Vorlesung: Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Vorlesung: Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde Thermodynamik und Statistische Mechanik Dozent: Hans Christian Öttinger Vorbemerkungen: Diese ...
Author: Franka Knopp
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Vorlesung: Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde Thermodynamik und Statistische Mechanik Dozent: Hans Christian Öttinger

Vorbemerkungen: Diese Vorlesungsnotizen sind als Kurzer Leitfaden zur Anwendung von Thermodynamik und klassischer Statistischer Mechanik gedacht. Zentrales Anliegen dieses Leitfadens ist es, die korrekte, klare und effiziente Anwendung dieser grundlegenden Gebiete der klassischen Physik auf Ingenieurprobleme zu vermitteln (dieser Zusatz ist leider nicht ganz überflüssig). Während die Wichtigkeit von Thermodynamik und statistischer Mechanik für Anwender über jeden Zweifel erhaben ist, sollten diese Gebiete nicht etwa als schwierig oder geheimnisvoll empfunden werden, sondern sie sollten vielmehr als elegant und einfach anwendbar erkannt werden. Bei Anwendungen der Thermodynamik in Ingenieur-Vorlesungen ist es weithin üblich, bei “Adam und Eva”, das heißt mit einer ausführlichen Diskussion der Hauptsätzen der Thermodynamik, anzufangen. Während dieses Vorgehen bei einer ersten Begegnung mit der Thermodynamik sehr sinnvoll ist, gehört es ansonsten fraglos als ineffizient ins 19. Jahrhundert verbannt. In diesem Leitfaden wird angenommen, daß diese erste Begegnung mit der Thermodynamik und ihren Hauptsätzen bereits in der Mittelschule, in den Physikvorlesungen des Grundstudiums und vielleicht auch bei einigen Anwendungen (zum Beispiel in der physikalischen Chemie) bereits stattgefunden hat. Der Schwerpunkt liegt daher auf der Begründung und Anwendung des zentralen Konzepts der thermodynamischen Potentiale, in das die Hauptsätze bereits voll eingearbeitet sind, und mit dem man effizient an alle Anwendungen herangehen kann. Thermodynamische Potentiale für konkrete Probleme sind experimentell oder mit Hilfe der Statistischen Mechanik aus mikroskopischen Modellen zu bestimmen. Dieser Leitfaden faßt die Vorlesung Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde (größtenteils) stichwortartig zusammen und kann sicher nicht als Lehrbuch dienen. Jeder Abschnitt wird mit einer Problemstellung eröffnet. Zwischenschritte und Ableitungen auf dem Weg zur Lösung des Problems sind oft ausgelassen. Der Leitfaden soll bei der “Verarbeitung” der Vorlesung helfen, sei es zur Vorbereitung oder zum Nacharbeiten, oder auch als Anleitung zum Selbststudium. Zu jedem Abschnitt werden mehrere Literaturstellen angegeben, mit deren Hilfe die einzelnen Themen sorgfältig nachgearbeitet oder vertieft werden können. Es bleibt dabei jedem Leser selbst überlassen, seine “Lieblingsbücher” zu finden. Die zahlreichen Verständnisfragen und Übungen am Ende eines jeden Kapitels sollen es ermöglichen (oder gar dazu reizen), das Gelernte durch Nachdenken weiter zu vertiefen und den Lernerfolg jederzeit zu überprüfen.

Für die Ausarbeitung der Übungen und Lösungen danke ich Markus Herrchen und Markus Hütter. Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde (Sommersemester 2000)

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Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 3 2. Aufbau der Thermodynamik 4 2.1 Grundbegriffe, Vorgehen 4 2.2 Der erste Hauptsatz (Energieerhaltung) 5 2.3 Der zweite Hauptsatz (Entropiebilanz) 6 2.4 Die Gibbssche Fundamentalform 8 2.5 Thermodynamische Potentiale 10 2.6 Thermische und kalorische Zustandsgleichungen 11 2.7 Materialgrößen 12 2.8 Gleichgewicht und Stabilität 13 2.9 Zusammenfassung der Vorgehensweise 14 3. Anwendungen der Thermodynamik 18 3.1 Kreisprozesse und Wärmemaschinen 18 3.2 Die Gibbssche Phasenregel 19 3.3 Phasendiagramme für Einstoffsysteme 21 3.4 Van der Waalssches Gas 23 3.5 Mehrstoffsysteme (Lösungen, Mischungen, Legierungen) 25 3.6 Chemische Reaktionen 29 4. Grundlagen der Klassischen Statistischen Mechanik 36 4.1 Die Idee der statistischen Gesamtheiten 36 4.2 Mikrokanonische Gesamtheit 37 4.3 Kanonische Gesamtheit 40 4.4 Theorie der Fluktuationen 42 4.5 Zusammenfassung der Vorgehensweise 44 5. Anwendungen der Klassischen Statistischen Mechanik 47 5.1 Klassische Theorie der Wärmekapazität von Festkörpern 47 5.2 Systeme am Phasenübergang 48 5.3 Polymermischungen 51 5.4 Gummielastizität 52 6. Elementare Beschreibung von Transporterscheinungen 58 6.1 Aufgaben der Transporttheorie 58 6.2 Elementare kinetische Gastheorie 58 6.3 Elementare Berechnung von Transportkoeffizienten 60 6.4 Boltzmann-Gleichung (Boltzmannsche Transportgleichung) 61 6.5 Brownsche Bewegung 64 Literaturhinweise 67 Antworten auf die Verständnisfragen 70 Lösungen der Übungsaufgaben 76-90

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1. Einführung Thermodynamik und Statistische Mechanik stellen – neben der Quantenmechanik – wichtige physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde dar, die im Laufe der Ausbildung eines Werkstoffingenieurs in den verschiedensten Vorlesungen benötigt werden. Diese Grundlagen werden gebraucht, weil die rein makroskopische Beschreibung von Werkstoffen nicht ausreicht, wenn man funktionelle Werkstoffe entwickeln und verstehen möchte: ein mikroskopisch/atomares Verständnis ist entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung und Verbesserung moderner, funktioneller Werkstoffe. Dies gilt in gleicher Weise für metallische, keramische und polymere Werkstoffe, sowie für Verbundwerkstoffe. Deshalb kann die Verknüpfung von mikroskopischer und makroskopischer Betrachtungsweise oder die Behandlung von Problemen auf verschiedenen Längen- und Zeitskalen als ein Wesensmerkmal der modernen Werkstoffkunde betrachtet werden. Mag für Maschinenbauer die Newtonsche Mechanik völlig ausreichend sein, so sind für Werkstoffingenieure Thermodynamik, Statistische Mechanik und Quantenmechanik unverzichtbar, zum Beispiel wenn sie sich für die Stabilität von neuen Mischungen, elektronische Eigenschaften von Werkstoffen, Halbleiter, extrem zugfeste Polymerfasern, Verbundwerkstoffe oder “intelligente” Materialien interessieren. Aufgrund der Vielseitigkeit und Allgemeinheit von Thermodynamik und Statistischer Mechanik können hier selbstverständlich nicht alle für Werkstoffingenieure relevanten Probleme behandelt werden. Es sollen die Grundlagen der Thermodynamik und der Statistischen Mechanik entwickelt werden, und es soll an einigen Beispielen das typische Vorgehen bei den Anwendungen illustriert werden. Durch die Vorlesung Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde sollen die Studierenden Zusammenhänge besser verstehen lernen, denken lernen, damit sie immer neue Probleme in der Praxis ausgehend von einem mikroskopischen Verständnis von Werkstoffen lösen können.

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2. Aufbau der Thermodynamik Mit “Aufbau” der Thermodynamik ist hier auch der Vorgang des Aufbauens gemeint, nicht nur das fertige Ergebnis des Aufbauens. Ausgangspunkt ist eine Fülle von experimentellen Befunden, die in den Hauptsätzen der Thermodynamik zusammengefaßt worden sind.

2.1 Grundbegriffe, Vorgehen (Römer & Filk, S.1-11; Honerkamp & Römer, S.157-159; Hudson, S.3-8)

Problem: Was ist und was leistet die Thermodynamik? Thermodynamik: Makroskopische Theorie der Materie (Theorie der Wärme); allgemeine Theorie thermodynamischer Systeme. Statistische Mechanik: Ableitung/Begründung der Thermodynamik aus der mikroskopischen Dynamik; Bestimmung der thermodynamischen Eigenschaften von speziellen Systemen (ideale und reale Gase, magnetische Systeme, Mischungen ...). Einige Grundbegriffe der Thermodynamik: Thermodynamisches System: unter festen Randbedingungen stellt sich ein zeitunabhängiger Zustand (Gleichgewichtszustand) ein, der sich durch wenige Variablen beschreiben läßt [man kann geradezu folgende Definitionen wählen: Thermodynamisches System = Liste der relevanten Variablen und derer Wertebereiche; Zustand des Systems = bestimmte Werte der Variablen]; zum Beispiel kann ein Gas trotz der riesigen Zahl von Teilchen, aus denen es typischerweise besteht, durch wenige Variablen wie Teilchenzahl, Volumen und Energie beschrieben werden. Umgebung des Systems: mögliche äußere Einwirkungen auf das System; Formen des Austauschs von Materie, Energie, ... Geschlossenes System: kein Materieaustausch mit der Umgebung. Abgeschlossenes System: weder Materie- noch Energieaustausch mit der Umgebung. Offenes System: sonst. Erste Aufgabe der Thermodynamik: Identifizierung der relevanten Variablen für ein gegebenes Problem. Treten später Inkonsistenzen auf, so hat man einen ungeeigneten Variablensatz gewählt (oder es liegt ein Nichtgleichgewichtsproblem vor). Historisches Beispiel: Bei der Beschreibung von Wasserstoff bei tiefen Temperaturen hatte man zu Unrecht an der Gültigkeit der Thermodynamik gezweifelt, weil man die Bedeutung von getrennten Teilchenzahlvariablen für Moleküle mit gleichgerichteten und entgegengesetzten Kernspinstellungen zunächst nicht erkannt hatte. Allgemein kann man ein System durch die Gesamtenergie E und eine Liste weiterer extensiver (d.h. mengenartiger) Variablen X 1, X 2, ..., Xn beschrieben werden (z.B. Volumen V und Teilchenzahl N für ein Gas, Magnetisierung M für ein magnetisches System, etc.). Betrachtet man E und X1, X 2, ..., X n als n+1 unabhängige Variablen, dann möchte man auch die folgenden n+2 Variablen als Funktionen dieser unabhängigen Variablen ausdrücken: die zu X 1, X 2, ..., Xn gehörenden intensiven Variablen f 1, f 2, ..., f n (z.B. -p zu V und µ zu N, wobei p der Druck und µ das chemische Potential ist, oder das Magnetfeld H zur Magnetisierung M), sowie die extensive Größe Entropie S

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mit der zugehörigen intensiven Größe absolute Temperatur T. Es kann von Vorteil sein, einen anderen Satz von n+1 Variablen als unabhängig zu betrachten (z.B. weil experimentell leichter zugänglich), und dann die restlichen n+2 Variablen wiederum durch sogenannte Zustandsgleichungen als Funktionen der unabhängigen Variablen auszudrücken. Damit läßt sich die zweite Aufgabe der Thermodynamik leicht formulieren: Bestimmung der Zustandsgleichungen für ein gegebenes Problem. Dabei ergeben sich verschiedene Fragen: Wieviele Zustandsgleichungen benötigt man, um ein System vollständig zu charakterisieren? Welche Konsistenzbedingungen zwischen verschiedenen Zustandsgleichungen sind zu berücksichtigen? Zum Beispiel gibt es für Gase eine allgemeine Konsistenzbedingung, ∂E ( T, V, N ) ∂p ( T, V, N ) ----------------------------- = T ---------------------------- – p ( T, V, N ) . ∂V ∂T Ist also etwa E unabhängig von V, so muß p linear in T sein (vgl. ideales Gas). Um Inkonsistenzen und Redundanzen in den Zustandsgleichungen zu vermeiden, werden wir die Idee von thermodynamischen Potentialen einführen. Aus dem entsprechenden thermodynamischen Potential lassen sich bei gegebener Liste von unabhängigen Zustandsvariablen alle anderen Variablen bestimmen. Die Idee der thermodynamischen Potentiale spielt eine zentrale Rolle im Formalismus der Thermodynamik. Die Bestimmung eines thermodynamischen Potentials für ein konkretes System geht über den Formalismus hinaus und verlangt Experimente oder theoretische Ableitungen (im Rahmen der Statistischen Mechanik). Formalismus der Thermodynamik: Der hier gewählte Zugang zur Thermodynamik, insbesondere die Konstruktion von thermodynamischen Potentialen, beruht auf grundlegenden Erfahrungen, den sogenannten Hauptsätzen der Thermodynamik, nicht auf einer theoretischen Ableitung aus den Prinzipien der Mechanik. Vorteile dieses Zugangs: • Allgemeingültigkeit • Bequemlichkeit für Anwender • Begriffliche Klarheit (nicht an spezielles System gebunden) • Historischer Ursprung (Wärmelehre, nicht Mechanik) • Strenge Herleitung der Thermodynamik aus der Statistischen Mechanik bisher nicht möglich Nachteile dieses Zugangs: • Auf (lokales) Gleichgewicht beschränkt • Thermodynamisches Potential bleibt unbestimmt (Vorhersagekraft auf Relationen beschränkt) • Zeitlicher Verlauf der makroskopischen Variablen nicht berechenbar

2.2 Der erste Hauptsatz (Energieerhaltung) (Honerkamp & Römer, S.159-160; Römer & Filk, S.11-14; Chandler, S.4-8; Höfling, S.339-346)

Problem: Was bedeutet ‘Wärme’? Wie hängt dieser Begriff mit dem der Energie zusammen? Vorbemerkung: Wir betrachten zunächst nur homogene Systeme. Für allgemeine heterogene Systeme zerlegen wir das Gesamtsystem in homogene Teilsysteme und addieren die Energie (und andere extensive Zustandsvariablen) der Teilsysteme auf.

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Was ist Energie? Beispiele (kinetisch, potentiell, ...), Eigenschaften (erhalten, extensiv, bestimmt die Zeitentwicklung eines mechanischen Systems), Einheiten (kWh, kcal, Größenordnung von Umrechnungsfaktoren [1 kWh=859.8 kcal; vgl. die Preise für Strom, Schokolade und Zucker]); experimentelle Bestimmung der spezifischen Wärme von Flüssigkeiten nach Joule. Der erste Hauptsatz: Die Gesamtenergie eines thermodynamischen Systems ist eine extensive Zustandsvariable, deren Wert sich in einem abgeschlossenen System nicht mit der Zeit ändert. Die Energie eines offenen Systems kann sich demnach nur durch Energieaustausch mit der Umgebung ändern: dE = δQ + δW , wobei dE der Zuwachs in der Zustandsvariablen E des Systems ist, δQ die zugeführte Wärme (ein Symbol, nicht auffaßbar als Zuwachs in einer Zustandsvariablen Q), δW die Arbeit am System (besser: “Nichtwärme”). Allgemein: δW =

∑ fi dXi

= f ⋅ dX ,

z.B.: δW = – pdV + µdN + H ⋅ dM + ...

i

Anmerkungen: (i) Idee der adiabatischen Wände (wärmeundurchlässig); Bestimmung von δQ durch Vergleich mit adiabatischen Zustandsänderungen. (ii) Beispiel Mikrowellenherd: Temperaturerhöhung nicht durch Zufuhr von Wärme (vgl. Backröhre, Wasserbad), sondern durch elektromagnetische Strahlung.

2.3 Der zweite Hauptsatz (Entropiebilanz) (Honerkamp & Römer, S.160-162; Römer & Filk, S.14-18; Chandler, S.8-16; Callen, S.25-31) Typische Probleme der Thermodynamik: E 1, V 1, N 1

E 2, V 2, N 2

Welcher Endzustand stellt sich ein, wenn man folgendes erlaubt? • Wärmeaustausch zwischen den beiden Teilsystemen • Volumenaustausch (bewegliche Trennwand) • Teilchenaustausch, evtl. nur eine Sorte (Löcher in der Trennwand) • Wärmeaustausch mit der Umgebung (äußere Wand ohne Wärmeisolation)

Problem: Diese Fragen lassen sich bisher nicht beantworten, so daß wir ein zusätzliches Prinzip einführen müssen. “Offensichtlich” gibt es Anfangszustände, die wir niemals als Ergebnis einer spontanen Fluktuation erwarten würden. Wir haben ein Gefühl dafür, daß im Endzustand Unterschiede ausgeglichen werden, daß große (“verrückte”) Fluktuationen nicht spontan auftreten. Dieses Gefühl wird durch Einführung der Zustandsvariablen Entropie präzisiert, die anzeigt, in welcher Richtung sich das System entwickelt (“Ausgleich” entspricht Vergrößerung der Entropie). Die Einführung eines derartigen Konzepts ist zwingend, wenn man die obigen Fragen beantworten

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will, nachdem man durch Beschränkung auf einen kleinen Variablensatz die Dynamik des Systems nicht mehr vollständig beschreiben kann. Konzept der Temperatur (siehe auch Kuypers, S.181-191): Vorbemerkung: Wenn zwei Systeme Energie nur in Form von Wärme austauschen, stellt sich ein thermisches Gleichgewicht ein. Dadurch ist eine Äquivalenzrelation (intuitiv: “gleich warm”) zwischen den Zuständen verschiedener Systeme definiert. Der nullte Hauptsatz: Es gibt für jedes thermodynamische System eine intensive Zustandsvariable ϑ, empirische Temperatur genannt, so daß Systeme sich genau dann miteinander im thermischen Gleichgewicht befinden, wenn sie in Zuständen zu gleichem Wert von ϑ sind. Größere Werte von ϑ entsprechen wärmeren Zuständen. Anmerkungen: (i) Mit ϑ ist auch jede streng monoton wachsende Funktion f(ϑ) eine empirische Temperatur. (ii) Temperaturmessung: Man kann ein festes System wählen und alle Variablen bis auf eine festhalten: die frei veränderliche Variable nimmt im thermischen Gleichgewicht mit dem System, dessen Temperatur zu messen ist, einen Wert an, den wir als empirische Temperatur verwenden können (falls dieser Wert für wärmere Zustände strikt zunimmt). Beispiele: Quecksilberthermometer, Gasthermometer, Bimetallthermometer, Widerstandsthermometer, Strahlungspyrometer, Thermoelement (siehe Aufgabe 1). Der zweite Hauptsatz: Es gibt eine intensive Zustandsvariable T (absolute Temperatur) und eine extensive Zustandsvariable S (Entropie), so daß für ein homogenes System im Gleichgewicht gilt: dE = TdS + f ⋅ dX Die Entropie eines abgeschlossenen Systems (das aus mehreren homogenen Teilsystemen bestehen kann) nimmt niemals ab und erreicht im Gleichgewichtszustand ein Maximum (das durch die vorgegebenen Randbedingungen bestimmt ist). Anmerkungen: (i) Der Begriff Entropie (innewohnende Fähigkeit zum Wandel des Zustands) wurde 1865 von R. Clausius in Anlehnung an den Begriff Energie (innewohnende Fähigkeit zur Arbeitsleistung) geprägt. (ii) Der erste Teil des zweiten Hauptsatzes beschreibt den Austausch von Entropie (und löst damit die zugeführte Wärme δQ auf), während der zweite Teil eine Aussage über die Erzeugung von Entropie in einem System macht. (iii) Die Entropie ist nur für Gleichgewichtssysteme definiert. Die Maximierung ist dann so zu verstehen, daß der globale Gleichgewichtszustand eine höhere Entropie besitzt, als wenn das System aus verschiedenen Teilsystemen besteht (z.B. durch innere Nebenbedingungen gegeben, oder verschiedene Phasen), deren Entropie definiert ist (Gleichgewicht in jedem Teilsystem) und über die Teilsysteme aufsummiert werden kann (Extensitivität der Entropie). (iv) Durch die Forderung, daß die Entropie extensiv sein soll, sind T und S bis auf einen Faktor festgelegt. Durch die Definition der Einheit 1 K (Kelvin) wird auch über diesen Faktor verfügt (am Tripelpunkt des Wassers, d.h. am eindeutigen Koexistenzpunkt von Flüssigkeit, Dampf und Eis, beträgt die Temperatur definitionsgemäß 273,16 K).

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(v) Aus dem zweiten Hauptsatz folgt, daß Energie vom wärmeren zum kälteren System fließt, bis die Temperaturen ausgeglichen sind. (vi) Historische Formulierungen des zweiten Hauptsatzes: • Es ist unmöglich, Wärme von einem kälteren zu einem wärmeren Reservoir zu bringen, ohne in der Umgebung irgendwelche Veränderungen zu hinterlassen (R. Clausius). • Es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu konstruieren, die weiter nichts bewirkt, als Arbeit zu leisten und ein Wärmereservoir abzukühlen (W. Thomson = Lord Kelvin) (vii) Beim nicht umkehrbaren Übergang von einem Nichtgleichgewichtszustand in einen Gleichgewichtszustand nimmt die Entropie zu (Auszeichnung einer Zeitrichtung). Bei reversiblen Zustandsänderungen können daher nur Gleichgewichtszustände durchlaufen werden (quasi-statische Prozesse, unendlich langsam durchgeführt). (viii) Der zweite Hauptsatz macht nur über Entropiedifferenzen Aussagen. Absolute Werte werden erst durch den von W. Nernst 1918 formulierten dritten Hauptsatz festgelegt (der letztendlich nur mit Hilfe der Quantenstatistik zu verstehen ist). Der dritte Hauptsatz: Beim absoluten Nullpunkt T = 0 nähert sich die Entropie eines Systems im Gleichgewicht einem von Volumen, Druck, Aggregatszustand ... unabhängigen kleinstmöglichen Wert S 0 = 0 .

2.4 Die Gibbssche Fundamentalform (Honerkamp & Römer, S.162; Chandler, S.20-25)

Problem:

Welche konkreten und praktischen Informationen lassen sich aus der Existenz der Zustandsvariablen Entropie herausziehen? Gibbssche Fundamentalform: dE = TdS + ∑

n f dXi i=1 i

Da der Zustand eines Systems vollständig durch die Werte der Variablen E und X beschrieben werden kann: S = S(E, X )

als Zustandsvariable ⇒ E = E(S, X)

Verwendet man S und X als unabhängige Variablen, dann erkennt man, daß sich die innere Energie nicht nur durch die explizit kontrollierbaren Variablen X beeinflussen läßt, sondern auch durch S (“Wärme” = “der Rest” wird durch die Entropie erfaßt). Ist die Funktion E(S, X) für ein gegebenes System bekannt, dann ergibt sich aus der Gibbsschen Fundamentalform: ∂E(S, X) T(S, X) = --------------------- , ∂S

∂E(S, X) f i (S, X) = --------------------∂Xi

Die Funktion E(S, X) enthält somit die gewünschte Information über alle Zustandsgleichungen; man nennt E(S, X) deshalb auch ein thermodynamisches Potential.

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Auch die Funktion S = S(E, X ) kann als thermodynamisches Potential verwendet werden. Nach der folgenden Umschreibung der Fundamentalform, fi 1 n dS = --- dE – ∑ --- dX i , i = 1T T erhält man 1 ∂S(E, X) ------------------ = --------------------- , ∂E T(E, X)

f i (E, X) ∂S(E, X) - ------------------ = --------------------∂X i T(E, X)

Maxwellsche Relationen: Aus der Vertauschbarkeit zweiter Ableitungen erhalten wir die folgenden Konsistenzbedingungen, die als Mawellsche Relationen bekannt sind (diese Bedingungen können direkt auf dem Level der Zustandsgleichungen f i (S, X) , T(S, X) , d.h. ohne Kenntnis eines thermodynamischen Potentials, überprüft werden): 2 ∂f i (S, X) ∂f j (S, X) ∂ E(S, X) ------------------------ = -------------------- = -------------------∂X j ∂X i ∂X i ∂X j 2 ∂f i (S, X) ∂T(S, X) ∂ E(S, X) ------------------------ = --------------------- = -------------------∂S ∂S∂X i ∂X i

Aus dem extensiven Charakter aller Variablen in E(S, X) ergibt sich die Beziehung E = TS + ∑

n fX i=1 i i

oder, zusammen mit der Gibbsschen Fundamentalform, auch SdT + ∑

n X df i=1 i i

= 0.

Diese Gleichung ist als Gibbs-Duhem-Beziehung bekannt. Beispiel Gas: E = TS – pV + µN

SdT – Vdp + Ndµ = 0

Für intensive Funktionen findet man: S N p ( S, V, N ) = p  ---, ---- V V S N T ( S, V, N ) = T  ---, ----  V V

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2.5 Thermodynamische Potentiale (Römer & Filk, S.18-20; Honerkamp & Römer, S.141-142; Chandler, S.16-20; Callen, S.137-148; Reichl, S.32-41)

Problem: Im vorigen Abschnitt wurde E(S, X)

als thermodynamisches Potential eingeführt. Da

T viel leichter zu messen ist als S, würde man im allgemeinen gerne T und X als unabhängige Variablen zur Beschreibung eines thermodynamischen Systems verwenden. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob und wie man nach Auswahl geeigneter unabhängiger Variablen für ein gegebenes Problem die restlichen Zustandsvariablen aus einem thermodynamischen Potential durch Differenzieren gewinnen kann. Legendre-Transformationen: Aus der Gibbssche Fundamentalform ergibt sich mit Hilfe der Produktregel: d ( E – TS ) = – S dT + f ⋅ dX Freie Energie: F = E – TS T(S, X) ⇒ S(T, X) und dann: F(T, X) = E(S(T, X), X) – TS(T, X) ∂F(T, X) ---------------------- = – S(T, X) , ∂T

∂F(T, X) ---------------------- = f i (T, X) . ∂Xi

Derartige Transformationen sind als Legendre-Transformationen bekannt. Oft kontrolliert man lieber den Druck als das Volumen, und man führt deshalb weitere Legendre-Transformationen durch. Übersicht über thermodynamische Potentiale: Variablen

thermodynamisches Potential

S, V, N, ... T, V, N, ...

E (oder U)

Name (D)

Name (E)

F = E – TS (oder A)

Energie freie Energie

energy Helmholtz free energy

S, p, N, ...

H = E + pV

Enthalpie

enthalpy

T, p, N, ...

G = E – TS + pV

freie Enthalpie

Gibbs free energy

An der ETH wird die “freie Enthalpie” bei den Physikern auch “Gibbssches Potential” genannt. Für Einstoffsysteme stimmt die freie Enthalpie pro Teilchen mit dem chemischen Potential überein. Beispiele: (i) Ideales Gas: Zusammenstellung einiger wichtiger Formeln (siehe Aufgaben 2, 4 und 5 zu den Details). Elementare Zustandsgleichungen: E = 3NkT ⁄ 2 , pV = NkT Thermodynamische Potentiale:

G ( T, p, N ) = Nµ ( T, p, N ) = – NkT ln ( z˜ T

5⁄2

⁄ p) ,

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z˜ V 3 ⁄ 2 F ( T, V, N ) = – NkT ln  -- ---- T  + 1 k N   5 V 4πmE 3 ⁄ 2 5 5⁄2 Entropie: S = Nk ln ( z˜ T ⁄ p ) + --- = Nk  ln ----  --------------2- + ---  2 2  N 3Nh 2πmk 3 ⁄ 2 Dabei ist z˜ = k  ------------, m die Teilchenmasse und h das Plancksche Wirkungsquantum. 2  h (ii) Magnetisches System bei hohen Temperaturen (entropiedominiert): 2

1 M F(T, N, M) = ------ T ------- , 2c N

c: Curiesche Konstante

Es ergibt sich: 2

1 M S(T, N, M) = – ------ ------- , 2c N

E = 0,

M c ----- = --- H . T N

Paramagnetismus; c/T als magnetische Suszeptibilität pro Teilchen.

2.6 Thermische und kalorische Zustandsgleichungen (Römer & Filk, S.26-29; Honerkamp & Römer, S.162-164)

Problem: Wie kann man ein thermodynamisches Potential aus (experimentell direkter zugänglichen) Zustandsgleichungen rekonstruieren? Gegeben: E(T, X) – kalorische Zustandsgleichung f i (T, X) – n thermische Zustandsgleichungen (auf eine der thermischen Zustandsgleichungen kann man wegen der Gibbs-DuhemBeziehung verzichten) Aufgabe: Konstruiere ein thermodynamisches Potential, z.B. F(T, X) = E(T, X) – TS(T, X) Konsistenzbedingungen (Maxwellsche Relationen): ∂f j (T, X) ∂f i (T, X) --------------------- = --------------------∂X j ∂X i ∂f i (T, X) ∂E(T, X) f i (T, X) – T --------------------- = ---------------------∂T ∂X i Unter diesen Bedingungen kann S(T, X) (und damit auch die freie Energie) als Potential mit den folgenden partiellen Ableitungen aus den Zustandsgleichungen gewonnen werden:

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∂S(T, X) 1 ∂E(T, X) --------------------- = --- ---------------------- , T ∂T ∂T

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∂f i (T, X) ∂S(T, X) --------------------- = – --------------------. ∂X i ∂T

Beispiel: Ideales Gas (siehe Aufgabe 4). Praktisches Vorgehen: Ausgehend von der allgemeinen Form des entsprechenden thermodynamischen Potentials benutzt man die erste Zustandsgleichung (Differentialgleichung für eine der Variablen) um die Abhängigkeit des Potentials von der entsprechenden Variablen zu bestimmen; alle übrigen Variablen treten noch in der Integrationskonstante auf. Sukzessive benutzt man die weiteren Zustandsgleichungen, um die verbleibenden unbekannten Abhängigkeiten zu eliminieren. Die Maxwellschen Relationen garantieren, daß das Ergebnis unabhängig von der Reihenfolge der benutzten Zustandsgleichungen ist. Wegen der Gibbs-Duhem-Beziehung kann man auf eine der Zustandsgleichungen verzichten.

