1. Lernziele. 2. Einleistung

Fach: Geschichte Thema: Ursachen der Französischen Revolution 1. Lernziele v Sie wissen, wie ein Staat im Ancien Régime f...
Author: Eike Kohler
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Fach:

Geschichte



Thema:

Ursachen der Französischen Revolution











1. Lernziele v Sie wissen, wie ein Staat im Ancien Régime funktioniert hat. v Sie wissen, was mit Feudalherrschaft und Ständegesellschaft gemeint ist. v Sie kennen die Ursachen der Französischen Revolution. v Sie wissen, was mit Aufklärung gemeint ist. ______________________________

2. Einleistung



Die Französische Revolution ist in der Tat ein Lehrstück für die heutige Zeit. Sie zeigt auf schreckliche Weise, wie schwer die Transformation einer Monarchie oder einer Diktatur in eine Demokratie zu bewerkstelligen ist. Die vielleicht wichtigste Lektion aus der Französischen Revolution könnte folgendermassen lauten: Demokratie ist keine Staatsform, sondern ein Lernprozess. Einer der wohl wichtigsten Aufklärer der damaligen Zeit - CharlesLouis de Montesquieu - hat die Schwierigkeit wie kein anderer zuvor auf den Punkt gebracht. In einer Demokratie ist jeder Mensch zugleich souveräner Bürger und Untertan. Er kann über die Gesetze bestimmen (souveräner Bürger), muss sich ihnen jedoch fügen (Untertan). Das setzt ein hohes Mass an Verantwortung jedes einzelnen voraus. Europa brauchte denn auch rund 200 Jahre blutiger Auseinandersetzungen, um sich bis zur Demokratie durchzuringen. Angesichts dieser Zeitspanne wird klar, weshalb es mit dem Demokratisierungsprozess im heutigen Ägypten sowie in den anderen nordafrikanischen Staaten so hapert. Nicht die scheinbare Unfähigkeit der Menschen in diesen Staaten ist der Grund für das Chaos, sondern die Schwierigkeit dieser Transformation. Demokratie ist eines der höchsten Errungenschaften in der Welt. Winston Churchill sagte 1947 in seiner Rede vor dem britischen Unterhaus die meiner Meinung nach treffendsten Worte bezüglich der Demokratie: „Democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.“

© by Dr. Martin Fröhlich

3. Begriffsdefinition Bevor wir auf die Ursachen der Französischen Revolution eingehen, ist eine Definition des Begriffs „Revolution“ angebracht, wobei wir uns mit einer Vereinfachung begnügen. Ursprünglich war damit „Umdrehung“ gemeint (Lateinisch: revolutio) und wird bis heute in der Astronomie verwendet. Im konfessionellen Zeitalter aber insbesondere mit der „Glorious Revolution“ 1688 in England erweiterte sich die Bedeutung des Begriffs auch auf politische Umwälzung. Damals sicherte sich das englische Parlament mit der „Declaration of Rights“ endgültig die Finanzhoheit im Staat und der Weg zur Konstitutionellen Monarchie war geebnet - ein Novum und Vorbild für Europa! Mit der Französischen Revolution schliesslich bezeichnete „Revolution“ die grundlegende Änderung in politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Revolution die alte Ordnung in Schutt und Asche legt und Platz für Neues schafft.

Revolution im heutigen Sinn: Eine grundlegende Veränderung in politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht.

Meistens sind die alten Eliten nicht gewillt, freiwillig ihre Macht abzugeben, weshalb Revolution zumeist gewaltsam vonstattengehen. Selten aber immerhin gab und gibt es auch Ausnahmen, wie z.B. die erwähnte „Glorious Revolution“ in England im Jahre 1688 oder auch der Mauerfall zu Berlin 1989. Beginnen wir aber nun mit der Französischen Revolution....

