Arzt in Tirol. Wo bleibt die Unschuldsvermutung?

Arzt in Tirol Informationsschrift des Vereines unabhängiger Tiroler Ärzte (Mitglied des österreichischen Ärzteverbandes) Ausgabe 2 | November 2011 w...
Author: Edith Lehmann
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Arzt in Tirol Informationsschrift des Vereines unabhängiger Tiroler Ärzte (Mitglied des österreichischen Ärzteverbandes)

Ausgabe 2 | November 2011

www.arztintirol.at

Wo bleibt die Unschulds­­vermutung? Jeden Medienbericht über rechtlich noch nicht abgeschlossene Verfahren ziert der – um dem Strafrechtsbuch Genüge zu tun – schmückende Beisatz, dass natürlich die Unschuldsvermutung gelte.

Dr. Artur Wechselberger

Sie wollen unsere standes­politische Tätigkeit unter­stützen und an der Entwicklung der Tiroler Ärzteschaft mitwirken? Dann werden Sie unter www.arztintirol.at mit drei Mausklicks Mitglied des Vereins unabhängiger Tiroler Ärzte!

:: Palliativkonzept Tirol :: Zweikalssenmedizin :: Zuckerbrot und Peitsche? :: Erfolgreiche Verhandlung für „Niedergelassene Notärzte“ :: Sicherstellung der Fortbildung von Ärzten :: Finanzierung der Lehrpraxis zu billig ... ? :: ELGA - Was halten Sie davon :: ELGA in Schlagworten

Tritt allerdings im Rahmen der Krankenbehandlung ein vermeintlicher oder tatsächlicher Fehler auf, dann soll das, was jedem mehr der weniger stadt- und landbekannten Gauner zugestanden wird, plötzlich nicht mehr gelten. Öffentlich vorgetragene Vermutungen und Anschuldigungen garnieren die Berichte über tragische und bedauerliche Patientenschicksale. Vorwürfe, die oft über die Verantwortung der mutmaßlichen Verursacher auf das gesamte Behandlungsteam, die Abteilung oder das Krankenhaus ausgedehnt werden. Sippenhaftung für all jene, die sich Tag für Tag und Nacht für Nacht zerreißen, um eine bestmögliche Behandlung sicher zu stellen. Jene, die neben der intellektuellen, physischen und emotionalen Arbeitsbelastung bereit sind, Mängel im System und Lücken im Personalstand durch überdurchschnittlichen Einsatz wett zu machen, müssen plötzlich mit dem Menetekel leben, unterschwellig als potentielle Schädiger der Hilfsbefohlenen apostrophiert zu werden. Inzwischen erleben die direkt Beschuldigten die Daumenschrauben des Dienstrechts bis zur Suspendierung. Neben der Gefährdung von beruflicher Existenz und Karriere müssen sie bei tiefer persönlicher Betroffenheit und psychischer Belastung mit Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln fertig werden. Was in der aktuellen Phase reißerische Schlagzeilen machte, wird nach Monaten oder Jahren, wenn am Ende von Prozessen und rechtlicher Würdigung festgestellt ist, dass kein persönliches Verschulden und kein Behandlungsfehler

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vorgelegen war, bestenfalls zur journalistischen Randnotiz. Wen wundert es da, dass fast 50% der Tiroler Ärztinnen und Ärzte, die heuer an einer Studie der Med. Universität Graz teilgenommen hatten, als Burnout gefährdet eingestuft wurden? Wer erkennt es nicht als offensichtlich notwendige Perversion, wenn ein nicht unbedeutender Teil ärztlicher Arbeitszeit der Dokumentation zur Beweissicherung gewidmet werden muss. Wen wundert es, wenn junge Kolleginnen und Kollegen nach Abschluss des Medizinstudiums zunehmend arztfremde Berufe anstreben? Wo bleibt sie, die oft apostrophierte Verbesserung der Fehlerkultur in Österreich, wenn „blame and shame“ noch immer vor der seriösen Fehlerrecherche liegen oder Krankenhausträger ihre Defizite nach wie vor auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abschieben oder sich bestenfalls im politischen Hick-Hack übergeordneter Schuldzuweisungen üben. Vergessen ist dabei, dass der Umgang mit Beinahe-Fehlern und Fehlern ebenso Aufgabe der Führung und Teil des Qualitätsmanagements ist, wie es die Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung sind. Die politisch Verantwortlichen, die sich im Anlassfall gerne auf die Seite der Kritiker schlagen, dürfen nicht vergessen, dass sie es sind, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen, in der sich die Gesundheitsversorgung abspielt, zu verantworten haben und eine solide Strukturqualität die Grundlage jeder Qualitätsstrategie ist. Zu dieser gehören selbstverständlich auch die ärztliche Personalausstattung sowie das direkte und indirekte Arbeitsumfeld der Ärztinnen und Ärzte.

