2.5 Wann ist ein Projekt erfolgreich? Abwicklung und Anwendung ein doppelter Erfolgsmaßstab

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Wann ist ein Projekt erfolgreich?

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2.5 Wann ist ein Projekt erfolgreich? Helmut Strohmeier

2.5.1 Abwicklung und Anwendung – ein doppelter Erfolgsmaßstab Eine wahre Geschichte: Neueste Telefonanlagen waren deutschlandweit installiert, die „elektronische Empfangsdame“ so programmiert, dass sie Anrufer nach Wünschen befragen und ihnen sodann Hinweise geben konnte, welche Tastenkombination an die Stelle führt, die ihr jeweiliges Anliegen entgegennimmt. Arbeitsverträge mit Telefonistinnen waren „im gegenseitigen Einvernehmen“ gelöst worden. Ein erfolgreiches Projekt also, denn, wie die offizielle Abnahme bestätigte, die Anforderungen waren alle erfüllt, das Budget nicht überschritten und das neue System genau in der Woche ans Netz gegangen, die der Plan vorsah. Nach einem halben Jahr aber sprach niemand mehr von einem Erfolg. Das System wurde mit sofortiger Wirkung eingestampft, die Telefonistinnen unverzüglich wieder eingestellt. Was war passiert? Der Umsatz ging in den ersten sechs Monaten nach Einführung um 30 Prozent zurück, der Kundenstamm reduzierte sich um fünf Prozent. Anstatt sich geduldig den Anweisungen des Sprachcomputers unterzuordnen, zog es so mancher Anrufer offenbar vor, die Nummer der Konkurrenz zu wählen; freundliche und vertraut klingende menschliche Stimmen empfand er offensichtlich angenehmer als mo-

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derne Technik. Ohne sofortige Kehrtwendung hätte das Unternehmen, ein Servicebetrieb für Reparaturen und Ersatzteilversorgung, seine vermeintliche Rationalisierungsmaßnahme wohl nicht überlebt.

2.5.2 So mancher Erfolg zeigt sich erst spät Jedes Unternehmen ist abhängig vom Erfolg seiner Projekte, nicht selten von termingerechter Einführung und von Budgettreue, mehr aber noch vom tatsächlichen Eintritt erhofften Nutzens und erst recht vom Ausbleiben schädlicher Wirkungen. Erst die nutzbringende Anwendung einer neuen Lösung bringt den Fortschritt fürs Unternehmen, nicht schon der Projektabschluss, selbst wenn dieser mit gehörigem Stolz, weil selten genug, das „with defined quality, in budget und in time“ vermelden darf. Handelt es sich bei oben geschildertem Fall um eine Ausnahme? Was die Wucht schädlicher Auswirkungen betrifft, vielleicht schon, aber wohl nicht, wenn man sich an das erinnert, was uns meist beiläufig, aber zunehmend oft zu Ohren kommt: Berichte über eher schlechte oder unausgereifte Lösungen, die mehr schaden als nutzen; ins Leben gerufene Folgeprojekte, die nur deshalb gebraucht werden, weil es unhaltbare Zustände zu korrigieren gilt. Wer hat noch nicht davon gehört, dass Unternehmen nach verblasster Outsourcing-Euphorie nun wieder vehement Insourcing betreiben? Wer hat sich nicht schon über Harry Sneeds [1] Erkenntnisse gewundert, dass 70 Prozent der Kosten für eigenentwickelte Software erst dann entstehen, wenn sie bereits eingeführt ist: unzureichender Umfang oder fehlende Qualität also, die es Anwendern lange Zeit unmöglich macht oder es ihnen zumindest erheblich erschwert, Nutzen zu schöpfen. Oder nehmen wir Grögers Untersuchung [2]: 43 Prozent seiner untersuch-

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ten Projekte konnten als Misserfolge angesehen werden, nicht weil das Projekt schlecht abgewickelt wurde, sondern weil es schlichtweg das falsche Projekt war, das man angepackt hat – Projekte, deren Ergebnisse dem Unternehmen nicht dienten, sondern die vielmehr Wertevernichtung betrieben, wie Gröger eine solche Folge nennt. „To do the right things and to do things right“ haben die Amerikaner die doppelte Herausforderung, vor der wir in Projekten stehen, in der für sie typischen Art auf den Punkt gebracht. Ganz offensichtlich verlangen Projekte nach einem doppelten Maßstab zum Messen ihres Erfolgs [3], je einen Maßstab für – Anwendungserfolg und – Abwicklungserfolg.

Anwendungsund Abwicklungserfolg

Der Anwendungserfolg konzentriert sich auf ausgeschöpfte Chancen und eingetretenen Nutzen ebenso wie auf tatsächlich erkannten Bedarf einer Organisation und damit auf die Frage, ob der Umfang eines Projekts richtig gewählt wurde. Ferner betrachtet er Risiken des späteren Einsatzes oder feststellbare schädliche Wirkungen. Der Abwicklungserfolg hingegen fragt, ob die Elemente des magischen Dreiecks, Qualität, Termin, Budget, im vereinbarten Rahmen geblieben sind, und darüber hinaus, ob mit Risiken, die das Fertigen der Lösung hätten gefährden können, gut umgegangen wurde.

