Zur historischen Entwicklung der Stadt Gescher

Zur historischen Entwicklung der Stadt Gescher Mit der kurzen Geschichte Geschers sollen im Zeitraffer einzelne Stationen auf dem Weg von den ersten S...
Author: Katarina Brandt
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Zur historischen Entwicklung der Stadt Gescher Mit der kurzen Geschichte Geschers sollen im Zeitraffer einzelne Stationen auf dem Weg von den ersten Siedlungsspuren entlang der Berkel bis hin zur Stadtwerdung und der kommunalen Neugliederung aufgezeigt werden können. Dass im heutigen Stadtgebiet bereits in der Vor- und Frühzeit Menschen gelebt haben, beweisen Funde von Werkzeugen, Gerätschaften und Urnen in den Bauerschaften Harwick, Estern und Tungerloh-Capellen. Wann sich jedoch die ersten Siedlergruppen dort niedergelassen haben, ist noch nicht zu klären. Im Zusammenhang mit der Missionierung Sachsens und der Einteilung des großen Gebietes in einzelne überschaubare Bezirke steht die Gründung einer Pfarrei auf dem Gelände des bischöflichen Amtshofes Loen in Stadtlohn. Gemeinsam mit Warendorf, Beckum und Billerbeck zählt diese Pfarrei zu den ältesten Kaplaneien des Münsterlandes. Für die mittelalterliche Entwicklung Geschers kommt diesem Amtshof oder Oberhof Loen in Stadtlohn eine besondere Bedeutung zu. Als geistliche und weltliche Landsherren hatten die Bischöfe von Münster Amtshöfe angelegt, um von dort aus ihren umfangreichen Hofbesitz in der Umgebung verwalten zu lassen. Neben diesem bischöflichen Hofverband gab es natürlich noch andere weltliche oder geistliche Grundherren, die ihre eigenen Höfe besaßen. Für die Gescheraner Bauerschaften war die Gründung der Pfarrei Stadtlohn mit der Pfarrkirche St. Otgerus wichtig, weil sie zu diesem Pfarrverband gehörten, obwohl sie verschiedene Grundherren hatten. Der Pfarrbezirk Loen erstreckte sich auf die heutigen Städte Stadtlohn und Gescher sowie auf die Gemeinde Südlohn-Oeding. Die Größe dieses Pfarrbezirkes mußte zwangsläufig zu weiteren Kirchengründungen führen, um kleinere Bezirke zu schaffen und allen Gläubigen die Teilnahme an den Gottesdiensten zu ermöglichen. In Gescher ist eine solche Pfarrgründung schon recht früh erfolgt, jedoch nicht auf bischöflichem Besitz, sondern auf dem Gelände eines anderen Grundherren. Das Kanonissenstift Borghorst war bei seiner Gründung mit umfassenden Ländereien ausgestattet worden, zu dem auch Besitzungen der Gräfin Bertha und des Grafen Bernhard bei Gescher gehörten.