2.7 Materialgrößen (Römer & Filk, S.29-34; Honerkamp & Römer, S.143-145; Reichl, S.42-45)

Problem:

Wie erhält man aus einem thermodynamischen Potential direkt meßbare thermische Materialeigenschaften? Definition einiger Materialgrößen: 1 ∂V ( T, p ) κ = – --- --------------------V ∂p

isotherme Kompressibilität

1 ∂V ( S, p ) κ S = – --- --------------------V ∂p

adiabatische Kompressibilität

∂S ( T, V ) C V = T --------------------∂T

Wärmekapazität bei konstantem Volumen

∂S ( T, p ) C p = T -------------------∂T

Wärmekapazität bei konstantem Druck

1 ∂V ( T, p ) α = --- --------------------V ∂T

isobarer Ausdehnungskoeffizient

1 ∂p ( T, V ) β = --- --------------------p ∂T

isochorer Spannungskoeffizient

Anmerkungen: (i) Wegen des dritten Hauptsatzes gilt: C V → 0 , C p → 0 für T → 0 . ∂E ( T, V ) (ii) C V = ---------------------- ; ∂T

3 C V = --- Nk für ein einatomiges ideales Gas. 2

(iii) C p – C V = pVTαβ ; die Größe α oder β kann mit Hilfe der Identität α = pβκ zugunsten von κ eliminiert werden (siehe Aufgabe 8).

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C p – C V = Nk für ein ideales Gas.

2.8 Gleichgewicht und Stabilität (Römer & Filk, S.34-39; Honerkamp & Römer, S.164-168; Callen, S.203-210; Chandler, S.33-37; Reichl, S.45-52)

Problem: Wie findet man Gleichgewichtszustände thermodynamischer Systeme? Was lernt man aus der Stabilität von Gleichgewichtszuständen? Aus der Analysis wissen wir, daß es, um ein Maximum einer Funktion zu finden, nicht genügt, die erste Ableitung der Funktion gleich null zu setzen; man muß zusätzlich überprüfen, ob die zweite Ableitung kleiner als null ist. Bei Wärmeaustausch zwischen zwei Systemen liefert die Gleichgewichtsbedingung aus dem zweiten Hauptsatz (Maximum der Entropie) für die erste Ableitung T 1 = T 2 . Aus der zweiten Ableitung ergibt sich die folgende Stabilitätsbedingung: 2

∂ S(E, X) -----------------------≤0 2 ∂E

oder umformuliert C V ≥ 0 .

Bei Wärme- und Volumenaustausch zwischen zwei Systemen erhält man die Gleichgewichtsbedingungen T 1 = T 2 und p 1 = p 2 . Die Bedingungen für die zweiten Ableitungen bedeuten dann, daß die durch die Matrix der zweiten Ableitungen von S nach E und V definierte quadratische Form negativ definit ist. Als weitere Beispiele für handlich umformulierte Stabilitätsbedingungen halten wir fest: Cp ≥ 0 , CV ≥ 0 , Cp ≥ CV κ ≥ 0 , κS ≥ 0 T≥0 Um für die Bestimmung von stabilen Gleichgewichtszuständen nicht immer auf das Maximierungsprinzip für die Entropie zurückgreifen zu müssen, seien hier noch einige Umformulierungen des zweiten Hauptsatzes zusammengestellt. Der zweite Hauptsatz besagt ja, daß, wenn man mehrere Teilsysteme zu einem abgeschlossenen Gesamtsystem zusammenfassen kann, die Entropie des Gesamtsystems nicht spontan abnehmen kann und im stabilen Gleichgewicht maximal ist. Weitere Kriterien für stabile Gleichgewichtszustände: 1. In einem System seien folgende Größen konstant: Entropie (Abgabe erzeugter Entropie an die Umgebung ist erlaubt), Volumen, sowie zusätzliche extensive Variablen zur Beschreibung des Systems. Dann nimmt die Energie nicht spontan zu und ist im stabilen Gleichgewicht minimal. [Bei Annäherung ans Gleichgewicht erzeugte Entropie muß abgeführt werden; bei der Wahl der festgehaltenen Variablen gilt für den Austauschterm dE=TdS.] 2. In einem System seien folgende Größen konstant: Entropie (Abgabe erzeugter Entropie an die Umgebung ist erlaubt), Druck, sowie zusätzliche extensive Variablen zur Beschreibung des Systems. Dann nimmt die Enthalpie nicht spontan zu und ist im stabilen Gleichgewicht minimal.

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[Bei Annäherung ans Gleichgewicht erzeugte Entropie muß abgeführt werden; bei der Wahl der festgehaltenen Variablen gilt für den Austauschterm dH=TdS.] 3. In einem System seien folgende Größen konstant: Temperatur (Ankopplung an ein Wärmereservoir), Volumen, sowie zusätzliche extensive Variablen zur Beschreibung des Systems. Dann nimmt die freie Energie nicht spontan zu und ist im stabilen Gleichgewicht minimal. [Erzeugungsterm: F=E-TS wird durch Erzeugung von Entropie im System kleiner; Austauschterm: F bleibt bei der Wahl der festgehaltenen Variablen beim Wärmeaustausch mit dem Reservoir unverändert.] 4. In einem System seien folgende Größen konstant: Temperatur (Ankopplung an ein Wärmereservoir), Druck, sowie zusätzliche extensive Variablen zur Beschreibung des Systems. Dann nimmt die freie Enthalpie nicht spontan zu und ist im stabilen Gleichgewicht minimal. [Erzeugungsterm: E+pV bleibt konstant (Volumen kann sich nur durch Austausch mit der Umgebung ändern), G=E+pV-TS wird durch Erzeugung von Entropie im System kleiner; Austauschterm: G bleibt bei der Wahl der festgehaltenen Variablen beim Wärme- oder Volumenaustausch mit der Umgebung unverändert.] Man beachte, daß für jeden konstant gehaltenen Variablensatz das entsprechende thermodynamische Potential zu minimieren ist, um stabile Gleichgewichtszustände zu finden.

2.9 Zusammenfassung der Vorgehensweise (Callen, S.283-287)

Problem: Wie packt man thermodynamische Problemstellungen an? Wenn wir in Zukunft ein thermodynamisches Problem behandeln wollen, sollten wir nicht immer wieder bis auf die Grundlagen des ersten und zweiten Hauptsatzes zurückgehen. Die in den Hauptsätzen der Thermodynamik zusammengefaßten, grundlegenden Erfahrungen sind lediglich als Hintergrund für die folgende Vorgehensweise zu verstehen:

Für ein gegebenes Problem überlege man sich zunächst, welche intensiven und extensiven Variablen zur vollständigen (d.h. reproduzierbaren) Beschreibung des Problems benötigt werden. Dann wähle man einen geeigneten Satz unabhängiger Variablen und mache sich klar, was das zugehörige thermodynamische Potential ist. Dieses thermodynamische Potential hat man aus experimentell gewonnenen Zustandsgleichungen oder mit Hilfe der Statistischen Mechanik zu bestimmen. Es muß gewisse, allgemeine Bedingungen erfüllen (Extensivität, Stabilität, 3. Hauptsatz). Ist das thermodynamische Potential einmal bekannt, dann kann man alle Zustandsgleichungen und die thermodynamisch stabilen Zustände des Systems bestimmen (Phasendiagramme). Man kann das betrachtete System auch in Wechselwirkung mit anderen Systemen (z.B. Wärmereservoirs) bringen (Wärme/Kältemaschinen). Bei bekanntem thermodynamischen Potential muß man für die Anwendungen der Thermodynamik nur differenzieren können. Sind nur die Zustandsgleichungen bekannt, so muß man auch integrieren können, um ein thermodynamisches Potential zu bestimmen. Die Analysis von Funktionen mehrerer Variablen ist daher zentrales und unverzichtbares Rüstzeug für die Thermodynamik.

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Verständnisfragen V1.

Welche zusätzliche Eigenschaft muß ein geschlossenes System haben, um ein abgeschlossenes System zu sein?

V2.

Was sind ‘intensive’ und ‘extensive’ Variablen? Geben Sie je drei Beispiele.

V3.

Nennen Sie drei Paare von ‘konjugierten’ Variablen (für Systeme Ihrer Wahl). In welchem Zusammenhang steht der Begriff der ‘konjugierten’ Variablen mit den thermodynamischen Potentialen? Wieso muß die konjugierte Variable einer extensiven (intensiven) Variablen intensiv (extensiv) sein?

V4.

Wie kann man am Beispiel des Mikrowellenherdes erklären, daß es keine Zustandsvariable ‘Wärme’ gibt?

V5.

Was ist über das Vorzeichen der Entropieänderung bei geschlossenen, abgeschlossenen und offenen Systemen zu sagen?

V6.

Warum wird heutzutage der Tripelpunkt des Wassers zur Definition des Kelvins herangezogen?

V7.

Wie lautet die Gibbs-Duhem Beziehung? Worauf beruht sie?

V8.

Erläutern Sie die Bedeutung von Legendre-Transformationen in der Thermodynamik! In welchem Zusammenhang steht die Legendre-Transformation mit den Begriffen ‘konjugierte Variable’, ‘intensive Variable’ und ‘extensive Variable’?

V9.

Welche Beziehungen für ein ideales Gas kennen Sie auswendig? Ist eine dieser Beziehungen ein Ausdruck für ein thermodynamisches Potential? Wie kann ein thermodynamisches Potential gewonnen werden?

V10. Welches thermodynamische Potential ist zu wählen, wenn Sie ein System bei kontrollierbarem Druck p und kontrollierbarer Temperatur T beschreiben wollen? Die analoge Frage ist für die Paare (p, S), (V, T) und (V, S) zu beantworten. Welches ist die physikalische Bedeutung der partiellen Ableitungen dieses Potentials nach seinen Variablen? V11. Wie heißen die Konsistenzbedingungen, welche man beim Aufstellen von thermodynamischen Zustandsgleichungen beachten muß? Wie leitet man diese Konsistenzbedingungen her? Führen Sie die Herleitung einer solchen Konsistenzbedingung am Beispiel eines Systems durch, welches durch eine freie Energie der Form F(T,V,N) beschrieben wird. V12. Wie erhält man Materialeigenschaften wie Kompressibilitäten oder Wärmekapazitäten aus einem thermodynamischen Potential? V13. Was kann über die thermodynamischen Potentiale im Zusammenhang mit dem Erreichen und der Stabilität von Gleichgewichtszuständen gesagt werden? Wie stellt man den Zusammenhang zwischen der Stabilitätsbedingung und den Materialeigenschaften des Systems her?

Aufgabe 1: Thermometer Erklären Sie die Prinzipien, auf denen die folgenden Thermometer beruhen: a) Quecksilberthermometer b) Gasthermometer c) Bimetallthermometer d) Widerstandsthermometer e) Strahlungspyrometer f) Thermoelement. Suchen Sie Informationen zum jeweiligen Temperaturbereich und der Genauigkeit. Warum war Quecksilber als Thermometerflüssigkeit eine besonders glückliche Wahl?

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Aufgabe 2: Partielle Ableitungen a) Berechnen Sie für die Funktion F ( T, V, N ) = – kTN ln (cT

3⁄2

V ⁄ N)

∂F

die partiellen Ableitungen   und ∂ V T, N

 ∂F  ∂ T V, N , wobei k und c Konstanten bezeichnen.

b) Berechnen Sie für die Funktion

5⁄2 G ( T, p, N ) = kTN [ 1 – ln (c˜ T ⁄ p)]

∂G

die partiellen Ableitungen   und ∂ p T, N

 ∂G , wobei k und c˜ wiederum Konstanten sind.  ∂ T  T, N

(Anmerkung: Diese Funktionen wurden so gewählt, daß F die freie Energie und G die freie Enthalpie eines idealen einatomigen Gases beschreibt.)

Aufgabe 3: Integrabilitätsbedingung Ein Vektorfeld ( f 1 ( x 1, …, x n ), …, f n ( x 1, …, x n ) ) erfüllt die Integrabilitätsbedingung, falls für alle Indexpaare (i, k) die Beziehung

∂fi ∂f k = ∂ xk ∂ xi

erfüllt ist. In diesem Fall gibt es eine Funktion (Potential) φ ( x 1, …, x n ) , so daß

 ∂φ , …, ∂φ  = ( f , …, f ) . Prüfen Sie, ob in den folgenden Fällen die Integrabilitätsbedingung gilt: 1 n  ∂ x1 ∂ x n ( f x ( x, y, z ), f y ( x, y, z ), fz ( x, y, z ) ) = ( 0, 0, c )

a) für die dreikomponentige Funktion

, wobei c=const. (zum Beispiel Gra-

vitationsfeld in Erdnähe). b) für die zweikomponentige Funktion (fT (T, p), fp (T, p)) mit

5⁄2 5 f T ( T, p ) = kN [ 1 – ln (c˜ T ⁄ p ) ] + kTN – -----2T

und

kTN fp ( T, p ) = ---------- , wobei k, N und c˜ Konstanten sind. p

Aufgabe 4: Konstruktion eines thermodynamischen Potentials (Ideales Gas) Konstruieren Sie ein thermodynamisches Potential aus der kalorischen Zustandsgleichung E = 3NkT ⁄ 2 und der thermischen Zustandsgleichung pV = NkT . Dabei bezeichnet E die innere Energie, k die Boltzmann-Konstante, T die absolute Temperatur, p den Druck und V das Volumen). Die Teilchenzahl N soll als Konstante betrachtet werden. Hinweise: Wählen Sie zuerst die unabhängigen Variablen und das zugehörige Potential; drücken Sie die obigen Zustandsgleichungen durch das gewählte Potential aus; bei der Integration können die Integrationskonstanten von den anderen Variablen abhängen!

Aufgabe 5: Legendre-Transformation Die Legendre-Transformation einer Funktion f(x) ist eine Transformation von der Variablen x zu der Variablen y =

∂ f ( x ) und ist wie folgt definiert: ∂x y( x) =

∂ f( x) ∂x

→ x = x ( y ) und daraus:

Lf ( y ) = f ( x ( y ) ) – y ⋅ x ( y )

.

(Falls die Funktion f(x) noch von anderen Variablen als x abhängt, verhalten sich diese während der Legendre-Transformation wie Konstanten.) Berechnen Sie die Legendre-Transformierte der freien Energie bezüglich der Variablen V, wobei F ( T, V, N ) = – kTN ln (cT

3⁄2

V ⁄ N)

.

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Aufgabe 6: Thermodynamisches Potential für die Feder Wir betrachten eine Feder der Länge (Dehnung) L und Masse M, mit temperaturabhängiger Federkonstante h(T). Die thermischen Zustandsgleichungen ergeben für die Federkraft f (die zu L konjugierte intensive Variable) L f ( T, L, M ) = h ( T ) ----M

und für das chemische Potential µ (die zu M konjugierte intensive Variable) 2

1 L µ ( T, L, M ) = – --- h ( T ) ------2- . Die kalorische Zustandsgleichung lautet 2 M

2

M ∂h ( T ) L E ( T, L, M ) = -----  h ( T ) – T -------------- ------2- . 2 ∂T  M

Berechnen Sie das thermodynamische Potential F(T,L,M) (freie Energie). Für die Berechnung der Integrationskonstanten ist zu beachten, daß F extensiv sein muß.

Aufgabe 7: Experimentelle Bestimmung von Zustandsgleichungen Überlegen Sie sich mögliche Versuchsanordnungen zur Bestimmung der thermischen Zustandsgleichungen für die folgenden beiden Systeme: a) Gas (bestimmt durch E(S,V,N)): thermische Zustandsgleichung für p, b) magnetisches System (bestimmt durch E(S,V,M)): thermische Zustandsgleichung für M. Welche Größen sind überhaupt experimentell zu bestimmen?

Aufgabe 8: Relation zwischen den Wärmekapazitäten Beweisen Sie die folgende Relation zwischen den Wärmekapazitäten C p und CV : ∂p  ∂V C p – CV = T   ∂ T V, N  ∂ T p, N

.

Hinweis: Drücken Sie C p als partielle Ableitung der Entropie aus, ersetzen Sie diese partielle Ableitung gemäß dem 1. Hauptsatz durch andere partielle Ableitungen.

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3. Anwendungen der Thermodynamik

3.1 Kreisprozesse und Wärmemaschinen (Römer & Filk, S.20-25; Honerkamp & Römer, S.145-155; Höfling, S.372-383; Callen, S.91-130)

Problem: Welche Grenzen setzt die Thermodynamik für die Umwandlung von Wärme in mechanische Arbeit? (Eine klassische Frage, deren Beantwortung sehr stark zur Entwicklung der Thermodynamik beigetragen hat.) Einige Begriffe: Prozeß: (Stetiger) Übergang eines Systems von einem Zustand in einen anderen; nur Anfangs- und Endzustand interessieren. Kreisprozeß: Nach einer gewissen Zeit (“Periode”) stimmt der Endzustand mit dem Anfangszustand überein. Realisierung eines Prozesses: Angabe aller Zwischenzustände von System und Umgebung. Wärmereservoir (zur Temperatur T): Ein System, das nur Energie in Form von Wärme mit anderen Systemen austauschen kann und dabei konstante Temperatur (T) behält (Beispiele: genügend große Systeme, Wasser-Eis-Gleichgewichtssystem). Eigenschaften von Prozessen:

isotherm (T=const) isobar (p=const) isochor (V=const) isentrop (S=const) isoenergetisch (E=const)

Eigenschaften von Prozeßrealisierungen: • reversibel (man kann ohne Änderungen in System und Umwelt zum Ausgangspunkt zurückkehren) • adiabatisch (ohne Austausch von Entropie mit der Umgebung) Z.B.: Ein adiabatisch realisierter, isentroper Prozeß muß reversibel realisiert sein. Isotherme Expansion eines idealen Gases: (i) Reversible Realisierung:

System: p, V, T

Wärmereservoir

kleine Gewichte, nach und nach wegnehmen V1 → V2

T = const ⇒ E = const V2

A =

∫ p dV V1

V2

=

NkT

- dV ∫ --------V V1

V2 = NkT ln -----V1

T∆S vom Wärmereservoir aufgenommen ⇒ ∆S = Nk ln V2 – Nk ln V1

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(ii) Adiabatische (irreversible) Realisierung: Entropieerzeugung Zwischenwand herausziehen

System: p, V, T

(während der Expansionsphase können keine Aussagen gemacht werden)

Carnot-Maschine (Carnotscher Kreisprozeß): Entropieaufnahme von einem Wärmereservoir bei hoher Temperatur T 1 (isotherme Expansion), Abkühlung auf die Temperatur T 2 bei konstanter Entropie (adiabatische Expansion), Entropieabgabe an ein Wärmereservoir bei der Temperatur T 2 (isotherme Kompression), Erwärmung auf die Temperatur T 1 bei konstanter Entropie (adiabatische Kompression): T Arbeit T1 T2

Aufgenommene Wärmeenergie: Q 1 = T 1 ∆S Abgegebene Wärmeenergie: Q 2 = T 2 ∆S Geleistete Arbeit: Q 1 – Q 2 T1 – T2 Q1 – Q2 Wirkungsgrad: η max = ------------------- = ----------------- < 1 Q1 T1

S1

S2

S

(optimaler Wirkungsgrad bei reversibler Realisierung)

Zur Diskussion des Carnotschen Kreisprozesses im p-V-Diagramm siehe Aufgabe 9. Wärmepumpe: Durch Arbeit wird einem System höherer Temperatur (Haus) Wärmeenergie zugeführt, wobei einem Wärmereservoir niedrigerer Temperatur (Umgebungsluft) Wärmenergie entnommen wird.

3.2 Die Gibbssche Phasenregel (Hudson, S.39-49; Reichl, S.85-87; Callen, S.245-248; Römer & Filk, S.41; Chandler, S.29-38)

Problem:

Wieviele unabhängige Variablen benötigt man, um die Gleichgewichtszustände von mehrphasigen Systemen zu beschreiben und somit etwa die Stabilität von Mischungen oder Legierungen vorherzusagen? Welche Variablen kann man vorteilhaft verwenden? Phasen: Homogene (bis in den molekularen Bereich!), durch scharfe Trennlinien abgegrenzte, physikalisch unterscheidbare Zustandsformen (im Gleichgewicht!) der Stoffe. Beispiele: Wasser – feste, flüssige, gasförmige Phase (verschiedene Aggregatszustände); Kristalle – verschiedene Kristallformen; Magnetische Systeme – ferromagnetische, paramagnetische Phase.

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Heterogene Gleichgewichtssysteme: Man betrachte die einzelnen Phasen eines heterogenen Gleichgewichtssystems als Teilsysteme und addiere deren extensive Variablen auf, um die extensiven Variablen des Gesamtsystems zu erhalten; z.B. erhält man für P verschiedene Phasen: P

E =

P

∑ Eα ,

S =

α=1

P

∑ Sα ,

α=1

V =



Vα ,

α=1

wobei Grenzflächeneffekte (der Ordnung N orten hat man weiterhin:

2⁄3

) vernachlässigt sind. Für B verschiedene Teilchens-

P



Ni =

N iα , wobei N iα für die Zahl der Teilchen der Sorte i im Teilsystem α steht (i=1...B).

α=1

Umverteilungen der Größen E, S, V, N i zwischen den verschiedenen Teilsystemen sind möglich. Gleichgewichtsbedingungen: T 1 = T 2 = ... = T P p 1 = p2 = ... = p P µ 11 = µ 12 = ... = µ 1P .. .

diese intensiven Zustandsvariablen sind also durch das gesamte, mehrphasige System hindurch konstant

µ B1 = µ B2 = ... = µ BP Frage: Wieviele intensive Variablen benötigt man, um ein heterogenes Gleichgewicht von P Phasen aus B Teilchensorten zu beschreiben? (Die gesuchte Zahl F ist die Anzahl der thermodynamischen Freiheitsgrade; es ist nur nach den intensiven Variablen gefragt, weil wir uns hier nicht für die Gesamtgröße der einzelnen, koexistierenden Phasen interessieren.) Gibbssche Phasenregel:

F = 2+B–P

Beweis durch Abzählen (Liste der benötigten intensiven Parameter): T, p N 1α N 2α N Bα Zusammensetzung der Phase α: x 1α = -------------- , x 2α = -------------- , ... , x Bα = --------------, N N N ∑ iα ∑ iα ∑ iα i

i

i

wobei wegen x 1α + x 2α + ... + x Bα = 1 nur B-1 unabhängige Parameter zur Charakterisierung der Zusammensetzung der Phase α benötigt werden. Gesamtzahl der Variablen: 2 + P ( B – 1 ) Zahl der Bedingungen an die chemischen Potentiale: B ( P – 1 ) (die Bedingungen, daß die Temperatur und der Druck der verschiedenen Teilsysteme übereinstimmen müssen, sind durch Einführung der globalen Variablen T und p bereits berücksichtigt)

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Durch Differenzbildung erhält man die Gibbssche Phasenregel (und einen Vorschlag, von welchen intensiven Parametern man zur Beschreibung von koexistierenden Phasen ausgehen kann).

3.3 Phasendiagramme für Einstoffsysteme (Honerkamp & Römer, S.170-176; Hudson, S.119-134; Reichl, S.87-99; Römer & Filk, S.42-43)

Problem: Wie sieht ein typisches Phasendiagramm für die Aggregatszustände oder Kristallformen eines Einstoffsystems aus? Wie kann man es graphisch darstellen? Wie kann man die Gestalt des Phasendiagramms mit Umwandlungswärmen in Verbindung bringen? Einstoffsysteme: B=1 (nur eine Teilchensorte), F=3-P (Gibbssche Phasenregel). • Einzelne Phasen lassen sich durch zwei Freiheitsgrade beschreiben (pT-Diagramme). • Zwei Phasen können nur auf Linien im Zustandsdiagramm (pT-Diagramm) koexistieren. • Drei Phasen können nur in einzelnen Punkten des Zustandsdiagramms koexistieren. • Mehr als drei Phasen eines Einstoffsystems können nicht koexistieren. Am Phasendiagramm fest–flüssig–gasförmig läßt sich das typische Phasendiagramm von Einstoffsystemen also vollständig verstehen.

Druck [bar]

Phasendiagramm des Wassers:

C

220.8 fest

flüssig

1.01325 0.00611

T gasförmig

0 0.0098

100

374 Temperatur [°C]

Anmerkungen: (i) Im Tripelpunkt T können die feste, flüssige und gasförmige Phase koexistieren. Dieser nach der Gibbsschen Phasenregel eindeutig bestimmte Punkt wird zur Definition der Einheit Kelvin herangezogen (er liegt bei 273.16 K, während 0°C [als Temperatur des fest-flüssig-Übergangs bei Atmosphärendruck von 1.01325 bar] einer absoluten Temperatur von 273.15 K entspricht).

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(ii) Entlang der flüssig-gasförmig-Koexistenzkurve wird der Dichteunterschied zwischen den beiden Phasen mit zunehmender Temperatur immer geringer, bis er am Punkt C verschwindet. Dieser Punkt C wird auch kritischer Punkt genannt (allgemein: an einem kritischen Punkt entsteht eine neue Phase, hier mit abnehmender Temperatur). Oberhalb der zugehörigen kritischen Temperatur gibt es keinen Unterschied zwischen flüssig und gasförmig mehr. (iii) Das Phasendiagramm von Wasser ist eigentlich wesentlich komplizierter als hier schematisch dargestellt, da es eine Vielzahl verschiedener fester Phasen gibt (siehe Reichl, S. 86). (iv) Die Steigung der Koexistenzkurven in einem Phasendiagramm enthält sehr wichtige thermodynamische Information. Zum Beispiel hängt die negative Steigung der fest-flüssig-Koexistenzkurve im Phasendiagramm des Wassers damit zusammen, daß Eis eine geringere Dichte als flüssiges Wasser hat (deswegen ragen Eisberge aus dem Wasser; der Dichteunterschied ist von der Größenordnung 10%). Wassereis kann deswegen durch Druckanwendung verflüssigt werden (z.B. beim Schlittschuhlaufen unter dem Druck der Kufen). Neben diesen qualitativen Einsichten kann man auch eine quantitative Aussage machen. Wenn man ausnutzt, daß die Änderungen des chemischen Potentials in den koexistierenden Phasen entlang der Koexistenzkurve gleich sein müssen, dann ergibt sich ganz allgemein die Clausius-Clapeyronsche dp ∆s ( T ) Gleichung: ------ = --------------- . dT ∆v ( T ) In dieser Gleichung steht ∆s ( T ) für die Differenz der Entropien pro Teilchen in zwei bei der Temperatur T koexistierenden Phasen, und ∆v ( T ) steht analog für die Differenz der Volumina pro Teilchen in den beiden koexistierenden Phasen. Aus der Steigung der Koexistenzkurve und dem Sprung in der Dichte erhält man also sehr direkt den Sprung in der Entropie pro Teilchen beim Phasenübergang. Führt man einem System bei konstantem Druck Wärme zu, so wird für den Phasenübergang (ohne Temperaturerhöhung) die folgende Umwandlungswärme pro Teilchen (Enthalpie pro Teilchen) benötigt: dp q = T∆s ( T ) = ∆v ( T ) T ------ . dT Beispiel: die Umwandlungswärme für 1 kg Wasser bei Luftdruck beträgt etwa 0.1 kWh für den festflüssig-Übergang und 0.6 kWh für den flüssig-gasförmig-Übergang. (Wieviel ist das in Rappen? Wie groß sind die entsprechenden Werte der Umwandlungswärme in der gebräuchlicheren Einheit kJ/mol?) (v) Die freie Enthalpie G ändert sich beim Phasenübergang stetig (weil sich das chemische Potential stetig ändert). Die ersten Ableitungen von G nach T und p machen einen Sprung (dies ist gleichbedeutend mit einer Entropieänderung bzw. Volumenänderung). In dieser Situation spricht man von einem Phasenübergang 1. Ordnung. Allgemein treten bei einem Phasenübergang n-ter Ordnung Sprünge in den n-ten Ableitungen eines thermodynamischen Potentials auf, während die niedrigeren Ableitungen stetig sind. Am kritischen Punkt C verschwinden die Sprünge ∆s ( T ) und ∆v ( T ) , so daß die ersten Ableitungen von G nach T und p stetig werden und ein Phasenübergang 2. Ordnung vorliegt. Bei einem Übergang 2. Ordnung hat man typischerweise einen Sprung in der Wärmekapazität, während diese bei einem Übergang 1. Ordnung singulär wird. Typisches Stabilitätsverhalten verschiedener Kristallstrukturen (bei Nicht-Übergangselementen; Machlin, S.8-15): fcc (face-centered cubic, kubisch flächenzentriert): ideal dichte Packung; bcc (body-centered cubic, kubisch raumzentriert): weniger dichte Packung.

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Typischerweise ist die Energie der fcc-Struktur niedriger als für die bcc-Struktur. Verwendet man T und p als unabhängige Variablen, sieht die freie Enthalpie im allgemeinen wie folgt aus: G

G

p = const.

