Als segmentierbare Morphe ohne auf den ersten Blick erkennbare

Sebastian Kürschner Verfugung-s-nutzung kontrastiv: Zur Funktion der Fugenelemente im Deutschen und Dänischen A ls segmentierbare Morphe ohne auf d...
Author: Victor Feld
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Sebastian Kürschner

Verfugung-s-nutzung kontrastiv: Zur Funktion der Fugenelemente im Deutschen und Dänischen

A

ls segmentierbare Morphe ohne auf den ersten Blick erkennbare Funktion stellen Fugenelemente in der linguistischen Theorie Grenzfälle der Morphologie dar: Trotz ihrer Gestalt als morphologische, segmentierbare Einheiten wie in dt. Forschung-s-tradition / dän. forskning-s-tradition kann ihnen keine Inhaltsseite zugewiesen werden. Eine lange Tradition der historisch an einer Flexionsfunktion orientierten Fugenforschung, allen voran Grimm (1877) mit seiner Unterscheidung der eigentlichen Komposition ohne Fugenelement vs. uneigentliche Komposition mit Fugenelement, das “flexion im ersten wort” zeige (Grimm 1877: 588), wurde von einer strukturalistisch synchron ausgerichteten Forschungstradition abgelöst (vgl. v. a. Augst 1975, Grube 1976, Ortner et al. 1991: 50-111, Wellmann et al. 1974 und Žepić 1970). Fugenelemente wurden nun als Flexionssuffixen gleichförmige Einheiten erkannt, deren Funktion aber nicht mit der flexivischen übereinstimmen muss. Mit neueren Arbeiten zur Distribution (vgl. v. a. Fuhrhop 1998) und theoretischen Arbeiten zur Nicht-Kasussemantik der Fugenelemente (z. B. Gallmann 1999) wurde die Form-Funktions-Äquivalenz mit Flexionssuffixen dann © TijdSchrift voor Skandinavistiek vol. 26 (2005), nr. 2 [ISSN: 0168-2148]

102 TijdSchrift voor Skandinavistiek beinahe vollständig überwunden, mögliche nicht-flexivische Funktionen der Fugenelemente hingegen wurden theoretisch präziser erfasst. 1. Fuge-n-elemente im Deutschen und Dänischen - ein kontrastiver Testfall 1.1 Die nichtflexivische Funktion der Fugenelemente Tatsächlich stimmen alle Fugenelemente im Deutschen wie im Dänischen formal mit Flexionssuffixen überein.1 Die Übereinstimmung hat allerdings keine funktionalen Konsequenzen für die Fugenelemente, vielmehr führt der funktionale Vergleich häufig zu absurden Resultaten. Ein Hühn-er-ei zum Beispiel kann trotz formaler Äquivalenz zur Pluralform jeweils nur von einem Huhn gelegt werden, genauso wie die Bischof-s-konferenz trotz formaler Übereinstimmung mit der Singularform nicht nur Konferenz eines Bischofs sein kann. Selbst wenn mit einer generischen Pluralbildung im Falle Hühn-er-ei als 'Ei von Hühnern' argumentiert werden soll, zeigt sich keine konsistente Nutzung der Wortfuge für diese Funktion, vgl. *Amsel-n-ei, *Vögel-Ø-ei. Häufig zeigen paradigmisch gebildete Erstglieder also keine semantische Äquivalenz zu einer nach Kasus oder Numerus deklinierten Form. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Beziehung zwischen Erst- und Zweitglied bei transparenten Komposita oft in verschiedener Form interpretierbar ist und sich nur kontextgebunden verfestigen lässt, vgl. Schiff-s-haken ‘Haken an einem Schiff’, ‘Haken zur Befestigung eines Schiffes’ etc.2 Bei Betrachtung von Beispielen wie Universität-s-stadt zeigt sich zudem, 1 2

Eine Übersicht über das Inventar an Fugenelementen der Einzelsprachen findet sich in Kürschner 2003: 105) Zur semantischen Relation in Nominalkomposita des Deutschen vgl. u. a. die ausführliche Analyse und Diskussion in Ortner et al. (1991: 145-640).

Sebastian Kürschner 103 dass die Form des Erstglieds nicht einer Form des Flexionsparadigmas entsprechen muss, vgl. *der Universitäts. Diachronisch lässt sich der Abbau der flexivischen Funktion als Reanalyse erklären: Im Frühneuhochdeutschen wurde im Zuge der Restrukturierung der Nominalphrase mit postattributivem Genitiv die Produktivität der Nominalkomposition stark erhöht. In diesem Prozess blieben zum Teil Kasusmarker (und zwar Marker für Genitiv in beiden Numeri) am prädeterminierenden Erstglied erhalten, so dass z. B. das Syntagma Monats frist bei Beibehaltung des Genitiv-s zum Kompositum reanalysiert wurde.3 In Folge der hohen Produktivität der Komposition wurden die Flexionssuffixe reanalysiert, und ihre bisherige Numerus- oder Kasusfunktion ging verloren. Dies zeigt sich deutlich in neuen, von der Flexion unabhängigen Distributionsmustern; z. B. erscheint die -s-Fuge bald auch unparadigmisch an Feminina, vgl. nhd. Verwaltung-s-sitz (vgl. auch oben Universität-s-stadt). Für das Dänische muss ein ähnlicher Reanalyseprozess vorausgesetzt werden, der allerdings bisher nicht so systematisch erforscht wurde wie für das Deutsche.4 In diesem Artikel soll der Fokus darauf gerichtet werden, ob die Fugenelemente im Zuge der Reanalyse neue Funktionen erworben haben, wobei aus oben genannten Gründen eine Kasus- oder Numerussemantik nur dann akzeptiert wird, wenn sie sich belegen lässt. Numerussignalisierende Funktion zum Beispiel lässt sich in Minimalpaaren wie Volk-s-kunde vs. Völk-er-kunde kaum bestreiten, solche Eindeutigkeiten sind aber systematisch nur äußerst selten vorzufinden und beruhen oft auf Spontanbildungen. 3 4

Beispiel aus Demske (2001: 299), vgl. zu alldem auch die Ausführungen in Demske (2001). Einzeluntersuchungen gibt es m. W. nicht. Einige Ausführungen zur Geschichte der Fugenelemente lassen sich in Skautrup (1944-1970 I: 59; 293f.; II: 92-94; 241f.; 385f.; III: 377f.; IV: 264f.) finden. Für eine ausführlichere Übersicht über die historische Entwicklung im Deutschen und im Dänischen siehe auch Kürschner (2003: 35-41).

