ZUR SACHE . ZUR SACHE . ZUR SACHE

‚Vertrauensfragen’ in der Demokratie: Eine kleine Demokratielehre aus Anlass der Bundestagswahl 2005 Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli

Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz

Impressum: Herausgeberin: Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz Am Kronberger Hof 6 55116 Mainz E-Mail: [email protected] Homepage: www.politische-bildung-rlp.de Verantwortlich: Dr. Dieter Schiffmann Redaktion: Marianne Rohde, Dieter Gube Layout: Birgit Elm Titelfoto: © Deutscher Bundestag, Fotograf: Achim Melde Druck: Druckerei und Verlag Gebr. Kügler GmbH Ingelheim am Rhein Mainz 2006 Die Publikation stellt keine Meinungsäußerung der Herausgeberin dar. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Autor.

Zur Sache ‚Vertrauensfragen’ in der Demokratie: Eine kleine Demokratielehre aus Anlass der Bundestagswahl 2005 Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

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‚Vertrauensfragen’ in der Demokratie: Einleitung

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1. Vertrauen als soziale und politische Ressource

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2. Vertrauensfrage(n) im Vorwahlkampf: . Die Vertrauensfrage: „Gefühltes Misstrauen“ und politisches Vertrauen

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Der Vertrauensappell: Zur Notstandrhetorik des Bundespräsidenten

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Die Vertrauensinstanz: Das Bundesverfassungsgericht und der Primat der Politik

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3. ‚Vertrauensfragen’ im Wahlkampf . Vertrauenswerbung: „Vertrauen in Deutschland“

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Vertrauenspersonen: Personalisierung im Wahlkampf

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Vertrauensgefühle: Die umworbenen Bürgerinnen und Bürger unter Dauerbeobachtung

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4. Vertrauen in die Demokratie: Mehr als die Legitimation des Augenblicks

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Literatur

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Lebenslauf Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli

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Vorwort Die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz will mit einer neuen Reihe „Zur Sache“ aktuelle Themen aufgreifen und einem breiteren Publikum zugänglich machen. Den Auftakt dieser Reihe bildet das Referat „‚Vertrauensfragen’ in der Demokratie – Eine kleine Demokratielehre aus Anlass der Bundestagswahl 2005" von Professor Dr. Ulrich Sarcinelli, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft, von der Universität Koblenz-Landau (Campus Landau). Nur eine Woche vor der Bundestagswahl 2005 führte die AG Sprache in der Politik und die Universität Koblenz-Landau mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz an der Universität Koblenz die Tagung „Die Sprache im Wahlkampf 2005“ durch. Vorausgegangen war eine flächendeckende Beobachtung und eine sich daraus ergebende Analyse des Bundestagswahlkampfes durch führende Experten zum Thema Sprache in der Politik und renommierte Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Im Rahmen dieser Tagung hat Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli, Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft, von der Universität Koblenz-Landau (Campus Landau) – ausgehend von der Vertrauensfrage – in seinem Referat „Wahlkampf als Inszenierung“ das Wort „Vertrauen“ in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt. Besonders spannend waren dabei seine Gedanken zum Begriff „Vertrauen“ aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln – sowohl von Seiten der politisch Agierenden wie auch die Rezeption seitens der Bevölkerung. In einer überarbeiteten, allgemeingültigeren Fassung, die sich nicht allein am aktuellen Ereignis „Bundestagswahl“ orientiert, hat Professor Sarcinelli der Landeszentrale für politische Bildung seinen Beitrag für eine Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Dr. Dieter Schiffmann

Marianne Rohde

Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz

Stellv. Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz

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‚Vertrauensfragen’ in der Demokratie: Eine kleine Demokratielehre aus Anlass der Bundestagswahl 2005

Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli Einleitung: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“ Das ist bekanntermaßen der Introitus zum Johannesevangelium. Im Falle unseres Themas war das Wort allerdings nicht „bei Gott“ sondern beim Bundeskanzler. Es ist der 22. Mai 2005. Die ersten Hochrechnungen der NRW-Landtagswahl laufen über die Ticker. Da landen gerade mal 25 Minuten nach Schließung der Wahllokale zunächst der SPDParteivorsitzende und später dann der Bundeskanzler einen politischen Überraschungscoup. Nach der langen Serie von Wahlniederlagen sollen Neuwahlen den Weg aus der politischen Vertrauenskrise ebnen. Dazu will der Kanzler, wie später zu erfahren war, im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Vertrauen in die Politik, Vertrauen in das demokratische System, überhaupt: Vertrauen als politische Kategorie spielt wie in kaum einer anderen Zeit eine Schlüsselrolle in diesen Tagen und Wochen im Jahr 2005. Anlass also genug, einige Überlegungen zur Bedeutung von Vertrauen als Schlüsselbegriff im Bundestagswahljahr 2005 und zur Inszenierung von Vertrauen im Kontext des Bundestagswahlkampfes anzustellen. Dies soll in folgenden Schritten geschehen. Am Anfang und am Ende stehen einige grundsätzliche, eher sozialtheoretische Anmerkungen zur Bedeutung von Vertrauen für Gesellschaft und Demokratie. Sodann ist über verschiedene ‚Vertrauensfragen’ im Vorwahlkampf sowie über einige Beobachtungen zur Inszenierung von Vertrauen im Wahlkampfgeschehen zu sprechen.