T = const. bcc fcc

fcc bcc T

p

∂G S = – ------- ≥ 0 ∂T

∂G V = ------- ≥ 0 ∂p

2

2

∂ G C p = – T ---------2- ≥ 0 ∂T

Übergang 1. Ordnung

1∂ G κ = – --- ---------2- ≥ 0 V ∂p

3.4 Van der Waalssches Gas (Römer & Filk, S.187-192; Huang, S.38-43; Reichl, S.99-102; Callen, S.74-77, 233-243; Sommerfeld, S.45-55)

Problem: Wie soll man die freie Energie eines idealen Gases modifizieren, um den flüssig-gasförmig Übergang beschreiben zu können? Ideales Gas:

3 ⁄ 2V F ( T, V, N ) = – NkT ln  cT ---- N

(siehe Aufgaben 2 und 4; ohne Wechselwirkungen tritt kein Phasenübergang auf)

Van der Waalssches System:

F ( T, V, N ) = – NkT ln cT

3 ⁄ 2 V

2

 – aN --– v -----0 N  V

(der Parameter v 0 führt ein effektives Teilchenvolumen ein, das das freie Volumen für die Bewegung eines Teilchens reduziert [harter Kern, abstoßende Wechselwirkung]; der Parameter a beschreibt eine attraktive Wechselwirkung bei größeren Abständen) Mit dem thermodynamischen Potential F(T, V, N) des van der Waalsschen Systems sind insbesondere alle Zustandsgleichungen gegeben. Führt man v=V/N für das Volumen pro Teilchen ein, erhält man die folgenden Ausdrücke für thermische und kalorische Zustandsgleichung: a  p + ---- ( v – v 0 ) = kT 2  v

2

3 N und E = --- NkT – a ------ (van der Waalssche Zustandsgleichungen). 2 V

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Isothermen: p

T > T∗ T = T∗



T < T∗ V˜

V1

V2

V

Oberhalb der kritischen Temperatur T∗ ist der Druck eine monoton abnehmende Funktion des Volumens, so daß das Stabilitätskriterium κ > 0 erfüllt ist. Unterhalb der kritischen Temperatur T∗ gibt es einen Bereich, in dem der Druck mit dem Volumen zunimmt. Das System wird instabil und zerfällt in zwei Teilsysteme, die Phasen kleineren (flüssig) und größeren (gasförmig) Volumens pro Teilchen entsprechen. Bei vorgegebenem V˜ befinden sich N Teilchen in der dichteren Phase und 1

N 2 Teilchen in der weniger dichten Phase, wobei N 1 und N 2 aus den folgenden Bedingungen zu bestimmen sind (“Hebelgesetz”): N 1 + N 2 = N und ( N 1 ⁄ N )V 1 + ( N 2 ⁄ N )V 2 = V˜ . Während diese Phasen im Gleichgewicht stehen, findet man einen konstanten Druck p˜ , dessen Wert dadurch festgelegt ist, daß die schraffierten Flächen in der obigen Abbildung gleich groß sein müssen (Maxwell-Konstruktion; Druckausgleich erfordert die horizontale Linie; die Gleichheit der chemischen Potentiale liefert die Flächenbedingung [vgl. die nachfolgende alternative Sichtweise]). Alternative Sicht der Maxwell-Konstruktion: (Chandler, S.42-43) F ( T, V, N ) ------------------------N

gemeinsame Tangente ( µ 1 = µ 2 : stetige Verbindung, p 1 = p 2 : differenzierbare Verbindung ∂F wegen p = – ------ ) ∂V

T, N fest

Stabilitätsbedingung: V1 -----N

V˜ ---N

V2 -----N

V ---N

2

∂ F von unten konvex statt --------2- ≥ 0 ∂V

Die Übereinstimmung der Funktionswerte für den instabilen und korrigierten Verlauf von F(T, V, N) bei V 1 und V 2 ist eine aufintegrierte Version der Flächenbedingung für die Maxwell-Konstruktion im pV-Diagramm.

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Universalität von Zustandsgleichungen: Am kritischen Punkt: T∗, p∗, v∗, E∗ T Definiere: T˜ = -----T∗

p p˜ = -----p∗

v v˜ = ----v∗

E e˜ = -----E∗

3 3 ˜  p˜ + ---- ( 3v – 1 ) = 8T˜ , e˜ = 4T˜ – --2  v˜ v˜ Universelle Zustandsgleichungen: qualitativ recht gut erfüllt, aber Zustandsgleichungen:

3 quantitativ p∗ v∗ = 3.4 kT∗ (experimentell) statt p∗ v∗ = --- kT∗ (van der Waals). 8 In der reduzierten Form hängen die Zustandsgleichungen nicht von den detaillierten Wechselwirkungsparametern ab. Diese Beobachtung ist auch als Gesetz der korrespondierenden Zustände bekannt. Entscheidend für das thermodynamische Verhalten von Gasen und Flüssigkeiten ist das Wechselspiel von hartem Kern (abstoßend) und anziehender Wechselwirkung bei größeren Abständen.

3.5 Mehrstoffsysteme (Lösungen, Mischungen, Legierungen) (Hudson, S.223-234, 283-302; Honerkamp & Römer, S.176-184; Machlin, S.37-93; Reichl, S.102106; Davis, S.266-314)

Problem: Welche Ansätze kann man für die freie Enthalpie von Mehrstoffsystemen machen, um Phasendiagramme bei kontrollierten Werten von Temperatur und Druck zu berechnen? Wie sehen typische Phasendiagramme für Mischungen aus? Einige Begriffe: Gemische sind räumliche Anhäufungen verschiedener Stoffe ohne chemische Reaktionen (im Gegensatz zu Verbindungen; Kristallisation sei zugelassen). Man unterscheidet: homogene Gemische = Lösungen (bis zur molekularen Skala) und heterogene Gemische = Gemenge (kolloidal ≤ 0.1µm ≤ grobdispers). Oft wird der Begriff Mischung synonym mit Gemisch verwendet, manchmal werden unter Mischungen auch homogene Gemische von Stoffen im gleichen Aggregatszustand verstanden. Feste Lösungen sind homogene Gemische fester Stoffe (kristallin oder amorph). In Mischkristallen sind die Gitterplätze zufällig durch die Atome oder Ionen der einzelnen Komponenten besetzt. Legierungen bestehen aus einem Grundmetall und (auch nichtmetallischen) Zusätzen. Homogene Legierungen gehören zu den festen Lösungen; heterogene Legierungen können entstehen, wenn die Komponenten mindestens zwei verschiedene Phasen bilden können. Beschreibung einzelner Phasen: Nach der Gibbsschen Phasenregel benötigt man zur Beschreibung einer Phase F=B+1 intensive Zustandsvariablen. Wir verwenden: T, p, x 1, ..., x B wobei x 1 + ... + x B = 1 .

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(Zur Erinnerung: x i ist der Teilchenzahlanteil von Teilchen der Sorte i.) Ansatz für die freie Enthalpie pro Teilchen (g=G/N): B

g ( T, p, x 1, ..., x B – 1 ) =

B

∑ xi gi ( T, p ) + kT ∑ xi ln xi + g i=1

ex

( T, p, x1, ..., x B – 1 ) .

i=1

Im ersten Term ist g i ( T, p ) die freie Enthalpie pro Teilchen der Teilchensorte i in einer geeigneten Referenzphase (z.B. ähnliche Kristallform wie im Mehrstoffsystem). Der zweite Term rührt von der Mischungsentropie her: bei Vernachlässigung aller Teilchenwechselwirkungen erhöht sich die Entropie dadurch, daß jedem Teilchen jeder Sorte ein größeres Volumen zur Verfügung steht. Die Unkenntnis über die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Teilchensorten ist in den dritten, sogenannten Überschußterm (“ex” wie Exzeß) gesteckt. Wo x B auftritt, ist es durch 1 – ( x 1 + ... + x B – 1 ) zu ersetzen. Obwohl mit dem obigen Ansatz die Unkenntnis nur verschoben ist, kann er dennoch nützlich sein, weil sich für den Überschußterm einfachere Ansätze machen lassen, nachdem einige wichtige physikalische Effekte schon separat berücksichtigt sind. Chemische Potentiale: B–1

N1 NB – 1 ∂ µ i = -------- Ng  T, p, ------ , ..., -------------  ∂N i N N 

∂g ∂g ------- + g – ∑ x j ------∂x i ∂x j

für i = 1, ..., B – 1

j=1 B–1

=

∂g g – ∑ x j ------∂x j

für i = B

j=1

B

Beachte: g =

∑ xi µi . i=1

Deshalb wird g j = µ j auch als partielle freie Mischungsenthalpie bezeichnet. Allgemeine Idee der partiellen Mischungsgrößen: jede Teilchensorte i trägt einen Anteil x i zum Gesamtwert der entsprechenden Größe des Mehrstoffsystems bei. Mit dem eingerahmten Ansatz für g ergibt sich: ex

B–1

ex

∂g ∂g ex µ i ( T, p, x 1, ..., x B – 1 ) = g i ( T, p ) + kT ln x i + ---------- + g – ∑ x j ---------∂x i ∂x j

für i = 1, ..., B – 1

j=1

(für i=B fehlt der Term ∂g

ex

⁄ ∂x i ); g

ex

ex

= g ( T, p, x 1, ..., x B – 1 ) .

Man führt für den Überschußbeitrag zu den chemischen Potentialen auch den Begriff des Aktivitätskoeffizienten f i = f i ( T, p, x 1, ..., x B – 1 ) ein: ex

∂g ex ---------- + g – ∂x i

B–1

∑ j=1

ex

∂g x j ---------- = kT ln f i . ∂x j

Gebräuchlich ist weiterhin der Begriff der Aktivität, ai = x i f i , mit dem man erhält:

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 27

µ i = g i + kT ln a i Man darf sich durch die vielen verschiedenen Begriffe und scheinbar einfachere Gleichungen hier nicht verwirren lassen (und schon gar nicht glauben, daß man durch reine Definitionen entscheidendes erreichen kann): die partielle freie Mischungsenthalpie ist nichts anderes als das chemische Potential, und Aktivität, Aktivitätskoeffizient und Überschußbeitrag zur freien Enthalpie sind gleichwertige Größen. Die zentralen Größen sind die chemischen Potentiale der verschiedenen Teilchensorten, die im Gleichgewicht in den koexistierenden Phasen übereinstimmen müssen. Beispiel - Ideale Lösungen:

g

ex

= 0 , fi = 1 , ai = xi .

Zusätzliche Wechselwirkungen werden dann als “aktive Konzentrationen” a i interpretiert. Binäre Systeme (von jetzt ab werden fast ausschließlich binäre Systeme betrachtet): Phasenregel: F=4-P; maximal 4 Phasen können also koexistieren; zur Beschreibung einer Phase benötigt man 3 Parameter: T, p, x = x 1 ( x2 = 1 – x ) . Meistens hält man den Druck p fest und betrachtet Phasendiagramme in der (x,T)-Ebene; entlang Linien können bei festem Druck 2 Phasen koexistieren, in einzelnen Punkten 3 Phasen, und durch geeignete Einstellung von p kann man Gleichgewichte von 4 Phasen erhalten. Die Druckabhängigkeit der Phasendiagramme wird oft vernachlässigt. ex

Für binäre Systeme gilt:

∂g ex kT ln f 1 = g + ( 1 – x ) ---------∂x ex ∂g ex kT ln f 2 = g – x ---------∂x

Beispiel - Verdünnte Lösungen: kT ln f 1 = g 0

x « 1,

ex

ex

ex

g ( T, p, x ) = x g 0 ( T, p ) kT ln f 2 = 0

f 1 = f 1 ( T, p )

f2 = 1

a 1 ( T, p, x ) = x f 1 ( T, p )

a 2 ( T, p, x ) = 1 – x

Aktivität des gelösten Stoffes: proportional zu x (Henrysches Gesetz)

Aktivität des Lösungsmittels: ideal (Raoultsches Gesetz)

Faustregel: Je näher f 1 an 1 liegt, desto größer ist der Konzentrationsbereich, in dem das Verhalten der Lösung durch das einer verdünnten Lösung beschrieben werden kann (Hudson, S.232). Beispiel Osmose (siehe Aufgabe 13; Honerkamp & Römer, S.179-181; Reichl, S.68-71; Callen, S.302-304)

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 28

Allgemeine Ansätze für g i ( T, p ) : b 2 g ( T, p ) = b 0 – b' 1 T + b 1 T ( 1 – ln T ) – ----2- T + ... 2 C Warum der lnT-Term? Damit c p = -----p- = b 1 + b 2 T + ... N 2

Bis zur Ordnung T werden also vier Parameter pro Teilchensorte benötigt (zur Bestimmung von Gleichgewichten werden nur Differenzen in g i ( T, p ) für verschiedene Phasen benötigt). ex

Allgemeine Ansätze für g ( T, p, x ) : Redlich und Kister: ex

2

g ( T, p, x ) = x 1 x 2 [ c 0 + c 1 ( x 1 – x 2 ) + c 2 ( x 1 – x 2 ) + ... ]

c j = c j ( T, p )

.

c j ( T, p ) wird dann nach T entwickelt. Für mehr als zwei Teilchensorten: Summe der Überschußbeiträge für jedes Paar von Teilchensorten und, wenn nötig, weitere Terme der Form x 1 x 2 x 3 etc. CALPHAD-Projekt (“calculation of phase diagrams”): Tabellierung der Entwicklungskoeffizienten der obigen T-Entwicklungen für einzelne Teilchensorten, Paare von Teilchensorten, etc.; Berechnung von Phasendiagrammen (Machlin, S.82-86). Reguläre Lösungen: ex

g ( T, p, x ) = c 0 ( T, p )x 1 x 2 = λx ( 1 – x ) λ > 0 ( λ < 0 ) entspricht abstoßender (anziehender) effektiver Wechselwirkung zwischen den beiden Teilchensorten. Für λ > 2kT tritt in einem mittleren Konzentrationsbereich Entmischung auf. g ( T , p, x ) Maximum für genügend große λ unendliche Steigung bei x=0,1 durch Entropieeffekte (“ein klein wenig löst sich immer”)

x 0

x'

x''

1

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 29

Phasendiagramm mit unterer Mischungslücke:

T

kritischer Punkt

stabile Mischung Koexistenzkurve (Binodale)

metastabil

instabil

metastabil

Spinodale x 0

1

Es können auch obere Mischungslücken oder untere und obere Mischungslücken zugleich auftreten. Beispiele: (i) Phasendiagramm für zwei mischbare Schmelzen mit lückenloser Mischkristallbildung (Schmelzpunktminimum). (ii) Phasendiagramm für zwei mischbare Schmelzen, die im festen Zustand vernachlässigbar geringe gegenseitige Lösbarkeit aufweisen (Eutektischer Punkt; beim Abkühlen entsteht ein Gemisch von feinen Kriställchen; interessante Materialeigenschaften). (iii) Übersicht über verschiedene Phasendiagramme (Klassifikationsschema). (iv) Weitere Beispiele: siehe Aufgaben 14, 15.

3.6 Chemische Reaktionen (Reichl, S.71-77; Römer & Filk, S.40-41; Chandler, S.111-112; Hudson, S.303-314; Callen, S.292296; Sommerfeld, S.66-71)

Problem: Wie kann man die Gleichgewichtszustände, die sich bei chemischen Reaktionen einstellen, im Rahmen der Thermodynamik beschreiben? Wir betrachten chemische Reaktionen bei konstantem T und p, z.B. die Bildung von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff (alle Reaktionspartner gasförmig): 3H 2 + N 2

2NH 3

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 30

Man führt eine Reaktionslaufzahl λ wie folgt ein: dN H2 = – 3dλ dN N2 = – dλ dN NH3 = 2dλ Allgemein hat man bei einer chemischen Reaktion dN i = ν i dλ , wobei die stöchiometrischen Koeffizienten νi ganze Zahlen sind (bei mehreren Reaktionen hat man für jede Reaktion eine Reaktionslaufzahl). Für die Änderungen in der freien Enthalpie ist eine Kombination der chemischen Potentiale der Reaktionspartner relevant: dG =

∑ µi dNi i

=

∑ νi µi dλ

= Adλ

i

A =

∑ νi µi . i

Die Größe A heißt Affinität der Reaktion. Im Gleichgewicht verschwindet die Affinität, da keine weitere Verringerung der freien Enthalpie durch Veränderung der Reaktionslaufzahl mehr möglich ist. µ i = g i ( T, p ) + kT ln x i (Konzentrationsabhängigkeit für ideale Lösung).

Annahmen:

Für die Druckabhängigkeit bei gasförmigen Reaktionspartnern können wir weiter näherungsweise annehmen, daß sie wie bei einem idealen Gas aussieht (auch die durch die Funktion φ i ( T ) gegebene Temperaturabhängigkeit könnte man aus dem Beispiel des idealen Gases im Abschnitt 2.5 erhalten): µ i = kT [ φ i ( T ) + ln p + ln x i ] . Aus der Bedingung verschwindender Affinität im Gleichgewicht ergibt sich dann nach Exponenzieren das Massenwirkungsgesetz: –



νi xi

= p

∑ν i

i

K(T)

i

  K ( T ) = exp  – ∑ ν i φ i ( T )  .  i 

Mit Hilfe einer Maxwellschen Relation erhält man für die Temperaturabhängigkeit von K(T) das van’t Hoffsche Gesetz: ∂ 2 d kT ------ ln K ( T ) = ------H ( T, p, N 1, N 2, ... ) , dT ∂λ wobei die rechte Seite dieser Gleichung auch als Reaktionswärme bezeichnet wird.

Verständnisfragen V14. Wie läßt sich ein isentroper Prozeß auf verschiedene Arten realisieren? V15. Was versteht man unter einer Carnot-Maschine (Komponenten, Funktionsweise)? V16. Was besagt die Gibbssche Phasenregel? Warum ist der Tripelpunkt von Wasser tatsächlich nur ein Punkt (Begründung mit der Gibbsschen Phasenregel)? Was passiert am kritischen Punkt? V17. Wie sieht für ein System mit einem Phasenübergang 1. Ordnung die freie Enthalpie G als Funktion des Druckes und der Temperatur aus?

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 31

V18. Motivieren Sie die Änderungen beim Übergang vom idealen Gas zum van der Waals Gas. Wie macht sich ein Phasenübergang im Formalismus der Thermodynamik bemerkbar? Wie erkennt man im p-V-Diagramm, daß beim van der Waals Gas bei tiefen Temperaturen ein Phasenübergang eintritt? Wozu muß man die Maxwell-Konstruktion einführen? Warum kann beim idealen Gas ein Phasenübergang ausgeschlossen werden? V19. Wie lauten die Gleichgewichtsbedingungen für ein System aus B Teilchensorten bei P koexistierenden Phasen? V20. Was gewinnt man bei der Diskussion von Mehrstoffsystemen durch die Einführung von Aktivitäten? V21. Wie hängen die Begriffe chemisches Potential und Affinität zusammen?

Aufgabe 9: Carnotscher Kreisprozeß im p-V-Diagramm Stellen Sie den Carnotschen Kreisprozeß im p-V-Diagramm dar. Als Arbeitsmedium in der Maschine soll das ideale, einatomige Gas verwendet werden. Hinweis: Der Carnotsche Kreisprozeß besteht aus den folgenden vier Teilprozessen: isotherme Expansion, adiabatische Expansion, isotherme Kompression, adiabatische Kompression.

Aufgabe 10: Thermodynamische Variablen und Funktionen a) Betrachten Sie ein System, welches aus zwei Teilsystemen besteht. Welche thermodynamischen Größen sind im thermodynamischen Gleichgewicht in beiden Systemen bei freiem Austausch von • Volumen, • Wärme, • Teilchenzahl gleich? Begründung! b) In untenstehendem Diagramm sind die freien Energien für zwei verschiedene Phasen desselben Systems F 1 ( T, V, N ) und F 2 ( T, V, N ) bei konstanter Temperatur T und konstanter Teilchenzahl N dargestellt. Zeichnen Sie die freie Energie F(V) im Hinblick auf die Stabilität des Gleichgewichtes. Begründen Sie Ihre Änderungen! F(V) Phase 1 Phase 2

V c) Sind die thermischen Zustandsgleichungen für das chemische Potential µ = k B T und den Druck p = Nk B T ⁄ V kompatibel? Begründung? d) Warum beschreibt die innere Energie E(T,V,N) ein thermodynamisches System nicht vollständig? Begründung? Welche Information wird zusätzlich benötigt, um das System vollständig zu bestimmen?

Aufgabe 11: Phasenübergänge von Ammoniak Die Koexistenzkurve von festem und gasförmigem Ammoniak ist durch ln (p kurve von flüssigem und gasförmigem Ammoniak durch ln (p

verd

subl

3754 ) = 23, 03 – ------------ , und die KoexistenzT

3063 ) = 19, 49 – ------------ beschrieben, wobei der Druck in T

mm Hg (1mm Hg entspricht einem Druck von 133,32 Pa) und die Temperatur in Kelvin K gegeben wird. (Ammoniak hat einen Freiheitsgrad, also ist das Gleichgewicht beschrieben durch eine Linie im pT-Diagramm.) a) Wie groß ist die Temperatur des Tripelpunktes?

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 32

b) Leite obige Form der Charakterisierung der Koexistenzkurve aus der Gleichung der Umwandlungswärme pro Teildp dT

chen q = ( ∆υ )T ------

her unter den Annahmen, daß υ flu·· ssig « υ gas und υ fest « υ gas ( υ bezeichnet das Volumen

pro Teilchen), daß die Gasphase als ideales Gas betrachtet werden kann, und daß q unabhängig von T ist. c) Wie groß sind die Umwandlungswärmen (pro Teilchen) der Sublimation und der Verdampfung am Tripelpunkt?

Aufgabe 12: Clausius-Clapeyron am Tripelpunkt Am Tripelpunkt ( T 0, p 0 ) eines Materials ist die Steigung der Schmelzkurve ( dp ⁄ dT ) dampfungskurve ( dp ⁄ dT )

verd

schmelz

und die Steigung der Ver-

bekannt.

a) Wie groß ist die Umwandlungswärme (pro Teilchen) der Schmelze am Tripelpunkt? b) Wie groß ist die Steigung der Sublimationskurve ( dp ⁄ dT )

subl

?

Aufgabe 13: Osmotischer Druck für verdünnte Lösungen Man betrachte ein System mit B Teilchensorten in einem Behälter mit semipermeabler Wand, welche nur für das Lösungsmittel (B) durchlässig ist und nicht für die verdünnt gelösten Substanzen 1,2,...,B-1: V’

V”

B

1,2,...,B-1,B

p’,T

p”,T,x1”,x2”,...,xB-1”,xB”

x 1’ = x 2’ = … = x B – 1’ = 0, x B’ = 1

Somit gilt

B–1

x 1’’, x 2’’, …, x B – 1’’ « 1, x B’’ = 1 –

∑ xi''

.

i=1

Berechnen Sie den im Gleichgewicht von den verdünnt gelösten Substanzen (1,2,...,B-1) ausgeübten osmotischen Druck ∆p = p’’ – p’ , wobei die Aktivität des Lösungsmittel B als ideal angenommen wird. Hinweise: 1) Schreiben Sie die Gleichgewichtsbedingungen auf; welche Austauschmöglichkeiten gibt es? 2) Nehmen Sie die Aktivität des Lösungsmittel (B) als ideal an. 3) Approximieren Sie das spezifische Volumen der Teilchensorte (B) durch ∂g B g B ( T, p’’) – g B ( T, p’) V’’ --------- = υ B =  --------- ≅ -------------------------------------------------- .  ∂p  T ∆p NB’’ B–1  B–1    4) Approximieren Sie ln ( x B ) = ln  1 – ∑ x i ≅ – ∑ x i .  i=1  i=1

Beispiel: Experimentelle Werte für Zucker (C12H22O11) in mol/kg von Wasser bei 303 K:

[mol/kg]

∆pexp [105 Pa]

0,1

2,53

0,2

5,17

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 33

∆pexp

[mol/kg]

[105 Pa]

0,3

7,81

4,2

151

Vergleichen Sie mit den theoretischen Werten!

Aufgabe 14: Binäres Zustandsdiagramm Wir betrachten ein binäres System mit mischbaren Schmelzen und lückenloser Mischkristallbildung. Folgender Prozeß soll im Zustandsdiagramm (p fest) untersucht werden: Eine feste Mischung in s’ (bei T’), mit Teilchenzahlkonzentration x2s’, wird erwärmt bis zum Punkt s” (bei T”), wo der Schmelzprozeß beginnt; bei weiterer Wärmezufuhr wird die vollständige Verflüssigung in l”’ (bei T”’) erreicht. a) Wie verhalten sich die Teilchenzahlkonzentrationen x2s, x2l? (Zeichnen Sie den Verlauf ins Zustandsdiagramm ein). g

T,p fest

Freie Enthalpie der flüssigen (l) und festen (s) Mischphasen

gs gl

x2 p fest

T T1

l

l’’’ s’’ s’

s 0

x2s x2s’

Zustandsdiagramm

s+l T2 x2l

1 x2

b) Wie groß ist die Gesamtzahl der Teilchen in der festen (flüssigen) Phase? N N

Zeigen Sie, daß im Koexistenzbereich der Phasen, für y l = -----l ( N = N l + N s , Gesamtzahl der Atome im System = Gesamtzahl der Atome in l + Gesamtzahl der Atome in s) das sogenannte Hebelgesetz gilt: yl x 2 – x 2s ------------------ = ------------------ , x 2l – x 2 ( 1 – yl )

wobei x 2 = N 2 ⁄ N (Gesamtzahl der Atome der Teilchensorte 2 / Gesamtzahl der Atome im System) festgehalten wird.

Aufgabe 15: Mehrstoffsysteme a) Erklären Sie das Verhalten eines binären Systems ohne Mischungslücke bei Kompression vom Punkt C aus bis zur vollständigen Verflüssigung (Phasen, Molbrüche):

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 34

To fest

Flüssigkeit (L)

po1 Druck p

po D+L po2

C

Dampf (D) Molenbruch x2

b) Zeichnen Sie einen mit obigem Phasendiagramm verträglichen Verlauf der freien Enthalpie als Funktion des Molenbruchs x2 bei festen To und po für die L- und D-Phasen. c) Wie lautet die Gibbssche Phasenregel? Wieviele Phasen kann somit ein binäres System im Gleichgewicht höchstens besitzen?

