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Annette Jünemann Die EU und der Barcelona Prozess - Bewertung und Perspektiven In: Integration, Heft 1/2001, S. 42-57. 1 Die EU und der Barcelona ...
Author: Friedrich Bach
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Annette Jünemann Die EU und der Barcelona Prozess - Bewertung und Perspektiven

In: Integration, Heft 1/2001, S. 42-57.

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Die EU und der Barcelona Prozess - Bewertung und Perspektiven Die Eskalation des Nahostkonflikts in Folge des provokanten Auftritts von Likud Chef Ariel Sharon auf dem Tempelberg Ende September 20001 warf nicht nur den Friedensprozess um Jahre zurück, sondern überschattete auch die geographisch weiter gefaßte Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP), die am 16. und 17. November in Marseille ihre vierte Folgekonferenz abhielt. Ursprünglich hatten sich die Außenminister der 15 EU-Mitgliedstaaten (MS) gemeinsam mit ihren Kollegen aus 12 Mittelmeerdrittländern (MDL)2 zum Ziel gesetzt, dem schleppenden „Barcelona Prozess" - benannt nach dem Ort, an dem die EMP 1995 begründet wurde - neue Impulse zu verleihen. So sollte endlich die unter Federführung der französischen Regierung erarbeitete Charta für Frieden und Stabilität verabschiedet werden, und zum krönenden Abschluss der Mittelmeerkonferenz war sogar deren Aufwertung zu einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs geplant, um die Gleichrangigkeit der EMP mit den Beziehungen der EU zur ASEAN und zum Mercosur zu demonstrieren. Vor dem Hintergrund der akuten Krise in Nahost konnte davon in Marseille keine Rede mehr sein, war es doch schon als Erfolg zu werten, daß die Konferenz überhaupt stattfand.3 Eine Erörterung der politischen und sicherheitspolitischen Kooperation im Mittelmeerraum war jedoch nicht möglich, so dass die französische Präsidentschaft auf die Diskussion der Charta für Frieden und Stabilität verzichtete.4 Auch im Meinungsaustausch über die kulturelle, soziale und menschliche Dimension der EMP konnten keine wesentlichen Fortschritte erzielt werden. Relative Erfolge wurden allein im ökonomischen Bereich erreicht, an dem die meisten MDL ein hervorgehobenes Interesse haben. So begrüßten sie die Entscheidung der EU, für die Mittelmeerpolitik innerhalb der nächsten fünf Jahre ca. 5,3 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, ergänzt durch Kredite der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 6,4 Milliarden Euro.5 Als wichtigstes Ergebnis von Marseille bleibt festzuhalten, dass es einmal mehr gelungen ist, die EMP auch in einer politischen Krisensituation am Leben zu erhalten. Damit hat sich gezeigt, daß der Barcelona-Prozess bereits zu einem relativ stabilen 1 Am 28. September 2000 besuchte Likud-Chef Ariel Scharon in Begleitung von 3000 Sicherheitskräften den Tempelberg, die für Muslime drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina. Diese Provokation in einer extrem angespannten Situation löste heftige Unruhen in den palästinensischen Gebieten aus, die auch auf die arabische Bevölkerung Israels übersprangen. Israel reagierte umgehend mit militärischen Mitteln auf die Demonstrationen der überwiegend jugendlichen palästinensischen Steinewerfer. Mitte Dezember gab es bereits 350 Tote, die große Mehrzahl auf palästinensischer Seite. 2 Partnerländer der EU im Rahmen der EMP sind Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Syrien, Türkei, Zypern, Malta und - obwohl noch kein Staat - die palästinensische Autonomiebehörde. 3 Lediglich Syrien und Libanon waren dem Boykottaufruf des arabischen Gipfels von Kairo gefolgt, der den arabischen MDL bewusst unterschiedliche Auslegungen ermöglicht hatte. Explizit ausgenommen von einem Boykott waren die bilateralen Beziehungen zwischen der EU und einzelnen MDL, konkret also die Euro-Med-Assoziationsabkommen. Vgl. Agence Europe, 26.10.2000, S. 10. 4 Zu den Ergebnissen von Marseille vgl. Fourth Euro-Mediterranean Conference of Foreign Ministers. Presidency's formal conclusions, Marseille, 15 and 16 November 2000, http://euromedrights.net/nyheder/news.html., 28.11.2000. 5 Vgl. Fourth Euro-Mediterranean Conference of Foreign Ministers, a. a. O., financial cooperation, Art. 31 und 32. 2

Rahmen der inter-regionalen Zusammenarbeit geworden ist, dessen Fortführung (noch) im Interesse der Mehrzahl seiner Beteiligten liegt. Gute Konzeption, mangelhafte Implementierung In Analogie zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)6 basiert die EMP auf einer Deklaration,7 die aus einer Präambel und drei eng miteinander verknüpften Körben besteht: Korb (1) Politische- und Sicherheitspartnerschaft, Korb (2) Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft und Korb (3) Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich. Für die Umsetzung des Barcelona-Prozesses ist der Euro-Med-Ausschuss zuständig,8 dem es obliegt, die einzelnen Sektoren der Kooperation zu evaluieren und auf ihre Kohärenz mit dem Gesamtprojekt hin zu überprüfen. Die Vor- und Nachbereitung des Euro-MedAusschusses sowie aller sektoralen euro-mediterranen Treffen findet in der Generaldirektion Außenbeziehungen der Kommission statt.9 Der Kommission kommt somit die politisch einflußreiche Aufgabe des Agendasetting zu, die sich auch auf die regelmäßige Fortschreibung des follow up erstreckt. Eine spürbare Intensivierung dieses follow up, insbesondere in den Bereichen, die den zweiten Pfeiler des EU-Vertrages berühren, soll die Gemeinsame Strategie für den Mittelmeerraum bewirken, die die EU auf ihrem Gipfel von Feira im Juni 2000 verabschiedete.10 Damit wertete der Europäische Rat den Barcelona Prozess in zweifacher Weise auf: Symbolisch, weil gemeinsame Strategien nach Titel V EUV, Art. 13, Abs. 2 nur in den Bereichen beschlossen werden, „in denen wichtige gemeinsame Interessen der Mitgliedstaaten bestehen,” und praktisch, weil eine gemeinsame Strategie jährliche Qualitätskontrollen des follow up vorsieht und damit eine Verstetigung der Implementierung garantiert. Den substanziellen Kern der EMP bilden die pluri-bilateralen Euro-Med-Assoziationsabkommen, die zwischen der EU und ihren MS auf der einen und jeweils einem MDL auf der anderen Seite abgeschlossen werden und die zusammengenommen bis 2010 eine euromediterrane Freihandelszone (FHZ) begründen sollen. Finanziert wird die EMP über das MEDA-Programm, für dessen Budget der Europäische Rat alle fünf Jahre Richtwerte 6 Anders als in Helsinki stehen sich in der EMP keine gleich starken Blöcke gegenüber. Vielmehr sieht sich die ausgesprochen heterogene, politisch und wirtschaftlich eher schwache Gruppe der MDL mit der relativ homogenen und stärkeren Gruppe der EU und ihrer MS konfrontiert. 7 Vgl. Deklaration von Barcelona. Schlußerklärung der Europa-Mittelmeer-Konferenz von Barcelona (27./28. November 1995). In: Agence Europe, 6. Dezember 1995, S. 1-6. 8 Im Euro-Med-Ausschuß, der von der jeweiligen EU-Präsidentschaft geleitet wird, sitzen Vertreter der Troika, aller 12 MDL sowie Beobachter aus den übrigen MS. Vgl. Köhler, Martin: La Politique Méditerranéenne: Suivi de la conférence de Barcelone. EP-Expertise angefertigt im Auftrag der Generaldirektion Wissenschaft, Brüssel 1998, S. 25 (unveröffentlicht). 9 Federführend ist die Direktion F „Nahost, Südlicher Mittelmeerraum“. Je nach Sektor wird mit den entsprechenden Direktionen anderer GD kooperiert. 10 Vgl. Gemeinsame Strategie der Europäischen Union für den Mittelmeerraum. In: Agence Europe, 28. Juni 2000, S. 1-9. Die Gemeinsame Strategie für den Mittelmeerraum ist die dritte nach denen für Russland und die Ukraine. Mit Blick auf die anstehende EU-Erweiterung sollen die drei Strategien einen einheitlichen Rahmen für die EU-Außenbeziehungen zu den künftigen EU-Nachbarstaaten schaffen. Aus diesem Grund werden die Beitrittskandidaten Türkei, Zypern und Malta, obwohl sie Partnerländer der EMP sind, von der Mittelmeerstrategie nicht erfasst. 3

