Allgemeine Fachdidaktik

Vorlesung Allgemeine Fachdidaktik Prof. Dr. Thomas Wilhelm Didaktik der Physik, Universität Augsburg Gliederung der Vorlesung 1. Begründung von Ph...
Author: Elsa Waltz
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Vorlesung

Allgemeine Fachdidaktik

Prof. Dr. Thomas Wilhelm Didaktik der Physik, Universität Augsburg

Gliederung der Vorlesung 1. Begründung von Physikunterricht 2. Ziele des Physikunterrichts 2.1. Klassifikation von Lernzielen 2.2. Möglichkeiten der Zielfindung 2.3 Die Bildungsstandards 3. Elementarisierung 3.1. Was heißt „Elementarisieren“? 3.2. Elementarisierung in Beispielen 3.3. Möglichkeiten der Vereinfachungen 3.4. Elementarisieren durch Analogien Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

WS 2011/12

Gliederung der Vorlesung 4. Methoden im Physikunterricht 4.1 Sozialformen 4.2 Neuere methodische Großformen 4.3 Unterrichtskonzepte im Physikunterricht 4.4 Stufen- und Phasenschemata des Unterrichts 5. Medien im Physikunterricht 5.1 Grundlegendes 5.2 Klassische Medien im Physikunterricht 5.3 Computer im Physikunterricht

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

WS 2011/12

Gliederung der Vorlesung 6. Experimente 7. Evaluation 6.1 Begriffsklärung und Grundlagen 6.2 Individualebene (Messung des Lernerfolgs) 6.3 Unterrichtsebene (Bewertung des Unterrichts) 6.4 Systemebene (Bewertung des Bildungssystems) 8. Arten von Inhalten

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

WS 2011/12

Gliederung der Vorlesung 9. Interesse und Physikunterricht

10. Mädchen im Physikunterricht -

Einführung

-

Ursachen für die Unterschiede bei Interesse und Leistung

-

Ansatzpunkte für mädchengerechten Unterricht

-

Projekte zur Förderung der Interessen der Mädchen

-

Fazit

-

Heute Jungenförderung nötig?

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

WS 2011/12

Verweise auf Lehrbücher Lehrbücher Hopf, Schecker, Kircher, Girwidz, Kircher, Girwidz,

Bleichroth, Dahncke,

Mikelskis (Hrsg.):

Willer: Didaktik des

Wiesner:

Häußler:

Häußler:

Jung, Kuhn, Merzyn,

Physik-Didaktik,

Physikdidaktik

Physikdidaktik.

Physikdidaktik. Eine

Weltner:

2006

kompakt

Theorie und

Einführung

Fachdidaktik Physik

Kapitel

Physikunterrichts

Praxis

der Vorlesung Kapitel 1+2, 1 und 2: Ziele des Physikunterrichts

Kapitel 2+3,

S. 13 - 100

S. 16 - 28

1. Auflage:

Kapitel 1.2 + 1.3, S. 37 - 57,

S. 11 - 96

Kapitel 2.2.1,

2. Auflage:

S. 101 - 108

Kapitel 1.,

Kapitel 4,

S. 11 - 51

S. 79 - 102

S. 11 - 106 Kapitel 3, 3: Elementarisierung

Kapitel 9, S. 72 - 77

S. 101 - 134

1. Auflage:

Kapitel 2.2,

Kapitel 3.1,

S. 109 - 129

S. 86 - 102

S. 97 - 130 2. Auflage:

-

S. 107 - 142

Thomas Wilhelm

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WS 2011/12

Verweise auf Lehrbücher Lehrbücher

Kapitel der Vorlesung

Kircher,

Kircher,

Mikelskis-

Hopf,

Bleichroth,

Mikelskis

Girwidz,

Girwidz,

Seifert (Hrsg.):

Schecker,

Dahncke, Jung,

(Hrsg.):

Häußler:

Häußler:

Physik

Wiesner:

Kuhn,

Physik

Physikdidaktik.

Physikdidaktik.

Methodik

Physikdidaktik

Merzyn, Weltner:

Didaktik

Eine Einführung

Theorie und

kompakt

Fachdidaktik

in Theorie und

Praxis

Physik

Praxis 4: Methoden im

Kapitel 10 Kapitel 5

Kapitel 4

Kapitel 1 - 15

Physikunterricht

S. 78 - 98

5: Medien

Kapitel 6.1 – 6.5

Kapitel 5.1-5.4

identisch

Thomas Wilhelm

12,

-

Kapitel 15, S. 115 - 122

Kapitel 4.1 – 4.3, 4.7, 5

Kapitel 6 + 4.5

Kapitel 7.1

Kapitel 6.2

neu

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1. Begründung von Physikunterricht 

Bildungstheoretische Begründungen 

Die Bildungstheorie entstand zu Beginn des 19.Jhdts in Deutschland (Humboldt, Schleiermacher): Glorifizierung der Antike. Deshalb Griechisch und Latein, aber keine Naturwissenschaften. Formale Bildung (verantwortungsbewusst, handlungsbereit etc.) statt materiale Bildung (Fakten, Gesetzmäßigkeiten, Erklärungen).  Später: Einheit von formaler und materialer Bildung, Menschenbildung auch durch die naturwissenschaftliche Methode. Physikunterricht trägt zum mündigen Bürger bei. 

Pragmatische Begründungen 

Pragmatische Schultheorie in Amerika (Dewey) als Gegenentwurf zu obigen Humanismus. Hintergrund: Pragmatismus (zweckorientiert, fortschrittsgläubig). Naturwissenschaften haben wirtschaftliche und soziale Folgen für Individuum und Gesellschaft.  Deshalb in USA ab Beginn 20. Jhdt. Aufschwung des naturwissenschaftlichen Unterrichts. In Deutschland erst in 60er Jahren. Thomas Wilhelm

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1. Begründung von Physikunterricht 

Die physikalische Dimension des Physikunterrichts 

Physikalische Theorien sind Kulturgüter. Physik hat einen Einfluss auf das Weltbild der Zeit.  Physik hat allgemeinbildenden Aspekt. 

Die gesellschaftliche Dimension des Physikunterrichts 

Wir sind eine technische Gesellschaft.  Naturwissenschaftlicher Unterricht ist nötig, um anstehende Probleme zu lösen und die technische Welt zu verstehen. 

Die pädagogische Dimension des Physikunterrichts 

Der Umgang mit den Dingen der Realität und der soziale Umgang sind Voraussetzung für allgemeinbildende Ziele (individuelle und soziale Kompetenz).

Thomas Wilhelm

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2. Ziele des Physikunterrichts 

Gliederung: 2.1 Klassifikation von Lernzielen 2.2 Möglichkeiten der Zielfindung 2.3 Die Bildungsstandards

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

0. Sinn von Zielen 

Anhaltspunkte für Kommunikation über den Unterricht.  Sie strukturieren den Unterricht.  Sie tragen zu objektiven Beurteilungen bei. 

1. Klassifikation nach der Allgemeinheit der Ziele: Zielebenen 

Leitziele: Allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele  Richtziele: Allgemeine fachspezifische Ziele  Grobziele: Konkrete Lernergebnisse einer Unterrichtsstunde oder -einheit  Feinziele: Feinziele unterteilen Grobziele in spezifische Einzelziele einer Unterrichtsstunde Thomas Wilhelm

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

Bemerkungen: 



Man kann nicht von einem allgemeinen Ziel die speziellen Ziele ableiten.

Illustration der Zielebenen:    

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Leitziel: Motto über den Eingang des Schulhauses Richtziel: Motto über der Tür zum Physikraum oder Physiktrakt Grobziel: Stundenthema als Überschrift an der Tafel Feinziele: Als Merksätze oder Aufgaben in Heft oder Klassenarbeit

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

Nebenbemerkung: Psychologische Klassifikation der Ziele: 

Kognitive Ziele: Denk-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisbereich  Affektive Ziele: Bereich der Interessen, Einstellungen und Gefühle  Psychomotorische Ziele: Bereich der Tätigkeiten 

2. Fachdidaktische Klassifikation der Ziele: Zielklassen 

Konzeptziele: konkretes Wissens (Wissen von Einzelheiten/Fakten, Wissen über Begriffe/Theorien, Verstehen von Zusammenhängen, höhere kognitive Fähigkeiten, Bewerten)  Prozessziele: Physikalische und technische Fähigkeiten und Fertigkeiten (5 Aspekte zu physikalischen Methoden)  Soziale Ziele: Wünschenswertes, sinnvolles und nützliches Verhalten in der Gesellschaft  Ziele über Einstellungen und Werte: Änderung von Einstellungen und Werthaltungen Thomas Wilhelm

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

3. Klassifikation nach der Komplexität der Ziele: Zielstufen (= Anforderungsstufen) Lernzieltaxonomie nach H. Roth

Lernzieltaxonomie von Bloom für den kognitiven Bereich

Reproduktion: Reine Wiedergabe von Sachverhalten in der behandelten Weise

Wissen: Reine Wiedergabe von Sachverhalten in der ursprünglichen Form

Reorganisation: Zusammenhängende Darstellung von bekannten Sachverhalten mit eigenen Worten

Verstehen: Fähigkeit, mitgeteilte Informationen umzuformen, zu interpretieren und zu verallgemeinern Anwenden: Fähigkeit, allgemeine Regeln und Methoden in speziellen Situationen zu nutzen

Transfer: Übertragung eines Sachverhaltes auf einen (struktur-) ähnlichen Sachverhalt

Analyse: Fähigkeit, Situationen in Elemente zu zerlegen und Abhängigkeiten aufzuzeigen

Problemlösen: Anwendung von Bekanntem auf ein neuartiges Problem

Thomas Wilhelm

Synthese: Fähigkeit, einzelne Elemente durch Kombination zu etwas Neuem zu verbinden Bewertung: Fähigkeit, Urteile zu fällen (z.B. Widerspruchsfreiheit)

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

4. Bemerkungen: 

Lernziele können also unterschiedlich gegliedert werden: nach Inhaltsbereich, nach den Anforderungen (= Zielstufen), nach Umfang oder Abgrenzbarkeit (= Zielebenen) oder nach der Überprüfbarkeit. Zielebene

Umfang

Abgrenzbarkeit

Überprüfbarkeit

Leitziel

hoch

gering

gering

Richtziel

hoch

gering

gering

gering

hoch

hoch

Grobziel Feinziel

Thomas Wilhelm

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2.1 Klassifikation von Lernzielen 

4. Bemerkungen: 

60er Jahre (realistische Wende in der Pädagogik): Alle Ziele müssen so formuliert sein, dass man überprüfen kann, ob sie erreicht wurden.  Man sagte: Ziele müssen operationalisierbar sein (operationalisierte Ziele).  Vorteil: Leichte Überprüfbarkeit des Unterrichtserfolgs 

Aber: Nicht alle Lernziele sind operationalisierbar (komplexe Fähigkeiten, Bildung, also größere allgemeine Ziele).  Unterricht darf nicht nur an operationalisierbaren Zielen ausgerichtet sein.

Thomas Wilhelm

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2.2 Möglichkeiten der Zielfindung 

1. Verschiedenes Vorgehen zur Zielfindung 

Ein Lernziel ist nicht „richtig“ oder „falsch“!  Ziele sind Setzungen. 

Ziele werden gesammelt (Brainstorming), gewichtet und aussortiert. Häufig nicht systematisch, sondern intuitiv (z.B. Lehrpläne).  Besser: Systematisch suchen und sammeln. Durch eine Befragung von vielen Experten alle Ziele zu sammeln, ist in der Regel nicht möglich, höchstens bei kleinen Gebieten.  Hilfen zum Sammeln sind: die didaktische Analyse von Klafki oder fachspezifische Fragenkataloge.

Thomas Wilhelm

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2.2 Möglichkeiten der Zielfindung 

2. Die didaktische Analyse von Klafki: vier Zieldimensionen



Für die Konzeption von Unterrichtseinheiten (aber auch Lehrplänen) ist dies ein mögliches Planungsinstrument.  Nach Klafki kann man vier Dimensionen unterscheiden, um ein Thema didaktisch auszuloten:   



Thomas Wilhelm

1. Der allgemeine Sinn oder der Gehalt eines Themas 2. Die Gegenwartsbedeutung aus Sicht der Schüler 3. Die Zukunftsbedeutung eines Themas für den Schüler für sein Leben (pragmatische Sicht) 4. Die Innere Struktur des Themas (in Bezug zur Struktur der inneren Schulphysik) Allgemeine Physikdidaktik

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2.2 Möglichkeiten der Zielfindung 

3. Fragekataloge für die Inhaltsauswahl 

Für eine gute Unterrichtsvorbereitung ist eine sorgfältige Analyse der Zielvorstellungen nötig.



Für die Planung von Unterrichtseinheiten sind fachspezifische Fragenkataloge hilfreich.



Es gibt verschiedene Fragekataloge.



Im Folgenden zwei Beispiele.

Thomas Wilhelm

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2.2.3 Fragenkataloge 2.2.3.1 Ein Fragenkatalog von Kircher entsprechend den vier Zieldimensionen von Klafki (siehe 3.2.2): 1. Zu allgemeiner Sinn oder Gehalt des Themas (über das spezielle Thema hinaus): Ist der Inhalt geeignet, exemplarisch  das idealistische Motiv der Naturwissenschaft „Wahrheitssuche“ zu illustrieren?   



das pragmatische Motiv der Naturwissenschaften „Beherrschung der Natur” zu illustrieren?  



Erkenntnis- / wissenschaftstheoretische Aspekte der naturwissenschaftlichen Wahrheitssuche thematisieren Grenzen des physikalischen Weltbildes aufzeigen Historische Beispiele der nutzenfreien Forschung kennen (z.B. Einstein)

Positive Auswirkungen der Naturwissenschaften / der Technik in der Lebenswelt (Arbeitswelt, Freizeit, Haushalt und öffentliche Dienste) selbstständig erarbeiten Negative Auswirkungen (der Naturwissenschaften) / der Physik / der Technik für den lokalen und globalen Frieden, für die Arbeitswelt, für die Freizeit, für die lokale / regionale / globale Umwelt durch Projektarbeit analysieren und problematisieren

das wertorientierte Motiv „Erhaltung der Lebensgrundlagen für das Biosystem” als Grundeinstellung zu internalisieren?    

Die Komplexität und Sensitivität des Biosystems verstehen, einschließlich dessen Grundlagen Erde, Wasser, Luft. Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen kennen, unterstützen, in die Wege leiten. Die Notwendigkeit der nachhaltigen, zukunftsfähigen Nutzung, sowie Recycling von Wertstoffen einsehen und Konsequenzen für den eigenen Lebensstil ziehen. Probleme des anthropozentrischen Weltbildes diskutieren

Thomas Wilhelm

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2.2.3 Fragenkataloge 2. Zu (Gegenwarts-) Bedeutung aus der Sicht des Lernenden: Ist der Inhalt geeignet,  das Weltbild/ den Lebensstil der Kinder und Jugendlichen zu berühren, zu beeinflussen, zu ändern, zu festigen?     

Selbstbewusstsein entwickeln im Umgang mit technischen Geräten Freude am spielerischen Lernen und Entdecken Selbstorganisiertes, kreatives Lernen ermöglichen Sorgfalt im Umgang mit den Lebensgrundlagen thematisieren Rücksichtnahme in der technischen Gesellschaft (Verhalten im Straßenverkehr) fördern

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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2.2.3 Fragenkataloge 3. Zu Zukunftsbedeutung für Schüler: Ist der Inhalt geeignet,  Kindern und Jugendlichen wichtige Kulturtechniken zur gegenwärtigen und vielleicht künftigen Lebensbewältigung einzuüben? 

    



Relevante Geräte der Lebenswelt beherrschen (Handlungsfähigkeit mit technischen Geräten zur eigenen Sicherheit aneignen (Fahrrad, Moped, Elektrogeräte)) Arbeitstechniken und Darstellungsweisen einüben Selbständig Informationen über physikalisch/ technische Geräte der Lebenswelt beschaffen und adäquat umsetzen Informationen darstellen und interpretieren Im Team (in der Gruppe) arbeiten Informationen kommunikativ darstellen (Standpunkte individuelle / im Team erarbeiten und in Diskussionen vertreten).

Kindern und Jugendlichen wichtige Informationen vermitteln zur physischen und psychischen Gesunderhaltung?   

Über Suchtgefahren Bescheid wissen (z. B. Geschwindigkeitsrausch im Straßenverkehr) Gefahren und Gefährdungen in der technischen Gesellschaft kennen (Radioaktivität, Lärm, Laserstrahlen). Vorbeugende Maßnahmen gegen Gefahren in der technischen Gesellschaft kennen, gegen Ursachen eintreten, sich engagieren.

Thomas Wilhelm

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2.2.3 Fragenkataloge 4. Zu Innere Struktur des Themas (fachliche Sicht): Ist der Inhalt geeignet, exemplarisch Strukturen der Physik zu vermitteln? 

Grundlegende Begriffe und Gesetze der Physik erarbeiten 

Teilchenmodell, Energieerhaltungssatz



Notwendige Zusammenhänge zwischen Begriffen und Theorien herstellen



Die natürliche und technische Umwelt begreifen 

Phänomene: Regenbogen, Gewitter, Sonnenfinsternis; Elektromotor, Steuerungen und Regelungen



Grundlegende Methoden der Physik kennen lernen, verstehen, anwenden



Grenzen der Anwendung physikalischer Methoden diskutieren

Thomas Wilhelm

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2.2.3 Fragenkataloge 2.2.3.2 Der Fragenkatalog von Häußler & Lauterbach von 1976 (16 Fragen): Beispiele

Ist der Inhalt geeignet, 1

Grundlegende Begriffe und Gesetze aus der Naturwissenschaft zu -Erhaltungssätze -Energie erarbeiten?

-Atomistische Struktur der Materie

2

für Naturwissenschaft und Technik wesentliche Denkweisen, -Modellbildung Methoden, Darstellungsformen, Arbeitstechniken und Verfahren zu -Quantifizierung, Mathematisierung -Experiment erklären?

3

Die Grenzen, Vorläufigkeit und Einseitigkeit naturwissenschaft- -Zusammenbruch des mechanistischen Weltbildes -Modelle als hypothetische Skizzen licher Aussagen aufzuweisen? -Aspektcharakter der Physik

-Kybnernetische Grundbegriffe (Information, Steuerung, Rückkopplung) -Physikalische Grundgrößen -Atommodell (→ Chemie)

4

Die Erschließung anderer inhaltlicher Bereiche zu erleichtern

5

Aufzuweisen, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse technisch -Elektromagnetismus und elektrische Antriebe verwertbar sind und dass technologischer Fortschritt die Natur- -Laborexperiment und technische Großanlage -Festkörperphysik und Transistortechnologie wissenschaft vor neue Erkenntnisprobleme stellen kann?

6

Die wechselseitige Verflechtung von Naturwissenschaft, Technik, -Technologischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum -Kernphysik und Kernkraftwerk Wirtschaft und sozialer Lebenswelt aufzuweisen? -Automation und Arbeitsplatz

7

Die historische Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik und -Historische Entwicklung der Atomvorstellung die jeweiligen Faktoren, die zu dieser Entwicklung geführt haben, -Industrialisierung -Verfeinerung der von Menschen geschaffenen Werkzeuge aufzuzeigen?

Thomas Wilhelm

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2.2.3 Fragenkataloge 8

Durch Naturwissenschaft und Technik ermöglichte Fehlentwicklun- -Rohstoff- u. Energieverknappung -Ökologie-Krise gen aufzuweisen, d. h., ist er ein kontroverses Thema unserer Zeit? -Kriegstechnologie

9

Zu demonstrieren, wie Naturwissenschaft und Technik unsere -Veränderung der Landschaft durch technische Großbauten Umwelt verändert haben und wie man zur verantwortungsbewussten -Energieversorgung und Umweltbelastung -Elektrische Geräte im Haushalt Mitgestaltung beitragen kann?

10 Zu demonstrieren, wie heute naturwissenschaftliche Forschung und -Festlegung und Förderung von Forschungsschwerpunkten technische Entwicklung vollzogen oder beeinflusst werden können? -Spezialisierung, Teamarbeit und internationale Kooperation -Standortbestimmung von technischen Großanlagen

11 Dem Schüler Kenntnisse und Verhaltensgewohnheiten zur physi- -Verkehrssicherheit -Gefahren des elektrischen Stromes schen und psychischen Gesunderhaltung zu vermitteln?

-Verhaltensweisen im Umgang mit anderen

12 Dem Schüler Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten zur unmittel- -Manuelle Geschicklichkeit -Lesen von Graphiken, Diagrammen und Tabellen, Interpretation von Texten baren Lebensbewältigung zu vermitteln? -Kenntnis von Normen und Vereinbarungen

13 Die natürliche und technische Umwelt begreifen zu helfen?

-Erklärung von Phänomenen wie Gewitter, Niederschläge, Ebbe und Flut -Funktionsweise technischer Geräte (Haushalt, Kernkraftwerk) -Alarm- und Kontrolleinrichtungen

14 Neigungen, Interessen und Probleme der Schüler gemäß ihrer -Naturwissenschaft und Hobby -Berufswahl Lernerfahrungen zu berücksichtigen? -Technisches Spielzeug

15 Selbstorganisiertes Lernen, kreatives Denken und selbständiges wie -Wir drehen einen Film über Umweltschutz -Projekt: Wohnen kooperatives Handeln anzuregen und zu ermöglichen? -Wir bauen einen Computer

-Elektronik -Elektrische Maschinen -Elektrischer 2 Stromkreis Einführung Allgemeine Fachdidaktik Physikdidaktik

16 Selbständiges Experimentieren der Schüler zu ermöglichen? Thomas Wilhelm

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2.3 Bildungsstandards     



TIMSS und PISA veranlassten hektische Reaktionen der Bildungspolitik. Kultusministerkonferenz ließ Bildungsstandards einführen. Sie gelten für den „Mittleren Schulabschluss“ nach Jahrgangsstufe 10. Länder haben sich verpflichtet, sie in der Lehrplanarbeit umzusetzen (in Physik deutschlandweit seit 2005 gültig). Die länderspezifischen Regelungen sind für die Lehrer die verbindlichen Vorgaben (hier große Spielräume). Bildungsstandards ersetzen keinen Lehrplan, die Länder dürfen immer noch Lehrpläne aufstellen.

Thomas Wilhelm

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2.3 Bildungsstandards 

Bildungsstandards geben keine konkreten Lerninhalte mehr an, sondern Kompetenzen.



Kompetenzen sind Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften als Ergebnis langfristiger Lernprozesse.



Ziele von Bildungsstandards:





Kompetenzen sind an unterschiedlichen Inhalten zu erlernen.



Wechsel von einer Input-Orientierung hinzu einer Outcome-Orientierung



Verschiebung von materialer Bildung zu einer formalen Bildung (Klafki)

Erste bundesweite Querschnittserhebung 2008 zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Schulsystems, dann alle drei Jahre.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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2.3 Bildungsstandards 

Bildungsstandards in der Physik: 

beschreiben den Beitrag der Physik zur Allgemeinbildung,



geben Kompetenzbereiche an,



legen Standards fest,



führen verschiedene Anforderungsbereiche ein,



geben Beispiele für Kompetenzen an (Deutschland: Regelkompetenzen, Schweiz: Mindestkompetenzen),



haben somit direkt Auswirkungen auf Lehrpläne und indirekt auf den Unterricht.

Allgemeine Physikdidaktik

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2.3 Bildungsstandards 

Vier Kompetenzbereiche: Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation, Bewertung



Drei Anforderungsbereiche: „wiedergeben“, „anwenden“, „transferieren“ bzw. „verknüpfen“



Vier Basiskonzepte (= themenübergreifende Leitideen): (1) Materie, (2) Wechselwirkung, (3) Systeme, (4) Energie



Das ergibt ein dreidimensionales Koordinatensystem mit 48 Feldern.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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2.3 Bildungsstandards

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

WS 2011/12

2.3 Bildungsstandards

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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Die Kompetenzmatrix Anforderungsbereich I Wiedergabe

II Anwendung

III Transfer

Fachwissen

Wissen wiedergeben Wissen anwenden Wissen transferieren und verknüpfen Fakten und einfache physikalische Physikalisches Wissen in einfachen Kontex- Wissen auf teilweise unbekannte Kontexte ten anwenden, einfache Sachverhalte iden- anwenden, geeignete Sachverhalte auswählen. Sachverhalte reproduzieren. tifizieren und nutzen, Analogien benennen.

Erkenntnisgewinnung Kommunikation

Kompetenzbereich

Fachmethoden beschreiben Physikalische Arbeitsweisen, insb. Experimentelle, nachvollziehen bzw. beschreiben.

Fachmethoden nutzen Fachmethoden problembezogen auswählen Strategien zur Lösung von Aufgaben nutzen, und anwenden einfache Experimente planen und durchUnterschiedliche Fachmethoden, auch einführen, Wissen nach Anleitung erschließen. faches Experimentieren und Mathematisieren, kombiniert und zielgerichtet auswählen und einsetzen, Wissen selbstständig erwerben. Mit vorgegebenen DarstellungsGeeignete Darstellungsformen nutzen Darstellungsformen selbstständig auswählen formen arbeiten Sachverhalte fachsprachlich und strukturiert und nutzen Einfache Sachverhalte in Wort und darstellen, auf Beiträge anderer sachgerecht Darstellungsformen sach- und Schrift oder einer anderen vorgege- eingehen, Aussagen sachlich begründen. adressatengerecht auswählen, anwenden und benen Form unter Anleitung darreflektieren, auf angemessenem Niveau stellen, sachbezogene Fragen stellen begrenzte Themen diskutieren.

Bewertung

Vorgegebene Bewertungen nachvollziehen Auswirkungen physikalischer Erkenntnisse benennen, einfache, auch technische Kontexte aus physikalischer Sicht erläutern.

Thomas Wilhelm

Vorgegebene Bewertungen beurteilen und kommentieren Den Aspektcharakter physikalischer Betrachtungen aufzeigen, zwischen physikalischen und anderen Komponenten einer Bewertung unterscheiden. Allgemeine Physikdidaktik

Eigene Bewertungen vornehmen Die Bedeutung physikalischer Kenntnisse beurteilen, physikalische Erkenntnisse als Basis für die Bewertung eines Sachverhalts nutzen, Phänomene in einen physikalischen Kontext einordnen. WS 2011/12

2.3 Bildungsstandards   

 

Das Kompetenzmodell ist ein normatives Raster zur geordneten Beschreibung von Bildungserwartungen. Betonung von anderen Kompetenzen neben Fachwissen. Gefahr des Eindrucks, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung ist gleichwertig zu Fachwissen. Fachwissen ist aber die Grundlage! Die Unterrichtszeit nahm ja nicht zu und die reicht nicht aus, um alle diese Ziele zu erreichen. Die Basiskonzepte laufen quer zu den bisherigen Themenbereichen. Man muss sie als Leitideen ansehen, d.h. als physikalische Brillen. Man kann beim gleichen Sachverhalt verschiedene Brillen aufsetzen.