Als Oberhof dieses Borghorster Hofverbandes ist der Hof Gaschari oder Gasgari belegt, dessen Schultheiß die Verwaltung des Stiftseigentums innehatte, zu dem die weiteren Höfe Gremmeldinchove (Grimmelt), Wenninchove (Wenning), Ebbinchove (Ebbing), Remmeldinch (Remmelt), Bodinch (Bäing), Hedekinghove (Heeck), Ubbenhorst (Ubbenhorst) und Meyerinck (Meyerinck) zählten. Für die Gründung der Siedlung Gescher - die Höfe in den Bauerschaften sind z. T. wesentlich älter - ist von Bedeutung, daß das Stift Borghorst auf seinem Grundbesitz zunächst eine eigene Pfarrkirche gründete. Die benötigten Flächen für Kirche, Friedhof und Pfarrhof wurden aus den Parzellen des Oberhofes ausgegliedert. In dieser Maßnahme mag auch der Grund für den heutigen Namen Gescher liegen, da hier der Oberhof Gaschari/Gasgari für die Ausstattung mit dem nötigen Grund und Boden zu sorgen hatte. Wann die Pfarrgründung erfolgt ist, kann zwar nicht exakt bestimmt werden, aber einige wichtige Daten ermöglichen eine ungefähre Eingrenzung des Zeitpunktes. Vor 968, dem Gründungsjahr des Kanonissenstiftes Borghorst, hat der alte große Pfarrverband Loen, zu dem die Gescheraner Bauerschaften zählten, noch bestanden. Die Reliquien des Kirchenpatrons St. Pankratius wurden im Jahr 985 von Rom nach Gent gebracht und gelangten von dort im Rahmen weiterer Schenkungen auch nach Borghorst. Das Stift hat möglicherweise schon zu diesem frühen Zeitpunkt seiner neuen Gründung Gescher einige Teilreliquien für die dortige Kirche übergeben. Demnach käme das Jahr 985 als frühestes Datum für die Einrichtung einer Pfarrei Gescher und der gleichzeitigen Abtrennung von der Pfarrei Loen in Betracht. Als spätester Termin für die Entstehung der Kirche in Gescher kann ein anderes Ereignis herangezogen werden, das in das Jahr 1022/23 fällt. Für die Ausstattung einer zu gründenden Pfarrei Varlar sollten u.a. 24 Höfe aus Gescher-Büren, diesmal aus dem Besitz der Bischöfe von Münster, bereitgestellt werden. Ein derartiges Vorhaben konnte nur dann erfolgen, wenn zu diesem Zeitpunkt schon eine Pfarrei Gescher existierte. Die Gründung der Pfarrei Gescher muß nach diesen Angaben zwischen den Jahren 985 und 1022/23 erfolgt sein. Die Höfe in den Gescheraner Bauerschaften gehörten seit dieser Zeit nicht mehr zum Pfarrverband Loen, sondern zur Pfarrkirche Gescher. Wie die oben kurz erwähnten vor- und frühgeschichtlichen Funde bezeugen, erfolgte die Besiedlung der Bauerschaften bereits, nachdem die ersten Ackerbauern und Viehzüchter die günstigen Siedlungsvoraussetzungen erkannt hatten. Für sie waren weniger die wasserführenden, feuchten Niederungen und Talauen an der Berkel und ihren Nebengewässern von Bedeutung als vielmehr die trockeneren Höhenlagen. Auf diesen Erhebungen fanden sie die Kalkmergelböden vor, die sie mit den damals gebräuchlichen landwirtschaftlichen Geräten bearbeiten konnten. Die umliegenden Wälder, Moore und soweit vorhanden - Heideflächen behielten zunächst ihre ursprüngliche Form. Sie galten vielleicht schon frühzeitig als Gemeinschaftsland für Plaggengewinnung, Viehmast und Holzeinschlag. Damit die Bewohner der älteren Höfe gleichermaßen an der Bewirtschaftung der nutzbaren Flächen teilnehmen konnten, wurden die Höhenlagen als langgestreckte Parzellen den Einzelhöfen zugeteilt. Nach der Ernte - vornehmlich erfolgte der Anbau von Roggen - konnte die gesamte Fläche noch zusätzlich als gemeinschaftliche Viehweide genutzt werden. Durch Düngung der Parzellen mit Heideplaggen, die im Markenland gewonnen und in den Ställen als Einstreu verwendet wurden, konnte die Ertragsfähigkeit der „Esche“ erhalten bzw. gesteigert werden. Dieser jährliche Plaggenauftrag führte zu einer stetigen Erhöhung der Eschländereien, die heute noch als ansteigende, gewölbte Erhebungen zu erkennen sind.