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1. Vertrauen als soziale und politische Ressource Vertrauen ist eine soziale und politische Ressource, ohne die kein Gemeinwesen existieren kann. Vertrauen stellt kein individuelles Phänomen dar. Es ist eine Eigenschaft sozialer Beziehungen und eine wichtige Komponente des „Sozialkapitals“ (vgl. Gabriel/Kunz/ Roßteutscher/van Deth 2002: 52-56). Als Sozialkapital bezeichnet man Eigenschaften, die als Bürgertugenden für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft und eines politischen Gemeinwesens von Bedeutung sind. Für Sozialtheoretiker der Postmoderne wie etwa Antony Giddens leben wir gar in einer „high trust“-Zeit (vgl. Giddens 1990; Beck/Giddens/Lash 1996). Von Tradition und milieuspezifischen Bindungen zunehmend frei gesetzt und auf ‚Wahlverwandtschaften’ angewiesen, braucht der moderne Mensch mehr denn je Vertrauen, um sich nicht ständig neu entscheiden zu müssen. Differenzierte soziale und politische Verhältnisse werden überschaubar, komplexe Entscheidungsalternativen erscheinen übersichtlich, wenn man Personen oder Institutionen Vertrauen entgegen bringen kann. Kennzeichnend für dieses Verhalten ist zum einen Freiwilligkeit, denn niemand kann zu Vertrauen gezwungen werden. Zum anderen resultiert Vertrauen aus einer schieren Notwendigkeit. Die tendenziell unendliche Zahl von Handlungsoptionen zwingt zur Selektion. Vertrauen wird deshalb zum zentralen Mechanismus der Reduktion von Komplexität (vgl. Luhmann 1989). Weil wir nicht alles wissen können und auch nicht alles wissen wollen, stützt sich unser Verhalten in hohem Maße auf Vertrauensbeziehungen. Ob blindes Vertrauen oder nicht, bei Vertrauen tritt das Steuerungsmedium Wissen in den Hintergrund (vgl. Offe 1999: 61 und 65), denn wenn wir wissen, brauchen wir nicht zu vertrauen. Wer Vertrauen schenkt, reduziert aber nicht nur soziale Komplexität, vereinfacht sein Handlungsrepertoire und verschafft sich so Erwartungs- und Verhaltenssicherheit. Er gewährt auch einen Kredit, der wie jeder Kredit mit einem Risiko behaftet ist (vgl. Luhmann 1989: 78). Weil nämlich Vertrauen auf 6

bestimmten oder unbestimmten Erwartungen beruht, die erfüllt oder enttäuscht werden können, kann Vertrauen auch entzogen, kann der Kredit verspielt werden. Auch und gerade der liberale Staat mit seiner Repräsentativverfassung beruht „auf dem Vertrauenskredit, den eine jede als Treuhänderin des Volkes bestellte Regierung solange beanspruchen kann, als sie sich des Vertrauens nicht unwürdig erweist“ (Fraenkel 1991: 334). Wahlen sind dabei der zentrale Mechanismus, den politischen Kredit zu verlängern oder zu entziehen und anderen politischen Kräften neuen Kredit zu gewähren. Es geht um die Chance zum friedlichen Machtwechsel und um Machtzuweisung auf Zeit. Natürlich spielen politisch-inhaltliche und personelle Fragen eine gewisse Rolle. Aber auch bei noch so guter Information bleiben Wahlen der besondere Legitimationsakt im demokratischen System, in dem auf der Basis begrenzten Wissens politisches Vertrauen geschenkt oder entzogen wird. „Vertrauen“ ist ein politischer Schlüsselbegriff, ein Begriff zudem mit fast schon zivilreligiöser Aura: durchweg positiv besetzt, mit verfassungsrechtlichen Weihen versehen, eignet sich „Vertrauen“ als Projektionstitel für alle möglichen Hoffnungen und unbestimmte Erwartungen.

Nun haben Wahlen in legitimatorischer Hinsicht eine Doppelfunktion. Sie geben nicht nur Auskunft über die Einschätzung der kurzfristigen Kreditwürdigkeit des Regierungshandelns in der Mehrheitsdemokratie. Sie sind auch Indikatoren für die Einschätzung der Kreditwürdigkeit des demokratischen Systems und seiner Institutionen. In der politischen Kulturforschung wurde dazu die Unterscheidung zwischen „spezifischer“ und „diffuser“ Unterstützung eingeführt (Vgl. Almond/Verba 1963; Easton 1975). Wird der ‚specific support’ für konkrete Leistungen der Amtsinhaber gewährt, so ist der ‚diffuse support’ relativ unabhängig von den täglichen Leistungen des politischen Systems. Und Demokratien brauchen beides, die periodische Bestätigung im Wege spezi7

fischer Unterstützung einerseits und das von konkreten Leistungen relativ unabhängige Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Wahlen geben zunächst Auskunft über Regierungs- und dann auch über Systemvertrauen. Dabei gehört die Erosion von spezifischer Unterstützung, von politischem Vertrauen in die aktuelle Performance politischer Akteure also, zur Normalität des demokratischen Spiels. Erodierendes Institutionen- und Systemvertrauen hingegen gilt als ernst zu nehmendes Krisensymptom in der und für die Demokratie. Zwischen beiden bestehen Verbindungen, die zur Frage veranlassen: War die Bundestagswahl eine vertrauensbildende Maßnahme auch für das demokratische System? Ging es lediglich um die Normalität des friedlichen Machtwechsels, oder hat das Ganze auch mit einer Erosion des Systemvertrauens zu tun? Insofern haben wir es im Vorfeld des Wahlkampfes, im Wahlkampf selbst und auch nach der Bundestagswahl mit unterschiedlichen „Vertrauensfragen“ zu tun. 2. Vertrauensfrage(n) im Vorwahlkampf: Die Vertrauensfrage: „Gefühltes Misstrauen“ und politisches Vertrauen

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Das Hantieren mit der Vertrauensfrage nach Art. 68 GG gehört nicht zu den Werkzeugen im politischen Alltagsgeschäft. Im gedachten Kräfteparallelogramm von Parlament und Regierung ist sie ein kraftvolles Instrument in Händen des Regierungschefs, eigentlich gedacht zur Disziplinierung der Regierungsfraktionen und zur Sicherung parlamentarischer Mehrheiten. Dabei signalisiert die Berufung auf die Vertrauensfrage nicht Macht, sondern Machterosion in einer politischen Krisenlage. Zu beurteilen, was eine Krisenlage ist, kommt dem Bundeskanzler zu. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Auflösungsentscheidung schon 1983 einen weiten Einschätzungsspielraum eingeräumt. Eine Krise könne vorliegen, wenn „der Bundeskanzler zwar noch über die parlamentarische 8