beschließt. Diese finanzielle Vorausschau dient jedoch lediglich als Orientierungshilfe, da das genaue Budget jährlich unter Mitwirkung des Europäischen Parlamentes (EP) im Rahmen des EU-Haushaltsverfahrens festgelegt wird. Auf der Grundlage von nationalen und regionalen Indikativprogrammen wird dieses Budget von der EU unilateral unter den MDL aufgeteilt bzw. für regionale Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die politische Konditionalisieirung, da die Summe der jedem MDL zugeteilten MEDA-Mittel u. a. von Fortschritten im politischen Reformprozess abhängig gemacht werden kann.11 Die politische Konditionalisierung findet sich auch in den Assoziationsabkommen, die eine Suspensionsklausel enthalten, die der EU bei groben Verstößen gegen die demokratischen Spielregeln oder bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einen teilweisen oder gänzlichen Rückzug aus den vertraglichen Verpflichtungen erlaubt. Die Legitimation, mit der die EU demokratische Reformen in den MDL einfordert, speist sich zum einen aus der bisherigen Effizienz westlicher Demokratien in den zentralen Bereichen Sicherheit und Wohlfahrt und zum anderen aus dem normativen Wert der Demokratie an sich.12 Jenseits der normativen Legitimation sind es aber auch handfeste Eigeninteressen, die die EU zu ihrer externen Demokratisierungspolitik motivieren. Im südlichen Mittelmeerraum erklärt sich die Demokratisierungspolitik der EU primär aus dem sicherheitspolitischen Interesse, von möglichst vielen Demokratien umgeben zu sein. Dem liegt die Erfahrung zugrunde, daß Demokratien innenpolitisch vergleichsweise stabil sind und daß sie außenpolitische Konflikte mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit friedlich lösen, als es von autoritären Regimen erwartet werden kann.13 Damit gelten Demokratien auch als verläßlichere Handelspartner. Dies trifft freilich nur auf konsolidierte Demokratien zu, nicht aber auf Staaten, die sich noch im Demokratisierungsprozess befinden und damit ganz im Gegenteil einer erhöhten Gefahr der Destabilisierung ausgesetzt sind.14 Da sich eine Demokratie nur konsolidieren kann, wenn der Demokratisierungsprozess von einer spürbaren und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung begleitet wird, hat die EU ihre Demokratisierungs- und Menschenrechtspolitik im Rahmen der EMP eng mit der Wirtschafts- und Finanzkooperation verzahnt. Damit trägt sie auch der entwicklungstheoretischen Erkenntnis Rechnung, daß nur am Gemeinwohl orientierte Demokratien, die eine aktive, gestaltende Rolle im Bereich der Wirtschaftssteuerung, der Umverteilung und der sozialen Sicherung einnehmen, fähig sind, den für die wirtschaftliche und politische Stabilität eines Landes notwendigen sozialen Frieden zu 11 Vgl. Council Decision of 6 December 1996 concerning the adoption of the guidelines for the indicative programmes concerning financial and technical measures to accompany the reform of economic and social structures in the framework of the Euro-Mediterranean partnership (MEDA), Art. 2. in: Official Journal of the European Communities No L 325, 14.12.1996, S. 21. 12 Vgl. Internationale Politik, Themenheft Demokratie und internationale Politik, Jg. 53, 1998, Nr. 4. 13 Vgl. Rummel, Reinhardt: Libertarian proposition and violence within and between nations. In: Journal of Conflict Resolution, Vol. 29, 1985, No. 3, S. 419-455. 14 Vgl. hierzu Hartog, Michael: A two way approach to stability in the Arab southern Mediterranean coastal states. Theories on democracy and international cooperation applied to developments regarding political stability in Algeria, Egypt, Libya, Morocco and Tunisia. Nato Fellowship Final Report, 1998. http://www.nato.int/acad/fellow/96-98/f96-98.htm 4

schaffen bzw. aufrecht zu erhalten.15 Dieser Hintergrund ist notwendig um die Konzeption der EMP zu verstehen, die insgesamt gesehen in mehrfacher Hinsicht als qualitativer Fortschritt bewertet werden kann: •

Die Komplexität des Ansatzes trägt den Interdependenzen zwischen ökonomischen und politischen Stabilitätsproblemen in der Region Rechnung



Die aus Helsinki übernommene langfristigen Perspektive erlaubt die Schaffung eines stabilen Rahmens für die Entwicklung nachhaltiger Problemlösungsstrategien



Mit dem Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten wurde ein normativer Bezugspunkt verankert, auf den sich nunmehr alle Teilnehmer der EMP berufen können, die sich für die Umsetzung dieser Prinzipien einsetzen



Der ebenfalls verbriefte Partnerschaftsgeist zielt auf einen fairen Interessenausgleich, ungeachtet der machtpolitischen Ungleichgewichte zwischen südlichen und nördlichen Küstenanrainern

Daß diese positive Einschätzung auf beiden Seiten des Mittelmeeres prinzipiell geteilt wird, zeigt sich in der häufigen Berufung auf den „Geist von Barcelona." Damit bezieht man sich allerdings nur auf die Konzeption der EMP, die eine ausgewogene Balance zwischen den sehr heterogenen Interessen vorsieht. Sobald die EMP an ihrer praktischen Umsetzung gemessen wird, fällt das Urteil bei allen Beteiligten skeptischer aus. Die Ernüchterung nach fünf Jahren praktischer Erfahrung mit dem Barcelona Prozess erklärt sich teilweise daraus, daß viele Erwartungen von vorn herein unrealistisch waren, da das Partnerschaftskonzept allzu oft als Mechanismus für rasche Problemlösungen fehlinterpretiert worden war. Gleichwohl gibt es mehrere Faktoren die dazu führten, daß auch realistische Erwartungshaltungen in Bezug auf den Barcelona Prozess enttäuscht wurden. An erster Stelle sind zu nennen: •

Die negative Entwicklung des Friedensprozesses im Nahen Osten



Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der MDL untereinander



Strukturelle Probleme auswärtiger Politikgestaltung im EU-Mehrebenensystem und Verletzungen des Partnerschaftsgeistes Seitens der EU



Der mangelnde politische Wille auf beiden Seiten, den normativen Geist des Barcelona Prozesses mit Leben zu füllen



Die Schwierigkeiten, das Partnerschaftsprojekt auf die Ebene der Zivilgesellschaften auszuweiten

15 Vgl. Boeckh, Andreas: Entwicklungstheorien – Eine Rückschau. In: Nohlen, Dieter/ Nuscheler, Franz (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt, Bd. 1, Grundprobleme, Theorien, Strategien, 3. Aufl., Bonn 1992, S. 110-130. Zum Zusammenhang zwischen Demokratisierung und Entwicklung vgl. u. a. Leftwich, Adrian: Governance, Democracy and Development in the Third World. In: Third World Quarterly, Vol. 14, 1993, No. 3, S. 605-624. 5