104 TijdSchrift voor Skandinavistiek 1.2. Die kontrastive Basis Der Funktion der Fugenelemente wird auf einer kontrastiven Basis nachgegangen: Zum Vergleich mit dem relativ gut untersuchten deutschen System5 wird das bisher kaum untersuchte Dänische herangezogen,6 das im Bereich der Nominalkomposition eine ähnlich hohe Produktivität aufweist wie das Deutsche. Auch im Dänischen sind Fugenelemente vorhanden, für die sich ein Reanalyseprozess voraussetzen lässt. In beiden Sprachen ist es vor allem die -s-Fuge, die neben der Nullfuge hohe Frequenz aufweist. Zudem treten in beiden Sprachen weitere Fugenelemente auf, für die sich produktive Distribution erkennen lässt (im Deutschen v. a. die -n- und -enFuge, im Dänischen die -e-Fuge), sowie solche, die nicht mehr produktiv verwendet werden (vgl. die -ens-Fuge im Deutschen, z. B. Herz-ens-güte, und die -n-Fuge im Dänischen, z. B. øje-n-kontakt). Die im Folgenden aufzuzeigenden Funktionen der Fugenelemente beruhen auf einer in Kürschner (2003) vorgenommenen umfassenden kontrastiven Korpusanalyse. Als Fugenelement wird hier jegliche Ausfüllung der Wortfuge verstanden, wozu additive Realisierungen in Form von Lauten und Lautverbindungen (Umsetzung-s-hilfe, Rind-er-wahnsinn), modulatorische Prozesse in Verbindung mit oder ohne zusätzliche additive Realisierungen (Häus-erbau, Mütter-Ø-heim) sowie auch Nullfugen (Garten-Ø-anlage) und subtraktive Prozesse gehören (Erd-Ø-boden).7 Nicht nur lautliches Mate5 6

7

Vgl. zum Deutschen die in Kap. 1.1 genannten Arbeiten. Neben Übersichten in Grammatiken sind zum Dänischen an systematischen Arbeiten nur kurze Überblicksdarstellungen in Hansen (1967 II: 296-301) sowie in Skautrup (1944-1970: 264f.) zu erwähnen. Weitere Informationen lassen sich bei Bauer (1978: 37-39; 1979) finden. Vgl. zum Bokmålsystem, das in großen Teilen dem dänischen System ähnelt, auch Iversen (1924). Andere Definitionen von Fugenelementen vermischen dabei häufig die rein segmentale Ebene, die in dieser Arbeit angewandt wurde, mit der formalen Übereinstimmung mit Flexionssuffixen: Donalies (2003: 82) zum Beispiel definiert das -es- in Sohn-es-pflicht nicht als Fugenelement, da es mit dem

Sebastian Kürschner 105 rial wird also als Ausfüllung der Wortfuge verstanden, auch nicht fonisch realisierte Formen sowie Eingriffe in den Stamm werden als Fugenelemente gewertet. Es handelt sich um eine Untersuchung einzelsprachlicher Korpora von N+N-Komposita,8 die aus Wortlisten mit je 1000 Komposita, Freitextkorpora sowie Wörterbüchern bestehen (vgl. zur Methode Kürschner 2003: 58-69). Voraussetzung für das Erkennen der potenziellen Funktion von Fugenelementen ist deren Distribution, die auf der Basis von Produktivitätskriterien in der Arbeit für beide Sprachen untersucht wurde. Die Distribution der Fugenelemente wird von inhärenten Eigenschaften am Erstglied des Kompositums gesteuert, die auf fonologischer (Auslaut), morphologischer (Flexionsklasse, Derivationssuffixe, morphologische Komplexität), etymologischer (nativer Wortschatz vs. Fremdwortschatz) und semantischer (semantisches Merkmal [+belebt]) Ebene anzusiedeln sind. Das Zweitglied übt dabei keinen Einfluss aus, vielmehr ist das Fugenelement mit dem Erstglied verknüpft, wie es sich auch in Koordinationsstellung

8

Genitivmarker -es übereinstimmt. Die Übereinstimmung interpretiert sie als Vorliegen eines Flexionssuffixes und eben keines Fugenelements. Fugenelemente sind nach ihrer Definition “nur jene Konstituenten, die nicht im Flexionsparadigma der ersten Einheit (eines Kompositums, s.k.) vorkommen”. Dass die formale Äquivalenz sich historisch begründen lässt, eine Bedeutungsäquivalenz mit Flexionssuffixen aufgrund von Formgleichheit jedoch nicht tragbar ist, wurde oben bereits verdeutlicht (vgl. Kap. 1.1). Donalies’ gleichzeitige Deutung der Fugenelemente als “defunktionalisiert” erscheint daher inkonsequent: Was hat die formale Übereinstimmung dann für eine Relevanz? Grundlage des Korpus sind einsprachige Wortlisten aus Komposita, die mindestens zwei Glieder der Wortart Substantiv aufweisen. Die Komposita wurden zufällig in der Reihenfolge ihres Auftretens aus schriftsprachlichen Internet-Ausgaben deutscher und dänischer landesweiter Tageszeitungen extrahiert und bilden somit ein an den geschriebensprachlichen Gebrauch geknüpftes Korpus. Bei der Materialsammlung wurde zunächst kein Unterschied zwischen zwei- und mehrgliedrigen Komposita gemacht, außerdem wurden Determinativ- und Kopulativkomposita gleichwertig behandelt.