Die an der Eschnutzung beteiligten Höfe lagen an den Außenseiten der beackerten Flächen, häufig umgeben von Waldstücken, Wiesen und Gärten. Durch diese Randlage an den Eschen hatten die Höfe den fruchtbaren Eschboden gewissermaßen vor sich liegen, während sich an der Rückseite das Markenland mit dem gemeinsamen Wald- und Heidegrund anschloß. Im Zuge dieser ersten Besiedlungs- und Aufbaustufe waren die ältesten Höfe, die vollen Erben oder Zeller, in den Bauerschaften entstanden und mit Ländereien ausgestattet worden. Die zahlreichen Pferde- und Kuhkötter, aber auch die Brinksitzer und Heuerlingsstätten gehören späteren Siedlungswellen an, als für die Schaffung neuer, jedoch kleinerer Hofstätten ein Teil des noch verbleibenden Markenlandes parzelliert und privat genutzt wurde. Der Zeitpunkt dieser Landvergabe und das Vordringen der Neusiedler in Markenland und Wildnis können an den jeweiligen Randlagen zum älteren Siedlungs- und Ackerland abgelesen werden. Als Faustregel für die Datierung gilt demzufolge: je weiter die Höfe vom Esch entfernt liegen, desto jünger sind sie im allgemeinen. Als Rodungs- und Entwässerungsland der neueren Zeit sind die „Kämpe“ anzusehen, die sich überwiegend im Privatbesitz bestimmter Einzelhöfe befanden. Mit ihren einzeln eingefriedeten und unterschiedlich großen Flächen heben sie sich deutlich von den regelmäßigeren und von einer großen Wallhecke umschlossenen Eschländereien ab. Das gemeinschaftlich genutzte Markenland diente den sogenannten markenberechtigten Höfen als Viehweide, ferner zur Versorgung mit Brenn- und Bauholz sowie zur Plaggenmahd. Bestimmte Teile der Marken, Sundern genannt, waren jedoch als Hochwald von der Nutzung ausgenommen. Im Kirchspiel Gescher gab es die Tungerloher, Bürener, Harwicker und Esterner Markengenossenschaften. Mit der Gründung einer Pfarrei Gescher hatte die Bevölkerung der umliegenden Bauerschaften nicht nur einen eigenen kirchlichen Mittelpunkt, sondern auch einen zentralen Schutzbezirk erhalten. Der befestigte Kirchhof, der vermutlich im Laufe der Zeit mit einem Ring von Speichern und kleineren Häusern umgeben wurde, konnte in Kriegszeiten als relativ sicherer Ort für Menschen, Tiere und Vorräte dienen. Ein System von Wasserläufen, die auch den Oberhof mit einbezogen, schützte diese wichtige Anlage vor plötzlichen Überfällen. Für die ersten Bewohner der entstehenden Siedlung Gescher wurden Hausplätze u.a. am Hellweg, der damaligen Verbindungsstraße von Coesfeld nach Stadtlohn, zur Verfügung gestellt. Die dazu benötigten Parzellen stammten zum einen aus dem Grundbesitz des Oberhofes Gescher, zum anderen aus den Ländereien der Höfe Grimmelt und Ebbing. Das Kirchspiel Gescher gehörte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zum fürstbischöflichen Amt Ahaus. Damit lagen die richterlichen und verwaltungsmäßigen Angelegenheiten in den Händen der bischöflichen Beamten und ihrer Mitarbeiter. Die Siedlung jedoch unterschied sich von dieser Regelung durch ein Privileg, das dem Ort eine „städtische“ Verwaltung gestattete. Der Schultheiß von Gescher als Inhaber des Borghorster Oberhofes wählte aus den sechs Nachbarschaftsbezirken des Ortes jeweils einen Mann aus, um mit diesen sechs Personen die beiden Bürgermeister zu bestimmen. Zusammen mit dem Schultheißen verwalteten die Bürgermeister den Ort Gescher. Die sechs Vertreter der Nachbarschaften (Rottbezirke) leiteten darüber hinaus im Kriegsfall unter dem Oberbefehl des Schultheißen die „Bürgerwehr“. Nach dem Dreißigjährigen Krieg konnten die Bürger Geschers den Einfluß des Borghorster Schultheißen bei der Ortsverwaltung mehr und mehr beschränken. Am Tage Pauli Bekehrung

wählten die Bewohner aus ihrer Mitte für die Amtsdauer von einem Jahr die sechs Rottmeister und die beiden Bürgermeister. Dem Schultheißen stand jetzt nur noch das Recht der Bestätigung zu. In den Kriegen und Krisen des 16. und 17. Jahrhunderts wurde der allmähliche Ausbau der Ortschaft immer wieder empfindlich gestört. Nachdem ein Brand im Jahre 1570 beinahe sämtliche Gebäude zerstört hatte, mußten die Bewohner schon während des Wiederaufbaus unter den Folgen der Niederländischen Befreiungskriege (1568 - 1648) leiden. Plünderungen und Einquartierungen durch die gegnerischen Verbände lasteten schwer auf der einheimischen Bevölkerung. Nach einer kurzen Ruhepause brach der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) über die Menschen herein. Gescher und die benachbarten Bauerschaften hatten wie andernorts auch nach der Niederlage Christians von Braunschweig in der Schlacht im Lohner Bruch 1623 die siegreichen Tillyschen Truppen zu versorgen; später waren es dann die hessischen Verbände aus der benachbarten Stadt Coesfeld, die Proviant verlangten.