Die negative Entwicklung des Friedensprozesses im Nahen Osten Als die EMP Ende 1995 begründet wurde, war man in der EU davon ausgegangen, daß der nahöstliche Friedensprozess bereits unumkehrbar geworden sei. Aus der damaligen Perspektive hatte sich ein window of opportunity geöffent, das die Integration der Nahostpolitik in den Kontext einer umfassenderen Regionalpolitik zu ermöglichen schien und damit die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Konsolidierung des Friedensprozesses. Unerwartete Rückschläge nach der Regierungsübernahme Benjamin Netanjahus in Israel entzogen dieser Strategie jedoch bald schon die praktische Grundlage. Anstatt daß die EMP den Nahost Friedensprozess gestärkt hätte, führte der Stillstand des Friedensprozesses zu einer Blockade der EMP. Dies wurde besonders augenfällig auf der zweiten euro-mediterranen Außenministerkonferenz im April 1997 in Malta, als die arabischen MDL unmissverständlich zum Ausdruck brachten, dass eine Rückkehr zur euromediterranen Tagesordnung wenige Wochen nach dem Bau der jüdischen Siedlung Har Choma in Ostjerusalem inakzeptabel sei.16 Um eine vollständige Blockade der EMP durch weitere Rückschläge im nahöstlichen Friedensprozess zu vermeiden, beschloß die EU 1997, die Nahostpolitik der vorrangigen Verantwortung des EU-Beauftragten für den Nahen Osten, Miguel Moratinos zu überlassen.17 Moratinos, dessen Team im Rahmen einer gemeinsamen Aktion der GASP operiert, nimmt für die EU-Nahostpolitik die Funktion eines regionalen „Mr. GASP“ ein, indem er sich für ein kohärentes nahostpolitisches Profil der EU einsetzt und dieses nach außen repräsentiert. Die EU-Nahost-politik findet damit außerhalb der EMP-Strukturen statt, in denen sich das nahöstliche Engagement der EU auf die Bereiche der sektoralen Kooperation und der finanziellen Unterstützung beschränkt. Diese Trennung findet sich auch in der Gemeinsamen Mittelmeerstrategie, die den Nahen Osten erst nach einer umfassenden Friedenslösung erfassen wird.18 Ob die Trennung sinnvoll ist, mag bezweifelt werden. Zum einen, weil sie in Marseille eine weitgehende Blockade des Barcelona Prozesses nicht verhindern konnte, und zum anderen, weil sie im Widerspruch zu dem erklärten Ziel der EU steht, ihr politisches Engagement in der Region zu verstärken. Es scheint absehbar, daß sich die Aktivitäten der EU im Nahen Osten auch in Zukunft auf die technische und finanzielle Unterstützung des entstehenden palästinensischen Staatswesens konzentrieren werden. Um gestaltenden Einfluss auf den Friedensprozess nehmen zu können, fehlt es dem heterogenen Akteur EU trotz aller Anstrengungen im Rahmen der GASP nach wie vor an Kohärenz. Dessen ungeachtet hat die sektorale Kooperation im Rahmen der EMP einen nicht zu unterschätzenden politischen Wert, der darin besteht, den Hauptakteuren im

16 Vgl. Jünemann, Annette: Die Euro-Mediterrane Partnerschaft vor der Zerreißprobe? Eine Bilanz der zweiten Mittelmeerkonferenz von Malta. In: Orient 38 (1997) 3, S.465-475. 17 Vgl. Research Group on European Affairs, University of Munich (Hrsg.): Europe, the Middle East and North Africa: The Barcelona Process in Danger? Working Paper presented to the Fourth Kronberg Middle East Talks of the Bertelsmann Foundation, Kronberg, March 15-17 1998, S. 9. 18 Vgl. Gemeinsame Strategie der Europäischen Union für den Mittelmeerraum, a. a. O., Art. 5, S. 2.. 6

arabisch-israelischen Konflikt - Palästinensern, Israelis, Syrern und Libanesen - ein regelmäßiges und einigermaßen stabiles Dialogforum zu bieten. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der MDL untereinander Wie eingangs erwähnt, stellt die geplante euro-mediterrane FHZ den substanziellen Kern der EMP dar. Sie sieht nicht nur eine inter-regionale, sondern auch eine intra-regionale Vernetzung der Handelsbeziehungen vor, also Süd-Süd-Handel. Ausgehend von der Erfahrung, daß Europa seinen raschen wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem dem wirtschaftlichen Integrationsprozess verdankte, erwartet die EU entsprechende Effekte auch von einer wirtschaftlichen Integration im südlichen Mittelmeerraum. Zudem würde „der Ausbau des Süd-Süd-Handels erhebliche wirtschaftliche Gewinne nicht nur in bezug auf den Handel, sondern auch auf die ausländischen Direktinvestitionen mit sich bringen, da die Möglichkeit, regionale statt rein nationale Märkte zu bedienen, Investoren anziehen würde.”19 Diesen Erwartungen steht jedoch eine äußerst negative Entwicklung der Handelsbeziehungen gegenüber. Seit 1995 hat sich der Anteil des intra-regionalen Handels am gesamten Handelsvolumen der MDL kaum verändert und liegt noch immer bei bescheidenen 6%. Daß die Kommission in der wirtschaftlichen Integration des südlichen Mittelmeerraumes eines der wichtigsten Mittel zur Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung sieht, machte sie in ihrer zur Vorbereitung von Marseille verfaßten Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament (EP) mehr als nur deutlich. Dort regt sie an, daß „(J)edes Land, das ein Assoziationsabkommen mit der EU unterzeichnet, spätestens innerhalb von fünf Jahren danach Freihandelsabkommen mit allen übrigen Unterzeichnern von Assoziationsabkommen schließen (sollte).”20 In diesem Sinne begrüßte die EU die Ankündigung Marokkos, Anfang 2001 mit Tunesien, Ägypten und Jordanien ein subregionales Integrationsprojekt auf den Weg bringen zu wollen.21 Um dieses und andere subregionale Integrationsprojekte zu fördern, einigte man sich in Marseille (endlich) darauf, die Möglichkeit einer diagonalen Addition von Ursprungsregeln einzuführen.22 Über die ökonomischen Aspekte hinausgehend erhofft sich die EU von einer wirtschaftlichen Integration des südlichen Mittelmeerraumes auch spill over-Effekte auf die politische Ebene. Dem liegt - wiederum mit Blick auf die europäische Integrationsgeschichte - die Erfahrung zugrunde, daß sich ein möglichst enges Geflecht von wirtschaftlichen und politischen Interdependenzen positiv auf die Prävention und Eindämmung von zwischenstaatlichen Konflikten auswirkt.23 Seitdem sich die Aussichten auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit in Wirtschaft, Handel und Politik im Nahen Osten verdüstert haben, 19 Intensivierung des Barcelona Prozesses. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Vorbreitung der vierten Europa-Mittelmeer-Tagung der Außenminister. In: Agence Europe, 14.9.2000, (S. 1-19), S. 11. 20 Ebenda 21 Vgl. Agence Europe, 30.10.2000, S. 10. 22 Vgl. Fourth Euro-Mediterranean Conference of Foreign Ministers, Guiidelines for the fututre, Art. Art. 22, Absatz 5. 23 Vgl. Miller, Gary: An integrated communities approach. In: Journal of Arab Affairs. Special Issue: The EEC and the Arab World. 12 (Spring 1993) 1, S. 53-100. 7

