Predigt zu Johannes 15, 9-17 / Reihe V / 21. So.n.Trin. / 20. Oktober 2013 Als ich vor einigen Jahren die Wohnung, in der mein Vater mal gewohnt hatte, entrümpeln musste, fand ich eine kleine Kladde im Nachtisch neben dem Bett meines Vaters. Ich schlug sie auf und las zunächst das Datum der Eintragung. Geschrieben hatte mein Vater es in den Tagen vor einer großen, entscheidenden Operation. Und er schreibt: „ Jetzt hat es mich auch erwischt… Wenn ich es nicht packe: Ihr seid alle meine lieben Kinder, alle vier. Haltet zusammen!“ Und dann schreibt er noch ein paar Zeilen, wo wir was finden, und wie noch dies und das geregelt werden kann. *** Letzte Worte, liebe Schwestern und Brüdern, die vergessen wir nicht. Die gehören zu den Worten, die uns nachgehen, prägen, in schwierigen Zeiten aufrichten können, uns die Richtung zeigen, und wenn es – das gibt es ja auch – böse Worte sind, können sie uns auch verfolgen, und vielleicht sogar einen Schatten auf unser ganzes Leben werfen. Es gibt ja nicht nur das „Ihr seid meine lieben Kinder“ – und daran sehe ich immer, wie dankbar ich sein kann für meine Familie, sondern auch das „Du packst es sowieso nicht“ oder sogar: „Du bist nicht mein Kind!“ Dass Worte letzte Worte sind, ist auch nicht immer absehbar. Manch einer ist schon aus dem Haus gegangen und nicht wiedergekommen. Unfall, plötzlicher Tod… Wenn dann die letzten Worte im Streit gesprochen wurden, dann ist es noch viel schwerer, mit dem Verlust klarzukommen. Und daher kommen sicher auch solche Sprichworte wie „Lass die Sonne nie über deinem Zorn untergehen.“ Letzte Worte. Wenn ich sie ganz bewusst sagen könnte, wenn ich sie heute niederschreiben könnte, wem würde ich etwas sagen, und was würde ich dann sagen oder schreiben? … Bei dem Versuch, mir diese Fragen zu beantworten, merke ich, dass diese Fragen tief unter meine Haut gehen, dorthin, wo meine eigenen tiefsten Überzeugungen und 1

Einsichten liegen. Es ist nicht nur die Frage: Was will ich jetzt noch loswerden? Sondern: Wovon habe ich gelebt? Wovon lebe ich jetzt? Und wofür lohnt es sich zu leben? *** Vor ein paar Tagen bin ich auf you tube auf eine mich sehr berührende Geschichte gestoßen. Randy Pausch, ein Informatik-Professor, erfährt mit 46 Jahren, dass er unheilbar krank ist. Er hält eine letzte Vorlesung in seiner Universität über seine Kindheitsträume. Er spricht über die Träume, die sich erfüllt haben und die, die sich nicht erfüllt haben: Astronaut werden, in der National Football League spielen (Bundesliga), einen Artikel in einem der dicken Lexika schreiben. Werden wie Captain Kirk in der Star Trek Serie. Große Plüschtiere gewinnen. Erfinder von neuen Disneyfiguren werden. Durch alles scheint hindurch, dass er in seinem Leben hart gearbeitet hat und auch deswegen mancher seiner Kindheitsträume wahr geworden sind. Er hat tatsächlich an der Star Trek Serie mitgearbeitet und hat für Disneyland gearbeitet. Aber das ist nicht das, was berührt. Sondern die Bilanz, die er zieht. Oder ich könnte auch sagen, das Testament, das er seinen Zuhörern hinterlässt. In der 70 minütigen Vorlesung schließt er jede Erzählung von einem Kindheitstraum mit einem Fazit ab: - Such deine Passion, deine Leidenschaft und arbeite hart dafür. - Du kannst, auch wenn du es denkst, deine Träume nicht alleine erreichen. - Hol dir die Meinung anderer über dich ein und höre ihnen gut zu. - Beklag dich nicht über die Steine, die in deinem Weg liegen. Sie sind für etwas gut. - Vergiss nicht, den Menschen um dich herum zu danken. Randy Pausch wird mit dieser „letztern Vorlesung“ ein berühmter Mann. Fernsehshows bitten ihn in den folgenden Wochen und Monaten zu kommen, 2

Zeitungen drucken Interviews mit ihm. Ich habe mir einiges davon angeschaut und gelesen. Die Fülle der Auftritte wirkt ein bisschen selbst verliebt. Aber es fällt mir auf, dass er immer kürzer wird in dem, was er sagt. Von 70 Minuten zu wenigen Sätzen. 7 Monate nach seiner letzten Vorlesung ist er noch einmal kurz im Fernsehen zu sehen. Seine letzte aufgezeichnete Botschaft ist die kürzeste: Sie richtet sich an seine Frau und seine drei kleinen Kinder. Er sagt: „Ihr sollt wissen, dass ich niemals aufgegeben habe. Ihr sollt wissen, wie sehr ich euch liebe und wie viel es mir ausmacht, dass ich nicht mehr bei euch sein kann. Aber meine Liebe bleibt bei euch und ich rechne damit, wo immer ich auch bin, ich sehr stolz auf euch bin. So, und jetzt ist es genug…“ Und am Ende ging es auch Randy Pausch nicht mehr um sich selbst sondern nur noch um die, die er liebgehabt hat. Und ich bin sicher, so ist es auch bei uns. Wenn Sie und Ihr jetzt während ich rede, vielleicht schon gedacht haben an die letzten Worte Ihrer/Eurer Lieben, wenn Sie und Ihr jetzt schon daran gedacht habt, wem und was Ihr/Sie einmal als letzte Worte sagen möchten, dann bin ich sicher, es sind Worte, die von Liebe erzählen, von Ermutigung, vielleicht auch von Vergebung, aber das gehört ja auch zur Liebe. Am Ende ist nur noch eines wichtig, die Liebe. *** Das Johannes-Evangelium hat Jesu letzte Worte in einer Abschiedsrede aufbewahrt. Jesus weiß, dass er sterben wird, dass die römischen Soldaten ihn sich schnappen werden, um ihn umzubringen, damit der Aufruhr, der er überall entsteht, wo Jesus Menschen heilt, sogar Ausländer, wo er sich mit Prostituierten, kleinen und großen Gaunern abgibt und wo er in dem waffenstarrenden römischen Reich von Gewaltlosigkeit redet, damit dieser Aufruhr endlich ein Ende hat. „Wir bringen ihn um, dann ist Ruhe“, denken sie. Und Jesus weiß das. Seine Jünger ahnen das allenfalls. Und dann fängt Jesus an zu reden. 3