In der Friedenszeit konnten die durch den Dreißigjährigen Krieg entstandenen Schäden allmählich behoben werden. Innerhalb Geschers entstanden durch die Beseitigung der Kirchhofsbefestigung neue Bauplätze, und die Verlegung der Hauptstraße von der Peripherie in das Zentrum gab wichtige Impulse für die zukünftige Entwicklung der Gemeinde. Somit lag die Siedlung um die Kirche nicht mehr wie bisher am Rande und konnte direkt in das Straßennetz einbezogen werden. In diese Zeit fällt auch die Anlegung eines Bürgerbuches, da die älteren Unterlagen in den Kriegswirren verloren gegangen sind. Alle Neubürger Geschers konnten sich, nachdem sie ihre eheliche Geburt nachgewiesen hatten, gegen ein „Gewinngeld“ von 3 Reichstalern im Ort niederlassen. Nach der Hausschatzung des Jahres 1659 standen dort 69 Gebäude, von denen 25 Häuser zur ganzen, 26 zur halben und 18 zur viertel Schatzung verpflichtet waren. Die Pfarrgemeinde konnte in diesen schweren Jahren nach dem langen Krieg die 1510 errichtete spätgotische Kirche, deren älterer romanischer Bau sich als zu klein erwiesen hatte, neu ausstatten und den Turm renovieren. Mit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurde das alte Fürstbistum Münster aufgelöst, und Gescher kam als Teil des ehemaligen Amtes Ahaus unter die Herrschaft des Fürsten von Salm. Schon 1811 änderte sich die politische Situation erneut: Gescher gehörte nun zum „Arrondissement Rees“ und damit zum „Département de la Lippe“. Die Verwaltung von Dorf und Kirchspiel lag in dieser Periode französischer Herrschaft in den Händen eines Bürgermeisters, des „Mairie“, sowie eines Beigeordneten und des „Bürger-Kapitäns“. Die alten Verwaltungseinrichtungen der Bauerschaften blieben zwar bestehen, besaßen aber keine politischen Funktionen mehr. Nach der endgültigen Niederlage Napoleons 1816 kam das Münsterland an das Königreich Preußen. Das neu geschaffene Amt Gescher, bestehend aus dem Dorf und den fünf Bauerschaften, wurde nun dem Kreis Coesfeld und nicht wieder Ahaus zugeteilt. Bis zu diesem Zeitpunkt war Gescher ein überwiegend ländlich strukturierter Ort, dessen Bewohner als Ackerbürger, Kaufleute, Handwerker etc. arbeiteten. Eine Gewerbeübersicht zeigt die Verteilung der Berufe für das Jahr 1816. Demnach gab es in Gescher 4 Bäcker, 9 Schneider, 7 Schuster, 1 Bauunternehmer (Maurer), 9 Zimmerer, 1 Stellmacher, 2 Fleischer, 2 Friseure, 4 Böttcher, 1 Buchbinder, 4 Schmiede, 1 Klempner, 1 Uhrmacher und 1 Drechsler. Auch in den Bauerschaften hatte sich die alte Sozial- und Beschäftigungsstruktur weitgehend erhalten. Hier jedoch setzte eine wesentliche Veränderung mit der 1840 abgeschlossenen Markenteilung ein. Während die markenberechtigten Höfe der frühen Siedlungsgeschichten ihren Grundbesitz vergrößern konnten, blieben die Brinksitzer und Heuerleute auf den ursprünglichen, oft geringen Umfang ihrer meist nur gepachteten Ländereien beschränkt. Ihnen fehlte jetzt die häufig stillschweigend geduldete Mitnutzung der Marken. Als Folge dieser Entwicklung waren sie auf Nebengewerbe wie Korbflechten, Holzschuhmachen oder Hausschlachten angewiesen und arbeiteten im Sommer als Grasmäher, Torfstecher oder Saisonarbeiter auf den größeren Höfen. Einen hohen Stellenwert gewann die Verarbeitung von Flachs zu Leinen, die in nahezu jedem Haushalt durchgeführt wurde. In der Ortschaft Gescher lebten 1827 insgesamt 870 Einwohner, von denen 44 im Hauptberuf als Leinenweber tätig waren. Ihnen standen in den Bauerschaften bei 2387 Einwohnern insgesamt 351 nebenberufliche Leinenweber gegenüber.