Palliativkonzept Tirol

Keine Doppelstrukturen! Das verspricht das Land Tirol beim neuen Reformpoolprojekt zur Palliativversorgung, welches zurzeit in den Bezirken Reutte und Lienz erprobt wird. Keine Doppelstrukturen lautet auch die Forderung der Kurie niedergelassene Ärzte in der Tiroler Ärztekammer. Dr. Momen Radi

Ziel des Projektes des Landes Tirol ist die integrierte Palliativbetreuung daheim und im Pflegeheim. Dabei sollen die Voraussetzungen für ein Sterben in gewohnter Umgebung durch Unterstützung der Regelversorgung verbessert und unnötige Spitalsaufenthalte vermieden sowie der intramurale Sektor entlastet werden. - Soweit so gut. Weniger gut klingt da schon die Forderung an die behandelnden niedergelassenen Ärzte gemeinsam mit der Koordinationsstelle in einem Formular festzuhalten, dass und ab wann ein Patient palliativmedizinischer Behandlung und integrierter Betreuung bedarf. Nur so kann der Arzt dann zu seinem erhöhten Behandlungshonorar kommen. Dass dieses Ansuchen auch eine Lebenserwartungsprognose beinhaltet ist genauso irritierend wie die Verpflichtung zur Teilnahme

an interdisziplinären Fallbesprechungen. Dass die ärztliche Koordinierungstätigkeit im Rahmen der integrierten Palliativversorgung durch den Vertragsarzt grundsätzlich selbst auszuführen ist, schränkt den Spielraum des niedergelassenen Arztes weiter ein. Dabei wollen dieser und wohl auch der betroffene schwerkranke Patient und seine Angehörigen nur eine Stelle, die auf Abruf Ressourcen zur Unterstützung bereithält. Primär also gut ausgebildetes Pflegepersonal - rund um die Uhr und das auch am Wochenende. Oder Betreuungshilfen, wenn die Angehörigenarbeit und die Nachbarschaftshilfe an ihre Grenzen stoßen. In den meisten Fällen wäre dafür das Geld, das die Gesundheitsplattform für das Projekt zur Verfügung stellt, bei den bestehenden Gesundheits- und Sozialsprengeln

besser angelegt als in einer neuen Bürostruktur mit neuen Mitarbeitern. Und auch den Ärztinnen und Ärzten, die seit Jahren unter schweren Bedingungen landesweit Palliativbetreuung anbieten und vollbringen, würde eine Abschaffung von Limitierungen und die Einführung von Honorarregelungen für die Leistungen, die sie für ihre Palliativarbeit benötigen, helfen. Die Koordination der Leistungen aller in die Palliativbetreuung eingebundenen Personen könnten ohne weiteres - zur Vermeidung von Doppelstrukturen - gut ausgestattete Gesundheits- und Sozialsprengel übernehmen.

Zweiklassenmedizin Mit erschütternden Interpretationen der derzeit gültigen Krankenanstaltengesetze die Aufnahme von Privatpatienten in öffentliche Krankenhäuser betreffend, versuchten heuer führende Gesundheitspolitiker in Bund und Land das mediale Sommerloch zu füllen. Was zur Freude der Medien griffige Schlagzeilen brachte, war ein Schlag ins Gesicht von zweieinhalb Millionen Privatversicherten, von Ärztinnen und Ärzten und all jenen, denen solide Krankenhausfinanzen und ein möglichst geringer Abgang ein wirkliches Anliegen sind.

