Anmerkungen zur Lebenserwartung unserer Fische

Anmerkungen zur Lebenserwartung unserer Fische Erste Auswertung der Umfrageergebnisse Roland F. Fischer Im Januar 1999 wurde anlässlich einer Presseko...
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Anmerkungen zur Lebenserwartung unserer Fische Erste Auswertung der Umfrageergebnisse Roland F. Fischer Im Januar 1999 wurde anlässlich einer Pressekonferenz der Bundestierärztekammer in Bonn von Experten geschätzt, dass der gesamte Aquarienfischbestand in Deutschland von etwa 80 Millionen Exemplaren viermal jährlich erneuert wird. Rein statistisch ergibt sich daraus, dass die durchschnittliche Lebenserwartung eines Fischs im Aquarium des „Endverbrauchers“ drei Monate beträgt. Als Ursache für diesen hohen „Verbrauch“ werden in erster Linie Fehler in der Haltung mit tödlichen Folgen angesehen. Betrachte ich die Aquarien meiner Vereinskollegen, darf ich eine erstaunliche Kontinuität im Besatz feststellen. Selbst in jenen Aquarien, die nach Maßgabe der Experten als zu dicht besetzt gelten und deshalb den Fischen keine optimalen Bedingungen bieten sollen, erreichen Fische ein Lebensalter, das zumindest hellhörig werden lässt. Ganz anders verhält es sich, sobald ich das imposante Aquarium in meinem „Lieblingsrestaurant“ betrachte, im Foyer einer Behörde darauf warte, aufgerufen zu werden oder in der Parxis eines Arztes über die allgemeine Verbreitung der grünweiß-roten „Pizza-Aquarien“ sinniere. Dort überrascht mich monatlich ein nahezu komplett neuer Fischbesatz. Dabei bin ich mir nicht ganz sicher, ob die ersetzten Fische verstorben sind, oder nur ausgetauscht wurden. Nachfragen zum Verbleib der Fische werden stereotyp damit beantwortet, dass man mit einem Zoofachgeschäft oder einem selbstständig arbeitenden Aquarianer zusammenarbeitet und der „Fachmann“ Aquarieneinrichtung sowie Fischbesatz nach Maßgabe des Vertrags ersetzt und gestaltet. Erhebungen zur Lebenserwartung von Aquarienfischen leiden somit stets an der Vergleichbarkeit der Daten. Es ist von entscheidender Bedeutung wo und bei wem die Datensätze erhoben werden. Ein aquaristischer Neuling, der mit einem Aquarium als Komplettset als Geschenk konfrontiert wurde,

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wird andere Angaben zur Lebenserwartung seiner Fische machen können, als ein begeisterter Aquarianer, der langjähriges Mitglied in einem örtlichen Aquarienverein ist und im ständigen Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten steht. Die im Nachfolgenden zitierten Lebensalter von Buntbarschen im Aquarium wurden von DCG-Mitgliedern übermittelt. Es wurden nur diejenigen Angaben übernommen, die durch persönliche Aufzeichnungen (z. B. Zuchtbuch) zu belegen sind und/oder vom Aquarianer selbst vor Ort gesammelt und in seine Aquarien nach Europa verbracht wurden. Schätzungen des Lebensalters wurden aus verständlichen Gründen nicht berücksichtigt. Die Angaben können und sollen kein statistisches Mittel zur Lebenserwartung von Cichliden liefern. Es wurden, wie erbeten, vorallem Maximalwerte einzelner Individuen übermittelt und nur selten eine aktuelle Momentaufnahme der Alterstrukur im Bestand. Diese Maximalwerte sind durchaus aussagekräftig, da gleiche Cichlidenarten bei verschiedenen DCG-Mitgliedern eine nahezu übereinstimmend hohe Lebenserwartung aufweisen. Wie alt können (Aquarien-) Fische werden? Gesicherte Freilanddaten zur Lebenserwartung subtropischer und tropischer Fischen, insbesondere von Buntbarschen, sind nur mit hohem Arbeitsund Materialeinsatz zu erlangen. Über die tatsächliche Lebenserwartung in freier Natur liegen deshalb kaum Erkenntnisse vor. Allerdings zeigt die Biologie mancher Fischarten die zu erwartende Lebensdauer an. Das beste Beispiel sind wohl die annuellen Killifische aus der Familie Cypriodontidae. Ihr Lebenszyklus ist im Allgemeinen innerhalb eines Jahres abgeschlossen. Die periodisch austrocknenden Gewässer lassen die Population adulter Fische aussterben, während die Nachfolgegeneration im Ei die Dürreperiode in der ausgetrockneten Erde überdauert. Mit Einsetzen der Regenzeit füllt sch das temporäre Gewässer, Jungfische schlüpfen, und innerhalb von drei Monaten sind sie zu geschlechtsreifen Individuen herangewachsen, die nun ihrerseits in der verbleibenden Zeit für die nächste Generation sorgen.

