ANLAGE zum Rundschreiben 009/2007 der dbb jugend vom 27. Juni 2007

ArbG Halberstadt – 2. Kammer AZ: 2 Ca 673/06 Urteil: Fundstellen:

Erstattung der Fahrt- und Unterkunftskosten EzBAT 510 § 10 TVAöD-BT BBiG Nr. 2 (red. Leitsatz und Gründe)

Tenor: 1)

Die Beklagte wird verurteilt, 90,00 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Juli 2006 an die Klägerin zu zahlen.

2)

Die Beklagte wird verurteilt, 30,00 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. August 2006 an die Klägerin zu zahlen.

3)

Die Beklagte wird verurteilt, 30,00 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2006 an die Klägerin zu zahlen.

4)

Die Beklagte wird verurteilt, 28,20 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08. November 2006 an die Klägerin zu zahlen.

5)

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6)

Der Streitwert wird auf 178,20 EUR festgesetzt.

7)

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand: 1)

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein tariflicher Anspruch auf Erstattung der Fahrt- und Unterkunftskosten im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule zusteht.

2)

Die 1986 geborene Klägerin befindet sich seit dem 01. August 2004 bei der beklagten Stadt in einer Berufsausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachbereich Bibliothek.

2

3)

Im Berufsausbildungsvertrag vereinbarten die Parteien die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für Auszubildende (Mantel-TV Azubi-O) vom 05. März 1991 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in dem für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgerberverbände (VkA) jeweils geltenden Fassung.

4)

Unter § 4 regelt der Berufsausbildungsvertrag die Verpflichtung, die vorgeschriebene Berufsschule, z. B. die T. Bibliotheksschule S., regelmäßig und pünktlich zu besuchen. Die T. Bibliotheksschule ist im Land SachsenAnhalt die für die Ausbildung der Klägerin vorgeschriebene Berufsschule (wegen der weiteren Einzelheiten des Berufsausbildungsvertrages wird Bezug genommen auf Bl. 4 und 5 d. A.). Bis zum Abschluss des neuen Tarifvertrages für Auszubildende im öffentlichen Dienst (TVAöD) vom 13. September 2005 erstattet die beklagte Stadt der Klägerin die im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule in S. anfallenden Unterbringungs-, Verpflegungs- und Fahrtkosten. Für die Zeit vom 31. Oktober 2005 bis 27. November 2005 erstattete die beklagte Stadt der Klägerin für 18 Tage Unterkunftskosten i. H. v. 77,64 EUR sowie für die in dieser Zeit zurückgelegten Fahrten zur Berufsschule in S. weitere 100,56 EUR (wegen der Einzelheiten des von der beklagten Stadt hierzu erstellten Rechenwerks wird Bezug genommen auf Bl. 20 d. A.).

5)

Am 27. März 2006 führte eine Mitarbeiterin der Beklagten, Frau W., mit der Klägerin und drei weiteren Auszubildenden ein Gespräch, in dem sie mitteilte, dass die beklagte Stadt davon ausgehe, dass den Auszubildenden auf Grund des neuen Tarifwerks ab dem 01. Oktober 2005 die versehentlich nach dem alten Tarifwerk ausgezahlten Unterkunfts- und Fahrtkostenerstattung nicht mehr zustünde. Aus diesem Grund kündigte die Beklagte an, die nach ihrer Ansicht eingetretenen Überzahlungen in Raten von den künftigen Ausbildungsvergütungen der Auszubildenden in Abzug zu bringen. Mit der Ratenvereinbarung erklärte sich die Klägerin einverstanden.

6)

Bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte die Beklagte den gesamten Betrag i. H. v. 178,20 EUR von der Ausbildungsvergütung der Klägerin einbehalten. Insoweit wird Bezug genommen auf die von der Beklagten erteilten Verdienstbescheinigungen für die Monate April 2006 (Bl. 6 d. A.), Mai 2006 (Bl. 7 d. A.), Juni 2006 (Bl. 8 d. A.), Juli 2006 (Bl. 16 d. A.), August 2006 (Bl. 39 d. A.).

7)

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr nach wie vor eine Erstattung für Unterkunft und Fahrten im Zusammenhang mit dem Besuch der Berufsschule in S. zustünden. Sie meint, dass letztlich der Besuch dieser Berufsschule durch die Beklagte veranlasst sei, welches sich im Übrigen auch aus dem Berufsausbildungsvertrag ergebe.