2.5.3 Unsere Gewohnheit, den Erfolg zu messen Wie aber beurteilen wir heute üblicherweise den Erfolg? Man nehme als Beispiel die wiederkehrenden Reports der Standish Group [4]. Um in die Kategorie erfolgreich eingestuft zu werden, muss das Projekt alle Anforderungen erfüllen, darf das Budget nicht überzogen werden und muss den vereinbarten

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Kriterien des Abwicklungserfolgs

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Termin eingehalten haben. Die Einstufung konzentriert sich also ausschließlich auf Kriterien des Abwicklungserfolgs – und ist sogar bezogen auf diesen unvollständig. Wo nämlich wird fähiges Risikomanagement bewertet? Wir wissen doch nicht erst seit DeMarco [5], dass Schuld nicht dann entsteht, wenn ein unbeachtetes Risiko die Katastrophe herbeigeführt hat, sondern bereits zum Zeitpunkt, als man sich dessen bewusst wurde, aber dennoch keine ausreichende Vorsorge traf. So könnte mancher Glücksritter die Erfolgsstatistik der Standish Group anführen, jener (Projekt-)Kapitän also, der wissentlich die Weltmeere mit einem maroden Kahn besegelte und sein unerschütterliches Vertrauen, das ferne Ziel zu erreichen, aus der Tatsache schöpfte, dass er bislang nie untergegangen ist. Dagegen wäre ein Projekt, das nach dem Erkennen von Gefahren in Risikomanagement investiert hat, dabei aber sein Budget überziehen musste, schlechter eingestuft als das, das ohne Risikomanagement, aber mit viel Gottvertrauen den Erfolg errang. Beurteilung des Abwicklungserfolgs

Und wo bleibt die Beurteilung des Anwendungserfolgs? Obwohl fürs Unternehmen von entscheidender Bedeutung, bleibt er mehr oder weniger unerwähnt – publizierte Erfolgsstorys einmal ausgenommen. Damit aber könnten die Einstufungen à la Standish Group noch grotesker werden. Ein Projekt, das Kunden vertreibt so wie das eingangs beschriebene, müsste als höchst erfolgreich eingestuft werden (die Ecken des magischen Dreiecks sind ja allesamt erfüllt). Seinen Machern wäre höchstes Lob zu zollen, während jenes in die Misserfolgsecke zu schieben wäre und als Symbol für schlechtes Projektmanagement zu gelten hätte, das schädliche Wirkungen noch vor Einführung erkannte und die Lösung zwar mit Terminverzug, aber noch rechtzeitig so umbaute, dass sich bietende Chancen hätten ausschöpfen lassen. Das berühmte magische Dreieck reicht also allein noch nicht, um den wahren Erfolg eines Projekts zu messen. Wohlgemerkt, es geht um einen Erfolgsmaßstab für Projekte, nicht

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Chancen

Umfang

Qualität

Risiko Anwendung

Budget

Risiko Abwicklung

Termin

Abb. 2.5-1: Das Siebeneck des Projekterfolgs

um jenen, den wir zur Beurteilung anlegen, ob ein Projektmanager seine Aufgabe gut erledigt hat oder nicht. Das ist ein gewaltiger Unterschied, der noch zu behandeln sein wird. So gesehen und rein formal betrachtet besteht der Erfolgsmaßstab für unsere Projekte also nicht aus einem Dreieck, sondern einem Siebeneck (Abb. 2.5-1):

Das Siebeneck des Projekterfolgs

– Chancen Erkannte, sich bietende und ihrer Bedeutung nach eingestufte Möglichkeiten, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit zum Wohl einer Organisation ausgeschöpft werden könnten. – Umfang Anzahl der Elemente einschließlich ihrer Verknüpfungen zueinander, an denen eine Organisation Bedarf hat, sich zu verändern, damit sich Chancen verwirklichen lassen. Es ist das Wissen, an welchen Stellen die Hebel anzusetzen sind, gepaart mit einer Einschätzung des Widerstands, sich verändern zu lassen.

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– Risiken Anwendung Ausmaß und Wirkung potenzieller Schäden, die eine neue Lösung mit sich bringen könnte, einschließlich der Qualität von Maßnahmen zur Beseitigung und Reduzierung. – Qualität Verdeutlichung, wie eine Lösung zu gestalten ist, damit sich der Bedarf einer Organisation decken lässt und das Ausschöpfen von Chancen wahrscheinlich wird. – Termin Zeitpunkt, an dem die Lösung vollständig oder teilweise fertiggestellt ist und nun beginnt ihre Wirkungen zu zeigen. – Budget Umfang an Zeit, Aufwand und Kosten, um die Lösung produzieren zu können. – Risiken Abwicklung Umfang und Ausmaß potenzieller Gefahren, die verhindern könnten, dass Qualität zum vereinbarten Termin unter Einhaltung des Budgets entstehen kann, einschließlich der Qualität von Maßnahmen zur Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes. Wie im magischen Dreieck so hängen auch im Siebeneck alle Ecken voneinander ab und beeinflussen sich wechselseitig. Ob sich bietende Chancen ausschöpfen lassen, mag davon abhängen, wie viele Organisationseinheiten sich dem Projekt anschließen (= Umfang) und wie hochwertig die Qualität sein wird. Je größer aber der Anspruch, umso mehr werden, so ist zu befürchten, Budgets anschwellen und Risiken (Abwicklung und Anwendung) steigen. Oder: Die unbedingte Verpflichtung, den Termin einhalten zu müssen, mag dazu führen, dass selbst mit erhöhtem Budget die Risiken der Abwicklung vernachlässigt werden müssen (dafür haben wir jetzt keine Zeit) und die Qualität zurückzustufen ist, aber genau deshalb Risiken der Anwendung entstehen und das Ausschöpfen der Chancen im angestrebten Umfang behindert wird.