106 TijdSchrift voor Skandinavistiek zeigt: Verkauf-s- und Vertrieb-s-abteilung. Fuhrhop (1998: 22-27) fasst die Bildung der Form des Erstglieds mit oder ohne Fugenelement theoretisch als Stammformbildung auf, bei der eine speziell für die Komposition gebildete Stammform entsteht, die ‚Kompositionsstammform’. Kompositionsstammform zum Stamm Verkauf ist nach dieser Theorie Verkauf-s-. Die Theorie wird für die vorliegenden Überlegungen übernommen. Aus der Distribution der Fugenelemente in Abhängigkeit von der strukturellen Form des Erstglieds können sich Hypothesen zur Funktion der Fugenelemente ergeben. Distribution und Hypothesen stellen sich im deutsch-dänischen Vergleich zum Teil sogar auf formaler Ebene verblüffend ähnlich dar (vgl. die gliedernde Funktion des Fugen-s-, Kap. 2), zum Teil divergieren sie aber auch deutlich (s. die semantische Klassenbildung, die sich im Dänischen deutlich transparenter darstellt als im Deutschen, Kap. 4). Die kontrastive Betrachtungsweise hat dabei den großen Vorteil, dass sie Aufschluss zu möglichen Funktionalisierungen geben kann, die in der einzelsprachlichen Betrachtung nicht unbedingt von alleine aufscheinen würden. Zudem kann die Funktionalisierung von Fugenelementen auf einer breiteren Basis dargestellt werden, die möglicherweise auch Hinweise auf universelle Nutzungskriterien geben kann. 2. Komplexität-s-anzeige oder Signal für das Auftreten des Grundwortes Eine bereits in einer Vielzahl von Arbeiten proklamierte morphologisch-funktionale Nutzung der Fugenelemente erschließt sich aus dem Auftreten bestimmter Elemente an morphologisch komplexen Lexemen. So erweist sich das Auftreten von -s- in dieser Umgebung als weitaus frequenter als im Anschluss an Simplizia. Dies gilt für das Deutsche wie für das Dänische. Jegliche Form von derivationeller und kompositioneller Wortbildung kann dabei die Wahr-

Sebastian Kürschner 107 scheinlichkeit des Auftretens der -s-Fuge erhöhen. Die deutlichste Strukturierung ergibt sich dabei an einer großen Zahl von Derivationssuffixen. Aber auch präfigierte Erstglieder zeigen im Vergleich zu ihren simplizischen Gegenstücken die Tendenz, ein Fugen-s- zu nehmen. Dies lässt sich durch Paare wie dt. Druck-Ø-fassung vs. Aus+druck-s-tanz und dän. hold-Ø-kammerat vs. op+hold-s-sted belegen. Eine statistische Untersuchung der im zugrunde liegenden Korpus auftretenden Komposita zeigt folgendes Ergebnis auf: Während im Deutschen wie im Dänischen bei Betrachtung der gesamten zugrunde liegenden Wortliste die Nullfuge dominiert (dt. 58 %, dän. 68 % aller Fälle) und die -s-Fuge weit dahinter an zweiter Stelle der Auftretensfrequenz steht (dt. 25 %, dän. 27 %), erscheint die -s-Fuge nach präfigiertem Erstglied weitaus häufiger. Im Deutschen tritt sie, wie Abb. 1 zeigt, in 54 von insgesamt 80 Fällen auf, d. h. in 67,5 % aller Fälle, die Nullfuge hingegen tritt stark zurück und erscheint nur noch in 23 der 80 Fälle (28,8 %). Im Dänischen zeigt sich dies noch deutlicher: 47 der 51 präfigierten Erstglieder (92,2 %) erscheinen mit Fugen-s-, nur 3 (5,9 %) hingegen treten mit Nullfuge auf. Alle anderen auftretenden Fugenelemente erscheinen in dieser Position in beiden Sprachen peripher. Es zeigt sich hier eine deutliche Präferenz für die -s-Fuge in einer morphologisch komplexen Umgebung, nämlich nach präfigiertem Erstglied. Dies gilt auch, wie bereits erwähnt, nach suffigiertem Erstglied: Auf dt./dän. -heit/-hed, -schaft/-skab, -ling/-ling, -tum/-dom, ung/-ing, -ion/-ion, -tät/-tet und dän. -else abgeleitete Lexeme sowie im Deutschen lexikalisierte deverbale Substantivierungen auf -en (vgl. Schaden-s-fall) bilden die Kompositionsstammform mit -s-.9 9

Es handelt sich also in beiden Sprachen nur um eine Reihe von Suffixen. Die formale (und distributionelle) Ähnlichkeit der Suffixe ergibt sich aus historischer Sicht aufgrund der Verwandtschaft der beiden Sprachen sowie aus dem mittelniederdeutsch-altskandinavischen Sprachkontakt zur Hansezeit, in dessen Folge viele Wortbildungssuffixe in die skandinavischen Sprachen entlehnt bzw. wieder produktiv wurden. Vgl. hierzu auch Kap. 3.

108 TijdSchrift voor Skandinavistiek Fugenelemente nach präfigiertem Erstglied 60

s; 54 s; 47

50

Anz ahl

40 30 0; 23 20 10 es; 1

n; 2

0; 3

e; 1

0 Deutsch

Dänisch

Abbildung 1: Distribution der Fugenelemente bei präfigiertem Erstglied im deutsch-dänischen Vergleich

Zu der morphologischen Komplexität durch Derivation tritt die Komplexität durch Komposition hinzu. Untersucht man Komposita mit mehr als zwei Gliedern, so lässt sich auch hier erkennen, dass komplexe Erstglieder häufig durch das Auftreten eines Fugens- gekennzeichnet werden. Folgende Fälle der Verfugung kompositionell komplexer Erstglieder sind zu unterscheiden: (a) Das Fugenelement stimmt bei komplexem Erstglied und einfachem Erstglied überein: dt.

Bürger-ø-recht-s-kämpfer Recht-s-anwalt

dän. hus-ø-fred-s-krænkelse fred-s-forhandlinger

(b) Das Fugenelement stimmt bei komplexem Erstglied und einfachem Erstglied überein, zeigt aber bei einfachem Erstglied teils auch Abweichungen: dt.

Mutter-ø-land-s-partei Land-s-leute vs. Land-ø-tier vs.

Land-es-gruppe u. a.

Sebastian Kürschner 109 dän. domm-e-dag-s-overskrifter dag-s-orden vs. dag-Ø-blad (c) Das Fugenelement erscheint bei komplexem Erstglied durchgehend in anderer Form als bei einfachem Erstglied: dt.

