9. k ammer kon z er t Klavierquartette

9. Kammerkonzert Donnerstag, 15. Juni 2017, 20.00 Uhr

Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus

„Der liebe Mozart! er muß es recht gut mit der Welt gemeint haben, er thut dem Herzen so wohl, und nie hörte ich von ihm, daß ich nicht heiteren Gemüthes geworden wäre, und so geht es gewiß Allen, die ihn verstehen. Mozart den liebe ich recht zärtlich.“ Clara Schumann im Ehetagebuch, 24.11.1842

Gustav Mahler (1860–1911)

Quartettsatz a-Moll für Klavier, Violine, Viola und Violoncello (1876) Nicht zu schnell Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)

Quartett g-Moll für Klavier, Violine, Viola und Violoncello KV 478 (1785) 1. Allegro – 2. Andante – 3. Rondo. Allegro moderato Pause Johannes Brahms (1833–1897)

Quartett g-Moll für Violine, Viola, Violoncello und Klavier op. 25 (1861) 1. Allegro – 2. Intermezzo. Allegro ma non troppo – Trio. Animato 3. Andante con moto – 4. Rondo alla Zingarese. Presto Violine Baiba Skride Viola Lise Berthaud Violoncello Harriet Krijgh Klavier Lauma Skride

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Vier Liederzyklen, eine Sammlung von Klavierliedern, ein Werk für Chor und Orchester sowie zehneinviertel Symphonien – welch ein schmales Lebenswerk für einen Komponisten, möchte man meinen! Allerdings handelt es sich hier um das Gesamtschaffen von Gustav Mahler, und so erscheint die geringe Werkanzahl gleich in einem anderen Licht, angesichts des monumentalen Umfangs einer jeden seiner Symphonien und der Bedeutung, die Mahler damit als Symphoniker in der Musikgeschichte einnimmt. In seiner Jugend wollte Gustav Mahler noch Opernkomponist werden, bekannt sind drei Projekte mit den klangvollen Titeln „Rübezahl“, „Die Argonauten“ und „Herzog Ernst von Schwaben“. Daneben hat er auch einige Kammermusikwerke verfasst, man weiß von je einer Violinsonate, einem Klavierquintett und einem Klavierquartett. Leider hat Mahler jedoch sämtliche seiner frühen Kompositionen vernichtet, lediglich sein 1876 während seiner Zeit am Wiener Konservatorium entstandener Klavierquartettsatz hat überdauert, weil Mahler ihn zu einem Kompositions­ wettbewerb nach Russland geschickt hatte und verloren glaubte. Nach-­ dem das Manuskript in den 1950er Jahren wieder aufgetaucht war, wurde es 1973 zusammen mit Skizzen zu einem weiteren Klavierquartettsatz veröffentlicht. Ein Klangteppich à la Bruckner – Bruckner war Professor am Wiener Konservatorium und bewundertes Vorbild – eröffnet den Satz, lässt das Thema mit seinem prägnanten Kopfmotiv aus Sextaufschwung mit Sekundfall schwelgerisch aussingen. „Mit Leidenschaft“, und „Sehr leiden­ schaftlich“ lauten die Vortragsbezeichnungen, wenn das Thema von den Streichern übernommen wird und diese es in engem Wechsel herzüberquellend verdichten. Mahler schafft schon in diesem frühen Werk in Sonatensatzform durch den dichten Satz einen enorm großen Bogen, der sich einer Gliederung in fassbare Einheiten entzieht. Ein „Entschlossen“ vorzutragendes, von chromatischen Abgängen geprägtes zweites Thema enthält zwar neue Elemente, bezüglich der Agogik und Expressivität entspricht es jedoch dem Satzbeginn. In der Durchführung zeigt sich schon ein Personalstil, der auch die späteren großen Werke kennzeichnen

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wird: wenig Modulation, häufige Repetition, ein beinahe statisches Aneinanderreihen von in sich geschlossenen Quadern. Doch bevor Mahler sich durch die ewige Wiederholung des Kopfmotivs in Monotonie verrennt, leitet er über eine durch gedämpfte Streicher klanglich verfremdete Passage zur Reprise. Diese verläuft recht regulär, kulminiert jedoch – ebenfalls als Vorausschau auf den späteren Mahler – in einer hochexpressiven Violin­ kadenz, die den Rahmen des Satzes fast zu sprengen scheint.