Mehrheit verfügt, jedoch befürchtet, diese in absehbarer Zeit zu verlieren“, so die Beschreibung der Mehrheitsmeinung im Sondervotum des Verfassungsrichters Rottmann (BVerfGE 62, 1 110). Der Bundestagsabgeordnete Schulz, einer der beiden Kläger gegen die Bundestagsauflösung des Jahres 2005, hat dies treffend als „gefühltes Misstrauen“ (Schulz 2005) bezeichnet. Wie aber begründet man „gefühltes Misstrauen“? Nicht durch parlamentarische Niederlagen, denn die hat es nicht gegeben, beschlossen doch die Regierungskoalitionen mit ihrer knappen Parlamentsmehrheit bis zum Tag der Vertrauensfrage noch Steuerund Antidiskriminierungsgesetze. Der Kanzler bediente sich vielmehr zum Auftakt und zum Ende seiner Rede im Deutschen Bundestag einer demokratietheoretisch scheinbar unschlagbaren Argumentationsfigur: Er berief sich auf „die Legitimation durch den Souverän“, das deutsche Volk. Die Legitimation durch Wahlen sei unverzichtbar. Es gehe nicht um das Schicksal des Bundeskanzlers, sondern „um die Möglichkeit des demokratischen Souveräns, die Grundrichtung der künftigen Politik selbst zu bestimmen.“ (Deutscher Bundestag, Plenarprotokolle 15/185: 17465 ff.) Dies war gleichsam das Framing, die politische Grundmelodie, mit der zunächst die verfassungsrechtlichen Zweifel entkräftet, die Opposition angegriffen, mit Blick auf die eigene Partei Wahlniederlagen, Austritte und Drohungen beschrieben und damit die Planbarkeit und Verlässlichkeit der Politik überhaupt in Frage gestellt wurden. Nach dem eher deskriptiven, aber durchaus politisch gefärbten Teil seiner Rede brachte der Bundeskanzler das normative Geschütz in Stellung, mit dem der Weg zum Misstrauen argumentativ ‚freigeschossen’ wurde: Über die Drohung von Abgeordneten mit abweichendem Stimmverhalten wolle und könne er nicht moralisch rechten. Was aus der subjektiven Sicht von Abgeordneten durchaus berechtigt sei, müsse er als Bundeskanzler anders politisch beurteilen. Wo aber Vertrauen nicht vorhanden sei, dürfe öffentlich nicht so getan werden, als gäbe es dieses Vertrauen. Und mit Verweis 9

auf die oppositionelle Bundesratsmehrheit: Ihr sei es „nicht mehr um inhaltliche Kompromisse oder staatspolitische Verantwortung, sondern um machtversessene Parteipolitik (gegangen), die über die Interessen des Landes gestellt werde“ (ebenda). – Die Vertrauensfrage und die damit eröffnete Möglichkeit als Konsequenz aus einem staatspolitisch unverantwortlichen Vertrauensbruch. – Verständlicherweise hat die Rede des Bundeskanzlers zur Vertrauensfrage im Bundestag selbst und auch danach vielfältige Reaktionen ausgelöst, merkwürdige und kuriose. So versicherten ausgerechnet die innerparteilichen Kritiker dem Regierungschef ihre Loyalität. Die Oppositionsführerin sprach davon, dass „Vertrauen so etwas wie der Schmierstoff der Demokratie“ (ebenda) sei, ein Vergleich, der Erinnerungen an die gerade verblasste Parteienfinanzierungsaffäre wach rief. Der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Müntefering verschreckte schließlich die Hausjuristen der Regierung, als er auf Zwischenrufe der Opposition mit der Bemerkung überraschte: „Es geht heute nicht um Misstrauen … Stellen Sie den Antrag auf ein Misstrauensvotum. Sie werden sehen: Sie sind in der Minderheit in diesem Haus.“ (ebenda) Und kaum war die Vertrauensfrage mühsam negativ beschieden, da erklärt wiederum der damalige SPD-Parteiund Fraktionsvorsitzende: „Der Kanzler hat unser Vertrauen.“ Geradezu politisch kafkaesk mutet es an, was man als eine Art loyale Illoyalität bezeichnen könnte: Während diejenigen, die heimlich zum schleichenden Vertrauensentzug beigetragen haben, gegeißelt wurden und Treueschwüre abgaben, mussten diejenigen, welche ihm immer treu ergeben waren, zum öffentlichen Vertrauensentzug ermuntert werden. Ein Nachrichtenmagazin hat das zutreffend als „Das große Staatstheater“ (Spiegel Nr. 27/2005: 20-46) bezeichnet.

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.Der Vertrauensappell: Zur Notstandrhetorik des Bundespräsidenten Es lag in der Zuständigkeit des Bundespräsidenten, den Vorschlag des Bundeskanzlers zu prüfen, nach dem errungenen Misstrauen den Bundestag aufzulösen. Dieses Prüfungsrecht gehört zu den wenigen Elementen seiner politischen Reservemacht. Um seine Fernsehansprache richtig einzuordnen, muss man sich allerdings vergegenwärtigen, welche Aufgabe dem Staatsoberhaupt im parlamentarischen Regierungssystem zukommt. Diesem Amt, das wie kein zweites noch Reste eines „krypto-monarchischen“ Prinzips (vgl. Schwarz 1999: 38) verkörpert, bleibt die „selbständige und maßgebende Teilhabe an der obersten Staatsleitung“ (Hesse 1995: 278) versagt. Der Bundespräsident ist demnach nicht Hüter der Verfassung, sondern „Hüter der Politik“ (Vgl. dazu Sarcinelli 2005: 258-263). Ein politischer Akteur, der über den Parteien stehend mit der Autorität seiner Persönlichkeit Anstöße geben soll, ohne politisch anstößig zu wirken. Nicht Macht sondern politischer Stil ist seine Sache – auf einen kurzen Nenner gebracht: Gesamtstaatliche Vertrauensbildung. Deshalb soll hier auch weniger interessieren, ob der Bundespräsident im Rahmen seines Ermessens die Lage selbständig beurteilt oder gar richtig eingeschätzt hat. Hier sollen mit Blick auf die Vertrauensfrage allein die rhetorischen Mittel interessieren, derer sich das Staatsoberhaupt bedient hat. Dramatisch war bereits der Auftakt der verfassungsrechtlich ‚wasserdichten’ Fernsehansprache des Bundespräsidenten zu seiner Auflösungsentscheidung:„Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten“ (Köhler 2005). An dieser Diagnose mag – je nach politischer Einschätzung – das meiste 11