3

8)

Die Klägerin beantragt:

9)

1. Die Beklagte wird verurteilt, 90,00EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

10)

2. Die Beklagte wird verurteilt, 30,00EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

11)

3. Die Beklagte wird verurteilt, 30,00EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

12)

4. Die Beklagte wird verurteilt, 28,20EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.

13)

Die beklagte Stadt beantragt,

14)

die Klage abzuweisen.

15)

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin ab dem 01. Oktober 2005 keine Unterkunfts- oder Fahrtkosten mehr zu erstatten seien, da die Beklagte den Besuch der Berufsschule in S. nicht nach § 10 Abs. 3 TVAöD-BT BBiG veranlasst habe. Ein solcher Fall sei nur dann anzunehmen, wenn die Beklagte die Klägerin zu einer anderen als der für diese Ausbildung vorgesehenen Schule geschickt hätte.

16)

Die Klageschrift vom 20. Juli 2006 ist der Beklagten am 31. Juli 2007, der Schriftsatz der Klägerin vom 31. Juli 2006 ist der Beklagten am 10. August 2006, der Schriftsatz der Klägerin vom 11. Oktober 2006 ist der Beklagten am 16. Oktober 1006 und der Schriftsatz der Klägerin vom 02. November 2006 ist der Beklagten am 08. November 2006 zugestellt worden.

17)

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Terminprotokolle vom 29. August 2006 und 21. Januar 2006. (nicht 2007???)

Entscheidungsgründe: 18)

Die Klage ist begründet.

4

19)

Die Klägerin hat Anspruch auf die Auszahlung der Restausbildungsvergütung für die Monate April, Mai, Juni, Juli und August i. H. v. je 30,00 EUR (netto) und für den Monat September 2006 i. H. v. 28,20 EUR (netto) gem. dem Berufsausbildungsvertrag in Verbindung mit § 8 TVAöD-BT-BBiG.

20)

Es ist unstreitig, dass der Klägerin auf Grund der Erfüllung ihrer Ausbildungspflichten die Ausbildungsvergütung in jedem streitigen Abrechnungszeitraum in voller Höhe zugestanden hat.

21)

Dieser Anspruch ist nicht durch Aufrechnung mit einem fälligen Gegenanspruch der beklagten Stadt nach §§ 389, 387 BGB erloschen.

22)

Der beklagten Stadt steht insbesondere kein eigener fälliger Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Unterkunfts- und Fahrtkosten i. H. von insgesamt 178,20 EUR gem. §§ 812, 818 BGB zu.

23)

Ein solcher Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung setzt voraus, dass die Beklagte den o. g. Betrag ohne Rechtsgrund an die Klägerin geleistet hätte. Dies war nicht der Fall. Die Klägerin hatte für die von ihr durchgeführten Fahrten zur Berufsschule in S. und die dort entstandenen Unterkunftskosten in der Zeit vom 31. Oktober 2005 bis 25. November 2005 Anspruch auf Kostenerstattung nach § 10 Abs. 3 TVAöD-BT-BBiG. Der TVAöD-BT-BBiG findet zumindest Kraft einzelvertraglicher Vereinbarung im Berufsausbildungsvertrag auf das Vertragsverhältnis der Prozessparteien Anwendung.

24)

Nach § 10 Abs. 3 TVAöD-BT-BBiG werden die notwendigen Fahrtkosten sowie die Auslagen für Unterkunft und Verpflegungsmehraufwand nach Maßgabe des Abs. 2 erstattet, wenn der Besuch einer auswärtigen Berufsschule vom Auszubildenden veranlasst ist.

25)

Hierbei ist die tarifliche Bestimmung nach Auffassung der Kammer so auszulegen, dass der Besuch der Berufsschule immer dann durch den Ausbildungsbetrieb veranlasst ist, wenn sie nicht auf einem „Sonderwunsch“ des Auszubildenden beruht.

26)

Die tarifliche Bestimmung war auszulegen, da sich aus dem reinen Wortlaut nicht eindeutig ergab, was die tarifliche Bestimmung festschreibt. Insbesondere ergab sich nicht zweifelsfrei, wann der Ausbildungsbetrieb den Besuch einer auswärtigen Berufsschule veranlasst. Ist Veranlasser im Sinne der tariflichen Bestimmung grundsätzlich der Auszubildende, weil er derjenige ist, dem die Ausbildung in der Schule letztlich zugute kommt. Oder kann man dies so nicht annehmen, da die in der Schule vermittelten Kennt6nisse auch dem Ausbildungsbetrieb zugute kommen. Oder ist als Veranlasser der Ausbildungsbetrieb anzusehen, weil er den Auszubildenden im Berufsausbildungsvertrag zum Berufsschulbesuch verpflichte und in diesem Fall sogar die konkrete Berufschule angibt.

