1. Was ist Daseinsvorsorge? Bei der Daseinsvorsorge handelt es sich um ein gewohnheitsrechtlich entstandenes Sozialstaatsprinzip. Im Grunde geht es darum, welche elementaren Dienstleistungen, die Bürger nicht privat kaufen können, sie von der öffentlichen Hand zu welchen Preisen angeboten bekommen. Heutzutage lässt sich die Daseinsvorsorge, gemäß Schneiderhan, Daseinsvorsorge (2012) und weiterführend Knauff, Gewährleistungsstaat (2004), wie folgt definieren:

„Daseinsvorsorge ist die durch den Staat und die Kommunen sicherzustellende gemeinwohlorientierte Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen (einschließlich der Infrastruktur), die für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlich sind und auf die die Bevölkerung mangels eigener Erschaffungsmöglichkeiten angewiesen ist“.

Es handelt sich somit um ein wandelbares Konzept. Wäre früher beispielsweise ein Zugang zum Internet nicht darunter gefallen, zählt letzteres heutzutage zur grundlegenden Infrastruktur (vgl Digitale Agenda, Europa-2020 Strategie). Auf EU-Ebene wird der Begriff „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (DAI) als Überbegriff für die Daseinsvorsorge verwendet. Er umfasst Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden. Dem Ansatz des Marktes und des Wettbewerbs folgend konstituieren sich DAI aus Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) und Dienstleistungen von allgemeinem nicht-wirtschaftlichem Interesse (DANWI). DAWI bezeichnen erwerbswirtschaftlich relevante kommerzialisierbare Leistungen, DANWI hingegen Leistungen, die keinen Anreiz für einen breiten Wettbewerb darstellen bzw. auch nicht sinnvoll im Wettbewerb von verschiedenen Akteuren erbracht werden können (zB. Sozialversicherungen, Judikative, Polizei). Eine sektorale Definition gibt es nicht. Die EU räumt hierbei ein, dass es sich um spezielle Dienstleistungen handelt, die ein staatliches Handeln und Regulieren erfordern. Auch Artikel 14 Vertrag von Lissabon, und Artikel 36 Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkennen

den Stellenwert der Daseinsvorsorge für den sozialen und territorialen Zusammenhalt. Zusatzprotokoll 26 Vertrag von Lissabon fordert zudem, dass die Daseinsvorsorge erschwinglich, universal und qualitativ hochwertig zu erbringen ist.

2. Welche Bereiche umfasst Daseinsvorsorge? Mir fällt dazu ein: In der Fachwelt herrscht Uneinigkeit darüber, inwiefern wohlfahrtsstaatliche Leistungen Teil der Daseinsvorsorge sind, oder ob es sich um komplementäre Gebiete handelt. Der europäische Begriff, der in wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Leistungen teilt, trägt sämtlichen Ansätzen Rechnung. Er bindet sowohl die Grundversorgung (u.a. mit Infrastruktur) als auch wohlfahrtsstaatliche Leistungen mit ein. Sofern Sektoren nicht explizit in einzelnen Rechtsvorschriften als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem oder nicht-wirtschaftlichem Interesse genannt sind, liegt es den Mitgliedsstaaten frei zu definieren, ob sie unter die Daseinsvorsorge fallen. Ein EU-Regelwerk zur Liberalisierung der netzgebundenen DAWI existiert bisher für Telekommunikation, Postdienste, Energie und Verkehr. Bei anderen DAWI, wie z.B. der Abfallwirtschaft, der Wasserversorgung bzw. des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, besteht kein umfassendes Regelwerk. Bei Anwendung dieses breiten Daseinsvorsorgebegriffs, fallen folgende Bereiche unter den Begriff der Daseinsvorsorge (nicht taxativ):

Energie, Telekommunikation, Post, Verkehr, Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung, Wasserversorgung, Wasserentsorgung,

Gesundheit (inkl. Rettungsdienste, Krankenhäuser, etc), Bildung, Soziale Dienste (zB. Seniorenheime), Kultur, Judikative, Polizei, Sozialversicherungen

