wurde in den Jahren 2004 bis 2006 aus Proben von insgesamt 17 Gebrauchsschafherden mit Texelschafen sowie Kreuzungen von Texelschafen mit Weißköpfigen Fleischschafen in Norddeutschland zusammengestellt. Außerdem wurde eine experimentell erstellte Ressourcenfamilie in die Untersuchungen einbezogen. Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung sowie in der Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurde ein betroffener Bock an zehn Mutterschafe angepaart, die zuvor auf Grund in der Vergangenheit aufgetretener betroffener Nachkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit als Anlageträgerinnen identifiziert werden konnten. Als Ergebnis der Verpaarungen wurden 17 Lämmer geboren, von denen neun den Phänotyp der Mikrophthalmie aufwiesen. Dabei waren sowohl männliche als auch weibliche Lämmer betroffen, welche in der Folge für klinische und pathologische Untersuchungen zur Verfügung standen. Zur detaillierten Charakterisierung der Pathomorphologie wurden klinische und pathologische Untersuchungen an betroffenen Tieren und Anlageträgern aus der Ressourcenfamilie sowie Referenztieren anderer Schafrassen im Vergleich durchgeführt. Die Untersuchungen bezogen sich sowohl auf das Auge als auch auf den übrigen Tierkörper. Dies diente der Suche nach bisher nicht beschriebenen assoziierten Missbildungen in anderen Organsystemen. Gleichzeitig wurden Anlageträger mit anlagefreien Tieren innerhalb der Rasse verglichen, um möglicherweise morphologische Charakteristika zu identifizieren, die eine Bestimmung des Anlageträgerstatus erlauben (Tetens et al., 2007b). Bei der klinischen Augenuntersuchung von Merkmalsträgern lag in allen Fällen beidseitig ein hochgradiger Mikrophthalmus vor. Lidränder, Bindehäute und Nickhaut waren regelrecht ausgebildet, sodass sie in allen Fällen sehr prominent wirkten und die verkleinerten Augäpfel bis auf kleinere Areale verdeckt waren. Einige Augäpfel von betroffenen Schafen wiesen eine so starke Verkleinerung auf, dass sie nicht einsehbar waren. Der verkleinerte Augapfel stellt kein Widerlager für die regelrecht entwickelten Augenlider dar, sodass es zu einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Entropium mit einer Irritation der Hornhautoberfläche durch die Wimpern und in der Folge zu Entzündungsreaktionen kommt. Das Entropium tritt beim Schaf auch als eigenständiges Phänomen auf, dessen genetische Grundlage bisher weitgehend ungeklärt ist (Jolly et al., 2004). Die Hornhaut der einsehbaren Augäpfel war gesamthaft diffus getrübt und von Blutgefäßen durchzogen. Die vordere Augenkammer ließ sich in keinem Fall einsehen. Die histologischen Befunde entsprechen den Beschreibungen früherer Studien (Labs, 1977; Roe et al., 2003; Van der Linde-Sipman et al., 2003). Insgesamt ergab die klinische Untersuchung von Anlageträgern keine Abweichungen von der Norm (Tetens et al., 2007b). Die histopathologische Untersuchung der Augen von Anlageträgern erbrachte zudem keine besonderen pathomorphologischen Befunde (Tetens et al., 2007b). Es ist daher davon auszugehen, dass ein rezessiver Erbgang mit vollständiger Penetranz vorliegt und Anlageträger morphologisch nicht erkennbar sind. Darüber hinaus ergaben sich bei keinem der untersuchten Tiere Hinweise auf das Vorliegen assoziierter Missbildungen in anderen Organsystemen, sodass beim Texelschaf von einer isolierten Mikrophthalmie ausgegangen werden kann. Für die genetische Kopplungsanalyse wurden mit den im Feld gesammelten Einzelfamilien sowie der Ressourcenfamilie insgesamt 18 Familien mit 119 Individuen und 48 betroffenen Lämmern verwendet (Tetens et al., 2007c). Die Auswertung der Genotypisierungsdaten an 50 Markern wurde mittels einer Zweipunkt-Kopplungsanalyse mit der Software CRI-MAP (Lander und Green, 1987) durchgeführt und ergab einen maximalen LOD-Score von 3.52 bei einer geschätzten Rekombinationsfrequenz von 3 % auf Chromosom 23 zum Marker ADCY1AP (Tetens et al., 2007b). Für die weiteren 16 Genomregionen konnte kein signifikanter Hinweis auf Kopplung zum OMO-Genort festgestellt werden.