Wolfgang Amadeus Mozart hat zwei Klavierquartette geschrieben. „Na und?“, möchte man fragen. Angesichts seines riesigen Oeuvres scheinen zwei Kammermusikwerke vernachlässigenswert. Doch hat es mit diesen beiden Stücken etwas ganz Besonderes auf sich, stellen sie doch so etwas wie einen Grundstein der Gattung Klavierquartett dar. Schon vor Mozart gab es Quartettkompositionen für Klavier und Streicher, jedoch dominierte in diesen zumeist das Klavier, während den Streichern nur die Aufgabe von Füllstimmen zufiel. Bei Mozarts beiden Quartetten handelt es sich aber nicht mehr um solche kammermusikalisch besetzten Klavierkonzerte, er stellte dem Klavier die drei Streicher als gleichberechtigte Partner an die Seite. Mozart war 1781 aus Salzburg nach Wien gekommen, „für mein Metier der beste ort von der Welt“, wie er seinem skeptischen Vater versicherte; tatsächlich schaffte er es binnen kurzer Zeit, sich zu etablieren. 1784 begann er eigene Konzertreihen zu veranstalten, in denen er seine Werke vorstellen konnte. Stolz schickte Mozart seinem Vater eine Liste mit über 170 Namen von adligen Persönlichkeiten, die für seine Konzerte subskribiert hatten – allein im Frühjahr 1784 gab er innerhalb von sechs Wochen 22 Konzerte. Neben dem Konzertieren komponierte er viel – unter anderem 14 Klavierkonzerte –, und aufgrund seiner Popularität erschienen zahlreiche Werke schnell im Druck.

W o l f g a n g A m a d e us M o z a r t

G us t a v M a hl e r

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Mozart hatte bereits über 20 Streichquartette geschrieben, bevor er seine beiden Klavierquartette in g-Moll KV 478 und in Es-Dur KV 493 komponierte. 1785 war er von seinem Logenbruder, dem Komponisten Franz Anton Hoffmeister, gebeten worden, für dessen kurz zuvor gegründeten Verlag drei Klavierquartette zu schreiben. Sicherlich hatte Hoffmeister leichte, gefällige Stückchen erwartet; doch schon Mozarts g-Moll Quartett, das Hoffmeister veröffentlichte, stellte zu hohe Anforderungen an seine laienhaft musizierende Kundschaft und verkaufte sich deshalb schlecht. So bot Hoffmeister Mozart im Sommer 1786 an, ihm den vorausbezahlten Teil des Honorars zu schenken, unter der Bedingung, „dass er die zwey anderen accordierten Quartette nicht schrieb und Hoffmeister seines Contractes entbunden wäre“ (Mozarts Biograph G. N. von Nissen, 1828). Zu diesem Zeitpunkt hatte Mozart jedoch auch schon das Es-Dur Quartett komponiert. Ein Glück, kann man heute sagen. Am 2. Dezember 1785 schrieb Leopold Mozart an seine Tochter Nannerl nach St. Gilgen: „ … gestern brachte endlich der Austräger ein wohlverwahrtes Päckl vom Postwagen mit den 6 Quartetten, und 3 Sparten. näm: ein Quartett mit dem Clavier, Violino, Viola und Violoncello obligato. Dann die 2 grossen neuen Clavier Concerte. Das Clavier quartetto ist erst vom 16ten october dieses jahr, und liegen schon das Violin und Viola, weils bereits gestochen sind, im Abdruck dabey.“ Über den Genuss, den Leopold diese Werke verschafft haben müssen, erfährt Nannerl nichts, weil dieser Brief ebenso wie die folgenden fast ausschließlich die Gesundheit von Nannerls Sohn Leopold – der sich in diesen Monaten beim Großvater befand und nach dessen amüsiertem Urteil (wegen eines Hautausschlags) „einem Saufbruder ähnlich“ sah – und einiges an pikantem Tratsch zum Gegenstand hat. Dass aber Vater Mozart fürwahr allen Grund hatte, auf das neueste Werk seines Sohnes stolz zu sein, können wir leicht nachvollziehen. Das einprägsame Motto des Kopfsatzes mit dem charakteristischen Dialog zwischen Tutti und Klaviersolo lässt sofort den dramatischen Eindruck eines Konzertsatzes entstehen. Unter Mozarts Klavierkonzerten stehen nur