5 Gibt es Fälle in denen keine Vertragsparteil „Veranlasser“ im tariflichen Sinn sein kann, sondern womöglich das Land Sachsen-Anhalt, weil es bestimmt, an welcher Schule eine bestimmte Berufsausbildung durchgeführt wird. Eine Konkretisierung lässt sich anhand der tariflichen Bestimmungen nicht vornehmen. 27)

Normative Bestimmungen eines Tarifvertrages sind nach objektiven Methoden wie Gesetze auszulegen. Es ist daher unter Beachtung der Regeln des Sprachgebrauchs und der Grammatik vom Wortlaut des Tarifvertrages auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien kann nur insoweit Berücksichtigung finden, wie er im Wortlaut seinen Niederschlag gefunden hat. Die übrigen Auslegungskriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages können herangezogen werden. Für deren Berücksichtigung gibt es keine bestimmte Reihenfolge. Sie haben nur bestätigende Bedeutung (BAG Urteil vom 18. Mai 2006 – 6 AZR 631/05; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 198, Rn 22). Lässt ein Tarifvertrag mehrere Auslegungen zu, so ist aber die für den Arbeitnehmer ungünstigere zu vermeiden (BAG AP 4 zu § 1 TVG Auslegung).

28)

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird „veranlassen“ synonym benutzt für „dafür sorgen, dass etwas geschieht, etwas bewirkt, hervorgerufen, anordnen“ (Wahrig, Deutsches Wörterbuch). Auch unter Berücksichtigung der sprachlichen Bedeutung des tariflichen Begriffs lässt sich nicht eindeutig festlegen, wer Veranlasser des Berufsschulbesuches ist. Insoweit wird auf die oben aufgestellten Fragestellungen verwiesen. Betrachtet man die Vorgängervorschrift, nämlich § 10 Abs. 1 Mantel-TV Azubi-O, die wie folgt lautet:

29)

„Bei Reisen zur Teilnahme am Unterricht an einer auswärtigen Berufsschule werden den Auszubildenden Fahrtkosten in der in Satz 2 genannten Höhe insoweit erstattet, als sie monatlich 6 von 100 der Ausbildungsvergütung eines Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr übersteigen.

30)

.....“

31)

Führt auch dies nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Nach der alten Vorschrift traf den Ausbildungsbetrieb die Erstattungspflicht unabhängig davon, ob er „Veranlasser“ war oder nicht. Der Erstattungsanspruch war aber hinsichtlich der Höhe einer Grenze unterworfen. Dies könnte dafür sprechen, dass die Tarifparteien den Anspruch durch das Erfordernis der „Veranlassung“ begrenzen wollten. Der Ausbildungsbetrieb soll nach dem Wollen der Vertragsparteien nicht mehr immer für die Kostenerstattung zur Verfügung stehen. Die Vorgängervorschrift lässt aber auch nicht erkennen, wo die tariflichen Parteien grundsätzlich den Veranlasser des Berufsschulbesuchs sehen.

6 Mit Rücksicht auf das Gebot, dass bei mehreren möglichen Auslegungen, die für den Arbeitnehmer (hier Auszubildenden) ungünstigere Auslegung zu vermeiden ist, kam die Kammer zu dem Schluss, dass Veranlasser für den Besuch einer bestimmten Berufsschule grundsätzlich zunächst der Ausbildungsbetrieb ist, wenn er im Formularausbildungsvertrag wie hier die zu besuchende Berufsschule festgelegt und diese Festlegung nicht auf einem speziellen Sonderwunsch des Auszubildenden zurückzuführen ist. 32)

Im konkreten Fall beruhte der Besuch der Berufsschule in S. nicht auf einem speziellen Sonderwunsch der Klägerin, so dass der Berufsschulbesuch an dieser Berufsschule mit Rücksicht auf die Festlegungen im Ausbildungsvertrag durch den Ausbildungsbetrieb veranlasst worden ist. Mithin steht der beklagten Stadt ein fälliger Gegenanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu, so dass die Restausbildungsvergütung für die streitgegenständlichen Monate an die Klägerin nachzuzahlen sind. Es war hier unschädlich, dass die Klägerin einige Klagebeträge als Bruttobeträge eingeklagt hat. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass brutto gleich netto ist.

33)

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Die Kosten waren durch die unterliegende Beklagte zu tragen.

34)

Der Streitwert war gem. §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO festzusetzen und entsprach der Höhe der geforderten Leistung.

35)

Die Berufung war hier gem. § 64 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG zuzulassen.