Altersbilder in der gesundheitlichen Versorgung und in der Pflege

Fachtagung „Der sechste Altenbericht- Konsequenzen für die Praxis“ Altersbilder in der gesundheitlichen Versorgung und in der Pflege Prof. Dr. Ulla W...
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Fachtagung „Der sechste Altenbericht- Konsequenzen für die Praxis“

Altersbilder in der gesundheitlichen Versorgung und in der Pflege Prof. Dr. Ulla Walter Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung

Bonn 17.6.2011

Was erwartet Sie?  Gesundheit und Pflege: Kontext der Betrachtung  Manifestation von Altersbildern Individuum Interaktion System

Wissen I

Einstellungen -

Ältere

- Kompetenzen

Gesundheit Professionelle

System

- Qualifizierung

- Rechtliche Regelungen

- Einstellungen

- Strukturen

- Versorgungshandeln

Wissen I

Einstellungen -

Ältere

- Kompetenzen

Gesundheit Professionelle - Qualifizierung

Handlungsrahmen Nutzung

System - Rechtliche Regelungen

- Einstellungen

- Strukturen

- Versorgungshandeln

- Anreize

Wissen I

Einstellungen -

Ältere

- Kompetenzen

Gesundheit Professionelle - Qualifizierung

Handlungsrahmen Nutzung

System - Rechtliche Regelungen

- Einstellungen

- Strukturen

- Versorgungshandeln

- Anreize

Erscheinungsformen von Altersbildern (6. Altenbericht)

• Kollektive Deutungsmuster • Selbst- und Fremdbild (individuelle Vorstellungen und Überzeugungen) • Persönliche Interaktion • Strukturen und Prozesse (organisationale und institutionalisierte Altersbilder)

Altersbilder als kollektive Deutungsmuster

Altersbilder als kollektive Deutungsmuster I • 1960/70er Jahre: Isolation, Einsamkeit, bedürftiges, zu schonendes Alter (Schonkost, Ruhe, Passivität, Rückzug) „Nicht nur die meisten Hausfrauen, auch für viele Ärzte ist Alterskost gleichbedeutend mit sog. ‚Schonkost’ und mit dieser wiederum identisch eine reizlose eiweiß- und vitaminarme Breikost. ‚Schonkost als Prinzip der Altersernährung ist das sicherste Mittel, um den Alterungsprozess zu beschleunigen’.“ (Fekl, Berg, Gerontol Geriat 1972, 81).

Altersbilder als kollektive Deutungsmuster II ... im Wandel • Heute: pos. akzentuiertes Altersbild (Kruse, Schmidt 2005) • seit 1980er Jahre: körperliche Aktivität, Lebensfreude, Einforderung der aktiven Mitarbeit „Zu viele alte Menschen lehnen es noch ab, körperliches Training durchzuführen, weil sie sich in einer Phase der Passivität wähnen und auch glauben, dies stünde ihnen zu. Ehe eine Eigenaktivität einsetzt, wird lieber auf Medikamente zurückgegriffen, die nicht nur teuer sind, sondern mit zunehmendem Alter auch zunehmende Nebenwirkungen produzieren.“ (Oster, Gerontol Geriat 1997, 292).

Altersbilder als kollektive Deutungsmuster III • Altersbilder entstehen im Kontext, beharrlich gegen Veränderungen  Immer noch oft Orientierung an Einschränkungen, die für frühere Geburtsjahrgänge charakteristischer waren Selbst- und Fremdbild  Diskrepanz zwischen indiv. Kompetenzen und Bedürfnissen sowie gesellschaftlichen/ gesundheitsbezogenen Strukturen

Altersbilder als Selbst- und Fremdbild

Altersbilder: Selbst- und Fremdbild  



Das Alters-Selbstbild bestimmt die Verantwortung und das Handeln für die eigene Gesundheit mit. Vorstellungen von älteren Menschen beeinflussen ihre Wahrnehmung und Bewertung und sind handlungsleitend für die Ausgestaltung ihrer Versorgung. Altersbilder und Vorstellungen über Autonomie und Abhängigkeiten sowie über die Veränderungsfähigkeit im Alter können den Zugang und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen beeinflussen.

Selbstbild

Versorgungsgeschehen I Jeweils unterschiedliche Altersbilder

Ältere mangelhafte Differenzierung zwischen natürlichem Alterungsprozess und krankheitsbedingten Entwicklungen

Einschätzung Älterer als „schwierige“ Patienten Mögl. KlientenTherapeuten-Konflikte aufgrund des Altersunterschieds

Psychotherapeutische Versorgung im Alter

Professionelle

System/Wissenschaft

Starres Konzept

klass. Analyse (Freud),

mangelnde Rezeption

Kindheitsorientierung

der Plastizität

Altern = Rückzug aus soz. Rollen Krankheitskonzepte

Versorgungsgeschehen II von dem Knesebeck et al. 2010a, Bönte et al. 2007  USA, UK, D  Videofilme, systematische Variation der Pat.merkmale 55/75 Jahre  Rand. Ärztestichprobe, geschichtet nach Geschlecht und prof. Erfahrung  Befragung zur Diagnose, Behandlung, Überweisung etc.