konzentrieren sich diesbezügliche Hoffnungen nun wieder verstärkt auf den Maghreb. Immerhin gibt es seit Gründung der Union du Maghreb Arabe (UMA) im Jahre 1989 einen institutionellen Rahmen für die sub-regionale Zusammenarbeit, auf den sich die EMP stützen könnte. Daß dies bisher nicht geschehen ist, liegt daran, daß die UMA faktisch kaum funktionstüchtig ist und sich die Beziehungen zwischen ihren Mitgliedstaaten seit Beginn des algerischen Bürgerkrieges im Jahre 1992 eher verschlechtert als verbessert haben. Ein weiterer Grund für die marginale Rolle der UMA im Rahmen der EMP besteht darin, daß nicht alle UMA-Mitglieder automatisch auch Mitglieder der EMP sind. Mauretanien, dessen Beziehungen zur EU bereits über die Lomé-Verträge geregelt werden, ist genauso wenig in die EMP integriert wie Libyen, über das der UN-Sicherheitsrat 1992 Sanktionen verhängte. Teilnehmer aus diesen beiden Ländern nahmen an den ersten Euro-Mediterranen Ministerkonferenzen lediglich als Mitglieder der UMA-Delegation teil, der man einen Beobachterstatus zugebilligt hatte. Anders als Mauretanien wurde Libyen jedoch von Anfang an als potentieller Partner betrachtet. Den Bemühungen von Staatschef Muammar Gaddafi, in die internationale Staatengemeinschaft zurück zu kehren, kommt die EU nicht erst seit der erfolgreichen Unterstützung Libyens bei der Geiselbefreiung von Jolo entgegen.24 Neben dem politischen Konzept der regionalen Integration, dessen Verwirklichung auf eine Teilnahme Libyens angewiesen ist, sind es auch wirtschaftlichen Eigeninteressen,25 die die Europäer empfänglich für libysche Annäherungsgesten machen.26 So wurde zur dritten EuroMediterranen Partnerschaftskonferenz von Stuttgart im April 1999 erstmals auch eine libysche Delegation mit Beobachterstatus eingeladen, und im offiziellen Schlußkommuniqué des Ratsvorsitzenden wurde dem Land in Aussicht gestellt, volles EMP-Mitglied werden zu können, sobald die UN-Sanktionen endgültig aufgehoben sind und Libyen den Barcelona acqis in Gänze akzeptiert hat.27 Eine weitere Einbindung Libyens an die EMP war in Marseille vorgesehen. Anders als erwartet nahm Libyen die Einladung nach Marseille jedoch gar nicht erst an, sondern setzte sich an die Spitze derjenigen arabischen Staaten, die aufgrund der israelischen Militäraktionen in den palästinensischen Gebieten jegliche Verhandlungen mit Israel ablehnen. Darüber hinaus brachte Gaddafi unmißverständlich zum Ausdruck, daß er zwar Interesse an einer bilateralen Kooperation mit Europa hat, nicht jedoch an dem politisch und wirtschaftlich konditionierten Barcelona-Prozess. „Wir brauchen Wasserpumpen und keine 24 Am 23. April 2000 verschleppte die philippinische Rebellengruppe Abu Sayyaf eine Gruppe europäischer Touristen und malaysischer Hotelangestellter auf die Insel Jolo. Einige der europäischen Touristen konnten im August bzw. September durch die Vermittlung des libyschen Unterhändlers Azzarouk befreit werden. 25 Da die amerikanischen Sanktionen gegen Libyen noch bestehen, versprechen sich europäische Firmen Vorteile beim Wettlauf um den libyschen Markt. Im Gegensatz zu den übrigen MDL ist Libyen ein reiches Land und kann viel Geld investieren, um seinen zehnjährigen Entwicklungsrückstand aufzuholen. Vgl. Europe gets a foot in Libya's door. In: the Middle East, 1.11.2000, S. 12f. 26 Vgl. Chimelli, Rudolf: Auch Lösegeld bringt Dividende. Libyens Staatschef Gadaffi will auf dem Umweg über Jolo zurück ins weltpolitische Geschäft. In: Süddeutsche Zeitung, 28.8.2000, S. 4. 27 Vgl. Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Förmliche Schlußfolgerungen des Präsidenten. Dritte Euro-Mediterrane Konferenz der Außenminister, Art. 37. Stuttgart 15. und 16. April 1999, Pressemitteilung, Bonn 16. April 1999. 8

Demokratie,” ließ er die Vertreter der EU im April 2000 auf dem Afrika/ Europa-Gipfel in Kairo wissen,28 und machte damit deutlich, daß Libyen es aufgrund seines relativen Wohlstandes nicht notwendig hat, potentiellen Geberländern durch politisches Wohlverhalten entgegenzukommen. Ob innerhalb oder außerhalb der EMP, Libyen wird für die EU ein schwieriger und schwer berechenbarer Verhandlungspartner bleiben.29 Strukturelle Probleme der auswärtigen Politikgestaltung im EU-Mehrebenensystem und Verletzung des Partnerschaftsgeistes Seitens der EU30 Die Konzeption der EMP kann man als gelungenes Beispiel europäischer Politikgestaltung bewerten, weil der komplexe Ansatz der EMP den vielschichtigen Problemlagen im Mittelmeerraum angemessen ist. Seitdem die EMP fest etabliert ist, scheint sich der politische Wille, den „Geist von Barcelona” mit Leben zu erfüllen, jedoch zu verflüchtigen. Die Umsetzung der EMP wird zunehmend von den begrenzten Partikularinteressen einzelner Akteure innerhalb der EU dominiert: „Die verschiedenen Akteure innerhalb der EU setzen je nach Funktion im Gemeinschaftsrahmen partielle Akzente. Für die Kommission mißt sich der Erfolg an den Fortschritten in den vertraglichen Beziehungen mit den Partnerstaaten zur Errichtung der FHZ. Für den Rat stehen stabilitätspolitische Kriterien im Vordergrund. Die EU-Mitgliedstaaten erwarten je nach geographischer Nähe zur Region Fortschritte in der Öffnung von Märkten und Stabilisierung der ökonomischen Entwicklung. Für das Europäische Parlament ist die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in den Partnerstaaten ein zentrales Kriterium für den Erfolg der EMP. Allen Akteuren gemeinsam scheint die Tendenz einer funktionalen Reduktion auf Teilaspekte der EMP.“31 Die MDL müssen sich somit auf unterschiedliche Interessen der zahlreichen Akteure einstellen, mit denen sie im Rahmen der EMP auf Seiten der EU zu tun haben. Dies fällt ihnen insofern schwer, als sie die komplexen Entscheidungsprozesse im EU-Mehrebenensystem kaum nachvollziehen können. Immerhin berührt die EMP aufgrund ihrer innovativen politischen Dimension sowohl den ersten als auch den zweiten Pfeiler des EUV32 und weist damit den für die EU-Außenbeziehungen typischen Dualismus von vergemeinschafteter Außenhandels- und Entwicklungspolitik einerseits und intergouvernementaler GASP 28 Zitiert aus: Agence Europe, 5.4.2000, S. 4. 29 Korrektur nach Drucklegung: Anders als im Aufsatz berichtet hat kurzfristig doch noch eine siebenköpfige libysche Delegation an der Mittelmeerkonferenz von Marseille teilgenommen, geleitet von Außenminister Abderrahman M. Shalgam. Mit ihrem Erscheinen war nicht gerechnet worden, da Libyen seine Teilnahme zunächst abgesagt hatte und brieflich auch alle arabischen Staaten aufgefordert hatte, den Gipfel zu boykottieren. 30 Das folgende Kapitel faßt wesentliche Teile eines Aufsatzes zusammen, der sich vorwiegend mit den durch das EU-Mehrebenensystem gegebenen strukturellen Problemen der EMP befaßt. Vgl. Jünemann, Annette: Auswärtige Politikgestaltung im EU-Mehrebenensystem. Eine Analyse der strukturellen Probleme am Beispiel der Euro-Mediterranen Partnerschaft In: Müller-Brandeck-Bocquet, Giesela/ Schubert, Klaus (Hrsg.): Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik. Leske und Budrich, Opladen 2000, S. 65-80. 31 Köhler, La Politique Méditerranéenne: Suivi de la conférence de Barcelone. a. a. O., S. 1. 32 Mit Überführung der Migrations- und Asylpolitik vom dritten in den ersten Pfeiler im Zuge der Amsterdamer Vertragsreform hat der dritte Pfeiler seine anfängliche Relevanz für die EMP verloren. 9