richtig sein. Doch was bewirkt es, das Bild eines vom Untergang gezeichneten Landes zu zeichnen, vorgetragen in einer Art „Notstandrhetorik“ (Zastrow 2005), die an Carl Schmitt erinnert und die Illusion souveräner Entscheidungskompetenz im politischen Ausnahmezustand suggeriert. Fairerweise wird man dem Bundespräsidenten keine Sympathie für ein autoritäres Präsidialregime a la Hindenburg unterstellen: Schließlich hat er gegen Ende seiner Rede betont, es sei richtig, „dass in der heutigen Situation der demokratische Souverän – das Volk – über die künftige Politik unseres Landes entscheiden kann“ (Köhler 2005). Dennoch: Ein Vertrauensappell war das alles nicht. In der Rede wird deutlich, wie sehr der Bundespräsident selbst Teil der viel kritisierten politischen Kultur in Deutschland ist; einer Kultur sorgfältig gepflegter politischer Depression, in der es in der politischen Sprache nur so von abschreckenden Begriffsmonstern wimmelt: „Hartz IV“, „Ein-Euro-Job“, „Kopfpauschale“, später begrifflich weich gespült in „Gesundheitsprämie“, um nur einige Beispiele zu nennen, die als Signalbegriffe und Symbole des politischen Aufbruchs und der Reform gedacht eher schlechte Laune verbreiten als Vertrauen erwecken. Dass es auch anders geht, hat Ralf Dahrendorf in einem Vortrag am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) vorgeführt. In Großbritannien hätte der sonnige britische Premier angesichts desselben Sachverhalts Ihre Majestät Folgendes sagen lassen: „Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder liegen in unserer Hand. Veränderungen in der Welt der Arbeit fordern unsere Phantasie heraus. Die Regierung kann und wird denen helfen, die sich nicht selbst helfen können; aber wir werden unsere Kinder nicht mit Schulden belasten, um uns ein bequemes Leben zu verschaffen. Auch in der Politik gilt es, Entscheidungen dort, wo Menschen leben, dezentral zu treffen; darum werden wir die föderale Ordnung modernisieren. Eine Gesellschaft, die älter wird, kann auf die reiche Erfahrung ihrer Bürger bauen, weiß aber auch, dass die Förderung der Familie besonders wichtig ist. Der weltweite Wettbewerb ist für uns ein Ansporn zu Innovation und Initiative“ (Dahrendorf, in: 12

Enke 2005). Soweit Her Majestys fiktive Worte zur politischen Vertrauensbildung.

. Die Vertrauensinstanz: Das Bundesverfassungsgericht und der Primat der Politik Was für die Briten die Monarchie, ist für die Deutschen das Bundesverfassungsgericht: Seit Jahrzehnten unschlagbar, wenn nach dem Institutionenvertrauen gefragt wurde, genießen die Karlsruher Richter höchsten Respekt. So ist das Bunderverfassungsgericht die Vertrauensinstanz im deutschen politischen System. Angerufen im Wege einer Organklage der Bundestagsabgeordneten Hoffmann und Schulz hatte Karlsruhe das letzte Wort in der vom Bundeskanzler beantragten und wunschgemäß negativ beschiedenen Vertrauensfrage. Durften mit dem künstlich herbeigeführten parlamentarischen Vertrauensentzug der Weg zum Volk frei gemacht und Neuwahlen herbeigeführt werden? War es rechtens, nach der Vertrauensfrage im Parlament die Vertrauensfrage an das Wahlvolk zu stellen? Damit hatte das Bundesverfassungsgericht nicht nur über die Rechtmäßigkeit des Handelns der drei Verfassungsorgane Regierung, Parlament und Bundespräsident und über den schon avisierten Wahltermin zu befinden. Das allein verdient schon unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenbalance besonderes Interesse. Mit der Aufgabe, über vorhandenes oder nicht vorhandenes politisches Vertrauen zu entscheiden, mussten sich die Richter mitten ins Feld politischer Semantik begeben. Denn „Vertrauen“ ist zwar ein in Art. 68 GG verfassungsrechtlich normierter Begriff; ein Topos allerdings, der nicht wie andere Rechtsbegriffe (z.B. Eigentum, Diebstahl etc.) vordefiniert ist. Was ist Vertrauen in der Politik? Wie prüft man politischen Vertrauensentzug? Wer Antworten auf diese Frage sucht, balanciert im Grenzbereich von Recht und Politik. Bekanntlich wurde die Klage der beiden Abgeordneten abgewiesen und das Verhalten der drei Verfassungsorgane für rechtmäßig befunden. Politisch-semantisch und demokratie13

theoretisch interessanter erscheinen die Begründungen für die Prüfung von Vertrauen oder Misstrauen und die Folgen für die politische Mechanik des demokratischen Systems. Mehrfach werden in der Entscheidungsbegründung zwei zentrale Argumentationsfiguren variiert: erstens das Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher und diskreter Vertrauens- bzw. Misstrauensbekundung und zweitens das Spannungsverhältnis zwischen Vertrauen bzw. Misstrauen gegenüber der aktuellen und zukünftigen Politik. Von außen könne nur teilweise beurteilt werden, wie das Verhältnis des Bundeskanzlers zu den seine Politik tragenden Fraktionen sei. Es gehe nicht nur um Vertrauen in die aktuelle Politik, sondern auch um Einschränkungen der politischen Handlungsfreiheit des Kanzlers durch die Vermeidung von zukünftigem Zustimmungsverlust. Dann wird auf den eigenständigen politischen Handlungs- und Beurteilungsspielraum des Regierungschefs verwiesen, auf „höchstpersönliche Wahrnehmungen und Lagebeurteilungen“. Es gehe um „eine Wertung, die durch das Bundesverfassungsgericht schon praktisch nicht eindeutig und vollständig überprüft werden kann und ohne Beschädigung des politischen Handlungssystems auch nicht den üblichen prozessualen Erkenntnismitteln zugänglich ist“ (BVerfGE in: FAZ 26.8.05). Die Richterin Lübbe-Wolff, die der Entscheidung, nicht aber den Entscheidungsgründen zustimmt, hat das in ihrem Sondervotum so zum Ausdruck gebracht: Die Vertrauensfrage sei, wie die Frage vor dem Traualtar, keine Wissensfrage, auf die so gut wie der Gefragte oder besser ein anderer antworten könnte. Sie könne nur vom Parlament beantwortet werden. Das Bundesverfassungsgericht baue mit seiner Begründung eine bloße Kontrollfassade auf (vergl. ebenda). Auf einen kurzen Nenner gebracht: Das politische Vertrauen, die „Fortsetzung der Regierungspolitik ist keine Rechts- sondern eine pure Machtfrage. Deshalb entscheidet der Bundeskanzler selbst. Dann entscheiden die Abgeordneten. Schließlich entscheidet vielleicht der Bundespräsident. Das Bundesverfassungsgericht aber kann nie über die Chancen einer Regierungspolitik befinden, denn es weiß von Amts wegen nur, was Recht, nicht, was Macht ist“ (Roellecke 2005). 14