Früh(-Ø-)stück-s-ei Stück-Ø-preis

dän. rum-Ø-fart-s-organisation fart-Ø-pilot

Es stellt sich die Frage, ob bestimmte Fugenelemente in der kompositionell komplexen Position häufiger auftreten als in der einfachen Position. Zur statistischen Näherung an die Antwort wurden alle im Korpus auftretenden Fugenelemente an kompositionell komplexen Erstgliedern im Vergleich zur Fugenform am einfachen Erstglied kontrastiert. Als Kriterium für kompositionell komplexe Erstglieder galt dabei die Grundlage, dass das Determinans aus mindestens zwei nominalen Gliedern bestand.10 Folgendes Ergebnis konnte in der Untersuchung erzielt werden: Fugenelemente nach kompositionell komplexen Erstgliedern

Wortfugen

100%

4

80%

7

5

60%

30

1

2

40%

31

5

18

20%

4

1

0% 0

s

1 e

Deutsch

n

0

s

Fall (a): Als einfaches Erstglied übereinstimmendes Fugenelement Fall (b): Als einfaches Erstglied teilweise übereinstimmendes Fugenelement Fall (c): Als einfaches Erstglied anderes Fugenelement

Dänisch

Abbildung 2: Fugenelemente an kompositionell komplexem Erstglied im Vergleich zur Distribution an kompositionell einfachem Erstglied 10

Dt. Schreber-Ø-garten-Ø-siedlung aus Schreber-Ø-garten und Siedlung zählte z. B. dazu, während dt. Nominierung-s-partei-Ø-tag kein kompositionell komplexes

110 TijdSchrift voor Skandinavistiek Abbildung 2 zeigt, dass die Fugenelemente mit hoher Frequenz nach kompositionell komplexem Erstglied sich auf -Ø- und -s- beschränken. -e- und -n- treten im Deutschen peripher auf, im Dänischen zeigt sich in dieser Position kein anderes Element außer den beiden frequenten. Die Balken in Abbildung 2 sind nach den drei oben angegebenen Fällen des Auftretens von Fugenelementen nach komplexem Erstglied strukturiert.11 Die Distribution von Null- und -s-Fuge zeigt nun deutliche Unterschiede: Die Nullfuge tritt in beiden Sprachen fast durchgehend nur dann nach komplexem Erstglied auf, wenn sie auch nach einfachem Erstglied zu finden ist, d. h. wie in Fall (a). In beiden Sprachen tritt sie nur in einem Fall zusätzlich auch ersetzend wie in Fall (b) auf. Bei der -sFuge zeigt sich hingegen, dass sie zwar in den Fällen erhalten bleibt, in denen sie auch an einfachem Erstglied zu finden ist (Fall a), zusätzlich aber deutlich als ersetzendes Fugenelement in Erscheinung tritt: Im Deutschen tritt sie in vier von insgesamt elf Fällen ersetzend auf (Fall c), in zwei der Fälle kann das einfache Erstglied auch -s- tragen, tut dies aber nicht immer (Fall b). Im Dänischen ist die Tendenz wieder deutlicher zu sehen: In 18 der 29 Fälle tritt -s- ersetzend auf (Fall c), in sieben Fällen kann das Element Ersetzungsfall sein (Fall b), nur in vier Fällen stimmt es mit der Fuge am einfachen Erstglied überein (Fall a). Die Statistik lässt vermuten, dass es sich bei der hohen Zahl von Nullfugen, die sowohl an einfachem als auch an komplexem Erstglied auftreten, um eine fonologische Distribution handelt, die den Ersatz durch strukturierendes Fugen-s- eben verhindert. So ist es auch: Im Deutschen wie im Dänischen ist die Nullfuge nach vokalischem Auslaut (im Deutschen ausgenommen Schwa-Auslaut) fest distribuiert, zusätzlich erscheint -Ø- vor allem im Dänischen regelmäßig nach Auslaut auf -s und -st. Gerade die Gruppe von voka11

Erstglied hat, da es sich aus Nominierung und Partei-Ø-tag zusammensetzt. Von oben nach unten ist die Zuordnung zu Fall (a) bis Fall (c) prozentual und in absoluten Zahlen dargestellt.

Sebastian Kürschner 111

Anzahl Fugenelemente

Fugenelemente nach derivationell und kompositionell komplexem Erstglied 160 140 120 100 80 60 40 20 0

0; 125

s; 130

s; 134 0; 107

n; 10 Deutsch

sonstige; 4

sonstige; 5 Dänisch

lisch auslautenden Erstgliedern stellt eine große Anzahl von Lexemen bereit, die regelmäßig ihre Kompositionsstammform mit der Nullfuge bilden. Dabei ist zu beachten, dass die fonologischen Kriterien im Dänischen weit konsequenter in Erscheinung treten als im Deutschen und damit echte “Hinderungsgründe” für das Auftreten von Fugen-s- darstellen. Dies gilt nicht nur bei kompositionell komplexen Erstgliedern, sondern auch bei den Derivaten: Abbildung 3 zeigt im Überblick die Distribution der Fugenelemente an allen morphologisch komplexen Erstgliedern derivationeller und kompositioneller Art, die im Korpus auftreten. Wie schon in den Grafiken zuvor zeigt sich auch hier eine deutliche Präferenz für -Ø- und -s-. Deutlich ist auch die Auftretenshäufigkeit von -s-, die sich im Vergleich zu den oben angegebenen Werten für das Gesamtkorpus als erstaunlich hoch darstellt: -s- ist in beiden Sprachen in komplexer Umgebung das frequenteste Fugenelement und tritt im Dänischen noch deutlicher als im Deutschen häufiger als die sonst als unmarkiert geltende Nullfuge auf. Im Deutschen fällt neben den beiden Fugenelementen auch die Häufigkeit des Fugen-n- auf, das mit 10 von insgesamt 269 untersuchten Fugen immerhin in 3,7 % der Fälle auftritt und nicht völlig

112 TijdSchrift voor Skandinavistiek peripher erscheint. Dies spricht gegen die Beobachtung von Aronoff/Fuhrhop (2002), dass -n- – gemeinsam mit der Nullfuge eines der häufigsten Fugenverfahren bei Stammauslaut auf Schwa – genau dann trotz Schwa-Auslauts zugunsten der Nullfuge eben nicht auftritt, wenn Schwa ein Derivationssuffix darstellt (z. B. Härt+e-øfall). Diese Beobachtung ließ sich in der Korpusuntersuchung in Kürschner (2003) statistisch nicht stützen (vgl. Gegenbeispiele wie Tief+e-n-meter), soll aber als Tendenz vermerkt werden. Zusammenfassend tritt das Fugen-s- also im Deutschen wie im Dänischen nach komplexem Erstglied in deutlich erhöhter Häufigkeit auf, wobei es in einer Großzahl der Fälle ersetzend für ein an einfachem Erstglied haftendes anderes Fugenelement erscheinen kann. Dabei scheinen dominante fonologische Kriterien in einigen Fällen das Auftreten von -s- zugunsten der Nullfuge zu verhindern. Welche Aussagen machen die statistischen Berechnungen nun über die Funktion der Fugenelemente in diesen Positionen? Als Hypothese lässt sich – wie vielmals zuvor schon geschehen – formulieren, dass die Fugenelemente in dieser Position strukturierende Wirkung besitzen. So wird das Ende einer komplexen Einheit, deren Verarbeitung schwieriger ausfällt als die monomorphematischer Einheiten, markiert. Gleichzeitig wird auf das Auftreten des Grundworts und damit des Kopfes des Kompositums hingewiesen, was eine Analyseerleichterung aus Rezipientensicht zur Folge hat. Insofern lässt sich von einer morphologischen Funktionalisierung des Fugenelements -s- nach komplexem Erstglied sprechen. Dass sich genau dieses Fugenelement für die beschriebene Funktion besonders eignet, zeigt sich auch an dessen Form: Fugen-swird durch den Laut [σ] realisiert, der in der Sonoritätshierarchie tief angesiedelt ist und aufgrund der fonotaktischen Einschränkung, im Deutschen nicht am Silbenanfangsrand stehen zu können, als perfekter Silbenabschluss gelten kann (vgl. Nübling 2004: 350).12 12