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3 Feinkartierung Zur Bestätigung und exakteren Positionierung des OMO-Genortes wurden insgesamt 43 Mikrosatellitenmarker vom Schafchromosom 23 am gesamten Familienmaterial genotypisiert (Tetens et al., 2007b). Neben den bereits zuvor auf der genetischen Karte angeordneten Markern wurden zusätzlich 23 neue Mikrosatelliten entwickelt, von denen 19 nach Genotypisierung der international mapping flock (IMF) Referenzfamilien zusätzlich auf der genetischen Karte des Schaf angeordnet wurden (Tetens et al., 2007a). Für die gezielte Identifikation neuer Mikrosatelliten beim Schaf wurde ein BLAST (basic local alignment search tool) gestützter Sequenzvergleich von über 360000 ovinen BAC Klonendsequenzen zur humanen Genomsequenz vorgenommen, die im Jahr 2005 im Rahmen des internationalen Schafgenomprojekt ermittelt worden sind (www.sheepgenomics.com). Als unabhängige physikalische Kartierungsmethode wurde eine vergleichende Radiation-hybrid-(RH-)Kartierung zwischen dem Schafchromosom 23 (OAR23) und dem humanen Chromosom 18 (HSA18) durchgeführt. Dazu wurde ein an der Utah State University entwickeltes ovines RH-Panel (USUoRH5000, Wu et al., 2007) verwendet. Für die vergleichende Kartierung wurden die bekannten Homologien zwischen Schaf, Rind und Mensch als Anhaltspunkte herangezogen. Durch Vergleich der RH-Karte mit den in der BLAST-Analyse ermittelten Positionen der Marker im humanen Genom wurden dann die evolutionären Bruchpunkte zwischen Schaf und Mensch bestimmt. Die Reihenfolge der dabei ermittelten homologen Syntänieblöcke wurde anschließend durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung verifiziert (Daten nicht dargestellt, s. Goldammer et al., 2006 und Tetens et al., 2007a). Zusätzlich wurde die RH-Karte durch in silico-Analysen mit weiteren Spezies (Rind, Maus, Ratte, Huhn) verglichen (Tetens et al., 2007a). Es wurde zunächst für die Genotypisierungsdaten der OAR23-Mikrosatelliten eine nicht-parametrische Mehrpunkt-Kopplungsanalyse mit dem Programmpaket MERLIN (Abecasis et al., 2002) durchgeführt. Dabei konnte ein maximaler NPL-Score von 5,50 (p < 0,00001) für die Marker DU316110, DU441780 und MAF35 erzielt werden. Unter der Annahme einer monogen rezessiven Vererbung mit vollständiger Penetranz wurde mit dem gleichen Programmpaket außerdem eine parametrische Mehrpunkt-Kopplungsanalyse durchgeführt. Dabei wurde ein maximaler LOD-Score von 10,70 für die Marker DU316110, DU441780 und MAF35 erzielt (Tetens et al., 2007c). MERLIN wurde auch zur Rekonstruktion der wahrscheinlichsten Haplotypen verwendet. Damit können stattgefundene Rekombinationsereignisse innerhalb von Familien nachvollzogen werden, und daher konnte die Lokalisation des OMO-Genortes auf ein 12,4 cM umfassendes Intervall auf OAR23 zwischen den Markern DU274690 (35,7 cM) und DU259631 (48,1 cM) eingegrenzt werden (Abbildung 2). Gemäß der von den Autoren etabilierten hochauflösenden vergleichenden Genkarte zwischen Schaf und Mensch beinhaltet dieser Bereich einen evolutionären Chromosomenbruchpunkt und entspricht daher zwei Regionen auf dem humanen Chromosom 18 (0,0 bis 6,95 Mb und 16,78 bis 22,75 Mb). Diese Chromosomenbereiche entsprechen der Defektgenregion zwischen 35,7 und 48,1 cM auf der genetischen Karte von OAR23 und beinhalten über 100 mehr oder weniger gut charakterisierte Gene. Für das ursprünglich auf diesem Schafchromosom ausgewählte funktionelle Kandidatengen RAX, welches einen Transkriptionsfaktor kodiert, konnte gezeigt werden, das es auf HSA18 bei 55 Mb kartiert und somit außerhalb des kritischen Intervalls für OMO beim Schaf liegt. Ein weiteres potentielles Kandidatengen, das TGIF-Gen, liegt auf HSA18 bei etwa 3,4 Mb und somit auf OAR23 bei etwa 44 cM innerhalb der zu OMO gekoppelten Region. Daher wurde das TGIF-Gen beim Schaf zunächst anhand eines ovinen BAC-Klons sequenziert und anschließend charakterisiert. Anschließend wurden die drei Exons des TGIF-Gens bei 8 Schafen (4 Merkmalsträger, 2 Anlageträger, 2 Referenztiere) vergleichend sequenziert, wobei kein Hinweis auf das Vorliegen kausaler Mutationen gefunden werden konnte (Tetens et al., 2007a).