Thomas Wilhelm

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2.3 Bildungsstandards 

Kritik:     

 

Schnell (ca. 1 Jahr) von anonymer Gruppe ausgearbeitet. Ohne Diskussion sofort verbindlich erklärt. Regelstandards (für fiktiven Durchschnittsschüler) statt Mindeststandards. So weniger verbindlich. Nur für die Jahrgangsstufe 10. Die Kompetenzerwartungen sind unrealistisch hoch (TIMSS und PISA zeigte, dass sehr wenig Schüler eigenständig argumentieren können und begriffliches Verständnis haben). So wird es demotivierend. Die Basiskonzepte sind willkürlich gewählt ohne Begründung. Lehrern fällt Interpretation der Basiskonzepte schwer, da es keine Themenbereiche sind (Themenbereiche werden dadurch nicht entbehrlich).

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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2.3 Bildungsstandards 

Folgen für den Physikunterricht:       

mehr physikalisches Argumentieren, weniger formales Rechnen, deutliche Anwendungsbezüge auf Phänomene aus Alltag und Technik, keine einseitige Ausrichtung auf Fachwissen, breitere Abdeckung der Kompetenzbereiche, „neue“ Aufgabenkultur (vorher auch schon erfolglos gefordert), Aufgaben kommen ins Zentrum des Unterrichts (statt nur am Rande als Übungs- oder Testaufgaben), „neue Experimentierkultur“ bei Schülerexperimenten (z.B. Einbeziehung der Planung des Experimentes), mehr Kooperation in den Fachkonferenzen an den Schulen.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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2.3 Bildungsstandards 

Insgesamt: Eine Schwerpunktverschiebung Früher:

Jetzt:

Kompetenzerwerb (Output) (Leistungssituation)

Unterrichtsgeschehen (Input und Prozess) (Lernsituation)

 

Positiv: Es ist nicht entscheidend, was und wie gelehrt wurde, sondern, was die Schüler am Ende können. Negativ: Gefahr der Vernachlässigung der Lernsituation, z.B. welche Sachstruktur funktioniert besser.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3. Elementarisierung 

Gliederung: 3.1 Was heißt „Elementarisieren“? 3.2 Elementarisierung in Beispielen 3.3 Möglichkeiten der Vereinfachungen 3.4 Elementarisieren durch Analogien

Thomas Wilhelm

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3.1 Was heißt „Elementarisieren“? 

3.1.1 Begriffe Sachstruktur für den Unterricht

Sachstruktur der Physik

didaktische Reduktion (auch: Elementarisierung)

Rekonstruktion

Kleine elementare Sinneinheiten

Elementarisierung (auch: Didaktische Rekonstruktion ) Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.1 Begriffe  

Elementarisieren = Vereinfachen, Wesentliches herausarbeiten, in Bestandteile zerlegen Ziel: kleinere Sinneinheiten



Erklärungsmuster besteht aus Reihe von Erklärungsgliedern.



Das Erklärungsmuster ist eine didaktische Rekonstruktion.



Es gibt verschiedene Elementarisierungen des gleichen Inhalts.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.2 Kriterien der Elementarisierung 

Zunächst ein (sensibilisierendes) Beispiel: “Was ist elektrische Spannung?“          

Spannung ist die Voltzahl auf einer Batterie, Spannung ist das, was man mit dem Voltmeter misst, Spannung ist die Kraft, die Elektronen im Leiter bewegt, Spannung ist die Ursache für Stromfluss, Spannung ist Potentialdifferenz, Spannung ist Elektronen(dichte)unterschied, Spannung ist Arbeit pro Ladung, Spannung ist die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses, Spannung kann man mit dem Wasserdruck vergleichen, Spannung U =  E ds.

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.2 Kriterien der Elementarisierung 

Didaktische Rekonstruktionen sollen sein: fachgerecht, schülergerecht, zielgerecht



1. Fachgerecht = fachlich relevant 

Auch Modelle/Analogien sind zugelassen, die außerhalb ihres Modellbereiches evtl. falsch sind.



Gemeint ist auch: „fachlich erweiterbar“:   

Thomas Wilhelm

Schüler sollen nicht in jeder Jahrgangsstufe umlernen müssen Grundlegende Bedeutungen bleiben erhalten Begriffe werden evtl. später neu interpretiert, aber frühere Aussagen sind nicht falsch.

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.2 Kriterien der Elementarisierung 

2. Schülergerecht: 

Entwicklungspsychologische Aspekte sind zu berücksichtigen.  Vorwissen und Vorverständnis (fachlich Richtiges und Falsches) sind zu berücksichtigen (siehe Präkonzepte in „Spezielle Fachdidaktik“).  Elementarisierungen sollen anregend und attraktiv sein.  Also: psychologisch und soziologisch angemessen! 

3. Zielgerecht 

Da die Schulphysik andere Ziele als die Physik hat, kommt sie auch zu anderen Sachstrukturen und anderen Sinneinheiten.  Ziele entscheiden, was intensiv bzw. oberflächlich bzw. nicht behandelt wird.  Für echtes Verständnis sind z.T. andere Sachstrukturen als die traditionellen nötig (Beispiel: Kinematik/Dynamik, Druck etc.). Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.3 Arten der Elementarisierung 

1. Möglichkeiten in Physik und Physikdidaktik: 

Abstrahieren (von Details)



Idealisieren (z.B. „Massepunkt“, „Lichtstrahl“)



Symbolisieren (mathematische Zeichen, Skizzen)



Theoretische Modelle entwickeln (z.B. Modell Lichtstrahl)



Gegenständliche Modelle als Strukturmodelle bauen (z.B. Gittermodelle von Kristallen, Strukturmodelle von Molekülen)



Gegenständliche Modelle als Funktionsmodelle bauen (z.B. Motormodelle)



Analogien bilden (vertraute Kontexte nutzen)

Thomas Wilhelm

Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.3 Arten der Elementarisierung 

2. Möglichkeiten für das Lehren von Physik: 

Beschränken auf das Phänomen (z.B. magnetische Phänomene zeigen) ,



Beschränken auf das Prinzip (z.B. „Eisenschiffe schwimmen dann, wenn sie nicht mehr wiegen als das Wasser, das sie verdrängen.“),



Beschränken auf das Qualitative (z.B. zwei gleichnamige Magnetpole stoßen sich ab.),



Experimentell veranschaulichen (z.B. Brechung des Lichts in Wasser, brownsche Molekularbewegung),



Bildhaft veranschaulichen (z.B. Wirkung einer Sammellinse),



Zerlegen in mehrere methodische Schritte (z.B. Elektromotor),



Einbeziehen historischer Entwicklungsstufen (z.B. historische Atommodelle, historische Messverfahren und Messanordnungen).

Thomas Wilhelm

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3.1.4 Grundmuster der Elementarisierung  

Gegen Komplexität: schrittweise Rekonstruktion Beispiel von Wagenschein (Luftpumpe): 

Wenn ich die eingesperrte Luft zusammendrücke, dann geht das immer schwerer. 



Je kleiner der Raum der Luft geworden ist, desto größer ihr Druck. 



Diese Je-desto-Fassung genügt nicht. Die Physik will Zahlen sehen.

Messungen ergeben eine Gesetzmäßigkeit: Wenn das Volumen des Gases fünfmal kleiner geworden ist, dann ist der Druck fünfmal größer geworden. 



Gut. Aber das „Ich“ muss heraus. Die Luft ist das Wesentliche.

Allgemein: n-mal.

Mathematische Formulierung: Das Produkt Druck mal Volumen immer konstant, p · v = konstant 

Thomas Wilhelm

Damit ist inhaltlich nichts gewonnen. Wir haben uns nur einen Rechenautomaten geschaffen, der uns die Worte abnimmt. Allgemeine Physikdidaktik

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3.1.4 Grundmuster der Elementarisierung 

Im Beispiel sind vier Fassungen eines physikalischen Gesetzes (= vier Stufen der Elementarisierung): 

Qualitativ  Halbquantitativ  Quantitativ sprachlich  Quantitativ mathematisch 

Diese vier methodischen Schritte bilden das physikdidaktische Grundmuster der Elementarisierung



Nicht immer wird das Grundmuster vollständig und in dieser Reihenfolge angewandt.

Thomas Wilhelm

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3.1.4 Grundmuster der Elementarisierung 

Auch Lerntheorien enthalten methodische Grundsätze.



Lerntheorie von Bruner: Sachverhalte werden dargestellt: 

1. enaktiv = experimentell handelnd  2. ikonisch = bildhaft  3. symbolisch = sprachlich und evtl. mathematisch 

Das ist ein psychologisches Grundmuster der Elementarisierung.

Thomas Wilhelm

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3.2 Elementarisierung in Beispielen 

Wiederholung: Drei Aspekte der Elementarisierung 





1. Aspekt der Vereinfachung 

Anforderungsniveau an Schüler angepasst



Aus Lehrersicht: Vereinfachung des Inhalts / Niveauabsenkung

2. Aspekt der Bestimmung des Elementaren 

Das Elementare ist das Allgemeine, die grundlegende Idee, das Gesetz, das Prinzip, die tragende Wirkungsweise oder Zweckbestimmung.



Die Elementarisierung ist der Vorgang, der die Herausstellung dieser grundlegende Idee oder den Kerngedanken zum Ziel hat.

3. Aspekt der Zerlegung in methodische Elemente 

Thomas Wilhelm

Elemente sind Unterrichtsschritte, die in einer gewissen Abfolge unterrichtet werden. Allgemeine Physikdidaktik

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3.2.1 Elementarisierung als Vereinfachung 

Vereinfachung = auf niedrigeres Niveau bringen



Inhalte können in drei Formen dargestellt werden: 

1. verbalsprachlich  2. bildhaft-symbolisch  3. formal-mathematisch 

Beispiele für diese Darstellungen mit Bewertung der Elementarisierung bzw. mit Vorschlägen für weitere Vereinfachungen: siehe Übung, Aufgabe 7!

Thomas Wilhelm

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3.2.1 Elementarisierung als Vereinfachung    

Elementarisierung: Verminderung der Abstraktheit und Abbau der Komplexität D.h. Rückführung zum Konkreten und Reduzieren der Anzahl der Elemente Eine konstruktive Aufgabe: ausdenken, entwickeln, erfinden (braucht Erfahrung, Phantasie, Kreativität). Vorgehensweisen zur Vereinfachung sind z.B.: 

1. Rückführung auf das Qualitative  2. Vernachlässigung  3. Überführung in bildhaft-symbolische Darstellungen     Thomas Wilhelm

Schema- oder Schnittzeichnungen (z.B. Viertakt-Motor, Dosenbarometer) Graphen (z.B. s-t-Diagramm) Schaltbilder Analogiemodelle Allgemeine Physikdidaktik

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3.2.2 Elementarisierung als Bestimmung des Elementaren 

Das Elementare ist meist die allgemeine Gesetzmäßigkeit.



Bei physikalischen Begriffen: Elementare = Idee



Bei technischen Geräten/Sachverhalten:





Elementare = Physikalisch genutzte Gesetzmäßigkeit



Elementare = konstruktiv-technische Idee



Beispiel: Stromwendermotor (Gleichstrom) 

Elementare aus Sicht der Physik: Kräfte



Elementare aus Sicht der Technik: Rotation und Kommutator

Möglichkeiten der Elementarisierung: 

1. Generalisierung



2. Musterbeispiele



3. Frühere historische Entwicklungsstufen

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3.2.3 Elementarisierung als Zerlegung in Elemente 

Der Inhalt muss in Elemente zerlegt werden, die in eine Abfolge gebracht werden, zur schrittweisen Aneignung des Inhalts



Beispiel Kompressor-Kühlschrank 



Unter physikalischem Aspekt (Abkühlung beim Verdunsten): 

1. Aktualisieren von Vorerfahrung: Frieren bei nasser Haut



2. Erweiterung: Flüssigkeiten mit stärkerem Abkühlungseffekt



3. Beschleunigung durch Abpumpen des Dampfes

Unter technischem Aspekt (Kühlmittelkreislauf): 

1. Verstärkung durch Absaugen des Dampfes



2. Platz sparend aufbewahren durch Kompression



3. Verflüssigung durch Abkühlung



4. Rückführung zum Verdampfer über Ventil (Kapillare)

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3.3 Möglichkeiten der Vereinfachung 

Nach den Beispielen nochmals Möglichkeiten der Vereinfachung:



1. Vereinfachung durch Experimente 2. Vereinfachung durch ikonische Darstellungen 3. Vereinfachung durch symbolische Darstellungen

 

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3.3.1 Vereinfachung durch Experimente 

1. Experimente demonstrieren charakteristische Eigenschaften  Beispiel: Reflexion, Brechung, Beugung x    Messgeräte können mathematische Operationen ersetzen v : 

t



2. Experimente veranschaulichen Idealisierungen bei  x Begriffen (z.B. v : lim ) t 0 t



3. Analogversuche illustrieren relevante Eigenschaften (z.B. Mausefallenversuch, Streichhölzerversuch, Dominosteine, Bierschaumzerfall, Münzen in Schachtel, Magnete und Muttern)

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3.3.2 Vereinfachung durch ikonische Darstellungen 

1. Abbilder (= Abbildungen) 

Zeigen Merkmale eines existierenden Objektes, die visuell wahrnehmbar sind. D.h. sie zeigen das Aussehen von Gegenständen.



Beispiele: Fotographien, Zeichnungen, Gemälde, Filme, Animationen.



Teile werden weggelassen, andere betont.



Fürs Lernen wichtig: Reduktion aufs Wesentliche, Symboldarstellungen, z.B. Schaltskizze (weniger wichtig: realitätsnahe Abbildungen)



Auch Abläufe sind darstellbar.

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3.3.2 Vereinfachung durch ikonische Darstellungen 

2. Logische Bilder 

Inhalt ist in der Realität nicht direkt beobachtbar.  Sie benutzen eine bestimmte Kodierung.  Für qualitative Zusammenhänge:  





Venn-Diagramme, Graphen aus Koten und Linien Beispiel: Darstellung von Wirkungszusammenhänge in graphischer Modellbildung Beispiel: Feynman-Diagramm

Für quantitative Zusammenhänge: 



Liniendiagramme, Histogramme, Balken-, Säulen-, Kreis-, Streu- und Isotypendiagramme Beispiel für Symbol: Pfeil in Animation gibt Richtung und Betrag der Geschwindigkeit an (dynamisch ikonische Repräsentation)

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3.3.2 Vereinfachung durch ikonische Darstellungen 

3. Analoge Bilder (= bildliche Analogien) 

in äußerer Gestaltung wie Abbildungen



zielen auf analoge Bedeutung



versuchen, Zusammenhang zwischen vertrauten Dingen und neuen Inhalten herzustellen



verweisen auf nicht dargestellte Strukturen, Relationen, Funktionen, Prozesse



Beispiel: Größenverhältnis von Atomkern und Atomhülle entspricht Kirsche und Fußballfeld



Es gibt strukturelle Analogien (z.B. Aufbau Atom - Aufbau Planetensystem) und funktionale Analogie (z.B. Elektronendrift als Bild für elektrischen Strom in Metallen)

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3.3.3 Vereinfachung durch symbolische Darstellungen 

Schriftzeichen verschiedener Alphabete, Symbole der Mathematik, spezielle Zeichen in der theoretischen Physik, z.B. „bra-ket“-Schreibweise 





Maximal informativ bei Minimum an Zeichen und Symbolen

Sehr wichtig: Darstellung physikalischer Größen durch Pfeile (liegt zwischen ikonischer und symbolischer Darstellung, eher ikonisch) Ersetzen mathematischer Operationen durch geometrische Konstruktionen: 

Vektorsumme bei Kräften und Bewegungen



Skalarprodukt bei mechanischer Arbeit



Weg als Fläche unter dem t-v-Graphen

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3.3.3 Vereinfachung durch symbolische Darstellungen 

Beispiel: Zeichnerische Bestimmung des Gesamtwiderstand einer Parallelschaltung 



Zeichne R1 und R2 parallel als Strecke ein und verbinde die Endpunkte Die parallele Strecke bis zum Schnittpunkt ist Rges. a



Thomas Wilhelm

b

Beweis: R Rges a b ges  Es gilt: (1) und R (2) (Strahlensatz)  a  b 2 R1 a  b R R  Rges R1 a  b (1)+(2) ergibt: ges 2  R1R2 ab 1 1 1 RR   Daraus folgt: Rges  1 2 und R1  R2 Rges R1 R2 Allgemeine Physikdidaktik

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3.4 Elementarisieren durch Analogien 

1. Was sind Analogien? 

Analogien = Ähnlichkeiten bzw. Vergleich mit Bekanntem



In der Wissenschaftsgeschichte zur Problemlösung verwendet (z.B. Coulombgesetz aus Gravitationsgesetz; Ohm fand Gesetze über strömende Elektrizität aus Analogie zur Wärmeleitung)



Bei Lernschwierigkeiten als Lernhilfe herangezogen.



Analogien verwenden, heißt einen Umweg machen.



Ähnlichkeiten sind reflexiv und symmetrisch, aber weder transitiv noch intransitiv.



Der analoge Bereich muss vertraut sein!



Analogien sind eine problematische Lernhilfe.



Es ist umstritten, ob der Umgang mit Analogien mehr geübt werden sollte.

Thomas Wilhelm

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3.4.2 Hinweise zu Analogien 

Zu beachten:    





Die Verwendung von Analogien als Lernhilfen ist grundsätzlich ambivalent. Analogien erklären nicht, sondern machen „nur“ einen Sachverhalt verständlich. Analogien wirken eher individuell als global, weil nicht alle Schüler eine bestimmte Analogie akzeptieren (Akzeptanzproblem). Schüler orientieren sich eher an Äußerlichkeiten der Analogie („Oberflächenstruktur“) als an physikalischen Gesetzmäßigkeiten („Tiefenstruktur“ der Analogie). Möglichkeit: Im Unterricht wird die „Tiefenstruktur“ (z.B. elektrischer Stromkreis) zuerst thematisiert, dann durch eine (gespielte) Analogie illustriert. Eine Reflexion der Analogienutzung (Metakognition) im Unterricht ist unbedingt notwendig.

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Vorbemerkung • Methoden und Medien sind eigentlich Themen der Allgemeinen Didaktik, die ein Teilgebiet der Schulpädagogik ist. • Wir behandeln diese Themen speziell unter dem Gesichtspunkt Physikunterricht. • Es geht also auch darum, was jeweils für den Physikunterricht typisch ist.

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4 Methoden im Physikunterricht 4.1 Sozialformen 4.1.1 Lehrerzentrierter Unterricht (Frontalunterricht) 4.1.2 Gruppenunterricht 4.1.3 Individualisierter Unterricht

4.2 Neuere methodische Großformen 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6

Unterrichtseinheit Kursunterricht Projekt oder projektorientierter Unterricht Spiele im Physikunterricht Lernzirkel oder Lernen an Stationen Offener Unterricht - Freiarbeit

4.3 Unterrichtskonzepte 4.3.1 4.3.2 4.3.4 4.3.5

Darbietender Unterricht Exemplarischer Unterricht Genetischer Unterricht Entdeckender Unterricht

4.4 Stufen- und Phasenschemata des Unterrichts 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 Prof. Dr. Thomas Wilhelm

Historische Stufenschemata Allgemeines Kritik Phasen bei einer Dreiteilung Allgemeine Fachdidaktik

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(Beobachtungs-) Ebenen • Ebene der Sichtstruktur Alles, was im Unterricht direkt beobachtbar und objektiv feststellbar ist.

• Ebene der Tiefenstruktur Elemente, die nicht direkt beobachtbar sind, sondern indirekt aus Beobachtungen erschlossen werden müssen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Methodenebenen der Sichtstruktur • 4.1 Sozialformen bestimmen die Kommunikations- und Interaktionsstruktur

• 4.2 Methodenkonzeptionen Großformen des Unterrichtens

• 4.3 Unterrichtskonzepte im Physikunterricht Prinzipien des Unterrichtens, durch pädagogische oder psychologische Theorien legitimiert

• 4.4 Artikulationsschemata Stufen- oder Phasenschemata strukturieren den Unterrichtsverlauf Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.1 Sozialformen • 4.1.1 Lehrerzentrierter Unterricht (Frontalunterricht) kann eine effektive Art der Wissensvermittlung sein. • 4.1.2 Gruppenunterricht hat eine besondere Bedeutung als die schülerorienterte Sozialform. • 4.1.3 Individualisierter Unterricht erlaubt Binnendifferenzierung bei heterogenen Lerngruppen, erlangt mit neuen Medien zunehmend Bedeutung.

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4.1.1 Lehrerzentrierter Unterricht • Schüler werden gemeinsam unterrichtet. • Lehrer steuert Unterricht: Arbeits-, Interaktions- und Kommunikationsprozesse • Fragend-entwickelnder Unterricht ist das vorherrschende Skript des deutschen Physikunterrichts (im Unterschied zu anderen Ländern). • Guter Frontalunterricht fordert sehr viele Kompetenzen vom Lehrer, stellt also hohe Anforderungen an den Lehrer. • Lehrer sprechen sich dagegen aus, unterrichten aber hauptsächlich so. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.1.1 Lehrerzentrierter Unterricht • Vorteile: – kann zeitsparend und effektiv sein!!, – erlaubt eindrucksvolle attraktive Demonstrationen, – gibt gutem Lehrer direkte Rückmeldung, befriedigt das Sicherheitsbedürfnis, sichert Unterrichtsdisziplin.

• Ist notwenig, wenn: – Klassen sehr groß sind, – adäquate Ausstattung für andere Methoden fehlt, – Schülerversuche verboten sind (gefährliche Versuche).

• Ist didaktisch sinnvoll: – bei Überblick/Zusammenfassung komplexer Sachverhalte, – bei schrittweisen elementarisierten Erklärungen komplexer Phänomene und dem Lernen schwieriger Konzepte, – bei Zeitmangel und beim Vorführen attraktiver Demos. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.1.2 Gruppenunterricht • Sehr alte Unterrichtsform • Verstärkte Beachtung ab Ende der 60er Jahre • Spezialfall: Partnerarbeit • Äußere Seite: Lehrer rückt in den Hintergrund, hat aber Verantwortung und führt. • Innere Seite: Schüler eignen sich Methoden der Physik an, soziale Ziele werden angestrebt. • Gruppenunterricht muss gut vorbereitet werden. • Gruppenunterricht muss in den Unterrichtsablauf integriert werden (nächste Folie). Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.1.2 Gruppenunterricht • Vorher ist zu klären (Teil der Vorbereitung): – – – – –

Ist das Thema geeignet? Sind die Schüler geeignet? Ist der Raum geeignet? Wie werden die Gruppen gebildet? Sind die Arbeitstechniken vertraut?

• Ablauf: – – – – – – –

Einführung des Themas im Plenum Arbeitsaufträge werden diskutiert und vergeben Gruppenbildung Gruppenarbeit Zusammentragen der Ergebnisse im Plenum Ergebnisse interpretieren und diskutieren Reflexion des Gruppenunterrichts

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Also auch hier ist das Plenum sehr wichtig! Auch hier gibt es lehrerzentrierte Phasen! WS 2011/12

4.1.2 Gruppenunterricht Klassische Begründungen: • Erzieherische Wirkung einer Gruppe, soziales Lernen; • Selbstständigkeit im Denken, Fühlen und Handeln; • Fähigkeit und Bereitschaft zum solidarischen Handeln fördern; • Förderung der Kreativität der Schüler.

Begründungen in neuerer Zeit: • Naturwissenschaft ist ein sozialer Prozess. • Sozialer Konstruktivismus. • Wissenschaft ist geprägt durch Kooperation und Kommunikation, „Aushandeln“ von Bedeutungen. • Lernen als Konstruktion erfordert Regelkreise. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Formen von Gruppenunterricht • Arbeitsgleicher Gruppenunterricht (häufiger) – Alle Gruppen machen das Gleiche, gleiche Aufgaben. – Einfacher in Durchführung, aber Geräte mehrfach nötig.

• Arbeitsteiliger Gruppenunterricht (seltener) – Problem wird von verschiedenen Gruppen unterschiedlich bearbeitet, verschiedene Aufgaben. – Interessanter, anspruchsvoller, schwieriger in der Durchführung, relevanter.

• Zwischenform: – Im Verfahren arbeitsgleich, aber verschiedene Gegenstände und verschiedene Ergebnisse.