Dies gilt nur mit Einschränkungen für das Dänische, das weder stimmhaftes

Sebastian Kürschner 113 Das Element tritt als stimmloser Frikativ deutlich, jedoch ohne Belastung z. B. durch Verursachung einer zusätzlichen Silbe auf, und kann so als Hinweiselement dienen, ohne prosodische Abläufe zu stören. Daher ergibt sich auch eine gute Eignung für das Fugen-s-, die eine parallele Funktionalisierung in den beiden betrachteten Sprachen erklären könnte. Über das Deutsche und das Dänische hinaus lässt sich eine ähnliche Nutzung gerade dieses Elements übrigens in einer Vielzahl germanischer Sprachen erkennen.13 Fazit: Die -s-Fuge ist in komplexer Position funktionalisiert und tritt als Gliederungsmarker in einer ihr eigenen Funktion auf. 3. Komposition-s-ermöglichung: Öffnen schließender Suffixe Fuhrhop (2000: 210f.) und Aronoff/Fuhrhop (2002) führen als Funktion der Fugenelemente das Öffnen schließender Suffixe an. Mit schließenden Suffixen sind solche Derivationssuffixe gemeint, die ein Wort nach rechts hin abschließen und keine weitere Wortbildung an komplexer Basis mehr ermöglichen, obwohl diese erwartbar ist. Dies ist z. B. beim Nomen-agentis-Suffix nicht der Fall: Dt. Lehr+er / dän. lær+er lassen weitere Wortbildung z. B. mit Movierungs- oder Diminutivsuffixen zu, wie dt. Lehr+er+in / dän. lær +er+inde und dt. Lehr+er+chen zeigen. Die weitere Wortbildung trotz komplexer Basis ist hier erwartbar, da -in/-inde an morphologisch komplexe Personenbezeichnungen und -chen an komplexe Konkreta treten können (vgl. auch dt. Lingu+ist+in, Händ+ler+ chen). Auch die Suffixe dt. -schaft / dän. -skab lassen weitere Suffigierung zu, vgl. dt. gesell+schaft+lich / dän. sel+ skab+(e)lig. Auch hier

13

[ζ] noch palatalisierte Realisierung von /σ/ besitzt und daher keine dem entsprechenden fonotaktischen Regeln für den Silbenanfangsrand vorweist. Vgl. zum Schwedischen z. B. Telemann/Hellberg/Andersson 1999: 50-57. Auch im Niederländischen scheint morphologische Komplexität eine Rolle für die Distribution des Fugen-s- zu spielen, vgl. Krott (2001: 201-216).

114 TijdSchrift voor Skandinavistiek ergibt sich Erwartbarkeit, denn das adjektivierende Suffix -lich/ -lig tritt im Deutschen und Dänischen bei komplexer Basis an abstrakten Nomina auf, vgl. auch dt. eigen+tüm+lich / dän. ejen+dom+(me)lig. Dagegen kann ein mit dem deutschen Suffix -ung derivierter Stamm ebenso wie ein dänischer Stamm auf -ing keine weitere Derivation durch Suffigierung erfahren, z. B. dt. *erfahr+ung+lich / dän. *erfar+ ing+lig. Genau wie bei den Basen auf -schaft handelt es sich bei Basen auf -ung aber um komplexe abstrakte Nomina, so dass die weitere Derivation mit -lich aufgrund übereinstimmender Eigenschaften der Basis erwartbar wäre. Genau in Fällen wie diesen, wenn also keine weitere Derivation an einer bereits suffigierten Basis möglich ist, obwohl Suffixe existieren, die weitere Derivation erwartbar machen, handelt es sich um schließende Suffixe. Die von Aronoff/Fuhrhop (2002) untersuchte Parallele, die für die Untersuchung von Fugenelementen interessant ist, offenbart sich in der Tatsache, dass die schließenden Suffixe durch das Fugen-s- wieder geöffnet und erst dadurch für die Komposition zugänglich gemacht werden können, vgl. dt. Erfahr+ung-s-schatz.14 Das Fugenelement wird von den Autoren als funktionalisiert angesehen, indem es einen Stamm trotz schließenden Suffixes als Kompositionsstammform mit Fugenelement für weitere Wortbildungsprozesse zugänglich macht. Für das Deutsche wurde von Aronoff/ Fuhrhop die folgende Reihe von nativen nominalen Suffixen als schließend und durch -s- zu öffnen identifiziert15 (aufgeführt in Tabelle 14

15

Vgl. für das Niederländische, für das eine ähnliche Funktion der Fugenelemente festgestellt werden konnte, Krott 2001: 201-215. Beziehungsweise im Falle von -schaft nicht als schließend, aber als Suffix, das obligatorisch Fugen-s- zur Bildung der Kompositionsstammform verlangt. Daneben gibt es Ausnahmen, z. B. bei -heit, das mehrere Basen aufweist, die nicht geschlossen erscheinen, vgl. mehr+heit-lich. Das Suffix wird trotzdem zu den schließenden gezählt, denn es gibt “seven words ending in -heitlich but compared to a few hundred heit-words [sic!] the seven words seem to be negligible” (Aronoff/Fuhrhop 2002: 460).

Sebastian Kürschner 115

schließende Suffixe

(1), Spalte 1), die im Dänischen in ähnlicher Form vorzufinden sind (Spalte 4): Suffix

mit erwartbarem Suffix in z. B.