• Depression: • 55 J.: ↑ Fragen zu psych. Befinden und soz. Umfeld • Tendenz: ↑ Überweisung zu Psychiater, ↓ Antidepressiva • KHK: • 75 J / 55 J: 31% / 3% nach ersten Kontakt Medikament • Rauchen: 12,5%/44% (Männer)

Nicht diagnostizierter Diabetes mellitus Typ II (DM II) % *

*

*

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Fremdbild Berufliche Erfahrungen und Kontakte mit unterschiedlichen älteren Menschen fördern eine vermehrte Auseinandersetzung mit dem Alter(n) und tragen zu einem facettenreichen, differenzierten Alters-Fremdbild bei.

Altersbilder bei Studierenden (Pflege, Medizin; Walter, Remmers 2010) • 2008, n=969 Pflegestud., n=555 Medizinstud. (netto) • Zahlreiche Gewinne und Verluste, soz. Verluste aus Sicht Med. bedeutsamer eingeschätzt, 57% Med.: häufig einsam, 33% Pflege: vermehrt Langeweile • Hohe Zustimmung zu Weiterentwicklung im Alter geht mit Ablehnung von Verlusten einher • Wahrnehmung der Kompetenzen – stärkere Beachtung ihrer gesellschaftlichen Leistungen • Häufige Kontakte zu Älteren begünstigen Tätigkeit in der Altenpflege/Altersmedizin

Altersbilder als Element der persönlichen Interaktion

Altersbilder: Persönliche Interaktion • Altersbilder beeinflussen Form und Inhalt der Kommunikation im versorgungsbezogenen Kontext (Wahrnehmung, zugeschriebene Kompetenzen, Rollenerwartungen)  Bereitschaft zur Kommunikation mit als rüstig attributierten Älteren ist höher als mit Älteren mit körperlichen Einschränkungen  Altenpflege: Kommunikation oft einfach, variationsarm, Secondary Baby Talk: Verfestigung von Hilflosigkeit und Ignoranz von Selbständigkeitspotenzialen Ältere: respektlos, Bevormundung

Altersbilder werden über Sprache manifestiert: Alterslast, Pflegefall • Pflegefall: hohe Prägekraft • Gefahr: Individualität des Betroffenen wird sowie spezifische Bedürfnisse und Kompetenzen werden übersehen • Asymmetrische Beziehung • verdeckt fachlich und menschlich anspruchsvolle Tätigkeit der Begleitung Pflegender, verhindert attraktives Berufsbild

Organsiationale und institutionalisierte Altersbilder

Altersbilder: Strukturen und Prozesse  Altersbilder können auf der organisatorischinstitutionellen Ebene wirksam werden, bei dem Zugang und der Gewährung von Leistungen und der Ausgestaltung von Angeboten.  Sie können sich hinter systemischen, rechtlichen und institutionellen Regelungen verbergen, durch diese selbst wieder geprägt und aufrechterhalten werden.

Das Konstrukt der Pflegebedürftigkeit • Defizite sind leistungsbegründend und rücken in den Vordergrund der Wahrnehmung • Orientierung an mit erheblichen Einschränkungen verbundene Altersgebrechlichkeit • Gefahr mit dem hohen Alter verbundene negative Altersbilder zu transportieren

Altersbilder: Strukturen und Prozesse – Bsp. Rehabilitation So wird häufig angenommen, ältere,  Problem: hinreichende dass Kenntnis über und Bedarf, Ressourcen, ihreMenschen Nutzung undschlechtere Wirksamkeit der Reha insbesondere hochaltrige Antragstellung  Zusatzqualifikation der niedergelassenen Ärzte 28% Arzt / Patient Rehabilitationschancen haben. (2008) Nach dem Ärztlichen Sachverständigenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR,  Vielfach von Professionellen ohne hinreichende Qualifizierung in Rehabilitation und Geriatrie, 2008) werden „Rehabilitationsbedürftigkeit nicht Begutachtung fehlender direkter Kontakt Einschätzung erkannt, Rehabilitationsangebote underschwert -potenziale nicht  wenig in Pflegestufe I ausgeschöpft und Empfehlungen – als Folge einer den objektiven  Alter selbstnicht kein Kriterium Gegebenheiten entsprechenden, Ggf. Ablehnung wahrgenommenen Bedarfslage – auch bestehende Verfahren oft intransparent für Hausärzte und erneute strukturelle Defizite nicht als solche identifiziert. -> Motivation zum Widerspruch sinkt Antragstellung

Rehabilitation

(Seger et al, 2008, S. 68)  Heterogene nicht flächendeckende Versorgung  Zuweisung z.T. nicht nach Bedarf, sondern wirtschaftlichen Überlegungen  Rehadauer unflexibel

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