2. Selbstpsychologie. Kohut und die Psychologie des Selbst. Frank Schwarz

10 2. Selbstpsychologie Die psychoanalytische Selbstpsychologie und ihre modernen Weiterentwicklungen zu einem neuerlichen besseren psychodynamische...
Author: Heiko Bayer
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2. Selbstpsychologie

Die psychoanalytische Selbstpsychologie und ihre modernen Weiterentwicklungen zu einem neuerlichen besseren psychodynamischen Verständnis schizophrener beigetragen. In diesem Abschnitt geht es darum, den selbstpsychologischen Ansatz von Kohut und von Selbstpsychologen, die sein Werk fortsetzen, auf diese Erkrankungen anzuwenden. Außerdem werden selbstpsychologische Ergebnisse dermonSäuglis-dKeknforchugbalsüdiePychonmk der Schizophrenie fruchtbar zu machen versucht.

Kohut und die Psychologie des Selbst Bekanntlich hat ja Kohut (1971,1977,1984) als erster überhaupt die besondere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Selbst gelenkt. Darüber hinaus konzipierte er das Selbst als einen zentralen organisierenden Faktor der psychischen Entwicklung und betrachtete die Entwicklung des Selbst als eine eigene Entwicklungslinie. Von nicht näher charakterisierten Selbstkernen bildet sich nach Kohut ein archaisches kohäsives Selbst. Auf dieser Basis entsteht das Gefühl, ein unabhängiges Zentrum eigener Initiative und Wahrnehmung zu sein. Aus dem archaischen Selbst entsteht später das sog. bipolare Selbst, das durch einen ehrgeizig antreibenden Pol und einen Pol sinnvoller Zielvorstellungen und Ideale gekennzeichnet ist. Eine Struktur soll den Spannungsbogen zwischen diesen beiden Polen regulieren. Das bipolare Selbst konstituiert sich entwicklungspsychologisch aus zwei unterschiedlichen Objekterfahrungen: „Die spiegelnden und die idealisierenden Erfahrungen (und in der therapeutischen Situation Übertragungen) als Konstituenten einer bipolaren Struktur des Selbsts, je nachdem ob sich eine Erfahrung nach ihrem mehr spiegelnden (Größen-Selbst) oder idealisierenden Charakter (idealisierte Elternimago) einem der beiden Pole zuordnen ließ (Kohut u. Wolf 1978, Wolf 1988). Der Pol der spiegelnden Erfahrungen beinhaltet das Bedürfnis nach Bestätigung als Ausdruck des Größenselbst und die Ambitionen nach Stärke, Erfolg und Effektanz. Der andere Pol entwickelt sich aus der idealisierten Elternimago und enthält die basalen Ideale" (Milch u. Hartmann 1996). Dieses reife Selbst entsteht normalerweise über das archaische grandiose Selbst, das sich darstellen und bewundert werden will. Ihm entspricht auf der Objektseite die idealisierte Elternimago. Durch optimale Frustration kann das infantile Größenselbst allmählich aufgegeben werden, so dass schließlich eine gesunde Selbstachtung und zielgehemmte Ambitionen daraus hervorgehen. Die gesamte Entwicklung vollzieht sich über die Beziehung zum sog. Selbstobjekt, mit dem das kindliche Selbst zunächst verschmolzen ist und von dem es sich später allmählich emanzipiert, d.h. es erreicht dann eine größere Unabhängigkeit vom Selbstobjekt bzgl. der Selbstwertregulation. Es geht dabei um eine Entwicklung von archaischen zu reifen Selbstobjektbedürfnissen. Auch wenn zeitlebens Selbstobjekterfahrungen wichtig bleiben, ist allerdings das kranke Selbst in besonderer Weise zu seiner Stabilisierung auch später auf archaische Selbstobjektbeziehungen angewiesen, deren Verlust krankheitsauslösende Folgen haben kann.