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Abb. 2. Lokalisation des Gens für die ovine Mikrophthalmie (OMO) auf dem Schafchromosom (OAR) 23 im Vergleich zur Sequenz des humanen Chromosoms (HSA) 18 Lokalisation of the gene responsible for ovine microphthalmia (OMO) on sheep chromosome (OAR) 23 in comparison to the sequence of human chromosome (HSA) 18

4 Schlussfolgerungen Auf der Suche nach an Mikrophthalmie erkrankten neugeborenen Lämmern haben die Autoren in den Jahren 2004 bis 2007 in Schleswig-Holstein und Niedersachsen in über 30 Betrieben betroffene Lämmer bei Texelschafen und deren Kreuzungen vorgefunden. Dabei wurden von über 110 erkrankten Lämmern sowie deren Eltern und Geschwistern Proben für die genetische Analyse entnommen. Aus diesen Beobachtungen sowie aus Gesprächen mit praktizierenden Tierärzten und zahlreichen Schäfern lässt sich der Schluss ziehen, dass die kongenitale Mikrophthalmie bei Texelschafen in Deutschland kein seltenes Phänomen darstellt.

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Der Defektgenort für die kongenitale Mikrophthalmie des Texelschafes wurde in dieser Untersuchung erstmalig genetisch kartiert. Dabei wurde unter Nutzung von Informationen über die gut untersuchten Spezies Mensch und Maus ein komparativer Kandidatengenansatz erfolgreich angewendet. Für das 12,4 cM umfassende kritische Intervall auf dem Schafchromosom 23 konnten die orthologen humanen Chromosomenregionen durch eine vergleichende RH-Kartierung zwischen OAR23 und HSA18 genau bestimmt werden. Diese hochauflösende OAR23-Karte stellt die erste umfassende RH-Karte eines ganzen Schafchromosoms dar, die alle verfügbaren genetischen, zytogenetischen und Sequenz-basierten vergleichenden Kartierungsinformationen beinhaltet. Das zunächst vermutete Kandidatengen RAX konnte auf Grund seiner chromosomalen Lage außerhalb des gekoppelten Bereichs ausgeschlossen werden. Das innerhalb des Intervalls gelegene TGIF-Gen wurde nach vergleichender Mutationsanalyse als Kandidatengen für die Mikrophthalmie beim Texelschaf mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Innerhalb der orthologen humanen Regionen sind zahlreiche Gene annotiert, bisher wurden jedoch für keines dieser Gene okkuläre Phänotypen beschrieben. Dadurch könnten nach Auffinden der OMO-Mutation betroffene Texelschafe ein Großtiermodell für bisher nicht molekulargenetisch aufgeklärte analoge Phänotypen beim Menschen darstellen (Patterson et al., 1988). Der Grundstein für die molekulare Aufklärung der kongenitalen Mikrophthalmie des Texelschafes wurde durch die vorliegende Arbeit gelegt. Bereits jetzt ist mit den gekoppelten OAR23-Markern eine familienbasierte indirekte Gendiagnose durchführbar, wobei in einer Multiplex-PCR 10 Marker gleichzeitig analysiert werden (Abbildung 3). Für

Abb. 3. Haplotypenanalyse von 10 gekoppelten Mikrosatellitenmarkern in einer Schaffamilie mit zwei von Mikropthalmie betroffenen Lämmern. Ausgehend von den wahrscheinlichsten Haplotypen zeigt sich, dass eine familienbasierte indirekte Gendiagnose möglich ist. Das gesunde Lamm 703 muss von der Mutter 701 den OMO-Haplotyp erhalten haben und kann somit als Anlageträgerin identifiziert werden Haplotype analysis with 10 linked microsatellite markers in a sheep pedigree comprising two affected lambs. Based on the most likely haplotypes it becomes obvious that an indirect family based gene diagnosis is possible. The non affected lamb 703 must have inherited the OMO-haplotype from its mother 701 and can therefore be identified as a genetic carrier