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Auch in einem permanent wasserführenden Aquarium sind annuelle Killifische nur unwesentlich länger als ein Jahr am Leben zu erhalten. Aufgrund der überaus schnellen Entwicklung vom Jungfisch zum geschlechtsreifen Exemplar und deren „exzessiven“ Drangs zur Arterhaltung sind die Fische nach zwölf Monaten Lebenszeit Todeskandidaten. Da einzel gehaltene Exemplare keine statistisch höhere Lebenserwartung haben, liegt der Schluss nahe, dass ein Ableben nach zwölf Monaten in der „Pfütze“ genetisch vorprogrammiert ist. Auch Zwergbuntbarsche wie die Vertreter der Gattung Apistogramma scheinen im natürlichen Lebensraum meist nur eine sehr geringe Lebenserwartung von etwa einem Jahr zu haben. Freilandbeobachtungen legen die Vermutung nahe, dass die Mehrzahl der geschlechtsreifen Individuen in der Zeit des Niedrigwassers zugrunde geht und nur die Jungfische überleben (Linke & Staeck 1987). Im Aquarium ist diese Mortalität bei adulten Zwergbuntbarschen der Gattung Apistogramma nicht zu beobachten. Uwe Römer (1991) hat das Lebensalter von 7.532 Zwergcichliden der Gattung Apistogramma, die sich über die gesamte Lebens-

spanne in seiner Anlage befunden hatten und mindestens neun Monate alt geworden sind, statistisch ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass Zwergbuntbarsche im Aquarium erstaunlich alt werden können. Das höchste festgestellte Lebensalter von 76 Monaten erreichte ein Männchen von Apistogramma sp. „Breitbinden“.

Der annuelle Killifisch (Cyprinodontidae) Nothobranchus rachovii ist bereits in einem Alter von drei Monaten geschlechtsreif. In der Natur wird ein Lebensalter von zwölf Monaten kaum erreicht. Im Aquarium wird es nur unwesentlich überschritten.

Apistogramma cacatuoides-Paar. „Er“ ist zum Zeitpunkt der Aufnahme 2 Jahren, 11 Monate und 9 Tage alt. „Sie“ ist 2 Jahre, 8 Monate und 27 Tage jung. Das Paar ist zu diesem Zeitpunkt noch fortpflanzungsaktiv.

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Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist das Mikrogeophagus ramirezi-Männchen) 7 Monate und 23 Tage alt. Geschlüpft und aufgewachsen ist es in einem „Wohnzimmeraquarium“ in der Gesellschaft von adulten Diskusbuntbarschen bei einer Wassertemperatur von 30 °C. Unten: Im Alter von 3 Jahren, 3 Monaten und 17 Tage ist aus dem „Beau“ ein „reifer Herr“ mit erstaunlichem Korpulenzfaktor geworden. Mit seiner Partnerin pflanzt sich der Fisch noch erfolgreich fort.

Römer hat Extremfälle wie den über sechs Jahre alten A. sp. „Breitbinden“ aus seiner statistischen Erhebung ausgeschlossen und kommt zu dem Ergebniss, dass „ein Zwergbuntbarsch dieser Gattung (= Apistogramma; Anmerkung des Autors) eine Lebenserwartung von knapp zwei Jahren hat. Bereinigt man die statistisch ausgewerteten Zahlen um jene Werte, für die geringes Datenmaterial vorliegt (A. pertensis, „Orangeschwanz“ und „Rotkeil“), so erhöht sich dieser Wert noch etwas“ (Römer 1991).

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Ähnliche Ergebnisse liefert die Auswertung meiner Zuchtbücher für die Arten A. cacatuoides, Mikrogeophagus ramirezi und Pelvicachromis pulcher. Dabei ist festzustellen, dass es innerhalb einer Brut zu signifikanten Unterschieden kommt. Einzelfische, genetisch mehr oder weniger identisch ausgestattet wie die übrigen Jungfische, überleben ihre Geschwister um mehr als das Doppelte. Einzelheiten zu diesem Thema sollen aber zu einem späteren Zeitpunkt publiziert werden und sind nicht Schwerpunkt der Umfrage bei DCG-Mitgliedern.