Aufgabe 16: Zustandsdiagramm einer idealen binären Lösung Betrachten Sie zwei Phasen, flüssig (f) und gasförmig (g), mit zwei Teilchensorten, Benzol (1) und Toluol (2), im Gleichgewicht bei vorgegebenem (festem) Druck p = 101325 Pa. Die Lösungen sollen als ideal angenommen werden. Für die reinen Substanzen (1,2) gelte: a) die Verdampfungstemperatur bei Druck p ist: T1 = 353,25 K, T2 = 383,75 K; b) die Koexistenzkurve ist charakterisiert durch: ln ( p 1

verd

2948, 78 3242, 38 verd ) = 21, 06807 – -------------------------------- , ln ( p 2 ) = 21, 15917 – -------------------------------- . T – ( 44, 563 ) T – ( 47, 181 )

Berechnen Sie die Temperaturabhängigkeit der Teilchenkonzentrationen x1f und x1g im Gleichgewicht für den Bereich T 1 ≤ T ≤ T2 .

p fest T, x1g, x2g

gas

T, x1f, x2f

flüssig

Hinweise: 1) Schreiben Sie die Gleichgewichtsbedingungen auf. 2) Die Differenz der freien Enthalpie pro Teilchen der reinen Substanzen (i=1,2) bei T, p g ( T, p ) – g ( T, p ) kT

T

q

2 kT dp verd dT p

ig if i i - = – ∫ --------2 dT (warum?), wobei q i ≅ ------------ ------(p fest) kann berechnet werden durch r i ( T ) = ----------------------------------------------verd Ti

kT

i

die Umwandlungswärme pro Teilchen ist. 3) Somit erhält man (i=1,2) x if = x ig exp ( r i ) , woraus die Temperaturabhängigkeit der Teilchenkonzentrationen x1f und x1g berechnet werden kann.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 35

Vergleichen Sie mit einigen experimentellen Werten: T [K]

x1f

x1g

383,75

0

0

379,35

0,1

0,2080

375,35

0,2

0,3720

371,75

0,3

0,5070

368,45

0,4

0,6190

365,45

0,5

0,7130

362,55

0,6

0,7910

359,95

0,7

0,8570

357,35

0,8

0,9120

355,35

0,9

0,9590

353,25

1,0

1,0

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 36

4. Grundlagen der Klassischen Statistischen Mechanik

4.1 Die Idee der statistischen Gesamtheiten (Chandler, S.54-59; Hudson, S.53-63)

Problem: Was sind die Ziele der Statistischen Mechanik? Wie geht man vor? Aufgaben der Statistischen Mechanik: • Rechtfertigung der Thermodynamik • Berechnung von thermodynamischen Potentialen 23

Thermodynamische Systeme bestehen aus einer gewaltigen Zahl ( ≈ 10 ) Teilchen (Atome oder Moleküle). Für welche Fragestellungen kommt man mit wenigen makroskopischen Zustandsvariablen zur reproduzierbaren Beschreibung thermodynamischer Systeme aus? Warum? Wie kann man makroskopische Zustandsvariablen, insbesondere Temperatur und Entropie, durch molekulare Eigenschaften ausdrücken? 23

Man kann unmöglich die Anfangsbedingungen von 10 Teilchen festlegen! Man interessiert sich gar nicht für den genauen Zustand aller einzelnen Teilchen! Eine wichtige Aufgabe des Thermodynamikers ist es, die relevanten makroskopischen Variablen zu identifizieren, die eine reproduzierbare Beschreibung eines Phänomens erlauben! Mikrozustand: gegeben durch die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen Makrozustand: gegeben durch die Werte der thermodynamischen Zustandsvariablen Wie kommt man von Mikrozuständen zu Makrozuständen? Mechanische Zustandsvariablen als Mittelwerte: Auf einer extrem kurzen Zeitskala sind die Kräfte eines Gases auf die Gefäßwände oder die Magnetisierung eines magnetischen Systems sehr stark fluktuierende Größen. Gemessen werden bei thermodynamischen Problemen typischerweise zeitliche Mittelwerte auf viel größeren Zeitskalen. Z.B. ergibt sich für die Magnetisierung, die sich durch “Spinflips” sprungartig ändern kann, folgendes Bild: M(t)

t Von Interesse sind also zeitliche Mittelwerte. Auf der thermodynamisch relevanten Beobachtungszeitskala wird eine gewaltige Zahl von Mikrozuständen durchlaufen, die alle mit demselben Makrozustand verträglich sind. Wir wollen/können aber nicht die Zeitentwicklung des Mikrozustandes verfolgen (viel zu komplexes Vielteilchenproblem; nicht einmal die Anfangsbedingungen

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 37

wären bekannt). Deshalb ersetzen wir die Zeitmittelwerte durch Ensemblemittelwerte, wobei das Gewicht eines jeden Mikrozustands in einem Ensemble proportional zu der Zeit ist, über die er im langfristigen Mittel vom thermodynamischen System angenommen wird. Das ist die Idee der statistischen Gesamtheiten. Mν

Zustand ν Eine statistische Gesamtheit ist eine Liste einer großen Zahl von Mikrozuständen, die mit einem vorgegebenen Makrozustand verträglich sind. (Zur Vereinfachung der Notation nehmen wir an, daß wir eine diskrete Liste und kein Kontinuum von Makrozuständen vorliegen haben; in der Klassischen Mechanik müssen wir uns dazu den kontinuierlichen Zustandsraum [Phasenraum] in diskrete Zellen zerlegt denken; in der Quantenmechanik werden sich automatisch diskrete Zustände ergeben.) Oft stellt man sich statistische Gesamtheiten auch als große Ensembles gleichartiger thermodynamischer Systeme vor. Genügend große Systeme kann man sich auch aus vielen gleichartigen Teilsystemen zusammengesetzt vorstellen; die Idee des Ensemblemittelwerts für statistische Gesamtheiten macht dann auch Sinn, wenn nicht über sehr lange Zeiten gemittelt wird. Fragen: Wie groß ist das statistische Gewicht eines jeden Mikrozustands in einer statistischen Gesamtheit? Welche Zustände können überhaupt von null verschiedenes Gewicht haben? (Erhaltungssätze!) Welche Zustände können zumindest in beliebig guter Näherung erreicht werden? Hängen die statistischen Gewichte vom Anfangszustand ab? (Wäre schrecklich!) Diese wichtigen und scheinbar einfachen Fragen sind bis heute noch nicht vollständig beantwortet. Ziel ist es, zwei Kochrezepte zur Bestimmung von thermodynamischen Potentialen zu erarbeiten (mikrokanonisch, kanonisch). Stichworte: Ergodenhypothese (Römer & Filk, S.60-62; Reichl, S.215-233; Ergodentheorie heute als eigenständiger Bereich der Mathematik!); Poincarésches Wiederkehr-Theorem (das System kommt jedem erlaubten Mikrozustand immer wieder beliebig nahe).

4.2 Mikrokanonische Gesamtheit (Chandler, S.59-62; Honerkamp & Römer, S.124-126; Reichl, S.238-243; Callen, S.329-348)

Problem: Wie kann man den konkreten Zusammenhang zwischen den Mikrozuständen und der Thermodynamik eines Systems herstellen? Definition: Diejenige statistische Gesamtheit, die zu einem abgeschlossenen System mit festen Zustandsvariablen E, X 1, X 2, ..., X n (z.B. E, V, N) gehört, wird als mikrokanonische Gesamtheit bezeichnet.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 38

Postulat: Alle Zustände einer mikrokanonischen Gesamtheit besitzen gleiches statistisches Gewicht. (Mit anderen Worten: die Verteilung ist “möglichst zufällig”.) Diese Gleichverteilung kann abgeleitet werden, wenn man das “Principle of Detailed Balance” als fundamentaleres Postulat annimmt (d.h. die Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei der Zeitentwicklung des Systems ein Zustand in einen anderen übergeht, ist gleich groß wie für den umgekehrten Übergang; siehe Callen, S.467-468). Fragen: Wie berechnet man die intensiven mechanischen Variablen f 1, f 2, ..., f n ? Wie führt man T und S ein? Wie und warum erhalten wir die Hauptsätze der Thermodynamik? Die intensiven mechanischen Variablen erhält man als entsprechende Mittelwerte über alle Mikrozustände ν, die mit X 1, X 2, ..., X n verträglich sind und eine Energie zwischen E-∆ und E besitzen. Wir werden sehen, daß für genügend große Systeme der (im Vergleich zu E kleine, im Vergleich zu den Energien einzelner Teilchen große) Parameter ∆ für die thermodynamischen Ergebnisse gar keine Rolle spielt (er dient nur zur Glättung von E abhängiger Funktionen). Wird die Gesamtzahl dieser Mikrozustände mit Ω(E, X) bezeichnet, so ist die Wahrscheinlichkeit eines jeden Zustands ν durch P ν = 1 ⁄ Ω(E, X) gegeben. Anstelle einer direkten Berechnung der intensiven mechanischen Variablen f 1, f 2, ..., f n versuchen wir hier, die Entropie S(E, X) zu identifizieren, und die intensiven mechanischen Variablen dann aus dem thermodynamischen Potential E(S, X) zu bestimmen. Zur Identifizierung der Entropie: E 1, V 1, N 1

E 2, V 2, N 2

Zahl der Zustände für das Gesamtsystem bei gegebenen Werten der extensiven Variablen der Teilsysteme: Ω ( E 1, V 1, N 1 ) ⋅ Ω ( E 2, V 2, N 2 ) Da alle diese (und viele andere) Zustände auch bei gegebenen Werten der extensiven Variablen des Gesamtsystems möglich sind, gilt: Ω ( E 1 + E 2, V 1 + V 2, N 1 + N 2 ) > Ω ( E1, V 1, N 1 ) ⋅ Ω ( E 2, V 2, N 2 ) Die Größe lnΩ hat die folgenden Eigenschaften: (i) Extensivität, (ii) Zunahme bei Annäherung ans Gleichgewicht. Deshalb muß sie bis auf eine Proportionalitätskonstante mit der in der Thermodynamik durch diese Eigenschaften eingeführten Größe Entropie übereinstimmen: S(E, X) = k ln Ω (E, X) Weiterhin definieren wir die absolute Temperatur entsprechend dem Vorbild aus der Thermodynamik: ∂S(E, X) 1 ------------------ = --------------------∂E T(E, X)

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 39

Damit habe auch die mit dem Begriff “Wärme” verbundenen Variablen T und S eine mikroskopische Definition erhalten. Diese Zustandsvariablen sind nicht für einen einzelnen Mikrozustand definiert; für einen gegebenen Makrozustand eines abgeschlossenen Systems muß man die Gesamtheit aller mit ihm verträglichen Mikrozustände zählen, um diese thermischen Zustandsvariablen zu erhalten. Der Übergang von Mikrozuständen zu Makrozuständen ist damit im Rahmen der Klassischen Statistischen Mechanik vollständig bewältigt. Der Erfolg bleibt an Beispielen zu verifizieren. Beispiel: Magnetisches System System aus N Elementarmagneten (“Spins”), die die Werte ± 1 annehmen können; jeder Spin mit Wert +1 (-1) trägt die Energie ε>0 (0) zur Gesamtenergie bei (unabhängige Spins im äußeren Magnetfeld). Mit Kombinatorik und Stirlingscher Formel erhält man: E S ( E, N ) = – kN ln  1 – ------  Nε

E   -----E  Nε  ∆ + ------ ln  ---------------- + k ln --ε Nε  E 1 – ------  Nε

für große Systeme unabhängig von ∆ vernachlässigbar (nicht extensiv) Die Temperatur wird unabhängig von ∆, und man erhält folgende kalorische Zustandsgleichung: ε E ( T, N ) = N --------------------ε ⁄ kT 1+e Wenn T gegen null strebt, dann gehen auch E und S gegen null. Für große T geht E gegen Nε ⁄ 2 (rein zufällige Spinstellungen). Beispiel: Ideales Gas System aus N Teilchen der Masse m mit vernachlässigbaren Wechselwirkungen. Mit Hilfe der Formel für das Volumen einer hochdimensionalen Kugelschale und der Stirlingschen Formel erhält man: 5 Ω ( E, V, N ) V 4 E 3⁄2  S ( E, V, N ) = k ln --------------------------- = Nk  --- + ln ----  --- m π ----  N 3 N N! 2  ununterscheidbare Teilchen (Gibbssches Paradoxon)

Dimension: (Wirkung)3 3 durch h dividieren

Quantenmechanik Der Faktor N! muß eingeführt werden, damit die Entropie extensiv wird; sonst wird die Anzahl der möglichen Zustände überschätzt. Die die Idee der Ununterscheidbarkeit ist klassisch nur sehr schwer zu verstehen, kommt aber ganz natürlich aus der quantenmechanischen Behandlung des idealen Gases heraus. Gibbs schreibt 1902 (also vor der Formulierung der Quantenmechanik) in seinem Buch “Elementary Principles in Statistical Mechanics” zu diesem Problem:

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 40

“If two phases differ only in that certain entirely similar particles have changed places with one another, are they to be regarded as identical or different phases? If the particles are regarded as indistinguishable, it seems in accordance with the spirit of the statistical method to regard the phases as identical. In fact, it might be urged that in such an ensemble of systems as we are considering no identity is possible between the particles of different systems except that of qualities, and if ν particles of different systems are described as entirely similar to one another and to ν of another system, nothing remains on which to base the identification of any particular particle of the first system with any particular particle of the second.” Für die kalorische Zustandsgleichung erhält man mit dem obigen Ausdruck für S ( E, V, N ) : 3 E ( T, V, N ) = --- NkT . 2 Insbesondere können wir damit den Proportionalitätsfaktor k als Boltzmann-Konstante identifizieren: k = 1.381 ⋅ 10

– 23

J/K .

4.3 Kanonische Gesamtheit (Chandler, S.62-69; Honerkamp & Römer, S.136-140; Reichl, S.243-246; Callen, S.349-377)

Problem:

Wie kann man einfacher auswertbare mikroskopische Ausdrücke für thermodynamische Potentiale gewinnen? Situation: Ausgehend von mikrokanonischen Gesamtheiten für abgeschlossene Systeme erscheint die Anwendung der Klassischen Statistischen Mechanik noch etwas schwerfällig (mühsame Kombinatorik, Stirlingsche Formel, Rolle des Glättungsparameters ∆). Um dies zu ändern, können wir versuchen, ebenso wie in der Thermodynamik der experimentell viel einfacher zugänglichen Temperatur an Stelle der Entropie eine zentralere Rolle zu geben. Wir betrachten daher sogenannte kanonische Gesamtheiten, die geschlossenen Systemen (kein Materieaustausch) im Kontakt mit einem Wärmereservoir entsprechen. Dann hat die Energie der entsprechenden Mikrozustände keinen festen Wert mehr, und die statistischen Gewichte für eine größere Zahl von Zuständen zu verschiedenen Energien müssen bestimmt werden. Dazu kann man das System zusammen mit dem Wärmereservoir betrachten, um die Idee der mikrokanonischen Gesamtheit auf das abgeschlossene Gesamtsystem anzuwenden. Es ergibt sich: P ν ∼ exp ( – E ν ⁄ kT ) (Boltzmann-Faktoren) 1 Oder: Pν = ------------------------- exp ( – Eν ⁄ kT ) , wobei Z ( T, V, N ) = Z ( T, V, N )

∑ exp ( –Eν ⁄ kT ) ν

als kanonische Zustandssumme bezeichnet wird. Interpretation der kanonischen Zustandssumme: Statt Summation über Zustände, zunächst Summation über Energieschalen und dann über die Zustände in den einzelnen Schalen: Z(T, X) =

∑e E

– E ⁄ kT

Ω(E, X) .

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 41

Diese Beziehung erinnert sehr an eine (diskretisierte) Laplace-Transformation. Bei sehr scharfem Maximum des Summanden (Integranden) läßt sich zeigen, daß derartige Laplace-Transformationen sehr eng mit den Legendre-Transformationen für die thermodynamischen Potentiale zusammenhängen (Römer&Filk, Abschnitt 4.6). Es gilt: kT ∂ -------- – kT ln Z(T, X) = – -----------------∂X i Z(T, X)

∑e

T = – -----------------Z(T, X)

∑e

1 = -----------------Z(T, X)

– E ⁄ kT

∂Ω(E, X) ----------------------∂Xi

– E ⁄ kT

∂S(E, X) Ω(E, X) --------------------∂X i

E

E

∑e

– E ⁄ kT

Ω(E, X) f i (E, X) = f i (T, X)

E

Weiter findet man: ∂ 1 ∂Z(T, X) ------ –kT ln Z(T, X) = – k ln Z(T, X) – kT ------------------ --------------------∂T ∂T Z(T, X) – E ⁄ kT

1 e ν = – k ln Z(T, X) – --- ∑ E ν -----------------T ν Z(T, X)

1 = – k ln Z(T, X) – --- E(T, X) T

Da man die korrekten, aus der Thermodynamik bekannten thermischen und kalorischen Zustandsgleichungen erhält, kann man die folgende Identität eindeutig ablesen: F(T, X) = – kT ln Z(T, X)

Freie Energie als Logarithmus der Zustandsumme

Aus dieser Herleitung können wir auch noch einen einfachen Ausdruck für die Entropie ablesen: S(T, X) = – k ∑ p ν ln p ν

Gibbs

ν

Beispiel: Magnetisches System System aus N Elementarmagneten (“Spins”), die die Werte ± 1 annehmen können; jeder Spin mit Wert +1 (-1) trägt die Energie ε>0 (0) zur Gesamtenergie bei (unabhängige Spins im äußeren Magnetfeld; siehe oben).   ε   ε  -------Z ( T, N ) = exp – ( s + 1 ) = 1 + exp -      – ----i ∑ 2kT ∑ kT      s , ...s = ± 1 i 1

N

  ε  F ( T, N ) = – NkT ln  1 + exp  – ------    kT 

N

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 42 – ε ⁄ kT

∂ Nεe E ( T, N ) =  1 – T ------ F ( T, N ) = ----------------------– ε ⁄ kT ∂T 1+e ε ⁄ kT

Nach Multiplikation mit e ergibt sich das bereits bekannte Ergebnis für E. Bei der Ableitung mit Hilfe der kanonischen Zustandssumme benötigt man keine Kombinatorik, keinen Glättungsparameter ∆ und keine Stirlingsche Formel! Beispiel: Ideales Gas (siehe Aufgabe 19) Anmerkung: Es gibt weitere statistische Gesamtheiten außer der mikrokanonischen und kanonischen Gesamtheit. Betrachtet man z.B. ein makroskopisches Teilsystem eines großen, abgeschlossenen Systems, dann fluktuiert im Teilsystem nicht nur die Energie, sondern auch die Teilchenzahl. Die entsprechende Gesamtheit mit veränderlicher Energie und Teilchenzahl ist als großkanonische Gesamtheit bekannt. In der großkanonischen Zustandssumme muß man auch die Teilchenzahlabhängigkeit der Gewichtsfaktoren berücksichtigen (Fugazität, chemisches Potential; siehe Chandler, S.70-71; Römer & Filk, S.76-77; Hudson, S.70-72).

4.4 Theorie der Fluktuationen (Römer & Filk, S.119-121; Reichl, S.309-313; Callen, S.423-431)

Problem: Welche direkte mikroskopische Interpretation haben thermische Materialeigenschaften wie Wärmekapazitäten oder Kompressibilitäten? Oder: Wie groß sind die statistischen Schwankungen von thermodynamischen Größen? Situation: Wir betrachten ein abgeschlossenes System zusammen mit einem Teilsystem, für das die Werte A 1, ..., A m gewisser makroskopischer Variablen vorgegeben sind. Durch Abzählen der Mikrozustände des Gesamtsystems findet man: Die Wahrscheinlichkeit für Fluktuationen ∆A i ist die Exponentialfunktion einer quadratischen Form in ∆Ai (allgemeine Gaußverteilung). Für die zweiten Momente findet man aus den Eigenschaften allgemeiner Gaußverteilungen: 〈 ∆A i ∆A j〉 = χ ij , wobei man die verallgemeinerten Suszeptibilitäten χ ij durch Invertierung der 2

1 ∂ S positiv-definiten Matrix mit Komponenten – --- ----------------- erhält. Zur Berechnung der Fluktuationen ist k ∂A i ∂A j hier das Gesamtsystem zu betrachten. Sind die Zustandsvariablen A i die m = 1 + n extensiven Variablen (E, X) des Teilsystems, so stimmen die intensiven Variablen ∂S ⁄ ∂A i im abgeschlossenen Gesamtsystem und im Teilsystem überein. Für die mit den Fluktuationen ∆A i verbundene Änderung der Gesamtentropie findet man dann: ∆S ges

n   1 = – ------  ∆T∆S + ∑ ∆f i ∆X i 2T   i=1

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 43

mit der entsprechenden Gaußschen Wahrscheinlichkeitsdichte proportional zu exp ( ∆S ges ⁄ k ) . Anmerkungen: (i) Die bereits früher formulierten thermodynamischen Stabilitätsbedingungen an die zweiten Ableitungen von S sind gleichwertig damit, daß die Matrix der Schwankungsquadrate 〈 ∆A i ∆A j〉 positiv definit ist. (ii) Fluktuationen hängen (als zweite Ableitungen eines thermodynamischen Potentials) sehr eng mit Materialgrößen zusammen. 2

2

(iii) 〈 ( ∆E ) 〉 = C V kT ; demnach: - ∆E ⁄ E ist von der Ordnung 1 ⁄ N ; die Verteilung der Energiewerte ist also extrem scharf (diese Beobachtung macht die Gleichwertigkeit von kanonischer und mikrokanonischer Gesamtheit plausibel). - Bei Phasenübergängen erster Ordnung divergiert C V ; dies ist gleichbedeutend mit großen Schwankungen in der Energie. - Fluktuationen nehmen typischerweise mit der Temperatur zu. 2

(iv) 〈 ( ∆V ) 〉 = κVkT . 2

N (v) 〈 ( ∆N ) 〉 = ------ κkT . V 2

(vi) Für nicht überlappende Teilsysteme sind die Fluktuationen unabhängig (wegen der Additivität der extensiven Größen). (vii) Aufgrund der Maxwellschen Relationen schwanken die Variablen T und V unabhängig voneinander (ebenso schwanken p und S unabhängig voneinander).

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 44

4.5 Zusammenfassung der Vorgehensweise

Problem: Wie geht man vor, wenn man thermodynamische Eigenschaften mikroskopisch verstehen möchte?

Auf dem Weg zum molekularen Verständnis der Thermodynamik eines Systems im Rahmen der Klassischen Statistischen Mechanik muß man zunächst die extensiven mechanischen Variablen X i zusammenstellen, die für eine reproduzierbare Beschreibung des Systems benötigt werden (z.B. V und N für ein einkomponentiges Gas, M und N für ein magnetisches System). Für vorgegebene Werte dieser extensiven Variablen, das heißt für einen gegebenen Makrozustand des Systems, muß man alle Zustände ν und deren Energie Eν finden, die mit den Werten der extensiven mechanischen Variablen verträglich sind. Das thermodynamische Potential zu den extensiven mechanischen Variablen und der intensiven Variablen Temperatur T, nämlich die freie Energie, erhält man dann wie folgt aus der kanonischen Zustandssumme (der Summe aller Boltzmann-Faktoren): F(T, X) = – kT ln Z(T, X) ,

Z(T, X) =

∑ exp ( –Eν ⁄ kT ) . ν

An dieser Stelle seien nochmals einige Beobachtungen zusammengestellt, die die Unzulänglichkeit der Klassischen Statistischen Mechanik anzeigen und erst im Rahmen der Quantenstatistik voll verstanden werden können: (1) Gibbssches Paradoxon: Überschätzung der Zahl der möglichen Zustände in einem idealen Gas; erst die Idee der Ununterscheidbarkeit von Teilchen führt auf eine extensive Entropie. (2) Zur Einführung dimensionsloser Größen, die strenggenommen benötigt werden, um bei der Einführung von thermodynamischen Potentialen die Logarithmen bilden zu können, braucht es eine Konstante mit der Dimension einer Wirkung. (3) Der dritte Hauptsatz der Thermodynamik bedeutet, daß es auch für große Systeme bei T=0 einen eindeutigen (oder wenig entarteten) Grundzustand geben muß.

Verständnisfragen V22. Welche (fundamental verschiedenen) Zugänge gibt es, das thermodynamische Potential eines Systems zu bestimmen? V23. Was versteht man unter einem Mikrozustand bzw. Makrozustand? V24. Wie kann man die Aussage “Entropie ist ein Maß für die Unordnung” präzisieren? V25. Wodurch ist das mikrokanonische (kanonische) Ensemble charakterisiert? Welches sind die zugehörigen makroskopischen Größen? Wie werden die entsprechenden thermodynamischen Potentiale berechnet? V26. Was versteht man unter dem Gibbsschen Paradoxon? V27. Welche thermodynamischen Phänomene können im Rahmen der klassischen Statistischen Mechanik nicht erklärt werden?

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 45

V28. Wie ändern sich die relativen Schwankungen von thermodynamische Größen mit zunehmender Systemgröße (Teilchenzahl)?

Aufgabe 17: Stirlingsche Formel Die Stirlingsche Formel liefert eine Approximation des Logarithmus der Fakultätsfunktion bei grossen natürlichen Zahlen n von der Form ln ( n! ) ≈ n ln ( n ) – n . a) Stellen Sie die folgenden relativen Fehler im Bereich 2 ≤ n ≤ 104 graphisch dar: ( n ) – ln ( n! ) r 1 ( n ) = st ---------------------------------ln ( n! )

exp ( st ( n ) ) – n! , und r 2 ( n ) = ------------------------------------n!

wobei die Größe st ( n ) ≡ n ln ( n ) – n verwendet wurde. Was ist der qualitative Unterschied? b) Leiten Sie die Stirlingsche Formel ln ( n! ) ≈ n ln ( n ) – n für große n her. (Hinweis: Schreiben Sie ln ( n! ) als Summe, und approximieren Sie diese durch ein Integral).

Aufgabe 18: Energie als Mittelwert Zeigen Sie, daß im kanonischen Ensemble die Beziehung 〈 E〉 =

∑ Pv Ev v

= F(T, X) – T

∂ F(T, X ) gilt. Beachten Sie, ∂T

daß auf der linken Seite ein Ensemble-Mittelwert und rechts eine allgemeine thermodynamische Beziehung für die Energie steht!

Aufgabe 19: Ideales Gas in der kanonischen Gesamtheit Betrachten Sie ein ideales Gas aus N Teilchen der Masse m in einem Volumen V bei der Temperatur T. Der Zustand ist N

charakterisiert durch ν = ( r1, …, r N, p 1, …, p N ) mit Energie Eν =



2

pi ------- . 2m

i=1

Berechnen Sie: 1 N!

a) die kanonische Zustandssumme Z(T,V,N); ein zusätzlicher Faktor ------ muß analog wie in der mikrokanonischen Gesamtheit in der Definition von Z(T,V,N) eingeführt werden; b) die freie Energie F(T,V,N), die kalorische und thermische Zustandsgleichung, d.h. E(T,V,N) und p(T,V,N); c) die Entropie S(E,V,N). 2

Hinweis zu a):



∫– ∞ e

x – a ----2

dx =

2π ------ . a

Aufgabe 20: Identische Teilchen a) Gegeben sei ein System von N unabhängigen (d.h. nicht wechselwirkenden), ununterscheidbaren, klassischen Teilchen. Die Größe q ( T, V ) = f ( T ) ⋅ V sei die kanonische Zustandssumme über alle Zustände eines einzelnen Teilchens. Wie lautet die kanonische Zustandssumme Z(T,V,N) für N Teilchen (inkl. Begründung)? Zeigen Sie die Extensivität der freien Energie! b) Es befinden sich N identische, unabhängige Teilchen in der linken Hälfte einer Box (vergleiche untenstehende Skizze). Zur Zeit t=0 wird der Schieber entfernt. Nach sehr langer Zeit bildet sich ein neuer Gleichgewichtszustand aus. Berechnen Sie die Änderung der Entropie zwischen Anfangs- und Endzustand.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

t=0

Seite 46

t→∞

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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5. Anwendungen der Klassischen Statistischen Mechanik

5.1 Klassische Theorie der Wärmekapazität von Festkörpern (Reichl, S.249-250; Davis, S.113-122)

Problem:

Mikroskopische Begründung einer Faustregel zur Abschätzung der Wärmekapazität von Festkörpern. Modell: Festkörper als Anordnung von Atomen auf einem Gitter, wobei jedes Atom unabhängig in einem harmonischen Potentialtopf Schwingungen um die Gleichgewichtslage ausführen kann. Die Zustandssumme läßt sich als Produkt der Beiträge der unabhängigen Atome schreiben: N

2

2   1  pi 1 Z ( T, V, N ) = ∏ ∫ d pi ∫ d r i exp  – ------  --------- + --- H i r i     kT  2m i 2 3

3

i=1

“Federkonstante” (kann von V/N abhängen)

Abweichung von der Gleichgewichtslage

Damit ergibt sich nach Auswertung der Gaußschen Integrale:

C V = 3Nk

Der Vergleich mit experimentellen Daten zeigt, daß diese Formel für genügend hohe Temperaturen in guter Näherung gültig ist. Für ein Mol Teilchen ergibt sich die molare Wärmekapazität cal C V = 5.96 ------- . K Eine genauere Vorhersage der Wärmekapazität von Festkörpern erlaubt die Debye-Theorie, in der die harmonischen Schwingungen der Atome um die Gleichgewichtslagen quantenmechanisch behandelt und nur solche kollektive Schwingungsmoden zugelassen werden, die mit den Abmessungen des betrachteten Kristalls konsistent sind: CV --------3Nk 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0

1

2

T ---Θ

Die ausgezogene Kurve ist das Ergebnis der Debye-Theorie. Die Kreise stellen experimentelle Ergebnisse für Aluminium dar (Θ=390 Κ). Die Dreiecke stellen experimentelle Ergebnisse für Kupfer dar (Θ=315 Κ).