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2.5.4 Magisches Dreieck und magisches Viereck Analysiert man die Wirkungszusammenhänge noch etwas genauer, so stellt man fest, dass auf der einen Seite die Faktoren Chancen, Umfang und Risiken der Anwendung eng ineinandergreifen und zum anderen vier Faktoren (Qualität, Termin, Budget, Risiken der Abwicklung) einen besonders engen Wirkungszusammenhang haben. So ergeben sich innerhalb unseres Siebenecks zwei geometrische Formen, die sich wie Feuer und Wasser gegenüberstehen und von denen normalerweise eine die dominierendere Haltung einnimmt (Abb. 2.5-2). Es gibt eben Projekte, für die der Termin so bedeutend ist, dass

Chancen Pflicht des Auftraggebers Umfang

Qualität

Risiko Anwendung

Budget

Pflicht des Auftragnehmers

Abb. 2.5-2: „Feuer und Wasser“ – oder das feindliche Gegenüberstehen

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er als unumstößliche Konstante wirkt und alle anderen Faktoren, auch manche Chancen, sich ihm unterzuordnen haben (bevor wir den Termin überziehen, verzichten wir lieber auf den ein oder anderen Vorteil und nehmen sogar gewisse schädliche Wirkungen in Kauf). Im anderen Fall aber kann der unbedingte Wille, eine Chance ausschöpfen zu wollen, die dominierende Konstante sein, der sich alle anderen unterzuordnen haben. Im Grunde genommen treffen wir hier ein uraltes Prinzip der Betriebswirtschaftslehre wieder, das besagt, dass man entweder bestimmten Nutzen mit minimalem Aufwand oder aber mit bestimmtem Aufwand maximalem Nutzen erwirtschaften kann. Maximaler Nutzen mit minimalem Aufwand wäre zwar schön, schließt sich aber leider aus und führt schlimmstenfalls zu gegenseitiger Vernichtung. In unseren Projekten geschieht das immer dann, wenn zwar gigantische Nutzenerwartungen postuliert werden, den Projektteams aber völlig unzureichende Voraussetzungen, was Termin und Budget betrifft, mitgegeben werden. Sie erreichen dann weder den Abwicklungsnoch den Anwendungserfolg, weil unter übermäßigem Druck keine der geometrischen Formen im Gleichgewicht zu halten ist und das Siebeneck schon gar nicht. Dass sich Dreieck und Viereck stets feindlich gegenüberstehen, ist jedoch eine unbestreitbare Tatsache, die wir ins Bewusstsein rücken sollten. Chancen sind auszuschöpfen, möglichst umfänglich und risikoarm, im Idealfall bereits morgen und ohne Ressourcenverbrauch: Das verlangt, übertrieben ausgedrückt, die eine Seite. Gebt mir unendlich viel Zeit und Geld, dann baue ich eine Lösung von solcher Qualität, dass sich gigantisch viele Chancen ausschöpfen lassen, lautet die Gegenposition. Was wir folglich in Projekten haben, ist ein äußerst komplexes Optimierungsproblem.

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2.5.5 Das Festlegen der Ziele Anfangs sind sich gut geführte Projekte dieser komplexen Zusammenhänge durchaus bewusst, wobei eine altbewährte Methodik, das Bilden einer Zielhierarchie, entscheidend dabei hilft, das nötige gemeinsame Verständnis herzustellen. Annahmen zum Anwendungs- und Abwicklungserfolg kommen auf den Tisch, sobald ein Team gemeinsam die Ziele formuliert (Abb. 2.5-3). Irgendwann aber, im weiteren Projektverlauf, scheint die Konsistenz zueinander verloren zu gehen. Analysieren wir deshalb die Zielhierarchie etwas genauer. Auf den oberen beiden Ebenen finden sich Nutzenargumente, aus denen sich Projektziele herleiten, die auf tiefer liegenden Ebenen angesiedelt sind. Auf oberen Hierarchiestufen geht es um den Zweck eines Projekts, also um die Frage: „Warum maProjekt Online-Shop

10 % mehr Neukunden haben (in 2 Jahren)

5 % Neukunden Im Inland

50 % Neukunden Im Ausland

Vollständige Präsentation aller Produkte in Wort und Bild In Deutsch In Englisch Automatisch erzeugte Werbemails

400.000 pro Jahr Personalkosten sparen

Eine Stelle im Vertrieb einsparen

Zwei Stellen in Auftr.-Abw. einsparen

Datenerfassung durch Kunde

Ebenen des Zwecks

Besseren Kunden Service als Mitbewerber bieten Lieferung nach spätestens 2 Tagen

Bearbeitung Reklamationen Innerh. 24 Std.

Automatisch erzeugte Versandpapiere

Stammdaten

Lagerlisten

Bestelldaten

Speditionsaufträge

Automatisch erzeugte Verkaufsstatistiken

Reklamationen per Internet

An Kunden

Kunden

zu Bestellmängeln

An Interessenten

Produkte

zu Produktmängeln

Ebenen der Projektziele Abb. 2.5-3: Beispiel einer Zielhierarchie (verkürzt)