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Grundsätzlich unterscheidet Kohut (1984) drei wesentliche Bedürfnisse an das Selbstobjekt, von denen er die narzisstischen Übertragungen ableitet. Es handelt sich um das Bedürfnis nach Spiegelung, nach Idealisierung und nach Gleichheit (Alter Ego oder Zwilling). Die daraus resultierenden Formen der Übertragung sind die Spiegelübertragung, die idealisierende Übertragung und die Alter-Ego- oder Zwillingsübertragung. Entwicklungspsychologisch leitet sich die Spiegelübertragung vom archaischen grandiosen Selbst ab, die idealisierende Übertragung von der idealisierten Elternimago. Wichtige Begriffe von Kohut für das gesunde und für das pathologisch veränderte oder in seinem Gleichgewicht bedrohte Selbst betreffen die Kohäsion und Fragmentierung(deren leichtere Form wird als Desintegration bezeichnet) des Selbst. Das kohäsive Selbst bezeichnet einen gesunden Zustand, in dem es gelingt, die verschiedenen Aspekte des Selbst einschließlich des Körperselbst so zu integrieren, dass eine gesunde Selbstachtung bzw. ein ausreichend stabiles Selbstwertgefühl auch unter Belastung erhalten bleiben. Bei einem gut kohäsiven Selbst gibt es entsprechend der bisherigen Ausführungen auch ein Angewiesensein auf ein Selbstobjekt, jedoch nicht in der existentiellen Weise wie bei einem von Fragmentierung bedrohten Selbst. Obwohl psychotische Erkrankungen nicht sein zentrales Interesse betrafen, hat Kohut doch einige Ausführungen zu diesem Thema gemacht. Es sei „besonders fruchtbar, die Psychopathologie der Psychosen - in Übereinstimmung mit der Annahme, dass der Narzissmus eine unabhängige Entwicklungslinie einschlägt - unter dem Gesichtspunkt des Aufspürens ihrer Regression über einen Weg zu untersuchen, der über folgende Stationen führt: (a) die Desintegration der höheren Formen des Narzissmus; (b) die Regression zu archaischen narzisstischen Positionen; (c) den Zusammenbruch der archaischen narzisstischen Positionen (einschließlich des Verlustes der narzisstisch besetzten archaischen Objekte) und dementsprechend die Fragmentierung des Selbst und der archaischen Selbstobjekte; und die sekundäre (restitutive) Wiederbelebung des archaischen Selbst und der archaischen narzisstischen Objekte in einer manifest psychotischen Form" (Kohut 1973, S. 22f). Beim Vergleich von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen mit Psychosen meint Kohut (1973, S. 24f) zu den psychotischen Patienten, sie „neigen zu einem chronischen Aufgeben der narzisstischen Konfigurationen und zu deren Ersetzung durch Wahnbildung (um dem unerträglichen Zustand der Fragmentierung und des Verlustes archaischer narzisstischer Objekte zu entgehen)." Bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen würde es dagegen gewöhnlich nur zur teilweisen Fragmentierung und höchstens zur Andeutung einer flüchtigen restitutiven Wahnbildung kommen. Auslösende Ereignisse bei Psychosen würden häufiger im Bereich der narzisstischen Kränkung liegen als in dem der Objektliebe. Zur psychotischen Symptombildung führt Kohut (1973, S. 27) aus, dass nach der Desintegration bzw. Zerstörung des Größenselbst und der idealisierten Elternimago abgetrennte Fragmente sekundär wieder zusammengefügt und als Wahnbildungen vereinheitlicht würden. Die Regression im Bereich des Größenselbst führe zu seiner wahnhaften Wiederbelebung in Form eines kontaktlosen Größenwahns. Die Regression im Bereich des allmächtigen Objektes führe zur wahnhaften Wiederbelebung der idealisierten Elternimago in Form mächtiger Verfolger und des Beeinflussungsapparats. An anderer Stelle befasst sich Kohut (1979, S. 97f) mit „der nicht genau definierten, doch intensiven und durchdringenden Angst, die das dämmernde Bewusstsein des Patienten begleitet, dass sein Selbst zerfällt (schwere Fragmentierung, bedeutender Antriebsverlust, tiefes Absinken der Selbstachtung, Gefühl völliger Sinnlosigkeit)". Er spricht auch vom „Grauen vor dem Verlust des Selbst - der Fragmentierung und der räumlichen Entfremdung von Körper und Geist, dem Zusammenbruch seines Empfindens zeitlicher Kontinuität." Therapeutisch findet er es besonders wichtig, die Ereignisse zu klären, durch die es zur drohenden Auflösung des Selbsts gekommen ist. ...