-heit

*sicher+heit+lich

-keit16 -ling -ung -schaft

geöffnet in z. B.

Sicher+heit-sgespräche *einig+keit+lich Einig+keit-s-bereitschaft *Lieb+ling+in Lieb+ling-s-speise *versicher+ung+lich Versicher+ung-sbetrug gewerk+schaft-lich Gewerk+schaft-sbund

dän. formal ähnl. Suffix -hed

-ling -ing -skab

Tabelle 1. Schließende Suffixe im Deutschen sowie -schaft, die zur Kompositionsstammformbildung das Fugenelement -s- verlangen

Daneben tritt die gleiche Funktion nach Aronoff/Fuhrhop im Deutschen auch für -Ø- nach Schwa-Suffix (im Gegensatz zum unmarkierten Auftreten von -n- bei Schwa-Auslaut, vgl. Kap. 2) sowie für -nen- nach nach dem Movierungssuffix -in auf. Die Tatsache, dass die formale Ähnlichkeit der deutschen und dänischen Suffixe auf dem gemeinsamen historischen Ursprung sowie der Entlehnung von Suffixen aus dem Mittelniederdeutschen beruht, ließe auch eine ähnliche Schließungsfunktion der Suffixe im Dänischen wie im Deutschen vermuten. Ob dies der Fall ist, wurde in einer Stichprobe in Politikens nudansk ordbog med etymologi (CD-ROMAusgabe 1999) untersucht. Die genannten dänischen Suffixe mit regelmäßiger -s-Fuge sowie zusätzlich -else, das auch regelmäßige -sVerfugung zeigt, wurden dazu je mit den drei produktiven desubstantivischen Suffixen -(e)lig, -som und -ere – hier also das Set an erwartbaren Suffixen an suffigierter Basis – versehen.17 Anschließend 16 17

Im Gegensatz zu Aronoff/Fuhrhop (2002:462) unterscheide ich für diese Zwecke nicht zwischen zwei Suffixen -keit und -igkeit. Als Suchbefehl wurde zum Beispiel „*hedere“ eingegeben, um Basen zu

116 TijdSchrift voor Skandinavistiek wurde im Wörterbuch nach Basen für diese Suffixkomplexe gesucht. Das Resultat konnte sich nun so darstellen, dass Suffixe Stämme für weitere Derivation schließen, wenn keine Basen gefunden werden können, dass sie sie jedoch nicht schließen, wenn Basen gefunden werden können.18 Für -skab konnten dabei sieben Basen der Form -skab+elig gefunden werden (z. B. herskabelig). Alle anderen Suffixe lassen an keiner Basis weitere Ableitung mit einem der drei Suffixe zu und müssen daher als schließend gelten. -skab kann zwar nicht als schließendes Suffix klassifiziert werden, die sehr geringe Frequenz von Formen mit diesem Suffix, die weitere Derivation zeigen, lässt aber auf die Möglichkeit schließen, dass das Suffix schließend wirken kann. Das Resultat der Stichprobe fällt somit noch überzeugender als im Deutschen – das für -heit noch sieben mit -lich suffigierbare Basen finden und für -schaft keine schließende Wirkung identifizieren lässt (vgl. Aronoff/Fuhrhop 2002: 459) – für die schließende Wirkung der Suffixe aus. Fazit: Das Fugen-s- entfaltet an schließenden Suffixen im Deutschen wie im Dänischen öffnende Wirkung. Die Kompositionsstammform wird mit dem Fugenelement für weitere Wortbildung geöffnet. 4. Semantische Klasse-n-bildung Einen Fall von Funktionalisierung von Fugenelementen könnte auch die Tatsache darstellen, dass die Distribution des FugenSchwa im Dänischen auf semantischen Kriterien beruht: Lexeme mit dem semantischen Merkmal [+belebt] bilden ihre Kompositi-

18

Derivaten mit -hed und folgendem -ere aufzudecken. Das Zeichen „*“ dient im Suchprogramm zur Trunkierung. Wie beschrieben handelt es sich um eine Stichprobe auf der Grundlage dreier desubstantivischer Suffixe. Eine genauere Analyse zur komplexen Basis von Suffixen im Dänischen stellt eine wünschenswerte Forschungsaufgabe dar.

Sebastian Kürschner 117 onsstammform in den meisten Fällen mit dem Fugen-e-, das lautlich als Schwalaut realisiert wird, vgl. prins-e-fødslen, svend-e-prøve, barne-sæde, fisk-e-suppe, svin-e-bov, and-e-rumpe, svamp-e-skader, hyld-e-blomst und viele andere. Zu der Tendenz gibt es einige regelmäßige Ausnahmen, z. B. entziehen sich Fremdwörter und Entlehnungen – wie generell, wenn sie nicht zu einem hohen Grad ins Dänische integriert sind19 – der lautlichen Verfugung (vgl. sponsor-Ø-tilbud), außerdem gelten die grundsätzlich höher stehenden fonologischen Auslautregularitäten, die das Auftreten der Nullfuge hervorrufen (vgl. Kap. 2). Die Verfugung mit Schwa aufgrund des semantischen Kriteriums ist aber so stark, dass selbst solche Lexeme, die mit dem Suffix -ing deriviert sind und dadurch die Kompositionsstammformbildung mit -s- erwarten lassen (vgl. Kap. 2), mit der -e-Fuge in die Kompositionsstammform eingehen, z. B. flygtning-e-lejren, kæltring-e-streg, udlænding-e-loven. Die semantisch motivierte Distribution stellt sich als transparent dar, da es sich um das einzige produktive Distributionskriterium für die dänische -e-Fuge handelt. Inwiefern lässt sich nun die semantische Distribution als Funktionalisierung der -e-Fuge erklären? Semantische Kriterien werden in der Literatur zu Fugenelementen kaum vorgebracht, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass sich im Deutschen – zu dem der größte Teil der theoretischen Literatur zu Fugenelementen erschienen ist – auf den ersten Blick keine semantischen Kriterien finden lassen, die die Distribution von Fugenelementen steuern. Die im Dänischen ersichtliche semantische Klassenbildung lässt sich jedoch insofern funktional interpretieren, als den Sprachbenutzern besonders nahe liegende, nämlich semantisch als [+belebt] klassifizierte Lexeme, markiert werden, um eine hervorstechende semantische Klasse erkennbar zu machen. Zumindest zeigt sich auch in der dä19

Zum Beispiel werden die mittelniederdeutschen Entlehnungen, die einen großen Teil des dänischen Wortschatzes ausmachen, nicht mehr als Fremdwörter empfunden, ebenso wenig wie stark integrierte Entlehnungen aus dem Englischen, etwa sport.