andererseits auf.33 Die daraus resultierende Komplexität erhöht sich durch den weiteren Umstand, daß eine trennscharfe Abgrenzung zwischen vergemeinschafteten und intergouvernementalen Entscheidungsverfahren der EU kaum mehr möglich ist. Was die Komplexität der Strukturen im Einzelfall für die MDL impliziert, kann hier nicht in aller Ausführlichkeit dargelegt werden. Beispielhaft soll lediglich auf die Schwierigkeiten hingewiesen werden, die sich daraus für die Verabschiedung der Euro-MedAssoziationsabkommen ergeben. Bei den Euro-Med-Assoziationsabkommen handelt es sich um gemischte Abkommen, die prinzipiell in die Kompetenz des Rates fallen. Ausgehandelt werden die Abkommen jedoch von der Kommission, die dafür ein Mandat vom Rat erhält. Für die MDL bedeutet dies, daß sie es mit unterschiedlichen Verhandlungspartnern zu tun haben. Aber auch die Kommission befindet sich in einer mißlichen Situation. Da ihr Mandat nur begrenzt ist, muß sie in zwei Richtungen verhandeln: mit den MS, mit denen sie sich permanent abstimmen muß, und mit dem eigentlichen Verhandlungspartner, dem jeweiligen MDL. Da die Kommission eine weitgehende Marktöffnung der EU befürwortet, kommt sie den MDL oft weiter entgegen, als es den MS Recht ist. Ein Extrembeispiel für diesen innereuropäischen Konflikt bot das Assoziationsabkommen mit Jordanien, das am Rande der zweiten euro-mediterranen Außenministerkonferenz von Malta im April 1997 paraphiert worden war. Zwei Wochen später mußten die Verhandlungen neu aufgerollt werden, weil die Kommission nach Ansicht einer Gruppe von MS ihr Verhandlungsmandat zugunsten Jordaniens überschritten hatte.34 Damit haben die südlichen MS das Ziel der EMP, ein wirtschaftlich schwaches MDL durch Unterstützung seiner ökonomischen Entwicklung zu stabilisieren, ihrem nationalen Interesse an Handelsschranken und einem interinstitutionellen Machtkampf untergeordnet. Den MDL fällt es angesichts solcher im Hintergrund ausgetragener Konflikte zunehmend schwer, eine klare politische Linie der EU-Politik im Rahmen der EMP zu erkennen. Noch bedenklicher erscheint die Tatsache, daß die Dominanz, mit der die unterschiedlichen Akteure der EU ihre Partikularinteressen durchsetzen, in der Regel - und dem proklamierten Partnerschaftsgeist zum Trotz - zu Lasten der MDL geht. Diesen Vorwurf machen die MDL der EU sowohl in der Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft, die vor allem unter dem EUAgrarprotektionismus leidet,35 als auch in der Politischen und Sicherheitspartnerschaft, in der sich die arabischen MDL immer wieder in die Rolle des potentiellen Feindes gedrängt 33 Vgl. Monar, Jörg: Die interne Dimension der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union: Institutionelle und verfahrensmäßige Probleme. In: Zippel, Wulfdiether (Hrsg.): Die Mittelmeerpolitik der EU. Baden Baden 1999, (S. 65-90). S. 77ff. 34 Vgl. Monar, Jörg: Die interne Dimension der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union: Institutionelle und verfahrensmäßige Probleme. In: Zippel, Wulfdiether (Hrsg.): Die Mittelmeerpolitik der EU. Baden Baden1999, S. 86. 35 Zu den Risiken und Chancen der FHZ für die MDL vgl. Bacaria, Jordi/ Tovias, Alfred: EuroMediterranean Free Trade Areas: Commercial Implications. In: Mediterranean Politics, Vol. 4, Summer 1999, Number 2, Special Issue; Nienhaus, Volker: Euro-Mediterrane Freihandelszone: Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen und Förderung nachhaltiger Entwicklung? In: Zippel, Wulfdiether (Hrsg.): Die Mittelmeerpolitik der EU. Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration e.V., Bd. 44, BadenBaden 1999, (S. 91-114), S. 101 f. 10

fühlen.36 In der Tat darf der partnerschaftliche Ansatz der EMP nicht darüber hinwegtäuschen, dass der EMP die europäische Perzeption des südlichen Mittelmeerraumes als Krisenregion zugrunde liegt. Besonders krass wurde die europäische Sicherheitsperzeption 1996 sichtbar, als auf Initiative Frankreichs, Spaniens und Italiens zwei schnelle Eingreiftruppen eingerichtet wurden, EUROFOR und EUROMARFOR, die sowohl der WEU als auch der NATO für „friedenswahrende und humanitäre Operationen” zur Verfügung stehen. Für die MDL war es wenige Monate nach Abschluss der EMP mehr als nur irritierend, dass EUROFOR und EUROMARFOR nicht als Instrumente einer gemeinsamen euromediterranen Sicherheitsarchitektur konzipiert wurden, sondern als rein europäische Streitkräfte, denen der südliche Mittelmeerraum als Testfeld für die anvisierte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) dient.37 Der diplomatische Konflikt konnte erst beigelegt werden, nachdem Spanien, Italien und Portugal sich entschlossen, ausgewählte MDL unter bestimmten Umständen an Operationen von EUROFOR und EUROMARFOR zu beteiligen. Als Szenario für gemeinsame Operationen wurden u. a. Rettungseinsätze bei Naturkatastrophen diskutiert; ein konstruktiver Vorschlag, der auch in den Entwurf der Charta für Frieden und Stabilität aufgenommen wurde.38 Das Kernproblem einer unterschiedlichen Sicherheitsperzeption konnte damit freilich nicht gelöst werden, weil jegliche Art der euromediterranen Sicherheitskooperation den Nahostkonflikt - das primäre Sicherheitsproblem der Region - unberührt lässt. Geblieben ist auch ein gewisses Misstrauen auf Seiten vieler MDL, die unilateralen Initiativen der EU, wie z. B. der Gemeinsamen Mittelmeerstrategie, seither mit besonderer Skepsis begegnen.39 Der mangelnde politische Wille auf beiden Seiten, den normativen Geist des Barcelona Prozesses mit Leben zu füllen Das Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten wurde den autoritär40 verfaßten Regimen unter den MDL 1995 in Barcelona mehr oder minder aufgezwungen, indem die EU 36 Zur Sicherheitsperzeption der arabischen MDL vgl. u. a. Halim, Achmed A.: The Egyptian Perspective for Mediterranean Security. In: Hegasy, Sonja (Hrsg.): Egyptian and German Perspectives on Security in the Mediterranean. Friedrich-Ebert-Stiftung, Kairo 1998, S. 29-36. Zur europäischen Perzeption sicherheitspolitischer Herausforderungen im Mititelmeerraum vgl. Jacobs, Andreas/ Masala, Carlo (Hrsg.): Hannibal ante portas? Analysen zur Sicherheit an der Südflanke Europas. Baden-Baden 2000. 37 Die MDL kamen in der ersten Konzeption weder als Partner eines gemeinsamen Sicherheitsregimes vor, noch als Bürger, die vor eventuellen Naturkatastrophen zu retten wären, sondern lediglich als potentieller Einsatzort für die Evakuierung europäischer Staatsbürger. Vgl. Communiqué commun annonçant la signature de l’EUROFORCE opérationelle rapide (EUROFOR) et de la Force maritime européenne (EUROMARFOR) (Paris, 15 mai 1995). In: Documents D‘Actualité Internationale, No 13, 1er juillet 1995, S. 407. 38 Vgl. Echeverria, Carlos: Cooperation in peacemaking among the Euro-Mediterranen armed forces, Chaillot Papers 35, Paris 1999, S. 35. 39 Die Sensibilität der MDL gegenüber europäischen Alleingängen muss auch im Kontext der kolonialen Vergangenheit gesehen werden. Im Falle der Mittelmeerstrategie kam es zu keinem größeren Konflikt, da sie sich an der von den MDL akzeptierten und mitgetragenen EMP orientiert. 40 Die politischen Systeme der einzelnen MDL unterscheiden sich zwar stark voneinander, haben in Bezug auf ihre demokratischen Standards jedoch Gemeinsamkeiten, die die verallgemeinernde Bezeichnung autoritär trotz aller Differenzen rechtfertigen. Vgl. Kamrava, Mehran: Non-Democratic States and Political Liberalization in the Middle East - a Structural Analysis. In: Third World Quaterly, 19 (1998) 1, S. 63. Für 11

es zur Voraussetzung einer vertieften wirtschaftlichen Zusammenarbeit machte. Dass diese Länder wenig Interesse an einer konsequenten Umsetzung der vereinbarten Prinzipien zeigen, ist insofern nicht weiter verwunderlich. Erstaunlich ist hingegen die Halbherzigkeit, mit der sich die Kommission und die südlichen MS zu ihren selbst gesteckten Zielen bekennen. Untersucht man nämlich, welche der in den Barcelona-Prozess eingebauten Instrumente einer aktiven Demokratisierungs- und Menschenrechtspolitik in den letzten fünf Jahren tatsächlich genutzt wurden, so kommt man zu ernüchternden Ergebnissen. Die schärfste Waffe zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten ist die bereits erwähnte politische Konditionalisierung. Obwohl sich anerkannten Menschenrechtsorganisationen zufolge die Menschenrechtssituation im südlichen Mittelmeerraum seit 1995 in keinster Weise verbessert hat,41 ist bei der bisherigen Vergabe der MEDA-Mittel keine politische Konditionalisierung erkennbar, und auch die Möglichkeit, politischen Druck durch die Suspendierung eines Assoziationsabkommens auszuüben (und sei es auch nur symbolisch durch einen eng begrenzten Teilrückzug), hat die EU bislang nicht genutzt. Lediglich das EP versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten der politischen Konditionalisierung Rechnung zu tragen. Da es von der Entscheidung über die Anwendung der Suspensionsklauseln ausgeschlossen ist, beschränken sich seine politischen Einflußmöglichkeiten auf die parlamentarischen Haushaltskompetenzen.42 So drohte es beispielsweise im September 1996 mit einer Blockade, nachdem sich die Türkei einer EPEntschließung zufolge fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatte.43 Um Blockaden durch das EP zu vermeiden, bemüht sich die Kommission, die Vorbehalte des EP von Anfang an mit zu berücksichtigen. Dem sind jedoch Grenzen gesetzt, da das EP sehr viel höhere Standards an die Demokratisierungsprozesse in den MDL anlegt als die Kommission und die MS. Das paradoxe Verhalten der maßgeblichen EU-Akteure, politische Instrumente erst gegen zahlreiche Widerstände durchzusetzen, dann aber kaum zu nutzen, ist keine Besonderheit europäischer Politik im Rahmen der EMP. Vielmehr meidet die EU in ihrer entwicklungspolitischen Praxis generell die Anwendung vergleichbarer Instrumentarien44 und