4. Der Weg in die Revolution Die Gesellschaft des Ancien Régime - wie das vorrevolutionäre Europa genannt wird - war seit dem Mittelalter in drei rechtlich und sozial unterschiedene Schichte aufgeteilt: Klerus, Adel und Volk. Diese Schichten werden Stände genannt. Die Ständegesellschaft galt als göttliche Ordnung, weshalb ein sozialer Aufstieg von einem zum anderen Stand kaum möglich war. Sie beruhte auf der Idee, dass jeder Stand seine besondere Aufgabe zu erfüllen habe: Der Klerus (1. Stand) sorgte für das Seelenheil, der Adel (2. Stand) für die Verteidigung des Landes und der Bauer sowie die Bürger (3. Stand) für die Versorgung des Landes mit Nahrung und Gerätschaft.

Ständegesellschaft: Gottgewollte Ordnung 1. Klerus 2. Adel 3. Dritter Stand

Das politische System beruhte auf der Feudalherrschaft: Der König verleiht Land an einen Adeligen, der dafür dem Herrscher die Treue schwört. Der Adelige wiederum hatte Bauern unter sich, die sein Land bestellen durften, ihm dafür aber Treue und Pachtzins schuldeten. Es gab vorerst kein stehendes Heer. Wenn der König Krieg führen wollen, musste er also die Ständeversammlung einberufen und um Geld und Soldaten bitten. Hierüber wurde dann in dieser Versammlung beraten. Insofern war der König kein unumschränkter Herrscher.

Feudalherrschaft = feudum (lat. = Land)

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Seit dem 16. Jahrhundert geriet die Ordnung in Frankreich langsam aus den Fugen. König und Adel stritten sich um die alleinige Herrschaft im Land. Unter dem König Louis XIII. neigte sich die Waage langsam zugunsten des Monarchen. Die entscheidende Figur dabei war Kardinal Richelieu, den sicherlich jeder von Ihnen aus dem Mantel&Degen-Film „Die drei Musketiere“ kennt. Richelieu und sein Nachfolger Kardinal Mazarin schleiften im Innern des Landes sämtliche Burgen des Adels und setzten Bürgerliche als Gouverneure in den verschiedenen Landesteilen ein. Da diese alle Privilegien vom König erhielten, waren sie ihm treu ergeben. Wenn die Ständeversamm-







lung nicht mehr einberufen und der Adel als Stütze des Königtums ausgeschalten werden sollte, mussten Geld und Soldaten woanders bezogen werden. Steuern wurden eingeführt und ein stehendes Heer gebildet. Die Steuern bezahlten diejenigen, die sich am wenigsten dagegen wehren konnten - der Dritte Stand. Unter Louis XIV. - dem Sonnenkönig - erlangte das Königtum seine grösste Machtausdehnung. Das von ihm erbaute politische System wird gemeinhin Absolutismus genannt. Dies bedeutet, dass der König der alleinige Herrscher ist, der Gesetze erlässt, sie ausführen lässt und darüber hinaus als oberster Richter fungiert. Gleichzeitig steht er über den Gesetzen des Landes. Nur Gott allein ist er Rechenschaft schuldig. So will es die Theorie. Wahrscheinlich stellen Sie sich nun einen König vor, der auf seinem Thron in seinem funkelnden Schlosse zu Versailles sitzt, einen Befehl per Fingerzeit gibt und grinsend weiss, dass sein Befehl sogleich irgendwo in einem Bergdörfchen Südfrankreichs strikt ausgeführt wird. Der Sonnenkönig wäre sich bei dieser Vorstellung sicherlich noch viel mehr als herrschendes Zentralgestirn vorgekommen. In der Realität sah es weniger märchenhaft aus. Die reale Herrschaftsgewalt des Sonnenkönigs wie auch seiner Nachfolger ähnelte in keiner Weise derjenigen eines modernen Diktators. Sie endete im Prinzip bereits am „Gartenzaun“ von Versailles. Aufgrund der langsamen Informationswege (Eilpost per Reiter!) und einer nach wie vor dürftig kleinen Verwaltung war von Versailles aus das gesamte Land kaum zu regieren. Problematisch war nämlich, dass der Staat keine eigene Rechtspersönlichkeit besass (so wie heute). Buchstäblich galt: „Der Staat bin ich“ - also der König. Wirkt der Monarch schwach, büsst er politische Macht ein. Entsprechend muss er auf Teufel komm raus stark erscheinen - unter anderem durch Statussymbole. So absolutistisch selbst der Sonnenkönig regierte, es galt: Versailles will, dass Marseille die Zölle anders berechnet? Wenn juckt es!? Die Eliten in Marseille am allerwenigsten!

