April 2008

Jenseits der Stimme – die innere Stimme I n t e r v i e w m i t Ma r i a n n e J a e g e r In lebendigen Worten erzählt Marianne Jaeger von ihrem Weg ...
Author: Anke Berger
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Jenseits der Stimme – die innere Stimme I n t e r v i e w m i t Ma r i a n n e J a e g e r In lebendigen Worten erzählt Marianne Jaeger von ihrem Weg und ihren Erfahrungen mit dem Singen. Im Laufe ihrer spirituellen Entwicklung vertiefte sie ihre Wahrnehmung und ihren Ausdruck und erkannte, wie durch die äussere Sing- oder Sprechstimme die innere Stimme, die Stimme der Seele klingt. Im Interview erfahren wir, wie sie ihre Erkenntnisse in ihrer Arbeit mit dem Singen und den Rhythmen zum Klingen gebracht hat. Mit Marianne Jaeger sprach Charlotte van Stuijvenberg. Marianne, du leitest nicht nur die Buchhandlung im Licht, sondern auch das „SternSingen“, in dem die Teilnehmer ihrer eigenen Singstimme Raum und Ausdruck geben dürfen. Kannst du uns bitte deinen musikalischen Werdegang und dein jahrzehntelanges Wirken in diesem Gebiet kurz beschreiben? Ich bin die Älteste von sieben Kindern. Mein Vater hat Lieder gedichtet, und ich fand es am schönsten, wenn wir durch den Wald liefen und er uns seine Lieder vorsang oder auch, wenn er abends an unserem Bett sass. Wir haben zu Hause sehr viel gesungen. Alle spielten ein Instrument und wir haben viel Hausmusik gemacht. Ich habe alle Kanons mit Leib und Seele auswendig gelernt und sie meinen Geschwistern beigebracht. Ich habe bereits mit 16 Jahren an einem Singlager teilgenommen und durfte mit 17 mit unserem Chor zu einem Chortreffen nach Israel reisen. Das Singen im Chor war auf dieser Reise ein unglaublich starkes Erlebnis für mich, schon das Singen auf dem Schiff und danach mit all den anderen Chören aus den verschiedenen Ländern an den heiligen Stätten. Das war für mich wie eine Initiation, eine grosse Offenbarung. Es hat mich zutiefst berührt. Ich erlebte ein starkes Einheitsgefühl beim Chorsingen und auch nachts unter den Sternen am Meer. Nach der Schule musste ich zunächst eine kaufmännische Lehre absolvieren und habe

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dann noch die Matura gemacht. Es zog mich jedoch immer wieder zur Musik. Musik, singen und tanzen wollte ich, doch dabei hatte ich heimlich ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte: Ich darf doch nicht singen und tanzen, wenn die Welt brennt. Ich muss helfen. Das verursachte einen Riesenkonflikt in mir. Als ich dann nach der Matura ein Praktikum in einem Spital absolvierte, lief ich nur mit Tränen in den Augen durch die Korridore. Da erkannte ich, das ist nicht mein Weg. Ich meldete mich am Konservatorium an und konnte gleich am nächsten Tag die Aufnahmeprüfung für das Rhythmik-Seminar machen, die ich mit einem sehr guten Resultat bestand. Im Rhythmik-Seminar wurden wir in Musik und Bewegung, in Pädagogik und Heilpädagogik unterrichtet, und dort erhielt ich eine ausgezeichnete Ausbildung in Musiktheorie und Harmonielehre. Mein Klavierlehrer förderte mich sehr. Während der Zeit am Konservatorium habe ich auch intensiv in Chören gesungen und viele Reisen unternommen. Später habe ich noch Weiterbildungen im Tanz absolviert. Das Singen hat jedoch immer einen wichtigen Platz eingenommen. Nach vielen Erfahrungen mit kreativem Tanz und Rhythmik kam ich dann zum Meditieren, fand auf den spirituellen Weg und lernte den Sakraltanz kennen – eine Offenbarung für mich.