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eine vertiefende Analyse vgl. Brynen, Rex/ Korany, Bahgat/ Noble, Paul (Hrsgg.): Political Liberalization and Democratization in the Arab World. Vol. 1, Theoretical Perspectives. London 1995. Vgl. November 1999 - November 2000: Eight International NGOs assess five years of the EuroMediterranean Partnership. Press release of Amnesty International, International Federation of Human Rights, Human Rights Watch, World Organisation Against Torture, Penal Reform International, Reporters Without Borders, Euro-Mediterranean Human Rights Network, Marseille 10.11.2000. Das EP ist weder an der Aufstellung der regionalen, noch der nationalen Indikativprogramme im Rahmen der MEDA-Verordnung beteiligt, aber da es dem gesamten MEDA-Budget abschließend zustimmen muß, verfügt es über ein faktisches Vetorecht. Damit versucht das EP vor allem auf die nationalen Indikativprogramme Einfluß zu nehmen. Kritiker der Blockadepolitik des EP argumentierten allerdings, daß das EP fälschlicher Weise die Kräfte innerhalb der Türkei getroffen hätte, die sich von einem Beitritt in die EU Fortschritte im türkischen Demokratisierungsprozeß erhoffen. Sogenannte Menschenrechtsklauseln wurden seit 1991 in allen Wirtschafts- und Kooperationsabkommen mit Drittstaaten abgeschlossen. Vgl. Europäische Kommission: Über die Berücksichtigung der Wahrung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte in den Abkommen zwischen der 12

bevorzugt weniger drastische, eher indirekt wirkende Möglichkeiten der politischen Einflußnahme. Grund für diese Zurückhaltung ist weniger der Respekt vor dem deklarierten Partnerschaftsgeist gegenüber Drittstaaten, als vielmehr ein Zielkonflikt, der zumindest temporär zwischen den Zielen Demokratisierung und Stabilisierung besteht - gerade mit Blick auf den Mittelmeerraum. Demokratische Reformen werden in den meisten MDL mit großer Wahrscheinlichkeit turbulente Transformationsprozesse auslösen, da die demokratischen Kräfte in der Regel schwach und ohne Massenbasis sind. Die befürchteten Krisenszenarien, die vor allem in den südlichen MS diskutiert werden, reichen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen bis zur demokratisch legitimierten Machtübernahme anti-westlicher Islamisten. Die jetzt schon als bedrohlich wahrgenommenen Destabilisierungstendenzen, die immerhin den Impuls für die Initiierung der Euro-Mediterranen Partnerschaft gegeben haben, würden also, zumindest für eine Zeit des Umbruchs, verstärkt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, daß die EU im Zielkonflikt zwischen Demokratisierung und Stabilisierung letzterem Priorität einräumt. Nicht die Forcierung von Demokratisierungsprozessen, sondern allenfalls die Unterstützung vorsichtiger Reformprozesse liegt in ihrem Interesse.45 Strategisch setzt man dabei vor allem auf die wirtschaftliche Liberalisierung als Zugpferd und erhofft sich davon spill over Effekte auf die politische Ebene.46 Die Marktbefreiung, so wurde bis vor kurzem noch in der Kommission argumentiert, ermöglicht den Bürgern die freie Entscheidung über ihr ökonomisches Verhalten als Konsument, Produzent oder Händler und gibt ihnen damit die Freiheiten, die zur Entstehung von Konkurrenz notwendig sind. Konkurrenz ist wiederum eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Entstehung neuer Mittelschichten, den potentiellen politischen Akteuren der Zukunft. Da wirtschaftliche Freiheit und politische Unfreiheit einander widersprechen, wird von diesen Mittelschichten erwartet, daß sie mittel- und langfristig politische Rechte einfordern und damit – nachholend – einen politischen Transformationsprozess in Gang setzen. Das Plädoyer für diese Reihenfolge wird durch das weiterführende Argument gestützt, daß junge Demokratien zu schwach seien, um notwendige aber schmerzhafte Strukturanpassungen im Bereich der Wirtschaftspolitik durchsetzen zu können.47 Diese Argumentationskette klingt zunächst plausibel, es drängt sich jedoch die Frage auf, weshalb autoritäre Regime sich für einen wirtschaftlichen Reformprozess stark machen sollten, wenn sie damit geradezu zwangsläufig – wenn auch langfristig – ihre eigene Entmachtung einleiten. Kann eine wirtschaftliche und politische Transformation überhaupt funktionieren, solange beide Transformationsprozesse unter der Kontrolle autoritärer und korrupter Regime bleiben? Ist nicht realistischer Weise davon auszugehen, daß diese Regime wirtschaftliche Reformprozesse, die ihren Machterhalt

Gemeinschaft und Drittländern. Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat. In: Bulletin der Europäischen Union, Beilage 3/95, S. 7-21. 45 In einem offiziellen Papier des spanischen Außenministeriums wurde 1995 in diesem Kontext der Begriff ‘dynamic stability‘ kreiert. Vgl. Ministerio de Asuntos Exteriores, 1995: 463,664, zitiert in: Gillespie‚ a.a.O., S. 42. 46 Vgl. Interview mit Dr. Eberhard Rhein, Europäische Kommission, GD IB, Direktor der Direktion A – Südlicher Mittelmeerraum, Naher und Mittlerer Osten, Brüssel 4.3.1996. 47 Vgl. hierzu ausführlich: Luckham/White, Democratization in the South, a. a. O. 13

bedrohen, entweder unterlaufen oder aber mit verstärkter staatlicher Repression begleiten, um die von der EU erhofften politischen spill over Effekte schon im Keim zu ersticken?48 Die Lösung des Problems kann nur in einer vorsichtig ausbalancierten Parallelität beider Transformationsprozesse liegen, also der Öffnung des wirtschaftlichen Systems bei gleichzeitiger Gewährung von immer mehr politischen Freiheiten in einem sukzessive zu reformierenden politischen System. Dies scheint mittlerweile auch die Kommission erkannt zu haben. In Abkehr von ihrer bisher verfolgten Strategie fordert sie in ihrer Mitteilung an den Rat und das EP zur Intensivierung des Barcelona Prozesses, daß MEDA-Länderzuweisungen künftig stärker von wesentlichen Fortschritten in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie, verantwortungsvolle Staatsführung und Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden sollen.49 Die Schwierigkeiten, das Partnerschaftsprojekt auf die Ebene der Zivilgesellschaften auszuweiten Der Konzeption der EMP ging die Überlegung voraus, daß inter-regionale Kooperation nicht allein auf dem Dialog von Regierungen basieren darf, sondern die Bevölkerung insbesondere deren demokratischen Kräfte - mit einbeziehen muß. Dies gilt um so mehr, wenn das normative Ziel der Kooperation die Durchsetzung von Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit ist. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die euro-mediterrane Zusammenarbeit ist als komplementärer Ansatz zur politischen Konditionalisierung zu verstehen. Die EU ergänzt ihre Forderung nach einer von den Regierungen der MDL durchzuführenden „Demokratisierung von oben” durch die Unterstützung einer von den Zivilgesellschaften getragenen „Demokratisierung von unten.”50 Zu diesem Zweck wurden im Rahmen des dritten Korbes, der Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich, mehrere Programme eingeführt, die auf unterschiedliche Zielgruppen innerhalb der Zivilgesellschaften zugeschnitten waren.51 Diese sogenannten MED-Programme mußten 1996 jedoch gestoppt werden, weil der Europäische Rechnungshof schwerwiegende Fälle von Mißwirtschaft aufgedeckt hatte.52 Eine wesentliche Ursache für diese Verfehlungen war die Überlastung der Kommission, die aus Mangel an personellen 48 Die zweite dieser Strategien verfolgt ganz offensichtlich die tunesische Regierung. Während das Land im wirtschaftlichen Reformprozeß als vorbildlich gilt, sind im Demokratisierungsprozeß Rückschritte zu verzeichnen, insbesondere in Hinblick auf die Menschenrechtssituation. Vgl. The State of Liberties and Human Rights in Tunesia. Report published by the Euro-Mediterranean Human Rights Network, Kopenhagen 1999. 49 Vgl. Intensivierung des Barcelona Prozesses, a. a. O., S. 9. 50 Vgl. Jünemann, Annette: Die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union: Demokratisierungsprogramme zwischen normativer Zielsetzung und realpolitischem Pragmatismus. In: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.): Frankreich Jahrbuch 1997, Opladen 1997, S. 93-116. 51 So zielte MED-Urbs auf die Verbesserung demokratischer Verfahren auf lokaler Ebene, Med Campus förderte euro-mediterrane Netzwerke von Hochschulen und MED-Media unterstützte die transnationale Kooperation von Mediennetzwerken.Vgl. Europäische Kommission, GD I: Manuel des Programmes MED. Votre Guide pour le Partenariat Euro-Méditerranéen, Brüssel 1996. 52 Vgl. Europäischer Rechnungshof: Sonderbericht Nr. 1/96 über die Mittelmeerprogramme zusammen mit den Antworten der Kommission. Luxemburg 1996. 14