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Nichtsdestotrotz stärkte Louis XIV. ziemlich erfolgreich die Zentralgewalt des Monarchen und erreichte, dass nur er der Quell aller Privilegien und Vergünstigungen war. Wenn sie nicht an Bedeutung verlieren wollten, mussten die Adeligen wohl oder übel am Hof des Königs zu Versailles weilen. Ein fein abgestuftes Privilegien- und Stellungsraster, schön verpackt in der Hofetikette, schuf ein ständiges von Misstrauen begleitetes Ringen zwischen Adeligen und verunmöglichte damit ein geschlossenes Auftreten der Nobilität gegen den König. Das gesamte Hofzeremoniell kreiste nur um das alltägliche Leben des Monarchen. Selbst sein Stuhlgang wurde zum Staatsakt erhoben und konnten sich besonders diensteifrige Adelige Privilegien ergattern. So warben alle um die Gunst des Monarchen, ohne etwas gegen ihn ausrichten zu können - seine Stellung war gesichert. Louis XIV. verstand sich meisterhaft auf das Spielchen „Do ut des“ - „Ich gebe, damit du gibst“. Trotz der toll klingenden Machtstellung war der König eben nicht der absolute Herrscher. Einige schwerwiegende Nachteile besass nämlich dieses System: Einmal war der König auf den Hof als Informations- und Befehlsinstrument angewiesen, d.h. die Höflinge konnten ihn über gewisse Dinge im Unklaren lassen. Zum anderen presste das Hofetikett dem König als Quell aller Privilegien eine strikte Rolle im Theater namens Versailles auf. Zudem ist dieses System aufgrund seiner Natur sehr schwerfällig, versteinerte nach dem Tode Louis XIV. mit der Zeit und erschwerte - ja verunmöglichte - Reformen. Reformen bedeuten immer eine Änderung im gesamten Gefüge, was die nach Privilegien heischenden Höflinge wie die Pest fürchten mussten. Wie versteinert das inzwischen sinnentleerte System der abgestuften Privilegien war, zeigt ein kurioses Beispiel, welches Norbert Elias - einer der wohl grössten Soziologen des 20. Jahrhunderts - in seinem Buch „Die höfische Gesellschaft“





Absolutismus: Ein Herrschaftssystem, in welchem der König alleine die Macht in Händen hält. Er ist nur Gott Rechenschaft schuldig. In der Praxis nie komplett durchgesetzt

wie folgt beschrieben hat: „Das Lever der Königin vollzog sich analog dem Lever des Königs. Die Hofdame vom Dienst hatte das Recht, der Königin beim Ankleiden das Hemd zu reichen. Die Palastdame zog den Unterrock und das Kleid an. Kam aber zufällig eine Prinzessin der königlichen Familie dazu, so stand dieser das Recht zu, der Königin das Hemd überzuwerfen.“ So weit so gut, aber... „Einmal also war die Königin gerade von ihren Damen ganz ausgekleidet worden. Ihre Kammerfrau hielt das Hemd und hatte es soeben der Hofdame präsentiert, als die Herzogin von Orléans eintrat. Die Hofdame gab das Hemd der Kammerfrau zurück, die es gerade der Herzogin übergeben wollte, als die ranghöhere Gräfin von Provence dazu kam. Nun wanderte das Hemd wieder zu der Kammerfrau zurück und erst aus den Händen der Gräfin von Provence empfing es endlich die Königin. Sie hatte die ganze Zeit nackt, wie Gott sie geschaffen, dabei stehen und zusehen müssen, wie die Damen sich mit ihrem Hemd bekomplimentierten.“ Diese Versteinerung der Hofetikette war eine der Ursachen dafür, dass das Ancien Régime langsam aber sich in den alles zermalmenden Rachen der Revolution schlitterte.