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zwei in Moll (KV 466, d-Moll, und KV 491, c-Moll), und beide sind in unmittelbarer Nachbarschaft der Klavierquartette entstanden. In den Kopfsätzen dieser beiden Konzerte ist der für das Genre typische dialogische Konflikt zwischen Soloinstrument und Orchester gleichsam hinaus­ gezögert – das Klavier kommt jeweils erst am Ende einer deutlich symphonische Züge tragenden Orchesterexposition zu Wort. Verglichen damit präsentiert sich das Klavierquartett also sogar „konzertanter“ als die Konzerte. Bemerkenswert ist, dass die Solopartien aller drei Werke mit dem gleichen expressiven Oktavruf auf der Dominante beginnen, dem jedes Mal eine resignativ fallende Geste folgt. Ganz der Stilwelt der Streich­ quartette entstammt die kontrapunktische Klarheit, mit der das Motto die weitere Entwicklung trägt und prägt. Der von der thematischen Keim­zelle des Mottos ausgehende düster beharrende Grundton des Satzes wird nur wenige Male spielerisch aufgelockert, jedoch niemals ganz aufge­ geben. In den allerletzten Takten tritt dann der rezitativische Ursprung dieses Hauptmotivs ganz klar zutage: Der Kopfsatz endet mit einer Unisono-­ These, deren Ernst und Strenge nicht nur keinen Widerspruch zu dulden, sondern auch keine Weiterentwicklung zuzulassen scheint. Um so erstaunlicher ist, wie im folgenden Andante die Strenge weicht. Die rhythmische Monomanie des Kopfsatzes löst sich auf, in einer schlichten zweiteiligen Form werden melodische Einfälle aneinandergereiht, innig ausgesungene Melodiebögen gesponnen. Das abschließende Rondo ist als Gegenwicht zum fast erdrückend bedrohlichen Kopfsatz übermütig und voller Spielfreude.

Johannes Brahms

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Als Robert Schumann 1853 in seinem berühmten Artikel „Neue Bahnen“ Johannes Brahms der musikalischen Öffentlichkeit vorstellte, war es, als verkünde er die Ankunft eines neuen Messias: „Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, […] Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden und laut­jubelnden Stimmen machte. […] Sonaten für Violine und Klavier, – Quartette für Saiteninstrumente, – und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasser­ fall, über die hinunterstürzenden Wogen den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallen­ stimmen begleitet.“ Dem gerade 20-jährigen „Hamburger Jung“ haben die Elogen sicherlich geschmeichelt, allerdings müssen sie ihn auch sehr überfordert haben. Schumanns Artikel ließ in Brahms die Sorge aufkommen, dass er die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen könnte. Außerdem spürte er, dass die Ausbildung, die er in Hamburg durch Eduard Marxsen erfahren hatte, nicht ausreichen würde, um sich auf Dauer als Komponist behaupten zu können. Als Konsequenz dieser Erkenntnis zog er einige von Schumann zum Druck beim Verlag Breitkopf & Härtel vorgeschlagene Werke zurück. Dieses gesteigerte Verantwortungsgefühl betraf vor allem die von Brahms in seiner Frühzeit, also bis 1853 geschaffenen Kammermusikwerke, jene Sonaten, Quartette und Klaviertrios, die Schumann auch in seinem Artikel benannte. Brahms hat diese Stücke später – leider! – vernichtet. Aus diesem Verhalten des 20-jährigen Komponisten Brahms lässt sich folgern, dass er schon in diesen frühen Jahren der Gattung der Kammermusik einen ganz besonderen Stellenwert in seiner Musik beigemessen haben muss. Ab 1855 begann er eine Studienzeit, in der er