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Pelvicachromis pulcher im besten „Fischmannesalter“ von 2 Jahren, 8 Monaten und 19 Tagen

Für die Liebhaber von Zwergbuntbarschen bedeutet eine Lebenserwartung der gepflegten Fische von durchschnittlich zwei Jahren, dass die im Fachhandel meist als voll ausgefärbte, geschlechtsreif angebotene „Ware“, im besten Fall „nur“ sechs bis neun Monate alt ist und somit im Aquarium des „Endverbrauchers“ auch nur eine begrenzte Lebenszeit hat. Die allgemeine Praxis zeigt, dass Züchter von Zwergbuntbaschen nur größere Chargen ausgefärbter, geschlechtsreifer Nachzuchten dem Zoo-

fachhandel anbieten können. Als Konsequenz werden dem Kunden durchaus attraktive Fische angeboten, die allerdings den Zenit weit überschritten haben. Wer solche Fische erwirbt, muss den Experten der Bundestierärztekammer beipflichten: Mehr als drei Monate Lebenszeit ist diesen „Zwergen“ tatsächlich manchmal nicht gegeben, da sie bereits im Zustand der galoppierenden Seneszenz erworben wurden. Die Schuld für das „frühzeitige“ Ableben der erworbenen Fische liegt somit keinesfalls beim Aquarianer.

Dieses im Zoofachhandel als Apistogramma viejita angebotenes Exemplar und seine „Geschwister“ sind nach Rücksprache mit dem Züchter mindestens 16 Monate alt gewesen, ehe sie in den Verkauf kamen.

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Tabelle der (bisher) übermittelten Maximalalter von Buntbarschen. Das Pluszeichen (+) hinter dem Lebensalter zeigt an, dass die Fische zum Zeitpunkt der Übermittlung noch am Leben waren. In der Spalte „Fortpflanzung“ wird angegeben, ob die Fische sich bisher vermehrt haben und sich auch im fortgeschrittenen Alter als fortpflanzungsaktiv erwiesen haben. 230

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Aktive (Fisch-) Senioren im Aquarium Im Allgemeinen darf man durchaus davon ausgehen, dass der „Kampf ums Überleben“ in der freien Natur sehr viel kräftezehrender ist als in einem gut umsorgten Aquarium. Die Lebenserwartung eines von einem verantwortungsbewussten Aquarinaners wohl behüteten Individuums sollte deshalb in einer adäquaten Umwelt sehr viel höher liegen, als in freier Natur. Die Erkenntnis ein „Seniorenheim hinter Glas“ zu besitzen, war für viele an der Umfrage teilnehmenden DCG-Mitglieder allerdings erstaunlich. Mit der Beschäftigung zur Altersstruktur innerhalb des eigenen Bestands wurde Vereinskollegen erstmalig verdeutlicht, dass im eigenen „Wohnzimmeraquarium“ seit einem Jahrzehnt kein neuer Fisch zugesetzt wurde, dafür aber Jungfische regelmäßig entnommen werden können. Alle „Senioren“, die bis ins hohe Alter zur Nachzucht schritten, wurden in Gruppen gepflegt, die sich im Laufe der Zeit zwar allmählich in der Individuenanzahl geringfügig verringerten, aber niemals als Gruppe völlig zusammenbrachen. Zudem wurden Fischverluste durch Rangordnungskämpfe, Unfälle oder altersbedingte Mortalität nicht durch 20 Jahre altes Cyphotilapia gibberosa-Männchen

den Zukauf neuer, gruppenfremder Exemplare ausgeglichen. Auf diese Weise entstanden zum Beispiel bei Cichliden aus dem Tanganjikasee stabile Fortpflanzungsgemeinschaften, die allein durch eigene Nachkommen Bestand haben. Bei Diskus & Co, also Vertretern der Gattungen Symphysodon, Pterophyllum, Heros und Mesonauta, scheint neben der Gruppe als „Rückversicherung“ zum eigene Wohlbefinden eine harmonische Paarbeziehung eine hohe Lebenserwartung zu garantieren. Soziobiologische Aspekte sind wohl ein (wesentlicher?) Faktor, der die Lebenserwartung unserer Cichliden im Aquarium bestimmt. Leider wird die Verhaltensbiologie sowohl in der Literatur als auch in der aquaristischen Praxis sträflich vernachlässigt. Allein durch die Bereitstellung spezieller Wasserwerte kann man keinen Cichliden ein langes Leben im Aquarium verschaffen, schon längst nicht einer Nachzucht in der x-ten Generation. Bestes Beispiel dafür sind die so genannten Pigeon Blood Diskus asiatischer Provenienz. Zweifellos stammen auch deren Vorfahren aus Amazonien, aber diese Fischlein in einem Aquarium zu pflegen, dessen Wasserwerte sich an amazonischen Verhältnissen orientiert, ist für den Pigeon Blood und all die daraus entstandenen Zuchtformen mehr als unangenehm.