4.1.

Immense Staatsschulden, Reformversuche und wirtschaftliche Krisen

Repräsentation seiner Machtstellung war insbesondere für Louis XIV. sehr wichtig. Seine Gier nach Prestige und Repräsentation zeigte sich in vielen blutigen mehr oder weniger erfolgreichen Eroberungskriegen und in einer regelrechten Bauwut (siehe Versailles). Das Streben nach Festigung und Steigerung von Macht und Prestige liess Louis XIV. tief in die Staatskasse greifen. Der Staat eilte mit grossen Schritten in den Bereich der tiefroten Zahlen. Die bedrohliche finanzielle Schlagseite des Staatsschiffes liess sich auch nicht durch den harten Merkantilismus eines Colbert aufheben. Dieses Wirtschaftssystem beruht auf der Idee, dass Geld der Quelle allen Reichtums ist. Ausserdem sei es eine endliche Ressource. Entsprechend galt es, so viel Geld wie möglich anzuhäufen. Rohstoffe - aus dem eigenen Land oder billig importiert - werden zu hochwertigen Produkten verarbeitet und hernach gewinnbringend im Ausland verkaufen. Ziel ist eine positive Handelsbilanz. Problematisch war allerdings, dass das Wirtschaftssystem nur dann funktionieren konnte, wenn es Länder gab, die genügend importierten, also eine negative Handelsbilanz erlitten. Wer wollte das schon! Damit waren Wirtschaftskriege vorprogrammiert. Überdies schadete der Merkantilismus dem Land, indem er der Manufaktur den absoluten Vorrang vor der Landwirtschaft gab, welche während dieser Zeit vor sich hin darb. Staatlich gelenkte Monopole erschwerten zusätzlich den Handel.

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Der Tod Louis XIV. 1715 liess Frankreich aufatmen. Nach dem Ableben des Monarchen richteten sich die Hoffnungen auf seinen Urenkel Louis XV. Anfänglich als aufgeklärter König „Louis-le-bien-aimé“ gefeiert, rutschte Louis XV. alsbald in dieselben Bahnen wie sein Urgrossvater. Die Finanzen rasten auch unter Louis XVI. regelrecht in Richtung Ruin und konnten selbst durch die brillante ökonomische Theorie eines François





Merkantilismus: Ein staatlich gelenktes Wirtschaftssystem, dessen einziges Bestreben dem Horten von Geld galt.