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Bei den späten Ausführungen Kohuts zur Analysierbarkeit von Psychosen (Kohut 1993, S. 260 wird man etwas an Freud erinnert, wenn er meint, „dass in solchen Fällen die psychoanalytische Situation keine langfristige Aktivierung des zentralen Chaos des Selbsts innerhalb einer bearbeitbaren Übertragung bewirkt, eine Vorbedingung für das Einsetzen der Prozesse, die zur Neuschaffung eines (bei Psychosen nicht entwickelten) Kernselbst führen würden". Er konzediert dann allerdings, dass der psychotische Patient trotz dieser Einschränkung den Therapeuten als Selbstobjekt benutzen könne, um neue Abwehrstrukturen zu errichten und bereits vorhandene zu stärken. „Mit anderen Worten, es stellt sich eine Selbstobjekt-Übertragung her, in der dem SelbstobjektTherapeuten die bedrohten Abwehrstrukturen zur spiegelnden Billigung angeboten werden oder in der die Persönlichkeit des Selbstobjekt-Therapeuten mittels zwillingshafter Verschmelzung oder zielsetzender Idealisierungen benutzt wird, um die Abwehrstrukturen des Patienten zu kräftigen".

Weitere Anwendungen der Selbstpsychologie Kohuts auf schizophrene Psychosen Matussek (1985) wandte schon bald die Narzissmuslehre von Kohut auf die Behandlung von schizophrenen Patienten an, wobei speziell die anfängliche Entwicklung der Übertragungsbeziehung ins Auge gefasst wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Abhängigkeitsbedürfnis Schizophrener ein narzisstisches Bedürfnis nach empathischer Spiegelung. Der narzisstisch verletzliche Patient erlebt sich dabei in der therapeutischen Beziehung leicht in einer Bewährungssituation, in der Deutungen als narzisstische Kränkungen empfunden werden können. Das gilt auch insbesondere für die Deutung des den Kranken beschämenden Abhängigkeitsbedürfnisses. Der Therapeut muss deshalb jegliche potenziell kränkende Inte rv ention zu vermeiden versuchen, um keine negative Übertragung zu provozieren, die zu einem frühen Therapieabbruch führen könnte. Von Stolorow et al. (1987) und Pollack (1989) werden selbstpsychologische Überlegungen Kohuts für die Psychosentherapie nutzbar gemacht. Die erstgenannten Autoren ergänzen als „Intersubjektivisten" das Konzept des Selbstobjektes durch einen intersubjektiven Ansatz, wobei sie sich für das „interface" zwischen der Subjektivität des Patienten und der des Therapeuten interessieren (s.a. Milch u. Hartmann 1996). Nach diesem Ansatz ist in der frühen Psychogenese eine Störung in der verlässlichen Validierung der Affekte des Kindes gegeben, wodurch eine strukturelle Schwäche entstehe. Gerät später eine Person mit dieser strukturellen Schwäche in eine Auslösesituation, die heftige emotionale Reaktionen und ein starkes Verlangen nach einer Antwort darauf durch ein Objekt he rv orruft, das die subjektive Realität dieses Erlebnisses bestätigt, kann sie beim Ausbleiben einer solchen Antwort den Glauben an die eigene psychische Realität nicht aufrecht erhalten. Sie ist nicht mehr fähig, ihre affektive Reaktion zu integrieren und ist von Fragmentierung bedroht. In einem verzweifelten Versuch, die psychische Integrität aufrecht zu erhalten produziert die psychotische Person Wahnideen, welche die Erfahrungen, die zur Beeinträchtigung der subjektiven Realität beitrugen, symbolisch konkretisieren. Die konkreten wahnhaften Vorstellungen werden von den Autoren eher als eine Sicherung der Realität als die Abwendung von der Realität verstanden. Sie bringen folgende Beispiele für diesen Vorgang: Beginnender Terror wird in eindeutige Verfolgung umgewandelt; schädigendes Eindringen einer anderen Person in vergiftete Nahrung oder Zweifel in höhnische Stimmen. Einmal in Gang gesetzt, breitet sich dieser Prozess des Konkretisierens aus, da der Kranke die benötigte Reaktion der Umgebung he rv orrufen