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Ich liess mich in Sakraltanz ausbilden und während etwa fünfzehn Jahren habe ich ihn (neben kreativem Tanz) sehr intensiv ausgeübt, weiterentwickelt und gelehrt. Dabei wurde auch die Stimme wieder wichtig. Seit ich die „Buchhandlung im Licht“ leite und eigentlich den Tanz ins Leben integriert habe, trat das Singen zwar in den Hintergrund, aber schimmerte als Wunsch immer wieder hindurch. Es freut mich darum ausserordentlich, dass ich durch die Singgruppen, die ich anbiete, das Singen nun wieder in mein Leben hineinbringen kann. Die Sprechstimme eines Menschen ist wie ein Barometer. Sie verrät seine geistige Haltung sowie seinen Charakter, was nicht nur hör-, sondern auch sichtbar (in der Körperhaltung) ist. Was verrät uns die Singstimme eines Menschen? Die Singstimme eines Menschen, wie ich es in den Gruppen beobachte, verrät, ob und wo Schüchternheit und Hemmungen liegen. Ich höre auch, wenn eine Stimme hell und freudig herausklingt. Ich spüre sehr viel heraus, auch die Sehnsucht nach Befreiung – die Stimme hat sehr viel mit Freiheit zu tun. Manchmal spüre ich einfach die Sehnsucht des Menschseins, die sich durch die Stimme ausdrückt. Öfter kommen Menschen in die Gruppen, die erzählen: „Mein Lehrer hat in der Schulzeit immer gesagt, ich könne nicht singen; ich möchte aber so gerne.“ Dieser Wunsch ist immer mit der Sehnsucht verbunden, frei zu leben und sich ausdehnen zu können. Es hat sehr viel mit Entfaltung zu tun. Ich kann dann dadurch, dass man keine Noten lesen muss, das Vertrauen, dass die Stimme tönen und fliessen kann, wecken und stärken. Und ich beobachte, dass dadurch in der Persönlichkeit mehr Öffnungen entstehen. Du hörst also sehr deutlich an der Stimme eines Menschen, wie frei er ist und wie viel Raum er sich nehmen kann? Ja genau, wie viel Raum er sich nehmen kann –

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es hat sehr viel damit zu tun. Es kommt vor, dass Menschen sagen: „Ich kann nicht hoch singen.“ Und nach einem halben Jahr singen sie sicher fünf Töne höher als am Anfang. Die Schüchternen gehen immer zuerst zur tiefsten Stimme – sie können wählen, wohin sie gehen wollen, jedes Mal wieder neu – und dann ist es frappierend, dass, obwohl sie beteuert hatten, sie könnten nicht hoch singen, ihre Stimmen plötzlich strahlen, und es tönt viel höher. Sie können also ihr Volumen ausdehnen. Und dies, ohne dass du zu diesem Zweck spezielle Übungen machst? Obwohl ich sehr viel Stimmbildung gelernt habe, lasse ich eigentlich das alles weg. Ich arbeite mit dem Tönen aus den Chakren, damit der ganze Mensch in Schwingung und Ausgeglichenheit kommt, und singe dann immer ein bisschen höher, unmerklich. Eine andere Übung besteht darin, dass wir Vokale singen und durch diese Licht in die Körperräume senden. Dann hat das Singen sehr viel mit dem Energiefluss in den Chakren zu tun? Ja. Denn beim Chakra-Singen können sich die Teilnehmer einfach einschwingen. Es hört niemand zu, es kommt nicht darauf an, ob sie etwas tiefer oder etwas höher singen, sie müssen den Ton noch nicht abnehmen (nach Gehör denselben Ton singen, den ich vorsinge). Sie können einfach einmal das U oder das A tönen, es in die Zellen, in die Körperräume strömen lassen, ohne dass es schon ein geformtes Lied ist – und das getrauen sie sich dann. Das wirkt sehr öffnend.

Warum singen Kinder viel und gerne und bewegen sich dazu, um dann oft als erwachsene Menschen die Stimme nur noch verhalten zu gebrauchen oder gar zu verstummen. Was passiert da mit ihren Seelenkräften, die offensichtlich unterwegs, auf der Lebensreise durch die Zeit, verloren gegangen sind? Viele wurden durch bestimmte Lehrer oder Schulsysteme, wo sie vielleicht schon früh lernen mussten, Noten zu lesen, überfordert. Sie