Griff der Gesundheitsminister in seiner Wortwahl mit den Worten „das ist eine Sauerei“ tief in den verbalen Schmutzkübel, so zeigte sich der regionale Ressortverantwortliche immerhin noch überrascht, dass eine Privatversicherung die

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Wartezeit auf einen Eingriff verkürzen könne. Dabei steht genau das im Gesetz. Dort steht erstens, dass es zwei Gebührenklassen in den öffentlichen Krankenhäusern geben kann und dass zweitens dann, wenn solche bestehen, die Sonderklassebetten - außer bei Notfällen - nur von Privatpatienten belegt werden dürfen. Nachdem mit diesen Notfällen gerade bei elektiven Eingriffen wohl kaum argumentiert werden kann, bliebe nur ein bewusstes Nichtbelegen freier Privatbetten, um der politisch geforderten Egalité gerecht zu werden.

Gänzlich unberücksichtigt wurde zudem, dass die Privatpatientinnen und Privatpatienten derzeit österreichweit mehr als eine Milliarde Euro – in Tirol immerhin noch über 100 Millionen jährlich – in die Budgets der öffentlichen Krankenhäuser zahlen und dies ausschließlich für die Erfüllung höhere Ansprüche hinsichtlich der Verpflegung und der Unterbringung in der Sonderklasse. Dass die etwas freiere Termingestaltung auch etwas mit der Unterbringung zu tun hat, sollte dabei außer Diskussion stehen. Eine Erklärung wie man den Ausfall eines Finanzierungsanteils - von immerhin ca. einem Siebtel der gesamten Gesundheitsausgaben der öffentlichen Hand - ausgleichen will, blieben die

Stürmer gegen die Privatbetten in öffentlichen Häusern schuldig. Ebenso fehlte ihre Vision über die Entwicklung öffentlicher Häuser, wenn die Privatpatienten – und die Ärzte mit ihnen – in private Krankenanstalten getrieben werden. Vielleicht werden wir es nächstes Jahr erfahren, wenn die heuer im Sommer in Kraft getretene Bestimmung zum Wartelistenregime öffentlicher Krankenhäuser in den Krankenanstaltengesetzen der Länder umgesetzt werden muss. - Und zwar „transparent und in anonymisierter Form“ wie der Gesetzgeber im § 5 a KAKuG kryptisch formuliert.

Zuckerbrot und Peitsche? Unter diesem Motto wird vielfach die jährliche Diskussion über die Valorisierung der Pensionen gesehen. Frei von Emotionen und Dr. Erwin Zanier standespolitischen Überlegungen zu entscheiden ist für die verantwortlichen Funktionäre zwar nicht immer leicht, aber eine moralische Verpflichtung.

ausgewogenen fairen Ausgleich zwischen den Generationen gewährleisten kann bedarf es Transparenz, Gerechtigkeit, Fairness und vor allem Solidarität.

Keine Generation vor uns lebte im Schnitt so lange wie wir heute und unsere Lebenserwartung steigt weiter. Wir gewinnen derzeit ca 3 Monate pro Jahr dazu. 70 % aller §2-Kassenärtinnen und Kassenärzte sind über 50 Jahre alt und ein markanter GeneVon den Jungen gerade noch akzeptiert rationenwechsel steht bevor. und von den Alten nicht gesteinigt – so das Derzeit beträgt das Verhältnis Beitragszahler(Aktive) Originalzitat des Finanzreferenten Dr. Franz zu Empfänger(Pensionisten) mit Stand Oktober Größwang – bei der jährlich Mitte Dezember 2011 noch 6,3 : 1 beschließenden Erweiterten Vollversammlung Beitragseinnahmen von 26,3 Mio Euro stehen zu diesem Thema. Streng nach den versicherungsmathematischen Vorgaben, d.h. Wertsicherung der Renten nur um maximal 50 % der Beitragserhöhungen, wobei jedoch der Unterschied zwischen Beitrags-und Leistungserhöhungsfaktor mindestens bei 1% betragen soll. In enger Absprache mit unserem Versicherungsmathematiker Direktor Holzer erfolgt dann der akkordierte Vorschlag für die Vollversammlung. Damit unser Pensionssystem weiterhin einen

Dr. Franz Größwang Der Spielraum bei Beitrags- und Leistungserhöhungen liegt zwischen „von den Jungen gerade noch akzeptiert und von den Alten nicht gesteinigt.“