Foto: Jens Hamann

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Maulbrütendes Weibchen von Tropheus dubiosi im Alter von 10 Jahren Foto: Peter Joder

Fertilität und Reproduktionszyklen Bei allen sich auch im Alter reproduzierenden offenbrütenden Buntbarschen ist festzustellen, dass die Gelegegröße im fortgeschrittenen Lebens-

abschnitt abnimmt. Die Anzahl der pro Laichakt abgegebenen Eizellen ist bei Diskus & Co ab dem siebten Lebensjahr hoch signifikant geringer. als in den ersten fünf Jahren nach Eintritt der

Subadulte Acarichthys heckelii im Alter von nicht einmal einem Jahr. Innerhalb der DCG sind Exemplare vorhanden, die im zehnten Lebensjahr noch Jungfische führen.

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Geschlechtsreife. Der männliche Partner zeigt dagegen bis zum elften Lebensjahr keine statistisch nachweisbare Verringerung der Besamungsfähigkeit (Fischer in Vorbereitung). Bei den bisher übermittelten Daten zur Reproduktion von Cichliden-Senioren ist festzustellen, dass die Fortpflanzungsaktivität bis ins hohe Alter anhält. Lediglich die Häufigkeit des Laichaktes und die Anzahl der daraus resultierenden Jungfische nimmt ab einem „Reproduktionszenit“ erstaunlich schnell ab. Lebenserwartung und Geschlecht Alle bisher erhaltenen Daten und die eigenen Aufzeichnungen legen den Schluss nahe, dass bei paarbildenden, meist monogamen Buntbarschen die Lebenserwartung des Individuums nicht vom Geschlecht beeinflusst wird. Während Römer (1991) bei den haremsbildenden Apistogramma-Arten feststellen konnten, „dass sich bei den meisten untersuchten Arten die Männchen gegenüber den Weibchen als deutlich langlebiger erwiesen“, scheint eine allgemeine frühe Mortalität bei weiblichen Cichliden während einer monogamer Mesonauta egregius „Orinoko Delta“: 7 Jahre, 4 Monate und 28 Tage alt.

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Dreizehnjähriger Diskusmann (Zuchtform Brillanttürkis). Nach dem Verlust seiner langjährigen Fortpflanzungspartnerin hat das Tier bisher noch keine neue Partnerin akzeptiert. Auch in Würde gealterte Buntbarsche sind grundsätzlich noch reproduktionsfähig. Die Intervalle zwischen den einzelnen Laichakten sind allerdings merklich länger als bei zwei bis fünfjährigen und somit noch jugendlichen Zuchtpaaren.

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Zum Zeitpunkt der Aufnahme mindestens 5 Jahre altes Thorichthys meeki-Männchen

Fortpflanzungsperiode die Ausnahme zu sein. Der Datensatz zur statistischen Auswertung ist allerdings momentan noch zu gering, um absicherbare Aussagen äußern zu können. Bei Cichliden aus

dem Malawisee, den sogenannten M`Buna, scheint die Lebenserwartung eines dominanten Männchens nicht unwesentlich vom Vorhandensein eines Konkurrenten negativ beeinflusst zu werden.

Mindestens 12-jähriges Diskuswildfangweibchen mit seinen letzten, in der Anzahl recht bescheidenen Jungfischen

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Juliodochromis marlieri „Katoto“im Alter von zehn Jahren Foto: Thilo Hanold

Leider ist von der „Malawisee-Fraktion“ innerhalb der DCG bisher keine einzige Zuschrift eingetroffen, so dass ich auf eigenes, spärliches Datenmaterial aus dem Jahr 1973 zurückgreifen musste.

Literatur Linke, H. & W. Staeck (1987): Amerikanische Cichliden I – Kleine Zwergbuntbarsche. 2. Auflage. Melle. Römer, U. (1991): Zur Lebenserwartung von Zwergbuntbarschen der Gattung Apistogramma. DCG-Informationen 22 (2): 42–45.

Das fortgeschrittene Alter ist dieser Wildfangnachzucht deutlich anzusehen. Trotzdem hat dieses Diskusweibchen mit seinem Partner noch im 14. Lebensjahr 63 Jungfische aufgezogen. Fotos: Roland F. Fischer

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