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lernen wollte, ein ähnliches Niveau kompositorischer Qualität zu erreichen, wie die Vorgänger und Vorbilder Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert. Gleichzeitig suchte er neue Wege zu beschreiten: in formaler Hinsicht, in der motivischen Entwicklung von Sätzen, in der Rhythmik und in ihrer Harmonik, vor allem in der Behandlung von Dissonanzen und in der Erweiterung des Radius angewandter Tonarten und deren neuartiger Beziehungen untereinander. In seine Studienzeit fällt die Arbeit an verschie­ denen Klavierquartetten, von denen Brahms 1861 zwei als Opus 25 und 26 vollendete. Wie sehr er sich mit diesen Werken und als Komponist von Kammermusik überhaupt identifizierte, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass er sich bei seiner Übersiedlung nach Wien 1862 mit dem Klavierquartett in g-Moll op. 25 der Öffentlichkeit vorstellte. Brahms Kompositionsstil ist als die Verbindung von Logik und Poesie bezeichnet worden. Mit Logik ist das tradierte Schema der Sonaten­ satzform gemeint, mit seinen zwei kontrastierenden Themen in verschiedenen Tonarten, die einer harmonisch streng geregelten Behandlung unterzogen werden, um am Ende aus diesem Prozess nicht mehr kontrastierend, sondern harmonierend hervorzugehen. Poesie, das ist die Art, wie Brahms die Themen eine über die Regeln hinausgehende Metamorphose durchlaufen lässt, sie variiert, neue Themeneinsätze verschleiert, dabei die traditionellen Themengestalten und Themenkontraste nicht aufhebt, sie vielmehr neu miteinander verflicht. Arnold Schönberg hat dieses seiner Ansicht nach für Brahms stil- beziehungsweise personaltypische Verfahren „entwickelnde Variation“ genannt und es zur Grundlage seines eigenen Schaffens erklärt. „Form in der Musik“, so Schönberg in seinem Aufsatz „Brahms der Fortschrittliche“ (1947), „dient dazu, Fasslichkeit durch Erinnerbarkeit zu bewirken.“ Zur Erinnerbarkeit trägt eine Kompositionsweise in gleich langen (2-, 4- oder etwa 8-taktigen Phrasen) bei. Allerdings erreicht man musikalische Spannung natürlich gerade auch durch die Abweichung von dieser „Norm“, durch Phrasen ungleicher Länge. Brahms hat schon in seinen frühen Kammermusikwerken mit asymmetrischen Phrasen gearbeitet.