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Rentenleistungen in der Höhe von 19,7 Mio Euro gegenüber (Jahresabschluss 2010), wobei sich 2011 bei annähernd gleich bleibenden Beiträgen die Rentenleistungen auf ca 20,7 Mio Euro erhöhen werden. Die Zukunft interessiert uns mehr als die Vergangenheit, denn in ihr gedenken wir zu leben. (Albert Einstein) Jährliche Adaptionen unserer Satzungen, eine Optimierung der Veranlagungen und eine versicherungsmathematisch verantwortbare Pensionspolitik, nicht Pensionssicherungsbeiträge oder Diskussionen über eine Erhöhung des Pensionsalters standen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf dem Programm. Seit mehr als 10 Jahren bemühen sich die Verantwortlichen im Verwaltungsausschuss sowie in der Finanz -und Rechtsabteilung vorausschauend für die auf sie zukommenden Herausforderungen gerüstet zu sein. Um diesen Herausforderungen aber auch entsprechend nachhaltig und wirksam begegnen zu können, braucht es die Akzeptanz des Systems und die Solidarität des gesamten Standes.

Erfolgreiche Verhandlungen für „Niedergelassene Notärzte“ Die geografischen Gegebenheiten unseres Bundeslandes bringen es mit sich, dass bestimmte Gebiete nicht über ein zentralisiertes Notarztsystem versorgt werden können. Deshalb ist es unabdingbar, dass sich dort niedergelassene Notärztinnen und Notärzte bereit erklären, die notärztliche Versorgung als Systempartner des Gesamttiroler Notarztsystems zu übernehmen. Der stellvertretende Kurienobmann der Kurie niedergelassene Ärzte Dr. Edgar Wutscher hat es übernommen, diese „niedergelassenen Notärzte“ gegenüber der Tiroler Landesregierung und der Tiroler Gebietskrankenkasse zu vertreten. Und dies mit großem Erfolg. Dr. Edgar Wutscher

Die „niedergelassenen Notärzte“ sind Wahlärzte bzw. Kassenärzte, welche in ihren Praxen tätig sind und gleichzeitig freiwillig vor allem in peripheren Regionen als Notärzte tätig sind. Mit Anfang Juni 2011 trat das neue Rettungsgesetz des Landes Tirol in Kraft. Daher musste mit dem Land Tirol, Abteilung für Katastrophenschutz, ein neuer Vertrag verhandelt werden. Hier ist es uns gelungen, einen zeitgemäßen und auch der hochqualifizierten Leistung entsprechenden Vertrag abzuschließen.

Weiters ist es gelungen, die geringen Honorare bei Notfalleinsätzen der Kassenärzte an die Honorare der Wahlärzte anzugleichen und eine entsprechende Erhöhung für alle zu erzielen. Diese Vereinbarung wurde mit den Kassen akkordiert und wird derzeit an die teilnehmenden Notärzte ausgesandt. Damit werden sowohl Wahlärzte als auch Kassen­ärzte jeden Einsatz pauschal und direkt mit der Tiroler Gebietskrankenkasse abrechnen können.

Ärzte im Außerfern, im Vorderen und Hinteren Ötztal, im Bezirk Schwaz und in Osttirol nehmen an diesem Notarztsystem teil. Die Notärzte werden nicht mehr regional, sondern über Pager und Funk durch die Leitstelle Tirol alarmiert. Ebenso übernimmt die Leitstelle Tirol die Koordination mit anderen Einsatzgruppen. Insgesamt ist es dem besonderen Engagement und der Bereitwilligkeit der teilnehmenden Notärzte hoch anzurechnen, dass sie sich im Interesse für die Patienten für diese Einsätze zu Verfügung stellen.