• Projektunterricht – Große Freiheiten, thematisch weiter gefasst. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Warum ist Gruppenarbeit so selten? • Zeit- und Materialaufwand • Zu große Klassenstärken, zu viele Schüler • Ungeeignete Räume • Keine Experimentiergeräte für Gruppenarbeit • Ungeeignete Schüler • Mangelnde Kontrolle über Schüler, Risiko • Zu intensive Belastung des Lehrers (Zeitaufwand!) • Zu wenig Ausbildung der Lehrkräfte in Gruppenarbeit • Lehrer können selbst nicht in Gruppen arbeiten. • Lehrer wissen nicht, dass Gruppenarbeit gelernt und gelehrt werden muss und wie das geht. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Allgemeine Prinzipien zur Gruppenarbeit • Gruppenfähigkeit ist selbst ein Lernziel und benötigt Zeit zur Entwicklung. • Es ist unverzichtbar, Gruppenarbeit zu trainieren. • Es sind klare Regeln zu vereinbaren und ihre Beachtung zu kontrollieren. • Gruppenprozesse müssen reflektiert werden, während der Arbeit ist Zurückhaltung des Lehrers nötig. • Themen und Materialien müssen zur Bearbeitung durch Gruppen geeignet sein. • Arbeitsaufträge und Ziele sind verständlich und klar. • Ergebnisse müssen inhaltlich, arbeitstechnisch und zeitlich erreichbar sein. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Beispiel Gruppenpuzzle • 1. Phase: „Expertengruppen“ arbeiten sich arbeitsteilig in Themen ein. • 2. Phase: „Unterrichtsgruppen“ mit je einem Experten, gegenseitiges Erklären • Forschungsergebnisse bzgl. Vergleich mit Frontalunterricht (Berger): – keine Unterschiede bei der Leistung – große Unterschiede bei Autonomieerleben, bei sozialer Eingebundenheit, z.T. bei Kompetenzerleben und bei intrinsischer Motivation – Richtlinie/Empfehlung: Komplexe Sachverhalte im Frontalunterricht, einfachere Themen im Gruppenpuzzle Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Weitere Beispiele – Gesprächskultur • Kugellager: Zwei Kreise, Gespräch mit Partner über vorgegebenes Thema (z.B. Vorhersage, Erklärung), auf Zeichen Weiterrotation

• 3x3 Gesprächsmühle Immer drei Schüler tauschen sich drei Minuten über eine Frage aus, dann Wechsel: Treffen mit anderen Schülern, neue Frage

• Fishbohl 4+1 Vier Schüler diskutieren Problem stellvertretend (Fische im Aquarium). Person im Außenkreis darf sich auf freien Stuhl dazusetzen. Dann darf Person aus Innenkreis nach außen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Weitere Gruppenarbeitsmethoden • Methoden zur Schüleraktivierung: – Bienenkorb (Austausch in Kleingruppen über Vorwissen, ein Sprecher) – Pro-Contra-Debatte (zwei Gruppen) – Vernissage (Lernplakate, 3 Phasen) – Murmelgruppe (Diskussion mit Tischnachbar) – Snowballing (= verdoppelte Murmelgruppe) – Glückstopf (Fachbegriffe in Kleingruppe aufschreiben, werden in anderer Gruppe erklärt)

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4.1.3 Individualisierter Unterricht • Keine Interaktionen zischen den Schülern und mit dem Lehrer • Ungestörte Einzelarbeit • In jeder Unterrichtsphase, in Projekten und Lernzirkeln möglich • Instrument der Binnendifferenzierung • Aktivierung von Schülern: Selbstständigkeit und Individualität • Durch Neue Medien nimmt individuelles Lernen zu. • Änderung der Lehrerrolle: Moderator von Lernprozessen statt Instruktor Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.1.3 Individualisierter Unterricht • Beispiele für Unterrichtssituationen: – Informationsaufnahme (Lesen, Recherchieren, Internetarbeit, Referate, Facharbeiten) – Informationsverarbeitung (Notizen, Protokolle, Berichte, Zeichnungen, Zusammenfassungen) – Üben und Routinebildung (Aufgaben, Lernzirkel, Wochenplanarbeit, Freiarbeit) – Anwenden (Aufgaben, Präsentationen, Basteln, Bauen) – Verständniskontrolle (in Lernsituationen unbenotet, in Leistungssituationen benotet)

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Methodenebenen der Sichtstruktur • 4.1 Sozialformen bestimmen die Kommunikations- und Interaktionsstruktur

• 4.2 Methodenkonzeptionen Großformen des Unterrichtens

• 4.3 Unterrichtskonzepte Prinzipien des Unterrichtens, durch pädagogische oder psychologische Theorien legitimiert

• 4.4 Artikulationsschemata Stufen- oder Phasenschemata strukturieren Unterrichtsverlauf Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2 Methodenkonzeptionen Beispiele nach Meyer (1987): • Lehrgang

• Workshop

• Projekt

• Projektwoche

• Trainingsprogramm

• Praktikum

• Kurs

• Exkursion

• Lektion

• Offener Unterricht

• Unterrichtseinheit

• Spiele

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4.2.1 Unterrichtseinheit • Traditioneller Unterricht besteht aus Unterrichtseinheiten • Unterrichtseinheit = Sinneinheit des Lernstoffes • Können in ihrer Länge stark variieren (Dauer: Stunde, Tag, Woche, Monate) • Ergeben sich nicht nur aus der Fachlogik, sondern auch aus pädagogischen, psychologischen und anderen Kriterien (→ Elementarisierung) • Können fachspezifisch, fachüberschreitend, fächerübergreifend sein und dabei verschiedene Sozialformen fördern und pflegen

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4.2.2 Kursunterricht • Kursunterricht wurde mit der Reform der gymnasialen Oberstufe in 70er Jahren eingeführt, um individuelle Begabungen besser zu fördern. • Weniger Schüler pro Kurs als in Klassen • Charakteristisch: sehr spezielle Thematik, zeitlicher Umfang und Zusammensetzung • Zeitlicher Umfang in der Regel ein Halbjahr (AGs ein Jahr). An Uni auch verlängertes Wochenende oder ganzes Jahr. • Zusammensetzung der Teilnehmer orientiert sich an: Interesse am Fach, sozialen Konstellationen, individueller Leistungsfähigkeit, Lehrkraft Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.2 Kursunterricht • Chancen – Bessere Förderung individueller Neigungen und Begabungen (insbesondere in AGs) – Neue soziale Beziehungen (jahrgangsübergreifend) – Demokratische Elemente im Schulalltag – Freie Wahl des Lehrers

• Schwierigkeiten – Förderung individueller Abneigungen – Verlust bestehender sozialer Beziehungen – Gefahr der Überforderung – Er erfordert einen adäquaten Lehrplan. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.3 Projektunterricht • Anfang 20. Jhdt. In USA entstanden (Dewey + Kilpatrick), 20er Jahren nach Deutschland (Reformpädagogik), in 70er Jahre wieder aufgegriffen • Einflussfaktoren:

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4.2.3 Projektunterricht • Projekte heute in den meisten Lehrplänen der verschiedenen Schularten enthalten • Prinzip „Learning by doing“ • Lehrer wirkt organisierend und beratend • Mehr Bezug zum Alltag, weniger fachbezogener Unterricht • Schüler (mit-)verantwortlich für Planung, Verlauf und Ergebnis des Projekts • Projektmethode nach Frey betont Orientierung an Interessen und Bedürfnissen der Schüler

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4.2.3 Projektunterricht Merkmale nach Otto (1974): • Bedürfnisbezogenheit = Selbstbestimmtes Lernen – Thema muss Schülern wichtig sein (intrinsische Motivation)

• Situationsbezogenheit = Lebenspraxisbezug – Bezug zur Alltagswelt außerhalb der Schule

• Selbstorganisation des Lehr-Lern-Prozesses – Zielsetzung, Planung, Durchführung wird von Schülern übernommen

• Kollektive Realisierung = Kommunikabilität – Einsicht in Teamarbeit

• Produktorientiertheit = Gebrauchswertorientierung – Am Ende steht ein „greifbares“ Ergebnis

• Interdisziplinarität – Zusammenarbeit mit fachfremden Sachbereichen

• Gesellschaftliche Relevanz = Gesellschaftsbezug – Bezug zur Gesellschaft Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Projektmethode (Frey, 1982) Grundmuster für den Ablauf (sieben Komponenten): 1. Projektinitiative 2. Auseinandersetzung mit Projektinitiative (Gruppenbildung) → Projektskizze

3. Entwicklung des Betätigungsfeldes → Projektplan (wer, was, wie, womit)

4. Aktivitäten im Betätigungsfeld → Produkte (Hardware/Software)

5. Projektabschluss → Präsentation, Reflexion

6. Fixpunkte 7. Metainteraktionen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Elemente und Reduktionsformen nach Frey:

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Heute keine strenge Definition mehr von „Projekt“ und keine Unterscheidung mehr zwischen „Projekt“ und „projektorientiertem Unterricht“! WS 2011/12

4.2.3 Projektunterricht • Chancen – Lernen durch Eigenerfahrung – Integration schwächerer/stillerer Schüler – Vertikale Sozialisation (bei Teilnahme mehrerer Jahrgangsstufen)

• Schwierigkeiten – Freiräume in Lehrplänen erforderlich, Zeitbedarf – Kooperationsbereitschaft der Lehrerkollegen – Benotung – Mangelnde Vernetzung physikalischen Wissens – Ungewohnte Anforderungen an den Lehrer Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.4 Spiele • Merkmale Ambivalenz, Quasi-Realität, Freiheit, Geschlossenheit, Gegenwärtigkeit (Flow-Erlebnisse), häufig Wettstreit

• Chancen – Kultureller Eigenwert des Spiels – Änderung der Einstellung zur Physik – Spiele im Physikunterricht fördern: Soziale Ziele, Kreativität, adäquates Lerntempo (Entschleunigung), Voraussetzungen wissenschaftlichen Arbeitens

• Gefahren – starke pädagogische Instrumentalisierung des Spiels – Spiel nur als bloße Motivation ohne Wissensvermittlung – Spiel nur als bloße Übungsspiele zur Wissensvermittlung Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Klassifikation von Spielen • Psychomotorische Spiele – Geschicklichkeitsspiele („Der heiße Draht“, labiles Gleichgewicht) – gespielte Physik (Teilchenmodell, Stromkreis)

• Phantasie- und Rollenspiele – Spielprojekte – historische Rollenspiele

• Regelspiele – Konkurrenzspiele und Kooperationsspiele (Würfelspiele mit Ereigniskarten, Fragekarten, Punktesystem; Kartenspiele; Brettspiele; Roulett. Notfalls von Schülern erfunden)

• Konstruktionsspiele, Bauspiele – Kommerzielle Baukästen – Technische Kreativität (Gummibandauto, Eifallbremser, Schiffe) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.4 Spiele • Aufgaben des Lehrers: – Spiel von anderen Unterrichtssituationen unterscheidbar machen – Rolle des Lehrers beschreiben und daran halten – Materialien für Spiele anbieten – Spiele nicht stören, nur beraten

• Spielförderung: – Freies Spielen in Pausen – Spiele in speziellen Unterrichtseinheiten – Gespielte Analogien – Nachdenken über Spiele (Metakognition)

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4.2.5 Lernen an Stationen • Bezeichnung: – „Lernzirkel“ erinnert an Trainingszirkel im Sport – „Lernen an Stationen“ heute üblicher Begriff

• Beschreibung: – Kleinere Lernstationen (Bearbeitungsdauer ca. 10 Min) in 1 bis 3 Std. – Partner- oder Einzelarbeit – Aufgaben auf Stationenzettel – Überblick auf Laufzettel – Stationen sehr unterschiedlich und multimedial (Physik und technische Anwendungen, Spiel und wissenschaftliches Arbeiten, Lesen, Aufsatz und moderne Medien)

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4.2.5 Lernen an Stationen • Arten: – Einführungszirkel • Interesse wecken, erster Überblick, Vorwissen aktivieren • anschließend im Unterricht gründlich vertieft

– Erarbeitungszirkel (selten) • Allgemeine Gleichung oder Stoffeigenschaft finden • Nachher sicherstellen, dass alle gleiches Wissen haben

– Lernzirkel zum Vertiefen • Übungszirkel zur Sicherung • Auch Transferaufgaben möglich

– Experimentierzirkel • Es wird nur experimentiert • Als Einführungszirkel, Erarbeitungszirkel oder Vertiefungszirkel möglich Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.5 Lernen an Stationen • Offenerer, weniger lehrerzentrierter Unterricht • Kein völlig offener Unterricht, da Lehrer Stationen vorgibt. • Mehr eigenverantwortliches Lernen • Gewisse Entscheidungsfreiheiten: – Pflicht- und Kann-Stationen (Differenzierungsmöglichkeiten)

• Lehrer kann beobachten, auf einzelne eingehen • Dialog zwischen Schülern • Soziale Kompetenzen, wie Teamfähigkeit • Großer Vorbereitungsaufwand • Mehr Unterrichtszeit nötig als im lehrerzentrierten Unterricht Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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• Anmerkungen zu Schülerlaboren

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4.2.6 Offener Unterricht • „Offener Unterricht“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Reformansätze aus den 1920er und 1930er Jahren. • Öffnung bezüglich Inhalte, in Methode, Organisation, Raum und Zeit. • Inhalte und Lehrmethoden nicht festgelegt, Schüler werden an unterrichtlichen Entscheidungen beteiligt (Selbstbestimmtheit des Lernens) • Auch Jahrgangsklassen zugunsten von Gruppenarbeit aufgelöst • Selbstständiges, selbstbestimmtes, handlungsorientiertes, erfahrungsbezogenes und soziales Lernen • Wird vor allem in der Grundschule eingesetzt Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Formen offenen Unterrichts • Stuhlkreis: – Ein Gesprächskreis (Morgenkreis, Abendkreis, Wochenrunde, Klassenrat)

• Freiarbeit – Schüler wählen Lernmöglichkeit aus, eigene Einteilung – Pflichtaufgaben, frei wählbare Aktivitäten, weitere Anregungen – Zentrum offenen Unterrichts

• Wochenplan – Hilfsmittel zur Organisation und Überprüfung der Lernarbeit – Jeder Schüler bekommt einen Plan. – Pflichtaufgaben, frei wählbare Aktivitäten, weitere Anregungen

• Projektarbeit – Siehe 4.2.3

• Stationenlernen/Lernzirkel – Siehe 4.2.5 Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.2.6 Offener Unterricht • Chancen – Förderung von Selbstständigkeit, Mitverantwortung, Eigenaktivität – Abbau von Schulunlust – Individuelle Lernmuster, mehr innere Differenzierung – Angenehmerer Unterricht für den Lehrer

• Probleme – Sehr hohe Anforderungen an den Lehrer – Restrukturierung der Lernumgebung notwendig – Motivationsverlust bei mangelnder Fähigkeit zur Handlungsregulation – Erwünschte Effekte nicht empirisch nachgewiesen – Selbstständiges Experimentieren verläuft häufig zufallsgeleitet und unsystematisch. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Methodenebenen der Sichtstruktur • 4.1 Sozialformen bestimmen die Kommunikations- und Interaktionsstruktur

• 4.2 Methodenkonzeptionen Großformen des Unterrichtens

• 4.3 Unterrichtskonzepte im Physikunterricht Prinzipien des Unterrichtens, durch pädagogische oder psychologische Theorien legitimiert

• 4.4 Artikulationsschemata Stufen- oder Phasenschemata strukturieren Unterrichtsverlauf Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3 Unterrichtskonzepte Gliederung: 4.3.1 Darbietender Unterricht 4.3.2 Exemplarischer Unterricht 4.3.3 Genetischer Unterricht 4.3.4 Entdeckender Unterricht Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.1 Darbietender Unterricht • Typische Sozialform: Lehrerzentrierter Unterricht • Nötig: Sinnvolles, nicht mechanisches Lernen! • Unterrichtsziele Effektiv bei Konzeptzielen: begriffliche Struktur der Physik, gezielte Förderung fachlicher Kompetenz (Schüler lernen genauer, falls sie nicht abschalten).

• Organisation Lehrer baut vorher Demonstrationsversuche auf, kurzfristige und detaillierte Planung, im Unterricht Lehrerversuch und -vortrag, oft fragend-entwickelnder Unterricht, Schüler assistieren bei Versuchen.

• Implizite Probleme Erreicht oft nur verbales Wissen, träges Wissen, geringe Motivation, mäßige Mitarbeit der Schüler, Verständnisschwierigkeiten

• Hohe Anforderungen an Lehrer Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.2 Exemplarischer Unterricht • Gründlichkeit durch Selbstbeschränkung (Auswahl) • Physikalische Strukturen, Arbeits- und Verfahrensweisen, Erkenntnismethoden der Physik werden exemplarisch an Beispielen erarbeitet und auf weitere Beispiele übertragen • Herstellen des Zusammenhangs zwischen Beispielen • im Einzelnen das Ganze suchen • Zeitgewinn, da Physik nicht vollständig gelehrt wird • Intensive Beschäftigung und gründliches Verstehen • Wagenschein fordert: Organisatorisch in Epochenunterricht (1 - 3 Wochen mit 6 - 8 Std. pro Woche) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.3 Genetischer Unterricht • Vorstellungen von einer natürlichen, besonders wirksamen Lehrmethode • Orientiert an dominierenden Weltbildern, psychologischen Theorie oder pädagogischen Auffassungen • Drei Aspekte bzw. drei Formen: – Individual-genetisch: • berücksichtigt Vorwissen, Vorerfahrungen, entwicklungspsychologische Möglichkeiten der Schüler

– Logisch-genetisch: • Nachentdecken physikalischer Sachverhalte

– Historisch-genetisch: • Folgt dem Erkenntnisgewinnungsprozess in der Geschichte der Physik Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.3 Genetischer Unterricht • Individual-genetischer Unterricht: – Ausgehend von Erfahrungen, Alltagsvorstellungen und Weltbildern der Schüler – Vorstellungen werden weiter entwickelt, ohne zu schnell die physikalische Sicht überzustülpen bzw. Fachwörter zu benutzen – Sokratischer Dialog mit Schülern: nicht dozierend, nicht dogmatisch, Dialog mit Zeit zum Nachdenken, Herantasten an Begriffe – Exemplarisch, auf Beispiele beschränken – Also: Bruchloser Weg von Alltagsvorstellungen zu physikalischen Vorstellungen – Betonung des Verstehens – Lehrer sind nicht Instruktoren, sondern Moderatoren von Lernprozessen (hohe Anforderungen an sensible Lehrer) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.4 Entdeckender Unterricht • Basis: Lernpsychologie von Bruner (Entdeckendes Lernen) und Reformpädagogik • Entdeckt werden soll subjektiv Neues – Mit Hinweisen des Lehrers: gelenkte Entdeckung – Ohne Hilfen des Lehrers: forschender Unterricht

• Lernpsychologische Begründung für entdeckendes Lernen: – Erzeugt in einzigartiger Weise Motivation und Selbstvertrauen – Wichtigste Quelle für intrinsische Motivation – Sichert das Gelernte langfristig im Gedächtnis – Entdecken ist Hauptmethode der Vermittlung von Fachwissen – Notwendige Voraussetzung, vielfältige Problemlösetechniken zu lernen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.3.4 Entdeckender Unterricht • Schülerorientierter Unterricht Gruppenunterricht und individualisierter Unterricht

• Unterrichtsziele: Prozessziele, soziale Ziele, Realitätserfahrung, Erfolgserlebnisse

• Organisation: Vorbereitung der Schülerarbeitsmittel, längerfristige Grobplanung, Epochenunterricht, Schüler agieren, Lehrer beratend, Unterrichtsverlauf offen

• Implizite Probleme Zeitlicher Aufwand, Lehrplanerfüllung, organisatorischer Aufwand, finanzieller Aufwand, oberflächliche Begriffsbildung

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Methodenebenen der Sichtstruktur • 4.1 Sozialformen bestimmen die Kommunikations- und Interaktionsstruktur

• 4.2 Methodenkonzeptionen Großformen des Unterrichtens

• 4.3 Unterrichtskonzepte Prinzipien des Unterrichtens, durch pädagogische oder psychologische Theorien legitimiert

• 4.4 Artikulationsschemata Stufen- oder Phasenschemata strukturieren Unterrichtsverlauf Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4 Artikulationsschemata • Eine Unterrichtsstunde ist durch Phasen gegliedert. • Artikulationsschemata = Stufen- und Phasenschemata • Es existieren viele Begriffe (Formalstufen, Arbeitsstufen, Bildungsstufen, Etappen, Figuren).

• Sie modellieren den methodischen Gang des Unterrichts. Sie sind theoretisch begründet. • Lehrer: Pragmatischer Umgang damit. Didaktiker: 300 Jahre Glaubenskriege, insb. im 19. Jhdt. • Beginn 20. Jhdt.: Reformpädagogen gegen bestehendes Stufenmodell, führen jedoch neue Schemata ein. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4 Artikulationsschemata 4.4.1 Historische Stufenschemata 4.4.1.1 Überblick – Johann Amos Comenius (1595 – 1670): • Erster, der Stufenbildung im Unterrichtsprozess forderte • Unterricht muss schrittweise vorangehen wie die Natur! • Er glaubte an eine natürliche Methode. Viele Pädagogen suchten nach ihr. • Heutige Sicht: Es gibt keine natürliche Methode, Unterricht ist künstlich.

– Johann Friedrich Herbart (1776 – 1841): • Wechsel von Vertiefung und Besinnung • Vertiefung: beispielhafte Veranschaulichung, aktives Handeln, gründliches Studieren. Führt zu Klarheit und zu Assoziationen. • Besinnung: Reflexion, Vergleich, Rückgewinn der inneren Ruhe • Stufen: Klarheit, Assoziationen, System, Methode • Kein Stufenschema, sondern eine offene Interpretation des Bildungsprozesses. Fordert methodische Phantasie vom Lehrer!! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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– Herbartianer: Stoy, Ziller, Rein • Weiterentwicklung von Herbarts Didaktik • Fest gefügtes Kategorienraster: Formalstufentheorie • Technik des Lektionenhalten, bis heute stark kritisiert • Fünf formale Stufen für alle Schulstufen und Jahrgangsstufen: 1. Vorbereitung, 2. Darbietung, 3. Verknüpfung, 4. Zusammenfassung, 5. Anwendung • Weitere Entscheidungen: nur kognitive Orientierung, sehr hohe Lehrerzentriertheit, Stillstellung der Schüler-Körper, autoritäres Verhalten u.a.!

– Gaudig (1860 – 1923): • Reformpädagogik (Phasenkonzept: offen, expressiv, handlungsbezogen, schülerorientiert), Phasenmodell der Arbeitserziehung

– Heinrich Roth (1906 – 1983): • Er hat 1963 ein modernes Stufenschema entwickelt (siehe 2.4.1.2) • Dieses fand in Deutschland in den 60er und 70er Jahren in der Lehrerausund -fortbildung große Resonanz! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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– Galperin (1902 – 1988): • Grundlage: Tätigkeitspsychologie der Kulturhistorischen Schule der Sowjetunion (Verinnerlichung gegenständlich ausgeführter Handlungen) • Galperins Etappenmodell:

Schaffung einer Orientierungshilfe Durchführung der Arbeitshandlung Materielle/materialisierte Handlungen Sprachliche Begleitung der Handlung Sprache wird zum Mittel des Denkens Endgültige Verinnerlichung Durchführung der Kontrollhandlung

– Schmidkunz, Lindemann: • Schemata für den problemlösenden Unterricht (= Form des entdeckenden Unterrichts) • Schema:

1 Problemgewinnung 2 3 4 5

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Überlegungen zur Problemlösung Durchführung eines Lösungsvorschlages Abstraktion der gewonnenen Erkenntnisse Wissenssicherung und Anwendung Allgemeine Fachdidaktik

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4.4.1.2 Heinrich Roth (1906 – 1983): – Unterscheidung: Probleme, 1. die Lernende selbst ohne Lernabsicht lösen, 2. die Lernende selbst mit Lernabsicht lösen, 3. die der Lehrer zur Belehrung stellt.

– Zu lösende Probleme werden in den Mittelpunkt gestellt.

– Sechs Stufen: • 1. Stufe der Motivation – Handlung kommt zustande/ Lernwunsch erwacht/ Lernprozess wird angestoßen

• 2. Stufe der Schwierigkeiten – Handlung gelingt nicht/ Neuerwerb gelingt nicht/ Lehrer entdeckt leichtfertige Schülerlösung

• 3. Stufe der Lösung (entscheidender Schritt) – Neuer Lösungsweg wird entdeckt/ Neuerwerb gelingt mehr/ Lehrer zeigt Lösungsweg

• 4. Stufe des Tuns und Ausführens – Lösungsweg wird durchgeführt/ vollzogen/ Lehrer lässt durchführen

• 5. Stufe des Behaltens und Einübens – Neues wird im Gebrauch verfestigt/ bewusst eingeübt/ in Anwendungen eingeprägt

• 6. Stufe des Bereitstellens, der Übertragung und Integration – Neues steht bereit/ Neues bewährt sich im Leben/ Lehrer bemüht um Verwachsen mit Person, damit zum freien Gebrauch zur Verfügung Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4.2 Allgemeines – Alle Stufenschemata haben: 1. eine Einleitung, 2. einen Hauptteil und 3. einen Schluss – In den Stufenschemata findet eine starke Vereinfachung der tatsächlichen Vielschichtigkeit des Unterrichtsprozesses statt. – Was auf der Planungsebene entmischt wurde, vermischt sich im wirklichen Unterrichtsprozess wieder. – Ein Lehrer kann nicht im Voraus programmieren, wann und wie sich ein Schüler motiviert fühlt, was ihm wann deutlich wird etc. – Stufenschemata leisten eine Reduzierung der Komplexität des Unterrichtsprozesses im Bewusstsein des Lehrers. – Stufenschemata sind komplexe (theoretisch mehr oder weniger gut begründete) Unterrichtsrezepte für den Schulalltag. – Lehrer sollten im Unterricht mehrere Schemata verwenden, sie flexibel anwenden ohne feste Zeitvorgaben. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4.3 Kritik – Schemata verstärken Lehrerzentrierung des Unterrichts. – Sie verstärken die kognitive Ausrichtung des Unterrichts. – Sie gängeln die Phantasie des Lehrers. – Sie machen aus der lebendig-anarchischen Lernhaltung der Schüler einen offiziellen methodischen Gang, der eher eine Rennbahn als eine Spielwiese ist. – Auf eine Strukturierung des methodischen Ganges kann aber nicht verzichtet werden. – Der Allgemeingütigkeitsanspruch der Stufen- und Phasenschemata muss aufgegeben werden! – Die sechs Schritte von Roth sind für problemorientierten Unterricht in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern geeignet. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4.4 Phasen bei einer Dreiteilung 4.4.4.1 Phase der Motivation – Motivation durch kognitive Konflikte (Überraschung, Zweifel, Ungewissheit, Widersprüche) – Einstieg über Naturbeobachtung – Einstieg über physikalisch-technische Geräte – Einstieg über qualitative Versuche und Freihandversuche – Einstieg über Schlüsselbegriffe – Historischer Einstieg (Erzählung oder Quelle) – Einstieg über ein aktuelles Problem – Einstieg über ein technisches Probleme – Einstieg über eine Bastelaufgabe – Einstieg über ein Spiel oder über ein Spielzeug Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.4.4.2 Phase der Erarbeitung – Experiment werden im Physikunterricht anderen Medien bevorzugt – Schritte beim Experimentieren: • 1. Hypothesenbildung • 2. Planung des Experiments • 3. Durchführung des Experiments • 4. Auswertung des Experiments • 5. Rückblickende Erörterung des Experiments • 6. Allgemeine Erörterung des Experiments

4.4.4.3 Phase der Vertiefung – Aufgaben dieser Phase: • Neues behalten, • auf neue Situationen übertragen (Transfer), • Verbindungen zum bisher Gelernten des Faches (vertikal vernetzen), • Verbindungen zu Inhalten anderer Fächer (horizontal vernetzen), • Verbindungen zur Technik (horizontal vernetzen), • überprüfen, wie weit Lernziele erreicht sind. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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– Hier hat der Lehrervortrag eine wichtige Bedeutung. – Genauso ist das Unterrichtsgespräch wichtig, bei dem Schüler ihre Interessen zeigen und Missverständnisse korrigiert werden können. – Horizontaler Transfer (lateraler Transfer): Übertragung des Gelernten auf ähnliche Beispiele (geänderter Kontext) – Vertikaler Transfer (Problemlösen): Übertragung des Gelernten auf andere Gebiete (Verknüpfung mit anderen Themenbereichen), stellt höhere Anforderungen – Transferieren ist schwierig und muss geübt werden. – Phase der Vertiefung häufig auch in nächster Unterrichtsstunde. – Beispiele zur Vertiefung: • Anwendungen im Alltag, Arbeit mit Schulbuch, Nachschlagewerk, Internet • Lösen spezieller Aufgaben (Anwendungsaufgaben, Denkaufgaben), experimentelle Aufgaben, Modell/Gerät anfertigen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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4.5 Zusammenfassung • Früher gab es Glaubenskriege um die richtige Methode im Unterricht. • Bisherige Studien zeigten, dass verschiedene Unterrichtsmethoden nur wenig auf die Lernleistung zurückwirken! Die Sachstruktur ist wichtiger! • Das heutige Paradigma heißt: Methodenvielfalt. • VERMEIDEN SIE EINE METHODISCHE MONOKULTUR! • Aber beachten Sie: Nicht jede Kombination von Methoden ist sinnvoll. Orientieren sie sich an Lernprozessen.