Der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht verlangt nicht, „mit dem Hut zugleich den Kopf abzunehmen“ (Prantl 2005), wie der Leitartikler der Süddeutschen Zeitung schon im Vorfeld des Urteils schrieb. Die Karlsruher Richter stehen nicht außerhalb der demokratischen Streitkultur, auch wenn ihre Urteile rechtlich binden. Bei aller Kritik: Das Bundesverfassungs-gericht hat nicht nur den Weg für Neuwahlen frei gemacht. Es hat auch durch die Unterscheidung zwischen Macht und Recht eine verfassungspolitische Schneise geschlagen: dem Primat der Politik obliegt es, rechtlich begrenzt in einem institutionalisierten Verfahren über politisches Vertrauen oder Misstrauen zu entscheiden. 3. ‚Vertrauensfragen’ im Wahlkampf Vertrauenswerbung: „Vertrauen in Deutschland“

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Wahlkämpfe sind die „Hochämter der politischen Alltagsliturgie“ (Geisler/Sarcinelli 2002: 43; Sarcinelli 2005: 197), darauf angelegt, dass sich die Politik dem Vertrauenstest der Bürgerinnen und Bürger stellt. Unterstützt durch gekaufte Werbekompetenz werden Wahlkämpfe in der Regel von langer Hand geplant. Es sind dramaturgisch durchgestylte Unternehmen, in denen politische Werbung ein lediglich unterstützender Faktor im Kommunikationsmix eines komplexen Gesamtinformationsangebots darstellt. Die überraschende Ankündigung in der Wahlnacht zur NRW-Landtagswahl am 22. Mai 2005 hatte allerdings alle Zeitpläne über den Haufen geworfen. In wenigen Wochen mussten Wahlmanifeste und Regierungsprogramme erarbeitet, Wahlparteitage organisiert, die Parteiapparate mobilisiert, das Unterstützerfußvolk auf Trapp gebracht und auf einen kurzen Sommerund Ferienwahlkampf eingestellt werden. Schon dies sind restriktive Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer politischen Werbelinie. Hinzu kommt, dass Wahlkampfwerbung von der aktuellen politischen Wettbewerbssituation und dem vorfindlichen politischen Meinungsklima ausgehen muss. Beides kann durch Werbung nur begrenzt beeinflusst werden. Zudem sind Parteien keine beliebigen Produkte. 15

Man kann sie am ehesten mit lang eingeführten Markenartikeln vergleichen. Ziemlich verfestigt in ihrem Image, von schwer überprüfbaren Gebrauchswert und zugleich mit heterogenen Erwartungen konfrontiert, kommt Wahlkampfwerbung bei der Vermittlung politischer Parteien und ihrer Alternativen deshalb eine spezifische Aufgabe zu: Durch griffige Botschaften, passende Symbolik, treffende ‚Abkürzungen’ und sympathische Köpfe, das Ganze dann möglichst oft wiederholt und überall plakatiert, sollen Schneisen in den Informationsdschungel geschlagen werden. Es geht um die Vermittlung eines Vertrauen erweckenden Gesamteindrucks auf der Basis dessen, was die Amerikaner als „low-information-rationality“ (vgl. Popkin 1991) bezeichnen. „Vertrauen in Deutschland“, der zentrale Wahlkampfslogan und zugleich die Überschrift des Wahlmanifests der SPD war eine solche ‚Abkürzung’ mit großer Assoziationsbreite. Welches Vertrauen ist gemeint? Vertrauen der Partei oder in die Partei, Vertrauen des Kanzlers oder in den Kanzler, Vertrauen der Deutschen in Deutschland, Vertrauen des Auslandes in Deutschland? Auch wenn Wahlkampfwerbung immer zum politischen Grundvertrauen beitragen soll, so kann man das eher defensiv oder offensiv oder auch in einer nicht definierten Mischung aus beidem tun. Plakativ hat es in jedem Falle zu sein. Nicht um langweilige Produktinformationen, sondern um Wert-, Orientierungs- und Deutungsmuster geht es, gleichsam um den politischen ‚Markenkern’. Die CDU als politische Herausforderin plakatierte deshalb mit „Vorfahrt für Arbeit“ und „Deutschlands Chancen nutzen“. Ganz ähnlich der seinerzeit noch gewünschte Koalitionspartner FDP. Neben dem Hauptslogan „Arbeit hat Vorfahrt“ variierten die Liberalen Kompetenz vermittelnd und griffig: „Mehr FDP – mehr Arbeitsplätze“, „Mehr FDP – weniger Steuern“, „Mehr FDP – weniger Bürokratie“ etc. Demgegenüber hat sich Bündnis ’90/ Die Grünen für „Mach mit“ sowie zu Personen- und Motiv-Plakaten entschieden: „Ja zu Joschka“, „Ja zu grün“. 16

Was sagt uns dieser kursorische Blick auf die Wahlkampfwerbung? Die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung waren und sind in Wahkampfzeiten zwar so umfangreich wie nie, aller Kritik an Wahlkampfspektakel, Medienberichterstattung und schier endlosen Talkshowrunden zum Trotz. Zu keiner Zeit wird in der gleichen Intensität wie im Wahlkampf Politik vermittelt, werden über Wochen hinweg auf allen medialen Kanälen und auch unter den ‚Menschen draußen im Land’ politische Fragen diskutiert. Weil aber auch in Wahlkampfzeiten Politik in der Lebenswelt der Bürger nicht zur Hauptsache wird, ist Selektion und Reduktion von Komplexität zwingend. Wahlen bleiben im Letzten weithin ein Vertrauensakt, eine Wahlentscheidung unter der Maßgabe beschränkter Information, und Wahlkampf ist deshalb immer – bei noch so viel Information – auch Vertrauenswerbung: Es geht um das, was der Systemtheoretiker Niklas Luhmann als „stark generalisierte(s) Tauschverhältnis“ beschreibt, in dem eine „global gewährte Unterstützung gegen Befriedigung im großen und ganzen“ (Luhmann 1983: 166) gesucht bzw. zugesagt wird.