P/S/R | Seite 2 von 6

3. Woher kommt der Begriff Daseinsvorsorge historisch? Ich habe dazu folgenden AbAbsatz verfasst. Stimmt der überhaupt? Bitte um Korrektur/Ergänzungen? In den durch die Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts schnell wachsenden Städten lösten unzureichende hygienische Verhältnisse immer wieder Epidemien aus. Unter dem Problemdruck begannen die Städte, Einrichtungen der kommunalen Müllabfuhr, zentralen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung aufzubauen. Zur Daseinsvorsorge für die Bürger wurden spezialisierte kommunale Einrichtungen geschaffen. Gerade die Zerstörung der Kriege im 20. Jahrhundert machte es erforderlich, dass die öffentliche Hand die Daseinsvorsorge sichert, da ein grundlegendender Wiederaufbau von Infrastruktur und die Absicherung der Grundversorgung der Menschen (beispielsweise von Waisen, Witwen und Invaliden kriegsbedingt oder auf Grund von Industrialisierung und Urbanisierung) von Nöten waren. Skaleneffekte machten es sinnvoll, diese Tätigkeiten dem Staat bzw. staatlichen Behörden und Akteuren zuzuschreiben. Der Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff wird mitunter seinem nationalsozialistischem Hintergrund zum Trotz als Pionier in der Gestaltung des heute verwendeten Begriffs der Daseinsvorsorge genannt. Er, sowie vor ihm die Philosophen Hegel und Ritter beschreiben den Staat als subsidiäres Instrument in der Daseinsvorsorge. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Daseinsvorsorge somit grundsätzlich eine Aufgabe des Staates, der Länder und Gemeinden. Seit einigen Jahren findet ein Wandel statt. Dies ist ab den 1960ern mit dem Aufkommen von New Public Management Konzepten und der Idee eines schlankeren Staates verbunden. Die öffentliche Hand wird als „langsam“ und „schwer“ porträtiert, Private wiederum als innovativ und effizient. Gerade die EU hat mit der Schaffung eines europäischen Binnenmarkts schrittweise eine Liberalisierung vorgenommen und auch in den wirtschaftlich lukrativen Bereichen der Daseinsvorsorge Regeln für mehr Wettbewerb eingeführt.

4. Wohin geht der Trend bei der Daseinsvorsorge – mehr Privat oder doch der Staat – in Eu Europa und/oder Österreich und warum? Diese Frage ist aus heutiger Sicht kaum zu beantworten. Es gab einige Länder, die schon sehr früh liberalisierten (vgl. Großbritannien). Andererseits kam es in den letzten P/S/R | Seite 3 von 6

Jahren auch wieder vermehrt zu Re-Kommunalisierungen im Wassersektor und im ÖPNV (vgl. Großbritannien, Frankreich). Auch in Deutschland konnten die Stadtwerke ihre Marktposition weiter ausbauen. Public-Private Partnerships oder Auslagerungen sind eine Möglichkeit für die öffentliche Hand, Budgetdefizite zu sanieren. Die Entscheidungen, ob sie einen Wettbewerb wollen, oder diese Leistungen selbst erbringen, liegt jedoch bei ihnen. Gerade in der Wasserversorgung werden auch gerne Formen interkommunaler Zusammenarbeit gerne genützt. Was durchaus absehbar ist, ist der steigende Druck zu Ausschreibungen für Kommunen. Diese sind jedoch nur dann ausschreibungsfrei, sofern gewisse Kriterien eingehalten werden. Auch eine Konzessionsrichtlinie würde indirekt das Regelwerk und somit den Ausschreibungsdruck erhöhen. Gerade deshalb steht die 80/20%-Regelung zurzeit in Diskussion. Prinzipiell gilt es zu beachten, dass Auslagerung nicht gleich Auslagerung ist. So gibt es PPP-Modelle, Teilprivatisierungen, Auslagerungen der Betriebsführung für einen gewissen Zeitraum (=Konzession) oder komplette Eigentumsübertragungen. Auch private Drittleister, welche bereits Aufgaben übernehmen, spielen eine Rolle.