Sicherstellung der Fortbildung von Ärzten - Pflicht des Dienstgebers Große Unterschiede in der Förderung der Fortbildung von angestellten Ärztinnen und Ärzten zeigen die verschiedenen krankenanstaltenrechtlichen Regelungen der einzelnen Bundesländer. Aber auch innerhalb der einzelnen Bundesländer gibt es deutliche Unterschiede. Dabei wären die arbeitsrechtlichen Bestimmungen einDr. Ludwig Gruber deutig. Sie verpflichten den Dienstgeber die Teilnahme an, im dienstlichen Interesse liegenden, Fortbildungsveranstaltungen unter Entgeltfortzahlung und mit Übernahme der mit der Fortbildung verbundenen Kosten zu ermöglichen. Demnach hat die Krankenanstalt eine adäquate und kontinuierliche Fortbildung ihrer Ärzte sicherzustellen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das Gesetz auch vorgibt, dass „Patienten der Krankenanstalt nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der ärztlichen Wissenschaft behandelt werden dürfen.“ Damit schuldet das Krankenhaus schon allein aus seinem Vertragsverhältnis zu den Patientinnen und Patienten eine Behandlung am aktuellen Stand

der Wissenschaft. Und den können die Ärzte nur erbringen, wenn sie Gelegenheit finden, ihrer Fortbildungsverpflichtung nachzukommen. Das Haus muss dafür – so der Gesetzestext weiter - den ärztlichen Dienst so einrichten, dass sich die in der Krankenanstalt tätigen Ärzte im erforderlichen Ausmaß fortbilden können. Wenn es in manchen Tiroler Krankenhäusern auch durchaus entsprechende Regelungen zur Fortbildung innerhalb und außerhalb des Hauses gibt, so müssen sich in anderen Häusern die Ärztinnen und Ärzte noch immer oft Zeit für die Fortbildung erkämpfen und selbst Finanziers dafür suchen. Deshalb würde es einem einheitlichen Standard der Fortbildung – unter Einschluss der Turnusärztinnen und Turnusärzte – gut tun,

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wenn die bisher eher losen Bestimmungen im Tiroler Krankenanstaltengesetz konkretisiert und auf die Bedürfnisse der einzelnen Arztgruppen angepasst würden. Ein gutes Beispiel würde Niederösterreich bieten, das gesetzlich geregelt hat, dass der Träger für die ständige Fortbildung seiner Ärzte Vorsorge zu treffen hat. Die Fortbildung ist für jedes Jahr zeitlich und inhaltlich zu planen; vom Abteilungsleiter soll im Einvernehmen mit dem Ärztlichen Direktor ein Fortbildungsplan erstellt werden. Eine landesweite Regelung sollte jedenfalls eine Regelung des Fortbildungsurlaubs mit Entgeltfortzahlung und Kostentragung durch den Krankenanstaltenträger und des Mindestmaßes an Fortbildungsurlaubstagen für alle Arztgruppen, die in einem Spital tätig sind, enthalten.

Finanzierung der Lehrpraxis zu billig...? Ist unsere Politik zu sehr beschäftigt, Milliarden auf europäischer und österreichischer Ebene zu bewegen, um sich mit der nur wenige Millionen schweren Finanzierung des Langzeitprojektes „bezahlte Ausbildungszeit in der Lehrpraxis für alle zukünftigen Allgemeinmediziner“ herumzuschlagen? Dr. Stefan Kastner

Um was geht es? Seit vielen Jahrzehnten ist die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin in unserer kleinen Alpenrepublik im wesentlichen unverändert. Seit 1994 ist das Fach „Allgemeinmedizin“ im Umfang von 6 Monaten verpflichtend und war ursprünglich auch in einer Lehrpraxis zu absolvieren. Da bereits damals eine adäquate Bezahlung für Turnusärzte in der Lehrpraxis für eine größere Anzahl an Auszubildenden nur schwer denkbar war, wurde die Möglichkeit geschaffen, das Fach „Allgemeinmedizin“ in einer „Lehrambulanz“ mit „unselektioniertem Patientengut“ zu absolvieren. Also wieder im Krankenhaus bei bekannter Finanzierung, aber ohne Lehrinhalte wie Praxismanagement oder Arbeiten mit den im Vergleich zu einer fachärztlichen Spitalsambulanz eingeschränkten diagnostischen Mitteln. Österreichweit gibt es seit Jahren Konsens zwischen Ärztekammer, Gesundheitsministerium

und anderen maßgeblichen Institutionen, dass die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin aufgewertet und verbessert werden muss. Konsens herrscht auch darüber, dass diese Ausbildung zumindest mit einem Jahr beim Allgemeinmediziner in einer Lehrpraxis zu enden hat und die adäquate Bezahlung während dieser Zeit nicht durch Lohnverzicht beim Turnusarzt oder durch alleinige Finanzierung des Praxisinhabers erfolgen darf. Eine Bezahlung der Lehrpraxis durch die öffentliche Hand ist in nahezu ganz Europa eine übliche Praxis. Bei unbestrittener Notwendigkeit zu dringlicher Reform der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin wurde aber gerade diese Bezahlung der Lehrpraxis zum Zünglein an der Waage und verhindert bis heute die Ausbildungsreform. Wenn der geschätzte Leser sich nun fragt, um welche (Un-)Summen es nun geht, so darf nicht