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Ludwig Meinardus, der eine Besprechung des Klavierquartetts op. 25 mit dem emphatischen Ausruf „Beethoven ist todt. Es lebe Brahms!“ eröffnete und beendete, konstatierte, dass Brahms es verstehe, aus „Wenigem Viel zu machen: Brahms weiß den Werth des kleinsten Motives zu schätzen u. indem er selbst es der Entwickelung würdigt, macht er dasselbe auch den Hörern vertraut u. lieb und fesselt die Aufmerksamkeit dafür so lange, als es rechtschaffen ist.“ Schönbergs Idee der „Fasslichkeit durch Erinnerbarkeit“ findet sich hier schon wieder. Was macht Brahms nun in seinem Quartett? Ganz der Tradition folgend schreibt er den Kopfsatz in Sonatensatzform, eröffnet diesen im Klavier mit einem markanten Thema, das von den Streichern aufgegriffen und fort­ geführt wird. Die Intervallfolge von Sexte, Quarte und Sekundschritt bildet die Grundlage dieses Themas, das sogleich Veränderung erfährt und neue Themeneindrücke evoziert. So erweckt schon gleich die nach der ersten Themenvorstellung von Klavier und hohen Streichern gespielte seufzende Figur einer fallenden Sekunde den Eindruck eines neuen Themas, greift aber nur eine kurz zuvor gespielte Begleitfloskel auf und spinnt diese weiter. Abgesehen davon, dass Brahms hier mit der Verwendung der Tonart B-Dur dem tradierten harmonischen Bauplan weit vorausgreift, geht er auch im Folgenden durch die Einführung von vier weiteren thematischen Ideen weit über das hinaus, was bis dahin üblich war. Doch so richtig stören kann das den Hörer nicht, wenn er es überhaupt bemerkt. Denn durch das Aufgreifen und Weiterentwickeln von schon Gespieltem, erscheinen alle diese Themen vertraut, gehen fast naturgesetzlich aus­ einander hervor. Als zweites „richtiges“ Thema im Sinne des Sonatensatzes erklingt im Cello eine weitausgreifende d-Moll-Kantilene, die von der Violine aufgegriffen und ausgeziert wird. Auch sie erfährt Veränderungen, „gebiert“ neue Themeneindrücke. Die Exposition hat zwei Schlüsse und enthält schon so viel Themenverarbeitung, dass der Übergang zur Durchführung verschleiert erscheint – und auch nicht wirklich bedeutend. Mutet die Exposition wie ein dramatischer „Kampf zwischen dem Kopf­­ thema und seinen Trabanten einerseits und einer ganzen Reihe kantabler

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Gegenthemen“ (Ludwig Finscher) an, so kreist die Durchführung fast ausschließlich um das Kopfthema. Dafür taucht dieses in der Reprise erst verspätet auf. Das Intermezzo hatte Brahms ursprünglich als Scherzo bezeichnet, auf Anraten von Clara Schumann jedoch den Titel geändert. Den „typischen“ Scherzocharakter lässt Brahms auch gar nicht aufkommen, die Streicher spielen mit Dämpfern, die Grundtonart ist verhaltenes c-Moll. Wie schon im Kopfsatz lässt er auch hier die Stimmen – meist Streicher gegen Klavier – blockhaft alternieren, gibt die Themenvorstellung zu Satzbeginn dem Streichtrio und lässt das Thema erst danach vom Klavier zu Streicherbegleitung wiederholen, nicht jedoch bevor das Klavier ein neues Thema, dem ersten eng verwandt, vorgestellt hat. Lediglich ein weiteres drittes, durch eine Vorschlagfigur charakterisiertes Thema führt Brahms in diesem Satz ein und arbeitet mit dem Wechsel dieser Themen ohne sie weiter zu verändern. Eine solche Verarbeitung und Erweiterung bietet das Trio dar, in dem der erste Gedanke des Intermezzos aufgegriffen wird und in „aufgeribbelter“, bruchstückhafter Gestalt die Textur bildet; eine walzer­ hafte Mittelepisode stützt sich auf das zweite Thema des Intermezzo. War schon der zweite Satz kein „richtiges“ Scherzo, so erscheint es dem Charakter des Werkes nur zu entsprechen, dass auch der langsame Satz etwas untypisch ist. Brahms eröffnet dieses in dreiteiliger ABA’-Liedform gehaltene Andante con moto mit einem warmen, leidenschaftlichen Melodiebogen, dem die durchlaufenden Achteln des Klaviers einen eigentümlich strengen Geschmack beimischen – wohliges Zurücklehnen ist hier anscheinend nicht erwünscht. Und als sollte diese latente Vorahnung Bestätigung finden, lässt Brahms im Mittelteil den Satz in einen Marsch kippen, der sich fast unauffällig in der Klavierbegleitung heranschleicht und schließlich gänzlich das musikalische Geschehen beherrscht. Nur langsam stellt sich wieder die Stimmung des Beginns ein, wobei das Anfangs-­ thema verschiedene Erweiterungen und Entwicklungen erfährt, bevor Brahms den Satz ruhig verklingen lässt.