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 48

5.2 Systeme am Phasenübergang (Römer & Filk, S.211-272; Reichl, S.106-111, 280-292; Chandler, S.119-138)

Problem: Wie kann man Phasenübergänge aufgrund mikroskopischer Modelle verstehen? Übergang von ungeordneten zu geordneten Phasen: Ordnungsparameter: gleich 0 in der ungeordneten Hochtemperaturphase, von 0 verschieden in der geordneten Phase. Magnetische Systeme: Magnetisierung als Ordnungsparameter Flüssig-gasförmig-Übergang: Dichte im Vergleich zur Gasphase als Ordnungsparameter Binäre Mischungen: Abweichungen von der mittleren Konzentration als Ordnungsparameter

Symmetriebrechung bei nicht verschwindendem Ordnungsparameter: • Konfigurationen zu niedrigerer Energie haben ein höheres Maß an Ordnung, also einen geringeren Grad an Symmetrie. Konfigurationen mit hoher Entropie sind der Tendenz nach ungeordnet und symmetrisch. Bei der Minimierung der freien Energie (F=E-TS): Ordnung ↔ Symmetrie kleine Energie ↔ große Entropie Bei großen Temperaturen wird der Entropieterm überwiegen, bei kleineren Temperaturen der Energieterm. Am Phasenübergang schlägt das Gleichgewicht zwischen diesen Tendenzen um. • Ein Maß für die Ordnung eines Zustands ist durch den Ordnungsparameter gegeben. Bei einem Phasenübergang erster Ordnung ist die Symmetrie durch einen nicht verschwindenden Wert der zum Ordnungsparameter konjugierten Variablen gebrochen (z.B. Vorzugsrichtung durch Magnetfeld). Der Wert des Ordnungsparameters springt bei einem Phasenübergang erster Ordnung. • Bei einem kontinuierlichen Phasenübergang tritt spontane Symmetriebrechung auf. Der Ordnungsparameter ändert sich am Übergangspunkt stetig, und die konjugierte Variable verschwindet. Ising-Modell: Gittermodell für ein magnetisches System; auf jedem Gitterplatz ein Spin, der die Werte ± 1 annehmen kann; Formulierung unabhängig von der Dimension d. E = –J ∑ s i s j – B ∑ si Paare nächster Nachbarn i,j

für J>0: Parallelstellung bevorzugt

j

für B>0: +1 bevorzugt (Magnetfeld) si = ±1

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 49

Das Ising-Modell kann auch als Modell für binäre Mischungen interpretiert werden, wobei +1 für eine Teilchensorte steht, -1 für die andere. Ergebnisse für das Ising-Modell: d=1: analytisch lösbar, kein Phasenübergang d=2: für B=0 analytisch lösbar, Phasenübergang d=3: nicht analytisch lösbar, Phasenübergang Ergebnisse für d=2: 2 Phasenübergang bei kT c = --------------------------- J ≈ 2.269 J ln ( 1 + 2 ) Tc C 8k J 2 In der Nähe von T c divergiert die spezifische Wärme logarithmisch: ---- = ------  -------- ln ----------------N π kT c T – Tc 1

Unterhalb von T c gilt für die Magnetisierung:

--M 8 ----- = const. ( T c – T ) N

für T < T c kritischer Exponent

Ergebnisse für d=3 (z.B. aus Monte-Carlo-Simulationen): C – 0.125 In der Nähe von T c gilt für die spezifische Wärme: ---- ∼ T – T c N Unterhalb von T c gilt für die Magnetisierung:

M 0.313 ----- ∼ ( T c – T ) N

für T < T c

Bei Mischungen bestimmt der kritische Exponent 0.313, wie stark die Konzentrationsunterschiede im entmischten System unterhalb der kritischen Temperatur einsetzen. Bragg-Williams-Näherung (Molekularfeldnäherung, Mean-Field-Näherung): Definitionen: N + , N - Zahl der +/- Spins N ++ , N -- , N +- Zahl der ++/--/+- Paare benachbarter Gitterplätze Zusammenhänge: N + + N - = N , N ++ + N -- + N +- = dN ,

2dN + = N +- + 2N ++ ,

E = – J ( N ++ + N -- ) + JN +- – B ( N + – N - ) = – 4JN ++ – 2 ( B – 2dJ )N + + ( B – dJ )N Bragg-Williams-Näherung: NN+ NN +- = N + 2d ----- , N ++ = N + d ------ , N -- = N - d ----N N N Durch die Bragg-Williams-Näherung wird das Problem erheblich vereinfacht, da es nicht mehr auf Wechselwirkungspaare ankommt, sondern nur noch auf die Zahl der Spins, die nach oben oder unten zeigen. Man kann zeigen, daß diese Näherung auf ein Ising-Modell mit M J' = 0 , B' = B + 2Jd 〈 -----〉 (“Molekularfeldnäherung”) N führt (Spins ohne Wechselwirkung im äußeren Magnetfeld; siehe oben). Ergebnisse der Bragg-Williams-Näherung:

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

B’ -----kT

Seite 50

B’ – -----kT

M M e –e B’ B 2Jd M 〈 -----〉 = ------------------------ = tanh ------ = tanh  ------ + --------- 〈 -----〉  , woraus sich 〈 -----〉 in Abhängigkeit von B B’ B’ N kT kT kT N N -----– -----kT kT e +e bestimmen läßt. Diese Gleichung ist eng verwandt mit der Weißschen Theorie des Ferromagnetismus, in der ein Ansatz für ein effektives Magnetfeld gemacht wird (Sommerfeld, S.107-111; Römer M 2Jd & Filk, S.257-259). Für B=0 ist 〈 -----〉 ≠ 0 möglich für --------- > 1 , oder: kT < kT c = 2Jd . N kT M Ferner gilt etwas unterhalb der kritischen Temperatur: 〈 -----〉 = N

Tc – T 3 -------------- , Tc

unabhängig von d (kritischer Exponent 1/2). Bestimmt man im Rahmen der Bragg-Williams-Näherung die freie Enthalpie pro Gitterplatz, so findet man ein Ergebnis, das wir in der Thermodynamik als reguläre Lösung kennengelernt haben (Reichl, S.285-286; Huang, S.352-357; Hudson, S.261-272): g ( T, B, x + ) = kTx + ln x + + kTx - ln x - – [ B ( x + – x - ) + Jd ( 1 – 4x + x - ) ] , wobei N+ Nx + = 〈 ------〉 , x - = 〈 -----〉 = 1 – x + . N N Landau-Ginzburg-Theorie: Die Landau-Ginzburg-Theorie für kritische Phänomene beruht auf folgenden Annahmen: (i) Symmetrie; (ii) am kritischen Punkt setzen kleine Werte der Magnetisierung (allgemeiner: des Ordnungsparameters) ein. Ansatz für die freie Energie in Form einer Entwicklung: 2 2

2

F  T, M = α 0 ( T ) + α2 ( T )M + α4 ( T )  M  + ... mit α 4 ( T ) > 0 , α 2 ( T ) = c ( T – T c ) , c > 0 . T > Tc

T < Tc

F

F

M

M

Spontane Symmetriebrechung

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 51

Als Bedingung für die Magnetisierung M = M bei verschwindendem Magnetfeld ergibt sich: ∂F 3 -------- = 0 = 2c ( T – T c )M + 4α 4 ( T c )M ∂M M =

und daher

c ( T – Tc ) ---------------------- für die Magnetisierung unterhalb der kritischen Temperatur. 2α 4 ( T c )

Die Landau-Ginzburg-Theorie sagt also den kritischen Exponenten β = 1 ⁄ 2 voraus.

5.3 Polymermischungen (Davis, S.325-329; Machlin, S.60-61)

Problem: Entwicklung eines einfachen molekularen Modells für die Thermodynamik von Polymerlösungen und -mischungen. Modell: Wir gehen von einem Gittermodell aus, bei dem die Gitterplätze mit Teilchen (“Monomeren”) der Sorte A oder B besetzt sein können. Jeweils N A Teilchen der Sorte A ( N B Teilchen der Sorte B) bilden einen Linienzug auf dem Gitter, den wir als einfaches Modell eines Polymermoleküls betrachten.

B A B

B B

B

Ausgehend von der Bragg-Williams-Näherung oder dem Modell der regulären Lösung kann man den folgenden Ansatz für die freie Enthalpie pro Gitterplatz machen (für die Mischungsentropie durch Translation der Moleküle ist zu berücksichtigen, daß die einzelnen Monomere nicht unabhängig voneinander bewegt werden können, sondern jeweils nur N A verkettete Monomere der Sorte A oder N B verkettete Monomere der Sorte B gemeinsam): xA xA xB xB g ------ = g A x A + g B x B + ------ ln ------- + ------- ln ------- + χx A x B NA NA NB NB kT Entropie durch Translationen

Florys χ-Parameter

N B = 1 : Polymerlösung (sehr asymmetrisches Phasendiagramm) N A = N B : symmetrische Polymermischung Dieser Ansatz für die freie Enthalpie von Polymerlösungen und -mischungen ist als Flory-HugginsTheorie bekannt.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 52

Phasendiagramme: Für das Modell der regulären Lösung haben wir typische Phasendiagramme mit unterer Mischungslücke bereits kennergelernt. In den experimentell bestimmten Phasendiagrammen findet man eine breitere Form der Binodalen:

Phasendiagramme für Polyisobutylen in Di-isobutylketon: Die Zahlen geben die mittleren Molekulargewichte an. Die Meßpunkte mit den durchgezogenen Kurven können mit der experimentell bestimmten Binodalen identifiziert werden. Die gestrichelten und gepunkteten Kurven stellen die Binodalen und Spinodalen aus der Flory-HugginsTheorie dar.

Kritischer Punkt: 1 1 1 2 1 χ c = ---  ----------- + ----------- , x A, c = -------------------------------2 N NB NA ⁄ NB + 1 A Ein sehr kleiner Wert von χ c entspricht einer sehr hohen kritischen Temperatur. Oft liegt die kritische Temperatur über der Zersetzungstemperatur der Polymere, so daß sich Polymere gar nicht mischen lassen. Selbst der Unterschied zwischen Wasserstoff (H) und schwerem Wasserstoff (D) 4

kann bei sehr großen N zur Entmischung führen ( N ∼ 10 ).

5.4 Gummielastizität (Weiner, S.185-210; Treloar, S.28-71)

Problem: Wie läßt sich die Gummielastizität, die sich aufgrund ihrer entropischen Natur von der Elastizität von kristallinen Werkstoffen stark unterscheidet, im Rahmen von Thermodynamik und statistischer Mechanik verstehen? Energie- und Entropie-Elastizität: Elastische Deformationen sind nur bei kristallinen Werkstoffen auf den infinitesimalen Bereich beschränkt; bei Gummi können sie sehr groß sein. Das liegt an den verschiedenen thermodynamischen Mechanismen. Bei den Kristallen ist es die Energie-Elastizität: Auslenkung der Atomab-

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 53

stände des Kristallgitters aus den Gleichgewichtslagen des Gitterpotentials und bei Gummi oberhalb der Glasübergangstemperatur die Entropie-Elastizität: die Temperatur im molekularen Netzwerk ist so hoch, daß es eine Vielzahl von Konformationen, d.h. von geometrischen Anordnungen der Molekülketten gibt. Bei geringsten mechanischen Spannungen erfolgt eine vergleichsweise große elastische Auslenkung, da die im spannungsfreien Zustand statistisch geknäuelten Molekülketten bei der Verformung verstreckt und orientiert werden → Entropie-Elastizität. Zwei empirische gefundene Fakten stehen am Anfang der Betrachtung: (1) Bei der isothermen, reversiblen (also quasistationären) Deformation von Gummi wird die am System geleistete Arbeit vollständig als Wärme an die Umgebung abgegeben (Joule 1859). Entsprechend entzieht der gedehnte Gummi bei Entlastung denselben Wärmebetrag der Umgebung. Die innere Energie ändert sich also bei der Deformation nicht. (2) Bei konstant gehaltener Zugkraft f nimmt die Länge eines mit der Kraft f gespannten Gummifadens mit zunehmender Temperatur trotz zunehmender Wärmeausdehnung ab (Gough 1805); die Moduln E und G (bei Dehnung und Scherung) nehmen linear mit T zu. Es handelt sich somit um eine reine Entropie-Elastizität. In dieser Eigenschaft der Gummielastizität als Entropie-Elastizität liegt letztlich die physikalische Ursache für die große elastische Deformierbarkeit der Elastomere. (Hinweis: Unterschied zu den Metallen bei denen die Deformationsarbeit zur Erhöhung der inneren Energie dient.) Beide Effekte (1) und (2) zusammen heißen Gough-Joule-Effekt. Die bei gummiartigen Substanzen vorhandene Proportionalität des Elastizitätsmoduls und des Schubmoduls zur (absoluten) Temperatur T ist geradezu ein Kennzeichen der Gummielastizität und steht entgegengesetzt zu dem Verhalten der Metalle, bei denen Elastizitäts- und Schubmodul mit zunehmender Temperatur abnehmen. Thermodynamische Beschreibung der Entropie-Elastizität: Um die Ursachen der Entropie-Elastizität mit Hilfe der Thermodynamik besser zu verstehen, führen wir die folgenden Variablen ein: E: ( innere) Energie

S: Entropie

L: Länge

M: Masse

T: Temperatur

f: Kraft

µ: chemisches Potential (pro Masseneinheit)

Im unbelasteten Zustand gelte die Zustandsgleichung: L 0 ( T, M ) = M l 0 ( T ) Wir verwenden die freie Energie F(T, L, M) als geeignetes thermodynamisches Potential zur Beschreibung der Gummielastizität, für das dF = – SdT + fdL + µdM gilt. Mit der Maxwell∂S ( T, L, M ) ∂f ( T, L, M ) Beziehung ----------------------------- = – --------------------------- erhalten wir wegen E = F + TS : ∂L ∂T ∂E ( T, L, M ) ∂ ----------------------------- = f ( T, L, M ) – T ------ f ( T, L, M ) . ∂T ∂L

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 54

Diese Beziehung läßt sich wie folgt veranschaulichen: f

∂S ( T, L, M ) – T ----------------------------∂L ∂E ( T, L, M ) ----------------------------∂L T Aufgrund der experimentell beobachteten Unabhängigkeit der inneren Energie E von der Länge L ist f im gesamten Temperaturbereich proportional zu T. Wir nehmen daher folgende Form der Zustandsgleichung an: L f ( T, L, M ) = T B  ---------------------- . L 0 ( T, M ) Damit erhält man ∂E ⁄ ∂L = 0 , sofern die Effekte durch die Temperaturabhängigkeit von L 0 vernachlässigbar sind. λ

Wenn man die Stammfunktion B˜ ( λ ) =

∫ B ( λ' ) dλ'

einführt, findet man:

1

L F ( T, L, M ) = M l 0 ( T )T B˜  ------------------ + F 0 ( T ) Ml 0 ( T ) Bei konstanter Temperatur ist die Deformationsarbeit zur Auslenkung aus der Ruhelage L L A  ----- = L 0 T B˜  -----  L 0  L 0 Ist die Temperaturabhängigkeit von L 0 vernachlässigbar, so hat man dF 0 ( T ) L S ( T, L, M ) = – M l 0 ( T )B˜  ----- + -----------------L0 dT oder für die Entropieabnahme bei isothermer Verformung: L L ∆S  ----- = – L 0 B˜  ----- L0 L0 Bei isothermer Verformung wird die aufgewendete Arbeit also vollständig zur Verringerung der Entropie benötigt. Statistische Mechanik der Gummielastizität: Für die molekulare Beschreibung der Gummielastizität führen wir folgendes einfache Modell ein: • Kettensegmente zwischen Vernetzungsstellen verhalten sich wie ideale Einzelketten (Gaußsche Kettenstatistik, quadratische Entropiefunktion) • Gesamtzahl der Kettensegmente: N

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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• Homogene Deformation: die Vernetzungsstellen transformieren sich affin. 2

 1 R  - Wahrscheinlichkeitsdichte für die Konfiguration R eines Kettensegments: p ∼ exp  – --- ---------------- 2 〈 R 2 ⁄ 3〉  2

3 R Entropie pro Kettensegment: S(R) = – --- k ---------2 2 〈R 〉 Zunahme des Erwartungswertes der Entropie aller N Kettensegmente bei Verstreckung (Verstrekkungen λ i in Richtung der Hauptachsen): 2

2

2

3  2 〈 Rx〉 3 1 2 〈 Ry 〉 2 〈 Rz 〉  2 2 2 ∆S = – --- Nk  λ 1 ---------+ λ ---------+ λ - + --- Nk = – --- Nk(λ 1 + λ 2 + λ 3 – 3) 2 3 ---------2 2 2  〈 R 2〉 2 2 〈R 〉 〈 R 〉 Bei einachsiger Dehnung:

1 2 2 ∆S = – --- Nk(λ + --- – 3) 2 λ

Vergleich mit der Thermodynamik ergibt: Nk 1 B ( λ ) = -------  λ – ----2-  L0  λ

1 Nk 2 2 B˜ ( λ ) = --- ------- (λ + --- – 3) , 2 L0 λ 3NkT Elastizitätsmodul: -------------- , V

NkT Schubmodul: ---------V

Durch Messung des Moduls erhält man direkt die Zahl der Kettensegmente pro Volumeneinheit. Außerdem hat man auf sehr einfache Weise ein nichttriviales Ergebnis für die Funktion B ( λ ) erhalten.

Nominalspannung f [kg/cm2]

Vergleich mit experimentellen Ergebnissen: 17.5 x x 15

x

xx

x x 12.5

10

x x

200

x

x

x

x

xx 250

300

350

Temperatur T [K] In der obenstehenden Abbildung [nach der klassischen Arbeit von K.H. Meyer und C. Ferri, Helv. Chim. Acta 18 (1935) 570] ist die Kraft bei konstanter Länge und bei einer Dehnung ε = λ – 1 = 3.5 als Funktion der Temperatur dargestellt. Die Abbildung zeigt, daß die Dehnkraft

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 56

bei gegebenem Dehnzustand über einen breiten Temperaturbereich proportional zur Temperatur zunimmt, vorausgesetzt daß die Dehnung genügend groß ist ( ε ≥ 0.1 ).

Nominalspannung f [kg/cm2]

f

∂S ∂f – T   = T   ∂L T ∂T L

 ∂E  ∂ L T

Dehnung ε [%] Diese Abbildung [aus R.L. Anthony, R.H Caston, E. Guth, J. Phys. Chem. 46 (1942) 826] illustriert, daß bei Dehnungen ε ≥ 1 der Hauptbeitrag zur Kraft von der Entropie herrührt; der wesentliche Teil der Deformation ist in diesem Bereich also entropie-elastischer Natur! Die innere Energie liefert aber auch einen nicht vernachlässigbaren Beitrag, und bei sehr kleinen Dehnungen wird sie sogar zu einem wesentlichen Faktor. Die kleinen Abweichungen des energetischen Beitrages zur Kraft auch bei größeren Dehnungen (wie in der obigen Abbildung) entstehen, weil bei der Dehnung Volumenänderungen auftreten, die zwar klein sind, jedoch einen wichtigen Beitrag zur inneren Energie liefern. Dieser Anteil stammt von Kräften zwischen den Molekülen und hat nichts mit der Deformation des Netzwerkes zu tun. Besser wäre es, Deformationen bei konstantem Volumen zu betrachten. Gesamtergebnis: Die thermischen ebenso wie die thermoelastischen Beobachtungen bei der Deformation von Elastomeren (vernetzter Gummi) stimmen überein mit den Postulaten der statistischen Theorie (Entropie-Elastizität) und sind ein Beweis für den kinetischen Mechanismus des Deformationsprozesses.

Verständnisfragen V29. Warum ist der Beitrag eines Teilchens zur Wärmekapazität eines Festkörpers doppelt so groß wie bei einem idealen Gas? V30. Was ist der Ordnungsparameter bei flüssigkristallinen Systemen (für den nematisch-isotrop Übergang)? V31. Wird die Molekularfeldnäherung für ein zwei- oder ein dreidimensionales System bessere Ergebnisse liefern?

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 57

V32. Wie ändert sich der Monomeranteil in einer Polymerlösung am kritischen Punkt mit der Kettenlänge? V33. Nehmen Sie ein breites Gummiband und dehnen Sie es schnell und kräftig. Benutzen Sie Ihre Lippen als Thermometer, um die Temperatur vor und sofort nach dem Dehnen zu fühlen. Was passiert?

Aufgabe 21: Magnetisierung im kanonischen Ensemble Das kanonischen Ensemble für ein magnetisches System ist festgelegt durch die Angabe der Zustandssumme Z ( T , B, N ) =

∑ exp ( –Ev ( B, N ) ⁄ kT ) .

Dabei ist die Energie des Zustandes v = ( µ 1, …, µ N ) (spezifiziert durch die

ν

Angabe der Einstellungen aller N magnetischen Momente µ k ) von der Form N

E v ( B, N ) = E v ( 0 , N ) – B

∑ µk . k=1

Zeigen Sie, daß die mittlere Magnetisierung der Probe im kanonischen Ensemble gegeben ist durch ∂F 〈 M〉 = = ∂B

N

∑ Pν Mν

( Mv =

ν

∑ µk : das totale magnetische Moment im Mikrozustand v). k=1

Aufgabe 22: Magnetisches System in der Molekularfeldnäherung Wir betrachten ein d-dimensionales Gitter. Auf jedem Gitterpunkt sei ein Spin Si der die Werte { –1, 0, 1 } annehmen N

kann. Der Zustand der N Spins ist gegeben durch ν = { S 1, …, S N } mit Energie Eν = –B ∑ Si – J ∑ Si S j im äußeren i=1

[i,j]

Magnetfeld B. Die Wechselwirkung sei mit J > 0 , für jedes Paar [i,j] benachbarter Gitterpunkte. Wir betrachten das System in der kanonischen Gesamtheit bei Temperatur T. Wir wollen die Molekularfeldnäherung benützen um die Möglichkeit eines Phasenüberganges, d.h. hier spontane Magnetisierung, zu untersuchen. In der Molekularfeldnäherung wird die Wechselwirkung benachbarter Spins approximiert durch eine Wechselwirkung der Spins mit einem mittleren magnetischem Molekularfeld. Die Energie ist dann N

N

N

M M gegeben durch Eν = –B ∑ Si – 2dJ ----- ∑ Si = – B˜ ∑ S i mit B˜ = B + 2dJ ----- und M ⁄ N die mittlere Magnetisierung pro N

i=1

N

i=1

i=1

Spin. a) Berechnen Sie die Zustandssumme Z(T,N). Hinweis:

 N  exp ∑  A ∑ Si =  i=1  ν

N

∑∏

N

exp ( AS i ) =

ν i=1





exp ( An ) .

i = 1 n ∈ {– 1, 0, 1}

M N

1 ∂F N ∂B

kT ∂ N ∂B

b) Berechnen Sie die Magnetisierung pro Spin ----- = – ---- ------ = ------ ------ ln Z . d dx

Hinweis: exp ( x ) + exp ( – x ) = 2 cosh ( x ) ; ------ 2 cosh ( x ) = 2 sinh ( x ) = exp ( x ) – exp ( –x ) . M N

c) Berechnen Sie die kritische Temperatur, d.h. die Temperatur, unterhalb welcher eine spontane Magnetisierung ----- ≠ 0 bei B = 0 auftritt. Betrachten Sie dazu das Verhalten der Magnetisierung aus b) (wie in der Vorlesung). 2 sinh ( Ax ) 1 + 2 cos ( Ax )

2 sinh ( Ax ) 1 + 2 cos ( Ax )

2 3

Hinweis: --------------------------------- → 1 für x → ∞ ; --------------------------------- ∼ --- Ax für x → 0 .

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Seite 58

6. Elementare Beschreibung von Transporterscheinungen

6.1 Aufgaben der Transporttheorie (Reichl, S.455-456)

Problem:

Wie packt man die Beschreibung von Transporterscheinungen, z.B. Diffusion und Wärmeleitung, auf phänomenologischer oder molekularer Ebene an? Dieses Kapitel über Transporterscheinungen stellt eine erste elementare Einführung in das Gebiet der Nichtgleichgewichtsphänomene dar. Typischerweise formuliert man in der Theorie der Nichtgleichgewichtssysteme Bilanzgleichungen, die die Erhaltung von Masse, Impuls und Energie ausdrücken. Um diese Bilanzgleichungen abzuschließen, benötigt man Ausdrücke für die Stromdichte von Masse, Impuls und Energie (Materialgleichungen, Transportkoeffizienten). Der Massestrom ist mit dem Diffusionskoeffizienten verbunden, der Impulsstrom mit der Viskosität und der Energiestrom mit der Wärmeleitfähigkeit. Ziel ist die mikroskopische Berechnung von Transportkoeffizienten im Rahmen einer kinetischen Theorie. Wir beschränken uns hier auf die kinetische Theorie für Gase in der Nähe des Gleichgewichts (wir nehmen die Existenz eines lokalen Gleichgewichts an). Von zentraler Bedeutung für die elementare kinetische Gastheorie ist der Begriff der freien Weglänge. Wichtiges Beispiel für den Übergang von den reversiblen Bewegungsgleichungen der Klassischen Mechanik zu den irreversiblen Gleichungen in der Theorie der Nichtgleichgewichtsphänomene ist die Boltzmann-Gleichung.

6.2 Elementare kinetische Gastheorie (Höfling, S.299-317; Kuypers, S.198-213; Reichl, S.456-462; Davis, S.1-28; Sommerfeld, S.144148)

Problem: Wie kann man den Gasdruck aufgrund der Molekularbewegung verstehen? Wie häufig stoßen Moleküle in einem Gas zusammen? Modell des idealen Gases: 1. Teilchenabstände groß gegen Teilchendurchmesser (Punktteilchen). 2. Wechselwirkung der Teilchen nur durch Stöße. 3. Bei Stößen der Teilchen untereinander und an Wänden gelten die Gesetze für elastische Stöße.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 59

Gasdruck: Der Gasdruck entsteht durch eine große Zahl von Einzelstößen mit den Gefäßwänden; Prinzip der molekularen Unordnung (völlig regellose Teilchenbewegung, Gravitationseffekte vernachlässigbar). Würfel der Kantenlänge a, N Teilchen, V = a

3

N i Teilchen haben eine positive x-Komponente der Geschwindigkeit v x, i v x, i ∆t Stöße im Zeitintervall ∆t: -------------- N i a v x, i ∆t Impulsübertrag: ∆p x, i = 2mv x, i -------------- N i a 2

v x, i 1 2m p = ----2- ∑ 2m ------- N i = ------3a a i a

a

∑ N i v x, i 2

mit

i

∑ Ni i

N = ---2

(nur positive Geschwindigkeitskomponente!) 2 N 2N1 2 p = ---- m 〈 v x 〉 = --- ---- --- m 〈 v 〉 V 3V2

2 pV = --- E = const. 3

Boyle-Mariotte-Gesetz

2 3p Bei bekannter Dichte ρ findet man: 〈 v 〉 = ------ . ρ

Typische Molekülgeschwindigkeiten bei 0°C und Atmosphärendruck: Gas Wasserstoff Stickstoff Sauerstoff

2 m 〈 v 〉 in ---s

1840 490 460

Mittlere freie Weglänge: Die mittlere freie Weglänge λ ist die Strecke, die ein Gasteilchen im Mittel zwischen zwei Zusammenstößen zurücklegt. Zahl der Teilchen in einer Kugelschale ∆λ um λ: 2

Abgedeckter Raumwinkelanteil:

Raumwinkelanteil = 1



2

N ( ∆λ ) = 4πλ ∆λ n , wobei n=N/V

N ( ∆λ )π ( 2a ) 2 --------------------------------- = ∆λ4πna , a = Radius der Gasteilchen 2 4πλ 1 λ ≈ ---------------2 4πna

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Genauere Rechnung:

Seite 60

1 λ = -----------------------24π 2 na

(bewegliche Hindernisse; Relativgeschwindigkeiten sind um den Faktor Geschwindigkeiten einzelner Teilchen).

2 größer als die

Längenskalen unter Normalbedingungen: 1 ---

1 ---

3

V 3 kT 3 l (Beachte: l =  ---- =  ------ , λ = ---------------2- )  N  p 2πd Wasserstoff Moleküldurchmesser d Teilchenabstand l freie Weglänge λ *

2Å* 30 Å 1500 Å = 0.15 µm

4 mal Bohrscher Radius;

Stickstoff 2.5 Å 30 Å 1000 Å = 0.1 µm **

** experimentell bestimmt

Mittlere Stoßfrequenz: 〈 v〉 f = ----------- , λ

2 2 1 4 kT 3 〈 v 〉 = ---------- 〈 v 〉 = 4 ----------- wegen --- m 〈 v 〉 = --- kT . 2 2 2πm 6π

6.3 Elementare Berechnung von Transportkoeffizienten (Reichl, S.462-464; Sommerfeld, S.167-175)

Problem:

Berechnung des Diffusionskoeffizienten, der Viskosität und der Wärmeleitfähigkeit von idealen Gasen. A(z) sei eine in z-Richtung veränderliche molekulare Eigenschaft, z.B.

z

1. n T ( z ) ⁄ n z = z0

(mittlerer Anteil an “Tracer”-Teilchen)

2. m 〈 v y ( z )〉 2 1 3. --- m 〈 v ( z )〉 2

(mittlere Impulskomponente parallel zur Ebene) (mittlere kinetische Energie)

Zwischen Stößen transportieren Teilchen die molekulare Eigenschaft A durch die Ebene bei z = z0 . Bilanz für die Stromdichte der Größe A durch die Ebene:

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 61

(Annahme: ∆z = cλ )

{

dA ( z 0 ) J A ( z 0 ) = n 〈 v 〉 [ A ( z 0 – ∆z ) – A ( z 0 + ∆z ) ] = – 2cn 〈 v 〉 λ ----------------dz 0 Teilchen/(Fläche x Zeit) Genauere Behandlung geometrischer Effekte:

1 dA ( z ) J A ( z ) = – --- n 〈 v 〉 λ -------------3 dz

Diffusionskoeffizient: dn T ( z ) 1 J D ( z ) = – --- 〈 v 〉 λ ---------------dz 3

Ficksches Gesetz mit Diffusionskoeffizient 3 --2

1 1 1 kT - ---  ------ . D = --- λ 〈 v 〉 = ---------------2   3 6a m p π Viskosität: d 〈 v y ( z )〉 1 J zy ( z ) = – --- nm 〈 v 〉 λ -------------------3 dz

Newtonsches Reibungsgesetz mit Viskosität

1 --2

m kT 1 η = --- nmλ 〈 v 〉 = -----------2-  ------ . 3 6πa π Die Viskosität η wird für Gase also als unabhängig vom Druck oder von der Teilchenzahldichte vorhergesagt (für Gase experimentell verifiziert). Wärmeleitfähigkeit: 1 d3 J Q ( z ) = – --- n 〈 v 〉 λ ----- --- kT ( z ) 3 dz 2

Fouriersches Gesetz mit Wärmeleitfähigkeit

1 κ = --- n 〈 v 〉 λk . 2 Zwischen Wärmeleitfähigkeit, Viskosität und Wärmekapazität ergibt sich damit der folgende C κ 3k Zusammenhang: --- = --- ---- = -------V- . 2m η Nm

6.4 Boltzmann-Gleichung (Boltzmannsche Transportgleichung) (Reichl, S.468-475; Huang, S.52-56, 73-79; Sommerfeld, S.246-259)

Problem:

Wie kann man den zweiten Hauptsatz angesichts der Reversibilität der Gleichungen der klassischen Mechanik verstehen? Wie kann man Eigenschaften nicht-idealer Gase berechnen? Voraussetzungen: Verdünntes, klassisches Gas; Dichte räumlich konstant; Wechselwirkung durch Stöße.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Geschwindigkeitsverteilung:

Seite 62

3

f ( v, t )d v sei die Zahl der Moleküle mit Geschwindigkeiten im

3

Intervall d v um v . 1. Wenn das Gas hinreichend verdünnt ist, dann spielen nur Zweierstöße eine Rolle. 2. Annahme vom molekularen Chaos: die Zahl der Molekülpaare mit Geschwindigkeiten in den 3

3

Intervallen d v 1 um v 1 und d v 2 um v 2 sei vor einem Stoß von der Produktform 3

3

f ( v 1, t )d v 1 f ( v 2, t )d v 2 . Streuprozesse und Wirkungsquerschnitte: u' – ---2

Stoßgesetze: ( v 1, v 2 ) → ( v' 1, v'2 )

2

v 1 + v 2 = v' 1 + v' 2 Impulserhaltung 2

2

2

2

v 1 + v 2 = v' 1 + v' 2 Energieerhaltung

u – --2 ϕ

b --- { 2

Im Schwerpunktsystem:

θ Ablenkwinkel u --2

1 1 1 v 1 – --- ( v 1 + v 2 ) = --- ( v 1 – v 2 ) = --- u 2 2 2

1

b: Stoßparameter

(Relativgeschwindigkeit)

u' ---2

Energieerhaltung: u = u' = u Teilchen, die in den Raumwinkel dΩ = sin θ dθ dϕ gestreut werden, müssen auf eine Fläche der Größe b db dϕ treffen. Differentieller Streuquerschnitt:

b db dσ ( u, θ ) --------------------- = ----------- -----dΩ sin θ dθ

(im Schwerpunktsystem).