Zum wichtigsten Nebengewerbe wurde in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts aber die Verarbeitung von Baumwolle; zeitweilig waren im gesamten Amt Gescher bis zu 500 Personen damit beschäftigt. Die in Heimarbeit tätigen Weber erhielten ihre Garne von den Verlegern, die nach der Abrechnung der gelieferten Tuche den weiteren Verkauf der Produkte besorgten. Stellvertretend für die zahlreichen Verleger in Gescher seien hier nur J. Schulze (100 Webstühle), F.J. Eckrodt (118 Webstühle), Huesker & Butenberg (309 Webstühle) und Conrad Gescher (85 Webstühle) genannt. Wenn die Heimarbeit auch noch nicht ganz abgeschafft wurde, bedeuteten die im Zuge der Industrialisierung erfolgten Gründungen der Textilfabriken H. und J. Huesker & Co. (1862) und Eckrodt & Co. (1905) eine weitere einschneidende Veränderung der alten Wirtschaftsund Sozialstrukturen. Die Textilfabrik Huesker sorgte mit ihrer Dampfmaschine zur Energiegewinnung von 1899 bis 1926 für die Versorgung Geschers mit Kraftstrom. Die 1869 im Firmenbüro installierte Telegraphenstation war die erste im weiten Umkreis; 1874 wurde die Anlage in die Poststation verlegt. Der zielstrebige Ausbau der Webereien und der hinzukommenden Spinnereien führte zur Entstehung des wichtigsten Wirtschaftsfaktors in Gescher, der Textilindustrie. Neben den beiden oben genannten größten Firmen kam es nach dem Ersten Weltkrieg zur Gründung der Firmen Gebr. Paskert, Greve & Co., A. Huesker & Schmiemann und Ignatz Hagmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden die Firmen Hermann Schweers & Co., Gebr. Wittich und H. Eing. Außer der Textilindustrie mit ihren Firmen unterschiedlicher Größe, auf deren Entwicklung hier nicht ausführlich eingegangen werden kann, ist seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts die Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock in Gescher ansässig, die nicht nur Kirchenglocken in die ganze Welt exportiert, sondern auch für ihre Kunstgüsse berühmt ist. Weitere metallverarbeitende Betriebe, wie etwa die Metallgießerei Dey & Co., die Apparatebaufirma Jagri, die Maschinenfabrik Ruthmann und die Metallgießerei Hennecke entstanden z. T. aus älteren Handwerksbetrieben in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Süden Geschers fanden zahlreiche Arbeitskräfte in dem 1906 gegründeten Torfwerk in Gescher-Hochmoor Beschäftigungsmöglichkeiten, die durch den Bau einer Siedlung noch erweitert wurden. Infolge des industriellen Fortschritts standen den nachgeborenen Söhnen auf den Höfen und den Besitzern kleinerer Höfe genügend Arbeitsplätze zur Verfügung, um die Abwanderung in andere Regionen, etwa in das Ruhrgebiet, zu verhindern. Das traditionelle Handwerk am Ort bestand jedoch weiterhin und wurde, wie der Vergleich mit der