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einen indirekten Gentest werden jedoch zwingend Proben weiterer Familienmitglieder benötigt, wobei zumindest ein an Mikrophthalmie erkranktes Lamm unverzichtbar ist. Ferner ist die Richtigkeit der angegebenen Stammbauminformation für die Durchführung der indirekten Gendiagnose unabdingbar. Somit wird im Idealfall eine Diagnose „OMO-Anlageträger“ bzw. „OMO-frei“ mit einer entsprechenden Wahrscheinlichkeit ermittelt, deren Genauigkeit von den genetischen Beziehungen zwischen Krankheitsgen und Markern sowie deren Informationsgehalt innerhalb der jeweiligen Familie abhängt. In manchen Fällen können Marker auch gänzlich uninformativ sein; der Test erlaubt dann gar keine Aussage. Ferner kann es gegebenenfalls zur Infragestellung der angegebenen Verwandtschaftsverhältnisse kommen. Zur Identifikation der kausalen Mutation für die kongenitale Mikrophthalmie beim Texelschaf erscheint in Anbetracht der zahlreichen Gene und der fehlenden Genomsequenz beim Schaf zunächst eine weitere Eingrenzung der Chromosomenregion auf OAR23 notwendig. Daher werden weitere Proben von betroffenen Lämmern erfasst und weitere Mikrosatellitenmarker insbesondere aus der verfügbaren Rindergenomsequenz entwickelt und im Familienmaterial genotypisiert. Für eine Identifikation des mit dem Auftreten der Mikrophthalmie assoziierten Haplotypen könnte der voraussichtlich 2008 für das Schaf verfügbare genomweite SNP-Genotypisierungschip (www.sheepgenomics. com) eingesetzt werden. Damit könnte in Anlehnung an die erfolgreiche molekulargenetische Analyse monogener Merkmale beim Hund mit dem caninen SNP-chip (Karlsson et al., 2007) eine erhebliche Eingrenzung des kritischen Intervalls erreicht und somit die Entwicklung eines direkten Gentests beschleunigt werden.

Zusammenfassung Ziel dieser Arbeit war die Kartierung des für die kongenitale Mikrophthalmie des Texelschafes verantwortlichen Defektgenortes. Dazu wurde ein komparativer Kandidatengenansatz auf der Grundlage der Kenntnisse über ähnliche Phänotypen bei Mensch und Maus gewählt. Das Familienmaterial wurde durch Probensammlung im Feld sowie aus einer experimentell erzeugten Ressourcenfamile gewonnen. An Tieren dieser Ressourcenfamilie wurden klinische und pathologische Untersuchungen vorgenommen. Dabei wurde die Pathomorphologie übereinstimmend mit früheren Untersuchungen charakterisiert. Durch den Zuchtversuch und die pathomorphologischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass es sich um eine nicht syndromische Mikrophthalmie handelt und dass ein rezessiver Erbgang mit vollständiger Penetranz und variabler Expressivität vorliegt. Durch eine auf die Kandidatengenregionen fokussierte Kopplungsanalyse konnte der Defektgenort auf dem ovinen Chromosom 23 in einem 12,4 cM umfassenden Intervall lokalisiert werden. Durch eine vergleichende RH-Kartierung dieses Chromosoms wurde die exakte Lokalisation der Kandidatengene RAX und TGIF sowie die Lokalisation und Ausdehnung der orthologen Regionen auf dem humanen Chromosom 18 ermittelt. Es zeigte sich, dass RAX deutlich außerhalb des Defektgenintervalls liegt. TGIF konnte durch eine Kandidatengenanalyse ebenfalls als Kandidat ausgeschlossen werden. Die Grundlagen für die weitere Aufklärung dieser kongenitalen Anomalie wurden durch die vorliegende Arbeit gelegt. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass eine indirekte familienbasierte Gendiagnose bereits möglich ist, die den Schafzüchtern demnächst zur Verfügung stehen wird. Schlüsselwörter: Schaf, Texel, Mikrophthalmie, kongenitale Anomalie, Kopplungsanalyse, vergleichende Genomanalyse, indirekte Gendiagnose

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Towards the molecular analysis of microphthalmia in Texel sheep by J. Tetens and C. Drögemüller The aim of the current study was to map the disease gene locus responsible for monogenic autosomal recessive inherited congenital microphthalmia in the Texel breed. A comparative candidate gene approach was applied based upon previously mapped disease loci in human and mouse. The family material was obtained by collecting blood samples in the field and from an experimentally derived resource family. Clinical and pathological investigations were performed on affected and unaffected animals from this family and the morphology was described coincidently with previous studies. No other malformations in addition to the isolated microphthalmia were found in any of the animals and a recessive pattern of inheritance with a complete penetrance and variable expressivity was shown. Focussed on the predicted candidate gene regions linkage analysis was performed and the disease causing gene could be mapped to ovine chromosome 23 within an interval spanning 12.4 cM. The exact chromosomal positions of the two candidates RAX and TGIF as well as the orthologous regions on human chromosome 18 were determined applying a comparative RH-mapping approach. It was found that RAX is clearly located outside of the critical interval. Furthermore, a candidate gene analysis was undertaken for TGIF and it thereby could also be excluded as a candidate. The work presented herein provides a valuable base for further work towards the identification of the molecular cause of congenital microphthalmia in the Texel breed. Furthermore, it was shown that a marker based indirect gene diagnosis is already possible within families with affected offspring. Keywords: Sheep, Texel breed, microphthalmia, congenital anomaly, linkage analysis, comparative genome mapping, marker based gene diagnosis