Der differentielle Streuquerschnitt ist eine ideale Schnittstelle zwischen Experiment und Theorie. Experimentell:

Theoretisch:

Anzahl der Teilchen, die pro s in dΩ gestreut werden dσ ( u, θ ) = ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------2 Anzahl der Teilchen, die pro s pro m einfallen dσ ( u, θ ) θ ( u, b ) → b ( u, θ ) → --------------------dΩ

Herleitung der Boltzmann-Gleichung: 3

Man betrachte ein Geschwindigkeitsintervall d v 1 um v 1 : In der Zeitspanne τ mögen A Moleküle durch Stöße hinausgestoßen und B Moleküle hereingestoßen werden:

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 63

3

[ f ( v 1, t + τ ) – f ( v 1, t ) ]d v 1 = B – A





2πb db v 1 – v 2 τ 3 3 A = f ( v 1, t )d v 1 f ( v 2, t )d v 2 --------------------------------------V 3 τ 3 = d v 1 --- ∫ d v 2 ∫ sin θ dθ dϕ f ( v 1, t )f ( v 2, t )u dσ ( u, θ )/dΩ V

Beachte:

∫ sin θ dθ dϕ

dσ ( u, θ )/dΩ ist die totale Fläche, auf die ein Molekül treffen muß, um

überhaupt gestreut zu werden. dσ ( u, θ ) 3 τ 3 B = d v 1 --- ∫ d v 2 ∫ sin θ dθ dϕ f ( v' 1, t )f ( v'2, t )u ---------------------V dΩ Dabei sind v' 1, v' 2 Funktionen von v 1, v 2, θ, ϕ . Bei der Bestimmung von B wurden die Zeitum3

3

3

3

kehrsymmetrie des Stoßprozesses und die Identität d v 1 d v 2 = d v' 1 d v' 2 benutzt. Durch Einsetzen von A und B erhält man die Boltzmannsche Transportgleichung: ∂f ( v 1, t ) 1 3 dσ ( u, θ ) -------------------- = --- ∫ d v 2 ∫ sin θ dθ dϕ [ f ( v' 1, t )f ( v' 2, t ) – f ( v 1, t )f ( v 2, t ) ]u ---------------------- . ∂t V dΩ In räumlich inhomogenen Systemen oder in Anwesenheit äußerer Kraftfelder treten in der Boltzmannschen Transportgleichung zusätzliche Terme auf. Konsequenzen aus der Boltzmann-Gleichung: Aus der Boltzmannschen Transportgleichung folgt, daß für die Funktion H( t) =

∫d

3

dH ( t ) v 1 f ( v 1, t ) ln f ( v 1, t ) gilt: -------------- ≤ 0 (Boltzmannsches H-Theorem). dt

Das Boltzmannsches H-Theorem zeigt, daß die Boltzmann-Gleichung irreversibel ist. Die Funktion – kH kann als Entropie eines Nichtgleichgewichtszustandes in der Geschwindigkeitsverteilung interpretiert werden. Die zeitunabhängigen Lösungen der Boltzmann-Gleichung müssen von der folgenden Form sein (weil lnf eine additive Erhaltungsgröße ist): 2  f 0 ( v ) = N exp  –A ( v – v 0 )  .   2 3 1 Mit den Beziehungen 〈 v〉 = 0 und --- m 〈 v 〉 = --- kT erhält man die Maxwellsche Geschwindig2 2 2

 1 mv  keitsverteilung: f 0 ( v ) = N exp  – --- ---------  .  2 kT  Ausgehend von der Boltzmann-Gleichung für räumlich inhomogene Systeme kann man eine detaillierte Theorie der Transportkoeffizienten für nicht-ideale Gase entwickeln, bei der die genaue Form der Wechselwirkung durch den differentiellen Wirkungsquerschnitt eingeht.

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Seite 64

6.5 Brownsche Bewegung (Öttinger, S.82-85; Reichl, S.183)

Problem: Wie kann man die wilde Zickzack-Bewegung von Brownschen Teilchen beschreiben? Historische Bemerkungen: Wir wollen hier eine (heuristische) stochastische Bewegungsgleichung für ein großes (Brownsches) Teilchen in einer Flüssigkeit oder einem Gas aus viel kleineren Teilchen formulieren und diskutieren. Das historische Beispiel für ein solches System ist Pollen in Wasser, für das der britische Botaniker Robert Brown (1773-1858) im Jahre 1828 seine Beobachtung einer sehr irregulären und unvorhersagbaren Teilchenbewegung in Abwesenheit äußerer Kräfte veröffentlichte (andere Naturforscher haben diese Brownsche Bewegung schon mehr als 100 Jahre vor Brown beobachtet, aber er war der erste, der die große Bedeutung des Phänomens erkannt und es genauer untersucht hat). Erst viel später wurde erkannt, daß der Ursprung dieser Bewegung in den außerordentlich zahlreichen Stößen zwischen dem Brownschen Teilchen und den umgebenden kleinen Teilchen aufgrund der unermüdlichen Wärmebewegung liegt. Stochastische Bewegungsgleichung: dV B Für eindimensionale Bewegungen: M --------t = – ζV t + F t dt B

wobei bei M die Masse des Brownschen Teilchens, ζ der Reibungskoeffizient und F t eine Zufallskraft ist, deren Eigenschaften noch zu bestimmen sind. Die Zufallskraft resultiert aus den zahlreichen Stößen zwischen dem Brownschen Teilchen und den umgebenden kleinen Teilchen. Da all diese Stöße als unabhängig betrachtet werden können, liegt es nach dem zentralen Grenzwertsatz nahe, die Zufallskraft als Gaußsch zu betrachten. Den Mittelwert der Zufallskraft nehmen wir als Null an, da der mittlere Effekt der Stöße bereits durch den Reibungsterm berücksichtigt ist. Wegen der Häufigkeit der Stöße ist die zeitliche Korrelation in den Zufallskräften sehr kurz, so daß wir in guter Näherung schreiben können: B

〈 Ft 〉 = 0 ,

B B

〈 F t F t’ 〉 = α B δ ( t – t' ) ,

wobei nur noch die Konstante αB zu bestimmen bleibt. Hat ein Brownsches Teilchen zur Zeit t=0 die Geschwindigkeit 0, so erhält man durch lösen der inhomogenen linearen Bewegungsgleichung: t

1 V t = ----M

∫e

– ζ ( t – t’) ⁄ M B F t' dt’

und daher

α 1 2 – 2ζt ⁄ M --- M 〈 V t 〉 = ------B- ( 1 – e ) 2 4ζ

0

Die bisher noch unbestimmte Konstante α B erhält man nun aus der Bedingung, daß für große t die 1 1 2 Beziehung --- M 〈 V t 〉 = --- kT gelten sollte: 2 2

αB = 2kTζ

Dieser Ausdruck für α B , der die Stärke der Zufallskräfte (Fluktuationen) mit dem Reibungskoeffizienten (Dissipation) in einer stochastischen Bewegungsgleichung in Verbindung bringt, ist ein Beispiel für das Fluktuations-Dissipations-Theorem (der zweiten Art).

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Diffusionskoeffizient: Im Limes vernachlässigbarer Trägheitseffekte ( M → 0 ) erhält man aus der Bewegungsgleichung t

dXt 1 B 1 B Vt = -------- = --- F t mit der Lösung X t = --- ∫ Ft’ dt’. ζ ζ dt 0

Für die mittlere quadratische Teilchenbewegung ergibt sich daraus αBt kT 2 〈 X t 〉 = -------= 2 ------ t . 2 ζ ζ Insgesamt haben wir damit aus der stochastischen Bewegungsgleichung für das Brownsche Teilchen das Diffusionsverhalten der Bewegung abgeleitet, wobei wir das berühmte Nernst-EinsteinGesetz für den Diffusionskoeffizienten erhalten haben: kT D = -----ζ Den Einfluß der vernachlässigten Trägheitseffekte auf die Trajektorien eines Brownschen Teilchens zeigt die folgende Abbildung: Die drei gezeigten Trajektorien entsprechen folgenden Werten von M: 0.0001, 0.04 und 0.2 (wobei α B = ζ = 1 angenommen ist). Mit zunehmendem M werden die Trajektorien glatter. Im Rahmen der Auflösungsgenauigkeit der Abbildung ist die Kurve für M=0.0001 ununterscheidbar von der wilden Zickzack-Kurve für M=0 (stetig aber nirgends differenzierbar).

Xt

1

0

-1 0

0.5

1

t

Verständnisfragen V34. Bewegen sich bei gleicher Temperatur Wasserstoff- oder Sauerstoffmoleküle schneller? V35. Wie ändert sich die Viskosität von Flüssigkeiten und von Gasen mit der Temperatur? V36. Wie kommt die Irreversibilität der Boltzmann-Gleichung zustande?

Aufgabe 23: Barometrische Höhenformel Betrachten Sie ein ideales Gas von N Teilchen der Masse m im Schwerefeld der Erde. Arbeiten Sie mit der kanonischen Gesamtheit in einem Volumen V bei Temperatur T. Die Wahrscheinlichkeit für den Zustand ν = (r 1, …, r N, p 1, …,p N) ist

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 66

E gegeben durch Pν ∼ exp  – -----ν- mit der Energie Eν = kT

N



N

2

pi ------- + 2m

i=1

∑ mgz i . Die Erdbeschleunigung sei g

= 9, 80665 [m/

i=1

s2]. Zeigen Sie, daß für die Verteilung der Ortskoordinate eines herausgegriffenen Teilchens gilt (z.B. Teilchen 1): mg P ( x 1, y 1, z 1 ) ∼ exp  – ------- z 1 .  kT 

Hinweis: P ( x 1, y 1, z 1 ) ∼ ∫ dr 2 … ∫ dr N ∫ dp 1 … ∫ dp N P ν , d.h. ist gegeben durch Integration von 3(N-1) Ortskoordinaten und allen Impulsen. Bei konstanter Temperatur sind Wahrscheinlichkeitsdichte (oder Teilchendichte) und Druck proportional, somit gilt für den Druck: p ( z ) = p 0 exp  – ------- z (Barometrische Höhenformel). mg kT

ρ p0

ρ p0

Anwendung: Da die Temperatur konstant ist, gilt ------ = ----0- und somit p ( z ) = p0 exp  – ----0-gz . m kT

a) Nach welcher Höhe hat der Luftdruck um die Hälfte abgenommen, wobei für Luft, bei Normalbedingungen T=273,15 K und p0= 101’325 Pa, gilt ρ0=1,2928 kg/m3? b) Erklären Sie die Zugwirkung von Kaminen und Schornsteinen. Hinweis: Am oberen Ende des Kamins besteht zwischen Innen- und Außenraum kein Druckunterschied; wie ist der Druckunterschied am unteren Ende?

Aufgabe 24: Mittlere quadratische Geschwindigkeit in der Luft Luft besteht aus ca. 23% Sauerstoff (O2) und 77% Stickstoff (N2) Gewichtsprozente (vernachlässigen Sie die restlichen Komponenten). Bei Normalbedingungen (T=273,15 K und p= 101’325 Pa) gilt ρ(N2)=1,25 kg/m3 und ρ(O2)=1,43 kg/ m 3. 2

a) Berechnen Sie die mittlere quadratische Geschwindigkeit 〈 v 〉 für die einzelnen Komponenten. b) Berechnen Sie die mittlere quadratische Geschwindigkeit für die Luft. Hinweis: Berechnen Sie zuerst die Volumenprozente (Atommasse von N2: 28 g/Mol, O2: 32 g/Mol).

Aufgabe 25: Transportgleichungen / Kinetische Gastheorie a) Welche physikalischen Größen können mit der Transporttheorie bestimmt werden, welche mit der Gleichgewichtsthermodynamik nicht bestimmt werden können? Geben Sie mindestens drei an und geben Sie zusätzlich zu jeder dieser physikalischen Größen den Namen der entsprechenden Stromdichte an! b) Bestimmen Sie für ein ideales, einatomiges Gas (Teilchendichte 1019 ⁄ cm 3 , Masse m = 10 – 25 kg , mittleres 2

Geschwindigkeitsquadrat 〈 v 〉 = 1000m 2 ⁄ s 2 ) den Druck p.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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Literaturhinweise Für die Vorlesung hauptsächlich verwendete Bücher: 1. David Chandler, Introduction to Modern Statistical Mechanics (Oxford University Press, New York, 1987) Für das Kapitel “Aufbau der Thermodynamik” verwendet; enthält Übungsaufgaben. 2. Hartmann Römer und Thomas Filk, Statistische Mechanik (VCH, Weinheim, 1994) Enthält ausführlichen historischen Abriß. 3. Linda E. Reichl, A Modern Course in Statistical Physics (University of Texas Press, Austin, 1980) Hier findet man zu allen in der Vorlesung behandelten Themen ausführliche Darstellungen (und vieles mehr); enthält zahlreiche Übungsaufgaben. 4. Josef Honerkamp und Hartmann Römer, Klassische Theoretische Physik, 3. Aufl. (Springer, Berlin, 1993) Materialwissenschaftlich orientierte Lehrbücher: 5. Eugene S. Machlin, Thermodynamics and Kinetics Relevant to Materials Science (Giro Press, Croton-on-Hudson, 1991) Darstellung aus der Sicht eines Metallurgen; enthält Übungsaufgaben und einige Tabellen mit thermodynamischen Materialeigenschaften. 6. John B. Hudson, Thermodynamics of Materials (Wiley, New York, 1996) Darstellung aus der Sicht eines Materialwissenschaftlers; enthält Übungsaufgaben und einige Tabellen mit thermodynamischen Materialeigenschaften. 7. Stanley Sandler, Chemical and Engineering Thermodynamics, 2nd Ed. (Wiley, New York, 1989) Darstellung aus der Sicht eines Verfahrenstechnikers (Chemical Enginneer’s); viele Anwendungsbeispiele. 8. H. Ted Davis, Statistical Mechanics of Phases, Interfaces, and Thin Films (VCH, New York, 1996) Darstellung aus der Sicht eines Materialwissenschaftlers; enthält zahlreiche Aufgaben und Beispiele, sowie viele experimentelle Daten und Tabellen mit molekularen Parametern. 9. Bruno Predel, Heterogene Gleichgewichte (Steinkopff, Darmstadt, 1982) Große Klassiker (Goethe und Puschkin der theoretischen Physik): 10. Arnold Sommerfeld, Vorlesungen über Theoretische Physik, Band V, Thermodynamik und Statistik, Nachdruck der 2. Aufl. (Harri Deutsch, Thun, 1977) Enthält einige Übungsaufgaben mit Lösungsanleitungen; enthält zwei ausführliche Kapitel zur kinetischen Gastheorie. 11. L. D. Landau und E. M. Lifschitz, Lehrbuch der Theoretischen Physik, Bände 5 und 9, Statistische Physik, Teile 1 und 2, 8. bzw. 4. Aufl. (Akademie-Verlag, Berlin, 1987 bzw. 1992) Ein monumentales Werk; enthält Übungsaufgaben mit Lösungen.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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Weitere “berühmte” Lehrbücher: 12. Herbert B. Callen, Thermodynamics and an Introduction to Thermostatistics, 2nd Ed. (Wiley, New York, 1985) Sehr klare und ehrliche Darstellung der Grundlagen der Thermodynamik; enthält Übungsaufgaben, teilweise mit Lösungen. 13. Kerson Huang, Statistical Mechanics, 2nd Ed. (Wiley, New York, 1987) 14. Donald A. McQuarrie, Statistical Mechanics (Harper Collins, New York, 1976) Enthält zahlreiche Übungsaufgaben. 15. Gerald Carrington, Basic Thermodynamics (Oxford University Press, Oxford, 1994) Enthält Übungsaufgaben mit Lösungen. 16. Michael Plischke and Birger Bergersen, Equlibrium Statistical Physics, 2nd Ed. (World Scientific, Singapore, 1994) Enthält Übungsaufgaben. Elementare Darstellungen: 17. Ludwig Bergmann und Clemens Schaefer, Lehrbuch der Experimentalphysik, Band 1, Mechanik - Akustik - Wärme, 10. Auflage, bearbeitet und erweitert von Heinrich Gobrecht (de Gruyter, Berlin, 1990) Zahlreiche Beschriebungen von Experimenten und experimentellen Ergebnissen; Darstellung auf elementarem mathematischem Niveau; enthält Übungsaufgaben mit Lösungen. 18. Oskar Höfling, Physik, Band II, Teil 1, Mechanik - Wärme (Dümmler, Bonn, 1973) Es kann sich zur Erinnerung auch mal lohnen, in dieses [oder ein anderes] Schulbuch (11./12. Schuljahr) zu schauen. 19. Friedhelm Kuypers, Physik für Ingenieure, Band 1, Mechanik und Thermodynamik (VCH, Weinheim, 1996) Von einem theoretischen Physiker unter dem Motto “Keine Angst vor Physik!” für Ingenieurstudenten an Fachhochschulen geschrieben; mit 106 Beispielen und 132 Aufgaben mit ausführlichen Lösungen. Literatur zu speziellen Themen: 20. Stanley I. Sandler (Hrsg.), Models for Thermodynamic and Phase Equilibria Calculations (Marcel Dekker, New York, 1994) Enthält in Hülle und Fülle Beispiele für die Berechnung von Phasendiagrammen für Mehrstoffsysteme; zahlreiche Phasendiagramme und Tabellen mit thermodynamischen und anderen Materialeigenschaften. 21. L. R. G. Treloar, The Physics of Rubber Elasticity, 3. Aufl. (Oxford, 1975) Ein Klassiker zur Gummielastizität. 22. Jerome H. Weiner, Statistical Mechanics of Elasticity (Wiley, New York, 1983) Enthält zwei umfassende Kapitel zur Gummielastizität. 23. Hans Christian Öttinger, Stochastic Processes in Polymeric Fluids - Tools and Examples for Developing Simulation Algorithms (Springer, Berlin, 1996) Diskussion der stochastischen Bewegungsgleichungen für die Brownsche Bewegung (und für viele andere Probleme aus dem Bereich der Polymerdynamik).

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24. Ross Taylor and Michael B. Monagan, Thermodynamics with Maple: I. Equations of State (MapleTech, Issue 10, pp.50-59, Fall 1993); Ross Taylor, Thermodynamics with Maple: II. Phase Equilibria in Binary Systems (MapleTech, Vol.1, No.1, pp.83-92, Spring 1994); Steve Adams and Ross Taylor, Thermodynamics with Maple: III. Thermodynamic Property Relations and the Maxwell Equations (MapleTech, Vol.1, No.2, pp.68-81, Fall 1994); Ross Taylor, Thermodynamics with Maple: IV. The Properties of Steam (MapleTech, Vol.3, No.2, pp.61-68, Fall 1996) Anwendungsbeispiele für den Einsatz der Maple-Software (für symbolische mathematische Berechnungen) im Unterricht im Zusammenhang mit thermodynamischen Problemen.

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Antworten auf die Verständnisfragen V1.

Neben dem Materieaustausch muß auch ein Energieaustausch mit der Umgebung unmöglich sein.

V2.

Extensive Variablen sind mengenartige Größen, die proportional mit der Größe des Systems (räumliche Ausdehnung und Anzahl Freiheitsgrade) wachsen. Andererseits ändern sich intensive Variablen mit der Größe des Systems nicht. Beispiele für extensive Variablen sind das Volumen V, die Teilchenzahl N, die Magnetisierung M und auch die Entropie S. Die entsprechenden intensiven Variablen sind der Druck p, das chemische Potential µ, das Magnetfeld B und die Temperatur T.

V3.

Paare von konjugierten Variablen sind zum Beispiel T und S, p und V, µ und N oder auch H und M. Die zur Variable X gehörende konjugierte Variable f erhält man durch partielle Ableitung eines thermodynamischen Potentials nach X, welches X als natürliche Variable enthält. Da thermodynamische Potentiale extensive Größen sind, muß die zu einer extensiven (intensiven) Variablen konjugierte Variable intensiv (extensiv) sein.

V4.

Derselbe ‘warme’ Endzustand kann nicht nur durch Zufuhr von Wärme, sondern auch durch Energiezufuhr in Form von elektromagnetischer Strahlung erreicht werden.

V5.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß die Entropie eines abgeschlossenen Systems niemals abnimmt und im Gleichgewichtszustand ein Maximum erreicht; das heißt ∆S ≥ 0 . Bei einem geschlossenen (kein Materieaustausch, aber Energieaustausch möglich) oder bei einem offenen System kann keine Aussage über das Vorzeichen der Entropieänderung gemacht werden (Austausch von Wärme mit der Umgebung ist möglich).

V6.

Der Koexistenzpunkt von Flüssigkeit, Dampf und Eis ist eindeutig. Wenn man den fest-flüssig Übergang von Wasser zur Definition des Kelvins verwenden will, muß man den zugehörigen Druckwert angeben (bei Normaldruck erfolgt der fest-flüssig Übergang bei 273,15 K).

V7.

Für eine homogene Funktion φ ( y ) vom Grad 1, welche per definitionem die Beziehung φ ( λy ) = λφ ( y ) (λ reell) erfüllt, gilt

d φ ( λy ) dλ

= φ(y) = λ=1



∑ yk ∂ y kφ ( y )

. Da die Energie E als extensive Größe eine homogene

k

Funktion vom Grad 1 in den extensiven Variablen S und X ist, folgt aus der differentiellen Form dE = T dS + f ⋅ dX unmittelbar E = TS + f ⋅ X . Diese Beziehung wird auch als Homogenitätsrelation bezeichnet.

Die Gibbs-Duhem-Beziehung lautet S dT + X ⋅ df = 0 und folgt unmittelbar aus der differentiellen Form dE = T dS + f ⋅ dX und der Homogenitätsrelation E = TS + f ⋅ X .

V8.

Beim Übergang zu einem neuen Variablensatz für das thermodynamische System, welcher durch Konjugation einiger Variablen aus dem alten Satz hervorgeht, gibt uns die Legendre-Transformation eine Vorschrift, wie das neue thermodynamische Potential zu wählen ist, ohne daß dabei Information über das System verloren geht. Beispielsweise interessiert man sich für den Übergang von (S,V,N) zu (T,V,N), wobei T =

∂ E(S, X ) die zu S konju∂S

gierte Variable ist. Die Legendre-Transformierte von E, gegeben durch die freie Energie   ∂ F ( T, V, N ) =  E ( S, V, N ) – S E ( S, V, N )  ∂S  

, S = S ( T, V, N )

enthält immer noch die vollständige Information über das System. Gemäß V3 gelangt man mit einer LegendreTransformation von einer Beschreibung durch eine extensive (intensive) Variable zu einer Beschreibung durch eine intensive (extensive) Variable. V9.

Vermutlich die kalorische Zustandsgleichung E = 3NkT ⁄ 2 und die thermische Zustandsgleichung pV = NkT . Keine dieser Zustandsgleichungen stellt ein thermodynamisches Potential dar. Zur Konstruktion eines geeigneten thermodynamischen Potentials siehe Aufgabe 4.

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V10. unabhängige Variablen T, p

thermodynamisches Potential

konjugierte Variablen

Gibbssches Potential oder freie Enthalpie G(T,p)

 ∂G = – S ( T, p ) : Entropie ∂T p  ∂G = V ( T, p ) : Volumen  ∂p  T

S, p

Enthalpie H(S,p)

 ∂H = T ( S, p ) : Temperatur ∂S  p  ∂H = V ( S, p ) : Volumen ∂p  S

T, V

Freie Energie F(T,V)

 ∂F = – S ( T, V ) : Entropie  ∂ T V  ∂F = – p ( T, V ) : Druck  ∂ V T

S, V

Energie E(S,V)

 ∂E = T ( S, V ) : Temperatur  ∂ S V  ∂E = – p ( S, V ) : Druck  ∂ V S

V11. Beim aufstellen von Zustandsgleichungen müssen die sogenannten Maxwell-Relationen erfüllt werden. Unter der Voraussetzung, daß das verwendete thermodynamische Potential zweimal stetig differenzierbar ist, folgt, daß nacheinander ausgeführte partielle Ableitungen vertauschen. Daraus ergeben sich diese Konsistenzbedingungen. Falls die freie Energie des Systems durch F(T,V,N) gegeben ist, folgt hier 2

2

∂S ∂F ∂F ∂p = = – ⇒– ∂V ∂ T ∂V ∂ V ∂T ∂T 2

2

2

2

∂F ∂F ∂µ ∂S = ⇒ = – ∂ N ∂T ∂T ∂ T ∂N ∂N ∂p ∂F ∂F ∂µ = = – ⇒ ∂N ∂ V ∂N ∂ N ∂V ∂V

V12. Durch zweimaliges Ableiten. V13. Für die thermodynamischen Potentiale E, F, H, G gelten Minimalprinzipien: Bei Festhalten der natürlichen Variablen (S,V,N für E; T,V,N für F; etc.) können diese Potentiale nicht spontan zunehmen und erreichen im stabilen Gleichgewicht ein Minimum. Beispielsweise ist die freie Energie eines aus zwei Teilsystemen zusammengesetzten, abgeschlossenen Gesamtsystems gegeben durch F ( T, V, N ) = min { F ( T, V1, N 1 ) + F ( T, V 2, N 2 ) }

V1 + V2 = V , N1 + N2 = N

= min { F ( T, V1, N 1 ) + F ( T, V – V1, N – N 1 ) }

.

V, N fest

Dazu müssen erstens die partiellen Ableitungen von F ( T, V 1, N 1 ) + F ( T, V – V1, N – N1 ) nach V 1 und N 1 verschwinden, woraus Gleichheit der Drucke und der chemischen Potentiale der Teilsysteme resultiert; zweitens müssen Stabilitätsbedingungen erfüllt sein, die garantieren, daß dort tatsächlich ein lokales Minimum angenommen wird: die freie Energie muß als Funktion des Volumens und der Teilchenzahl eine konvexe Funktion sein. Falls die freie Energie zweimal stetig differenzierbar ist, resultieren daraus Bedingungen an die zweiten Ableitungen (die Matrix der zweiten Ableitungen nach V und N muß eine positive quadratische Form sein). Daraus

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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ergeben sich wiederum Bedingungen an Materialeigenschaften, welche typischerweise durch zweite Ableitungen von thermodynamischen Potentialen gegeben sind. Demnach können Stabilitätsbedingungen auch durch geeignete Ungleichungen von Materialeigenschaften ausgedrückt werden, wie zum Beispiel C V ≥ 0, C p ≥ 0, C p ≥ C V ;κ ≥ 0, κ S ≥ 0 ;T ≥ 0 .

V14. Ein isentroper Prozeß läßt sich zum Beispiel adiabatisch-reversibel realisieren; auch eine irreversible Realisierung ist durch Abführen von erzeugter Entropie möglich. V15. Eine Carnot-Maschine besteht aus einem Arbeitsmedium (zum Beispiel einem Gas), an dem durch von außen geleistete (respektive nach außen abgegebene) Arbeit und durch wahlweise Kopplung an zwei Wärmereservoire bei den Temperaturen T1, T 2 mit T 1 ≥ T2 ein reversibler Kreisprozeß realisiert werden kann. Wir illustrieren den Kreisprozeß mit Hilfe des p-V-Diagrammes. Von einem Anfangszustand ( T 1, V 1, p 1 ) ausgehend wird das Arbeitsmedium isotherm expandiert, wodurch der Zustand ( T1, V1’, p’1 ) erreicht wird (Wärmeaufnahme vom Wärmebad T 1 ). Darauf wird der Kontakt mit dem Wärmebad T 1 unterbrochen und das Arbeitsmedium wird adiabatisch expandiert und in den Zustand ( T 2, V 2’, p’2 ) gebracht (Arbeitsabgabe nach außen). Nun wird das Medium im Kontakt mit dem Wärmebad T2 isotherm komprimiert, so daß der Zustand ( T 2, V 2, p 2 ) erreicht wird (Wärmeabgabe ans Wärmereservoir), und schließlich adiabatisch auf das Anfangsvolumen V 1 komprimiert.

p (V1,p2) T1=const. (V1’,p1’)

(V2,p2) (V2’,p2’) T2=const.