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Methodenvielfalt im Physikunterricht 2. Methodische Großformen 1. Unterrichtseinheit 2. Kursunterricht 3. Projekt oder projektorientierter Unterricht 4. Spiele im Physikunterricht 5. Lernzirkel oder Lernen an Stationen 6. Offener Unterricht – Freiarbeit 7. Workshop 8. Exkursion 9. Experimentalpraktikum

3. Methodische Konzepte 1. Darbietender Unterricht 2. Exemplarischer Unterricht 3. Genetischer Unterricht 4. Entdeckender Unterricht 5. Erarbeitender Unterricht 6. Forschendes Lernen

4. Methodische Unterrichtsschritte / Phasen 1. Phasenschema von Roth 2. Phasen des Experimentierens 3. Problemlösephasen 4. Übungsphasen

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5. Aktivitäten Schüler: Lehrer: Beobachten, Registrieren, Erklären, Besprechen, Beschreiben, Zeichnen, Vortragen, Erzählen Darstellen, Präsentieren Experiment vorführen Experimentieren Diskussion leiten Aufgaben bearbeiten Zusammenfassen, Diktieren

Methodische Elemente im Physikunterricht (6 Betrachtungsebenen)

1. Sozialformen • Frontalunterricht • Gruppenunterricht • Gruppenpuzzle • Einzelarbeit • Partnerarbeit

6. Methodenwerkzeug • Wissen beschreiben, darstellen, präsentieren • Ordnen von Informationen, Ideen, Wissen • Ideen sammeln • Argumentieren, Diskutieren, • Üben, Vertiefen Allgemeine Fachdidaktik

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5. Medien im Physikunterricht Gliederung: 5.1 Grundlegendes 5.1.1 Grundlagenwissen 5.1.2 Bilder im Physikunterricht 5.1.3 Texte im Physikunterricht

5.2 Klassische Medien im Physikunterricht 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6

Tafel Arbeitsblatt Tageslichtschreiber Film und Video Schulbuch Weitere Medien

5.3 Computer im Physikunterricht 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6

Grundlegendes Lernprogramme Messwerterfassung und -reproduktion Simulationen (mit Modellbildung und virtuellen Welten) Information und Präsentation Kommunikation und Kooperation

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5.1 Grundlegendes Gliederung: 5.1.1 Grundlagenwissen Begriffe Medienkompetenz Klassifikationen

5.1.2 Bilder im Physikunterricht Arten von Bildern Funktionen von Bildern Probleme beim Bildeinsatz Hilfen des Lehrers

5.1.3 Texte im Physikunterricht Gestaltungsrichtlinien Aufgabenstellungen für zielgerichtete Textaufnahme Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.1.1 Grundlagenwissen • Begriffe: – Medien: Mittler, die Informationen übertragen können. – Unterrichtsmedien: Nichtpersonale Informationsträger; Hilfsmittel für den Lehrer oder Lernmittel für den Schüler Mittel, „deren sich Lehrende und Lernende bedienen, um sich über Informationen, Themen und Verfahren im Unterricht zu verständigen“ (Schulz, 1969, S. 34)

– AV-Medien: Technische Informationsträger, die Informationen auditiv und/oder visuell übermitteln. – Medien können auch selbst zum Unterrichtsgegenstand werden. – Mediendidaktik: Wissenschaftliche Teildisziplin (der Didaktik), die sich mit den theoretischen Grundlagen und den praktischen Einsatzmöglichkeiten von Medien beim Lehren und Lernen im Unterricht beschäftigt. – Medienpädagogik: Beschäftigt sich mit der Erziehung des Heranwachsenden zu einem kritischen Umgang mit den Medien. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Medienbegriff Übung: Was ist was? Oder was kann was sein? Beispiel

Inhalt

Methode

Medium

Keines

Luftkissenfahrbahn Karussell auf dem Jahrmarkt Sprache des Lehrers Modellbildungssoftware Formelsammlung Versuchsskizze Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Medienkompetenz • Medienkompetenz umfasst – – – –

Orientierungs- und Strukturwissen Kritische Reflexivität Handlungsfähigkeit Fähigkeit zur kreativen, sozialen Interaktion

• Medienkompetenz umfasst Handlungskompetenz im Zusammenhang – der Nutzung vorhandener Medien – der eigenen Gestaltung medialer Aussagen

• Handlungskompetenz beinhaltet die Analyse- und Urteilsfähigkeit im Bereich – der Gestaltungsmöglichkeiten – der Nutzungsvoraussetzungen und –wirkungen – der Bedingungen von Medienproduktion Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Medienkompetenz Medienkompetenz ist die Fähigkeit: • Mediengestaltungen auszuwählen und zu nutzen • Mediengestaltungen zu verstehen und zu bewerten • eigene Medien zu gestalten und zu verbreiten • Medieneinflüsse zu erkennen und aufzuarbeiten • Bedingungen der Medienproduktion und –verbreitung zu analysieren • Einfluss auf die Entwicklung der Medienlandschaft zu nehmen

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5.1.1 Grundlagenwissen • Klassifikation nach technischen Aspekten: – Vortechnische Medien: Tafel, Wandkarte, Atlas, Wandbild, Modell, Buch, Karte, Textblätter – Technische Medien: • Tonmedien: Rundfunk, Kassettenrekorder, CD-Player, MP3-Player • Bildmedien: Diaprojektor, Episkop, Arbeitsprojektor • Audiovisuelle Medien: Tonbildreihe, Filmgerät, Fernsehen, Videorecorder, DVD-Player, Multimedia-Computer

– Die Medien unterscheiden sich bzgl. Einsatzformen, Vorbereitungsaufwand und Verfügbarkeit, aber z.B. nicht lernpsychologisch, wenn sie das gleiche Bild zeigen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.1.1 Grundlagenwissen • Klassifikation nach informationspsychologischen Aspekten – Angesprochene Sinne: Visuell, auditiv, audiovisuell, haptisch – Symbolsysteme: Sprache, Zahlen, Bilder – Darstellungsebene: • Objektale Medien (liegen als Objekte vor) • ikonische Medien (vermitteln optische Informationen) • symbolische Medien (verwenden eine spezielle Symbolik)

• Klassifikation nach didaktisch-methodischen Aspekten: – Betrachtung der unterrichtliche Handlungsformen, Lernaktivität der Schüler, Einbindung in den Lehr-Lernprozess – Aktive und passive Handlungsformen – Beispiele: zeigen, durchsprechen, erstellen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.1.2 Bilder im Physikunterricht • Arten von Bildern: – Siehe: „Vereinfachung durch ikonische Darstellungen“ – Abbildungen, logische Bilder, analoge Bilder

• Die Funktion von Bildern: – Bilder können viele unterschiedliche Funktionen haben (Verschiedene Autoren nennen verschiedene Funktionen, die unterschiedlich geordnet werden).

– Ordnung der Funktionen (für nächste drei Folien): • Wissensvermittlung • Hilfen zum Textverständnis (multiple Codierung) • Organisation und Strukturierung kognitiver Inhalte • Motivation Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Funktionen der Wissensvermittlung 1. Zeigefunktion: Neue, unbekannte Sachverhalte werden gezeigt: Gegenstände und Abläufe (hohe Informationsdichte!)

2. Fokusfunktion: Details werden gezeigt (Vorkenntnisse nötig): Lupenaufnahmen

3. Konstruktionsfunktion: Sachverhalte werden aus bekannten Elementen zusammengesetzt und so neues Wissen konstruiert.

4. Physikspezifische Visualisierungen: Optische Vorstellungshilfen (Beispiele: Vektoren für physikalische Größen, Feldlinienbilder, Elektronendichteverteilungen). Sie können direkt an experimentelle Messwerte anknüpfen, können bildhafte Analogien sein oder räumliche oder mehrdimensionale Zusammenhänge aufzeigen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Bilder als Hilfen zum Textverständnis 1. Ersatzfunktion (für komplexe Beschreibungen): Ein Bild ersetzt die verbale Beschreibung, die zu aufwendig wäre.

2. Repräsentationsfunktion: Bilder spiegeln den Textaussagen visuell wider (steigert Behaltensleistung).

3. Abbildfunktion (= darstellende Funktion): Konkretisierung der Textinformation, zur Ergänzung und Veranschaulichung des Materials.

4. Interpretationsfunktion: Bilder interpretieren Textaussagen.

5. Bildanleitung: Bilder sind die primäre Informationsquelle (z.B. Bedienungsanleitungen), der Text organisiert nur.

6. Dekorative Funktion: Bilder sind nur dekorativ, haben keine inhaltliche Bedeutung. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Funktionen der Organisation 1. Concept Maps (Spezialfall: Mind Maps): Inhalte und Konzepte mit ihrem Beziehungsgefüge werden räumlich-bildhaft angeordnet.

2. Advance Organizer: Neuer Inhalte oder Texte werden vorstrukturiert und gegliedert.

3. Bezugsrahmen: Übersichtlicher gegliederter Bezugsrahmen zum Text (Zeitabschnitte, räumliche Zusammenhänge, inhaltliche Einordnungen).

4. Gedächtnisstützende Funktion: Texte oder Formeln werden als originelle Bildschöpfungen dargestellt und dienen als Eselsbrücken der Speicherung (Verwandlungsfunktion, transformierenden Funktion). Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.1.2 Bilder im Physikunterricht • Probleme beim Bildeinsatz: – Der Schüler betrachtet das Bild nur oberflächlich, Wichtiges wird nicht wahrgenommen. – Der Schüler versteht einzelne Elemente nicht, die Bildaussage wird so nicht erfasst. – Der Schüler betracht das Bild nicht zielgerecht, Nebensächliches rückt in den Vordergrund.

• Hilfen des Lehrers: – – – –

Aufmerksamkeit lenken bei Interpretation helfen zentrale Bildinformation herausarbeiten Aufgaben geben (Beschriften, Ergänzen, Abzeichnen)

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5.1.3 Texte im Physikunterricht Gestaltungsrichtlinien: • Verständlichkeit – Einfachheit: kurze, einfache Sätze – Gliederung/Ordnung: äußere Ordnung (Überschriften, Abschnitte, Hervorheben) und innere Ordnung (sinnvolle Reihenfolge) – Kürze/Prägnanz: Knappheit, keine Weitschweifigkeit – Anregende Zusätze: Beispiele, Humor, Spannung, Episoden

• Organisationshilfen – Advance Organiser: vorangestellte Organisationshilfen – Zusammenfassungen: am Anfang oder am Ende – Überschriften, Randbemerkungen, Farbe, Schriftgröße, Schrifttyp

• Sequenzierung von Informationen – Für Schlussfolgerungen nötige Informationen nahe beieinander Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.1.3 Texte im Physikunterricht Bei Textarbeit ist die Verarbeitungstiefe entscheidend. Dazu: bewusstes Lesen nötig. • Aufgabenstellungen für zielgerichtete Textaufnahme: – Wiedergabe mit eigenen Worten – Herausarbeiten der Hauptidee – Kausalzusammenhänge, Ursache-Wirkungs-Ketten, Gesetzmäßigkeiten herausarbeiten – Schwer Verständliches diskutieren – Anwenden auf Beispiel, für konkretes Problem verwerten

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5.2 Klassische Medien • Gliederung: 5.2.1 Tafel 5.2.2 Arbeitsblatt 5.2.3 Tageslichtschreiber 5.2.4 Film und Video 5.2.5 Schulbuch 5.2.6 Weitere Medien

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5.2.1 Die Tafel • Vortechnisches Medium mit immer noch herausragender Rolle! • Tafeltypen: – Kunststofftafel – Alu-/Emailletafel – Glastafel – Whiteboard (für spezielle Filzmarker) – interaktives Whiteboard (z.B. Smartboard)

• Tafelarten: – Umblätter-/Blocktafel – Flanelltafel – Magnettafel – Anschlagtafel – Wand-/Schreibtafel Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.1 Die Tafel • Vielfältige Funktionen: – Vervielfältigung, Veranschaulichung, Protokoll der Unterrichtsstunde, Festhalten der Ergebnisse, Dokumentation der Erarbeitung der Sachverhalte, Notizzettel.

• Maßnahmen zur Strukturierung des Tafelbildes: – Teilziele/Teilaussagen trennen durch Kästchen, Farbe, Nummerierung, Abstand, Teilüberschriften – Zusammenhänge/Beziehungen verbinden durch Pfeile, Farbgebungen, Umrahmungen – Akzente setzen durch Unterstreichen, Schrift, Farbe

• Inhaltliche Gliederung passt so zur räumlichen Anordnung, zu Farben und Symbolen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.1 Die Tafel • Vorteile: – Einfach in der Handhabung, sehr robust, unmittelbar verfügbar, universal einsetzbar, billig – Situationsbedingte Anpassung an Unterrichtsverlauf möglich – Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Medien (Videofilm wird protokolliert, Ergebnisse einer Diskussion/Arbeit nach Folie/Arbeitsblatt wird festgehalten)

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5.2.1 Die Tafel • Vorteile: – Physikalische Versuche möglich: • Versuche aus der Statik (Kraftvektoren) • Fahrbahn auf der Tafel • Lichtschranken an der Tafel • Optik-Versuche an Magnettafel • Elektronikversuche

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5.2.1 Die Tafel • Tafelarbeit / handwerkliche Tipps: – Tafel begleitet Gang des Unterrichts • Schüler kann nach Abschalten wieder Anschluss gewinnen

– Hausaufgabe auf äußerer Tafel, Neues beginnt mit Aufklappen – Seitentafel als Notiztafel oder Schmierzettel – Tafel ist Vorbild für Heft des Schülers • Mitteltafel halbieren (nicht breiter als Schülerheft) • Ansagen: „Zeile frei“, „Einrücken“, „Heft quer“, „nicht mitschreiben“ • Wischen ist kein Arbeitsmittel • Farbig, aber nicht bunt

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5.2.1 Die Tafel • Whiteboard (Weißwandtafel oder weiße Tafel): – spezielle, glatte Oberfläche aus weißem Kunststoff oder weiß emailliertem Metallblech für spezielle Filzmarker – Schreiben mit Filzstift statt mit Kreide: • Kein Kreidestaub • Wegwischen ohne Wasser • Schwarz auf Weiß statt Weiß auf Grün • Kräftige Farben • Häufig leere Filzstifte

– Heute selten in der Schule; statt dessen interaktive Whiteboards (z.B. Smartboards) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.1 Die Tafel • Interaktive Whiteboard (z.B. Smartboards): – berührungsempfindlichen Bildschirm in der Größe einer Wandtafel plus ein PC und ein Beamer – Weltweit ca. 1,5 Millionen Klassenräume mit einem interaktiven Whiteboard (Stand 2008): • England: Über 60 % der Klassenräume (rund 500.000 Whiteboards) • Deutschland: Ca. 5 % der Klassenräume (rund 26.000 Whiteboards)

– preiswerte Variante: Selbstbau auf der Basis der Nintendo Wii-Remote-Unit

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5.2.1 Die Tafel – Vorteil: Kombination von Tafel und PC: • PC sichtbar mit Finger (oder speziellem Stift) steuern • Darstellungen per Hand markieren und ergänzen • Texte per Handschrift ergänzen • Tafelbild abspeicherbar und wieder aufrufbar • In Tafelbild Computeranwendungen integrieren (Diagramme von Funktionen, Grafiken mit einfachem Grafikprogramm) • Lehrer hat alles im Griff (im Gegensatz zur Arbeit an Laptops)

– Nachteile: • Kosten • notwendiges Know-how der Lehrkräfte • Gefahr: Mehr Frontalunterricht Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.2 Das Arbeitsblatt • Arten von Arbeitsblättern – informierend: Text- und Bildmaterial ergänzend zum Schulbuch (Arbeitsblatt?) – vertiefend: Fordert Ergänzen, Vervollständigen, Bearbeiten (Prinzip der Aktivierung, eigentliches Arbeitsblatt) – kontrollierend

• Interessant: Kombination mit Arbeitsprojektor – Lehrer und Schüler bearbeiten simultan

• Bei Schülerversuchen: – Verbindung zur Theorie – Steuerung des Ablaufs – Hilfen für gezielte Auswertung Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.3 Der Tageslichtschreiber • Alternative Bezeichnungen: Zeichenprojektor, Schreibprojektor, Overheadprojektor, OHP, Arbeitsprojektor (nach DIN) • Vorteile: – Einfache Erstellung der Folien – Optimale Gestaltung im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung möglich – Darstellung großflächig, lichtstark, nach Bedarf zu- oder wegschaltbar – Schrittweise Entwicklung von Inhalten möglich (Overlaytechnik, sukzessives Aufdecken, Ergänzung mit Folienstiften) – Orientierung des Lehrers zu den Schülern – Lehrer kann unbemerkt in sein Konzept schauen – Archivierbar, z.B. für Wiederholungsphase Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.3 Der Tageslichtschreiber • Häufige Fehler / Probleme: – Verzerrte Wiedergabe – Farbzonen an den Rändern (schlechte Justierung der Lampe) – Zusätzlicher Lichteinfall durch Sonne – Unterkante der Projektionsfläche zu niedrig (keine freie Sicht für Schüler) – Folien schief aufgelegt – Projektionsstrahl durch Schultern oder Arme abgedeckt – Zu schnelles Wechseln der Folien (Überforderung der Zuhörer) – Zu hohe Informationsdichte, zu hohes Tempo – Lehrer geblendet – Schüler lesen voraus  Aufmerksamkeit weg – Schüler haben nichts zu tun Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.3 Der Tageslichtschreiber • Hinweise zur Gestaltung von Folien: – Nicht überfrachten • Wenig Folien, wenig Inhalt pro Folie, wenig Farben (maximal 3)

– – – – – – – –

Ausreichende Schriftgröße (Minimum 20pt) Jede Folie ein Bild (auch bei Powerpoint) Kurze treffende Überschrift Optische Gliederung! Keine Rollfolien Klappfolien mit Tesafilm basteln Drehbare Folien und Schiebeschlitzfolien selbst basteln Folien im Vortrag auf darüber gelegter Leerfolie ergänzen – (Bei professionellen Vorträgen: Querformat) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.3 Der Tageslichtschreiber • Zwei Anzeigemöglichkeiten: – Mit Stift auf der Folie • Ökonomisch, schnell, Lehrer bleibt Schülern zugewandt • Zuhörer verlieren Blickkontakt zu Vortragendem • Großräumige, aufweckende Motorik fehlt

– Mit Zeigestab auf Projektionsfläche • Lehrer bleibt im Blickfeld • Nonverbale Ausdrucksmittel möglich

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5.2.3 Der Tageslichtschreiber • Weitere Anwendungsmöglichkeiten: – Kleine Gegenstände im Schattenriss – Fertige Funktionsmodelle für OHP (z.B. Ottomotor) – Bewegungen werden mit Polarisationsfolien simuliert (käufliche Folien) – Physikalische Versuche möglich: • Darstellung von Magnetfeldlinien • Darstellung von E-Feldlinien • Versuche mit Wasserwellen • Versuche zur Polarisation

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5.2.4 Film, Video • Technisch: – Früher: Schmalfilm (16 mm), Super-8-Film (8 mm), Video-Fernseher-Technik – Heute: Beamer mit DVD-Player, PC, Kamera

• Vorteile: – Anschaulichkeit (vor allem wenn fotorealistische Darstellungen sachdienlich sind) – Sinnvoll, wenn verbale Beschreibung zu aufwändig – Spezielle Möglichkeiten (Zeitlupe, Zeitraffer, Zoomen, etc.) – Räumliches Empfinden deutlicher als beim Bild Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.4 Film, Video • Nachteile: – – – –

Verlangt spezifische Beobachtungsfähigkeiten Hohe Informationsdichte Betrachtungsdauer und Abfolge festgelegt Viele Informationen, die nicht lernzielrelevant sind (Hintergrund, Tapetenmuster, Moderator)

• Maßnahmen des Lehrers gegen zu hohe Informationsdichte: – – – – –

Vorbereitende Erklärungen Pausen mit Zusatzinformationen Standbilder zur Besprechung von Details Anspruchsvolles mehrfach abspielen Zeitlupenablauf verwenden

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Phasen des Filmeinsatzes • Vorbereitung der Schüler: – – – – – –

Hinweis auf Wichtiges, Aufmerksamkeit lenken Vorwissen aktivieren Gliederung des Films vorher aufzeigen Fragen formulieren Konkrete Beobachtungsaufgaben stellen Gründe für das Zeigen des Films nennen

• Beim Vorführen des Films: – Ganz zeigen oder nur wichtige Ausschnitte – Am Stück oder mit Unterbrechungen – Einmal oder mehrmals zeigen

• Nachbereitung: – Missverständnisse/Unklarheiten beheben – Kernaussagen zusammenfassen, Aussagen formulieren Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.5 Das Schulbuch • Fachliche Funktionen: – Fachinhalte darstellen und strukturieren (Sachbuch) – Einführung in die Fachsprache – Fachspezifische Arbeits- und Betrachtungsweisen vorstellen – Übersicht für Schüler (schnelle Orientierung) – Wiederholung des Stoffes

• Pädagogische und lernpsychologische Funktionen: – Vermittlung von Arbeitstechniken im Umgang mit Texten – Durch ansprechende Darstellungen motivieren – Selbstständiges Lernen anregen und fördern (Befähigung zu autonomem Lernen) – Individuelles und differenziertes Lernen ermöglichen – Umgang mit Literatur schulen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.5 Das Schulbuch • Funktion als Material für den Unterricht: – Materialien bereitstellen, wie Bilder, Tabellen, Texte – Arbeitsbuch: Aufgaben (Übungsbuch) – Arbeitsbuch: Versuchsanleitungen (Experimentierbuch)

• Bemerkungen: – Physik-Schulbücher werden im Unterricht kaum genutzt. – Zu den Schulbüchern gibt es Aufgabensammlungen, Versuchsanleitungen, Praktikumshefte, Formelsammlungen, Multimediaprogramme. – Lehrer muss mit dem lehrmittelfrei eingeführtem Buch klar kommen (selektive Auswahl). Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.5 Das Schulbuch • Beispiele für konkrete Kurzeinsätze im Unterricht: – Abbildung im Buch dient zum motivierenden Einstieg in die Stunde. – Eine schematische Zeichnung gibt Anlass, die Funktion eines technischen Gerätes zu klären oder eine Modellvorstellung zu verdeutlichen. – Die Klasse diskutiert ein Diagramm oder eine Tabelle. – Schüler führen ein Experiment nach Anleitung durch das Buch durch. – Eine Textpassage, z.B. ein historischer Bericht, wird gemeinsam gelesen. – Unbekannte Begriffe, Gesetze, Formeln oder Zahlenwerte werden nachgeschlagen. – Die Schüler bearbeiten Übungsaufgaben aus dem Buch.

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5.2.5 Das Schulbuch • Anforderungen an Schulbüchern: 1. Auf Lehrplan abgestimmt 2. Schülergerechte Darbietung 3. Wissenschaftliche Zuverlässigkeit 4. Darstellung wissenschaftlicher Arbeitsweisen (1. durch Kultusministerien sichergestellt, 2.-4. nicht immer gegeben)

• Tendenz bei Schulbüchern: – Attraktive Abbildungen und graphische Darstellungen statt Grau in Grau – Einfachere Sprache statt schlecht verständliche Sprache mit zu vielen Fachwörtern Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.5 Das Schulbuch • Weitere Schwächen von Schulbüchern: – Distanzierte autoritative Aussagen in entpersonalisierten Texten – Präzision zu Lasten einer auf die Lernenden bezogenen Begriffsentwicklung – Eingeschränkter Kontext nur in fachspezifischen Grenzen – Eingeschränkte Syntax (kurz und knapp), die nicht das Verständnis fördern – Starres monotones rhetorisches Muster ( nachlassende Aufmerksamkeit) – Tun in den Naturwissenschaften vorrangig vor das Nachdenken – Theorie ergibt sich scheinbar wie von selbst aus den Daten. – Naturwissenschaftliches Wissen erscheint als zwangsläufige Resultat richtigen Vorgehens (kein selbstkritisches Ringen um Erkenntnis, keine falschen Wege). – Physik nur rational erscheinen lassen, frei von Befürchtungen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.5 Das Schulbuch • Funktion der Schulbücher in der Unterrichtsplanung des Lehrers: – Interpretation des Lehrplans – Orientierungshilfe bzgl. Gliederung, Stoffauswahl, Beispielen, Experimenten, Einstiege – Quelle für ergänzendes Wissen (Geschichte, Technik, angrenzende Fachgebiete) – Anregung für die Unterrichtsgestaltung – Arbeitserleichterung bei der Unterrichtsvorbereitung – Konkretisierung fachdidaktischer Ansätze – Lehrerfortbildung – Reform des Physikunterrichts Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.2.6 Weitere Medien • Episkop: ersetzt durch Kopien auf Folie • Diaprojektor: durch Farbfolien und Beamer ersetzt • Poster / Wandbilder, z.B. historische Entwicklung oder großtechnische Anlagen, kurzfristiger Einsatz oder dauerhafte Präsentation • Technisches Anschauungsmaterial, z.B. aufgeschraubte Geräte • Anschauungsmodelle, z.B. Gitterstruktur eines Festkörpers • Funktionsmodelle: Zeigen Funktionsweise, z.B. Ottomotor Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zusammenfassung • Medien haben verschiedene Funktionen: – Informationsquelle, Motivation, Veranschaulichung, Erarbeiten, Wiederholung, Übung, Kontrolle, Individualisierung, Differenzierung

• Auch hier gilt wie bei Methoden: – Nutzen Sie die Vielfalt der verschiedenen Medien – Achten Sie beim Einsatz auf medienspezifische Besonderheiten – Nutzen Sie einen möglichen Mehrwert durch die Kombination von Medien – wo sinnvoll!