Auflistung aus dem Jahre 1816 zeigt, mit dem Wachstum Geschers ausgebaut. So arbeiteten im Jahr 1908 in Gescher 16 Bäcker, 8 Schneider, 6 Schuster, 8 Bauunternehmer (Maurer), 19 Zimmerer, 2 Stellmacher, 2 Sattler/Dekorateure, 4 Fleischer, 3 Friseure, 1 Seiler, 1 Stuhlmacher, 5 Holzschuhmacher, 1 Böttcher, 1 Dachdecker, 1 Buchbinder, 1 Lohgerber, 2 Gärtner, 3 Schmiede, 2 Kupferschmiede, 1 Wiesenbauer, 5 Glaser/Anstreicher, 1 Klempner und 2 Uhrmacher. Die wichtigsten Voraussetzungen für die Industrialisierung waren der Ausbau des Straßennetzes und der Anschluß an die größeren regionalen Verkehrsverbindungen. Mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnteilstrecke Coesfeld-Gescher-Borken im Jahre 1904 stand auch dieses Verkehrsmittel für die Anlieferung von Rohstoffen und für den Abtransport der Fertigprodukte zur Verfügung. Die bisherige, den Bedürfnissen des Ortes angepaßte Art der

Energiegewinnung durch einzelne Privatfirmen wurde 1926 mit einem Vertrag zwischen dem Amt Gescher und den Westfälischen Elektrizitätswerken beendet. Seit dieser Zeit besteht der Anschluß an das reguläre Stromnetz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Bewohner Geschers einen großen Zustrom von Flüchtlingen aufzunehmen, die in der unzerstörten Ortschaft und den Bauerschaften erste Unterkünfte fanden, bis passendere Wohnverhältnisse geschaffen werden konnten. Die industrielle Entwicklung der Nachkriegszeit ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Automatisierung und weitere Umstellungen in der Produktion, die auch die Gescheraner Betriebe in verschiedener Weise veränderten. Das alte, z. T. noch mittelalterliche Straßenbild wurde durch moderne Sanierungsmaßnahmen erneuert, wobei der ursprüngliche Charakter erhalten blieb. Der wirtschaftliche Aufschwung erforderte darüber hinaus die Errichtung neuer Wohnungen, die Planung weiterer Baugebiete und die Anlage eines großzügigen Straßennetzes. Zumindest andeutungsweise seien hier die Veränderungen in der Landwirtschaft erwähnt, die sich durch die Mechanisierung und die Verbesserung der Anbaumethoden ergeben haben und Verschiebungen im Sozialgefüge nach sich zogen. Daneben trugen die teilweise durchgeführten Flurbereinigungen und die Maßnahmen zur Erschließung neuer Anbauflächen zur Umgestaltung des Landschaftsbildes bei. Im Süden des Ortes entstand auf der neu erschlossenen Fläche in Hochmoor eine Siedlung, die 1962 den Namen Gescher-Hochmoor erhielt. Am 1. Juli 1969 wurden die bisher selbständigen, zum Amt Gescher gehörenden Gemeinden Büren, Harwick, Tungerloh-Capellen, Tungerloh-Pröbsting und Gescher zu einer Stadtgemeinde zusammengelegt. Damit wurde Gescher in den Rang einer Stadt erhoben. Im Zuge der kommunalen Neugliederung im Raum Münster/Hamm wurde Gescher am 1. Januar 1975 Teil des Kreises Borken, gehört also seitdem nicht mehr zum Kreis Coesfeld. Eine von der Gemeindevertretung Gescher beschlossene Verfassungsbeschwerde bleibt damit