Quesnay (1694 - 1774) in ihrem Lauf nicht aufgehalten werden. Laut den Physiokraten, als deren Begründer der königliche Arzt gilt, ist allein die Natur fähig einen Überschuss zu produzieren, d.h. einen Mehrwert zu erzielen. Die Landwirtschaft lag deshalb im Zentrum ihrer Überlegungen. Ungehemmt durch Binnenzölle sollten landwirtschaftliche Produkte im Land gehandelt werden, so dass es von nun an keine regionalen Hungersnöte mehr geben könnte. Quesnay entwickelte auf theoretischer Basis in seinem berühmten „Tableau économique“ (1758) den ersten Wirtschaftskreislauf. Dem König war die neue Idee nicht ganz geheuer, denn Quesnay fand, dass der Besitzer des Mehrwertes - der adelige Grossgrundbesitzer - vernünftigerweise die Steuern zu bezahlen habe. Auch andere Reformbestrebungen verliefen im Sand. Jacques Turgot, Schüler des Physiokraten Quesnay, versuchte unter Louis XVI. als Finanzminister sein Glück. Er wollte die physiokratischen Ideen in die Tat umsetzen, um insbesondere die regionalen Hungersnöte zu verhindern. Die an sich gut gemeinte Idee endete im so genannten Mehrkrieg, da die Bauern in jenem schlechten Erntejahr in der Wegführung und Verteilung des Getreides eben nur die Wegführung sahen und darin einen fiesen Akt der Regierung vermuteten. Der König entliess Turgot am 12. Mai 1776. Dieser Reformversuch lässt sich als vielleicht letzten „point of return“ des „Ancien Régime“ ansehen. 1776 veröffentlichte der neue Finanzminister Jacques Necker - ein Schweizer Bankier - einen Staatshaushaltsentwurf, um seinen erfolgreichen Bemühungen der Sanierung aufzuzeigen. Die Öffentlichkeit nahm jedoch etwas ganz Anderes wahr - nämlich die horrenden Ausgaben für die Pensionen der Höflinge. Auch Necker wurde entlassen. Zwei Ereignisse machen die an sich schon angespannte Lage noch prekärer - die Luft roch bereits nach revolutionärem Pulverdampf. Die Weinbauern erlitten riesige Einkommensverluste durch katastrophal reiche Ernten, da dadurch die Preise drastisch zerfielen. 1786 schlossen Frankreich und England einen Handelsvertrag. Die hohen Zölle wurden beseitigt. Für die Weinbauern war dies gut, denn so besassen sie einen grösseren Absatzmarkt. Ihr Verdienst stieg denn auch. Die Kehrseite der Medaille war aber, dass Frankreich seinerseits von Textilwaren der in der Industriellen Revolution gesteigerten englischen Textilindustrie überschwemmt wurde. Die Stückkosten der englischen Textilien waren tiefer als diejenigen der französischen Manufakturen. Diese schlitterte infolge in eine Krise, welche viele Arbeitslose kreierte. Damit nicht genug, trieb die Missernte von 1788 den Brotpreis drastisch in die Höhe. Und um das Mass voll zumachen, folgte noch ein sehr strenger Winter 1788/89. In dieser prekären Situation half auch nicht der zynische Ausspruch „Lasst sie Kuchen essen [wenn sie kein Brot haben]“, der angeblich aus dem Munde der Königin Marie-Antoinette stammte. Höchstwahrscheinlich hat Madame dies nie gesagt, doch zeigt dieses Zitat symptomatisch das Unverständnis des Hofes für die Leiden der Bevölkerung.

4.2.

Aufklärer - Kritiker des Absolutismus

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In Schulbücher steht mancher Unsinn über die Aufklärung. Sie ist keine von den vorhergehenden Gedankenwelten abgegrenzte Epoche. Vielmehr haben die Aufklärer viele Gedanken politischer Denker aus Antike und Renaissance aufgenommen und weiterentwickelt. So haben z.B. die Gründerväter der USA (1776) sich der Gedanken englischer Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts bedient (John Locke, James Harrington, Thomas Hobbes), welche wiederum viele Ideen von italienischen Denkern des 15.