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möchte. In der Therapie geht es nun nach Stolorow et al. darum, den Kern der symbolisch verborgenen subjektiven Wahrheit in den Wahnideen des Patienten zu verstehen. Pollack (1989) hält sich sehr eng an die Ausführungen von Kohut zur Psychosentherapie. Er misst aber der Selbstpsychologie offensichtlich eine größere Bedeutung für die Behandlung von Patienten mit schizophrenen Psychosen bei als das der eher skeptische Kohut getan hat. Seines Erachtens ist sie sogar wichtiger als Trieb- und Ich-Psychologie sowie die traditionellen Ansätze der Objektbeziehungstheorie. Er sieht die primäre Störung der Schizophrenie als eine allmähliche Fragmentierung des Selbst, das bis zum Ausbruch der Psychose durch signifikante Selbstobjekte stabilisiert war. Diese füllten bis dahin die strukturellen Lücken im Selbst bzw. hielten die schon fragmentierten Strukturen noch zusammen. Entsprechend der Narzissmustheorie von Kohut versteht Pollack die akuten Ängste Schizophrener als Ausdruck der Bedrohung der kohäsiven Intaktheit des Selbsts und nicht als Ausdruck einer Triebgefahr oder des Verlustes eines äußeren Objekts. Von der Therapie her empfiehlt er demnach folgerichtig, das Gefühl des schizophrenen Patienten für seine Selbstkohäsion zu entwickeln, was dadurch ermöglicht wird, dass er die Rechtmäßigkeit seiner Bedürfnisse nach archaischer Verschmelzung mit dem omnipotenten Selbstobjekt und nach Spiegelung seiner frühen Größenphantasien erkennen und schließlich modifizieren lernt. Matussek (1992) setzt sich in seiner „Rekonstruktion der analytischen Psychosentherapie" weiterhin mit den Positionen Kohuts auseinander. Er arbeitet dabei allerdings mit psychoanalytischen und sozialpsychologischen Begriffen. Was letztere betrifft, bezieht er sich auf die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Selbst (Baumeister 1986). Matussek sieht in dieser Unterscheidung den „Schlüssel zum Verständnis endogener Psychosen". Er wendet sie gleichermaßen auf affektive wie auf schizophrene Psychosen an. Beim schizophrenen Kranken ist demnach „der Anteil des privaten Selbsts minimal und schwach zugunsten des öffentlichen Selbsts. Er hat kaum eine Ecke seines Inneren, in die er sich zurückziehen kann, ohne von den anderen beobachtet oder belästigt zu werden, sei es in Form von Wahnideen oder Halluzinationen. Man hat das geringe Ausmaß des privaten Selbsts in der Psychoanalyse immer mit dem schwachen Ich in Verbindung gebracht und meinte damit die Unfähigkeit, zwischen Über-Ich, Realität und Trieben zu koordinieren. In dem Begriff privates Selbst ist dieser Aspekt zwar auch enthalten, er deutet jedoch mehr auf den geringen Spielraum hin, den das Ich für sich hat. Der Schizophrene steht vielmehr unter ständiger Beobachtung, Beeinflussung, Kritik, Kommentierung durch andere, kurz in einer ständigen Wechselwirkung mit der Außenwelt, auch außerhalb der Psychose" (Matussek 1993).