118 TijdSchrift voor Skandinavistiek nischen Pluralbildung, die viele Lexeme mit dem Belebtheitsmerkmal mit -e-Plural aufweist, sowie auch in der deutschen Flexionsklassenbildung, die eine semantische Steuerung bei Maskulina mit dem Merkmal [+belebt] zur schwachen Flexion zeigt (vgl. Kunde, Affe, Student, Dozent, Astronaut), dass diese Klasse kognitiv so stark von anderen semantischen Klassenbildungen getrennt wird, dass sich die Semantik im morphologischen System niederschlägt. Das semantische Kriterium wird hingegen bei Betrachtung der Fugenelemente im Deutschen überdeckt, denn die zur besprochenen Pluralklasse formal parallelen Fugenelemente -n- und -en- lassen eine Steuerung erkennen, die zunächst vom Distributionskriterium „Flexionsklasse schwach“ herrührt. Grenzt man nun die Fugenelemente stärker ein, indem man genau festmacht, in welchen Fällen -n- und -en- als Allomorphe genau eines Fugenelements -(e)ngelten können, so muss als zusätzliches Distributionskriterium “Genus Maskulinum” definiert werden.20 Betrachtet man nun die Lexemmenge der schwachen Maskulina, so zeigt sich, dass fast alle Lexeme als [+belebt] zu klassifizieren sind, während die meisten Lexeme mit dem Merkmal [-belebt] die Klasse zur starken Flexion hin verlassen haben (vgl. Haufen, Tropfen, Magen). Zusätzlich finden sich Lexeme mit dem Merkmal [-belebt], die sich noch im Wechselstadium von der schwachen zur starken Flexion befinden. Hier scheint sich eine Vermeidung der -n-Fuge im Fugenverhalten zu ergeben. Als Ausweichfuge wird die -ns-Fuge gewählt. Dies ist deutlich bei Komposita ersichtlich, deren Erstglied eine Kompositions20

Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Distribution der Fugenelemente der kontrastierten Sprachen, der die Divergenzen auf Systemebene aufzeigt: Während im Deutschen Genus und Flexionsklasse eine starke, überordnend strukturierende Rolle spielen, sind es im Dänischen semantische und, stärker als im Deutschen, fonologische Kriterien. Flexionsklasse und Genus sind im Dänischen hingegen für Fugenelemente nie primär steuernd. Übereinstimmung zeigen die Sprachen in der Distribution aufgrund morphologischer Komplexität (vgl. die kontrastive Analyse in Kürschner 2003: 105-131).

Sebastian Kürschner 119 stammform mit Name bildet. Die -n-Fuge (vgl. Name-n-forschung) wird mehr und mehr gemieden, Name-ns- entwickelt sich zur produktiven Kompositionsstammform (vgl. Name-ns-vetter).21 Damit zeigt sich, dass auch im Deutschen semantische Kriterien Wirkung zeigen, indem die -(e)n-Fuge vom Flexionsklassenkriterium “schwache Maskulina” und damit implizit vom Merkmal [+belebt] gesteuert wird, das fast alle Mitglieder der Flexionsklasse tragen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass für -en- und -n- jeweils auch andere produktive Distributionskriterien bestehen (z. B. gehen Lexeme der schwachen Flexion, die nicht auf Schwa enden, unabhängig vom Genus regelmäßig mit -en- in die Kompositionsstammform ein), die sich nicht auf semantische Klassenbildung zurückführen lassen. Im Gegensatz zum Dänischen lässt sich daher im Deutschen nicht transparent vom produktiven Auftreten einer -en- oder -n-Fuge auf Vorliegen des Belebtheitsmerkmals schließen. Die -e-Fuge wird also im Dänischen funktional genutzt, um eine besonders saliente semantisch motivierte Klasse von Lexemen zu markieren. Im Deutschen wird die Kennzeichnung einer semantischen Klassenbildung aufgrund des gleichen, also des Belebtheitsmerkmals, von der flexionsklassenbasierten Distribution der (e)n-Fuge zunächst überdeckt, bei Betrachtung der zugrunde liegenden Klasse zeigt sich jedoch deren semantische Motivation. Diese schlägt sich im Fugensystem nieder, wie sich im Fugenverhalten von Flexionsklassenwechslern mit dem Merkmal [-belebt] zeigt.22 Fazit: Saliente semantisch motivierte Klassen werden – im Däni21

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Vergleiche zur -ns-Fuge als Ausweichfuge und statistischen Auswertungen dazu Nübling (2004). Ich danke bei dieser Gelegenheit Damaris Nübling für wertvolle Hinweise und Kommentare zu einer früheren Version dieses Artikels. Semantische Kriterien zeigen sich im Deutschen zudem sekundär. Zum Beispiel lässt sich bei Lexemen auf -age die Tendenz feststellen, dass Konkreta die Kompositionsstammform mit -n-Fuge bilden (vgl. Garage-n-tor, Etage-nkarussel), während Tätigkeitsbezeichnungen mit Nullfuge ins Kompositum eingehen (vgl. Reportage-ø-magazin, Massage-ø-technik).