. Vertrauenspersonen: Personalisierung im Wahlkampf Ein kaum zu überschätzendes Tauschmedium der Politik sind Personen, im Wahlkampf mehr noch als zu wahlkampffreien Zeiten. Dafür gibt es zunächst sachpolitische Gründe. Je mehr Menschen sich nur nebenbei für Politik interessieren, desto wichtiger wird Komplexitätsreduktion (vgl. Kepplinger 2005). Und weil die Vermittlung von Köpfen allemal einfacher ist als die Detailinformation über Sachverhalte, geht es in der Politik nicht ohne die Personalisierung von Politik. Dafür gibt es auch gewichtige demokratietheoretische Gründe. Die Demokratie besteht nicht nur aus einem Komplex von Institutionen, Normen und Verfahren, sondern auch aus Personen, aus demokratisch legitimierten Amts- und Funktionsträgern. Erst sie erlauben im deutschen Repräsentativsystem mit seinem teilpersonalisierten Wahl17

modus die personale Zuordnung von Verantwortung mit der Möglichkeit von Vertrauenszuweisung und -entzug. Entgegen immer wieder vorgebrachter Behauptungen ist es keineswegs ein Novum, dass Bundestagswahlen als eine Art Personalplebiszit inszeniert werden. Das passt im Falle der Bundestagswahl 2005 medial gut in die Schlagzeile: „der oder die“, „sie oder er“, „Schröder oder Merkel“. Und tatsächlich werden ja die Sympathie- und Kompetenzwerte von Kanzler und Kanzlerkandidatin, wie auch die anderer Spitzenakteure, laufend getestet und in das Wahlkampfgeschehen eingespeist. Wer genießt unter dem Strich mehr Vertrauen und welche Folgen hat das für die Chancen der Partei? Und je nach politischer Konstellation weist die politische Regie dem Spitzenkandidaten die Rolle des Alleindarstellers zu oder es findet, wie im Falle der Union, eine personelle Einrahmung statt durch eine Wahlkampfmannschaft statt, neudeutsch: „Kompetenzteam“. Vertrauenspersonen sollen für bestimmte politische Kompetenzbereiche stehen. Der generalstabsmäßigen Konstruktion zur Schau gestellter Sympathie und Kompetenz sind hier allerdings Grenzen gesetzt. Zumal in Volksparteien gilt es vielfältige Proporz- und Machtansprüche zu berücksichtigen und bisweilen abzuwehren. Wer in der Sache profiliert ist, aber intern die Machtfrage aufwirft, hat eher schlechte Karten. Friedrich Merz war dafür ein Beispiel. Andererseits gibt es auch Spitzenakteure, die sich als eine Art politische Alphatiere zumindest auf gleicher Augenhöhe mit einem zweiten Kandidaten präsentieren. Geht dies in der Tierwelt ebenso wenig wie in der Politik auf Dauer gut, so war dieses Personalpaket mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi im Falle der Linkspartei als Angebot gedacht, Vertrauen in das aus den zwei sehr ungleichen Partnern PDS und WASG gebildete Wahlbündnis zu wecken. Gerade in der Politik ist personales Vertrauen ein soziales Gut, das sorgfältiger Pflege bedarf. Mit Wahlkampfklamauk und Anbiederung 18

an den vermeintlichen Unterhaltungsbedarf bestimmter Publika kann Vertrauen jedoch so verspielt werden, dass es für spätere Personalisierungen zur Hypothek wird. Politischer Seriositätsverlust durch ungenierte Übernahme öffentlichkeitswirksamer Werbemethoden verfestigt ein Image des Unseriösen, das als Negativetikett an Akteuren kleben und so ernsthaftes politisches Bemühen dauerhaft belasten kann. Als ein von der Union praktiziertes, in seiner Wirkung allerdings schwer kalkulierbares Pflegemittel personalen Vertrauens erweist sich demgegenüber die gut getimte Präsentation prominenter Quereinsteiger. Das gilt für den im Wahlkampf von Gerhard Schröder als „Professor aus Heidelberg“ verhöhnten renommierten Verfassungsrechtslehrer und ausgewiesenen Steuerexperten Paul Kirchhof. Aus der Wissenschaft kommend und die Politik beratend schien der ehemalige Verfassungsrichter geradezu die ideale Figur personalisierten politischen Vertrauens. Nicht bedacht waren dabei allerdings die kommunikativen Folgen des ‚Systemwechsels’ eines Spitzenakteurs. Denn, wer sich aus dem ‚System Wissenschaft’ in das ‚System Politik’, in die politische Arena also, begibt, kann nicht mehr damit rechnen, nach den Regeln der Wissenschaft handeln und behandelt werden zu können. Ob er will oder nicht – er muss sich der Logik des politischen Wettbewerbs in einer Mediengesellschaft unterwerfen. Hier zählen nicht unbedingt klug durchdachte Konzepte, differenzierte Unterscheidungen zwischen kurz-, mittel- und langfristigen steuerpolitischen Effekten oder politikphilosophische Visionen über den „Garten der Freiheit“. Der Aufbau von personalem Vertrauen ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht gelingt, das als notwendig Erkannte mit der Legitimation des Augenblicks zu verbinden. Nun kann man sagen, mit dem Agenda Setting solcher personalstrategischen Schachzüge werde für Nachrichtenwert gesorgt und der ereignishungrige und nach Prominenz suchende Journalismus bedient. Doch hier geht es um mehr als um die „Ökonomie der Aufmerksam19

keit“ (vgl. Frank 1998) und um Unterhaltung im medialen Wahlkampfzirkus. Personalisierung zielt auf Zustimmung durch politisches Vertrauen in Personen. Dabei kommt der Personalisierung in der medialen Politikdarstellung und -wahrnehmung eine wachsende Bedeutung zu. Die Wirklichkeit demokratischer Entscheidungspolitik ist jedoch nach wie vor weniger mediendemokratisch als verhandlungsdemokratisch ausgerichtet. Interessanterweise korrespondiert zunehmende Personalisierung mit schleichender Entmachtung politischer Eliten. Das öffentliche, auf wenige Spitzenakteure fixierte Erscheinungsbild von Politik täuscht über die Wirklichkeit des alltäglichen Verhandelns, Aushandelns und Kompromisse Suchens hinweg (vgl. Grande 2000: 122). Wenn sich dann aber das vermeintlich souveräne Spitzenpersonal im deutschen Mehrebenen- und Verhandlungssystem verfängt, politisch verantwortliche Führungspersonen doch nicht so entscheidungsunabhängig sind, wie dies in den Medien erscheint, kann Enttäuschung nicht ausbleiben. Hierin liegt die Gefahr übersteigerter Personalisierung nicht nur in der Wahlkampfkommunikation.