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Die Seele freut sich, Freude leuchtet aus den Augen, die Schüchternen getrauen sich immer mehr. Begeisterung und Ausdehnung sind spürbar. konnten nicht frei drauflos das weiterpflegen, was sie schon in sich hatten, sondern sie mussten gezielt lernen. Den einen gelang dies trotz allem, aber ein Teil der Menschen, die zu mir kommen, hat diese Klippe nicht genommen und war sehr eingeschüchtert, weil so viel vorgegeben und verlangt worden war. Man es damals wohl noch nicht verstanden, den inneren Fluss aufzunehmen und die freie Ausdruckskraft im Fabulieren oder im Spiel zu unterstützen, was wir natürlich in der Rhythmik sehr gepflegt haben. So hatten die Kinder schnell den Eindruck, sie seien unfähig zum Singen und haben sich verschlossen. Hast du in deinen Gruppen auch jüngere Menschen, die vielleicht schon etwas anders durch die Schulen gegangen sind? Ja, in einem Kurs hatte ich zum Beispiel eine junge Frau, die noch gar nicht singen konnte. Sie sagte auch von sich: „Ich glaube, ich kann nicht singen.“ Doch sie stellte sich einfach hin und sang. Sie kannte offenbar diese Probleme nicht. Weil sie wohl lange nicht mehr gesungen hatte, sang sie am Anfang manchmal etwas daneben, doch das machte gar nichts. Nach zwei-, dreimal gelang es ihr dann, gut zuzuhören, und da war sie drin. Bei jüngeren Menschen merke ich schon, dass sie freier kommen und sich von Anfang an getrauen loszusingen. Offenbar spricht das SternSingen, dein Kurs, wirklich auch Menschen an, die etwas Angst haben, sich über die Stimme auszudrücken, weil sie bei dir spüren, dass es da nichts zu befürchten gibt. Ich denke, was sie besonders anspricht, ist auch, dass man keine Noten lesen muss – das Notenlesen bildet für viele eine Hemmschwelle − und dass sie einfach mitsingen können bei der Stimme, die sie möchten. Dass man am Anfang tönt und sie einfach erst warm werden können, dass sie allmählich in den Strom einfliessen können, der sich aufbaut. Das öffnet sie, so dass sie diese Schwelle dann gar nicht mehr spüren. Das bekomme ich auch als Feedback. Das gemeinsame Singen erschafft einen Klangraum. Wir sind dann eingetaucht, eingehüllt in diesen Klangtempel. Durch die Harmonien erleben wir

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ein Glücksgefühl. Die Seele freut sich, Freude leuchtet aus den Augen, die Schüchternen getrauen sich immer mehr. Begeisterung und Ausdehnung sind spürbar. Es kommen auch Menschen aus Freude am gemeinsamen Singen ins SternSingen. Ich wähle mehrstimmige spirituelle Lieder mit schönen Harmonien und guten, neuen Texten. Das Aufbauen der Zwei-, Drei- und Vierstimmigkeit gibt den Sängern Mut zu spielen, d. h. die Stimme zu wechseln, die eigene Stimme zu singen und gleichzeitig eine andere Stimme inwendig zu hören. So erbauen wir nach und nach einen harmonischen Klangtempel und es breitet sich Freude aus. Ist es auch noch ein befreiender Aspekt, dass ihr in der Singgruppe nicht für einen Auftritt übt, wie es üblicherweise bei Chören ist? Es ist sicher ganz wichtig, dass es keinen Druck durch geplante Aufführungen gibt. Wir haben zwar jetzt angefangen, vor Weihnachten andere Menschen zu einem öffentlichen Singabend – dem SternSingen – einzuladen. Doch dann singen wir mit dem Publikum zusammen Lieder und die Singgruppe wirkt dabei unterstützend. So hat niemand Lampenfieber, sondern alle freuen sich darauf. Wir haben einmal an einem Singabend versucht, eine Aufnahme für unseren Eigenbedarf zu machen, und haben ein Mikrofon aufgestellt. Das war eine Katastrophe. Alle waren gehemmt. Die Energie war völlig anders. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass kein Druck vorhanden ist, damit die Teilnehmer frei ihre Seele singen lassen können.

So wie sich alles im Leben wandelt, wandelt sich auch die Stimme eines Menschen. In jedem Alter ist die Tonlage eine andere – bis hin zum Alter. Wann wird eine Stimme zur weisen Stimme? Das hat mit einem inneren Weg zu tun, denn die Stimme ist auch ein Ausdruck des spirituellen Wegs jedes Menschen. Ich beobachte, dass die Stimme feiner oder differenzierter wird, dass sie

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mehr klingt, auch wenn sie nicht laut ist. Bei gewissen Menschen, die ich kenne, spüre ich eine Art Leuchten durch die Stimme hindurch. Das hat dann nicht mehr mit der äussern Stimme zu tun, sondern mit der inneren Stimme. Wir alle besitzen eine Grundschwingung, einen Grundton. Alles schwingt, jeder Baum, jede Pflanze, jeder Planet hat seine eigene Schwingung – im Laden haben wir zum Beispiel diese PlanetenKlangschalen. Also alles schwingt und hat seinen eigenen Grundton oder Seelenton – auch jeder Mensch. Eine weise Stimme ist ihrem Grundton sehr nahe. Und jeder Mensch hat auch die Möglichkeit, auf seine innere Stimme zu hören, indem er sich mit seinem Hohen Selbst verbindet und auf seine Seele hört. Im Laufe des Lebens entwickeln wir durch viele Erfahrungen früher oder später immer mehr die Fähigkeit, auf unsere feine innere Stimme zu hören. Wenn diese dann mehr durch uns hindurchklingen kann, spürt man das einfach an der Stimme, weil es hindurchleuchtet, weil ein Leuchten in der Stimme mitschwingt. Das ist wunderschön. Diese Weisheit leuchtet dann also durch die Stimme hindurch? Sie leuchtet durch die Stimme, die dann hell und klar wird. Das erste Mal ist mir das bei einer spirituellen Lehrerin aufgefallen. In ihrer Stimme spürte ich, wie alles hindurchleuchtete, sehr viel Licht und Güte war in dieser Stimme. Es ist dann ein volles Volumen, sehr klangvoll, aber nicht laut, es ist fein. Diese Erfahrung hat in mir etwas geöffnet.