ohne Erfolg. 1952 wird die evangelische Gnadenkirche, 1954 als zweite für die katholische Gemeinde die Kirche Mariä-Himmelfahrt eingeweiht. 1976 wird die St.-Stephanuskirche in Hochmoor eingeweiht, das bisherige Übergangsgotteshaus wird Pfarrzentrum. Im selben Jahr wird auch das Schulzentrum am Borkener Damm mit Haupt- und Realschule seiner Bestimmung übergeben, 1976 wird im Rahmen einer Festwoche das Sportzentrum Borkener Damm eröffnet, 1978 in der Realschule der Theater- und Konzertsaal eingeweiht. 1980 eröffnet das Glockenmuseum als eines der wichtigsten Aushängeschilder der Stadt; es wird 2010 umfassend erweitert und modernisiert. 1983 wird die verkehrsberuhigte Zone im Bereich Armlandstraße/Kirchplatz/Hauptstraße fertiggestellt. Es erfolgt der Umwidmung der Volksschule Estern in die kreiseigene Brüder-Grimm-Schule mit dem Förderschwerpunkt Sprache. Im selben Jahr übernimmt der Heimatverein Hochmoor das 1912 erbaute alte Schulgebäude als Heimathaus. In Harwick wird 1984 die Kläranlage eröffnet. Ein Textilmuseum in der Region Westmünsterland eröffnet nicht, wie in Gescher gehofft, in den Gebäuden der Weberei Hüsker, sondern in Bocholt. Der letzten Fahrt einer Eisenbahn zwischen Gescher und Coesfeld steht 1985 die Eröffnung des Autobahnteilstücks Gescher-Legden gegenüber. 1986 beginnen die Proteste der Gescheraner gegen eine geplante Mülldeponie in Nordvelen/Estern. 1987 verstärkt sich der Protest von Landwirten gegen die Mülldeponie. 1988 beschließt der Kreistag den Bau der Mülldeponie an der B 67 zwischen Velen und Ramsdorf, die allerdings aufgrund von Protesten der Velener Bevölkerung niemals realisiert wird. 1990 letztlich wird der Standort Nordvelen/Estern festgelegt; 7000 Gescheraner nehmen daraufhin an einem Protestzug vom Rathaus nach Estern teil. Ein Gutachten schlägt eine Kompostieranlage für die Kreise Borken und Coesfeld in Nordvelen/Estern vor, die Entscheidung fällt im Dezember 1993. Die Anlage wird 1997 eröffnet. 1987 verkündet der Regierungspräsident die Entscheidung, das Marienhospital zu schließen, im Folgejahr wird das Krankenhaus in das St.-Pankratius-Altenwohnheim umgewidmet. 1988 eröffnet in der umgebauten Turnhalle der Pankratiusschule das Kutschenmuseum; Pläne für die Einrichtung eines Stadtmuseums im alten Rathaus werden ab 1993 nicht weiter verfolgt. Nach zweijähriger Bauzeit wird 1989 das Rathaus bezogen und eröffnet, ein Jahr später übergibt Corrado Simeoni der Stadt sein Gemälde „Maskerade“. Das Kunstprojekt „Spiel mit 6°“ im Umfeld und in der Innenstadt von Gescher stellt eine Verbindung des alten Ortskerns mit dem neuen her. 1989 feiern tausende Gescheraner auf dem neuen Rathausplatz den Fall der Berliner Mauer. 1991 wird die Umgehungsstraße für den Verkehr freigegeben. 1999 wird der Sozialdemokrat Heinrich Theßeling erster hauptamtlicher Bürgermeister von Gescher und 2004 wieder gewählt. Seit 2009 heißt der Bürgermeister Hubert Effkemann (CDU). 2004 fusionieren die katholischen Pfarrgemeinden St.-Marien und St.-Pankratius. Die Kirche Mariä Himmelfahrt wird Ende 2010 entwidmet und soll einer Folgenutzung zugeführt werden. 2008 gründen die TSG Gescher, der BSV Harwick und der SF Tornado den Sportverein Gescher 08. Dr. Johannes-Hendrik Sonntag, Gescher (Anfänge bis zur Stadtwerdung) Ergänzt von A. Froning im Januar 2010

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