120 TijdSchrift voor Skandinavistiek schen im Gegensatz zum Deutschen transparent – durch Fugenelemente signalisiert. Damit sind diese Fugenelemente im Hinblick auf ihre signalisierende Wirkung als funktionalisiert einzustufen. 5. Zusammenfassung und Ausblick Für die Darstellung der Funktionen von Fugenelemente wurden hier nur drei Funktionsmomente herausgegriffen. Daneben sind weitere Funktionen von Fugenelementen zu erkennen, die nicht mit der Stärke der hier diskutierten Fälle ins System eingreifen, jedoch deutlich – im Gegensatz zu nie bestätigten Vermutungen, dass Fugenelemente als eufonische Mittel identische Lautumgebungen im Erstgliedauslaut und Zweitgliedanlaut vermeiden helfen (vgl. Naumann 2000: 17) u. ä. – die funktional gesteuerte Setzung von Fugenelementen aufzeigen. Es handelt sich hier um die stilistische Nutzung von Fugenelementen zur Einhaltung von Versmaßen in einer beschränkten Anzahl von Textsorten (vgl. dt. Baum-eskrone statt Baum-ø-krone, dän. hus-e-ly statt hus-Ø-ly), die Kennzeichnung der Wortart (dt./dän. regelmäßige, aber nicht obligatorische Kennzeichnung verbaler Erstglieder durch die -e-Fuge, vgl. dt. Land -e-bahn vs. Land-ø-mann, dän. tal-e-boble vs. tal-s-mand), die semantische Distinktion bei Homonymen (z. B. die klare Trennung von land-Ø- ‘Land (im Gegensatz zur Stadt)’ vs. land-s- ‘Land (im Sinne von Staat)’ im Dänischen, vgl. land-Ø-mand vs. land-s-mand) sowie die Kennzeichnung von Numerus, die sich aber nur in wenigen Minimalpaaren wirklich beweisen lässt, vgl. dt. Volk-s-kunde vs. Völk-erkunde. Die Funktionen, die am tiefsten in das System greifen und große Klassen bilden, wurden oben für das Deutsche und das Dänische kontrastiv dargestellt. Es konnten mehrere Funktionen für Fugenelemente festgestellt werden, die in der Kennzeichnung morphologischer Komplexität (Hinweis auf Auftreten des Grundworts), im

Sebastian Kürschner 121 Öffnen schließender Suffixe und in der Anzeige semantisch als [+belebt] zu klassifizierender Lexeme bestehen. Die drei Funktionen treten in beiden Sprachen auf, unterscheiden sich aber im Ausmaß des regelmäßigen Auftretens: Die -s-Fuge erscheint im Dänischen nach komplexem Erstglied weitaus regelmäßiger, auch die Kennzeichnung der semantischen Klasse [+belebt] fällt im Dänischen transparenter aus. Die Möglichkeit, im Dänischen die Ausnahmen über den Auslaut am Erstglied anhand fonologischer Kriterien – die -s- und -e- verhindern und -Ø- bewirken, vgl. Kap. 2 – zu determinieren, lässt möglicherweise darauf schließen, dass der Funktionalisierungsprozess im Dänischen weiter fortgeschritten ist als im Deutschen. Auch die semantische Markierung zeigt deutliche kontrastive Divergenzen auf, da semantische Distributionskriterien im Deutschen für Fugenelemente nur bei Übereinstimmung mit flexionsklassenspezifischen Kriterien sowie sekundär steuernde Wirkung zeigen, während sie im Dänischen für das -e-Element inzwischen das einzige produktive Distributionskriterium darstellen. Im sprachlichen Kontrast tritt die -s-Fuge besonders auffällig hervor, da sie Form- und Funktionsgleichheit über Sprachgrenzen hinweg aufzeigt: Im Dänischen konnte für -s- eine parallele Funktionalisierung zum Deutschen festgestellt werden. Vergleicht man das Deutsche und Dänische mit anderen germanischen Sprachen, so zeigt sich auch im Schwedischen und Niederländischen, dass es ausgerechnet die -s-Fuge ist, die für die Markierung morphologischer Komplexität genutzt wird. Dass aber mehrere Fugenelemente zur Markierung der gleichen Funktion genutzt werden – wie im Deutschen mit -s-, -Ø- (gemäß der Beobachtung von Aronoff/Fuhrhop 2002 nach SchwaDerivation) und -(n)en- zum Öffnen schließender Suffixe –, hat keine Parallele im Dänischen. Bei der Funktionalisierung der Fugenelemente gibt es hier hingegen eine Tendenz zur Uniformität, d. h. zur 1:1-Korrespondenz zwischen Funktion und Form. Dies konnte bei -s- (Markierung morphologischer Komplexität) und bei -e- (An-

122 TijdSchrift voor Skandinavistiek zeige der semantischen Klasse “Belebtheit”) gezeigt werden, wobei sich regelmäßige Ausnahmen definieren lassen. Die FunktionForm-Relation, die sich im Dänischen also als 1:1-, im Deutschen als 1:x-Relation darstellt, spiegelt sich auch im gesamten Flexionssystem beider Sprachen, das im Dänischen vor allem im nominalen Bereich durch Abbau von Allomorphie in Richtung der Agglutination tendiert, im Deutschen aber stärkere Züge einer flektierenden Sprache bei Erhaltung hochgradiger Allomorphie trägt. Einen Hinweis darauf kann auch die deutlichere Transparenz bei der semantischen Signalisierungsfunktion von dän. -e- liefern, wohingegen dt. -n- und -en- neben der semantisch motivierten Distribution auch weitere produktive Distributionsmuster aufzeigen. Auch in der Form-Funktions-Relation scheint also eine Tendenz zur 1:1Kodierung im Dänischen vorzuliegen, die im Deutschen nicht festzustellen ist. Deutsch und Dänisch ähneln sich zwar bezüglich der Funktionalisierung der Fugenelemente, divergieren aber auch deutlich im Hinblick auf den fortgeschritteneren Grammatikalisierungsstatus des Dänischen, der sich in einer regelmäßigeren Distribution äußert, und auf die Kodierungssystematik bezüglich Uniformität und Transparenz. Für beide Sprachen gilt, dass der Nachweis der außerflexivischen Motivation von Fugenelementen die häufig angestellte Gleichsetzung mit Flexionssuffixen aus funktionaler Perspektive nicht rechtfertigt. Vielmehr befinden sich Fugenelemente im Prozess mehrfacher Funktionalisierungen, während die Pluralmarkierungsfunktion sich nur noch in vereinzelten Minimalpaaren nachweisen lässt. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass im Dänischen und insbesondere im Deutschen weitere Fugenelemente vorliegen, die nicht auf eine der hier besprochenen Arten funktionalisiert sind. Für diese nichtfunktionalen Fugenelemente kann aber größtenteils keine Produktivität mehr konstatiert werden. Infolgedessen treten sie seltener auf als die funktionalisierten Elemente.

Sebastian Kürschner 123 Der Vergleich mit anderen germanischen Sprachen, die produktive Systeme von Fugenelementen besitzen (z. B. die anderen nordgermanischen Sprachen sowie Niederländisch und Afrikaans), könnte für die Untersuchung der Funktion der Fugenelemente zusätzlich aufschlussreich sein, um die hier erzielten Ergebnisse in einen noch breiteren Kontext zu rücken und systematische Nutzung interlingual darstellen zu können. Der hier vorgenommene Vergleich des Deutschen und des Dänischen soll somit als Ausgangspunkt für weitere kontrastive Fugenforschungen dienen.

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