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chen wir ein solches überhaupt?“ Der Maßstab für Anwendungserfolg schimmert durch. Auf den unteren Ebenen aber beschreiben wir das, was am Ende eines Projektes vorhanden sein muss, aber erst im praktischen Einsatz Wirkungen zeigen wird. Anders ausgedrückt: Die Qualitätsecke füllt sich und ein Teil des Maßstabs für den Abwicklungserfolg entsteht. Dabei ist sich jeder Projektleiter bewusst, dass nicht nur sein Projekt, sondern auch er irgendwann einmal daran gemessen wird. Er spürt seine Verantwortung. Für die oberen Ebenen dagegen fühlt er sich üblicherweise nicht verantwortlich. Sich als Auftragnehmer sehend, würde er sich vermutlich vehement gegen eine Verpflichtung wehren, die angestrebten zehn Prozent mehr Kunden gewinnen zu müssen. Er wird mit Recht darauf verweisen, dass er zwar ein System entwickeln kann, das die gestellten Anforderungen (= Projektziele) erfüllen wird, ob es jedoch die Anwender später einmal so einsetzen werden, dass sich erwarteter Nutzen einstellt, entzieht sich seinem Einflussbereich und damit seiner Verantwortung. Ob sich sein Zweck bestätigt, ob ein Projekt überhaupt sinnvoll ist oder nicht, kann nicht er, sondern nur derjenige verantworten, der das Projekt haben will, der später vom Nutzen profitiert – der Auftraggeber also. Dreieck des Auftraggebers

In unserem Siebeneck finden sich folglich ein Dreieck, das unter der Obhut des Auftraggebers steht, und ein Viereck (das um Risiken der Abwicklung ergänzte altbekannte magische Dreieck), das die Verantwortung des Auftragnehmers, also die des Projektleiters, widerspiegelt. Wenn nun ein Projekt umfänglich erfolgreich werden will, so wird an die Pflichterfüllung beider Seiten zu appellieren sein. Nur wenn beide wissen, welche Verantwortung aus der Übernahme einer Auftraggeber- oder Auftragnehmerrolle entsteht, kann ein Projekt eine akzeptable Erfolgswahrscheinlichkeit bekommen.

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2.5.6 Messen und Prognostizieren Was im weiteren Projektverlauf mit dem Auftragnehmer-Viereck zu geschehen hat, haben Projektleiter gelernt. Sie werden Qualitätssicherungsprozesse einrichten und die Qualität kontinuierlich messen. Natürlich beachten sie dabei auch die anderen Bestandteile des Abwicklungserfolgs, Termin und Budget, und seit jüngster Zeit vermehrt die Risken der Abwicklung. Sie messen und projizieren, bedienen sich dabei der eigens dafür entwickelten Methoden wie der Meilenstein-Trend-Analyse und berichten im festgelegten Turnus ihrem Auftraggeber. Der Abwicklungserfolg wird kalkulier- und prognostizierbar, so gut es eben geht.

AuftragnehmerViereck

Was aber passiert mit den Kriterien des Anwendungserfolgs? Üblicherweise, bis nach Einführung des neuen Systems, nichts mehr. Anwendungserfolge werden eben erst dann messbar, wenn entweder der Nutzen oder die Katastrophe spürbar geworden ist. Ein vorausschauendes, dem jeweiligen Wissensstand angepasstes kontinuierliches Messen findet nicht statt, weil es oftmals auch gar nicht möglich ist. Deshalb fehlt dem Anwendungserfolg das, was der Abwicklungserfolg nach und nach und immer gesicherter erlangt: eine kalkulierbare Prognostizierbarkeit. Wehe aber, wenn wegen fehlender oder mangelhafter Messbarkeit Faktoren des Anwendungserfolgs nicht mehr beachtet werden. Es droht das, was die McNamara Fallacy [6] zum Ausdruck bringen will: „Der erste Schritt ist zu messen, was leicht messbar ist. Das ist so weit in Ordnung. Der zweite Schritt ist, das unbeachtet zu lassen, was nicht leicht messbar ist, oder ihm einen willkürlichen quantitativen Wert zu geben. Das ist künstlich oder irreführend. Der dritte Schritt ist anzunehmen, dass das, was nicht leicht messbar ist, unwichtig ist.

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Das ist Blindheit. Und der vierte Schritt ist zu behaupten, dass das, was nicht leicht zu messen ist, in Wirklichkeit nicht existiert. Das ist Selbstmord.“ Irgendwann während eines Projektverlaufs messen wir meist nur noch das, was leicht messbar ist, und hoffen bei allem anderen, insbesondere den Bestandteilen eines Anwendungserfolgs, nur noch darauf, dass unsere ursprünglichen Annahmen unverrückbar erhalten bleiben und letztlich alles so kommt, wie wir uns das ganz zu Beginn des Projekts vorgestellt haben, als wir die Zielhierarchie bildeten. Und wenn nach Einführung unsere ganz früh gestellten Erwartungen sich nicht erfüllen, dann sehen wir uns überrascht. Kurzzeitig allerdings nur, denn als Schuldigen haben wir längst jemand entlarvt, den nämlich, der das Projekt wollte. Er hätte das alles bedenken müssen. Nutzencontrolling

In einigen Betrieben wurde mittlerweile erkannt, wie wichtig ein Nutzencontrolling ist. Doch angebotene Empfehlungen – Du musst jemand verpflichten, der für erreichbaren Nutzen geradesteht, und jemand anderen, der die Abweichungen rechnerisch feststellt – scheinen wenig geeignet, Projekte in eine bessere Zukunft zu führen. Welcher Manager ist schon so naiv, nicht zu erkennen, dass ihm damit lediglich der Schwarze Peter zugeschoben werden soll? Auftraggeber werden mit Recht darauf verweisen, dass bis zur Systemeinführung noch eine Menge passieren kann und dass das Ziel, zum Beispiel Mehrkundengewinnung, nicht nur vom neuen System, sondern vermutlich von vielen anderen Faktoren abhängt: von guten Produkten, vom außergewöhnlichen Service, von durchschlagender Werbung, vom Verhalten der Konkurrenz, von der Konjunktur, vom Gesetzgeber: alles Faktoren, auf die – wenn überhaupt – selbst der Auftraggeber nur bedingt Einfluss nehmen kann. Zwar will er eine neue Lösung, die das Ausschöpfen von Chancen erst ermöglichen würde, seinen Kopf dafür hinhalten, falls es nicht so kommen sollte, kann

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er aber nicht. Zumindest will er nicht allein auf einen Wert festgelegt werden, den er zwar aus heutiger Sicht für erreichbar hält, der aber naturgemäß einen hohen Unsicherheitsfaktor in sich birgt.