seits des äusseren Tones? Ja, führt sie uns vielleicht gar zum Gesang der Engel, der uns in heiligen Sphären hält? Beim gemeinsamen Singen lernen die Menschen, aufeinander und auf ihren eigenen Ton zu hören. So verfeinern sie ihr äusseres Ohr. Und allmählich öffnet sich auch das innere Hören, und sie vernehmen die leise innere Stimme. Es gibt einen Ort in uns, wo die äussere und die innere Stimme sich treffen, sich vereinen, im Ein-Klang sind. Wenn dies zustande kommt, dann kann die innere Stimme durch die äussere Stimme hindurch erklingen. Wenn eine Gruppe so singt und klingt, entsteht ein heiliger Raum, der die Engel einlädt. Oft spüre ich dabei ihre liebevolle Präsenz. Es entsteht eine wunderbare, heilige Sphäre, die alle tief berührt. Zum Beispiel beim SternSingen am letzten Advent entstand ein grosser harmonischer Klangtempel und die Engel haben mitgesungen. Gib es etwas, über das wir noch nicht gesprochen haben und das du noch anfügen möchtest? Ja, in einem Seminar, das ich in Brasilien gegeben habe, war ein Teilnehmer indianischer Abstammung. Er nahm hellsichtig wahr, wie sich durch unser gemeinsames Singen und Tanzen auf den feinstofflichen Ebenen ein leuchtendes, bewegtes Farbmandala bildete. Dies berührte uns alle tief. – So schaffen wir durch das Singen einen heiligen Raum und wirken heilend auf das Ätherfeld der Erde.

Hast du das beim Sprechen wahrgenommen? Ja, das war beim Sprechen, nicht beim Singen. – Ich denke, man kann wahrscheinlich noch so viel Stimmbildung machen, doch dieses Leuchten ist etwas anderes. Es ist wie ein Geheimnis des inneren Wegs. Da könnte man noch viel forschen. Es schwingen sehr viele Obertöne mit, ein ganzes Spektrum von Resonanz. Führt die äussere, eigene Singstimme auch zur inneren Stimme, führt sie uns in Oktaven jen-

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Kannst du unseren Lesern ein paar Tipps geben, was sie tun können, um ihre Stimme zu entwickeln? Am Morgen nach dem Aufstehen kann man z. B. den eigenen Körper abklopfen und dazu Vokale tönen – das ist auch sehr lustvoll. Als ich jung war, bin ich oft in einen Anhänger des Trams eingestiegen, in dem keine Leute waren, und habe ganz laut gesungen. Oder unter der Dusche, einfach in Räumen, in denen einen nie-

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mand hört. Ich bin auch manchmal in eine kleine Kirche gegangen und habe dort alleine gesungen. Das macht einfach Freude, wenn man sich hört, wenn man es strömen lassen kann. Viele Leute singen ja auch im Auto. Genau, im Auto singen – das habe ich ebenfalls viel gemacht. Oder in der Natur. Oft bin ich laufen gegangen und habe dabei gesungen, im Wald zum Beispiel. Mir hat das sehr gut getan, es macht Freude und öffnet. Man kann auch zu zweit singen, mit dem Partner oder der Partnerin beim Spazieren zum Beispiel. Oder Improvisie-

ren, einfach drauflos singen. Auch das Singen in einer Gruppe, wo man frei singen kann, ist hilfreich, denn die Gruppe unterstützt sehr. Wenn man sich noch nicht so recht getraut und dann alle zum Beispiel das „A“ singen, kann man einfach mit in das „A“ hineinströmen. Manchmal klopfen wir uns auch ab und tönen dazu, der Klang geht durch alle Zellen und öffnet uns. Vielen Dank, Marianne, für diesen wertvollen Einblick in deine Erfahrungen und Erkenntnisse.

Marianne Jaeger unterstützt in ihrem Wirken mit Lichtarbeit und Singen die Menschen in der Entfaltung ihrer Seelenkräfte und des Bewusstseins. Sie ist als Verantwortliche für den Laden im Leitungsteam der Buchhandlung im Licht, Zürich, wo sie neben den Singgruppen auch einen Lesekreis und spirituelle Übungsgruppen leitet.

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