• Aufgaben des Lehrers: – Kenntnis der Codesysteme sicherstellen – Informationsdichte angemessen wählen – Steuerung der Aufmerksamkeit – Verarbeitungstiefe garantieren Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3 Computer im Physikunterricht • Gliederung: 5.3.1 Grundlegendes 5.3.2 Lernprogramme 5.3.3 Messwerterfassung und -reproduktion 5.3.4 Simulationen 5.3.5 Information und Präsentation 5.3.6 Kommunikation und Kooperation

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5.3.1 Grundlegendes • Gliederung: 5.3.1.1 Funktionen des Computereinsatzes 5.3.1.2 Animationen 5.3.1.3 Werkzeuge (cognitiv tools)

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Funktionen • Praktische Funktionen – Orientierungs- und Strukturwissen im Umgang mit Computern / Neuen Medien – Handlungskompetenz für die Nutzung

• Fachliche Funktionen – – – –

Messwerterfassung und –auswertung (siehe 5.3.3) Simulation (siehe 5.3.4) Modellbildung (siehe 5.3.4) Informations- und Datenressource

• Pädagogische Funktionen – Analyse- und Urteilsfähigkeit von Gestaltungsmöglichkeiten – Nutzungsvoraussetzungen und Wirkungen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Funktionen • Erkenntnismethodische Funktionen – Moderne Methoden der Physik – Theoriebildung ohne komplexe Mathematik – Experimentieren mit Ideen – Nachforschen

• Lernpsychologische Funktionen – Besseres Behalten durch mehrfache Kodierung – Visualisierung komplexer Vorgänge – Individuelles, selbstgesteuertes Lernen – Komplexe und realitätsnahe Probleme Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Animationen • Verbindung der Vorteile von Film und Standbild • Didaktische Funktion – Demonstration sequentieller Abläufe – Veranschaulichung kausaler Zusammenhänge – Visualisierung unsichtbarer Funktionen – Illustration von Beschreibungen – Darstellung visueller Analogien – Steuerung der Aufmerksamkeit – Hilfe, um Situation in Erinnerung zu behalten – Darstellung physikalischer Größen im Kontext der Situation. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Animationen • Spezialfall „dynamisch ikonische Repräsentationen“: – Physikalische Größen einer Messung oder einer Simulation werden durch Pfeile, Flächen, Säulen, Linien etc. dargestellt, deren Größe die Größe der physikalischen Größe darstellt. – Aussagen und Zusammenhänge leichter zu erfassen, als bei Zahlen oder bei Graphen – Können beim Übergang zu Graphen helfen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Werkzeuge • Cognitiv Tools sind Hilfswerkzeuge bei der geistigen Arbeit (keine physikspezifischen Werkzeuge). • Beispiele: – Textverarbeitungssysteme (mit Rechtschreibprüfung) – Präsentationsprogramme – Funktionsplotter – Tabellenkalkulationsprogramme – Computeralgebrasysteme (CAS)

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5.3.2 Lernprogramme 1. Klassische Übungsprogramme: – (1) Anbieten einer Aufgabe, (2) Registrieren der Antwort, (3) Bewertung, (4) Überleitung zur nächsten Aufgabe – Veraltete Lernvorstellung (behavieristisch)

2. Tutorielle Programme: – Erst Information, dann Verständnisfragen. Abhängig von Antwort weitere Informationen.

3. Lernumgebungen: e-Learning (z.B. Moodle) • In Physik kaum gute Programme vorhanden. • In anderen Fächern häufiger. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.3 Messwerterfassung • Tatsächliche Größen eines physikalischen Ablaufs werden vom Computer gemessen, weitere physikalische Größen daraus berechnet, Ergebnisse dargestellt. • Die Messwerte können abgespeichert werden und später wieder aufgerufen werden. • Werden herkömmlich gemessene Daten in den Computer zur Darstellung eingegeben, ist das keine computerbasierte Messwerterfassung! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.3 Messwerterfassung • Das historisch Erste war die Spannungsmessung mittels AD-Wandlern (1980er Jahre im Unterricht). • Heute gibt es zu Messwerterfassungssystemen eine Vielzahl spezieller Sensoren, um physikalische Größen zu erfassen. • Ein besonderes Messverfahren für Bewegungen ist die Videoanalyse. • Ein Spezialfall für Messwertreproduktion sind Interaktive Bildschirmexperimente (IBEs). • Sehr speziell: Remote Controlled Laboratory (RCL) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.3 Messwerterfassung • Vorteile: – – – – – – –

Viele Messwerte in kurzer Zeit aufnehmbar Automatische Erfassung in großen Zeiträumen Viele Möglichkeiten der Präsentation der Daten Viele Möglichkeiten der Auswertung der Daten Auswertung und Darstellung in Echtzeit möglich Zeitersparnis, Wiederholung mit anderen Parametern Daten sind gespeichert, können z.T. auch langsamer ablaufen

• Gefahren: – Komplizierte Messungen und zu schnelles Vorgehen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.3 Messwerterfassung • Produktnamen für Messwerterfassungssysteme: – Sehr gute, international viel benutzte Programme sind: Datastudio (Pasco, USA) und Coach (aus Niederlanden), die beide in Deutschland kaum benutzt werden. – Die Marktmacht in Deutschland hat Cassy (Firma LD-Didaktik), was nur historisch zu verstehen ist. – Ergebnisse zweier Erhebungen 2004 und 2009: Prof. Dr. Thomas Wilhelm

Umfrage Name (Firma)

Unterfranken 2009, N=98

Rh-Pfalz 2004, N=293

Cassy (Leybold)

63 %

53 %

PAKMA (Uni Wü)

24 %

2%

DataStudio (Pasco)

17 %

0%

Cobra (Phywe)

2%

4%

Coach (CMA)

1%

0%

Lap Pro (Vernier)

0%

2%

DiBox

0%

2%

CBL (TI)

0%

1%

Corex (Cornelsen)

0%

1%

Eigenbau

0%

1%

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Videoanalyse • Digitale Videos von Bewegungen heute problemlos möglich. • Videos enthalten Orts- und Zeitinformationen (Einzelbilder in festen Zeitabständen). • Ist eine Referenzlänge bekannt, kann jeder Ort berechnet werden. • Früher: Folie auf Fernsehbildschirm gelegt und mit Lineal abgemessen. • Heute Computerprogramm, das die Berechnung und Darstellung übernimmt (sehr unterschiedliche). • Ortsmessung durch Mausklick oder durch intelligentes Programm. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Videoanalyse • Produktnamen für Videoanalysesysteme: – Einfache, billige Klick-Programme, bei denen die Auswertung nur manuell möglich ist: • Deutsch: DiVa (aus Augsburg!), Gallileo, David, ViMPS, Easyvid, VideoAnalyzer, DOTSPOT • Englisch: VideoPoint, World-in-Motion

– Programme, die eine automatische Auswertung haben: • Viana, Coach (funktioniert schlecht, da nur Farbanalyse) • AVA (Erprobungszeitraum abgelaufen) • measure Dynamics (sehr sehr gut, teuer, mit vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Videoanalyse • Vorteile: – Interessante Alltagsbewegungen sind analysierbar. – Berührungsfreies Messen ist möglich. – Zweidimensionale Bewegungen sind messbar. – Schüler können selbsttätig analysieren. – Auch zu Hause möglich, wenn Videos vorhanden.

• Probleme: – Es sind gute Videos nötig (verzerrungsfrei, hohe Framerate) – Hohe Messungenauigkeit (Beschleunigung!) – Nur in der Mechanik einsetzbar. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Interaktive Bildschirmexperimente • Interaktive Bildschirmexperimente (IBEs): – Fotos von Realexperimenten werden in Abhängigkeit verschiedener Parameter gespeichert. – Der Anwender manipuliert scheinbar mit der Maus das Experiment und bekommt zu seinen Einstellungen das passende Foto. – Es entsteht der Eindruck, man würde experimentieren. – Moderne IBEs erlauben viele Einstellungen, auch solche, die nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen (wie beim realen Experimentieren). – Beispiele: 1. Generation: , aktuelle:  Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Interaktive Bildschirmexperimente • Vorteile: – Ersatz aufwendiger, teurer oder gefährlicher Realexperimente – Lernen durch Eigenerfahrung – kostengünstig „Schülerexperimente“ möglich – beliebige Wiederholung der Experimente, auch zu Hause, möglich.

• Nachteile: – Experimente nicht real – Es ist vorgegeben, was man verändern kann. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.4 Simulationen • Nachbildung ausgewählter Realitätsaspekte • Im Hintergrund liegt ein vereinfachtes mathematisches Modell (Konkretisierung einer Theorie). • Simulationen ermöglichen, Elemente zu variieren • Darstellung möglichst mit Animationen • Vielfältiges Angebot kleinerer Simulationen vorhanden (gute und schlechte) • Lehrer muss erklären und anleiten. • Beispiel:  Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.4 Simulationen • Wann nutzt man Simulationen? – Wenn die Experimente zu teuer, aufwändig oder gefährlich sind, – wenn ein reales System nicht existiert, – wenn ein reales System nicht beobachtet werden kann, – wenn ein reales System zu komplex ist, – wenn Parameter einfach und schnell verändert werden sollen.

• Simulationen in der Schule: – Systeme bzw. Situationen können vereinfacht werden, – Abhängigkeiten können gezielt untersucht werden. – Achtung: Ohne Lernumgebung können die Schüler überfordert werden. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.4 Simulationen • Vorteile: – Abstraktion und didaktische Vereinfachung (Reduktion) – Substitution realer Größen durch modellspezifische Größen: Bildhafte und symbolische Darstellungen – Einfachheit (wenig grundlegende Annahmen) – Reproduzierbarkeit (Üben) – Wertvoll, wenn reale Situation schwer zugänglich

• Nachteile: – Schüler muss Analogie zur Realität sehen (kein Spiel) – Gefahr, dass sie Realexperimente ersetzen statt ergänzen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.4 Simulationen • Existierende vorgefertigte Simulationen sind sehr unterschiedlich: – Realistische Simulationen vs. erfundene Welten – Eingreif- und Steuermöglichkeiten sehr unterschiedlich – Berechnung selbst unterschiedlich einsehbar – Didaktische Qualität sehr unterschiedlich – Unterschiedliche technische Realisierungen: • Datenträgerbasierte Simulationen – DOS-Programme (sehr alt, aber noch im Einsatz) – Windows-Programme

• Browserbasierte Applets/Physlets – Suchen und runterladen mit www.natsim.net Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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5.3.4 Simulationen • Bekannte Simulationsplattformen:

Albert

Walter Fendt

Physlets (W. Christian) Crocodile Physics/Yenka Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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PAKMA

PhET WS 2011/12

5.3.4 Simulationen • Links zu Simulationssammlungen: – Simulationen von Walter Fendt: http://www.walter-fendt.de/ – Crocodile Physics/Yenka: http://www.crocodile-clips.com/de/Physik/ – Simulationen Phet: http://phet.colorado.edu/simulations/index.php – Simulationen mit Cinderella.2: http://www.cinderella.de/files/HTMLDemos/ – Virtuelles Physiklabor von Prof. Matzdorf: www.physik.uni-kassel.de/en/virtuelles-physiklabor.html

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5.3.4 Simulationen • Interessant sind Simulationsprogramme wie Crocodile Clips, Albert, CliXX Physik oder PAKMA, bei denen unter einer Oberfläche verschiedene UnterRh-Pfalz Umfrage franken 2004, Simulationen laufen können. 2009, N=98

N=293

Applets

55 %

33 %

PAKMA

29 %

8%

Crocodile Physics

24 %

13 %

DOSProgramme

19 %

17 %

JPAKMA

8%

0%

Interactive Physics

7%

3%

CliXX Physik

7%

6%

Albert

6%

19 %

Name

• Welche Produkte von Simulationen nutzen Lehrer? – Programme, die mehrere Medien unter einer Programmoberfläche vereinen, werden kaum genutzt: • PAKMA: Messwerterfassung, Simulation, Modellbildung, Videos • Coach: Messwerterfassung, Modellbildung, Videoanalyse, Applets, Texte Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Modellbildung • Benutzer muss selbst die Zusammenhänge zwischen den Größen angeben. • Programm erstellt die anschließende Simulation durch numerische Integration. Umfrage Unterfranken Rh-Pfalz 2009, N=98 N=293 • Es gibt: gleichungsorientierte Name 63 % 2% Tabellenkalk. Modellbildung mit einer 17 % 2% VisEdit/PAKMA Programmiersprache und Newton-II 15 % 0% graphisch orientierte 12 % 0% JPAKMA Modellbildung mit spezieller 4% 18 % Dynasys Software STELLA 1% 4% • Ausgabe meist nur mit 0% 5% Modus Graphen, bei VisEdit und 0% 3% Modellus 4 auch als Animation. Moebius Powersim 0% 3% • Welche ModellbildungsCoach 0% 1% systeme nutzen Lehrer? Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Modellbildung Symbole bei graphisch orientierten Modellbildungssystemen: Programm

Vorgabegröße

Zwischengröße

(exogene Einwirkung)

Zustandsgröße (Speichergröße)

mit Veränderung STELLA Dynasys

Konstante

Einflussgröße

mit Änderungsrate

Konstante

Funktionsgröße

Sammelgröße

Powersim Modus Coach 5 VisEdit / PAKMA Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Modellbildung • Beispiel: Fall eines Fallkegels Modell:

Ausgabe/Simulation:

• Hier: – Verstehen eines Realexperiments, kein Ersatz – Umgehen anspruchsvoller Mathematik Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Modellbildung • Vorteile: – Physikalische Strukturzusammenhänge visualisieren – Lernprozesse beim Modellerstellen, Rückmeldung beim Ablauf – Ausrichtung auf tägliche komplexe Erfahrungswelt, Einbeziehen von Reibung – Komplexe Aufgaben, keine Überbetonung von Rechenaufgaben – Hypothesen über Beziehungen zwischen Größen aufstellen und testen – Keine speziellen Bewegungsfunktionen, sondern grundlegende Zusammenhänge Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Virtuelle Welten • Speziell: Virtuelle Welten = Simulationsbaukästen – Programme kennen die ganze Physik – Nutzer muss nur die gewünschte Situation in einer zweidimensionalen Welt erstellen – Beispiele: • Interactive Physics • Freewaresoftware „Phun“ und kostenpflichtige Nachfolgerversion „Algodoo“ • Am bekanntesten ist „Crocodile Physics“, Nachfolgeprogramm heißt „Yenka Physik“ Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Virtuelle Welten • Beispiele mit Interactive Physics:    • Beachte den Unterschied: – Bei Simulationen ist die Situation vorgegeben und es werden nur Parameter variiert. – Bei Modellbildung muss alles selbst erstellt werden, die physikalischen Zusammenhänge müssen eingegeben werden. – Eine virtuelle Welt kennt die gesamte Physik schon richtig. Man erzeugt sich nur die Situationen.

• Vorteile: – Experimentieren mit Ideen, Nachforschen – Visualisieren, Erstellen von Animationen

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5.3.5 Information und Präsentation Beispiele: • Das World Wide Web oder CD-ROMs dienen als Informationsquelle in Projekten, in offenem Unterricht oder für Hausaufgaben. • Schülergruppen präsentieren ihre eigenen Ergebnisse mit Powerpoint, auf der Schulwebseite, in einem Blog etc.

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5.3.6 Kommunikation + Kooperation Beispiele: • Schüler nehmen in einem Projekt Verbindung zu Experten auf und holen so Informationen ein. • Schüler (auch verschiedener Schulen, auch länderübergreifend) führen ein gemeinsames Projekt durch (E-Mail, Forum, Chat). • Schüler kommunizieren über E-Mail mit ihrem Lehrer.

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5.3.6 Kommunikation + Kooperation • Just-in-Time-Teaching (JiTT) – Unterrichtsvorbereitung, die auf Rückmeldungen von Schülern aufbaut, unter Verwendung von Webseiten mit Email-Links oder Webformularen – zur motivierenden Vorbereitung von neuen Themen – für Simulationen als Hausaufgabe – zur Erfolgskontrolle nach dem Unterricht – Motivation der Schüler durch Diskussion über eigene Formulierungen – Unterricht besser vorhersagbar – zurückhaltende Schüler bekommen eine Chance, sich auszudrücken – besser vorbereitete Schüler – Beispiel:   Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Was wird eingesetzt? Untersuchung: Physik-Gymnasiallehrer in Unterfranken 2009 Unterrichtseinsatz der experimentellen Physikmedien: PC-Messwerterfassung, Interaktive Bildschirmexperimente und Videoanalyse

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Unterrichtseinsatz der theoretischen Physikmedien: Simulationen, Modellbildung, Informationsmedium Internet und Kommunikationsmedium Internet

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Was wird eingesetzt? • Wie viele Lehrkräfte setzen was ein? 2009: – – – – – – –

Infos Internet Simulationen PC-Messung IBEs Modellbildung Kommunikation Videoanalyse

94 % 83 % 82 % 67 % 56 % 46 % 35 %

• Lehrkräfte, die noch nie den Computer einsetzten: – 2004 in Rheinland-Pfalz: – 2009 in Unterfranken: Prof. Dr. Thomas Wilhelm

7% 1%

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Zusammenfassung • Der Computereinsatz: – ist nicht an sich positiv, – kann gut und schlecht genutzt werden, – eröffnet neue Möglichkeiten zur Motivation und zur Aktivierung der Schüler, – kann durch geschickte Darstellungen zum Verständnis helfen.

• Und auch hier gilt: – Nutzen Sie die Vielfalt der verschiedenen Medien. – Achten Sie beim Einsatz auf medienspezifische Besonderheiten. – Nutzen Sie einen möglichen Mehrwert durch die Kombination von Medien – wo sinnvoll! – Machen Sie sich vor der Nutzung damit vertraut. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6. Experimente Gliederung: 6.1 Didaktische Gründe für Experimente 6.2 Klassifikation von Schulexperimenten 6.3 Schülerexperimente 6.4 Freihandexperimente 6.5 Ratschläge für den Aufbau 6.6 Ratschläge für das Vorführen 6.7 Weitere Ratschläge Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zielsetzung Am Ende dieses Abschnitts sollen Sie • die zahlreichen Funktionen von Experimenten in der Schule kennen, • Schulexperimente klassifizieren können, • den Einsatz von Experimenten unter lernpsychologischer, wahrnehmungspsychologischer, pädagogischer, motivationspsychologischer und fachwissenschaftlicher Sicht erörtern können, • die Bedeutung von Schülerexperimenten diskutieren können. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Grundlegendes • In der Physik: – Experiment ist wiederholbares, objektives Verfahren zur Erkenntnisgewinnung, jederzeit reproduzierbar. Von Bedeutung sind quantitative Experimente. – Ein einzelnes Experiment beweist oder widerlegt keine Theorie. – Experimente sind theoriegeleitet.

• In der Schule: Vor allem qualitative Experimente als Realitätserfahrung. • In der Didaktik manchmal Unterscheidung zwischen Experiment und Versuch, hier Synonyme. • Didaktische Sicht: Experimente sind auch Mittel zur Veranschaulichung, also ein Medium; Experimente zeigen Phänomene und Effekte. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.1 Gründe/Funktionen • Phänomene darstellen – z.B. Magnetfeld, E-Feld, Brechung, Trägheit

• Physikalische Konzepte veranschaulichen – z.B. geradlinige Lichtausbreitung mit Nebelmaschine

• Grunderfahrungen auf- bzw. ausbauen – z.B. für Kreisbewegung Stöße nach innen nötig

• Physikalische Gesetzmäßigkeiten erfahren – z.B. Kraftwandler

• Theoretische Aussagen prüfen – z.B. Klingel im Vakuum Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.1 Gründe/Funktionen • (Schüler-)vorstellungen prüfen – z.B. Verbrauchsvorstellung beim elektrischen Strom

• Physik in Technik und Alltag aufzeigen – z.B. Motore, Lautsprecher, Sensoren

• Denkanstöße geben, Denkstrategien entwickeln – z.B. verblüffende Spiegelbilder

• Physikalische Vorstellungen aufbauen – z.B. Modelle für Mondphasen, Mond- und Sonnenfinsternis

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6.1 Gründe/Funktionen • Physikalische Gesetze quantitativ prüfen – z.B. ohmsches Gesetz, Hooke‘sches Gesetz

• Physikalische Arbeitsweisen einüben – z.B. Widerstandskennlinie aufnehmen

• Motivieren und Interesse wecken – z.B. Eisenschiff schwimmt

• Nachhaltige Eindrücke vermitteln – z.B implodierende Coladose, Eissprengung

• Meilensteine der Kulturentwicklung aufzeigen – z.B. Gravitationsgesetz, brownsche Bewegung, Induktion Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.2 Klassifikation von Experimenten 6.2.1 Klassifizierung nach Akteuren: – Unterrichtsexperimente – Demonstrationsexperimente – Schülerexperimente

6.2.2 Klassifizierung nach Realitätsbezug: – Konkretes Objekt – Gegenständliches Modell – Simulation am Computer – Gedankenexperiment Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.2 Klassifikation von Experimenten 6.2.3 Klassifizierung nach technischem Aufwand: – Freihandversuche – Experimente mit Lehrmittelgeräten – Präzisionsexperimente

6.2.4 Klassifizierung nach Art der Datenerfassung: – Qualitativ – Quantitativ

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6.2 Klassifikation von Experimenten 6.2.5 Klassifizierung nach Unterrichtsphasen: – Einstiegsversuch • Überraschung, Aktivierung von Vorerfahrung

– Erarbeitungsversuch • Hypothesen testen, Gesetze finden, Gültigkeitsbereich testen

– Versuch zur Vertiefung • Wiederholung in abgewandelter Form, Erweiterung

6.2.6 Klassifizierung nach Ablaufsform: – Einzelversuch – Parallelversuch – Serienversuch Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.3 Schülerexperimente 6.3.1 Definition • Vage Definition: Schülerexperimente sind Unterrichtsphasen, bei denen Schüler mit Geräten arbeiten und damit physikalische Versuche durchführen. • Möglich: – Im Klassenverband oder in Kleingruppen – Im regulären Unterricht oder in Blockform – Zur Einführung, Erarbeitung oder Vertiefung – Enge Führung oder selbstständiges Bearbeiten selbst gewählter Probleme – Alltagsmaterialien oder Laborgeräte – Reproduktion von Bekanntem oder Suchen von Neuem – Ziel: Fachwissen oder Interesse oder Arbeitsmethoden Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.3 Schülerexperimente 6.3.2 Geschichte: • Praktika an den Unis bereits im 19. Jahrhundert • In der Schule Ende des 19. / Anfang des 20. Jhdts. (z.B. Meraner Beschlüsse 1905) • In den 1960er Jahren neuer Aufbruch durch den SputnickSchock. • Große Rolle besonders in englischen Schulen. • Heute nur wenig Schülerexperimente in der Schulpraxis. • Evtl. neuer Aufbruch durch Bildungsstandards.

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6.3 Schülerexperimente 6.3.3 Verfolgte Ziele (zu viele!) • Erfahrungen mit experimentellen Untersuchungen • Erlernen experimenteller Fertigkeiten und Erwerb fachspezifischer Handlungsschemata (Arbeitsmethoden) • Vertiefung begrifflichen Wissens • Verständnis für die Wissensgenerierung in der Physik • Entwicklung kollaborativer Fähigkeiten (soziales Verhalten) • Entwicklung angemessener Einstellungen und Werthaltungen • Entwicklung naturwissenschaftlicher Denk- und Kommunikationsprozesse • Motivation der Schüler Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.3 Schülerexperimente 6.3.4 Probleme • Experimentieren ohne nachzudenken – Befolgen Kochrezepte („very busy getting nowhere“), Überforderung

• Unterschiedliche Wahrnehmung der Ziele zwischen Lehrer und Schüler – Schüler: Experimentieren ist Gerätebedienen.

• Mangelnde Vorkenntnisse der Schüler – Schüler kennen nicht den Sinn von Experimenten.

• Kaum Effekte beim Wissenserwerb oder bei Einstellungen • Schüler verbinden Theorie und Praxis nicht. • Einfluss der Alltagsvorstellungen – Schüler nehmen entsprechend den Fehlvorstellungen wahr.

• Mangelnde Vermittlung experimenteller Fähigkeiten • Kochbuchartige Handlungsanweisungen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.3 Schülerexperimente 6.3.5 Weitere Vorteile • Beteiligung der Schüler • Lernen durch Eigenerfahrung • Individualisierungsmöglichkeiten

6.3.6 Praktische Schwierigkeiten in der Schule • Hoher Anforderungen an die Ausstattung • Hoher Aufwand bei Vorbereitung und Durchführung • Begünstigung disziplinärer Schwierigkeiten

6.3.7 Neuere Forderungen • • • •

Aktivierung höherwertiger kognitiver Prozesse Größere Offenheit Größere Authentizität der Problemstellung Metakognitive Arbeiten unterstützen

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6.3 Schülerexperimente 6.3.8 Empirische Forschungsergebnisse •

Die Wirksamkeit von Schülerexperimenten konnte trotz intensiver langjähriger Forschung NICHT belegt werden: – bzgl. der Vermittlung kognitiven Wissens und – bzgl. experimenteller Fähig- und Fertigkeiten und – bzgl. den Einstellungen der Schüler.



Schlussfolgerung einer neuen Forschungsarbeit: „Selbst das Einbeziehen verschiedenster Forderungen an erfolgreiche Schülerexperimente wie Offenheit, Authentizität usw. führt immer noch nicht zu verbessertem Lernen oder positiveren Einstellungen der Schülerinnen und Schüler. Die alte didaktische Forderung nach dem vermehrten Einsatz von Schülerexperimenten ist nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchungen als Mythos zu bewerten.“ (Prof. Dr. Martin Hopf)

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6.3 Schülerexperimente 6.3.9 Organisationsformen • Arbeitsgleiches Experimentieren („auf gleicher Front“): Jede Gruppe macht das Gleiche (gleichzeitig unter Anweisung oder nach vorhergehender Besprechung).

• Übergangsform: Gleiches Verfahren, aber verschiedene Gegenstände.

• Arbeitsteiliges Experimentieren (“mit mehrseitigem Angriff“): Problem wird von Gruppen mit verschiedenen Verfahren gelöst.

6.3.10 Geräte beiholen • Je nach Erfahrung: 1. Geräte liegen auf Arbeitsplatz, 2. Ein Schüler pro Gruppe holt vom Gerätetisch, 3. Schüler muss von Gerätetisch aussuchen, 4. Schüler holt aus Schrank. • Schüler räumen auf (aber nicht in Schrank!). Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.4 Freihandexperimente 6.4.1 Definition • Versuche aus der Hand heraus, d.h. die Hand ist Halterung, Stativ, Auslöser. • Versuche mit einfachen Mitteln, Gegenstände des täglichen Lebens. • Aber auch einfache Gegenstände der Physiksammlung. • Wesentlich: Phänomen/Effekt wird deutlich sichtbar. • Es löst Erstaunen aus wie Zauberkunststücke. • Also nur qualitative Versuche.

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6.4 Freihandexperimente 6.4.2 Geschichte • Bereits im Altertum verwendet (z.B. Aristoteles, Heron) • Auf Jahrmärkten im Mittelalter von Gauklern verwendet • Im 30-jährigen Krieg als gedruckte Sammlung in Französisch • Im 18. und 19. Jhdt. in populärwissenschaftlichen Vorträgen • Vom Physiklehrer Bernhard Schwalbe gesammelt (>1800) • Vom Kollegen Hermann Hahn 1905 veröffentlicht. • Heute zu finden in: Bücher für Kinder und Jugendliche, spezielle Bücher für Physiklehrer, fachdidaktische Zeitschriften. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.4 Freihandexperimente 6.4.3 Vorteile: • • • • •

Es wird sichtbar: Physik hat mit der realen Welt zu tun. Emotionale und motivationale Wirkung. Zu Hause nachmachbar. Sie lösen einen kognitiven Konflikt aus. Sie brauchen wenig Unterrichtszeit.