2.5.7 Die Unbestimmtheit unserer Projekte Es ist leider so: Das Auftraggeber-Dreieck ist um ein Vielfaches unbestimmter als das daraus abgeleitete Auftragnehmer-Viereck. Außerdem stehen Elemente des Anwendungserfolgs nie oder nur höchst selten in einer rein binären Ursache-Wirkungs-Beziehung zu anderen Faktoren des Siebenecks – sie sind beeinflusst von weiteren Faktoren außerhalb unserer Projektwelt, die wir vielleicht bestimmen, ihre Wirkung aber allenfalls vermuten, nicht aber werden messen können. Das ist auch der Grund, warum wir uns sowohl im Erfolgs- wie auch im Misserfolgsfall so schwer tun, die wahren Gründe zu finden. Es wird stets eine Diskussion über Ursachen und Wirkungen, über Schuld, Mitschuld und Unschuld stattfinden, denn nicht einmal der eingangs beschriebene Fall ist über jeden Zweifel erhaben. Wissen wir tatsächlich, ob die elektronische Stimme die alleinige Ursache für Umsatz- und Kundenrückgang war. Oder war es nicht doch die aggressive Preispolitik unseres Mitbewerbers? Man mag dem Zweifel noch näher auf den Grund gehen können, durch Befragung der abgesprungenen Kunden beispielsweise. Aber wissen wir dann verlässlich, dass es am Sprachcomputer lag? Vielleicht schwindeln die ehemaligen Kunden. Vielleicht war der Sprachcomputer nur Auslöser für bereits schwelende Wünsche, den Lieferanten zu wechseln. Mathematisch nachweisbare Kausalzusammenhänge sind nicht herstellbar.

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Elemente des Anwendungserfolgs

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Ein Appell an unsere Auftraggeber, gefälligst Verantwortung für Chancen, Umfang, Risiken der Anwendung zu übernehmen, wird deshalb ziemlich ungehört verhallen – obwohl der Schluss naheliegt, dass es heute eher am Auftraggeber-Dreieck krankt, wenn Projekte nicht klappen wollen. Unbestimmtheit kann man nicht dadurch vertreiben, dass jemand dingfest gemacht wird. So würde der Versuch, einzelne Menschen für den Anwendungserfolg „haftbar“ zu machen, wohl eher dazu führen, dass Erfolg versprechende Projekte entweder gar nicht mehr oder reichlich verspätet (nur dann, wenn kein Weg mehr daran vorbeiführt) beantragt werden – zum Schaden einer Organisation, die ja davon lebt, dass sie sich rechtzeitig mithilfe von Projekten weiter- und fortentwickelt. Fehler und Irrtum

Hinzu kommt, dass dort, wo Unbestimmtheit vorherrscht, zwangsläufig auch der Irrtum nicht fern sein kann. Den aber dürfen sich Manager unserer Zeit kaum noch erlauben. Wehe also, wenn neben aller Unbestimmtheit unserer Projekte im Unternehmen nicht zwischen Fehler und Irrtum unterschieden und beides gleich scharf sanktioniert wird. Klären wir aber erst noch den Unterschied zwischen Fehler und Irrtum: Ein Fehler ist eine unpassende oder unterlassene Handlung bzw. eine fehlerhafte oder nicht getroffene Entscheidung, obwohl zu dem Zeitpunkt, an dem sie vorgenommen wurde bzw. zu treffen gewesen wäre, genügend Wissen vorhanden war, um erkennen zu können, welche Handlung oder Entscheidung die richtige ist. Ein Irrtum hingegen ist eine bewusst gewählte Handlung oder Entscheidung, die jemandem zum Zeitpunkt, zu dem er sie tätigt oder fällt, als die beste von mehreren möglichen erscheint, wobei sich allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, als neue Erkenntnisse hinzugewonnen wurden, herausstellt, dass sie das nicht war.

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2.5.8 Fehler- und Irrtumskulturen Fehler sollte man folglich tunlichst vermeiden, Irrtümer aber sind erlaubt, sie sind sogar extrem bedeutend, um lernen zu können. Sobald aber im Unternehmen Irrtümer gleich scharf wie Fehler sanktioniert werden, wenn gar ein Gesichtsverlust droht, falls Manager nach absolviertem Lernprozess eine ursprüngliche Annahme als falsch erkennen und deshalb revidieren, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn das Auftraggeber-Dreieck nicht funktioniert. Sobald ein Auftraggeber bewusst oder auch nur intuitiv sich einer solchen Situation ausgesetzt sieht, wird er entweder versuchen seine Verantwortung an den Projektleiter abzuschieben oder den Nutzen so schwammig zu formulieren, dass er nicht mehr zum Bumerang für ihn werden kann. Als Maßstab für Erfolg taugt der Nutzen aber nun nicht mehr. Nicht zu übersehen sind auch jene Manager, die hoffen, dass Nutzenargumente, sobald die Genehmigungshürde übersprungen ist, unverzüglich in Vergessenheit geraten und nie mehr als Maßstab für Projekterfolg herangezogen werden. Das Messen des Anwendungserfolgs soll unterbleiben, ganz bewusst, während das Messen des Abwicklungserfolgs eher noch exzessiver betrieben wird. Dann ist das, was nach außen als Verantwortungsbewusstsein demonstriert wird, in Wahrheit ein Sträuben vor eigentlicher Verantwortung. Auftraggeber, die so handeln, sind deshalb noch lange keine Schwächlinge oder gar Bösewichte. Wo Kulturen Irrtümer bedingungslos bestrafen, kann nur der überleben, der sich einen Schutzwall zur Sicherung der eigenen Existenz gebaut hat. Es ist also noch viel in unseren Organisationen zu tun, damit Projekte insgesamt Erfolg versprechende Voraussetzungen bekommen. So wird es auch noch ein weiter Weg sein, bis sich