Jahrhunderts (Niccolo Machiavelli) und gar der Antike (Aristoteles, Platon, Polybios, Cicero) übernommen haben. Doch was bedeutet Aufklärung? Immanuel Kant (1724 - 1804) - ein deutscher Aufklärer und Philosoph - definierte in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ von 1784 den Begriff folgendermassen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Gehen wir nun auf die verschiedenen Ursachen der Aufklärung ein: Ein Merkmal aufklärerischen Denkens ist die Abkehr von reinen theologischen Glaubenssätzen zur Erklärung der Welt, wie wir sie noch im Mittelalter zuhauf antreffen. An ihre Stelle tritt vermehrt die logische Argumentation basierend auf Beobachtungen. Bereits in der Renaissance finden sich dafür Hinweise. Zum ersten Mal rückt der Mensch als handelndes Individuum in den Mittelpunkt philosophischer Betrachtungen. Der Florentiner Niccolo Machiavelli (1469 - 1527) beispielsweise hat ein bis heute berüchtigtes Büchlein bezüglich der fürstlichen Macht geschrieben - „Il Principe“. Darin werden zum ersten Mal in der Geschichte die Gesetze der Macht offengelegt und die Argumentation kommt ohne theologisches Beiwerk aus. Dass Machiavelli sich mit diesem Büchlein keine Freunde machte, erkennt man im Übrigen bereits an der englischen Bezeichnung für Teufel: „Old Nick“ für Niccolo Machiavelli! In seinen „Discorsi“ hingegen erklärt der Florentiner als erster politischer Philosoph überhaupt die offene Diskussion und die Abstimmung als essentieller Bestandteil einer funktionierenden Republik. Verstärkt wurde diese Tendenz gerade durch die Reformation. Der Kampf um die theologische Vormachtstellung, den die Reformatoren Martin Luther, Ulrich Zwingli, Melanchthon usw. mit der römische Kurie führten, zwang die Beteiligten dazu, systematischer und logischer zu argumentieren. Gleichzeitig aber relativierte die Reformation die Glaubenssätze, denn plötzlich gab es einen katholischen, einen protestantischen, einen zwinglianischen usw. Gott! Im 17. Jahrhundert erlebte Europa eine regelrechte wissenschaftliche Revolution. 1620 veröffentlichte der Engländer Francis Bacon ein Kompendium über wissenschaftliches Arbeiten, nämlich anhand empirischer Beobachtungen die eigenen Hypothesen zu verifizieren oder aber zu falsifizieren. Zahlreiche Forscher kartographierten den Sternenhimmel und versuchten physikalische Gesetze zu formulieren. Schliesslich veröffentlichte Isaac Newton 1687 sein berühmtes Werk „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie).

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Antike und mittelalterliche Staatsphilosophen sahen den Staat als moralischen Schulmeister, der die Untertanen auf den richtigen Weg bringt. Die grossen staatspolitischen Krisen des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien und in England liessen die Gelehrten am Menschen zweifeln. Die Sehnsucht nach einem starken Staat, der mit allen Mitteln gegen Zerfall und Bürgerkrieg ankämpft, liess sie nach Alternativen suchen. Es ist nicht von ungefähr, dass grosse Impulse der Aufklärung aus England kamen. 1649 liessen die Revolutionäre unter Oliver Cromwell König Karl 1. hinrichten. Vorangegangen ist der Kampf zwischen dem englischen Adel und dem König um die Macht im Staat. Der Adel - repräsentiert durch das Parlament - verlangte das alleinige Recht auf





Francis Bacon: Formulierung der bis heute gängigen wissenschaftlichen Methodik Isaac Newton: Formulierung des ersten ganzheitlichen physikalischen Weltbildes

Steuererhebung und Gesetzgebung. Der König solle als „King in Parliament“ agieren. Demgegenüber verlangte Karl I. die absolute Macht - ein sogenanntes „divine Kingdom“: Das Gottesgnadentum. England zerfiel in den Wirren des Bürgerkrieges und nach der Hinrichtung des Königs machte sich Ratlosigkeit breit. Wie hat denn ein alternativer Staat zum bisherigen Königtum auszusehen? Nun hatte die Zeit für theoretische wie praktische Experimente geschlagen! James Harrington: Seine Ver-