Ressourcen die Verwaltung der zahlreichen grass-root-Projekte an eine externe Firma delegiert hatte, deren Arbeit jedoch weitgehend unkontrolliert blieb. Bemühungen, die MEDProjekte wiederzubeleben, wurden mittlerweile zugunsten der Entwicklung neuer Programme aufgegeben: Euromed-Audio-visual für die Kooperation im Bereich Radio, Fernsehen und Kino, Euromed-Humanities für die Kooperation im Wissenschaftsbereich, Euromed-Heritage zur Pflege des gemeinsamen Kulturerbes und das Euromed-Youthprogram zur Förderung der Jugendarbeit.53 Insgesamt gesehen erscheinen diese Programme weniger politisch als die MED-Programme, da nur noch große Projekte finanziert werden sollen, deren Organisation ohne Mitwirkung (bzw. Einmischung) der staatlichen Ebene faktisch nicht zu realisieren ist. Bedeutsamer ist deshalb das MEDA-Democracy Programm, das auf Druck des EP zur gezielten Förderung von Demokratie und Menschenrechten eingeführt wurde.54 Zielgruppe sind unabhängige Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO), Universitäten und Forschungsinstitute. Der Wirkkraft dieses Programms sind jedoch ebenfalls Grenzen gesetzt, da die teilnehmenden NRO weder verboten, noch extern finanziert sein dürfen. In Reaktion auf den großen Korruptionsskandal, der 1999 zum Rücktritt der Santer-Kommission führte, stornierte die Kommission auch Projekte des MEDA-Democracy Programmes, was zu einem erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust der EU in den demokratischen Eliten der Partnerländer führte. Seitdem scheint sich die Kommission peu à peu vom Ansatz einer „Demokratisierung von unten” zurückzuziehen. Ihre an den Rat und das EP gerichtete Aufforderung, die euromediterrane Kooperation auf Ebene der Zivilgesellschaften auch weiterhin zu fördern, fand zwar noch Eingang in einen Entwurf der Mitteilung zur Intensivierung des BarcelonaProzesses vom Mai 2000, wurde in der endgültigen Version jedoch Ersatzlos gestrichen.55 Begrüßenswert sind vor diesem Hintergrund Pläne für ein Programm im Rahmen von Korb (3) zur Förderung der Rolle von Frauen im Wirtschaftsprozess, die im Abschlußdokument von Marseille Erwähnung finden.56 Auf eine Fortführung der Zusammenarbeit auf Ebene der Zivilgesellschaften läßt auch der konsolidierte Text von MEDA II hoffen. Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Signale scheint es derzeit ungewiss, in welche Richtung sich die zivilgesellschaftliche Kooperation entwickeln wird.

53 Vgl. Cultural programmes and projects funded under MEDA. Interview with Anne-Charlotte Bournovillle on the Euro-Mediterranean Cultural Partnership, http://www.euromed.net/documents/interviewbournoville-en.htm. 54 Vgl. MEDA-Democracy Programme, Budget Line B7-705N. Criteria and Conditions of Eligibility. GD IB/A2, Brussels, 25.4.1996. Die Einrichtung von MEDA-Democracy erfolgte in Analogie zu den entsprechenden EU-Programmen für die Mittel- und Osteuropäischen Staaten (PHARE) und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (TACIS) und wurde vom EP durch seine Kompetenzen in Haushaltsfragen erzwungen. 55 Vgl. jeweils den Katalog der empfohlenen Maßnahmen in: Reinvigorating the Barcelona Process. Working document of the European Commission Services for the ”think tank” meeting of Euro-Mediterranean Foreign Ministers,, Lisbon, 25-26 May 2000, S. 7; Intensivierung des Barcelona Prozesses, a. a. O., S. 10f. 56 Vgl. Fourth Euro-Mediterranean Conference of Foreign Ministers, Social, cultural and human chapter, Art. 24. Es steht zu hoffen, daß diese Programme flexibel genug gestaltet werden, um auch den zahlreichen politisch motivierten Projekten zur Förderung von Frauenrechten ein Dach zu geben. 15

Eine gewisse Ambivalenz gegenüber der Zivilgesellschaft zeigte sich erwartungsgemäß auch auf dem Forum Civil Eurmed, dem (mehr oder minder) alternativen Gegengipfel, der seit 1995 alle Ministerkonferenzen der EMP begleitet. Da das Forum von dem jeweils gastgebenden Land und der Kommission finanziell unterstützt wird, ist es für seine Organisatoren keine leichte Aufgabe, sich von der politischen Bevormundung durch die Geldgeber zu befreien. Höhepunkt dieses Emanzipationsprozesses war das Forum Civil von Stuttgart im April 1999, das erstmals die Durchführung einer Konferenz zum heiklen Thema Menschenrechte ermöglichte.57 Das Forum Civil von Marseille im November 2000 stellt demgegenüber einen Rückschritt dar, was auf die massive Einflussnahme der französischen Regierung zurückzuführen ist. Mit Rücksicht auf die Empfindlichkeiten Algeriens und Tunesiens hatte sie bis zuletzt versucht, ein follow-up der Menschenrechtskonferenz von Stuttgart zu verhindern. Nur durch intensive Lobbyarbeit konnte ein workshop unter dem unverfänglichen Titel „Democracy and Rule of Law” durchgesetzt werden. Zusätzlich belastet wurde das Forum Civil von Marseille durch die Auswirkungen des Nahostkonflikts. Das beredte Schweigen israelischer NRO zu dem gewaltsamen Vorgehen ihrer Regierung gegen palästinensische Demonstranten58 diskreditierte das Forum Civil ebenso wie die massiven Versuche palästinensischer NRO, die Veranstaltung ausschließlich für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Angesichts der extrem ungünstigen Bedingungen ist es dem Forum Civil gleichwohl gelungen, eine Abschlussresolution zu verfassen, die den drängenden Problemen in der Region gerecht wird und eine Reihe konstruktiver Handlungsalternativen aufzeigt.59 Perspektiven des Barcelona Prozesses Die vorausgehenden Kapitel haben gezeigt, daß die Entwicklung der EMP durch eine Vielzahl interner Probleme beeinträchtigt wird, vor allem jedoch durch den ungelösten Nahostkonflikt. So wurde „Marseille” nicht zum Symbol eines neuen Aufbruchs, sondern zum Synonym für einen vorläufigen Tiefpunkt. Diese negative Bilanz ist für den Fortgang des Barcelona Prozesses problematisch, da die EMP seit dem Sturz des Milosewic-Regimes zunehmend in Konkurrenz zur europäischen Aufbaupolitik im Balkan gerät. Für Deutschland und andere mittel- bzw. nordeuropäische MS ist der Balkan von größerer Bedeutung als der 57 Da die deutsche Regierung vergleichsweise wenig nationale Interessen im Mittelmeerraum verfolgt und darüber hinaus auch erst wenige Monate im Amt war, blieb das Forum Civil von weitgehend unbeeinflusst von staatlicher Einflussnahme. Zur Menschenrechtskonferenz vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Human Rights and Civil Society in the Mediterranean. Report on the Euro-Mediterranean Partnership Conference, organised by the Friedrich-Ebert-Foundation, the Forum des Citoyens de la Méditerranée, and the EuroMediterranean Human Rights Network, Stuttgart 15-16 April 1999, Bonn 1999. 58 Eine positive Ausnahme stellte B'Tselem dar, The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories. Vgl. Crisis in the Occupied Territories. September - October. Dokumentation der B'Tselem Aktivitäten anläßlich der akuten Krise im Herbst 2000, Forum Civil Eurmoed, Marseille im November 2000. 59 Vgl. Déclaration Finale du Collectif des ONG Euromed 2000, Marseille November 2000. Da sich die meisten NGO wenig mit Lobbystrategien befassen, ist dieses Dokument zwar reich an Inhalten, gleicht vom Stil her jedoch einer der zahlreichen shopping lists, die auf Ebene der Entscheidungsträger nur wenig Eindruck machen. Für eine fruchtbarere Kommunikation wäre ein Anpassungsprozeß von beiden Seiten notwendig. 16