Selbstpsychologie und Schizophrenie aus der Sicht der Säuglingsund Kleinkindforschung Erste Versuche einer Anwendung der modernen psychoanalytischen Säuglings- und Kleinkindforschung auf das psychodynamische Verständnis der Schizophrenie gibt es von Milch u. Putzke (1991). Sie hegen aufgrund dieser neueren Ergebnisse mit Recht Zweifel daran, dass bei Säuglingen eine Aufspaltung in Teilobjekte erfolgt. Ebenso wenig seien durch Undifferenziertheit bedingte Dichotomien wie gut und böse, Lust und Unlust anzunehmen. Spaltungsvorgänge und Verschmelzungserfahrungen in der Symbiose seien eher Ausdruck eines Versagens von Regulationsmechanismen als ein allgemeines unentrinnbares Schicksal. Meiner Ansicht nach (Schwarz 1993,2000b) ergeben sich vor allem aus der entwicklungspsychologischen Arbeit von Stern (1985) interessante Analogien zu zentralen schi-

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zophrenen Symptomen. Stern hat ja in sehr differenzierter Weise seine Grundannahme von der Existenz präverbaler Selbstempfindungen dargestellt. Dabei unterscheidet er die Empfindung des auftauchenden Selbst, des Kern-Selbst und des subjektiven Selbst. Für die Fragestellung der Störungen des Selbst bei schizophrenen Erkrankungen erscheint als erstes das Empfinden des Kern-Selbst, das sich ab dem 3. Lebensmonat herausbildet, von Bedeutung. Der Säugling lernt sich jetzt als getrennte, kohärente und abgegrenzte Einheit zu empfinden. In dieser Phase bilden sich also Qualitäten aus, die später im pathologisch veränderten Erleben von schizophrenen Patienten eine zentrale Rolle spielen, vor allem die Empfindungen, Urheber der eigenen Handlungen zu sein, des körperlichen Zusammenhalts und des Kontinuitätserlebens, die Wahrnehmung der eigenen Affektivität (ohne die Anhedonie oder Dissoziationszustände auftreten können) und das Empfinden, ein Subjekt zu sein. Es handelt sich dabei um Vorgänge, die man sich als eine wesentliche Grundlage der Identitätsbildung vorstellen könnte, also einer Dimension, die bei Schizophrenen wesentlich betroffen ist bis hin zur wahnhaften Fremdbeeinflussung. In der nächsten Phase des Empfindens eines subjektiven Selbst steht die Ausbildung von Gemeinsamkeiten affektiver Zustände im Mittelpunkt sowie eine soziale Bezugnahme und Vergewisserung. Störungen bei diesem differenzierten und empfindlichen Vorgang der Affektabstimmung kann es vonseiten der Pflegeperson oder des Kindes geben, wenn dieses konstitutionell Schwierigkeiten mit der Verarbeitung von affektiven Signalen hat. Sie dürften beim Kind zu Zuständen führen, wie sie Mahler mit dem „organismischen Unbehagen" beschrieben hat, das Pao (1979) für die Schizophrenie aufgreift. Schließlich sei noch auf den für die schizophrene Problematik wichtigen Begriff der Identität als besonderer Aspekt des Selbst eingegangen. Deneke (1989) hat sich damit eingehend befasst. Anknüpfend an das, was Federn (1952) Ich-Gefühl nennt, spricht er von einem in der Regel unreflektierten, unmittelbar gegebenen Existenzgefühl: „Ich bin ich; ich bin als Person derselbe, der ich früher war und in Zukunft sein werde". Es geht dabei um die Kontinuität als Person in zeitlicher, räumlicher und kausaler Hinsicht und um die Frage: „Wer bin ich? Welche Eigenschaften machen mich zu dieser spezifischen, einmaligen und unverwechselbaren Person, als die ich mich erlebe?" Die Gesamtheit aller Phantasien, Gedanken, Gefühlserfahrungen, Erinnerungen etc., die als unverzichtbare Elemente unsere persönliche Eigenart ausmachen, nenne ich das Identitätsselbst'. Deneke misst den verschiedenen Selbstrepräsentanzen eine subjektiv unterschiedliche Bedeutung zu, d.h. diejenigen Selbstrepräsentanzen, die das Identitätsselbst bilden, sind am bedeutsamsten. „Werden die positiven Aspekte des Identitätsselbst belebt, fühlt sich das Selbst besonders verletzbar und damit gefährdet, weil es diese Selbstanteile unbedingt erhalten muss. Werden sie entwertet, als falsch entlarvt oder zerstört, ist mit dem Identitätsselbst die ganze persönliche Existenz bedroht." Dieser Vorgang kann durchaus mit dem der Fragmentierung bei Kohut verglichen werden. Es erscheint offensichtlich, dass hier bei schizophrenen Patienten mit ihrem oft negativen Selbstbild wiederum eine besondere Verletzlichkeit gegeben sein dürfte. In diesem Zusammenhang ist noch auf eine Arbeit von Bohleber (1992) hinzuweisen, in der ebenfalls der Zusammenhang von Identität und Selbst auf der Grundlage der neueren Entwicklungsforschung untersucht wird. Die bisherigen Ausführungen werden nun durch ein Fallbeispiel veranschaulicht: Es handelt sich um einen jungen Patienten mit einer in schweren akuten Schüben verlaufenden schizophrenen Psychose, der sich ab Mitte zwanzig 4 Jahre lang bei mir in analytischer Einzeltherapie befand, die überwiegend mit 2 Wochenstunden im Sitzen erfolgte. Von dem introspektiv begabten Patienten war zu erfahren, dass sich die ausgeprägte Störung seines Selbstempfindens bis in die ersten Kindheitsjahre zurückverfolgen lässt. Schon in der Vorschulzeit war er nicht imstande zu weinen oder einen körperlichen Schmerz zu erleben. In der Schule konnte er nie einen affektiven