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verheimlicht werden, dass es um 12 Millionen Euro pro Jahr für ganz Österreich geht. Ist es wahr, dass 12 Millionen Euro, die unsere wohnortnahe allgemeinmedizinische Versorgung verbessern würden, nicht aufzutreiben sind, während hunderte Millionen (oder mehr ...?) für die elektronische Gesundheitsakte ELGA locker zur Verfügung stehen? Denn dieses datenschutzrechtlich bedenkliche Projekt, das bisher keinen Beweis für einen Nutzen für unsere Patienten erbringen konnte, wird derzeit gerade politisch auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt. Sind unsere (Gesundheits-)Politiker so prestigesüchtig, dass sie nur Interesse an der Umsetzung großer Projekte wie ELGA oder den Brennerbasistunnel haben oder fühlen Sie sich mit der Finanzierung einiger Millionen Euro unter ihrer Würde geschlagen? Aber nicht nur der Staat direkt ist gefragt. Die benötigten zwölf Millionen Euro entsprechen beispielsweise nur 0,01% der Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Während die Ärzteschaft den Krankenkassen Einsparungen beispielweise durch ökonomische Medikamentenverordnung ermöglicht haben, könnten die Krankenkassen durch Lehrpraxisfinanzierungen die Ärzteschaft wieder an diesen Einsparungen teilhaben lassen.

Was halten Sie von ELGA? Eine kurze Meinungsumfrage unter www.arztintirol.at ❏ Wie sind Sie zu ELGA eingestellt? ❏ Erwarten Sie sich durch ELGA

❏ Könnte ELGA in Ihren Behandlungs­ ablauf eingreifen?

positive Effekte auf die Patienten­

❏ Wird ELGA Ihre Haftung erhöhen?

behandlung?

❏ Könnten Ihnen aus ELGA Kosten

❏ Befürchten Sie Gefahren für den Datenschutz?

entstehen? ❏ Welche Argumente sprechen für die Einführung von ELGA?

Reden Sie mit! Ihre Meinung ist uns wichtig! Daher bitten wir Sie, um die Beantwortung von acht kurzen Fragen zum Thema elektronische Gesundheitskarte ELGA. Diese Umfrage erfolgt vollkommen anonym. Zum elektronischen Fragebogen kommen Sie über unsere Homepage www.arztintirol.at

ELGA in Schlagworten Glossar zur elektronischen Gesundheitsakte Gesundheitsminister Stöger will die elektronische Gesundheitsakte ELGA noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Um den Tiroler Ärztinnen und Ärzten einen Überblick über die Pläne des Gesundheitsministers zu bieten, hat „Arzt in Tirol“ ein Glossar zu den wichtigsten Fragen von ELGA zusammengefasst. ELGA In der Version von 2005 verstand die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat unter ELGA eine elektronische lebensbegleitende Gesundheitsakte. Derzeit steht die Abkürzung ELGA für die elektronische Gesundheitsakte. „ELGA“ ist ein Informationssystem, das sektoren­ übergreifend allen berechtigten ELGA-Gesundheitsdiensteanbietern und ELGA-Teilnehmern Gesundheitsdaten in elektronischer Form ortsund zeitunabhängig zur Verfügung stellt. Die rechtlichen Grundlagen dazu sollen im Gesundheitstelematikgesetz 2011 geschaffen werden. Gesundheitstelematikgesetz 2011 (GTelG 2011) Das GTelG 2011 soll die Datensicherheit bei der Weitergabe elektronischer Gesundheitsdaten regeln und Grundsätze der Datensicherheit festlegen. Dabei gilt es, gesetzliche Standards für die unverwechselbare Identifikation von Teilnehmern und die Identifikation von ELGAGesundheitsdiensteanbietern (auch die Ärzte