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Ein Kopfsatz, der die tradierte Sonatensatzform sprengt, unorthodox das Scherzo und Andante – es scheint unvermeidlich, dass Brahms im Finale ein Feuerwerk entzündet. Und als solches gestaltet er das Rondo alla Zingarese. Auch im Finale findet ständig eine Metamorphose der Themen statt, wird etwa die einfache Schlussfloskel des ersten Abschnitts zum Themenkopf des folgenden. Beinahe durchgehend in dreitaktigen Phrasen gehalten, reiht Brahms in diesem Presto vier kontrastierende Episoden, verstärkt durch eine das Cymbal imitierende große Kadenz im Klavier das ungaresk-zingareske Kolorit. Fast improvisiert lässt er einige Abschnitte klingen; die Streicher lassen sich sogar auf ein kurzes Fugato ein, eine langsame, fast ein wenig kontemplative Stimmung, die sich dann aber als „Startrampe“ für die rasante Stretta entpuppt. Magnus Bastian

Baiba Skride wird weltweit für inspirierende Interpretationen und ihren unverwechsel­ baren Geigenton hoch geschätzt. Sie gehört zu den profiliertesten Violinistinnen unserer Zeit. Ihr Musikstudium begann Skride in ihrer Heimatstadt Riga. Im Jahr 1995 wechselte sie an die Hochschule für Musik und Theater Rostock, um dort ihr Studium bei Professor Petru Munteanu fortzusetzen. Heute ist sie eine weltweit gefragte Musikerin, die sowohl solistisch als auch kammermu­ sikalisch auftritt. Sie spielte bereits mit namhaften Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Gewandhaus­ orchester Leipzig, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Sinfonieorchester von Kopenhagen, dem Russian National Orchestra und dem London Philharmonic Orchestra. Auch in den USA konnte sich Baiba Skride als eine der führenden Geigerinnen etablieren. Dort spielt sie regelmäßig mit dem Boston Symphony Orchestra und gab im Frühjahr letzten Jahres ihr Debüt mit dem New York Philharmonic unter Christoph Eschenbach und mit dem National Symphony Orchestra Washington unter Neeme Järvi. Danach folgten weitere Konzerte mit dem Chicago Symphony Orchestra und dem Cleveland Orchestra. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie mit Dirigenten wie Andris Nelsons, Yannick Nézet-Séguin, Christoph Eschenbach, Kirill Petrenko, Donald Runnicles und Gustavo Gimeno. Kammerkonzerte mit Künstlern wie Alban Gerhardt, Brett Dean, Daniel Müller-Schott, Bertrand Chamayou und ihrer Schwester Lauma Skride führten sie in renommierte Spielstätten wie das Concert­ gebouw Amsterdam und die Wigmore Hall London. Für Orfeo spielte die junge Violinistin zahlreiche Aufnahmen ein, darunter jüngst die Violin­ konzerte von Nielsen und Sibelius. Außerdem erschienen Skrides Einspielungen der Violinkonzerte von Szymanowski, Schumann, Strawinsky, Martin, Brahms und Tschaikowsky.