6.4.4 Kritik: • Manche funktionieren nicht. • Es handelt sich um Spezialfälle. • In der Regel sind es komplexe Versuche mit mehreren Gesetzmäßigkeiten. In der Erklärung wird übervereinfacht. • Schüler faszinieren auch Laborgeräte. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.5 Ratschläge für den Aufbau 6.5.1 Nur das Wesentliche – – – –

Nebeneffekte ausblenden (zumindest anfangs) Weitere Experimente abdecken oder räumlich getrennt stellen Keine Experimente anderer Stunden auf dem gleichen Tisch Keine unnötigen Geräte auf dem Tisch

6.5.2 Strukturierter Aufbau – Kabelverbindungen möglichst kurz – Kein Kreuzen von elektrischen Kabeln – Farbwahl elektrischer Kabel nach deren Funktion (Stromkreis, Spannungsmessung) – Teilsysteme räumlich trennen oder zusammenfassen – Von links nach rechts aufbauen (z.B. links Primärspule/rechts Sekundärspule; links angelegte Spannung, rechts gemessener Stromstärke) – Spannungsquellen und andere Versorgungsgeräte in den Hintergrund, evtl. nicht sichtbar (nur Symbol) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.5 Ratschläge für den Aufbau 6.5.3 Betonung des Wesentlichen – Eigentliches Versuchsobjekt zentral anordnen – Wichtige Geräte beschriften

6.5.4 Gute Sichtbarkeit – – – – –

Vertikaler statt horizontaler Aufbau Podeste und Regale für verschiedene Ebenen nutzen Messgeräte mit großen Anzeigeskalen Kleine Aufbauten mit Schatten- oder Videoprojektion Wichtige Bedienelemente sollen sichtbar sein

6.5.5 Orientierungshilfen – Schaltung auf Tafel oder Folie mit gleicher Anordnung und gleichen Farben Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.6 Ratschläge zum Vorführen 6.6.1 Ablauf gliedern – Relevante Zeitabschnitte herausarbeiten (z.B. Einschwingvorgang) – Zeitlich gegliederter Ablauf räumlich nachbauen (von links nach rechts, von oben nach unten) – Komplexen Ablauf mehrmals mit verschiedenen Beobachtungsaufgaben zeigen – Schnelle Abläufe mehrmals zeigen, zusätzlich als Film in Zeitlupe

6.6.2 Schüler motivieren – – – –

Ablauf spannend gestalten keine Effekte vorwegnehmen Schülern Aufgaben zuteilen Vorhersagen machen lassen (nicht kommentieren, nur sammeln)

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6.6 Ratschläge zum Vorführen 6.6.3 Idealen Standort suchen – Blick auf Medien nicht versperren – Sich links vom Experimentiertisch stellen – Nicht längere Zeit hinter einem Tisch stehen

6.6.4 Ruhiger Stand des Experimentators – Nicht viel Bewegung in den Beinen. Ruhiger Stand gibt Sicherheit und zeigt Souveränität. – Bei Themenwechsel ruhig Standort verändern – Beim Ansprechen der Klasse auf diese zugehen – Frei stehen, nicht anlehnen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.7 Weitere Unterrichtstipps Tipps aus lernpsychologischer Sicht: • Versuchsinhalte mit vorhandenen Konzepten verknüpfen • Verwendete Darstellung müssen Schülern vertraut sein. • Wichtige Teilschritte sollen als solche erkennbar sein. • Schüler sollen im Versuchsablauf Zusammenhänge erkennen können. • Aufbau, Ablauf und Ergebnis werden in verschiedenen Repräsentationsformen festgehalten (Foto und Schaltbild; verbal, schriftlich, graphisch)

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6.7 Weitere Unterrichtstipps Tipps zur Vorbildwirkung (erzieherische Sicht): • präzises Arbeit beim Experimentieren zeigen, • auf Sicherheitsaspekte hinweisen und sie selbst befolgen, – z.B. elektrische Schaltungen zur Quelle hin aufbauen, erst nach Prüfung anschalten, Schutzvorrichtungen verwenden

• sachgerechter Umgang mit Messgeräten, – z.B. im höchsten Messbereich einschalten

• Verbrauchsmaterial sachgerecht entsorgen, • korrekte Fachsprache bei der Beschreibung experimenteller Anordnungen oder Abläufe verwenden Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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6.7 Weitere Unterrichtstipps Tipps zum Einführen physikalischer Denk- und Arbeitsweisen: • Schüler sollen erfahren, wie physikalische Erkenntnisgewinnung aussieht und welchen Beitrag Experimente liefern. • Experimentieren im Unterricht sollte fünf Schritte haben: – Problematisieren – Hypothesenbildung – Entwicklung der experimentellen Anordnung und des Versuchsplanes – Durchführen und Kontrolle der Parameter – Deutung der beobachteten Effekte bzw. Messwerte Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zusammenfassung • Experimente haben zahlreiche und äußerst unterschiedliche Funktionen im Schulunterricht. • Es gibt viele verschiedene Arten von Schulexperimenten. • Schülerexperimente sind eine Möglichkeit zur Methodenvielfalt. Dass Schüler dadurch besser lernen, ist ein Mythos. • Beim Einsatz von Experimenten in der Schule sind viele Aspekte zu beachten. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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7. Evaluation Gliederung: 7.1 Begriffsklärung und Grundlagen 7.2 Individualebene (Messung des Lernerfolgs)

7.3 Unterrichtsebene (Bewertung des Unterrichts)

7.4 Systemebene (Bewertung des Bildungssystems)

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7.1 Begriffsklärung und Grundlagen Ziele dieses Abschnitts: Am Ende dieses Abschnitts sollen Sie • das Konzept Evaluation erläutern können, • das Konzept Evaluation im Kontext Schule diskutieren können, • die verschiedenen Ebenen der Evaluation im Kontext Schule kennen, • grundlegende Gütekriterien der Evaluation erläutern können. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Was ist eigentlich Evaluation? Aus dem Duden: E|va|lu|a|ti|on, die; -, -en [lat.-frz.-engl.: frz. évaluation = Schätzung, évaluer = (ab)schätzen, lat. valere = stark, engl. evaluation "Berechnung, Bewertung„ → evaluieren] a) Bewertung b) Beurteilung

Aus einem Standardwerk (Bortz & Döring, 1995): „Evaluation umfasst die Bewertung des Erfolgs von gezielt eingesetzten Maßnahmen oder um Auswirkungen von Wandel in Natur, Kultur, Technik und Gesellschaft.“ Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Was ist eigentlich Evaluation? • Evaluation muss wissenschaftlichen Kriterien genügen (Bortz & Döring, 1995). In der Schule? • Evaluation ist eine Kunst des Möglichen (Cronbach, 1982). • Wissenschaftliche Kriterien oder pragmatische Auftragserfüllung? • Evaluation sollte so professionell wie möglich und so effizient wie nötig durchgeführt werden! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Evaluation im Kontext Schule? • Lernerfolg schließt neben Leistung weitere Aspekte ein. • Aber was ist Lernerfolg? Ein Lernerfolg liegt dann vor, wenn die von der Gesellschaft für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler gesetzten Ziele erreicht werden. • Und was ist mit den Zielen der Lehrer?

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Ebenen der Evaluation • Individualebene Gegenstand der Evaluation sind Merkmale, die dem einzelnen Schüler zuzuordnen sind. • Unterrichtsebene Gegenstand der Evaluation sind Merkmale, die dem Unterricht in einer Klasse (also z.B. dem Lehrer) zuzuordnen sind. • Bildungssystemebene Gegenstand der Evaluation sind Merkmale, die nur dem Bildungssystem als Ganzem zuzuordnen sind. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Gütekriterien der Evaluation • Die Erfassung eines Merkmals einer Maßnahme erfolgt durch ein Messinstrument • Anforderungen an das Messinstrument – Objektivität (= Intersubjektivität): Das Ergebnis ist unabhängig vom Benutzer. – Reliabilität (= Zuverlässigkeit): Das Ergebnis ist im Rahmen kleiner Abweichungen reproduzierbar. Das Messinstrument misst also genau. – Validität (Gültigkeit): Das Ergebnis spiegelt das, was gemessen werden sollte, wieder. Das Messinstrument misst das, was es zu messen vorgibt (schwer zu prüfen!). Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zusammenfassung • Evaluation ist die Bewertung gezielter Maßnahmen. • Evaluation muss sowohl wissenschaftlichen Kriterien genügen wie auch pragmatisch sein. • Im Kontext Schule bedeutet Evaluation die Bewertung der mit dem Unterricht verbundenen Ziele; daraus ergeben sich drei Ebenen der Evaluation. • Evaluation muss objektiv, reliabel und valide sein. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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7.2 Individualebene Ziele dieses Abschnitts: Am Ende dieses Abschnitts sollen Sie • den Lernerfolg im kognitiven und nicht-kognitiven Bereich als zentrale Aspekte der Evaluation auf der Individualebene kennen, • Details der Messung von Lernerfolg im kognitiven und nicht-kognitiven Bereich kennen.

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Evaluation der Individualebene • Bemessung des Lernerfolgs: – Schule verfolgt das Ziel der Veränderung von kognitiven und nicht-kognitiven Variablen auf der Individualebene – Evaluation dient der Beurteilung, inwieweit die Schule dabei erfolgreich ist.

• Zu unterscheiden: – Lernerfolg im kognitiven Bereich – Lernerfolg im nicht-kognitiven Bereich

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Evaluation der Individualebene Funktionen der Messung des Lernerfolgs: • Rückmeldung für die Schüler • Rückmeldung für die Lehrkraft – Lernberatung der Schüler oder Eltern – Korrektur des eigenen Unterrichts

• Bewertung als Lernsituation • Disziplinierungsfunktion • Auslesefunktion

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Lernerfolg im kognitiven Bereich Kognitive Leistungen nach H. Roth: Kognitive Leistungen nach Bloom (1956): Reproduktion: Reine Wiedergabe von Sachverhalten in der behandelten Weise

Wissen: Reine Wiedergabe von Sachverhalten in der ursprünglichen Form

Reorganisation: Zusammenhängende Darstellung von Sachverhalten mit eigenen Worten

Verstehen: Fähigkeit, mitgeteilte Informationen umzuformen, zu interpretieren und zu verallgemeinern

Transfer: Übertragung eines Sachverhaltes auf einen ähnlichen Sachverhalt

Problemlösen: Anwendung von Bekanntem auf ein neuartiges Problem Prof. Dr. Thomas Wilhelm

Anwenden: Fähigkeit, allgemeine Regeln und Methoden in speziellen Situationen nutzen Analyse: Fähigkeit, Situationen in Elemente zu zerlegen und Abhängigkeiten aufzuzeigen Synthese: Fähigkeit, einzelne Elemente durch Kombination zu etwas Neuem zu verbinden Bewertung: Fähigkeit, Urteile zu fällen (z.B. Widerspruchsfreiheit) Allgemeine Fachdidaktik

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Lernerfolg im kognitiven Bereich Kognitive Leistungen nach Kircher (2001): 1. Wissen von Einzelheiten und Benennungen 2. Wissen über Begriffe und Theorien 3. Verstehen von Zusammenhängen 4. Höhere kognitive Fähigkeiten 5. Bewerten

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Problem Rechenaufgaben • Problem: Überbetonung von Rechen- und Einsetzaufgaben (Formelsammlung statt physikalische Arbeitsweisen) – Rückwärtssuche

• Neue Aufgabenkultur: – Aufgaben mit unterschiedlichem Lösungsweg: • Lösen durch Anwenden verschiedener physikalischer Prinzipien • Konstruktions-/Bau-Aufgaben • Qualitative, graphische, halbquantitative oder pragmatische Lösungen

– Aufgaben mit variierendem Kontext – Aufgaben, die die Intuition fördern – Fehlerkartei, Fehlerwettbewerbe, Lernen aus Fehlern Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Neue Aufgabenkultur

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Antwortformen Gebundene Antwortform: • Mehrfachaufgaben = Multiple-Choice-Aufgaben • Richtig/falsch-Aufgaben • Zuordnungsaufgaben = Multiple-Select-Aufgaben

Freie Antwortform: • Ergänzungsaufgabe (Lückentext oder Lückenzeichnung) • Begriffsnetze erstellen lassen • Einige Sätze schreiben oder eine Zeichnung erstellen • Kurzaufsatz, längere Gedankenführung • Portfolios Nicht jede Form ist für jede kogn. Leistung gleich gut geeignet! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Inhaltliche Alternativen Alternativen zu Rechenaufgaben: • Beschreibung und Deutung eines Versuchs (bekannt oder real vorgeführt) • Beschreibung eines Ablaufs (z.B. Ottomotor, Dampfmaschine) • Erklärung eines Phänomens/eines Gerätes (z.B. Laser) • Grapheninterpretation • Aufgaben mit ikonischen Repräsentationen der physikalischen Größen • Usw. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Ikonische Darstellungen nutzen • Bildliche Darstellungen wie Säulen oder Pfeile – z.B. für Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kräfte, Ströme, Ladungen, Spannungen

• Ermöglicht anspruchsvolle Aufgaben ohne Mathematik, die Verständnis fordern. • Drei Beispiele aus einer Schulaufgabe (11. Klasse): – Senkrechter Wurf: Zeichne Kraft, Beschleunigung, Geschwindigkeit ein! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Ikonische Darstellungen nutzen – Kugel an Faden: Zeichne Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kraft ein!

– Fallbewegung mit geschwindigkeitsabhängiger Reibung!

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Lückentextaufgaben • Beispiel: – Metalle …….... den elektrischen Strom, Glas oder Kunststoff sind ………..….

• Lassen nur eng begrenzte Reaktion zu. • Reine Überprüfung der Wissensreproduktion, keine Verständnisaufgaben möglich. • Besser: Lückenbildaufgaben

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Lückenbildaufgaben • Zeichnungen sind zu vervollständigen, Konstruktionen sind nötig • Wissen und Verständnis • Freiere Antwort als bei Lückentext

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Lückenbildaufgaben Weitere Beispiele:

Zeichne die Kraft ein:

Zeichne die Magnetfeldlinien ein:

Zeichne die Bewegungsrichtung so ein, dass bei A Elektronenüberschuss auftritt:

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Multiple-Choice-Aufgaben Beispiel (TIMSS 99):

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Multiple-Choice-Aufgaben • Gegeben: Hohe Objektivität • Wichtig: Gute Distraktoren (schwierig) • Reliabilität leidet unter Ratewahrscheinlichkeit. • Abhilfe schafft: – Erhöhung der Distraktoren (schwierig) – Einführung einer Begründung – Erhöhung der Aufgabenzahl

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Begriffsnetze • Nicht-physikalisches Beispiel:

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Begriffsnetze • Darstellung der Wissensstruktur und des Verständnisses der Zusammenhänge • Analyse über Anzahl der Beziehungen und deren inhaltliche Deutung • Gute Analyse, aber komplex und aufwändig • Wenn Schülern geläufig, dann vielfach nutzbar: – Verständnis abprüfen (Begriffstrennung, Schlüsselbegriffe, Begriffsstruktur) – Schülern Wissensveränderungen aufzeigen – Als Hilfe für Textanalyse, Gliederungen, Stoffsammlungen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Aufgaben mit freier Antwort • Freie Formulierung einiger Antwortsätze oder Anfertigung einer Zeichnung • Beispiel: Angenommen Du hast einen Stabmagneten und einen gleich aussehenden Eisenstab. Wie kannst Du beide unterscheiden?

• Je nach Aufgabe: Wissen, Verstehen oder höhere kognitive Leistung • Niedrigere Auswerteobjektivität • Mögliche Optimierungen: – Bewertungsschlüssel als Abstufung zwischen bester und schlechtester Antwort – Kategorisierung der Antworten Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Aufsätze • Beispiel: Erläutern Sie die Entwicklung des Atommodells vom Dalton-Modell über das Rutherford-Modell zum BohrModell

• Starke Betonung individueller Charakteristiken • Eingeschränkte Erfassung spezifischer Fähigkeiten. Abhilfe durch Akzentuierung durch Teilaufgaben. • Bewertung - wie die Bewertung freier Aufgaben sehr schwierig.

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Portfolios • Anlehnung an die Mappe der Künstler • Sammlung von Dokumenten zu einer bestimmten Aufgabe bzw. zu einem bestimmten Thema • Beispiele: – – – –

Heimexperimente Eigene Berechnungen Erörterungen Diskussion von passenden Zeitungsartikeln

• Voraussetzungen – Klarheit der Lernziele – Klarheit, was als Erreichung der Lernziele angesehen wird Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Portfolios • Ebenfalls schlechte Auswerteobjektivität. Abhilfe: Bewertung der Portfolios durch die Schüler selbst • In den USA sehr beliebt, in Deutschland erst im Kommen • Bei Schülern beliebt • Häufig Sammler- und Jägertrieb bei den Schülern • Minimiert Prüfungsangst • Bewertung weniger punktuell und fußt auf Beiträgen, die über einen langen Zeitraum entstanden sind. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Lernerfolg im nichtkognitiven Bereich Zum Beispiel: • Einstellung zu Objekten • Selbstkonzept des Leistungsvermögens • Soziale Kompetenzen • Interesse und Motivation • Emotionen und Befindlichkeiten • Handwerkliche Fähigkeiten

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Lernerfolg im nichtkognitiven Bereich Typisches Instrument: Geschlossener Fragebogen •

Stammtext: Einführung in den Fragebogen



Items: Mindestens 4 Items



Mehrstufige Antwortskala (Likert-Skala): 3- bis 7-stufige Skala: sehr schlecht ... sehr gut



Zuordnung von Werten zu Stufen: sehr stark (5), …, sehr schwach (1)

Probleme: •

Tendenz zur Neutralität



Soziale Erwünschtheit

Alternativen und Optimierungen: •

Kontinuierliche Antwortskalen



Kategorisierung offener Antwortformate

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Lernerfolg im nichtkognitiven Bereich Warum machst du deine Physikhausaufgaben?

stimmt nicht

stimmt kaum

stimmt fast

stimmt genau

1. ...weil von mir erwartet wird, dass ich meine Hausaufgaben mache.









2. ...weil ich den Stoff verstehen möchte.









3. ...damit mich meine Eltern loben.









4. ...weil es für mich wichtig ist, die Experimente zu begreifen.









5....damit ich keinen Ärger mit meinen Eltern bekomme.









6. ...um zu erfahren, ob meine Antwort stimmt oder nicht.









7. ...damit ich nicht zur Nachhilfe muss.









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7.3 Unterrichtsebene Ziele dieses Abschnitts: Am Ende dieses Abschnitts sollen Sie • die Notwendigkeit der Reflexion über den gehaltenen Unterricht erläutern können, • verschiedene Ansätze zur Reflexion über den gehaltenen Unterricht kennen, • zwei Beispiele für Ansätze zur Analyse von videographierten Unterrichtsstunden erläutern können. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Evaluation auf Unterrichtsebene • Unterricht wird häufig nicht wie intendiert durchgeführt. • Mögliche Ursache ist eine notwendige Flexibilität des Lehrers (positiv). • Aber andererseits zeigen Untersuchungen deutliche Schwächen hinsichtlich der Diagnosekompetenz bei Lehrern. • Eine Reflexion des durchgeführten Unterrichts im Hinblick auf die im Unterricht ablaufenden Prozesse ist zwingend notwendig. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Videoanalyse von Unterricht • Seit den 80er Jahren eingesetztes Werkzeug zur Erfassung von Unterrichtsabläufen • Heutzutage technisch vergleichsweise geringer Aufwand nötig • Möglichkeit, Situationen detailliert zu analysieren, wiederholt zu analysieren und von verschiedenen Personen analysieren zu lassen • Wichtig: Gütekriterien! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Videoanalyse von Unterricht Zwei Beispiele für Analyse der Videodaten • Vergleichende Analyse – Basis ist der geplante Unterrichtsablauf – Vergleich von geplantem und tatsächlichem Unterrichts – Ergründung möglicher Ursachen für Abweichungen

• Kategoriengeleitete Analyse – Basis sind Analyseeinheiten (Zeitintervallen, Turns, ...) – Zuordnung von Kategorien zu Analyseeinheiten – Auswertung mittels deskriptiver Statistik Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Lernstandserhebungen • Leistungen der Klassen werden landesweit identisch erhoben. • Erlaubt dem Lehrer eine Einordnung der Klasse in das landesweite Leistungsspektrum einerseits und die Bewertung der Schülerleistungen im Hinblick auf definierte Standards andererseits. • In vielen Bundesländern üblich. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Lernstandserhebungen • In Bayern: – Freiwillige Lernstandserhebung in Natur und Technik an Gymnasien gegen Ende von Jahrgangsstufe 6 – Zentrale Jahrgangsstufentests in Mittelschule, Realschule und Gymnasium. • Beispiel Gymnasium:

– Ländergemeinsame Vergleichsarbeiten (Vera): • Orientierungsarbeiten Rechtschreiben in der Jahrgangsstufe 2 • Vergleichsarbeiten in der Jahrgangsstufe 3 in Deutsch und Mathe • Vera 8 in Deutsch, Mathematik und in der 1. Fremdsprache Englisch an Haupt-, Förder-, Real-, Wirtschafts- sowie integrierten Gesamtschulen und Gymnasien Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zusammenfassung • Der tatsächliche Ablauf von Unterricht entspricht häufig nicht dem geplanten. • Dies deutet auf Mängel in der Diagnosekompetenz des Lehrers, entweder in der Vorbereitung oder im Unterricht selber hin. • Durch gezielte Reflexion des Unterrichts, zum Beispiel durch Videoanalyse, kann die eigene Diagnosekompetenz systematisch entwickelt werden. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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7.4 Systemebene Ziele dieses Abschnitts: Am Ende dieses Abschnitts sollen Sie • die Evaluation auf Systemebene am Beispiel internationaler Vergleichsstudien erläutern können, • Notwendigkeit theoretischer Rahmungen bei internationalen Vergleichsstudien erläutern können, • die zentralen Ergebnisse deutscher Schüler im internationalen Vergleich wiedergeben können.

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Internationale Vergleichsstudien • Third (Trends in) International Mathematics and Science Study (TIMSS) TIMSS 1995, TIMSS 1999, TIMSS 2003, TIMSS 2007 – International standardisierte Leistungsmessung – Videoanalyse von Unterricht • Programme for International Student Assessment (PISA) PISA 2000, PISA 2003, PISA 2006, PISA 2009, PISA 2012 – Elaborierter theoretischer Rahmen – International standardisierte Leistungsmessung – Teilnehmer 3.500 bis 10.000 Schüler im Alter von 15 Jahren in 32 Staaten Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Theoretischer Rahmen von TIMSS • Erfassung mathematischer und naturwissenschaftlicher Leistung und Lesekompetenz über spezifische Tests • Konstruktion der Tests nach harten psychometrischen Kriterien mit dem Ziel einer hohen Vergleichbarkeit zwischen Jahrgängen, Schulen, Ländern

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Ergebnisse von TIMSS • Unterdurchschnittliche Leistungen deutscher Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften • Große Heterogenität der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten deutscher Schüler • Etwa 20 Prozent der Schüler erreichen nur ein erweitertes Grundschulniveau. • Diskrepanz zwischen angestrebten und erreichten Fähigkeiten – besonders beim Verständnis zentraler Konzepte und naturwissenschaftlicher Arbeitsweisen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Ergebnisse von TIMSS Video • Große Unterschiede bei den beobachteten Lehrern innerhalb eines Landes • Unterschiede unmaßgeblich im Vergleich zwischen den teilnehmenden Ländern Länder-/kulturspezifische Unterrichtsskripte • In Deutschland im Wesentlichen zwei Unterrichtsskripte • Außerdem deutliche Unterschiede in der Art der Aufgaben • ABER: Kein Zusammenhang zwischen diesen Unterschieden und Leistungsunterschieden Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Theoretischer Rahmen von PISA • Modell lebenslangen Lernens • Das „Literacy“-Konzept – Reading Literacy (Schwerpunkt 2000+2009) – Mathematical Literacy (Schwerpunkt 2003+2012): Mathematische Grundbildung – Scientific Literacy (Schwerpunkt 2006+2015): Naturwissenschaftliche Grundbildung

• Der Kompetenz-Begriff – Operationalisierung des „Literacy“-Konzepts – Kompetenzstufenmodell

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Ergebnisse von PISA 2000 • Bestätigung der Ergebnisse der TIMS-Studie Leistungen deutscher Schüler unterdurchschnittlich im internationalen Vergleich • Leseleistung unterdurchschnittlich im internationalen Vergleich • Spannweite bei den Leseleistungen größer als in allen anderen Teilnehmerländern • Über 20 Prozent der Schüler sind funktionale Analphabeten Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Ergebnisse von PISA 2003 • Im Hinblick auf die Leseleistung ein insgesamt ähnliches Bild • Bei nach wie vor großen Streuungen und Risikogruppen leichte Verbesserungen bei den Mathematikleistungen • Verbesserungen in den Naturwissenschaftsleistungen bei verbleibendem Abstand zur Spitzengruppe und höherer Streuung

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Konsequenzen Neben vehement geführten Diskussionen: • Verschiebung im Bildungsbegriff – Klassischer vs. pragmatischer Bildungsbegriff

• Kompetenz statt Wissen „(..) die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (Weinert, 2001)

• Einführung nationaler Bildungsstandards Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Was kann man daraus lernen? • Vergegenwärtigen Sie sich die Zielvorgaben, die Ihre Schüler erreichen sollen! • Überlegen Sie, welche dieser Zielvorgaben wie im Physikunterricht zu erreichen sind! • Planen Sie Ihren Unterricht sorgfältig und im Hinblick auf diese Ziele! • Nutzen Sie bestehende Möglichkeiten der Evaluation auf Unterrichtsebene, um zu überprüfen, wie erfolgreich Sie sind! Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Zusammenfassung • Internationale Vergleichsstudien dienen der vergleichenden Einordnung der Schülerleistungen mit dem Ziel einer Einordnung der Qualität des Bildungssystems. • Ein elaborierter theoretischer Rahmen erlaubt es die Ergebnisse auf die an das Bildungssystem gestellten Anforderungen zu beziehen. • TIMSS und PISA zeigen, dass Schüler in Deutschland extrem heterogene Leistungen zeigen, wobei ein beachtlicher Teil der Schüler ein Minimalniveau nicht erreicht. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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8. Arten von Inhalten 

Gliederung: 8.1

Modelle

8.2

Inhalte aus der Technik

8.3

Die Methode der Physik

8.4

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8.3.1

Methodische Konzepte

8.3.2

Physikalische Theorien

Weitere Inhalte des Physikunterrichts 8.4.1

Physikalische Phänomene

8.4.2

Physikalische Begriffe

8.4.3

Physikalische Gesetze

8.4.4

Erklärungen von Phänomenen und Gesetzen

8.4.5

Physikalische Konzepte Allgemeine Physikdidaktik

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8.1 Modelle 







Physik ist wie (andere Wissenschaften) eine Modellbildungswissenschaft; sie macht sich Modelle der Welt. Modellbildung ist ein wesentlicher Aspekt von Physik. Definition: Ein Modell ist ein Gegenstand oder theoretisches Konstrukt zur Beschreibung von Wirklichkeit. Es wird von einem Subjekt von etwas und für etwas konstruiert wird. Es bestehen (reale oder fiktive) korrespondierende Beziehungen (Analogien) zwischen dem Modell und dem Objekt. Bestimmte Eigenschaften sind im Modell leichter verständlich als am realen Objekt.