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Bezug zum Unterricht herstellen. Bis zum Beginn der Therapie und noch darüber hinaus hatte er größte Schwierigkeiten, einen roten Faden in seinem Leben zu finden. Nach der Pubertät bekam er mehr und mehr den Eindruck, in einen Strudel zu geraten, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben und überhaupt kein Gefühl der eigenen Kontinuität mehr zu besitzen. Längst vor dem ersten Auftreten eindeu ti g psychotischer Symptome äußerte sich sein Eindruck der fast völligen Auslöschung des Selbstgefühls in der Befürchtung, das Bewusstsein zu verlieren und zu verschwinden. Die bei ihm vorliegende schwere Identitätsstörung kam auch in seinen unklaren Berufswünschen und häufig wechselnden Ausbildungs- und Berufsversuchen sowie in immer wiederkehrenden flüchtigen passageren Identifikationen mit Personen seiner Umgebung zum Ausdruck. Auch in der Übertragungsbeziehung gab es oft diese flüchtigen Identifizierungen mit meiner Rolle als Therapeuten, indem er andere Patienten und auch mich zu behandeln versuchte. Er entwickelte z.B. mir gegenüber die Phantasie, ich würde mehr als er selbst befürchten, Patient in einer Nervenklinik zu werden. Auf die Beeinträchtigung der Entwicklung eines gesundes Narzissmus beim Pa ti enten bzw. eines kohärenten Selbsts oder einer eindeutigen Identität weisen verschiedene Erinnerungen hin, die bis in die ersten Lebensjahre zurück reichen. Er fühlte sich von seiner Mutter nicht nur damals, sondern auch später nie richtig in seinen Befindlichkeiten und Bedürfnissen wahrgenommen und weder geliebt noch ausreichend beachtet. Zärtlichkeit fehlte fast völlig. Ihre geringe Zuwendung sei oft gekünstelt und theatralisch gewesen. Er hatte den Eindruck, weder für sie noch für einen anderen Menschen jemals eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Konkret erinnerte er Situationen aus dem 3. Lebensjahr, als er in der Nähe spielte und die Mutter mit dem Fahrrad an ihm vorbeifuhr, wobei sie ihm, ohne ihn richtig wahrzunehmen, auf gut Glück zuwinkte. Wahrscheinlich konnte sie ihn wegen ihrer Kurzsichtigkeit gar nicht deutlich sehen bzw. identifizieren. Überhaupt habe er sie oft „automatenhaft" und als „Nachttier" mit verquollenen Augen erlebt, das seine Umgebung nicht richtig wahrnehmen kann. Dieser Eindruck von der Mutter wurde in der Übertragung heftig wiederbelebt, als ich einmal mit Konjunktivitis in die Stunde kam, die zu einer starken Rötung beider Augen geführt hatte. Der Patient befand sich in der gesamten Sitzung in größter, nicht näher verbalisierbarer Irritation. Ganz im Gegensatz zu diesen Schilderungen gibt es aber auch Berichte des Patienten, in denen er sich als besonderen Liebling der Mutter schilderte. Offenbar war ihre Beziehung hoch ambivalent. Vom Vater gab es auch keine geeignete Hilfe bei der Entwicklung des Narzissmus. Auch für ihn war der Patient bisweilen der „Größte", aber er wurde vom Vater in anderer Weise ebenso unempathisch wie von der Mutter behandelt. Die aufgrund der weitgehend fehlenden Spiegelung schon früh entwickelten Größenideen schien der Vater dadurch noch verstärkt zu haben, dass er den Patienten z.B. schon im Alter von etwa zehn Jahren mit schwierigen philosophischen und finanztechnischen Problemen traktierte bzw. völlig überforderte. Die Größenideen begannen schon in der Vorschulzeit, als er König werden wollte. In der Schule fühlte er sich den Lehrern gleichgestellt, im Studium den Professoren. Er hielt es für eine Kleinigkeit in Anbetracht dessen, was er meinte werden zu können: Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär, Verkehrsminister und Monate vor der ersten Psychose Präsident von Europa. In der Übertragungsbeziehung hatte er nicht nur die erwähnte Vorstellung, wie ich Therapeut zu sein, sondern eine bessere Behandlungsmethode als die meinige zu entwickeln. In der Psychose kam das gestörte Selbsterleben bzw. die unsichere Identität dieses Patienten besonders krass zum Vorschein. Im Sinne Kohuts fragmentierte sein Selbst weitgehend, und zwar in zahlreiche verschiedene Identitäten. Er war nun Gottvater,