Baiba Skride

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Die französische Bratscherin Lise Berthaud begann im jungen Alter von fünf Jahren mit dem Geigen­spiel. Ihr Musikstudium absolvierte sie am Convervatoire de Paris bei den Professoren Pierre-Henri Xuereb und Gérard Caussé. Sie ­spielte bereits international mit renommierten Orchestern wie dem Isländischen Sinfonieorchester, dem Orchestre National de Belgique, den Düsseldorfer Symphonikern, dem Orchestre de Chambre de Paris, der Hong Kong Sinfonietta, dem São Paulo Phil­harmonic Orchestra und dem Orchestre National de Lyon. Außerdem spielte sie als Solistin bereits mit allen BBC Orchestern (BBC Philharmonic Orchestra, BBC National Orchestra of Wales, BBC Scottish Symphony Orchestra, BBC Concert Orchestra), darunter auch bei ihrem BBC Proms Debüt 2014 mit dem BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Andrew Litton. Eine große Leidenschaft der französischen Violistin ist die zeitgenössische Musik. Berthaud kann dabei auf eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Komponisten wie Philippe Hersant, Thierry Escaich, Henri Dutilleux und György Kurtág zurückblicken. Mit gerade einmal sechzehn Jahren gewann Lise Berthaud den Ersten Preis beim Concours National des Jeunes Altistes. Zwei Jahre später folgte dann der Erste Preis beim Concours Européen des Jeunes Interprètes und 2003 der Zweite Preis des Concours International d’Avignon. Im Jahr 2005 gewann Berthaud den Hindemith-Preis der Concours der Geneva International Competition. Ihr erstes Soloalbum mit Werken von Brahms, Schumann und Schubert veröffentlichte Lise Berthaud 2013 mit dem Pianisten Adam Laloum beim französischen Label „Aparté“.

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Harriet Krijgh gehört zu den auf­ regendsten und vielversprechendsten jungen Cellistinnen der Gegewart. Nach ersten Studien an der Hochschule für Musik Utrecht folgte ein Umzug nach Wien, um bei Lilia Schulz-Bayrova an der „Konser­ vatorium Wien Privatuniversität“ Cello zu studieren. Nach ihrem Bachelowrabschluss 2015 folgte ein erfolgreich abgeschlossenes Masterstudium an der Kronberg Academy. Harriet Krijgh spielte bereits in den bedeutendsten Sälen Europas. Sie spielte mit Orchestern wie dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem NDR Sinfonieorchester Hamburg, dem ORF Radio-Symphonie­ orchester Wien, dem Trondheim Symphony Orchestra, dem Rotterdam Philharmonic und dem London Philharmonic Orchestra. Außerdem spielte sie bereits bei internationalen Festivals wie dem Rheingau Musik Festival, dem Schleswig Holstein Musik Festival und den Haydn Fest­ spielen Eisenstadt. Die junge Cellistin ist Preisträgerin zahlreicher Wett­ bewerbe. So gewann sie unter anderem erste Preise beim „Prinses Christina Concours“ in den Niederlanden, beim Österreichischen Bundes­wett­ bewerb „Prima la Musica“, beim Fidelio-Wettbewerb in Wien und den „Nicole Janigro Preis“ beim internationalen „Antonio Janigro Cello Competition“ in Kroatien. Für das Label Capriccio nimmt sie seit 2011 CDs auf. Es erschienen unter anderem die Cellokonzerte von Joseph Haydn, fran­ zösische Kompositionen für Cello und Klavier, Sonaten von Johannes Brahms sowie mit „Elegy“ romantische Werke für Cello und Orchester, eingespielt mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Gustavo Gimeno. Harriet Krijgh ist neue künstlerische Leiterin des Internationalen Kammermusikfestivals in Utrecht.