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8.1 Modelle Im Kopf des Physikers:

In der Welt:

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8.1 Modelle 

Verschiedene Klassifikationen von Modellen: 





Realisation des Modells: 

Gegenständliches Modell (Sachmodell)



Ikonisches Modell (bildhaftes Modell)



Symbolisches Modell (abstrakt-mathematisches Modell)

Lernabsicht bzgl. des Objektes: 

Strukturelles Modell (Strukturmodell)



Funktionelles Modell (Funktionsmodell)



Originalbezogenes Modell (gestaltähnliches Modell)

Art der Benutzung: 

Wissenschaftliches Modell (in der Wissenschaft)



Didaktisches Modell (in der Lehre)

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8.1.1 Gegenständliche Modelle  

Gegenständliche Modelle sind plastische, real existierende Objekte zum Anfassen. Zwei Arten: 

Modelle von Technikgegenständen 

 



Mehr oder weniger wirklichkeitsgetreue Nachbildungen zur Erklärung der Funktionsweise (meist Funktionsmodelle, auch gestaltähnliche) Didaktische Anforderungen: Relevantes gut erkennbar Beispiele: Modelle eines Elektromotors/Benzinmotors

Modelle von Vorstellungen 



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Geistige Modelle werden gegenständlich dargestellt zur Beschreibung von Vorstellungen (häufig Strukturmodelle, auch Funktionsmodelle) Beispiele: Kristallgittermodell aus Kugeln und Federn, Kugelmodell zur kinetischen Gastheorie, Modelle von Molekülen

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8.1.2 Ikonische Modelle  

Ikonische Modelle sind bildhafte Vorstellungen, die sich der Mensch von etwas Realem, aber Unanschaulichem macht. Zwei Arten: 

Idealisierungen der Realität (Massenpunkt, Lichtstrahl, Punktladung)  Vorstellungen mit geringem Bezug zur Realität (Teilchenmodell des Festkörpers, Lichtwelle, Lichtquant, Elektron, Kern-Hülle-Atommodell)  

Konflikt: Darstellen von Realem, aber auch vereinfachen. Beispiel Bohrsches Atommodell: 

Falsch ist: Elektronen auf definierten Bahnen, zweidimensional; falsche Vorstellungen werden geweckt.  Veranschaulicht: Größenverhältnisse, Ladungsverteilung Thomas Wilhelm

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8.1.3 Symbolische Modelle  

 

Symbolische Modelle sind Relationsgefüge zwischen physikalischen Größen, die nur z.T. beobachtet werden können. Beispiel: Licht ist weder Welle noch Teilchen (unzureichende Modelle), sondern etwas Drittes. Es wird beschrieben durch den unanschaulichen mathematischen Formalismus der Quantenfeldtheorie (Es gibt keinen Dualismus!). Symbolische Modelle haben häufig die Gestalt von Differentialgleichungen (im Unterricht selten möglich). Lösung: Betrachtung von Differenzengleichungen, Lösung mit Computer mit Methode der kleinen Schritte (Modellbildungssysteme).

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8.1.4 Eigenschaften von Modellen 

Anschaulichkeit 

Nicht nur materielle Objekte sind anschaulich.  Anschaulich ist, woran wir uns gewöhnt haben.  Was anschaulich ist, hängt von Vorerfahrungen ab. 

Einfachheit 

Anzahl der Begriffe und Art ihrer Verknüpfung im Modell  Zugänglichkeit durch einen Messvorgang (Überprüfungsmöglichkeit)  Bei gegenständlichen Modellen: Verzicht auf Überflüssiges, Hervorhebung von Relevantem 

Transparenz 

Relevantes wird hervorgehoben (z.B. visuell durch Farbe, Form), auf Unwesentliches verzichtet

Thomas Wilhelm

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8.1.4 Eigenschaften von Modellen 

Vertrautheit 

Wird das Modell stabil gespeichert, wird es später wieder erkannt und als vertraut empfunden.  Hilfreich sind emotionale Beziehungen zum Modell. 

Produktivität 



Es können damit noch weitere Objekte erforscht und erklärt werden (Chaostheorie, Relativitätstheorie, Teilchenmodell).

Bedeutsamkeit 

Der Schüler soll das Modell als bedeutsam empfinden.

Thomas Wilhelm

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8.1.5 Funktion von Modellen   

1. Erklärung von Objekten durch Modelle (Verstehen) 2. Vorhersagen von Verhalten durch Modelle 3. Lernen von Sachverhalten durch Modelle (als Medien) 

Steuerung kognitiver Lernleistungen  Motivation für sinnvolles Lernen  Hilfen beim Üben  Förderung der Eigenaktivität 

Im Unterricht haben wir also: 

Lernen von Modellen (z.B. Teilchenmodell)  Lernen durch Modellen (als Medien)  Lernen über Modelle (als Lernen über Physik) Thomas Wilhelm

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8.2 Inhalte aus der Technik 

1. Funktionszusammenhänge, die auf EINEN physikalischen Zusammenhang beruhen 

Beispiel: Wärmewirkung des elektrischen Stromes  Beispiel: Magnetische Wirkung des elektrischen Stromes  Beispiel: Lorentzkraft, Induktion etc.  Beispiel: Drittes Newtonsches Gesetz 

2. Komplexe technische Funktionszusammenhänge 

Beispiel: Verbrennungskraftmaschinen  Beispiel: Kältemaschine (Kühlschrank und Wärmepumpe)  Beispiel: Elektrische Energieversorgung

Thomas Wilhelm

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8.2 Inhalte aus der Technik 

3. Technische Systeme 



Beispiele: elektrische Energieversorgung, Produktionsanlage, Verkehrssysteme, Nachrichtensysteme, Auto, Flugzeug, Fernseher

4. Technische Verfahren und Prinzipien 

Beispiel: Umwandlung von Bewegungen  Beispiel: Prinzip der Selbststeuerung 

5. Historische Zusammenhänge 

Technik hat eine Entwicklungsgeschichte  Beispiel: Von der Wachstrommel über Schallplatte bis zur CD  Beispiel: Von Lilienthal bis zum Überschallflugzeug  Vorteil: Am Anfang einfachere monokausale Lösungen, die leichter verständlich sind. Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte  



Methodische Konzept der Physik = System bewährter Methoden des Experimentierens und Theoretisierens Es wird im Unterricht nicht als System thematisiert, sondern an Beispielen werden Einzelelemente behandelt (Begriffsbildung, Experimentiermethoden, Modellvorstellungen usw.) Grundzüge der Methode der Physik: 

Gallilei ist der Begründer der Methode der Physik.  Aber: Vor ihm haben viele schon gut experimentiert und physikalische Gesetze mathematisch formuliert.  Kant: Die Vernunft sieht nur das ein, was sie selbst hervorbringt. Physik geht mit Prinzipien und Experimenten an die Natur heran: Experimente werden nach Prinzipien ausgedacht.  Das theoretische Konzept bestimmt, was gemessen wird. Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte 

Gallilei: „Ich habe ein Experiment darüber angestellt, aber zuvor hatte die natürliche Vernunft mich ganz fest davon überzeugt, dass die Erscheinung so verlaufen musste, wie sie tatsächlich verlaufen ist.“  Gallilei: „Ich will mich im Experiment davon überzeugen, dass die beim natürlichen Fallen auftretenden Beschleunigungen mit den vorher [durch die Theorie] beschriebenen übereinstimmen.“ 

Abstrahierender Idealisierungsprozess führt zu „reine Phänomene“.  Aufhebung der Trennung von Physik und Technik durch Gallilei: Experiment gehört zur Physik.  Mathematisierung: Hineinprojektion in die Phänomene.  Höhepunkt der Methode: Newtons Werk 1686

Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte

Deduktion:= Ableiten des Einzelnen aus dem Allgemeinen

Induktion:= von Einzelfällen auf das Allgemeine schließen Beispiel: Vögel können fliegen, Pinguine sind Vögel. Also können Pinguine fliegen.

Beispiel: Ich habe bisher nur weiße Schwäne gesehen. Also sind alle Schwäne weiß. Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte 

Häufige Fehlvorstellungen in Physikbüchern (und Lehrplänen): 





 







1. Beobachtung und Experiment bilden die alleinige Quelle der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. 2. Naturwissenschaftliche Begriffsbildungen werden nur aus Beobachtungen und Experimenten gewonnen. 3. Naturwissenschaftliche Begriffe müssen durch operationale Definitionen exakt festgelegt und veranschaulicht werden. 4. Hypothesenbildung erfolgt ausschließlich aufgrund empirischer Erfahrung. 5. Naturwissenschaftliche Gesetze und Theorien lassen sich direkt durch Verallgemeinerungen spezieller empirischer Daten im Prozess der generalisierenden Induktionen finden. 6. Theorien sind effektive Verfahren zur ökonomischen Beschreibung von Sinneswahrnehmungen. 7. Theorien sind systematisch geordnetes, konzentriertes Erfahrungswissen, das nicht über die Erfahrung hinausgeht. 8. In Form eines so genannten "experimentum crucis" führt ein Experiment eine Entscheidung zwischen einander widersprechenden Theorien herbei.

Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte 

Konsensfähige Ansichten über die Natur der Naturwissenschaften: 

Wissen in den Naturwissenschaften ist, obwohl es zuverlässig ist, nicht unveränderlich.



Wissen in den Naturwissenschaften beruht stark, aber nicht vollständig, auf Beobachtungen, experimentellen Resultaten, rationalen Begründungen und einer gewissen Skepsis.



Es gibt nicht nur einen Weg der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung (Deshalb gibt es auch keine universelle naturwissenschaftliche Methode, die Schritt für Schritt abgearbeitet wird.)



Naturwissenschaften verstehen sich als Ansatz, Phänomene der Natur zu erklären.



Gesetze und Theorien dienen unterschiedlichen Zwecken, deshalb werden aus Theorien auch keine Gesetze, auch wenn zusätzliche Daten vorliegen.



Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen tragen zu den Naturwissenschaften bei.



Neue Erkenntnisse müssen klar und offen dargestellt werden.



Naturwissenschaftliche Ergebnisse müssen nachvollziehbar dokumentiert sein, werden von Experten begutachtet und müssen replizierbar sein.



Beobachtungen sind theoriegeleitet.



Naturwissenschaftler sind kreativ.



Die Geschichte der Naturwissenschaften kennt evolutionäre und revolutionäre Entwicklungen.



Naturwissenschaften sind Teile sozialer und kultureller Entwicklungen.



Naturwissenschaften und Technik beeinflussen sich gegenseitig.



Naturwissenschaftliche Ideen werden von sozialen und historischen Faktoren beeinflusst.

Thomas Wilhelm

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8.3.1 Methodische Konzepte 

 

Genauere Darstellung der Methode der Naturwissenschaften in der Vorlesung „Spezielle Physikdidaktik für Gymnasium“ Dort Darstellung verschiedener erkenntnistheoretischer Positionen Gliederung dort: 18.1 Empirismus und Positivismus 18.2 Kritik an der induktiven Methode 18.3 Neuere Erkenntnistheorien 18.3.1 Falsifikation (Popper) 18.3.2 Paradigmenwechsel (Kuhn) 18.3.3 Historische Traditionen (Feyerabend) 18.3.4 Forschungsprogramme (Lakatos) 18.4 Die fünf wichtigsten Positionen im Überblick 18.5 Auswirkungen auf die Schule

Thomas Wilhelm

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8.3.2 Physikalische Theorien 

Physikalische Theorie = geordnete Menge an Einzeldaten und Gesetzen



Theorie = hypothetisch-deduktives System zur Erklärung eines Wirklichkeitsbereiches



Als Unterrichtsinhalt nur in der Sekundarstufe II



Entscheidendes Hilfsmittel: Modelle



Theorien sind immer hypothetisch, kein ikonisches Abbild der Wirklichkeit.



Theorien sind weder beweisbar noch widerlegbar. Sie bewähren sich gut oder schlecht.

Thomas Wilhelm

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8.4.1 Physikalische Phänomene 

1. Welche Phänomene? 

Naturvorgänge und Erscheinungen aus der Erfahrungswelt der Schüler (Reflexion, Brechung, Anziehung, Ausdehnung)  Phänomene, die nur in bestimmten experimentellen Anordnungen beobachtet werden können (Brownsche Molekularbewegung, Nebelkammerbahnen) 

2. Phänomene in einer künstlichen Situation 

In der Natur vorhandene Randeffekte werden weggelassen  Die Theorie ist Ausgangspunkt der Betrachtung 

3. Phänomene als Alltagserfahrung 

Man beginnt mit dem Naturphänomen und reduziert es dann auf das Wesentliche (also umgekehrtes Vorgehen wie bei 2, motivierender).

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8.4.2 Physikalische Begriffe 

1. Arten physikalischer Begriffe 

Klassifikatorische Begriffe 



Komparative Begriffe 



Beispiel: fest/flüssig/gasförmig, Leiter/Halbleiter/Isolator

Beispiel: wärmer/kälter

Metrische Begriffe  

Thomas Wilhelm

Größenwert = Zahlenwert mal Einheit Problem: Häufige Lehrerfehlvorstellung zum Lernen eines Begriffes („wissenschaftslogisches Kompetenzerwerbungsmodell“)

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8.4.2 Physikalische Begriffe 

2. Eigenschaften physikalischer Begriffe 

Einfach 



Sehr allgemein 



Beispiel: Beschleunigung

Theoriegeladen 



Kurze Worte

Um den Begriff zu verstehen, muss man das ganze Gedankengebäude verstehen (Beispiel: Kraft)

Entspringen der schöpferischen Phantasie und Intuition

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8.4.2 Physikalische Begriffe 

3. Spezielle Möglichkeiten der Begriffsbildung im Unterricht 

Erläuterung von Eigenschaften / Klassifizieren nach Eigenschaften  Differenzierung umgangssprachlicher Begriffe  Betrachtung von Analogien  Mathematische Definition als Endstation der Begriffsbildung 

Hinweise:    

Thomas Wilhelm

Schüler müssen motiviert werden, neue Begriffe zu lernen Achtgeben, dass die Schüler nicht zu enge Vorstellungen entwickeln Begriffe anfangs immer zusammen mit ihrer Definition verwenden Unterschiede zwischen physikalischem Begriff und Umgangssprache herausstellen. Allgemeine Physikdidaktik

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8.4.3 Physikalische Gesetze 

Physikalisches Gesetz: intersubjektiv überprüfbarer Zusammenhang



Unmöglich: Gesetze rein induktiv gewinnen; Experimente sind theoriegeleitet.



Beispiel für nicht induktiv gewonnene Gleichungen: s=½gt², Linsengleichung, Coulombgesetz, Photoeffekt



Es gibt keinen direkten, logisch zwingenden Weg von empirischen Daten zu einer ganz bestimmten Theorie.



Physik: Nicht einmal induktives, einmal deduktives Vorgehen, sondern unauflösbares Zusammenspiel von beidem.

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8.4.3 Physikalische Gesetze 

Drei Stufen von Gesetzen: 

Nicht-quantitative Gesetze = Allsätze  

Logisch nicht begründbar Naturprinzipien sind Allsätze (Energie- und Impulserhaltung)



Halb-quantitative Gesetze (meist in Je-desto-Form)



Quantitative Gesetze 

Thomas Wilhelm

Unterricht: nicht nur Gesetze als Endergebnis, auch der Herleitungsprozess selbst ist ein wichtiger Inhalt.

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8.4.4 Erklärungen von Phänomenen/Gesetzen 

Erklärungen hängen ab von: 1. Komplexität des Sachverhalts 2. Abstraktionsvermögen der Schüler



Ziel: 

Bei Gesetzen: Vorstellung damit verbinden  Phänomen: Verständnis  Einzelerkenntnisse sollen verknüpft werden.

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8.4.5 Physikalische Konzepte 

Konzepte = Naturprinzipien



Übergeordnete „Formeln“ für verschiedene Teilgebiete



Umfassend und weit reichend



Beispiel: Energieerhaltungssatz



Hohe Anforderungen an den Lernenden

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9 Interesse und Physikunterricht • Gliederung des Kapitels: – Begriffe der Interessensforschung – Sachinteresse • Dimensionen des Sachinteresses • Einfluss auf das Sachinteresse

– Fachinteresse – Einfluss auf das Fachinteresse – Interessensbereiche – Nötige Unterrichtsanpassung

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Interesse • Individuelles Interesse: – Überdauernde Vorliebe für eine bestimmte Sache – persönlicher Wesenszug

• Situatives Interesse: – Folge des spezifisches Anreizes einer Situation

• Ziel im Physikunterricht: – Individuelles Interesse wecken und aufbauen – Bedingungen schaffen, die zu situativem Interesse führen – Frage: Unter welchen situativen Bedingungen findet eine aktuelle Hervorkehrung von überdauernden Vorlieben statt?

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Interesse • Sachinteresse: – Interesse an physikalischen Sachverhalten

• Fachinteresse: – Interesse, das dem Physikunterricht entgegengebracht wird

• Empirische Untersuchungen zeigten: – Geringe Korrelation zwischen Sachinteresse und Fachinteresse – Wenig Zusammenhang zwischen Sachinteresse und Zeugnisnoten – Zusammenhang zwischen Fachinteresse und Zeugnisnoten

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Dimensionen des Sachinteresses Beim Sachinteresse ist zu unterscheiden: 1. Gebiete der Physik: Licht, Linsen, Spiegeln, optische Instrumente / Töne, Klänge und Geräusche / Wärmeausbreitung, Wärmekraftmaschinen / Bewegung und Kraft / Elektrizität und Magnetismus / Elektronik / kleinsten Teilchen, Atomzerfall

2. Anwendungsbereiche/Kontexte: Physik als Mittel zur Bereicherung emotionaler Erfahrungen / zum Verständnis technischer Objekte / als Grundlage für Berufe / als Methode und Denkgebäude / gesellschaftliche Bedeutung

3. Tätigkeiten: Infos aufnehmen / praktisch konstruieren / theoretisch konstruieren/ bewerten Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Dimensionen des Sachinteresses Ergebnisse der Forschung: 1.Gebiete der Physik: Zwischen den verschiedenen Gebieten gibt es nicht so große Interessensunterschiede.

2.Interessante Anwendungsbereiche/Kontexte: • Physik am menschlichen Körper (z.B. Brille, Röntgengerät) • Physik in Alltagssituationen (z.B. Foto, Bremsverhalten vom Auto) • Physik zur Erklärung von erstaunlichen Phänomenen (z.B. Regenbogen, Ebbe und Flut) • Die gesellschaftliche Bedeutung von Physik (z.B. Kernkraft, Sonnenenergie)

3.Tätigkeiten: • Jüngere Schüler: bauen und konstruieren • Ältere Schüler: diskutieren und bewerten Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Dimensionen des Sachinteresses • Interesse an physikbezogenen Tätigkeiten:

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Dimensionen des Sachinteresses Ergebnisse der Forschung: - Schüler sind keine „kleinen Forscher“: Sie sind nicht an allgemeingültigen Wahrheiten interessiert, sondern daran, wie man mit den Gesetzen umgeht. - Schüler interessieren sich weniger für Physik als Wissenschaft, sondern mehr für die Anwendungen und den praktischen Nutzen. - Die meisten Schüler empfinden die quantitative Erfassung eines Problems als uninteressant.

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Einfluss auf das Sachinteresse • Wichtige Faktoren für das Sachinteresse sind: – Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit – Individuelle Begeisterungsfähigkeit für technische Phänomene – Individuelle Begeisterungsfähigkeit für natürliche Phänomene – empfundene persönliche Bedeutung

• Ohne Einfluss auf das Sachinteresse sind: – Geschlecht (das unterschiedliche Gesamtinteresse liegt offenbar an Faktoren wie Begeisterungsfähigkeit für Technik) – Elterliche „Unterstützung“ / Förderung (z.B. haben der Besuch einer technischen Ausstellung oder eines Museums keinen Einfluss) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Fachinteresse • Man erhält unterschiedliche Ergebnisse je nachdem, ob man nach den beliebtesten, den unbeliebtesten Fächern fragt oder Mittelwerte aus Beliebtheitswerten nimmt. • Man muss also sowohl nach beliebtesten und unbeliebten Fächern fragen. • Studie in Realschule:

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Fachinteresse • Physik (und Chemie) sind eher unbeliebt (im Gegensatz zur Biologie). • Physik (und Chemie) werden von Schülern als abweisend, zu abstrakt, zu trocken und zu anspruchsvoll eingeschätzt. • Studie von Zwick & Renn (2000): – Die Befragten sollten ihre zwei beliebtesten sowie unbeliebtesten Schulfächer nennen. – Spitzenreiter der Negativnennungen waren mit weitem Abstand die Fächer Physik (30%) und Chemie (28%). – Bei den Lieblingsfächern belegten diese beiden Fächer hintere Ränge (während Biologie zu den beliebtesten Fächern zählt).

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Fachinteresse • Fachinteresse an Physik – Das Interesse am Fach Biologie ist während der ganzen Schulzeit auf gleichbleibend hohem Niveau (bei Mädchen geringfügig größer). – Das Interesse am Fach Chemie ist kleiner als am Fach Biologie, aber größer als am Fach Physik (Mädchen weniger interessiert als die Jungen). – Im Fach Physik ist das Anfangsinteresse vergleichbar dem der Chemie. Einem hohen Interesse der Jungen steht ein weniger ausgeprägtes Interesse der Mädchen gegenüber. – Im Gegensatz zum Chemieunterricht entwickeln sich aber die beiden Geschlechter weiter auseinander. – Am Ende der Sek I für Mädchen eines der uninteressantesten Fächer. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Einfluss auf das Fachinteresse • Keinen Einfluss auf das Fachinteresse: – Das Sachinteresse der Schüler und Begeisterung für technische und natürliche Phänomene • Der angebotene Unterricht berücksichtigt offenbar nicht die Sachinteressen der Schüler. • Physik wird zu wissenschaftsorientiert als Denkgebäude unterrichtet, zu wenig die Bereiche Alltag, Gesellschaft, Erlebnis. • Durch ein verändertes Unterrichtsangebot ist vermutlich eine erhebliche Steigerung des Fachinteresses möglich (siehe Biologie).

• Wichtigster Einflussfaktor: – Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit • Da das Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit bei Mädchen schwächer ausgeprägt ist als bei Jungen (mit zunehmender Schulzeit ist das immer mehr der Fall), lassen sich die Unterschiede im Fachinteresse erklären. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Einfluss auf das Fachinteresse • Forschungsergebnisse der IPN-Studie: Pfadkoeffizient von Prädikatoren für das Interesse am Physikunterricht:

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Interessensbereiche Drei Interessenbereiche: 1. Physik und Technik: Interesse an der „reinen“ Wissenschaft Physik, die nicht auf Anwendung bezogen ist. –

Z.B. Versuche planen um zu untersuchen, wovon es abhängt, wie schnell eine Flüssigkeit abkühlt,



Z.B. sich für die Funktion elektronischer Bauteile in Haushaltsgeräten interessieren.

2. Mensch und Natur: Interesse an Anwendungen der Physik zur Erklärung von Naturphänomenen und auf den menschlichen Körper. –

Z.B. „Warum ist der Himmel blau und der Schnee weiß“ oder „Wie verwendet der Arzt Spiegel, Mikroskope,

3. Physik und Gesellschaft: Interesse an der Erörterung der gesellschaftlichen Bedeutung von Physik –

Z.B. über friedliche und militärische Anwendung von Lasern diskutieren.

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Interessenstypen Es gibt drei Interessens-Typen von Schülern: A 13%, meist ein (eher jüngerer) Junge, gute Physiknoten, hohes Könnensbewusstsein, keine inhaltliche Präferenzen, an allem interessiert, sogar an quantitativer Erfassung B 50%, gleich viele Jungen wie Mädchen, Physiknoten im mittleren Bereich, Interesse für den Bereich Mensch und Natur (z.B. Medizin), Physik um der Physik willen steht nicht im Zentrum, sondern die praktischen Anwendungen C 37%, meist ein (eher älteres) Mädchen, schlechte Noten in Physik, kein Könnensbewusstsein, Interesse an „Physik und Gesellschaft“ sowie für den Bereich Mensch und Natur (wenn es ihr etwas persönlich bedeutet) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Unterrichtsanpassung • Schlechte Passung zwischen Schülerinteresse und wahrgenommenem Unterrichtsangebot:

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Unterrichtsanpassung Folgerungen: • Nötig: – Bessere Passung zwischen dem Unterrichtsangebot und den Interessenprofilen – Am besten Orientierung an Typ B

• Geeignete Kontexte für die Vermittlung physikalischer Inhalte: – – – –

Wie nutzt die Physik den Menschen? Wie kann man Naturereignisse physikalische erklären? Wie funktionieren aus dem Alltag bekannte Geräte? Wie kann man Geräte selber bauen?

• Zurückhaltend behandeln: – „reine Physik“ ohne Anwendungsbezug – Die gesellschaftliche Dimension der Physik auf Themen beschränken, in denen sich das besonders anbietet (Energieversorgung, Umweltbelastung).

• Rechnen: – nur in besonders interessanten Fällen, in denen sichtbar wird, welchen Vorteil es hat und welchen Gewinn es bringt, eine Gleichung aufzustellen bzw. etwas zu berechnen.