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Jesus, Nachfolger Jesu, Jungfrau Maria, Heiliger Geist, Papst, Übermensch, Einstein und Nietzsche, Stalin, Hitler, Hitler der Zweite und noch schlechter als Hitler sowie ein großer Gangster, gegen den ein gewaltiger Prozess vorbereitet wird. Es ist offenkundig, dass sich auch in diesen psychotischen Themen eine ungeheure Grandiosität äußerte, wobei gute und böse, männliche und weibliche Elemente vorhanden waren. In der Therapie war es ein langer Weg, bis diese Grandiosität und die gestörte Identität erfolgreich bearbeitet werden konnten.

Es wird die Anwendung der Selbstpsychologie nach Kohut und von weiterführenden Vorstellungen an ihm orientierter Selbstpsychologen für das psychodynamische Verständnis von Patienten mit schizophrenen Psychosen und auf deren psychotherapeutische Behandlung dargestellt. Selbstobjekt, narzisstische Kränkbarkeit, Grandiosität und Fragmentierungsneigung erweisen sich dabei als hilfreiche Konzepte. Außerdem werden selbstpsychologische psychoanalytische Erkenntnisse der modernen Säuglings- und Kleinkindforschung auf das Schizophrenieverständnis angewandt. Dabei ergibt sich z.T. die Notwendigkeit der Revision bisheriger Auffassungen von Spaltung und Symbiose. Analogien zwischen der frühen Entwicklung des Selbstgefühls und zentralen schizophrenen Symptomen betreffen vor allem Qualitäten der Urheberschaft der eigenen Handlungen und der Effektanz sowie des körperlichen Zusammenhalts und des Kontinuitätserlebens. Auf diesem Hintergrund ergeben sich auch wichtige Verbesserungen für das Verständnis der bei schizophrenen Patienten oft schwer gestörten Identität. Abschließend werden diese theoretischen Positionen kasuistisch veranschaulicht.

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Zusammenfassende und abschließende Bemerkungen