H a r r i e t K r i jgh

L i s e B e r t h a ud

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Lauma Skride begann ihre musikalische Ausbildung als Schülerin von Anita Paze an der Musikhochschule Emil Darzins in Riga. Anschließend studierte sie in der Klasse von Professor Volker Banfield an der Musikhochschule für Musik und Theater Hamburg. Die lettische Pianistin wird insbesondere für ihre Interpretationen des deutschen klassischen und romantischen Repertoires geschätzt. Sie gastierte bei Orchestern wie dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt, den Hamburger Symphonikern, der Dresdner Philharmonie, dem Orquesta de Gran Canaria, den Heidelberger Philharmo­ nikern, den Essener Philharmonikern, dem Osnabrücker Sympho­nie­or­chester und dem Staatsorchester Bremerhaven. Sie arbeitete mit nam­ haften Dirigenten wie Andris Nelsons, Kristjan Järvi, Muhai Tang, John Storgårds, Pedro Halffter, Yan Pascal Tortelier und Cornelius Meister zusammen. Regelmäßig gastiert Lauma Skride mit ihrer Schwester, der Geigerin Baiba Skride, auf bedeutenden internationalen Podien. Zu weiteren Kammermusikpartnern zählen Daniel Müller-Schott, Sol Gabetta und Julian Steckel, Jörg Widmann, Christian Tetzlaff und das Armida Quartett. Für Orfeo nahm die junge Pianistin gemeinsam mit ihrer Schwester Baiba die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms in einer Bearbeitung für Violine und Klavier von Joseph Joachim auf. Zuletzt erschien eine CD der beiden Schwestern mit einem rein skandinavischen Programm.

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8. Sinfoniekonzert

Sonntag, 25. Juni 2017, 11.00 Uhr, Großes Haus Montag, 26. Juni 2017, 20.00 Uhr, Großes Haus György Kurtág Stele op. 33

Richard Strauss Also sprach Zarathustra op. 30 Igor Strawinsky Le Sacre du Printemps Das Staatsorchester Darmstadt

Dirigent Will Humburg

Open Air-Konzert zum Heinerfest

Sonntag, 02. Juli 2017, 19.00 Uhr, Georg-Büchner-Platz Das Staatsorchester Darmstadt

Mitglieder des Staatstheaterensembles

Moderation Gernot Wojnarowicz Dirigent Felix Bender 10. Kammerkonzert

Donnerstag, 06. Juli 2017, 20.00 Uhr, Kleines Haus Franz Schubert

Trio für Violine, Viola und Violoncello B-Dur D 581 Ludwig van Beethoven

Trio für Violine, Viola und Violoncello D-Dur op. 9 Nr. 2

Bernd Alois Zimmermann

Trio für Violine, Viola und Violoncello Ernst von Dohnányi

Serenade C-Dur op. 10 für Violine, Viola und Violoncello Violine Mark Buschkow Viola Adrien Boisseau Violoncello Aleksey Shadrin

Konzerthinweise

Lauma Skride

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Kehrauskonzert

Freitag, 07. Juli 2017, 20.00 Uhr, Großes Haus

Werke u. a. von Wagner, Tschaikowsky und Smetana Das Staatsorchester Darmstadt

Der Opernchor des Staatstheaters Darmstadt Mitglieder des Staatstheaterensembles

Moderation Gernot Wojnarowicz Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint Dirigent Christoph Gedschold

Impressum Spielzeit 2016 | 17, Programmheft Nr. 40 | Herausgeber: Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt, Telefon 06151. 2811-1 Intendant: Karsten Wiegand | Geschäftsführender Direktor: Jürgen Pelz Redaktion und Texte: Magnus Bastian | Mitarbeit: Daria Semenova Fotos: Marco Borggreve und Neda Navaee Sollte es uns nicht gelungen sein, die Inhaber aller Urheberrechte ausfindig zu machen, bitten wir die Urheber, sich bei uns zu melden.

Gestalterisches Konzept: sweetwater | holst, Darmstadt Ausführung: Hélène Beck | Herstellung: Dinges & Frick GmbH, Wiesbaden

„Gewaltsam zerreiße ich die Bande, die mich an den eklen, schalen Sumpf des Daseins ketten, und mit der Kraft der Verzweiflung klammere ich mich an den Schmerz, meinen einzigen Tröster. – Da lacht die Sonne mich an – und weg ist das Eis von meinem Herzen, ich sehe den blauen Himmel wieder und die schwankende Blume, und mein Hohnlachen löst sich in das Weinen der Liebe auf.“ Gustav Mahler, 1879