gehören dazu), die individuellen und generellen Zugriffsberechtigungen sowie die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Verwendung von ELGA-Gesundheitsdaten zu schaffen. Was versteht der Gesetzgeber als Gesundheitsdaten? „Gesundheitsdaten“ sind direkt personenbezogene Daten gemäß § 4 Z 1 DSG 2000 über die physische oder psychische Befindlichkeit eines Menschen, einschließlich der im Zusammenhang mit der Erhebung der Ursachen für diese Befindlichkeit sowie der Vorsorge oder Versorgung, der Pflege, der Verrechnung von Gesundheitsdienstleistungen oder der für die Versicherung von Gesundheitsrisiken erhobenen Daten. Dazu gehören insbesondere Daten, die die geistige Verfassung, die Struktur, die Funktion oder den Zustand des Körpers oder Teile des Körpers, die gesundheitsrelevanten Lebensgewohnheiten oder Umwelteinflüsse, die verordneten oder bezogenen Arzneimittel („Medikationsdaten“), Heilbehelfe oder Hilfsmittel, die Diagnose, Therapie- oder Pflegemethoden oder die Art, die Anzahl, die Dauer oder die

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Kosten von Gesundheitsdienstleistungen oder gesundheitsbezogenen Versicherungsdienstleistungen betreffen. Zu den ELGA-Gesundheitsdaten gehören auch Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Wer errichtet und betreibt ELGA? Die „ELGA-Systempartner“ Bund, Länder sowie der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger errichten und betreiben ELGA. Die operative Tätigkeit liegt bei der ELGA-GmbH. „ELGA-Teilnehmer“ sind natürliche Personen, die die Teilnahmevoraussetzungen besitzen und für die elektronische Verweise auf sie betreffende ELGA-Gesundheitsdaten in das System aufgenommen werden. Alle natürlichen Personen, die einer ELGA-Teilnahme nicht widersprochen haben, die eindeutig identifizierbar sind und die von ELGA-Gesundheitsdiensteanbietern behandelt oder betreut werden, nehmen an ELGA teil. Opt-out Der Teilnahme an ELGA kann jederzeit schriftlich gegenüber der festzulegenden Widerspruchstelle oder elektronisch über das Zugangsportal widersprochen werden. (Ist für ELGA vorgesehen)

Opt-in Eine Teilnahme muss dezidiert vom Berechtigten verlangt werden. (Ist in ELGA nicht vorgesehen).

Affinity-Domain e-Health-Informationsverbund zur Verwaltung der ELGA-Daten

Müssen Ärzte an ELGA teilnehmen Wahrscheinlich müssen alle Ärztinnen und Ärzte, die Gesundheitsdaten elektronisch verarbeiten und über die Infrastruktur zu einer ELGA-Teilnahme verfügen, an ELGA teilnehmen.

Zugriffsberechtigung besitzen die Personen und Einrichtungen, die berechtigt sind entsprechend ihrer Rolle im Gesundheitssystem auf ELGA-Daten zuzugreifen.

Müssen Krankenanstalten an ELGA teilnehmen? Ja. Wer muss noch teilnehmen? Apotheken und wahrscheinlich auch Pflegeheime und weitere Einrichtungen. ELGA-Komponenten ß Patienten-Index ß GDA-Index ß Dokumenten-Register ß Zugangsportal Patienten-Index Im Patienten-Index sollen alle Patienten, die an ELGA teilnehmen, in einer eindeutigen Identifikation verzeichnet sein. Gesundheitsdiensteanbieter-Index (GDA-Index) Im GDA-Index sollen alle Gesundheitsdiensteanbieter, die an ELGA teilnehmen, in einer eindeutigen Identifikation verzeichnet sein. „Rolle“ eines Gesundheitsdiensteanbieters Unter „Rolle“ versteht man die Klassifizierung von Gesundheitsdiensteanbietern nach der Art ihres Aufgabengebietes, ihrer Erwerbstätigkeit, ihres Betriebszweckes oder ihres Dienstleistungs­ angebotes. Nach dieser richtet sich auch ihre Zugriffsberechtigung auf Gesundheitsdaten. Verweisregister/Registry Die „Registry“ ist ein „Verweisregister“ das der Aufnahme von elektronischen Verweisen auf ELGA-Gesundheitsdaten dient. Es dient dazu die ELGA-Einträge zu finden. Zugangsportal Das Gesundheitsministerium muss als Teil von ELGA über ein öffentlich zugängliches Gesundheitsportal qualitätsgesicherter gesundheitsbezogener Informationen für die Bevölkerung zugänglich machen. Über dieses Portal haben auch die Teilnehmer an ELGA Zugang auf ihre Einträge in ELGA.