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Rietikers Empfehlungen [8], ein „projektbewusstes Management“ zu schaffen, etabliert haben. Was aber können wir sofort tun, um das Dreieck des Auftraggebers mit mehr Substanz zu füllen und damit dem Anwendungserfolg eine höhere Wahrscheinlichkeit zu geben. Investitionen in das Viereck des Auftragnehmers (bessere Schulung der Projektleiter, verstärkter Einsatz von Methoden und Werkzeugen) sind mit Sicherheit der falsche Weg, denn sie verpuffen, solange sich am Auftraggeber-Dreieck nichts ändert.

2.5.9 Das Lernverhalten eines Systems Kommen wir also auf das Siebeneck mit seinen beiden geometrischen Formen zurück. Zuallererst gilt es anzuerkennen, dass Chancen generell, so wie Risiken eben auch, unbestimmt sind. Doch gerade deshalb bekommen aufgedeckte Irrtümer eine ganz entscheidende Bedeutung. Sie lassen ein Stück mehr Sicherheit einkehren, sobald man sie entdeckt hat. Entlarvte Irrtümer aber ziehen Veränderungen nach sich und Veränderungen bringen das Siebeneck aus dem Gleichgewicht. Es verlangt nach einer Neujustierung, was sich als ungemein komplexe Aufgabe erweist. Zudem weigert sich das Siebeneck partout, von einer einzelnen Person verantwortet zu werden, denn nur wenn wir die oberste Leitung eines Unternehmens zum Projektleiter machen würden, könnten wir es vollständig an diese Person delegieren. Weil sich das aber aus anderen Gründen ausschließt, brauchen wir etwas, das unser Optimierungsproblem löst. Aus der Systemtheorie wissen wir, dass jedes soziale System ein ausgetüfteltes Lernverhalten an den Tag legt, um überleben zu können. Projekte sind soziale Systeme und deshalb ist gemeinsames Lernen eine ganz wesentliche Voraussetzung zur kontinuierlichen Optimierung. Lernen ist, um eine Meta-

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Chancen Pflicht des Auftraggebers Qualität

Umfang

Korridor des gemeinsamen Lernens (gemeinsame Verantwortung) Risiko Anwendung

Budget

Pflicht des Auftragnehmers Risiko Abwicklung

Termin

Abb. 2.5-4: Der Lernkorridor

pher von Wohland/Wiemeyer [9] aufzunehmen, der Wasserkessel, der über dem Feuer hängt. Er trennt die „feindlich gestimmten Parteien“ (gemeint sind das Dreieck und das Viereck) und sorgt so dafür, dass beide keine Gefechte ausführen, sondern gemeinsam dazu beitragen, dass es zu einer guten Lösung kommt – zum duftenden, dampfenden Kaffee etwa, um beim Beispiel zu bleiben. Die Grafik (Abb. 2.5-4) veranschaulicht, dass sich in unserem Siebeneck zwischen Dreieck und Viereck ein breiter Korridor auftut, und das ist der Korridor des gemeinsamen Lernens [3]. Zwar mögen Elemente des Anwendungserfolgs lange Zeit nicht oder nur schwer messbar sein, aber sie sind glücklicherweise mit zunehmender Genauigkeit einschätzbar – von erfahrenen, verantwortungsbewussten und vor allem hinzulernenden Menschen. Wo also Messbarkeit nicht gegeben ist oder

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Lernkorridor

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Entstehung 1 Maßstab Anwendungserfolg

Entwicklung 3

2

Maßstab Abwicklungserfolg

Erkenntnisse aus Projektergebnissen

1

Erkenntnisse aus tatsächlicher Nutzung

2 3

Annahmen

Evolution/ Erhaltung 4

4

Aufgedeckte Irrtümer (1) Aufgedeckte Irrtümer (2) Abb. 2.5-5: Die Lernprozesse

Messergebnisse alles andere als zweifelsfrei sind, bleibt immer nur eines: die Stärke einer Gruppe, die sie unter anderem deshalb erlangt, weil sie über eine gemeinsame Urteilskraft verfügt. Lernprozesse

Folgende These sei deshalb erlaubt: Das Erreichen des Anwendungserfolgs wird dann am größten, wenn Menschen aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus gemeinsam zur Überzeugung gelangen, dass er erreichbar sein wird. Sie schieben diese Verantwortung nun nicht mehr einer Person zu (er wird schon wissen, warum er das Projekt haben will; wir führen nur aus), sondern entwickeln ein von Eigenverantwortung getragenes Erfolgsdenken. Das Urteil darf aber nicht lediglich einmalig zu Beginn eines Projektes vorliegen, sondern muss unentwegt erneuert und ggf. ergänzt und angepasst werden. Die Welt um unser Unternehmen und unser Projekt herum bleibt ja nicht still. Jeder lernt in Projekten, gewinnt neue Erkenntnisse, vielleicht auch neue Ideen, die immer mal wieder ursprüngliche Annahmen auf den Prüfstand stellen. Also nicht der, der ungebrochen an Annahmen festhält, egal ob von ihm selbst formuliert oder von anderen vorgegeben, wird eine Nut-

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zen bringende Lösung formen, sondern nur der, der das Hinzulernen zum Wohl einer Organisation fördert und die Kenntnisse daraus unverzüglich verarbeitet. Wir müssen Lernprozesse einrichten (Abb. 2.5-5).