Ein gedanklicher Gegner Harringtons war Thomas Hobbes (1588 - 1679). Die Revolutionswirren in England zeigten ihm, wie der Mensch im Naturzustand handelt. Aus Furcht vor dem anderen wird er versuchen, diesen zu töten. Friedliche Koexistenz ist entsprechend nur unter einem starken Staat möglich. Der „Leviathan“ - der allumfassende Staat - soll absolut über den Menschen herrschen. Die Legitimation aber ist nicht göttlicher Natur, sondern wird durch den Gesellschaftsvertrag bewerkstelligt. Der Herrscher nach Hobbes war also nicht von Gottes Gnaden. Der Gesellschaftsvertrag als eine theoretische Vereinbarung unter den Menschen basiert nicht mehr auf ein theologisch geprägtes Weltbild. An Stelle einer göttlichen hierarchischen Ordnung erkennt Hobbes den Menschen als Teil einer naturwissenschaftlich genau definierbaren Welt. Die Naturgesetze sind seiner Meinung nach vernünftig und mathematisch genau. Die Gesellschaft des Menschen lässt entsprechend auch mathematisch genau definieren. Alle Menschen kommen nackt auf die Welt, was vernünftigerweise darauf schliessen lässt, dass die Menschen von Natur aus gleich sind. Dieses Vernunftsrecht nennt sich „Naturrecht“. Die gesamte Aufklärung basiert auf diesem Gedanken. Auf Hobbes geht im Übrigen laut dem Historiker Wolfgang Reinhard der rechtsstaatliche Grundsatz im Strafrecht zurück: Nulla poena sine lege! (Keine Strafe ohne Gesetz).

Thomas Hobbes: Erklärt die Ge-

Die Entwicklung des zentralistischen, absoluten Staates im 18. Jahrhundert liess Zweifel aufkommen, ob der „starke Staat“ tatsächlich das Ideal war. Die englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts wie und vor allem auch die Entwicklung der absoluten Monarchie in Frankreich zeigen das Grundproblem und damit die Stossrichtung der Aufklärung auf. Absolutismus bedeutet staatliche Zentralisierung, was enorme finanzielle Ressourcen benötigt. Diese pressten die damaligen Monarchien mittels immer neuen Steuerabgaben aus den Untertanen heraus. Die Kernfrage der politischen Philosophen lautete also nicht mehr, wie man den Menschen mittels des Staates bezähmen kann. Nun ging es darum, wie man den Menschen und sein Eigentum vor dem immer stärker werdenden Staat zu schützen vermag. In diesem Lichte betrachtet, ist es nur folgerichtig, dass der Engländer John Locke (1632 - 1704) die zentralisierte Staatsmacht mittels getrennten Staatsgewalten zu kontrollieren suchte: die so genannte Gewaltenteilung. Ein Parlament über die gesetzgebende Gewalt (Legislative), während dem König noch die ausführende Gewalt (Exekutive) verbleibt. Damit wird

John Locke erkennt in der Tei-

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Der überzeugte Republikaner James Harrington (1611 - 1677) erkannte in der Eigentumsfrage den Schlüssel zum stabilen Staat. Je breiter Landbesitz in der Bevölkerung abgestützt sei, desto eher wird sich eine Monarchie revolutionär in eine Republik umwandeln und desto stabiler ist diese Republik danach. Denn die vielen Landbesitzer wollen aus purem Eigennutz ihren Privatbesitz schützen und bedürfen deswegen eines stabilen Staates, in welchem sie mitbestimmen können: eine Republik. Die Grundidee seines Wahlsystems mittels „Wahlmännern“ wie auch seine Idee zur Wahrung des politischen Gleichgewichts (unter anderem durch Gewaltenteilung) finden sich in der amerikanischen und der französischen Verfassung wieder.







fassungsidee ist in den USA wiederzuerkennen.

sellschaftsordnung und seinen idealen Staat nicht mehr mit der Theologie sondern mit rationalen Argumentationen

lung der Souveränität auf drei getrennte Staatsgewalten die Möglichkeit, den Bürger vor despotischer Ausbeutung zu bewahren.