Gerichteter Datenaustausch Bedeutet, dass z.B. ein Befundersteller gezielt und in eine Richtung Daten an einen bestimmten Empfänger schickt. Ungerichteter Datenaustausch Bedeutet, dass z.B. ein Befundersteller seinen Befund in einer Datei ablegt und speichert, von der dieser von berechtigten Personen elektronisch (z. B. ELGA) abgeholt werden kann. Sicherheitsstandards in ELGA ß Verschlüsselung der Daten ß Verwendung effektiver Zugriffskontrollmechanismen ß Verwendung elektronischer Signaturen ß Dokumentationspflicht/Protokollierungssystem Kernanwendungen von ELGA (für die erste Umsetzungsphase) ß e-Medikation ß e-Entlassungsbericht ß e-Befund Radiologie ß e-Befund Labor ß e-Portal Wie lange werden die Daten gespeichert? ß Medikationsdaten 1 Jahr ß Andern Gesundheitsdaten 10 Jahre Zugriffsberechtigung Erfolgt über die e-Card und andere Bürgerkarten e-Medikation ist ein System zur Erfassung der aktuellen Medikation eines Patienten einschließlich der in der Apotheke rezeptfrei erworbenen Medikamente. Zusätzlich wird ein elektronisches Tool zur Prüfung von Wechselwirkungen angeboten. Wer gibt die Medikamente in e-Medikation ein? ß primär der Arzt bei der Verordnung ß der Apotheker beim Verkauf von rezeptfreien Medikamenten ß der Apotheker bei Abgabe ärztlich verordneter Medikamente

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Wer darf/muss eine elektronische Interaktionsüberprüfung durchführen? ß Arzt darf, muss aber nicht ß Apotheker muss bei der Abgabe rezeptfreier Medikamente oder ß bei der Abgabe von Medikamenten aufgrund handschriftlicher Rezeptur eine elektronische Interaktionsprüfung durchführen. Kosten Die Entwicklung und Einführung von ELGA bis zum Vollausbau 2017 kostet lt. Gesundheitsminister Stöger einmalig 130 Millionen Euro, die laufenden Betriebskosten beziffert Stöger mit jährlich 18 Millionen pro Jahr. Durch das Vernetzen der Daten würde man sich aber gleichzeitig 129 Millionen Euro ersparen - und zwar Jahr für Jahr, so der Gesundheitsminister. Andere Experten erwarten sich wesentlich höhere Kosten bei geringeren Einsparungen. Wann soll ELGA kommen? Letzten Aussagen zufolge will BM Stöger nach Gesprächen mit dem Koalitionspartner das Gesetz zu ELGA noch heuer im Ministerrat einbringen. Die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte sei Teil des gemeinsamen Regierungsprogramms mit der ÖVP, so Stöger, der sich damit keinen Widerstand des Koalitionspartners erwartet. ELGA soll bis 2017 in Betrieb gehen. Mögliche Risiken und Fallstricke ß Datenmissbrauch (Datensicherheit, ärztliche Schweigepflicht) ß Administrative Hürden in der Anwendung (Zeitfaktor, Veränderung der Abläufe im Behandlungsprozess, Bedienerfreundlichkeit) ß Haftungserhöhung für Ärztinnen und Ärzte ß Kosten Epsos (European patients smart open services) Europaweites elektronisches Gesundheitsdatenaustauschsystem

Impressum: „Arzt in Tirol“, Informationszeitschrift des Vereines unabhängiger Tiroler Ärzte Herausgeber und Redaktion: Verein unabhängiger Ärzte, per Anschrift: Dr. Fritz Mehnert, Anna-Huber-Str. 3, 6322 Kirchbichl Verleger und Hersteller: Ablinger.Garber GmbH, Medienturm Saline, 6060 Hall i. T., Tel. 0 52 23/513, www.ablinger-garber.at

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