Andere Definitionen sind heute als problematisch anzusehen:

Einführung in die Entwicklungspsychologie Was verstehen wir in der Psychologie unter Entwicklung? Gegenstand der Entwicklungspsychologie sind Veränder...
Author: Agnes Weiss
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Einführung in die Entwicklungspsychologie Was verstehen wir in der Psychologie unter Entwicklung? Gegenstand der Entwicklungspsychologie sind Veränderungen, die sinnvoll auf die Zeitdimension Lebensalter bezogen werden können (Oerter/Montada 1995, 23). Entwicklung in diesem Sinne beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle und endet erst mit dem Tod des Menschen (Nickel/Schmidt-Denter 1991, 14). Die mit der Entwicklung verbundenen Veränderungen sind nicht kurzfristig (z.B. Anziehen eines neuen Hemdes), sondern sie sind bleibend, bedeutend und wirken im ganzen Leben. Es geht in der Entwicklungspsychologie auch um das Erkennen von Kontinuität (Oerter/Montada, 24).

Andere Definitionen sind heute als problematisch anzusehen: Entwicklung zielt auf einen End- oder Reifezustand ⇔ es gibt nach dem Erreichen eines Endzustandes keine lebenslange Stagnation oder Stabilität Entwicklung führt zu einem höheren Niveau ⇔ Entwicklung enthält über die gesamte Lebensspanne gleichzeitig die Aspekte Wachstum oder Gewinn und Abbau oder Verlust (Oerter/Montada, 13). Im höheren Lebensalter häufen sich Verluste. Entwicklung ist nicht kulturgebunden, sie ist universell ⇔ es geht in der Entwicklungspsychologie auch um kulturspezifische Entwickung wie die Entwicklung von Normen, von moralischen Urteilen etc. Auch biologische Prozesse können kulturell sehr stark variieren (z.B. früheres Menarchealter) Entwicklung erfolgt in einer Abfolge von Stufen, Phasen und Perioden ⇔ Veränderungen im geistig-seelischen Bereich schreiten eher kontinuierlich, allerdings nicht völlig gleichmäßig, voran (Nickel/Schmidt-Denter, 26)

Geschichte der Entwicklungspsychologie Im Mittelalter gab es keine Idee der Kindheit. Kinder und Erwachsene hatten nicht nur gleiche Kleider, sondern auch die gleichen Spiele und die gleichen Schulen. Kinder wurden genauso wie Erwachsene gehängt, gefoltert und an den Pranger gestellt. Künstler malten Kinder wie kleine Erwachsene: die Proportionen zwischen Kopf und Rumpf wurden so dargestellt wie bei Erwachsenen (Ariès). Comenius (1592-1670), John Locke (1632-1704) Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): "Emile" Charles Darwin (1809-1882): Über den Ursprung der Arten 1877: Biographische Aufzeichnungen über die Entwicklung seines ersten Kindes These: In der Ontogenese wiederholt sich die Phylogenese (Haeckel) Berühmte Entwicklungspsychologen: Stanley Hall (1846-1924, USA), Binet (Paris), Freud (1856-1939), Clara und William Stern (Hamburg), Karl und Charlotte Bühler (Wien), Jean Piaget (1896-1980, Genf) Deskriptive Entwicklungspsychologie: Intelligenzskala von Binet und Simon Kleinkindertest von Charlotte Bühler und Hildegard Hetzer Differentielle Entwicklungspsychologie: Suche nach internen und externen Bedingungen der Entwicklung

Bereiche der Entwicklungspsychologie Körperliche Entwicklung Kognitive Entwicklung Sprachentwicklung Emotionale Entwicklung Moralische Entwicklung Soziale Entwicklung

Theorien der Entwicklung Subjekt aktiv

Umwelt aktiv

Umwelt nicht aktiv

interaktionistische Theorien (z.B. ökopsycholo-

Selbstgestaltungstheorien (z.B. Piaget)

gisches Entwicklungsmodell, systemorientierte Betrachtungsweise)

Subjekt nicht aktiv

exogenistische Theorien, z.B. Behaviorismus (J.B. Watson)

endogenistische Theorien (= Reifungstheorien)

Die Beschreibung der sexuell-emotionalen Entwicklung nach Freud folgt eher dem Modell einer Reifungstheorie, die Beschreibung der kognitiven Entwicklung nach Piaget hingegen könnte man als Selbstgestaltungstheorie einordnen. Belege für die Reifungstheorien: Alle Kinder beginnen im 12./13. Lebensmonat mit dem selbständigen Gehen, auch in solchen Kulturen, in denen das Wickeln/Binden der Kinder üblich war. Bei solchen Kindern konnten nur kurzfristige motorische Retardierungen beobachtet werden. Ein gewisser Reifestand ist Voraussetzung für Lernvorgänge (z.B. Blasenentleerung, Fahrradfahren). Lesen und Schreiben kann man schon mit 3 oder 4 Jahren lernen.