5. Wie sieht der Trend in a) Österreich und b) in Europa speziell aus bei WasserversorWasserversorgung und Ab Abfallentsorgung. Innerhalb der EU variiert der Grad der wirtschaftlichen Konzentration in der Wasser- und Abwasserwirtschaft stark. Frankreich und Großbritannien bauen auf eine kleine Zahl großer Versorger, Länder wie Schweden eher auf eine große Zahl kommunaler Versorger. Auf Grund der sektoralen Unterschiede können hier auch keine allgemeinen Aussagen getroffen werden. Die Trinkwasserversorgung ist mit aufwendiger Infrastruktur verbunden, da es für ein Versorgungsgebiet in aller Regel nur ein Versorgungsnetz gibt. Gerade im Wasserbereich ist eine vollständige Liberalisierung unter anderem deshalb wenig vorstellbar, da Mischungsprobleme bei verschiedenen Wässern bestehen, die Wasserversorgungskosten bis zu 90% aus Fixkosten bestehen und es Unterschiede in der regionalen Wasseraufbringung gibt. Ganz darauf berufen kann man sich jedoch nicht. So hat z.B. Großbritannien ein Gesetz über die Durchleitung Dritter in Wassernetzen verabschiedet.

P/S/R | Seite 4 von 6

Von größter Bedeutung in dieser Diskussion ist die interkommunale Zusammenarbeit. Um zwei Beispiele zu nennen: So bestehen seit den 1970ern Verträge der LINZ AG mit mehr als 20 Gemeinden. Vertragsgegenstand sind die Lieferung von Wasser als auch die Betriebsführung der Wasserversorgung. Auch leiten mehrere Dutzend Gemeinden in die Kläranlage der LINZ AG ein, die auch für einige Gemeinden das Kanalnetz betreibt. Auch die EVN, als Beispiel eines teilprivaten Lieferanten, beliefert mehrere Dutzend Gemeinden mit Wasser. Zumeist bleibt jedoch die Gemeinde selbst der Rechtspartner für Kunden bzw. die Bürger. Sie legt den Wasserpreis fest und ist Eigentümer der Trinkwassernetze und Kanalanlagen. Die Möglichkeiten zur ausschreibungsfreien interkommunalen Zusammenarbeit werden durch EuGH Rechtsprechung und EU-Richtlinien, wie die derzeit zur Diskussion stehende Vergabenovelle und der Entwurf zur Konzessionsrichtlinie, eingeschränkt. Was die Abfallentsorgung betrifft, so sind Österreichs Kommunen zur Haushaltssammlung verpflichtet. Es ist jedoch lediglich die Organisation der Haushaltssammlung eine hoheitliche Aufgabe. Die tatsächliche Sammelleistung kann somit auch an private Unternehmen abgegeben werden kann. Nur wenige Gemeinden in Österreich stellen die Sammelleistung direkt zur Verfügung. So lassen in der Steiermark mehrere hundert Gemeinden die Müllabfuhr durch Private besorgen, nur einige Dutzend sind Selbstentsorger. Letzteres betrifft zumeist die größeren Städte. Üblich sind Public-PrivatePartnerships oder Zusammenschlüsse. Dieser Trend ist auch in den anderen europäischen Ländern zu beobachten. Besonders Arten von interkommunaler Zusammenarbeit versprechen Synergien. Kapazitäten können gebündelt werden und Wissen geht nicht verloren.

6. Haben Sie irgendeine Zahl, die erläutert, von welchen Summen wir in Österreich spre sprechen, wenn wir von Daseinsvorsorge reden? Gerade bei den nach EU-Terminologie als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuften Leistungen, handelt es sich um einen lukrativen Markt, sei es in Österreich oder in der Europäischen Union. Die öffentliche Auftragsvergabe spielt in Österreich wie in der gesamten Europäischen Union wirtschaftlich eine entscheidende Rolle. Im öffentlichen Sektor werden europaweit rund 26 Prozent des BIP erwirtschaftet P/S/R | Seite 5 von 6

und rund 64 Millionen Menschen beschäftigt. Das entspricht 30% der aktiven Bevölkerung. Getragen wird dieses Spektrum von etwa 500.000 Unternehmen. Bisher ist Österreich jedoch eher „ausschreibungsfaul“. Lediglich 13% des österreichischen BIP waren vor einigen Jahren noch von öffentlichen Aufträgen des Bundes, der Länder und der Gemeinden generiert.

P/S/R | Seite 6 von 6