2.5.10 Lernkulturen entwickeln Gemeinsames Lernen beseitigt keinesfalls die Aufteilung der Verantwortung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber. Es sorgt nur dafür, dass sich Menschen besser verstehen und dass sie sich wegen falsch verstandener Verantwortungszuteilung (das ist Deine Aufgabe, damit habe ich nichts zu tun) nicht gegenseitig in die Isolation treiben. Isoliert wird Verantwortung als drückend empfunden und ist dann ganz offenbar nur noch mit Machtgehabe zu ertragen. Gemeinsames Lernen hat dann keine Chance mehr, wogegen es auch dann praktizierbar ist, wenn zwar Unternehmenskulturen noch nicht ausgereift genug sind, um Projekten von Anfang an Erfolg versprechende Bedingungen mitzugeben, aber Menschen heute schon eine innere Bereitschaft dafür mitbringen. Alles hängt immer eben nur vom Verhalten von Menschen ab. Aus dem Gesagten lassen sich Gebote entwickeln, die für Koexistenz beider Maßstäbe sorgen (vgl. Kasten S. 20–21). Sie sind so formuliert, wie sie ein Projekt an sich selbst richten würde, das nach umfassendem Erfolg trachtet. Welche Menschen in welchen Rollen dem Projekt dabei helfen werden, spielt keine Rolle.

2.5.11 Wo die Hebel anzusetzen sind Auftraggeber wie Auftragnehmer müssen viel voneinander lernen. Beide Stränge einer Projektorganisation müssen sich mit Respekt begegnen, müssen aufeinander zugehen, um den

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Die 10 Gebote des umfassenden Projekterfolgs – oder wie Anwendungsund Abwicklungserfolg eine förderliche Koexistenz zueinander finden: – Suche Dir eine natürliche Person (kein Gremium) als Auftraggeber, die vom Nutzen des Vorhabens zum Wohl einer gesamten Organisation felsenfest überzeugt ist (sobald sie es nicht mehr ist, hat sie den Mut zu besitzen, das Projekt unverzüglich zu beenden oder entsprechend anzupassen). – Mach diesem Auftraggeber klar, dass er das Auftraggeber-Dreieck komplett zu verantworten hat. Er verantwortet Chancen, Umfang und Risiken der Anwendung, aber damit ihn diese Verantwortung nicht erdrückt, sollte er in seinem eigenen Interesse bereit sein, sich helfen und beraten zu lassen. – Sorge dafür, dass auch andere maßgebliche Personen Zweck und Nutzen erkennen und eine grundsätzlich positive Einstellung zum Projekt im Unternehmen einzieht – Suche Dir einen Auftragnehmer, der das Auftragnehmer-Viereck im Gleichgewicht halten kann, der aber nicht allein damit zufrieden ist, den Abwicklungserfolg zu erreichen, sondern zudem ein massives Interesse am Anwendungserfolg mitbringt. – Sorge dafür, dass sowohl Elemente des Abwicklungs- als auch die des Anwendungserfolgs messbar formuliert sind, wohl wissend, dass es sich insbesondere bei Letzteren um Annahmen handelt, die sich sehr wohl als Irrtümer herausstellen können. – Stelle sicher, dass entlarvte Irrtümer als Gewinn fürs Projekt verstanden werden; Beteiligte müssen begreifen, dass der Anwendungserfolg dann wahrscheinlicher wird, wenn das Projekt, den neuesten Erkenntnissen entsprechend, Ziele und Pläne revidieren darf. – Achte darauf, dass zwischen einer Auftraggeber- und der Auftragnehmerorganisation ein uneingeschränktes, auf gegenseitigem Respekt basierendes

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Vertrauensverhältnis herrscht. Misstrauen sorgt für starre Abgrenzung. Im Misserfolgsfall wirst Du so zwar leichter einen Schuldigen finden, die Erfolgswahrscheinlichkeit aber reduzierst Du damit. – Achte darauf, dass jeder Beteiligte begriffen hat, dass Verantwortung mehr ist als Pflichterfüllung. Nur wenn jeder aufgefordert und bereit ist, auf Tatbestände hinzuweisen, die den Anwendungs- oder Abwicklungserfolg gefährden könnten, erzielst Du hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Welche Hinweise jemand gibt, darf nicht lediglich darauf beschränkt sein, was zu seiner Aufgabe gehört. – Sorge dafür, dass gemeinsames Lernen als zwingende Notwendigkeit verstanden wird. Achte darauf, dass es Lerneinrichtungen auf diversen Ebenen einer Projektorganisation gibt und das gemeinsame Lernen tatsächlich gelebt wird, also eine permanente Überprüfung stattfindet, ob ursprüngliche Annahmen wegen neuer Erkenntnisse zu revidieren sind und ein kontinuierliches Optimieren des Siebenecks tatsächlich geschieht. Sorge auch dafür, dass Ergebnisse im praktischen Einsatz getestet werden. Mach Beteiligten klar, dass der Anwendungserfolg sich letztlich immer erst in der Praxis zeigen kann. – Sprich dem Auftraggeber-Dreieck oder dem Auftragnehmer-Viereck eine „Vorschussdominanz“ zu, aber nicht beiden gemeinsam. Kläre also die Frage, wer sich unterzuordnen hat, falls sich ein Konflikt ergibt, der sich nur durch Sieg und Niederlage lösen lässt.