V V16. Die Gibbssche Phasenregel F=2+B-P gibt an, wieviele intensive Variablen man benötigt, um ein heterogenes Gleichgewicht von P Phasen aus B Teilchensorten zu beschreiben, und wieviele Phasen für B Teilchen demnach höchstens koexistieren können ( P ≤ B + 2 ). Am Tripelpunkt von Wasser koexistieren P=3 Phasen bei einer Teilchensorte; nach der Gibbsschen Phasenregel ergibt sich mit B=1 die Beziehung F=0; also ist der Tripelpunkt bei der Beschreibung mit intensiven Variablen tatsächlich ein Punkt. Entlang der flüssig-gasförmig Koexistenzkurve (F=2+B-P=2+1-2=1) wird der Dichteunterschied zwischen den beiden Phasen mit zunehmender Temperatur immer geringer, bis er am kritischen Punkt verschwindet. Oberhalb der zugehörigen kritischen Temperatur gibt es keinen Unterschied zwischen flüssig und gasförmig mehr. Formal zeigt sich dies darin, daß die Umwandlungswärme und der Unterschied im spezifischen Volumen der reinen Phasen verschwinden. Das heißt insbesondere, daß die ersten Ableitungen der freien Enthalpie am kritischen Punkt stetig werden; es liegt ein Phasenübergang zweiter Ordnung vor. V17. Per definitionem treten bei einem Phasenübergang 1. Ordnung Unstetigkeiten in der 1. Ableitung der freien Enthalpie nach Druck und Temperatur auf. Dies führt zu Unstetigkeiten in der Entropie (latente Wärmen!) und im Volumen.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

G

Steigung VI

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G

Steigung -SII

Steigung VII Steigung -SI

p

T

∂G V =   ∂p  T

∂G S = –  ∂T p

II

I SII

VI VII

SI II

I p

pc

T

Tc

V18. Im Gegensatz zum idealen Gas wird beim van der Waals Gas zusätzlich berücksichtigt, daß die Teilchen eine endliche Ausdehnung haben, und daß somit das freie Volumen für die Bewegung eines Teilchens reduziert ist [harter Kern, abstoßende “hard core”-Wechselwirkung]; außerdem wird eine attraktive Wechselwirkung bei größeren Abständen eingeführt [van der Waals-Wechselwirkung]. Diese Modifikationen werden dadurch erreicht, indem ein effektives Teilchenvolumen v0 und einen Wechselwirkungsparameter a einführt und den Ausdruck für die freie Energie des idealen Gases zu F ( T, V, N ) = – NkT ln cT

3 ⁄ 2 V

2

N ---- – v 0 – a ------ (*) N  V

modifiziert. Ein Phasenübergang n-ter Ordnung macht sich auf dem Niveau von thermodynamischen Potentialen dadurch bemerkbar, daß die n-ten Ableitungen unstetig sind oder, daß das thermodynamische Potential als Funktion seiner natürlichen extensiven Variablen nicht (strikt) konvex ist. Beim van der Waals-Gas stellt sich heraus, daß ausgehend von der “freien Energie” (*) der Druck als Funktion des Volumens bei genügend kleinen Temperaturen nicht mehr monoton fallend ist. Deshalb ist die “freie Energie” (*) als Funktion des Volumens und der Teilchenzahl nicht mehr konvex ( – 

2

∂p  ∂F = ändert zweimal das 2 ∂ V T ∂V

Vorzeichen). Um den aus einer mikroskopischen Vorstellung abgeleiteten Ausdruck (*) mit den Prinzipien der Thermodynamik konsistent zu machen, muß deshalb die sogenannte Maxwell-Konstruktion angewendet werden: dabei wird die konvexe Umhüllende von (*) konstruiert und als freie Energie des van der Waals-Gases definiert. Dies ist nicht nur ein mathematischer Trick: physikalisch bedeutet diese Konstruktion, daß sich das homogene Gesamtsystem in zwei unterschiedliche Teilsysteme aufspaltet (Koexistenz zweier Phasen), um seine freie Energie zu minimieren. Beim idealen Gas (v0=a=0) ist der Druck streng monoton fallend und somit die freie Energie strikt konvex in V. Außerdem stellt sich heraus, daß die freie Energie strikt konvex ist in N und strikt konkav in T 1. V19. Falls keine chemischen Reaktionen möglich sind, dann sind die Teilchenzahländerungen nur durch P



α=1

α

dN k = 0 , k = 1, 2, …, B

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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miteinander verknüpft. Daraus erhalten wir neben der Gleichheit des Druckes und der Temperatur die Gleichgewichtsbedingungen 1

P

µ k = … = µ k ; k = 1, …B , α

α

also insgesamt B(P-1) Gleichungen für die intensiven Variablen p, T, c k = N k ⁄ N N

α

=

α

α

∑ Nk ). Wegen ∑ ck k

α

( 1 ≤ k ≤ B, 1 ≤ α ≤ P ,

= 1 sind nur 2+P(B-1) unabhängig und man erwartet nur eine Lösung, falls die

k

Anzahl Unbekannter größer oder gleich der Anzahl zu erfüllender Gleichungen ist. Daraus ergibt sich die Gibbssche Phasenregel: 2 + P(B – 1 ) ≥ B( P – 1) ⇒ F = 2 + B – P ≥ 0

.

V20. Durch die Einführung von Aktivitäten ist die Mischungsentropie schon berücksichtigt. Außerdem kann die Abweichung vom idealen Verhalten bequem dadurch beschrieben werden, daß man “aktive Konzentrationen” einführt (bei idealen Lösungen sind die Aktivitäten gleich den Konzentrationen). V21. Die Affinität ist eine geeignete Kombination der chemischen Potentiale aller Partner, die an einer chemischen Reaktion beteiligt sind (Gewichtung mit den stöchiometrischen Koeffizienten). Dadurch wird berücksichtigt, daß ein Wechselspiel der chemischen Potentiale aller Reaktionspartner für den Reaktionsverlauf und Gleichgewichtszustand entscheidend ist. V22. Einerseits können die Zustandsgleichungen experimentell bestimmt werden, woraus durch Integration das thermodynamische Potential bestimmt werden kann; oder man versucht, ausgehend von einer mikroskopischen Theorie für den gegebenen physikalischen Sachverhalt, die Zustandssumme zu berechnen, welche die gesamte thermodynamische Information über das System enthält, und woraus sich das thermodynamische Potential ableiten läßt. V23. Einen Mikrozustand erhält man, indem man die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen des Systems spezifiziert; ein Makrozustand ist durch die Angabe der Werte der thermodynamischen Zustandsvariablen festgelegt. Auf der thermodynamisch relevanten Beobachtungszeitskala wird eine gewaltige Zahl von Mikrozuständen durchlaufen, die alle mit demselben Makrozustand verträglich sind, und was schließlich beobachtet werden kann, sind die (zeitlichen) Mittelwerte der interessierenden Größen über diese Mikrozustände. Unter Annahme der Ergodenhypothese können die zeitlichen Mittelwerte durch Ensemble-Mittelwerte ersetzt werden und das führt auf die Idee der statistischen Gesamtheiten. V24. Die Entropie eines Systems ist proportional zum Logarithmus der Zahl der mit einem Makrozustand verträglichen Mikrozustände; je mehr Mikrozustände mit den makroskopischen Variablen eines Systems verträglich sind, desto größer ist demnach die Entropie. V25. Die mikrokanonische Gesamtheit ist diejenige Gesamtheit, welche zu einem abgeschlossenen System mit festen Zustandsvariablen E, X1, …, X n (zum Beispiel E,V,N) gehört. Es wird angenommen, daß alle (Mikro-)Zustände einer mikrokanonischen Gesamtheit gleiches statistisches Gewicht besitzen. Das zu den obenstehenden makroskopischen Variablen gehörende thermodynamische Potential ist die Entropie, welche für das mikrokanonische Ensemble über die Anzahl der mit E, X1, …, X n verträglichen Mikro-Zustände Ω(E, X) definiert ist: S(E, X) = klnΩ(E, X) .

Daraus lassen sich alle thermodynamisch relevanten Größen ableiten.

1. Vom zweiten Hauptsatz wissen wir, daß die Entropie konkav oder äquivalent die Energie konvex sein muß in den (extensiven) natürlichen Variablen. Falls die Energie bzw. die Entropie strikt konvex respektive strikt konkav ist, so liegt kein Phasenübergang vor. Indem die Energie des idealen Gases als Funktion der Entropie, des Volumens und der Teilchenzahl durch Legendre-Transformation aus F berechnet wird, läßt sich explizit zeigen, daß die auf diese Weise erhaltene Funktion E(S,V,N) strikt konvex ist, und daß somit beim idealen Gas ein Phasenübergang ausgeschlossen werden kann.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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Die kanonischen Gesamtheiten entsprechen geschlossenen Systemen (kein Materieaustausch) im Kontakt mit einem Wärmebad der Temperatur T. Die Energie der entsprechenden Mikrozustände hat dann keinen festen Wert mehr, und die statistischen Gewichte für eine größere Anzahl von Mikrozuständen müssen bestimmt werden. Dabei resultieren die Boltzmann-Faktoren Pv für die Mikrozustände v: 1 P v = ------------------ exp ( – E v ⁄ kT ), Z(T, X)

Z(T, X) =

∑ exp ( –Ev ⁄ kT ). v

Die für das kanonische Ensemble natürlichen Variablen sind gegeben durch T, X1, …, X n . Das zugehörige thermodynamische Potential ist die freie Energie, welche aus der Zustandssumme Z(T, X) berechnet werden kann: F(T, X) = – kTln Z(T, X) .

V26. Bei der Berechnung der Entropie eines idealen Gases aus der Zahl der möglichen Mikrozustände kommt die Entropie nicht als extensive Größe heraus; schon klassisch muß man die Teilchen eines Gases als ununterscheidbar betrachten. V27. Zur Einführung dimensionsloser Größen, die strenggenommen benötigt werden, um bei der Konstruktion von thermodynamischen Potentialen Logarithmen bilden zu können, braucht es eine Konstante mit der Dimension einer Wirkung (Abzählung von Zuständen im Phasenraum, die Dimension des Phasenraumvolumens ist die einer Potenz der Wirkung). Erst die Quantenmechanik stellt uns mit dem Planckschen Wirkungsquantum h eine fundamentale Konstante mit Dimension einer Wirkung bereit. In der klassischen statistischen Mechanik wird die Zahl der möglichen Zustände in einem idealen Gas weit überschätzt. Dies führt zu einem falschen Ausdruck für die Entropie. Zu einer extensiven Definition der Entropie gelangt man erst, wenn man eine “korrekte Boltzmann-Abzählung” der Zustände vornimmt: gemäß Quantenmechanik sind Zustände, die durch Permutationen identischer Teilchen auseinander hervorgehen, identisch. Deshalb muß die klassische Anzahl der mit E, V, N verträglichen Mikrozustände eines idealen Gases (von ununterscheidbaren Teilchen) durch die Anzahl der mögliche Permutationen N! dividiert werden. Der dritte Hauptsatz kann erst im Rahmen der Quantenmechanik erklärt werden. V28. Sie nehmen als Mittelwerte nach dem “Gesetz der großen Zahlen” ab; typischerweise sind die relativen Schwankungen von der Ordnung 1 ⁄ N . V29. Bei einem idealen Gas hat man nur die Effekte der kinetischen Energie zu berücksichtigen, während beim Festkörper die potentielle Energie für Schwingungen im Potentialtopf hinzukommt. V30. Ein Maß für die mittlere Segmentorientierung. V31. Für höherdimensionale Systeme, weil jedes Teilchen dann mehr Nachbarn hat und damit die Vorstellung von einem mittleren Feld besser gerechtfertigt ist. V32. Er nimmt mit der Wurzel der Kettenlänge ab. V33. Die Temperatur nimmt deutlich zu. Entropie wird in die Umgebung und auf Ihre Lippen abgeführt, da die verstreckte Konfiguration deutlich weniger Entropie enthält. Wenn sie das Gummiband im gestreckten Zustand auf Umgebungstemperatur kommen und sich dann zusammenziehen lassen, wird es spürbar kühler. V34. Bei derselben kinetischen Energie (d.h. Temperatur) müssen sich die leichteren Wasserstoffmoleküle schneller bewegen. V35. Während Flüssigkeiten typischerweise mit zunehmender Temperatur dünnflüssiger werden, zeigen die in diesem Kapitel gefundenen Ausdrücke, daß die Viskosität von Gasen mit der Wurzel aus der absoluten Temperatur zunimmt. V36. Nach der Annahme vom molekularen Chaos sind die Geschwindigkeiten der Moleküle vor einem Stoß unkorreliert, während sie nach dem Stoß korreliert sind. Damit ist eine Zeitrichtung ausgezeichnet.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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Lösungen der Übungsaufgaben Aufgabe 1: Thermometer Quecksilberthermometer: beruht auf Wärmeausdehnung von flüssigem Quecksilber (Hg) Gasthermometer: beruht auf Wärmeausdehnung von Gasen (bzw. Druckzunahme bei konstantem Volumen) Bimetallthermometer: beruht auf der verschiedenen Wärmeausdehnung von zwei parallelen, verbundenen Metallstreifen Widerstandsthermometer: beruht auf der Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes bei Metallen Strahlungspyrometer: beruht auf der vom heißen Körper emittierten Strahlung Thermoelement: beruht auf dem thermoelektrischen Effekt (d.h.: eine Temperaturdifferenz induziert eine elektrische Spannung) an der Verbindungsstelle zwischen zwei verschiedenen Metallen. Meßbereich

mögliche Genauigkeit

Quecksilberthermometer

-38 °C bis 300 °C (-58 °C mit 8,5%Tallium und bis ~700 °C bei 100 bar Gasdruck)

1/100 K

Gasthermometer

(-200°C) -50°C bis 350°C (700°C)

1% des Anzeigebereiches

Bimetallthermometer

-50°C bis 400°C

1% des Anzeigebereiches

Widertandsthermometer

0 °C bis 400 °C

1/1000 K

Strahlungspyrometer

(0°C bis 3500°C)

0.7% des Sollwertes der Temp. oder 1.7K (je nachdem welcher Wert größer ist)

Thermoelement

~-270 °C bis 2700 °C

1/100 K

Quecksilberthermometer: ➀ ist anwendbar im gesamten üblichen (Luft-)Temperaturbereich ➁ hat lineare Wärmeausdehnung in großem Temperaturbereich.

Aufgabe 2: Partielle Ableitungen Allgemein gilt ∂F a)   ∂V

T, N

∂G b)   ∂p

T, N

d 1 ln ( a ⋅ x ) = --- , unabhängig von a, und ln ( x α ) = α ⋅ ln ( x ) . Damit folgt leicht: dx x

∂F 3⁄2 3⁄2 31 3 = – k TN ⁄ V und   = – kN ln ( cT V ⁄ N ) – kTN --- --- = – kN ln ( cT V ⁄ N ) – --- kN , sowie  ∂ T V, N 2T 2 1 = kTN –  – ---  p

kTN = ---------- und p

5⁄2 5⁄2 51 5  ∂G = kN [ 1 – ln ( c˜ T ⁄ p ) ] + kTN – --- --- = kN [ 1 – ln ( c˜ T ⁄ p ) ] – --- kN  ∂ T  p, N 2T 2

.

Aufgabe 3: Integrabilitätsbedingung a) Alle partiellen Ableitungen der f’s sind Null, d.h. die Integrabilitätsbedingung ist trivial erfüllt. Das Potential ist in diesem Fall gegeben durch φ ( x, y, z ) = c ⋅ z .

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

b) Wegen

∂ ∂ 5⁄2 5 kN kN [ 1 – ln ( c˜ T (f ) = ⁄ p ) ] – --- kN = ------∂p ∂p T 2 p

gung erfüllt und somit existiert ein Potential φ ( T, p ) mit

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und

∂ kN ( f ) = ------- ist auch hier die Integrabilitätsbedin∂T p p

∂φ ∂φ = f T und = fp . Man kann zeigen, daß dieses Poten∂T ∂p

tial der Funktion G ( T, p, N ) aus Aufgabe 2b) entspricht.

Aufgabe 4: Konstruktion eines thermodynamischen Potentials (Ideales Gas) Zwei Möglichkeiten das Potential, respektive die Variablen, zu wählen sind die freie Energie F(T,V,N) und die freie Enthalpie G(T,p,N). 1.Wahl: F(T,V,N) Ein Vergleich der allgemein gültigen thermodynamischen Beziehungen für die innere Energie und den Druck mit den beiden Zustandsgleichungen liefert: ∂F ∂F 3 NkT = – p = – ---------- . F –T   = F + TS = E = --- NkT und    ∂ T V, N  ∂ V T, N 2 V

Aus der zweiten Gleichung folgt durch Integration nach V: F = – NkT ln  --------------------- , wobei V0 eine IntegrationskonV V 0 ( T, N )

stante ist, die noch von den Variablen T und N abhängen kann. Einsetzen dieser Funktion in die kalorische Zustandsgleichung liefert die folgende Bestimmungsgleichung für die –3 ⁄ 2 T ∂V0 3 = --- . Man findet, daß V 0 = z ( N ) ⋅ T eine Lösung ist, wobei z ( N ) eine von N abhängige V0 ∂ T  N 2

Funktion V 0 : – ------ 

Integrationskonstante ist. Es folgt somit, daß die freie Energie gegeben ist durch F ( T, V, N ) = – NkT ln ( VT

3⁄2

⁄ z(N )) .

Unter der Bedingung, daß F extensiv sein muß, kann man zeigen, daß z ( N ) ∝ N sein muß. 2.Wahl: G(T,p,N) Ein Vergleich der allgemein gültigen thermodynamischen Beziehungen für die innere Energie und den Druck mit den beiden Zustandsgleichungen liefert: ∂G ∂G ∂G 3 NkT G – T  – p  = V = ---------- . = G + TS – pV = E = --- NkT und    ∂ T  p, N  ∂ p  T, N  ∂ p  T, N p 2

Aus der zweiten Gleichung folgt durch Integration nach p: G = NkT ln  --------------------- , wobei p 0 eine Integrationskonp 0 ( T, N ) p

stante ist, die noch von den Variablen T und N abhängen kann. Einsetzen dieser Funktion in die thermische Zustandsgleichung liefert die folgende Bestimmungsgleichung für die T ∂p

= --- . Man findet, daß p 0 = z˜ ( N ) ⋅ T Funktion p 0 : -----  0 p 0 ∂ T p, N 2 5

5⁄2

eine Lösung ist, wobei z˜ ( N ) eine von N abhängige

Integrationskonstante ist. Es folgt somit, daß die freie Enthalpie gegeben ist durch G ( T, p, N ) = NkT ln ( pT

–5 ⁄ 2

⁄ z˜ ( N ) ) .

Man kann zeigen, daß z˜ ( N ) unabhängig von N sein muß.

Aufgabe 5: Legendre-Transformation Freie Energie: F ( T, V, N ) = – kTN ln (cT

3⁄2

V ⁄ N ) . Bei Legendre-Transformation bezüglich des Volumens V findet man

∂F für die neue Variable (welche dem Negativen des Druckes entspricht):   ∂V

kTN ( –p )

T, N

Mit V ( T, p, N ) = – ----------- ist das neue Potential (freie Enthalpie) gegeben durch:

kTN = – ---------- = – p . V

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

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LF ( T, p, N ) = F ( T, V ( T, – p, N ), N ) – ( – p ) ⋅ V ( T, –p, N ) 5⁄2 = kTN(1 – ln (ckT ⁄ p ))

.

Aufgabe 6: Thermodynamisches Potential für die Feder Aus der thermischen Zustandsgleichung für die Federkraft 2

L ∂F 1 L f ( T, L, M ) =  ------ = h ( T ) ----- folgt F ( T, L, M ) = --- h ( T ) ----- + Fo ( T, M ) ,  ∂L T, M M M 2

wobei Fo(T,M) eine geeignete Integrationskonstante bezeichnet. Aus der kalorischen Zustandsgleichung 2

M ∂F ∂h ( T ) L = -----  h ( T ) – T -------------- ------2E ( T, L, M ) = F – T  ------  ∂T L, M 2  ∂T  M

erhalten wir eine Gleichung für die Integrationskonstante, gegeben durch ∂Fo F o – T --------- = 0 , ∂T

so daß F0 von der Form F o ( T, M ) = T ⋅ z ( M ) ist. Da F extensiv ist, muß z(M) linear von der Masse abhängen: z ( M ) = cM mit c=const.

Schließlich folgt wir aus der letzten thermischen Zustandsgleichung für das chemische Potential 2

∂F 1 L ∂z µ ( T, L, M ) =  -------- = – --- h ( T ) ------2- ⇒ -------- = 0 ⇒ c = 0 .  ∂M T, L ∂M 2 M 1 2

2

L M

Somit ist die freie Energie gegeben durch: F ( T, L, M ) = --- h ( T ) ----- .

Aufgabe 7: Experimentelle Bestimmung von Zustandsgleichungen Zuerst ist die Wahl der unabhängigen Variablen, welche das System vollständig (!) beschreiben, zu treffen (für ein Gas zum Beispiel (T,V,N); für ein magnetisches System zum Beispiel (T,V,M), oder allgemein (T, X) ). Die thermische Zustandsgleichung für p soll nun den Zusammenhang zwischen p und T,V,N bestimmen; die thermische Zustandsgleichung für H soll den Zusammenhang zwischen H und T,V,M bestimmen. In einer thermischen Zustandsgleichung wird also immer eine (experimentell leichter zugängliche) intensive Variable f i mit der zugehörigen extensiven Variablen Xi, den übrigen ursprünglich gewählten Variablen und der Temperatur in Verbindung gebracht. (In magnetischen Systemen interessiert man sich häufig für das magnetische Moment bei gegebenem Magnetfeld ⇒ Fragestellung nach thermischer Zustandsgleichung von M naheliegend, also äquivalente Verknüpfung von M mit T,V,H) a) Eine experimentelle Anordnung zur Messung der Beziehung p = NkT ⁄ V : Gas in einem Zylinder mit Kolben, gekoppelt an ein Wärmebad der Temperatur T.

V

Wärmereservoir T

Druckmessung p

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 79

b) Eine experimentelle Anordnung zur Messung der Beziehung M = Nχ m H besteht in der Methode des “vibrating sample magnetomalie” (VMS). Dabei wird durch einen stationären Strom in einer grossen Spule ein konstantes, homogenes H-Feld induziert (Ampèresches Gesetz). In dieses homogene Magnetfeld im Innern der Spule wird die Probe getaucht. Diese wird via M = Nχm H magnetisiert und man erhält einen kleinen Magneten. Bewegt man diesen Magneten entlang der Spulenachse auf und ab (Vibration), so resultiert auf der Skala der Probe ein zeitlich variables Magnetfeld B = H + 4πM . Gemäß dem Faradayschen Induktionsgesetz kann dadurch in einem kleinen, festgehaltenen Ring (oder Spule) von der Größe der Probe eine zeitlich variable Spannung gemessen werden.

B

große Spule Strom I

Ring, Induzierte Spannung

konstantes, homogenes H-Feld

Aufgabe 8: Relation zwischen den Wärmekapazitäten Es gilt: ∂S Cp = T    ∂ T p, N ∂V ∂E =   + p   ∂ T p, N  ∂ T p, N ∂V ∂E ∂E =   +   +p    ∂ T p, N  ∂ V T, N  ∂ T V, N ∂p  ∂V = CV + T    ∂ T V, N  ∂ T p, N

In der zweiten Gleichung wurde der 1. Hauptsatz verwendet, in der dritten Gleichung die innere Energie als Funktion E ( T, V ( T, p, N ), N ) und in der vierten Gleichung für die eckige Klammer die Maxwell-Relation eingesetzt.

Aufgabe 9: Carnotscher Kreisprozeß im p-V-Diagramm Um den Carnotschen Kreisprozeß für das ideale, einatomige Gas im p-V-Diagramm darstellen zu können benötigt man die folgenden Beziehungen: •1. HS: dE = TdS – pdV , 3 2

•kalorische Zustandsgleichung: E = --- NkT ,

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 80

•thermische Zustandsgleichung: pV = NkT .

p

pV=const pV

5/3

=const

pV5/3=const

pV=const

V Bei isothermer Volumenänderungen folgt aus der thermischen Zustandsgleichung pV = NkT . Bei einer adiabatischen Volumenänderungen ist per definitionem dS = 0 . Im Spezialfall eines idealen Gases gilt dE = CV dT mit einer von der 3 2

Temperatur unabhängigen Wärmekapazität C V = --- Nk (für ein einatomiges Gas). Somit folgt zusammen mit dem 1. HS CV dT = – p dV . Substitution von p gemäß der thermischen Zustandsgleichung und anschließende Integration dieser Dif-

ferentialgleichung liefert für einen Prozeß, welcher von ( p 1, V 1, T 1 ) nach ( p2, V2, T2 ) führt, die Relationen CV -------

V2 T 1 Nk V ------ =  ----- oder  -----2- V1 T2 V1

C 1 + ------VNk

CV -------

p 1 Nk =  ----- . p2

Dies bedeutet, daß bei einer adiabatischen Volumenänderung eines idealen Gases die Größe pV ten bleibt. Insbesondere gilt also für das ideale, einatomige Gas: pV

5⁄3

1 + Nk ⁄ C V

= const erhal-

= const .

Aufgabe 10: Thermodynamische Variablen und Funktionen a) Bei freiem Austausch von Volumen sind die Drücke in beiden Teilsystemen gleich, bei freiem Austausch von Wärme stimmen die Temperaturen überein und bei freiem Austausch der Teilchen die chemischen Potentiale. Begründung: Sei S = S 1 + S 2, V = V 1 + V 2 und N = N 1 + N 2 ; dann ist die Energie des Gesamtsystems gegeben durch das Minimum von E ( S, V, N ) = E 1 ( S 1, V 1, N1 ) + E 2 ( S 2, V2, N 2 ) . Beim freien Austausch von Volumen (und festen Wärmen und Teilchenzahlen) gilt demnach mit V 1 = λV : ∂E2  ∂E 1  d ( E1 ( S 1, λV, N 1 ) + E2 ( S 2, ( 1 – λ )V, N 2 ) ) =   ( S 1, λV, N 1 ) –  ( S 2, ( 1 – λ )V, N 2 ) V = – { p 1 – p 2 } V ≡ 0     ∂ V ∂ V dλ  

und somit p 1 = p 2 . Analog zeigt man mit Hilfe von

∂Ek ∂E k = T k, = µ k bei freiem Austausch von Wärme oder Teil∂S ∂N

chen die Gleichheit von Temperatur respektive chemischem Potential.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 81

b) F(V) Phase 1 Phase 2

F1 F2

V2

V1

V 2

Die Stabilitätsbedingung für die freie Energie als Funktion des Volumens lautet:

∂F ∂V

2

≥ 0 , das heißt F ist als Funktion

von V konvex. Im Koexistenzbereich V 1 ≤ V ≤ V 2 wird die freie Energie durch die konvexe Hülle der beiden Graphen für die einzelnen Phasen definiert, so daß der Druck p = –

F 2 – F1 ∂F = – ------------------ dort konstant bleibt. Die Stetigkeit V 2 – V1 ∂V

der freien Energie folgt aus deren Konvexität. Insgesamt erhalten wir unter Verwendung der Homogenität des Systems F1 + pV 1 = F2 + pV 2 ⇔ G 1 = G2 ⇔ µ 1 = µ 2 .

c) Nein. Begründung mit der Maxwell-Relation: Da der Druck und das chemische Potential als Funktion von Temperatur, Volumen und Teilchenzahl gegeben sind, wählen wir die freie Energie als thermodynamisches Potential. Wegen 2

2

∂F ∂F ∂µ ∂p ∂µ kT ∂p = = – = 0 ≠ – ------ = – . müßte gelten. Hingegen haben wir ∂ V ∂N ∂ N ∂V ∂V ∂N ∂V V ∂N

d) Ein Ausdruck für die Energie als Funktion von Temperatur, Volumen und Teilchenzahl ist eine kalorische Zustandsgleichung. Das zu diesen Variablen gehörige thermodynamische Potential ist die freie Energie F(T, X) = E(T, X) – TS(T, X) . Um S(T, X) zu gewinnen, braucht man zusätzlich thermische Zustandsgleichungen.

Die dazu notwendige Information kann nicht allein durch E(T, X) geliefert werden, denn  1 1 1 ∂E 1  ∂E  1 ∂E 1  ∂E dS = --- dE – --- f ⋅ dX = ---  dT + ⋅ dX – --- f ⋅ dX = --- dT + ---  – f ⋅ dX T T T∂T T T T  ∂T  ∂X ∂X 

und f ist nicht verfügbar.