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Unterrichtsanpassung 10 Gesichtspunkte für die Gestaltung von Physikunterricht, um ihn insgesamt, besonders für Mädchen, interessanter zu machen: 1. Wie wird Schülern Gelegenheit gegeben, zu staunen und neugierig zu werden, und wie wird erreicht, dass daraus ein „Aha-Erlebnis“ wird? 2. Wie wird an außerschulischen Erfahrungen angeknüpft, die zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Dominanzen Mädchen und Jungen in gleicher Weise zugänglich sind? 3. Wie wird es Schülern ermöglicht, aktiv und eigenständig zu lernen und Erfahrungen aus erster Hand zu machen? 4. Wie wird erreicht, dass Schüler einen Bezug zum Alltag und zu ihrer Lebenswelt herstellen können? 5. Wie wird dazu angeregt, die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Menschen und die Gesellschaft zu erkennen und danach zu handeln? 6. Wie wird der lebenspraktische Nutzen der Naturwissenschaften erfahrbar gemacht? 7. Wie wird ein Bezug zum eigenen Körper hergestellt? 8. Wie wird die Notwendigkeit und der Nutzen der Einführung und des Umgehens mit quantitativen Größen verdeutlicht? 9. Wie wird sichergestellt, dass den Gleichungen ein qualitatives Verständnis der Begriffe und ihrer Zusammenhänge vorausgeht? 10. Wie kann vorzeitige Abstraktion vermieden werden zugunsten eines spielerischen Umgangs und unmittelbaren Erlebens? Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10. Mädchen im Physikunterricht Gliederung: 1. Einführung 2. Ursachen für die Unterschiede bei Interesse und Leistung 3. Ansatzpunkte für mädchengerechten Unterricht 4. Projekte zur Förderung der Interessen der Mädchen 4.1 Die IPN-Interessenstudie 4.2 Der BLK-Modellversuch 4.3 Der Realschul-Modellversuch 4.4 Die Schweizer Koedukationsstudie 4.5 Salters Advanced Physics Project 4.6 An Schülervorstellungen orientierte Unterrichtskonzepte

5. Fazit 6. Heute Jungenförderung nötig?

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10.1 Einführung • Physik ist für viele Mädchen das „Horrorfach“ schlechthin. • Viele Mädchen wählen Physik ab. Beispielzahlen von 2005 von allen Frankfurter (a. M.) Gymnasien: – 12.Kassenstufe: • 77 % der Schülerinnen und 42,4 % der Schüler haben Physik abgewählt. • 3,3 % der Schülerinnen und 17,2 % der Schüler besuchen den Leistungskurs.

– 13.Klassenstufe: • 83,9 % der Schülerinnen und 59,1 % der Schüler haben Physik abgewählt. • 2,6 % der Schülerinnen und 15,7 % der Schüler belegen den Physikleistungskurs.

• Nur wenige entscheiden sich für einen Beruf im naturwissenschaftlich-technischen Bereich: Sie können bei gesellschaftlich wichtigen Fragen nicht mitreden. Ihnen bleibt ein schmales Spektrum an Möglichkeiten bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.1 Einführung • TIMS-Studie (Schulleistungsstudie im Bereich der Naturwissenschaften) testete Jugendliche der 7. und 8. Jahrgangsstufe sowie Abiturientinnen und Abiturienten: – In der Mittelstufe erzielen Mädchen schlechtere Leistungen als Jungen in Mathematik und Physik. – Leistungsunterschiede nehmen im Laufe der Schulzeit zu. – Insgesamt erzielen Mädchen aber bessere Schulabschlüsse.

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10.1 Einführung • TIMS-Studie: – In den alten Bundesländern entspricht der Leistungsunterschied zwischen Mädchen und Jungen der 8. Klasse etwa einem Schuljahr. – Dieser Unterschied war in den neuen Bundesländern nur etwa halb so groß. – Bis vor einigen Jahren wurde dies noch mit den unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten von Jungen und Mädchen erklärt, was aber durch neuere Test nicht belegt werden konnte. – Häufig wird ein Zusammenhang zwischen geringen Leistungen und geringem Interesse vermutet, was jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.2 Ursachen • Hauptursache: Das in der Gesellschaft fest verankerte Geschlechtsstereotype  Weiblichkeit und Interesse an Physik lassen sich nicht vereinbaren.

• Mädchen und Jungen machen unterschiedliche Vorerfahrungen in Bezug auf Physik. • Lehrkräfte gehen unterschiedlich mit Jungen und Mädchen um. • unterschiedliches Selbstbild • Unterricht berücksichtigt nicht Mädcheninteressen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Vorerfahrungen • Mädchen werden vom Umfeld seltener dazu angeregt, sich mit physikalischen Inhalten zu beschäftigen als Jungen. • Folge: Mädchen bringen nachweislich weniger Vorwissen mit in den Physikunterricht als Jungen. • Physikerinnen kommen in den Medien sowie in Physikbüchern nur am Rande vor. • Folge: keine Identifikationsmöglichkeit für Mädchen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften

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Interaktionsmuster von Lehrkräften • Lehrkräfte gehen mit Jungen anders um als mit Mädchen. • Mädchen werden weniger beachtet, erhalten weniger Lob oder Tadel und werden seltener am Unterricht beteiligt. • Jungen erhalten bei gleichen Leistungen mehr Lob. • Mädchen erhalten dafür Anerkennung für soziales Wohlverhalten. • Dieses Verhalten ist Lehrkräften nicht bewusst.

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Interaktionsmuster von Lehrkräften • Thesen zu Interaktionsprozessen im Unterricht – Leistungen von Mädchen und Jungen werden unterschiedlich bewertet. Häufige Meinung, dass Mädchen geringere naturwissenschaftliche und technische Fähigkeiten haben als Jungen; hohe Leistungen in Physik und Chemie eher bei Jungen erwartet. – Lehrkräfte schätzen die Berufswünsche und Lebensplanungen ihrer Schülerinnen häufig falsch ein. Schülerinnen eher in traditionellen Frauenberufe wie Sekretärin, Lehrerin, Krankenschwester vorgestellt. Im naturwissenschaftlich-technischen Bereich werden ihnen höchstens Assistenztätigkeiten zugetraut. – Jungen erfahren schon in der Grundschule deutlich mehr Beachtung seitens der Lehrperson als Mädchen. Dies setzt sich dann in der Sekundarstufe I besonders im naturwissenschaftlichen Unterricht fort. – Leistungen der Mädchen werden häufig unterschätzt, sowohl von den Lehrkräften als auch von den Schülerinnen und Schülern. Jungen erhalten eher die unterschwellige Botschaft: „Du könntest, wenn Du nur wolltest“; bei Mädchen: „Du hast Dir Mühe gegeben, aber es reicht nicht“; selbst gute Leistungen werden häufig als Anpassung an die von der Schule gesetzten Forderungen „abgewertet“. – Jungen lassen Mädchen häufig nicht ausreden, unterbrechen sie, insbesondere wenn die Mädchen häufig eigene Erfahrungsbereiche einbringen. Jungen beleidigen die Mädchen während des Unterrichts mit schmähenden - oft sexuell anzüglichen - Bemerkungen, und die Lehrkraft schweigt. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Unterschiedliches Selbstbild • Wichtiger Einflussfaktor auf Interesse und Leistungen ist das Selbstvertrauen und die Einschätzung der eigenen Leistung (fachspezifisches Selbstkonzept). • Mädchen haben generell weniger Selbstvertrauen als Jungen. • Unterschiedliche Erfolgsattributierung: – Mädchen neigen dazu, Erfolge eher äußeren Faktoren zuzuschreiben („einfach Glück gehabt“, „die Arbeit war leicht“) – Mädchen neigen dazu, Misserfolge werden eher der eigenen Unfähigkeit und mangelnden Begabung zuzuschreiben – Bei Jungen ist dieses Muster genau umgekehrt: Misserfolg liegt an äußeren Ursachen („Pech“, „schwere Aufgaben“), Erfolg an der eigenen Begabung Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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Unterrichtsgestaltung • Der traditionelle Physikunterricht berücksichtigt die Interessen der Mädchen zu wenig. • Mädchen haben durchaus Interesse an Physik, reagieren aber sensibel darauf, in welchen Kontext das jeweilige Thema eingebettet ist. • Mädchen bevorzugen andere Lernformen als Jungen: kooperatives und argumentatives Lernen.

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10.3 Ansatzpunkte Der Unterricht: • muss auf die unterschiedlichen Vorerfahrungen Rücksicht nehmen, • ist sprachlich so zu gestalten, dass er für beide Geschlechter verständlich ist, • hat auf besonderen Lern- und Arbeitsstil der Mädchen Rücksicht zu nehmen, • ist kommunikativ und argumentativ zu gestalten, • soll den Eindruck vermeiden, das Physik eine Männerdomäne ist.

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10.3 Ansatzpunkte • Mädchenprojekte – reine Mädchenveranstaltungen (z.B. Girls‘ Day)

• Lehrertraining – Sensibilisierung auf die Problematik der Mädchen

• Reattributionstraining – gezieltes Training für Mädchen um Mechanismen aufzubrechen, die zu einer Verstärkung ihres negativen Selbstbildnis beitragen

• Aufhebung der Koedukation – Es gilt als erwiesen, dass Mädchen an Mädchenschulen besser gefördert werden. – Evtl. phasenweise. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4 Projekte zur Mädchenförderung 10.4.1 Die Interessenstudie des IPN (1980er Jahre) 10.4.2 Der BLK- Modellversuch „ChancengleichheitVeränderung des Anfangsunterrichts Physik/ Chemie unter besonderer Berücksichtigung der Kompetenzen und Interessen von Mädchen“ (1990er Jahre) 10.4.3 Der Realschul-Modellversuch „Förderung naturwissenschaftlich-technischer Bildung für Mädchen“ (1990er Jahre) 10.4.4 Die Schweizer Koedukationsstudie (1990er Jahre) 10.4.5 Salters Advanced Physics Project Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.1 IPN-Interessensstudie • Studie von Hoffmann, Häußler und Lehrke in den 1980er Jahren in Kiel durchgeführt. • Es wurde untersucht, wo die Interessen von Jungen und Mädchen bezogen auf Physikunterricht liegen und wie sie sich im Laufe des Schulzeit ändern. • Wichtigste Ergebnisse der Interessenstudie wurden im BLK- Modellversuch umgesetzt und dessen Wirksamkeit untersucht.

Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.1 IPN-Interessensstudie • Wichtigste Ergebnisse: – Sachinteresse ≠ Fachinteresse – Sachinteresse nimmt im Laufe des Schulzeit bei allen Schülern ab, bei Mädchen aber viel stärker – Das Sachinteresse von Mädchen wird vom Kontext bestimmt; sie reagieren sensibel darauf, in welchen Kontext das Thema eingebettet ist. – Was Mädchen interessiert, interessiert auch Jungen, umgekehrt aber nicht!

Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.1 IPN-Interessensstudie • Besonders für Mädchen günstige Kontexte: – Anbindung an alltägliche Erfahrungen (Umwelt) • Mädchen sollten aber auf Erfahrungen zurückgreifen können, die sie tatsächlich gemacht haben.

– Inhalte mit emotional positiver Komponente • Naturphänomene und Aha-Erlebnisse • Bei Mädchen eher etwas, was die Sinne anspricht als z.B. technische Errungenschaften.

– Bezug zum menschlichen Körper! • Interesse dran gerade bei Mädchen auffallend groß • z.B. Anwendung in der medizinischen Diagnostik

– Themen mit gesellschaftlicher Bedeutung • Bei Mädchen ist hier das Interesse höher, je älter sie sind und je deutlicher eine unmittelbare Betroffenheit angesprochen wird. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.1 IPN-Interessensstudie • Günstige Tätigkeiten im Unterricht: – hohes Interesse auf der praktisch-konstruktiven Ebene • z.B. „etwas bauen“, „ein Gerät konstruieren“, „etwas messen“

• Ungünstige Tätigkeiten im Unterricht : – Geringes Interesse auf der theoretisch-konstruktiven Ebene • z.B. „sich ausdenken“, „etwas berechnen“, „Aufgaben lösen“ • Entdecken oder Nachvollziehen von Gesetzmäßigkeiten um ihrer selbst willen wird von beiden Geschlechtern als weniger Interessant empfunden.

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10.4.1 IPN-Interessensstudie • Zusammenfassung der Ergebnisse: – Mädchen und Jungen unterscheiden sich kaum in ihren Aussagen, was Physikunterricht interessant machen könnte. – Was Mädchen interessiert, stößt immer auch auf Interesse bei den Jungs (umgekehrt gilt dies nicht). – Traditioneller Unterricht nimmt auf Mädcheninteressen kaum Rücksicht.

• Folgerungen: – Physikunterricht sollte an den Interessen der Mädchen ausgerichtet sein. – Mathematisierung reduzieren – Offene Unterrichtsformen einbeziehen Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Modellversuch wurde in den Jahren 1992-1998 durchgeführt. • Ziel: Unterrichtskonzepte entwickeln, die beiden Geschlechtern eine umfassende Entwicklung ermöglichen. • Es wurde untersucht, wie sich eine Orientierung des Physikunterrichts an den Interessen der Mädchen auch auf Jungen auswirkt. • Für die Jahrgangsstufe 7 des Gymnasiums wurde ein Curriculum entwickelt, das sich durch lebensweltliche Kontexte auszeichnet. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Da Mädchen weniger Vorwissen mit in den Physikunterricht bringen wird dem Anfangsunterricht eine Schlüsselrolle zugesprochen. • Es gab neben Kontrollklassen drei verschiedene Unterrichtsformen: – durchgängig koedukativ (mit und ohne Sensibilisierung der Lehrkräfte) – durchgängig koedukativ, aber abwechselnd im Klassenverband und in Halbklassen (Halbierung in jeder zweiten Stunde), – Mischform aus koedukativem und monoedukativem Unterricht (Halbierung nach Geschlechtern in jeder zweiten Stunde).

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Forschungsdesign:

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Gesichtspunkte für die Gestaltung des Unterrichts: – Wie wird Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gegeben, zu staunen und neugierig zu werden und wie wird erreicht, dass daraus ein „Aha- Erlebnis“ wird? – Wie wird an außerschulische Erfahrungen angeknüpft, die zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Dominanzen Mädchen und Jungen in gleicher Weise zugänglich sind? – Wie wird es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, aktiv und eigenständig zu lernen und Erfahrungen aus erster Hand zu machen? – Wie wird erreicht, dass Schülerinnen und Schüler einen Bezug zum Alltag und zu ihrer Lebenswelt herstellen können?

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch – Wie wird dazu angeregt, die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Menschen und die Gesellschaft zu erkennen und danach zu handeln? – Wie wird der lebendpraktische Nutzen der Naturwissenschaften erfahrbar gemacht? – Wie wird ein Bezug zum eigenen Körper hergestellt? – Wie werden die Notwendigkeit und der Nutzen der Einführung und des Umgehens mit quantitativen Größen verdeutlicht? – Wie wird sicher gestellt, dass den Formeln ein qualitatives Verständnis der Begriffe und ihrer Zusammenhänge vorausgeht? – Wie kann man vorzeitige Abstraktion vermieden werden zugunsten eines spielerischen Umgangs und unmittelbaren Erlebens? Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Ergebnisse des Modellversuchs: – Einfluss der verschiedenen Maßnahmen auf Interesse und Leistung wurde deutlich. – Positive Auswirkungen, jedoch nicht den Erwartungen entsprechend. – Curriculum: • Dies allein führte nicht dazu, den Interessensverlust der Jungen und Mädchen zu stoppen. • Wesentlicher Effekt: Die Behaltensleistung der Schüler wurde langfristig gesteigert. Auch die Jungen profitierten hier. • Vertrauen der Mädchen in ihre physikalischen Fähigkeiten wurde gesteigert (besseres Selbstkonzept).

– Sensibilisierung der Lehrkräfte: • Erhöhung der Motivation der Mädchen wurde nur beobachtet, wenn die Lehrer sensibilisiert waren.

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10.4.2 Der BLK-Modellversuch • Ergebnisse des Modellversuchs: – Entscheidende Maßnahme zur Förderung der Mädchen ist die Trennung in geschlechtshomogene Halbklassen. • Die Leistungen der Mädchen lagen hier über dem Niveau der anderen Gruppen. • Dies war die einzige Maßnahme, die dazu führte, dass der Interessenverlust gestoppt wurde. • Das führte aber nicht zur Verbesserung des Selbstkonzeptes. • Daraus folgte die Forderung nach teilweiser Aufhebung der Koedukation im naturwissenschaftlichen Unterricht.

– Studie zeigte, dass Veränderung der Interesse sehr schwierig zu erreichen ist. – Die Studie zeigte auch eindrucksvoll, dass beim mädchenorientierten Unterricht auch die Jungen in hohem Maße profitieren. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.3 Realschul-Modellversuch • Ziel: – Physikunterricht soll unter Berücksichtigung von Interessen, Erfahrungen und Fähigkeiten von Mädchen stattfinden. – Vermeidungsverhalten der Mädchen gegenüber naturwissenschaftlichen-technischen Berufen soll abgebaut werden.

• Umsetzung: – Es gab zwei arbeitsteilige Praktikumsblöcke (Mechanik/ Wärmelehre und Optik) mit geschlechtshomogenen Gruppen. – Praktikumsblöcke wurden auf Forderung der Lehrkräfte durch konventionellen Unterricht ergänzt. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.3 Realschul-Modellversuch • Fazit: – Projekt scheiterte. – Wahlen der Mädchen fielen nicht wie erwartet auf naturwissenschaftliche Fächer. – geschlechtshomogenes Praktikum führte dazu, dass Mädchen besser damit zurechtkamen als Jungen.

• Gründe: – Unterrichtsthemen waren nicht auf Interessen der Mädchen abgestimmt, sondern konventionell.

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Vergleich der Modellversuche Realschul-Modellversuch

BLK-Modellversuch

• Wärmelehre und Temperatur • Heizen eines Zimmers durch Wärmetransport • Dehnung bei Federn: Hooke‘sches Gesetz • Die goldenen Regeln der Mechanik • Experimente mit Spiegeln, Abbildungen mit Spiegeln

• Wärme und Wärmequellen beim Zubereiten von Speisen • Wir untersuchen den Fahrradhelm. • Wir machen Bilder (Fotografieren mit einer Lochkamera). • Wir bauen Musikinstrumente und messen Lärm.

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10.4.4 Die Schweizer-Koedukationsstudie Der Unterrichtsgestaltung wurden folgende Kriterien eines mädchengerechten Unterrichts zugrunde gelegt: • Vorerfahrungen: – Unterricht soll Rücksicht auf unterschiedliche Vorerfahrungen nehmen und sich nach außerschulische Erfahrungen der Schüler richten.

• Kontextbezug: – Themen sollen nicht abstrakt dargeboten werden, sondern in Bezug auf Alltag und anderen Fächern.

• Lernstile: – Lernstil der Mädchen ist eher kooperativ statt konkurrierend. – ihnen soll genügend Zeit zum Lösen der Aufgaben gegeben werden – geschlechtshomogene Gruppenarbeit. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.4 Die Schweizer-Koedukationsstudie • Sprache – Sprache soll für beide Geschlechter verständlich sein. – Fachsprache sollte nur mäßig gebraucht werden. – Übergang von der phänomenalen zur modellhaften Wirklichkeit soll durch die Sprache nachvollziehbar sein.

• Kommunikation – Unterricht kommunikativ und argumentativ gestalten. – Klasse dient als Ort der Wahrheitsfindung durch experimentierende und argumentierende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand.

• Attributionsstil – Leistungsselbstvertrauen der Schüler soll gestärkt werden.

• Geschlechtsidentität – Physik ist keine Männerdomäne. – aktive Teilnahme am Unterricht darf nicht im Widerspruch zur weiblichen Geschlechtsidentität stehen. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.4 Die Schweizer-Koedukationsstudie • Auch hier wurden die Klassen in Gruppen eingeteilt, wovon einige von Lehrern unterrichtet wurden, die für Mädchenprojekte sensibilisiert wurden, die anderen Klassen konventionell. • Zur Sensibilisierung gab es eine Checkliste für die Lehrkräfte, z.B.: 1. „Ich bemühe mich darum, den Schülerinnen gleich viel Aufmerksam zukommen zu lassen wie den Schülern.“ 2. „Ich signalisiere den Mädchen, das sie als Frauen nicht unattraktiver sind, wenn sie sich für die Physik interessieren und gute Leistungen in diesem Fach erbringen.“ 3. „Ich achte auf die unterschiedlichen Vorerfahrungen, die die Schülerinnen und Schülern mit in den Unterricht bringen.“ Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.4 Die Schweizer-Koedukationsstudie Ergebnisse: • Versuchsklassen schnitten im Optiktest besser, im Kinematiktest schlecht als die Kontrollklassen ab. • Erwartungen an den zukünftigen Physikunterricht ist bei den Mädchen gestiegen. Dies aber nur in den Kontrollklassen, nicht aber in den Versuchsklassen. • In den Kontrollklassen wurde die Lehrkraft positiver in ihrer Art zu unterrichten beurteilt. • Diese überraschenden Ergebnisse wurden darauf zurückgeführt, dass: – die Maßnahmen in den Versuchsgruppen nur teilweise umgesetzt wurden, – die Maßnahmen spontan in den Kontrollgruppen umgesetzt wurden. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.4 Die Schweizer-Koedukationsstudie • Daraufhin wurde eine zweite Analyse durchgeführt. • Ergebnisse der 2. Analyse: – In Klassen, in denen viele Kriterien des mädchengerechten Unterrichts erfüllt wurden: • stiegen Motivation und Leistung • waren die Schüler mit Unterricht und Lehrperson zufriedener • wurde die Lehrperson wenig autoritär eingeschätzt

– Je mehr Kriterien erfüllt waren, desto zufriedener waren die Schüler mit der Lehrkraft und schätzen deren Erklärungskompetenzen höher ein. – Wie im BLK-Modelversuch gilt auch hier, dass von einem mädchengerechten Unterricht Jungen und Mädchen gleichermaßen profitieren. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.5 Salters Advanced Physics Project • Projekt der Universität York • Konsequent kontextorientierter Physikunterricht in der Oberstufe • Lehrbücher stellten Alltagssituationen in den Mittelpunkt • Titel der Unterrichtseinheiten: – Der Klang der Musik – Technologie im All – Die Vergangenheit ausgraben – Ersatzteil-Chirurgie

• Schüler schnitten in den Abschlusstest mindestens ebenso gut ab, wie die traditionell unterrichteten Schüler. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.6 An Schülervorstellungen orientierte Unterrichtskonzepte • Vermutung: – Mädchen reagieren stärker auf gute/schlechte Erklärungen/ Sachstrukturen. – Für sie ist es wichtiger, dass die Inhalte verstehbar sind.

• Beispiel: – Forschungsprojekt „Zweidimensionale dynamische Einführung in die Mechanik“ von Prof. Wilhelm, Prof. Hopf, Prof. Wiesner et al.

• Hintergrund: – Die gesamte Mechanik macht fast ein Drittel des Physikunterrichts der Sekundarstufe I aus und beginnt im G8 schon in Jahrgangsstufe 7. – Grundlage ist der newtonsche Kraftbegriff. – Aber: Der newtonsche Kraftbegriff und der Beschleunigungsbegriff werden nicht verstanden, der Unterricht ist ineffektiv. – Newtonsche Mechanik ist eines der schwierigsten Inhaltsgebiete. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.6 An Schülervorstellungen orientierte Unterrichtskonzepte • Lehr-Strategie: – Grundlage ist eine gemäßigt konstruktivistische Auffassung vom Lernen. – Wichtig: Genaue Kenntnisse der Schülervorstellungen. – Ziel: Kategorienwechsel beim Begriffelernen. – Verwendung von Schlüsselreizen, die anknüpfungsfähige Vorstellungen aktivieren. – Lehr-Lernstrategie: „instruktionsinduzierte Begriffsentwicklung“

• Fachliches Vorgehen: – – – –

Beginn mit zweidimensionalen Bewegungen Geschwindigkeit vektoriell (Tempo + Richtung), dargestellt mit Pfeil.  Zusatzgeschwindigkeit v als eigenständige  Größe  Zweites newtonsches Axiom in der Form F  t  m  v Statik nur als Spezialfall der Dynamik erwähnen (Kräfte kompensieren sich).

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10.4.6 An Schülervorstellungen orientierte Unterrichtskonzepte • Ergebnisse: mehr Verständnis bei den Schülern. • Ergebnisse nach Geschlechtern: – In Kontroll- und Treatmentgruppe sind die Jungen den Mädchen in Vorwissen hoch bzw. höchst signifikant überlegen. – Unterschiede bleiben in der Kontrollgruppe bestehen oder wachsen. – In Treatmentgruppe nach Unterricht keine signifikanten Unterschiede! Die Mädchen holen also auf! Kontrollgruppe

Treatmentgruppe

Jungen Mädchen Signifik. Jungen Mädchen Signifik. Vortest

3.18

2.68

**

3.13

2.53

***

Nachtest

4.62

3.94

**

5.57

5.18

n. s.

Zeitverzögerter Nachtest

4.58

3.64

***

5.25

4.76

n. s.

Mittelwerte nach Geschlechtern (** hoch signifikant, *** höchst signifikant) Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.4.6 An Schülervorstellungen orientierte Unterrichtskonzepte • Ähnliche Ergebnisse in Projekten mit gleichem Vorgehen: – Energiekonzept von Bader und Wiesner:

– Wärmelehre nach Bader und Wiesner:

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10.5 Fazit • Mädchengerechter Unterricht: – Von mädchengerechtem Unterricht profitieren beide Geschlechter. – Die große Lücke bezüglich Interesse und Leistung zwischen Jungen und Mädchen konnte durch die Maßnahmen nicht geschlossen werden. – Das Interesse der Mädchen hat sich dennoch tatsächlich erhöht! – Kleine Teilerfolge wurden durch Sensibilisierung der Lehrkräfte, einen auf Mädchen ausgerichteten Unterrichtsstil und ein auf die Interessen von Mädchen zugeschnittenes Curriculum erzielt.

• Auf Schülervorstellungen ausgerichteter Unterricht: – Erzielt besseres Verständnis bei den Jungen, aber vor allem die Mädchen holen auf. – Aber kein Einfluss auf das Interesse. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.6 Heute Jungenförderung nötig? • Situation: – In Hauptschule vor allem Jungen – Bei Abitur ca. 54 % Mädchen. – Im Studium ca. 60 % Frauen.

• Die Versager unseres Schulsystems sind die Jungen: – – – –

Sie haben schlechtere Noten. Bei PISA schnitten Mädchen besser als Jungen ab. Sie bleiben häufiger sitzen (vor allem am Gymnasium). Jeder zehnte Junge hat keinen Schulabschluss.

Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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10.6 Heute Jungenförderung nötig? • Mögliche Ursachen: – Jungen haben weniger Bücher als Mädchen (weniger Leseförderung). – Lehrende sind fast überwiegend Frauen von Kinderhort bis Abitur. – Unterricht läuft vor allem über Sprache. – Jungen sind in der Pubertät mit „Coolem Gehabe“ (stören, provozieren) beschäftigt, um Mädchen zu beeindrucken. – Jungen haben Angst, als Streber zu gelten

• Vorschläge: – Phasenweise oder dauerhaft nach Geschlechtern getrennter Unterricht in den Fächern Deutsch und Fremdsprachen. – Deutschunterricht muss mehr an die Interessen der Jungen angepasst werden. – Schule muss jungengerechter werden.

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Fazit • Unterschiede zwischen den Geschlechtern müssen berücksichtigt werden, ein Negieren hat negative Folgen (geschlechtsneutrale Erziehung geht nicht). • Bei den Sprachen und in Physik/Chemie ist eine phasenweise Aufhebung der Koedukation sinnvoll. • Diese Fächer müssen die Interessen von Mädchen und Jungen berücksichtigen. • Es braucht jeweils eine Sensibilisierung der Lehrkräfte. • Es braucht in allen Schulstufen und Fächern Vorbilder beider Geschlechter. Prof. Dr. Thomas Wilhelm

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