südliche Mittelmeerraum, zumal die Balkanstaaten auch potentielle Beitrittskandidaten sind. Einen Vorgeschmack auf diesen Ressourcenkonflikt boten die Streitigkeiten über das Budget von MEDA II (2000-2006), das - mit Blick auf die im Balkan anfallenden Kosten und entgegen vorheriger Planungen der Kommission - nicht erhöht wurde.60 Dieser Ressourcenkonflikt ist noch nicht ausgestanden, da es sich bei der Festlegung des MEDABudgets lediglich um eine finanzielle Vorausschau handelt. Bei der endgültigen Festsetzung im jährlichen Haushaltsverfahren sind Kürzungen keinesfalls ausgeschlossen. Um dies zu verhindern müssen die Mittelmeerpartner gemeinsame Anstrengungen für eine verbesserte Umsetzung des MEDA-Programms unternehmen. Die Verhandlungsposition der Befürworter einer Stärkung der EMP wurde nämlich u. a. durch die Nachricht beeinträchtigt, dass MEDA I für den Zeitraum von 1995-1999 zwar gute Ergebnisse bei den Mittelbindungen erzielt hatte, bei der Auszahlung der gebundenen Mittel bis September 2000 aber nur 26% erreichte.61 Seitdem werden verwaltungstechnische Reformvorschläge zur Verbesserung der Drittmittelprogramme diskutiert, die vor allem die schwerfällige Bürokratie der Kommission betreffen. Ein Vorschlag zur Steigerung der Effizienz beim Einsatz der Mittel, der bereits Eingang in den konsolidierten Text von MEDA II fand, sieht die Einführung nationaler und regionaler Strategiepapiere vor,62 an denen sich die Indikativprogramme künftig orientieren sollen. Um auch die MDL zu größeren Reformanstrengungen zu bewegen, stehen des weiteren Flexibilitätsmodelle auf der Agenda, die die Konzentration der MEDA-Mittel auf jene Partnerländer bzw. Subregionen erlauben würden, die „durch die Unterzeichnung der Assoziationsabkommen mit der EU eine glaubwürdige Transformation eingeleitet haben und ernsthafte Reformbemühungen unternehmen.”63 Der Vorteil einer solchen Flexibilisierung ist angesichts der mangelnden Reformbereitschaft etlicher MDL im politischen und wirtschaftlichen Bereich und mit Blick auf die unzureichenden subregionalen Integrationsbemühungen nicht von der Hand zu weisen, ihre Erfolgsaussichten sollten aber auch nicht überschätzt werden. In Malta und in Marseille haben die arabischen MDL unmissverständlich klar gemacht, dass sie sich trotz zahlreicher Divergenzen in einem Punkt einig sind: Vor einer umfassenden Friedenslösung im Nahen Osten wird eine Vertiefung der regionalen Sicherheitskooperation abgelehnt, da sie lediglich einen für die gesamte arabische Welt inakzeptablen Status quo verfestigen würde. Diese Einigkeit impliziert, daß sich auch die EU-Kooperation mit einzelnen Staaten oder Staatengruppen im Falle einer Verschärfung des Nahostkonflikts auf die Körbe zwei und drei beschränken müsste. Da die Logik des Barcelona Prozesses jedoch auf dem Zusammenspiel 60 Vgl. Das Parlament sucht die Balkanhilfe ohne Revision der „Finanziellen Vorausschauen” und möglichst ohne Aufgabe der Mittelmeerhilfe zu finanzieren. Agence Europe, 25.10.2000, S. 9. 61 Intensivierung des Barcelona Prozesses, a. a. O., S. 6. Einige Zeitungskommentatoren bewerteten den zähen Abfluß der MEDA-Mittel so negativ, daß sie die EMP als solche in Frage stellten. Vgl. Scheerer, Michael: Virtuelle Zahlen. In: Handelsblatt, 20.9.2000, S. 9. 62 „These Strategy Papers will have the purpose of defining the long term objectives of cooperation and of identifying priority areas of intervention.” Consolidated Text of the MEDA II Regulation, a. a. O., Art. 5, Paragraph 2. 63 Der Fortschritt ist eine Schnecke, a. a. O., S. 9. 17

zwischen allen drei Körben basiert, um den Interdependenzen zwischen ökonomischen und politischen Stabilitätsproblemen Rechnung tragen zu können, wäre mit solch einer begrenzten Kooperation wenig gewonnen. Darüber hinaus liefe die europäische Mittelmeerpolitik Gefahr, auf wenig fruchtbare subregionale Ansätze der Vergangenheit zurückzufallen, oder auf den ebenfalls erfolglosen euro-arabischen Dialog.64 In beiden Fällen ginge der Stabilitätseffekt, den sich die Begründer der EMP von der Einbindung Israels in die inter-regionale Kooperation erhofften, verloren. Insofern sollte die Flexibilisierung derart gestaltet werden, daß sie zwar positive Anreize für Reformen und für die dringend notwendigen (sub-) regionalen Integrationsprozesse schafft, nicht aber ein Auseinanderbrechen der Gruppe der Partnerländer – inklusive Israels - provoziert.65 Das Festhalten an der EMP in ihrer jetzigen Form rechtfertigt sich aller berechtigten Kritik zum Trotz aus der Tatsache, dass derzeit keine andere Struktur das Vakuum füllen könnte, das bei einem Abbruch des Barcelona Prozesses entstehen würde. Angesichts der drängenden Probleme in der Region ist Untätigkeit keine gangbare Option. Das bisherige Fortbestehen der EMP zeugt von einem nachhaltigen Interesse aller beteiligten Akteure, das nicht zuletzt auf die zahlreichen Erfolge im unspektakulären Bereich der sektoralen Kooperation zurückzuführen ist. Damit hat die EMP bereits die Eigendynamik entfaltet, die in der Logik des Barcelona Prozesses angelegt wurde und die es nunmehr zu stärken gilt. Um dies zu erreichen ist es notwendig, daß sich alle Beteiligten um eine technisch verbesserte Umsetzung der EMP bemühen und sich dabei auch auf deren normativ anspruchsvolle Grundlagen besinnen. Ob die Gemeinsame Mittelmeerstrategie in diesem Sinne positive Auswirkungen zeitigen wird, bleibt abzuwarten.

64 Zu den wenig erfolgreichen subregionalen Annsätzen der europäischen Mittelmeerpolitik vgl. Jünemann, Annette: Europas Mittelmeerpolitik im regionalen und globalen Wandel: Interessen und Zielkonflikte. In: Zippel, Wulfdiether (Hrsg.): Die Mittelmeerpolitik der EU. Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration e.V., Bd. 44, Baden-Baden 1999, S. 29-63. 65 Die Beitrittskandidaten würden der EMP auch als MS erhalten bleiben. 18