. Vertrauensgefühle: Die umworbenen Bürgerinnen und Bürger unter Dauerbeobachtung Schauen wir abschließend auf die Adressaten der Vertrauensappelle, die Bürgerinnen und Bürger. – Die inzwischen mehr und mehr beachtete Ökonomische Theorie der Demokratie geht von einem Menschen aus, der über vollständige Informationen verfügt, Kosten und Nutzen seines Verhaltens abwägt und so zu rationaler Entscheidung in der Lage ist. Das ist ein einflussreiches theoretisches Modell, interessant als eine Variante zur Erklärung des Wählerverhaltens, wie überhaupt politischen Verhaltens, aber eben ein idealtypisches Konstrukt. Man muss nicht unbedingt „Abschied (nehmen) vom rationalen Wähler“ (vgl. Kepplinger/Maurer 2005). Und schon gar nicht wird man dem Bürger und der Bürgerin die Vernunftfähigkeit absprechen: Bei realistischer Betrachtung darf man jedoch unterstellen: Die Bürger sind – auch und allzuoft in erster Linie – politische Konsu20

menten. Sie verhalten sich suboptimal, wenn es um Informationsbeschaffung und -verarbeitung geht. Das heißt: Weil sie nicht alles wissen können und auch nicht alles wissen wollen, sind sie auf Vertrauen, weithin also auch auf ihr Gefühl angewiesen, ein Gefühl, das sich aus bewusst und unbewusst wahrgenommenen, personalen und sachspezifischen, langfristigen und kurzfristigen Informationen speist. Es ist deshalb kein Zufall, dass in der Politik und ganz besonders in Wahlkampfreden permanent an Vertrauensgefühle appelliert wird. So auch geschehen beim Schlussappell des Kanzler und der Kanzlerkandidatin im Rahmen des Fernsehduells: „Ich bitte um neues Vertrauen für meine Politik, eine Politik, die die sozialen Sicherungssysteme neu justiert…, die die Schöpfung bewahrt… und damit ich Deutschland weiterführen kann…“. Knüpfte der Kanzler seine Bitte um Vertrauen an die Fortsetzung seiner bisherigen Politik, so musste seine Herausforderin – mit dem Anspruch, einen ehrlichen Wahlkampf zu führen – um Vertrauensvorschuss ersuchen: „… ich kann Ihnen nicht versprechen, alle Probleme von einem Tag auf den anderen zu lösen, aber ich sage Ihnen vor der Wahl, was wir nach der Wahl tun werden. Und ich bin überzeugt: In Deutschland steckt mehr, die Menschen in diesem Lande können mehr! Wir müssen unsere Chancen nutzen! Dafür bitte ich um Ihr Vertrauen.“ (Fernsehduell am 05.09.2005). Soweit Angela Merkel. – Bekanntermaßen sorgten die Wählerinnen und Wähler dafür, dass nach den Wahlen um Vertrauen für das im Wahlkampf als miteinander unvereinbar Dargestellte geworben werden musste. Um politisches Vertrauen bitten, heißt nicht nur um Zustimmung zu werben, sondern auch Macht zu wollen. Dabei folgen die demokratischen Spielregeln nicht Friedrich Schillers Diktum, Stimmen zu wägen statt zu zählen. Am Wahltag wird abgerechnet, wird gezählt und nicht gewogen. Und gezählt wird nicht nur am Wahltag. Inzwischen stehen die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr nur im Wahlkampf 21

unter Dauerbeobachtung. Bürgerinnen und Bürger als politische ‚Patienten’, denen man nicht traut, deren Fieberkurve ständig über den Krankheitsverlauf informieren und Anhaltspunkte für eine Therapie geben soll. Das verschafft der Demoskopie eine schillernde Schlüsselrolle im demokratischen System. Man weiß inzwischen aus der Forschung, dass das politische Fiebermessen weniger direkt auf die Einstellungen der Bevölkerung wirkt als indirekt durch die Orientierungsleistung für politische Akteure, vor allem aber durch die journalistische Verarbeitung bei der Setzung von Themen (Agenda Setting) und bei der Themenstrukturierung (vgl. Noelle-Neumann 1998: 91). So wird die politische Wirklichkeit zu einer merkwürdigen Melange von Ereignissen, demoskopischen Einschätzungen von Ereignissen, medialer Verarbeitung von Ereignissen und wiederum deren demoskopischer Beurteilung.

4. Vertrauen in die Demokratie: Mehr als die Legitimation des Augenblicks Nun lebt die Demokratie von der Rückkoppelung zwischen Wählern und Gewählten. Und diese Rückkoppelung ist zu keiner Zeit so intensiv wie im Wahlkampf. Der liberale Verfassungsstaat ist jedoch kein politisches Spiegelkabinett und demokratische Wahlen sind mehr als das Bilanzieren eines momentanen politischen Stimmungsbildes. Es geht auch um politische Führung und Verantwortung, um Entscheidung und Problemlösung. Wie keine andere Form der politischen Partizipation gewährleisten Wahlen die freie und gleiche Teilhabe aller. Sie sind und bleiben deshalb der zentrale Legitimationsakt, ein Akt politischen, nicht blinden Vertrauens; eines Vertrauens jedenfalls, das auf der Basis begrenzten Wissens Amtsträger zur Herrschaft auf Zeit ermächtigt.