anderen zu verstehen, besser noch, um Verständnis füreinander zu erlangen. Lerneinrichtungen gilt es zu etablieren, die das unentwegte auf den neuesten Erkenntnisstand ausgerichtete Optimieren aller sieben Ecken bewirken, damit am Ende eines Projektes nicht nur das erreicht wird, was angestrebt war, sondern das, was mit höchster Wahrscheinlichkeit Nutzen erzeugen wird und Chancen ausschöpft. Annahmen, Erkenntnisse und Erfahrungen sind unentwegt auszutauschen, und wenn

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dabei ein Termin zu verschieben ist oder ein paar Euro mehr Budget nötig sind, dann ist die Frage zu stellen, was im jeweiligen Fall wichtiger ist: erhöhter Nutzen bzw. ausbleibender Schaden oder Terminverzug bzw. erhöhte Kosten. Menschen bewirken den Projekterfolg und deshalb ist am Verhalten von Menschen anzusetzen, wenn wir unseren Projekten mehr Erfolgswahrscheinlichkeit mitgeben wollen. Schwer genug, aber es ist die einzige erkennbare Möglichkeit. Methoden und Werkzeuge, all das, mit dem wir uns in Projekten so vielfältig und wohl auch gerne beschäftigen, nützen an dieser Stelle wenig, Kontrollinstanzen und Controllinginstrumente zum permanenten und noch viel genaueren Überwachen des Abwicklungserfolgs ebenfalls nicht. Selbst das Verordnen einer neuen Kultur wäre nicht Erfolg versprechend. Kulturen lassen sich nicht verordnen, sondern können erst nach verändertem Verhalten von Menschen neu entstehen. Nur wenn jeder bereit ist, anderen mit Rat und Tat zu helfen, und die Gegenseite gerne Hilfen und Anregungen annimmt, auch wenn sie beim ersten Anschein eher störend wirken, können wir unseren Pflichten zum Wohl einer Organisation tatsächlich nachkommen. Verantwortung zu tragen ist mehr als Pflichterfüllung – dieses Verständnis gilt es primär zu erzeugen. Sobald wir uns in Projekten ausschließlich auf den Abwicklungserfolg konzentrieren, solange wir lediglich danach trachten, die Pflichten der beteiligten Säulen einer Projektorganisation, Auftraggeber und Auftragnehmer, strikt auseinanderzudividieren, anstatt das Bewusstsein für gemeinsame Verantwortung zu schärfen, behindern wir das Lernverhalten jenes sozialen Systems, das sich Projekt nennt. Das meiste von dem, was wir in der Vergangenheit in unseren Unternehmen eingerichtet haben, Methoden, Verfahren, Controllinginstrumente und -instanzen, hatte der Sicherung des Abwicklungserfolges zu dienen. Verständlich, denn ein dringender Bedarf, diesen vermehrt vermelden zu können, war unbestritten vor-

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handen. Wem aber nützt der Abwicklungserfolg, wenn der Anwendungserfolg ausbleibt? Das Eingangsbeispiel sollte Mahnung genug sein. Es gab einige Personen im erwähnten Unternehmen, die auf Gefahren der neuen Lösung hinwiesen, die vor dem Ausrollen über ganz Deutschland zuerst noch einen Feldtest vorschlugen. „Das kostet doch nur Zeit und Geld und bringt doch nichts“, bekamen sie zur Antwort.

Literatur [1] Sneed, H. M./Brossler, P.: Critical Success Factors in Software Maintenance. In: 19th IEEE International Conference on Software Maintenance. [2] Gröger, M.: Projektmanagement: Abenteuer Wertevernichtung. München 2004. [3] Strohmeier, H.: Das aktuelle Stichwort: Was ist eigentlich Projekterfolg? In: projektMANAGEMENTaktuell, 14. Jahrgang, Heft 3/2003. [4] Johnson, J.: My life is a failure. West Yarmouth 2006 (published by Standish Group International). [5] DeMarco, T./Lister, T.: Bärentango. München 2003. [6] www.idiolect.org.uk/notes: The McNamara Fallacy. Dezember 2006. [7] Strohmeier, H.: Lernende Projekte – der Umgang mit Annahmen und Irrtümern. Vortragsunterlagen zur 13. Wissenschaftlichen Fachtagung für Angewandte Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Osnabrück, 2007. [8] Rietiker, S.: Der neunte Schlüssel. Bern 2006. [9] Wohland, G./Wiemeyer, M.: Denkwerkzeuge für dynamische Märkte. Münster 2006.

Autorenporträt Helmut Strohmeier, Dipl.-Betriebsw., Jahrgang 1949, ist ein erfahrener Projektleiter diverser Großprojekte in unterschiedlichen Branchen und zudem langjähriger Methodenberater

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und -trainer. Derzeit kümmert er sich vorwiegend um Themen der Organisationsentwicklung, insbesondere um Voraussetzungen, die Unternehmen mitbringen sollten, um ihren Projekten höchste Erfolgswahrscheinlichkeit mitgeben zu können. Anschrift: Strohmeier & Partner GmbH Am Fischergries 20a D-85570 Markt Schwaben Tel.: 0 81 21/43 70 00 E-Mail: [email protected] www.ufi2006.de

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