Es gibt sensible Phasen für spezifische Entwicklungen (z.B. Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Bindung (Konrad Lorenz: Mutterprägung bei den Graugänsen), Sprachentwicklung).

Belege für die interaktionistischen Theorien Es gibt einen wechselseitigen Einfluß zwischen Eltern und Kind. Schwierige Kinder (häufiges Schreien, Unruhe z.B. als Folge von Krankheiten oder leichten zerebralen Schäden) überfordern oft ihre Eltern. Hart bestraft werden überzufällig häufig die schwierigen Kinder (Oerter/Montada, 11). Kinder erziehen auch ihre Eltern. Diese ändern oft ihre Einstellungen (religiös, politisch, sexuell) aufgrund der Äußerungen ihrer Kinder. Einflußmöglichkeiten von Kindern in der Eltern-Kind-Interaktion: - logisches Argumentieren - Kompromisse aushandeln - Vorwürfe - Drohen, Trotzen, Fordern, Erpressen - Bestrafen der Eltern durch Schreien, Nerven, unangemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit - Ignorieren elterlicher Normen - demonstrative Hilf- und Machtlosigkeit - Schmusen und Streicheln - Verlangen einer Begründung für Verbote

Der klassische Streit: Die Anlage-Umwelt-Thematik Anlage ⇓ Reifung

Umwelt ⇓ Lernen/Anpassung

Die Trennung der Einflüsse von Anlage und Umwelt ist nicht möglich. Die Wirkung der Reifung kann nicht getrennt von Umwelteinflüssen untersucht werden (Beispiel: Friedrich II. gab 200 Neugeborene in die Obhut von Ammen, denen er verbot, auch nur ein einziges Wort zu sprechen (Suche nach der Ursprache). Alle Kinder starben. (Nickel/Schmidt-Denter, 18)). Anlagebedingt ist bei vielen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko (Beispiel:

Schizophrenie).

Zwillingsforschungen Untersucht wurde die Übereinstimmung bei zweieiigen Zwillingen im Vergleich zu eineiigen Zwillingen. Zweieiige Zwillinge verhalten sich genetisch wie normale Geschwisterkinder, sie haben aber eher gleiche Erfahrungen. Alle Untersuchungen zeigen eine größere Ähnlichkeit bei eineiigen Zwillingen hinsichtlich Intelligenz und vielen Persönlichkeitsmerkmalen (Aggression, Selbstkontrolle etc.). Zweieiige Zwillinge unterscheiden sich sogar mehr voneinander als normale Geschwisterkinder, was als Bemühen um Abgrenzung verstanden werden kann. Hinsichtlich der Intelligenz ergaben sich folgende Korrelationen:

Eineiige Zwillinge gemeinsam aufwachsend getrennt aufwachsend

.86 .75

Zweieiige Zwillinge gemeinsam aufwachsend getrennt aufwachsend

.39 .35

Geschwister gemeinsam aufwachsend getrennt aufwachsend

.54 .47

Kinder, nicht verwandt gemeinsam aufwachsend

Korrelationen

der

-.02

Intelligenz

von

Kindern

mit

ihren

biologischen bzw. Adoptiveltern (Munsinger, 1975) Adoptiveltern und adoptiertes Kind Biologische Mutter und getrennt lebendes Kind Biologische Eltern und Kind (zusammenlebend)

.19 .34 .58

In einer Längsschnittstudie ergaben sich folgende Korrelationen zwischen der Intelligenz der genetischen Eltern und der ihrer zu Adoption freigegebenen Kinder: Im Alter von 2 Jahren: .03 Im Alter von 4 Jahren: .29 Im Alter von 7 Jahren: .37 Im Alter von 13 Jahren: .45 Erklärung: Zunächst paßt sich das Kind der Erziehung der Adoptiveltern an (passive Umwelt-Entsprechung). Danach passen sich die Eltern mehr dem Kind an. In den ersten Lebensjahren können genetische Unterschiede durch Milieuunterschiede überlagert werden.

Fazit: Die Erblichkeit der Intelligenz ist bei den vorhandenen Untersuchungen als hoch einzustufen (durch den genetischen Einfluß läßt sich etwa 50 % der Varianz erklären). Bei einer stärkeren Umweltvarianz wäre der Einfluß der Umwelt allerdings größer. Wichtiger als eine Ausdifferenzierung der Anteile von Anlage und Umwelt ist eine Analyse der jeweiligen Interaktion.

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