Aufgabe 11: Phasenübergänge von Ammoniak a) Die Sublimations- und die Verdampfungskurve schneiden sich im Tripelpunkt. Mit ln p T=195.2K.

subl

= ln p

verd

findet man

b) Unter den Annahmen v flu·· ssig « v gas, v fest « v gas folgt ∆v ≅ v gas ; falls die Gasphase als ideales Gas betrachtet werden kT p

kann, so gilt außerdem v gas = ------ (Volumen pro Teilchen); da schließlich q unabhängig von T ist, erhält man aus der dp dT

Umwandlungswärme pro Teilchen ( q = ∆vT ------ ): 2

q kT dp 1 q q = -------- ------ ⇒ --------dT = --- dp ⇒ ln p = – ------ + c , wobei c eine Konstante bezeichnet. 2 kT p dT p kT

c) Vergleich mit b) liefert für die Umwandlungswärme: q q

subl

= 3754 ⋅ k = 5, 184 ⋅ 10

– 20

verd

= 3063 ⋅ k = 4, 230 ⋅ 10

kJ J pro Teilchen, oder 3754 ⋅ R = 31, 21 ---------- ; Mol

– 20

kJ J pro Teilchen, oder 3063 ⋅ R = 25, 47 ---------- . Mol

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 82

Aufgabe 12: Clausius-Clapeyron am Tripelpunkt a) Gemäß Clausius-Clapeyron gilt q

schmelz

dp schmelz = ( v flüssig – v fest )T -----dT

schmelz

q dp schmelz = --------------------------------------- . ( v flüssig – v fest )T dT

und somit ------

dH N

b) Am Tripelpunkt (po, To) koexistieren alle drei Phasen. Da q = ------- bei der Phasenumwandlung, und da für einen Kreisprozeß (nahe am Tripelpunkt) ∫ dH = 0 gilt, folgt q

°

subl

= q

schmelz

+q

verd

. Mit q

verd

dp verd = ( v gas – v flüssig )T -----dT

und unter der Annahme v flüssig « v gas, v fest « v gas erhalten wir schließlich dp subl -----dT

T0

schmelz verd v q +q flüssig – v fest dp schmelz = ------------------------------------ ≅ ------------------------------ ----v gas ( v gas – v fest )To dT

dp verd + -----dT To

. To

Aufgabe 13: Osmotischer Druck für verdünnte Lösungen Die Gleichgewichtsbedingungen lauten T’ = T’’ = T und µ B’( T, p’) = µB’’( T, p’’, x 1’’, …, x B – 1’’) .

Im reinen Lösungsmittel ist das chemische Potential gegeben durch die freie Enthalpie pro Teilchen, µ B’(T,p’) = g B’(T,p’) , und, da für verdünnte Lösungen die Aktivität des Lösungsmittels als ideal angenommen werden kann, gilt der Ausdruck µ B’’( T, p’’, x 1’’, …, x B – 1’’) = g B’’( T, p’’) + kT ln x B’’ . Da sich das Lösungsmittel überall in derselben Phase befindet, muß g’B ( T, p ) = g’’B ( T, p ) ≡ g B ( T, p ) gelten. Daraus folgt nacheinander g B ( T, p’) = g B ( T, p’’) + kT ln x B’’ g B ( T, p’’) – g B ( T, p’) - = – k T ln x B'' ≅ kT ⇒ ∆p ------------------------------------------------∆p

B–1

∑ xi''

mit ∆p = p’’ – p’

i=1

∂g ⇒ ∆p  --------B- ≅ kT ∂p T

B–1

∑ xi’’ , i=1

∂g

und mit v B =  --------B- = --------- (Volumen pro Teilchen der Sorte B) schließlich: ∂p T N B’’ V’’

B–1

∆p ≅

∑ i=1

kTNi’’ 1 -------------- ----- ≅ N’’ v B

B–1

kTNi’’

-. ∑ ------------V’’ i=1

Der von den gelösten Substanzen (1,2,...,B-1) ausgeübte osmotische Druck ist gleich groß wie derjenige Druck, welchen die Substanzen 1,2,...,B-1 als freies Gas bei der gleichen Konzentration ausüben würden. Vergleich mit experimentellen Werten (für Zucker (C 12H22O11) in Wasser bei T=303K): kTN ’’

RTn ’’

V’’

V’’

1 1 Mit -------------- = --------------- und n 1’’ ⁄ V’’ = #Mole ⁄ Volumeneinheit ≅ #Mole ⁄ Masseneinheit × ρ H O erhalten wir die Werte: 2

[mol/kg]

∆pexp [105

Pa]

∆ptheor. [105 Pa]

0,1

2,53

2,52

0,2

5,17

5,04

0,3

7,81

7,56

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 83

∆pexp

[mol/kg]

[105

4,2

∆ptheor. [105 Pa]

Pa]

151 3

106

3

wobei wir der Einfachheit halber ρ H2 O = 10 kg ⁄ m eingesetzt haben.

Aufgabe 14: Binäres Zustandsdiagramm a) Beim Punkt s’’ befinden sich immer noch alle “2”-Teilchen in der festen Phase (x2s=x2), aber gleichzeitig beginnt T

p fest

T1

l

l’’’ ys=0

1 2

yl=0

s’’

s+l s’

s

T2

x2s’=x2

0

1

x2

sich dort eine flüssige Phase auszubilden. Die Größe yl wächst mit wachsender Temperatur monoton bis beim Punkt l’’’ der Wert yl=1 erreicht wird, wo sich alle 2-Teilchen in der flüssigen Phase befinden. Der Anteil der 2-Teilchen in der flüssigen Phase von der Gesamtheit der Teilchen ist gegeben durch x 2l × y l und nimmt ebenfalls monoton zu (Weg 1 im Zustandsdiagramm). Andererseits nimmt die Anzahl der Teilchen in der festen Phase im Vergleich zur Gesamtteilchenzahl ys ab und entsprechend die Anzahl der 2-Teilchen in festen Phase im Verhältnis zur Gesamtteilchenzahl x 2s × y s (vergleiche Weg 2 im Zustandsdiagramm). b) Für die Gesamtzahl der Teilchen N = N1 + N 2 = N s + N l definiere die Teilchenkonzentration in der flüssigen Phase N N

N N

als y l = -----l , bzw. die Teilchenkonzentration in der festen Phase als y s = ------s = 1 – y l . Weiter sei die TeilchenkonzenN N

N

+N N

2s 2l tration der Sorte 2 gegeben durch x 2 = -----2- = ----------------------.

N Ns

N N ( 1 – yl )

N Nl

N Ny l

2s 2s 2l 2l - = ---------------------- und x 2l = -------- = -------- folgt: Mit den Teilchenkonzentrationen in den einzelnen Phasen x 2s = -------

x 2 = x 2s ( 1 – y l ) + x 2l y l = y l ( x 2l – x 2s ) + x 2s = y l ( x 2l – x 2 ) + y l ( x 2 – x 2s ) + x 2s

⇒ ( x 2 – x 2s ) ( 1 – y l ) = y l ( x 2l – x 2 ) , woraus sich das sogenannte Hebelgesetz ergibt: yl x 2 – x 2s ------------- = ------------------ . x 2l – x 2 1 – yl

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 84

Aufgabe 15: Mehrstoffsysteme a) To fest

Flüssigkeit (L)

C’’

po1 Druck p

po C’

D+L po2

C Dampf (D) Molenbruch x2

Unter Erhöhung des Druckes bei festem Mischungsverhältnis der beiden Phasen durchwandern wir das Phasendiagramm vom Punkt C über C’ nach C’’. Zwischen C und C’ befinden wir uns in der reinen Dampfphase, d.h. x 2 = x 2D, x 2L = 0 .Zwischen C’ und C’’ sind wir im Koexistenzbereich der beiden Phasen Dampf und Flüssigkeit. Mit N = N 1 + N 2, y L = N L ⁄ N, x 2 = N 2 ⁄ N gilt für die Teilchenkonzentrationen in den einzelnen Phasen das sogey 1 – yL

x –x x 2L – x 2

L 2 2D - = -------------------- (vergleiche auch Aufgabe 14). Nach Durchwandern des Punktes C’’ befindet nannte Hebelgesetz -------------

sich das System in der rein flüssigen Phase, das heißt x 2 = x 2L, x 2D = 0 . b) Zum Beispiel: G Dampfphase Flüssigphase

0

1

x2

c) Die Gibbssche Phasenregel lautet: F = 2 + B – P ≥ 0 , wobei F die Anzahl (thermodynamischer) Freiheitsgrade, B die Anzahl Teilchensorten und P die Anzahl Phasen bezeichnet. Ein binäres System mit B=2 kann somit im Gleichgewicht höchstens 4 Phasen besitzen.

Aufgabe 16: Zustandsdiagramm einer idealen binären Lösung 1) Die Gleichgewichtsbedingungen lauten: Tf = T g = T pf = p g = p µ 1f = µ 1g

;

µ 2f = µ 2g

da die Lösungen als ideal angenommen wurden, gilt für i=1,2: µ if ( T, p, x 1f ) = g if ( T, p ) + kT ln x if und µ ig ( T, p, x 1g ) = g ig ( T, p ) + kT ln x ig ,

wobei gif(g)(T,p) die freie Enthalpie pro Teilchen der reinen flüssigen (gasförmigen) Substanzen und x1f, x2f die Teilchenkonzentrationen in der flüssigen Phase und x1g, x2g diejenigen in der gasförmigen Phase bezeichnen.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 85

2) Aus den Gleichgewichtsbedingungen folgt somit für i=1,2 (p fest): x if g ig ( T, p ) – g if ( T, p ) ∆g i ( T, p ) r i ( T ) ≡ ln ------ = ------------------------------------------------ ≡ ----------------------- . kT kT x ig

Für die Enthalpie pro Teilchen h gilt: 2 ∂ g ∂g h = g + Ts = g – T  ------ = – T ------  --- ,  ∂T p, N ∂T  T p, N

wobei s die Entropie pro Teilchen bezeichnet. Daraus folgt ∆h i ( T, p ) qi ∂ ∆g i ( T, p ) ------  ----------------------- = – ---------------------- = – --------2 , 2 ∂T  kT  kT kT

wobei qi die Umwandlungswärme pro Teilchen ist, welche durch 2 dp i verd dp i verd kT dp i verd q i = ( ν gas – ν flüssig )T ------≈ ν gas T ------= ------------ ------verd dT dT dT pi

approximiert werden kann. Demnach können wir mit Hilfe von ∆g i ( T i, p ) = g ig ( T i, p ) – gif ( Ti, p ) = 0 (reine Phasen!) schreiben T

T ˜ qi ∂  ∆g i ( T, p ) r i ( T ) = ∫ ------  ----------------------- dT˜ = – ∫ --------2 dT˜ = – ˜ ˜ ˜ ∂T  kT  T T kT i

i

pi

verd

(T)

∫ pi

verd

( Ti )

verd

pi ( Ti ) verd 1 p = ln ---------------------- ≈ ln ------------------------------- dp verd i verd verd pi pi ( T ) pi ( T ) verd

3) Somit erhält man für i=1,2:

x if pi ( T ) p - , also mit x ig = x if exp ( – r i ( T ) ) = x if --------------------- : ------ = exp ( r i ( T ) ) = -------------------verd p x ig pi ( T ) verd

p1 ( T ) x 1g = x 1f ---------------------p verd

x 2g verd

Es folgt

verd

p2 ( T ) p2 ( T ) = x 2f ---------------------- ⇒ ( 1 – x 1g ) = ( 1 – x 1f ) ---------------------p p

verd

verd

p2 ( T )  p 1 ( T ) – p 2 ( T ) 1 – ---------------------- = x 1f  --------------------------------------------------- p p  

und somit: verd

p – p2 ( T) x 1f = -------------------------------------------------verd verd p1 ( T ) – p2 ( T )

,

verd

p1 ( T ) x 1g = x 1f ---------------------p

woraus das Zustandsdiagramm gezeichnet werden kann. Alternative Lösung: 1) Wie oben. 2) p i

verd

bi bi dp i verd verd ( T ) = exp  a i – ------------- ⇒ ------= p i ( T ) --------------------2 und somit  T – ci dT (T – c ) i

T

T

i

i

qi bi bi bi r i ( T ) = – ∫ --------2 dT˜ = – ∫ --------------------2 dT˜ = ------------- – --------------T – ci T i – c i ˜ ˜ T kT T ( T – ci )

3) Somit erhält man für i=1,2:

bi x if bi ------ = exp r i ( T ) = exp  ------------- – --------------- , also  T – ci T i – c i x ig

.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 86

bi bi x ig = x if exp ( – r i ( T ) ) = x if exp  --------------- – ------------- . Ti – ci T – c i

Diese Lösung ist äquivalent zur ersten denn, da wegen p ≈ p i

verd

bi ( T i ) = exp  a i – --------------- gelten muß: Ti – c i

bi exp  a i – ---------------  T i – c i bi bi p -------------------= exp  ------------- – --------------- . ≈ ---------------------------------------verd   b T – c T i  i i – ci p i ( T ) exp  a – ----------- i T – c-i

Aufgabe 17: Stirlingsche Formel a) Der qualitative Unterschied zwischen r 1 ( n ) und r 2 ( n ) besteht darin, daß ( n ) – ln ( n! )  lim  r 1 ( n ) = st ----------------------------------  = 0 , während ln ( n! )

n → ∞

exp ( st ( n ) ) – n!  ≠ 0 . lim  r 2 ( n ) = ------------------------------------- n!

n → ∞

Aus den graphischen Darstellungen der beiden relativen Fehler kann man folgendes schließen: die Stirling-Formel st ( n ) ≡ n ln ( n ) – n ist eine gute Näherung für ln ( n! ) , aber exp(st(n)) ist eine schlechte Näherung für n!, denn der Fehler ist für große n von der selben Größenordnung wie der Funktionswert selbst. n

ln ( n! ) =

b) 1. Möglichkeit:

n

∑ ln ( i ) ≈ ∫1 di ln ( i )

n

= [ i ln ( i ) – i ] i = 1 ≈ n ln ( n ) – n

.

i=1

d ln ( ( n + ∆n )! ) – ln ( n! ) ln ( n! ) ≈ ------------------------------------------------------ = ln ( ( n + 1 )! ) – ln ( n! ) = ln ( n + 1 ) ≈ ln ( n ) dn ∆n

2. Möglichkeit:

gesetzt wurde (was im Bereich für n “groß” zulässig ist). Andererseits haben wir

, wobei ∆n = 1

d ( n ln ( n ) – n ) = ln ( n ) , so daß dn

für große n ln ( n! ) ≈ n ln ( n ) – n erfüllt ist.

Aufgabe 18: Energie als Mittelwert Im kanonischen Ensemble ist die Energie nicht mehr eine für alle Mikrozustände feste Größe, sondern muß als über die

∑ Pv Ev , wobei Pv das statistische gewicht des

statistische Gesamtheit gemittelte Größe interpretiert werden: 〈 E〉 =

v

Mikrozustands v bezeichnet und durch den Boltzmann-Faktor gegeben ist. Andererseits erfüllt diese gemittelte Größe die in der Thermodynamik geltende Beziehung 〈 E〉 = F(T, X) – T F(T, X) – T

∂ F(T, X ) , wie man leicht überprüfen kann: ∂T

Ev   ∂ kT F(T, X ) = – kTln Z(T, X) – T  – klnZ(T, X) – ------------------ ∑ --------exp ( – E v ⁄ kT ) = 2 ∂T   Z(T, X) v kT

exp ( – Ev ⁄ kT )

∑ Ev ---------------------------------

= 〈 E〉

Z(T, X)

v

Aufgabe 19: Ideales Gas in der kanonischen Gesamtheit a) Die kanonische Zustandssumme lautet: N 3N 2  ------2 1 1 pi 1 N Z ( T, V, N ) = ------- ∫ dr 1 … ∫ dr ∫ dp 1 … ∫ dp N exp  – ------ ∑ ------- = ------- V ( 2πmkT )   N N! kT N! 2m   i=1 N

wobei der Faktor V von der Integration der 3N Ortskoordinaten und ( 2πmkT ) Impulskoordinaten stammt.

3N ⁄ 2

von der Integration der 3N

b) Mittels der Stirlingsche Formel ln N ! ≈ N ln N – N erhält man: 3

3

---- V 2 2 ln Z ( T, V, N ) ≈  – N ln N + N + N ln V + N ln ( 2πmkT )  = N + N ln  ---- ( 2πmkT )  N    

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 87

Somit erhält man für die freie Energie 3

--V 2 F ( T, V, N ) = – kT ln Z = – NkT – NkT ln  ---- ( 2πmkT )  . N  

Die kalorische Zustandsgleichung lautet 2 ∂ 3 ∂F = kT ------ ln Z = --- NkT , E ( T, V, N ) = F + TS = F – T  ------  ∂T N, V ∂T 2

und die thermische Zustandsgleichung ∂ ∂F N p ( T, V, N ) = –  ------ = kT ------ ln Z = kT ---- .  ∂V T, N ∂V V

c) Für die Entropie folgt schließlich 3

--V 2 ∂ 5 ∂F = k ln Z + kT ------ ln Z = --- Nk + Nk ln  ---- ( 2πmkT )  , S ( T, V, N ) = –  ------ ∂T 2 N ∂T N, V  

und mittels der kalorischen Zustandsgleichung kann man die Temperatur durch die Energie ausdrücken: 3  -- V 4 2E 5 E 2  kT = --- ---- ⇒ S ( E, V, N ) = --- Nk + Nk ln  ----  --- πm ----  . 3N 2 N 3 N   

Aufgabe 20: Identische Teilchen a) Für ein System von N unabhängigen Teilchen zerfällt die Energie in die Summe der Energien ε l der einzelnen Teilchen. Somit erhalten wir N



exp ( – ( ε 1 + … + ε N ) ⁄ kT ) =

ε 1, …, ε N

Da alle Teilchen identisch sind, gilt

∏ ∑ exp ( –εl ⁄ kT ) .

l = 1 εl

∑ exp ( –εl ⁄ kT )

= q ( T, V ) unabhängig von l. Schließlich muß bei der Summa-

εl

tion über alle Zustände zur Berechnung der Zustandssumme für identische, ununterscheidbare Teilchen ein zusätzlicher Faktor 1/N! berücksichtigt werden (“korrekte Boltzmann-Abzählung”), was nur quantenmechanisch begründet werden kann. Somit folgt für die Zustandssumme des Systems N

Z ( T, V, N ) = q ( T, V ) ⁄ N!

Schließlich ist noch die Extensivität der freien Energie zu zeigen. Dazu verwenden wir zuerst die Stirlingsche Formel und erhalten für λ > 0 die Beziehung ln [ ( λN )! ] ≈ λNln [ λN ] – λN = λ ( NlnN – N ) + Nλlnλ ≈ λln [ N! ] + Nλlnλ . Es folgt dann leicht: F ( T, λV, λN ) = – kTln [ ( f ( T )λV )

λN

] + kTln [ ( λN )! ] ≈ – kTλN ( ln [ f ( T )V ] + lnλ ) + kTλ ( ln [ N! ] + Nlnλ )

und somit F ( T, λV, λN ) ≈ λ ( – kTNln [ f ( T )V ] + kTln [ N! ] ) = λF ( T, V, N )

.

b) Unter der Annahme, daß die Box abgeschlossen ist, bleiben Teilchenzahl und Gesamtenergie der Teilchen konstant. Außerdem findet kein Wärmeaustausch mit der Umgebung statt. Da die adiabatische Expansion des Gases irreversibel ist, ist die Entropie des Endzustandes aufgrund des zweiten Hauptsatzes größer als die Entropie des Anfangszustandes. Wir wählen E,V,N als thermodynamische Variablen und betrachten das mikrokanonische Ensemble. Die N

Anzahl der mit E,V,N verträglichen Mikrozustände ist von der Form Ω ( E, V, N ) = ( f ( E )V ) . Dadurch, daß jedem Teilchen das doppelte Volumen zur Verfügung steht, wird die Anzahl der mit E,V,N verträglichen Mikrozustände um N

einen Faktor 2 erhöht. Die Entropie ändert dabei gemäß

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 88

N

N

( f ( E )V ) ( f ( E )V ⁄ 2 ) S End – S Anfang = kln  ---------------------- – kln  ----------------------------- = Nk ln 2 > 0 N! N!

.

Aufgabe 21: Magnetisierung im kanonischen Ensemble –

Mv ∂Z ∂F = kT ⁄ Z = kT ∑ ------- exp ( – Ev ⁄ kT ) = ∂B kT ∂B v

∑ Pv Mv

= 〈 M〉 .

v

Aufgabe 22: Magnetisches System in der Molekularfeldnäherung N

Die Energie im äußeren Magnetfeld B ist gegeben durch Eν = –B ∑ Si – J ∑ Si S j ; in der Molekularfeld-Näherung setzt [i,j]

i=1 N

N

N

M M M man E ν = – B ∑ S i – 2dJ ----- ∑ S i = – B˜ ∑ S i mit B˜ = B + 2dJ ----- und ----- die mittlere Magnetisierung pro Spin (insbeN

i=1

sondere gilt B˜ = B +

N

i=1



N

i=1

J 〈 S j〉 ).

[ i, j ] i = fest

1) Für die Zustandssumme Z ( T, N ) findet man: Z =

N  1 ˜  ----exp B ∑  kT ∑ Si  ν i=1

N    1  =  exp  ------ [ B˜ S i ]   ∑ ∏  kT    ν i=1 

 N  1 ˜   ----= ∏ [ B n ] exp ∑   kT   i = 1 n ∈ { – 1, 0, 1 }  N N B˜ –˜B B˜ =  exp  ------ + 1 + exp  ------  =  1 + 2 cosh  ------    kT    kT   kT 

2) Für die Magnetisierung pro Spin folgt daraus

M = –

∂Z ∂ ∂F = kT ln ( Z ) = kT   ⁄ Z  ∂ B ∂B ∂B

,

B˜ B˜ 2 sinh  ------ 2 sinh  ------ ˜  kT  kT ∂ B 1 = kTN ------------------------------------------  ------ = kTN ------------------------------------------ -----kT ∂ B ˜ ˜ kT B B  1 + 2 cosh  ------   1 + 2 cosh  ------   kT   kT   

Schließlich findet man M  B + 2dJ ----- N  2 sinh  ------------------------- B˜ kT 2 sinh  ------  kT   M M ----- = ------------------------------------ , oder explizit ----- = ------------------------------------------------------- . N N M ˜B  B + 2dJ ----- 1 + 2 cosh  ------ N   kT 1 + 2 cosh -------------------------   kT  

3) Zur kritischen Temperatur: Wenn man die linke und die rechte Seite der obigen Gleichung (mit B=0) als Funktion M N

von x = ----- aufträgt sieht man, daß sich die Kurven nur schneiden (d.h. die Gleichheit nur dann gilt), wenn die Steigung der hyperbolischen Funktion größer ist als Eins. Gemäß Hinweis auf dem Aufgabenblatt (Taylorentwicklungen

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 89

2 sinh ( Ax ) 1 + 2 cos ( Ax )

2 3

2dJ kT

der hyperbolischen Funktionen) gilt --------------------------------- ∼ --- Ax für x → 0 (mit A = --------- in unserem Fall). Damit also ein 2 3

Schnittpunkt der beiden Kurven für ein x ≠ 0 existiert (d.h. falls spontane Magnetisierung existiert) muß --- A > 1 gel4dJ 3k

ten, oder T < --------- . Die kritische Temperatur, unter welcher in der Molekularfeld-Näherung eine spontane Magneti4dJ 3k

sierung auftritt, ist folglich gegeben durch: Tc = --------- .

Aufgabe 23: Barometrische Höhenformel N

Die Energie der N Teilchen ist gegeben durch Eν =



2

pi ------- + 2m

N

∑ mgz i , wobei der Index v für die Zustandsvariablen i=1

i=1

ν = (r 1, …, r N, p 1, …,p N) steht; gemäß Boltzmann-Statistik ergibt sich daraus die Verteilung der Ortskoordinate eines herausgegriffenen Teilchens (Faktorisierung des Integranden bezüglich der einzelnen Integrationsvariablen): P ( x 1, y 1, z 1 ) ∼  ∫ dr 2 … ∫ dr N ∫ dp 1 … ∫ dp N P ν Eν ∼  ∫ dr 2 … ∫ dr N ∫ dp 1 … ∫ dp N exp  – ------    kT  2  N –1 pi ∼  ∏ ∫ dr i ∫ dp i exp  ------ ------- + mgz i   kT 2m i = 2

m kT

m( N ⁄ V ) p

2  –1 p1    dp 1 exp  ---------+ mgz 1    ∫  kT 2m  

ρ p

Für ein ideales Gas gilt pV = NkT und somit ------ = --------------------- = --- ( ρ = mP ( x, y, z ) bezeichnet die Massendichte). Bei konstanter Temperatur gilt also, daß der Druck proportional zur Dichte ist und man erhält nach einer Umformung des Exponenten: ρ0 p ( z ) = p 0 exp  – -----gz . p0

1) Mit g = 9.80665m ⁄ s 2 , ρ 0 = 1.2928kg ⁄ m 3 und p 0 = 1.01325Pa = 101325N ⁄ m 2 folgt: ρ0 p(z ) 1 ln  ---------- = – -----gz = ln  --- p0 p0 2

p ρ0 g

0 - ln  --- = 5.5397km . und daraus z = – ------- 

1 2

2) Zugwirkung von Schornsteinen (der Höhe L): Unter der Annahme, daß im Kamin die Temperatur auf allen Höhen konstant ist (außen ist dies sowieso mehr oder weniger genau erfüllt), und daß am oberen Ende des Kamins die Drucke übereinstimmen, folgt: mg mg p innen ( L ) = p 0, innen exp  – ----------------L = p 0, aussen exp  – ------------------- L = p aussen ( L )  kT innen   kT aussen 

,

woraus p 0, innen mg mg -------------------- = exp  ----------------L – ------------------- L  kT innen kT aussen  p 0, aussen

folgt. Somit gilt am unteren Ende des Schornsteins: ∆p = p aussen ( 0 ) – p innen ( 0 ) = p 0, aussen – p 0, innen p 0, innen mgL 1 1 = p 0, aussen  1 – -------------------- = p 0, aussen  1 – exp  ------------- – ---------------- -----------    T innen T aussen k    p 0, aussen

Weil T innen > Taussen folgt, daß ∆p > 0 , was bedeutet, daß das Kamin die Luft am unteren Ende ansaugt.

Physikalische Grundlagen der Werkstoffkunde

Seite 90

Aufgabe 24: Mittlere quadratische Geschwindigkeit in der Luft Zuerst soll man die Teilchenprozente aus den Gewichtsprozenten berechnen, gesucht sind also die Teilchenprozente von N 2 (x%) und O2 (100%-x%). Die Massen der Teilchen sind gegeben durch m ( N 2 ) = 28 und m ( O 2 ) = 32 ; also x ⋅ 28 x ⋅ 28 + ( 100 – x ) ⋅ 32

muß mit den gegebenen Gewichtsprozenten (77% bzw. 23%) gelten: ---------------------------------------------------- = 0.77 . Daraus findet man x = 79.23 ≈ 79 . (Wenn man annimmt, daß die beiden Teilchen ungefähr gleich groß sind, dann entsprechen diese Teilchenprozente auch gleich den Volumenprozenten.) 2

p ρ

Gemäß Vorlesung gilt für ein einatomiges Gas: 〈 v 〉 = 3 --- (wobei ρ die Massendichte ist). 1) Bei Normalbedingungen ( p = 101325Pa ) findet man also 2 m2 〈 v 〉 N 2 = 243180 -----⇒ s2

2 2 m m2 〈 v 〉 N 2 = 493.1 ---- und 〈 v 〉 O2 = 212570 -----⇒ s s2

2 m 〈 v 〉 O2 = 461.1 ---- . s

2) Wenn man die mittlere quadratische Geschwindigkeit der Luft berechnen will, so muß man bezüglich der Teilchenzahl (also mit den Teilchenprozenten) mitteln: 2 79 2 21 2 2 m2 〈 v 〉 Luft = --------- 〈 v 〉 N 2 + --------- 〈 v 〉 O 2 = ( 486.6 ) -----. 100 100 s2

Aufgabe 25: Transportgleichungen / Kinetische Gastheorie a) Die Transportkoeffizienten können nicht mit Hilfe der Gleichgewichtsthermodynamik bestimmt werden, hingegen im Rahmen der Transporttheorie berechnet werden. Diese Größen liefern einen Zusammenhang zwischen Stromdichten und entsprechenden “verallgemeinerten” Kräften (Gradienten). Insbesondere werden hierbei Abweichungen vom Gleichgewichtzustand betrachtet, so daß die Gleichgewichtsthermodynamik keine Information über diesen Zusammenhang liefern kann. Beispiele für die Transportkoeffizienten mit den entsprechenden Stromdichten sind • Diffusionskoeffizient: Teilchenstromdichte ↔ Konzentrationgradient • Viskosität: Impulstromdichte ↔ Geschwindigkeitsgradient (Deformationsgeschwindigkeit) • Wärmeleitfähigkeit: Wärmestromdichte ↔ Temperaturgradient m 2

2

3 2

b) Für ein einatomiges Gas gilt nach dem Gleichverteilungssatz die Beziehung ---- 〈 v 〉 = --- kT . Für ein ideales Gas gilt außerdem das Boyle-Mariottesche Gesetz pV = NkT . Insgesamt erhalten wir demnach NkT m 2 p = ---------- = ρ ---- 〈 v 〉 , V 3

wobei ρ = N ⁄ V die mittlere Teilchendichte bezeichnet. Numerisch resultiert für den Druck: 19

– 25

2

1 3N 1 3 10 10 kg 3 m - = --- 10 ------2- = --- 10 Pa . p = ----------3 -------------------10 -----2 3 3 3 cm s m