Nein, erst tut er noch etwas Unvergessliches. Auch letzte Taten sind ja unvergesslich und motivieren uns oft, später genau das Gleiche zu tun. So hat er es immer gemacht. So hat sie es auch gemacht. Ein Totgeweihter, der seine Stunden schon zählen kann, sitzt noch einmal zu Tisch mit seinen Jüngern. Ein Festmahl wie jedes letzte Essen. Das letzte Abendmahl. Und sie sitzen beieinander, wie Menschen beieinander sind, die ahnen, dass dies das letzte Mal sein könnte. Ganz innig haben manche Maler diese berühmte Szene gemalt. Johannes an seiner Brust liegend…. Aber im Johannes-Evangelium wird dann nicht wie im Markus, Matthäus und Lukas Evangelium die Geschichte vom Abendmahl erzählt: Kein „Nehmt hin und esst…Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird…“ Johannes, dem es so sehr auf diese ausführliche Abschiedsszene ankommt, der erzählt an dieser Stelle etwas anderes: Und Jesus steht plötzlich auf vom Tisch, legt seinen Mantel ab und bindet sich eine Schürze um, gießt Wasser eine große Schüssel und beginnt, den Jüngern die staubigen Füße zu waschen. Einem nach dem anderen, auch dem, der ihn ein paar Stunden verraten wird. Jesus, der sich kleinmacht, der im Staub niederhockt, der die Sklavenarbeit macht, die keiner tun wollte und Füße wäscht, die von der Hitze und dem Staub der Straßen rissig und dreckig sind. Jesu letzte Tat. Und dann sagt er: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben“, sagt Jesus. „Ich, der Herr und Lehrer, diene euch. So sollt ihr es füreinander tun.“ Dieses Bild von mir sollt ihr im Kopf behalten. Nach all den Bildern von dem großen Wundertäter, dem Prediger, der die Massen anzieht. Dieses Bild sollt Ihr in Euch behalten. Ja, natürlich es geht auch in eurem Leben darum, etwas zu erreichen, euer Brot zu verdienen, Steuern zu bezahlen, eine Familie zu haben, und einen guten Job, der 4

euch erfüllt und eure Passion/Leidenschaft braucht, wie Randy Pausch, der Informatik-Prof. sagen würde. , und darauf dürfen wir auch mal stolz sein, und der Urlaub ist uns auch gegönnt. Es hat alles seine Zeit…. Aber das Wichtigste in Kürze, das zeige ich euch hier bei unserem letzten Zusammensein: das Wichtigste ist, dass wir auf die Knie gehen und unseren Mitmenschen dienen. Randy Pausch hat in einem seiner letzten Interviews gesagt: Ich musste 39 Jahre alt werden, um die Frau zu finden, bei der es mir wichtiger war, sie glücklich zu machen als mich. Und ich bin überzeugt, dass Sie, liebe Vivian und Alexander Gerendt, die Eltern von dem kleinen Jonas, genau wissen, was ich meine: Dass er glücklich wird, dass es ihm gut geht, dass er keinen Schaden nimmt, dass er alles hat, was er zu einem fröhlichen und getrosten Leben braucht, darum geht es. Nicht um uns. Jesu letzte Tat, sozusagen das letzte Foto des lebenden Jesu: Er geht auf Knie gehen, macht sich schmutzig für uns und wird unser Diener. “Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr genauso aneinander tut, wie ich es an euch getan habt.“ Und: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt…“ Und dann nimmt Jesus wieder Platz, und Johannes überliefert nun seine letzten Worte im Kreise seiner Freunde, ja „Freunde“ sagt er jetzt. Nirgends sonst im Neuen Testament nennt Jesus seine Jünger so. Ein ganz besonderer Augenblick: Der Herr wird zum Freund. “Versprecht Ihr, dass Ihr Jonas von Gott erzählt, der sein Freund ist und Heiland?“ So frage ich gleich die Eltern von Jonas. Und dann spricht Jesus seine letzten Worte. Die sind heute unser Predigttext und sie stehen bei Johannes im 15. Kapitel: ….

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Am Ende gibt es nur ein Gebot: „Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe.“ Das letzte Wort: Liebt einander! Und wer im Zweifel ist, was das zwischen esoterischen Ratschlägen und Pornozeitschriften heißt, der erinnere sich an Jesus, der auf den Knien lag und Wort und Tat miteinander verbunden hat. Tun wir das gleiche! Amen.

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