der Machtgier Einhalt geboten. Wie Hobbes so erkannte auch Locke in einem Gesellschaftsvertrag den Grundstein des Staates. Der Beweggrund dazu lag im Willen die eigene Freiheit freiwillig zugunsten des Staates zu beschränken, um damit den Schutz der eigenen Person und des Privateigentums zu gewährleisten. Der Staatszweck ist entsprechend der Erhalt und die Förderung des Gemeinwohls sowie die Achtung von Person und Privateigentum. Herrschaft legitimiert sich damit durch den Konsens des Volkes. Hieraus leitete Locke ein Widerstandsrecht des Volkes gegen die Regierung ab. Diese Ideen fanden Eingang in die französische Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Der Begriff „constitution“ (Verfassung) stammt laut dem Historiker Robert Shackleton ursprünglich aus dem Englischen und fand erst 1798 Eingang in die Académie Française. Der wohl bis heute nachhaltigste Denker war Charles-Louis de Secondat Baron de la Brède et de Montesquieu (1689 - 1755). Von seiner ausgiebigen Englandreise (Europareise zwischen 1728 - 34) nahm er die Ideen der Verfassung und der Gewaltenteilung mit. Seiner Meinung nach musste die Willkürherrschaft des absolutistischen Königs durch ein System der Gewaltenteilung ersetzt werden. Die Legislative und die Exekutive sollen personell und institutionell sowie funktionell getrennt werden. Die Idee der Gewaltenteilung eines John Lockes fand in der Schrift Montesquieus (De l‘esprit des lois) ihre Vollendung. Halten wir hier kurz inne: Die Gewaltenteilungslehre bei Locke und Montesquieu machten laut dem Historiker Wolfgang Reinhard aus dem Monarchen endgültig einen Staatsbeamten, wodurch die Trennung zwischen Monarch und dem dadurch erst geborenen eigentlichen Staat endlich vollzogen war.

Montesquieu gilt als der Begründer der modernen Sozialwissenschaften

Ganz so revolutionär wollte Montesquieu aber doch nicht sein. Die moderne Idee der Gewaltenteilung wollte er mit der Rückkehr ins mittelalterliche Frankreich verbinden, denn seiner Meinung nach sollte insbesondere der Adel leitend im gesetzgebenden Parlament fungieren. Darüber hinaus sollen nur Adelige über Adelige richten und Bürgerliche über Bürgerliche. Das ist auch der Grund, weshalb er die Judikative nicht als eigentliche Gewalt ansah, denn es soll für jeden Stand eine eigene Gerichtsbarkeit geben. Er war um Ausgleich bemüht zwischen der modernen englischen Verfassungstheorie und den alten politischen Ideen, die bis in die Antike zurückreichen. So ist es nicht verwunderlich, dass die französischen Revolutionäre in Montesquieu einen reaktionären Royalisten sahen.

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Für den Verlauf der Revolution sehr viel entscheidender war der „Contrat social“ von Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778). Seiner Meinung nach ist der Mensch im Naturzustand ein von allen gesellschaftlichen Zwängen befreites Wesen. Was den Menschen zum Menschen macht, ist seine Willensfreiheit. Mit ihr und nur mit ihr findet er zur natürlichen Tugend. Entsprechend zu verstehen ist einer seiner berühmten Aussagen aus dem „Contrat social“: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten.“ Schliessen sich die Menschen zu einem Staat zusammen, so kann dies kein Gesellschaftsvertrag à la Hobbes sein, denn dann würden sie ihre Freiheit und damit ihr Menschsein aufgeben. Vielmehr basiert der Staat auf Übereinkunft der Menschen, sich und seine Schaffenskraft der Gemeinschaft zu widmen und gleichzeitig selbstbestimmend zu bleiben. Der Mensch wird damit zum Bürger, der mit all seinen Mitbürgern den Staat bildet und dessen Handeln bestimmt. Das Volk wird zum Souverän. Die Richtschnur des bürgerlichen Denkens und Handelns ist das Gemeinwohl oder wie Rousseau es bezeichnet: le volonté général. Dieser Gemeinwille steht über den partikularen Interessen. Solange die Bürger tugendhaft ihren Egoismus unter den volonté





Jean-Jacques Rousseau gilt als Verfechter der Demokratie

général setzen, bleibt die Republik stabil. Die Frage, was mit all denjenigen passieren solle, welche diese Forderung par tout nicht erfüllen wollen, beantwortet Rousseau sehr einfach: diese Leute sind zu eliminieren... Es ist nicht von ungefähr, dass Rousseau von manchen Historikern gerne in den Kreis totalitärer Staatsdenker gerückt wird.

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