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Für die Demokratie ist es deshalb eine zentrale ‚Vertrauensfrage’, ob auf lange Frist die Legitimation des Augenblicks und die Illusion eines medialen „plebiscite de tous les jours“ das Vertrauen in die Integrität institutioneller Verfahren als einer Bedingung liberaler Demokratie untergräbt (vgl. Sarcinelli 2005: 283). Dies wäre der Fall, wenn sich vordergründige Vertrauenswerbung in Form eines medienattraktiven Populismus zur „Billigvariante parlamentarischer Demokratie“ (Lepsius 2003: 13) entwickeln würde. Nach einer wenige Wochen vor der Bundestagswahl durchgeführten Allensbach-Untersuchung identifizierten sich 60 Prozent der Bevölkerung mit der Aussage: „Man verliert allmählich jegliches Vertrauen in die Politik. Ich mache mir … Sorgen, wie es mit Deutschland weitergehen soll“ (Köcher 2005). Ganz offensichtlich gibt es ein allgemeines Gefühl von Unzufriedenheit und weit verbreitet sind die Zweifel an der Problemlösungskompetenz aller tragenden politischen Kräfte. Am Ende des Bundestagswahljahres 2005 und nach Bildung einer – eher von der Bevölkerung als von den politischen Akteuren gewünschten – Großen Koalition bietet sich die Chance, Vertrauen in die Politik neu zu begründen. Wichtiger noch als die Zufriedenheit mit den voraussichtlich einschneidenden und für die Bürger auch schmerzhaften politischen Entscheidungen von Regierung und parlamentarischer Mehrheit ist jedoch, dass der politische Vertrauensgewinn auch zur Steigerung des System- und Demokratievertrauens in Deutschland beiträgt.

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Literatur: Almond, Gabriel A./Verba, Sidney (1963): The Civic Culture. Political Attitudes in Five Nations. Princeton. Beck, Ulrich/Giddens, Antony/Lash, Scott (1996): Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt a.M. Easton, David (1975): A Re-assessment of Concept of Political Support. In: British Journal of Political Science. S. 435-457. Enke, Julia (2005): Der große Lord. In: FAZ, 20. August 2005, S. 33. Fraenkel: Ernst (1991): Deutschland und die westlichen Demokratien. Frankfurt a.M. (erw. Ausgabe) Frank, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München/Wien. Gabriel, Oscar W./Kunz, Volker/Roßteutscher, Sigrid/van Deth, Jan W. (2002): Sozialkapital und Demokratie. Zivilgesellschaftliche Ressourcen im Vergleich. Wien. Geisler, Alexander/Sarcinelli, Ulrich (2002): Modernisierung von Wahlkämpfen und Modernisierung von Demokratie? In: Dörner, Andreas/ Vogt, Ludgera (Hg.): Wahl-Kämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual. Frankfurt a.M., S. 43-68. Giddens, Antony (1990): The Consequences of Modernity. Cambridge. Grande, Edgar (2000): Charisma und Komplexität. Verhandlungsdemokratie, Mediendemokratie und der Funktionswandel politischer Eliten. In: Leviathan, 28. Jg., S. 122-141. Hesse, Konrad (1995): Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg (20., neubearb. Aufl.). Kepplinger, Hans Mathias/Maurer, Marcus (2005): Abschied vom rationalen Wähler. Warum Wahlen im Fernsehen entschieden werden. Freiburg i. Br.

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Köcher, Renate (2005): Entscheidung voller Unbehagen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 2005, S. 5. Köhler, Horst (2005): Fernsehansprache des Bundespräsidenten am 21.7.2005. (auf der Homepage des Präsidialamtes) Lepenies, Wolf (2003): Der Held betritt den Alltag. In: Süddeutsche Zeitung vom 9. Oktober 2003, S. 13. Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a.M. Luhmann, Niklas (1989): Vertrauen. Frankfurt a.M. Noelle-Neumann, Elisabeth (1998): Öffentliche Meinung. In: Jarren, Otfried/ Sarcinelli, Ulrich/Saxer, Ulrich (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen/ Wiesbaden, S. 81-94. Offe, Claus (1999): How can we trust our fellow citizens? In: Warren E. Mark (Hg.): Democracy and Trust. Cambrigde, S. 42-87. Popkin, Samuel (1991): The reasoning voter. Chicago. Prantl, Heriber (2005): Die Helden von Karlsruhe. In: Süddeutsche Zeitung vom 10. August 2005, S. 4. Roellecke, Gerd (2005): Wer die Zahl hat. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. August 2005, S. 39. Sarcinelli, Ulrich (2005): Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. Wiesbaden. Schulz, Werner (2005): Ein Stück Weimar in Berlin. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24. Juli 2005, S. 4. Schwarz, Hans-Peter (1999): Von Heuss bis Herzog. In: Jäckel, Eberhard/ Möller, Hermann/Rudolph, Hermann (Hg.): Von Heuss bis Herzog. Stuttgart, S. 17-41. Zastrow, Volker (2005): Prediger des Notstands. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. August 2005, S. 1.

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Lebenslauf:

Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli, geboren 1946

Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Institut für Sozialwissenschaften, Abt. Politikwissenschaft Kaufhausgasse 9 76829 Landau

Wissenschaftlicher und beruflicher Werdegang

. Lehramtstudium 1966-1971 (Unterbrechung durch 2-jährigen - Staatsexamen . Wehrdienst) 2. Staatsexamen 1974 . Zweitstudium an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz: Rechtswissenschaft, Soziologie, Pädagogik . Politikwissenschaft, Magister Artium 1977 an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. 26

. Promotion zum Dr. phil. 1978/79 (Universität Mainz) Prof. Dr. Hans Buchheim . Doktorvater: 1975 - 1980 Wiss. Mitarbeiter am Seminar für Politikwissenschaft . . . . . .

der EWH Rheinland-Pfalz, Abt. Koblenz (jetzt Universität KoblenzLandau) 1980 - 1984 Hochschulassistent 1984 Habilitation in Politikwissenschaft (über eine Arbeit im Schnittfeld von Parteien- und Kommunikationsforschung.Thema: „Symbolische Politik“) 1985 - 1988 Akad. Rat/Oberrat 1988-1995 Professor für Politikwissenschaft (C 3) an der Pädagogischen Hochschule Kiel und an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel seit WS 1995/96 Professor (C 4) für Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, Abt. Landau. Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften sowie des Frank-Loeb-Instituts Landau an der Universität (FLI) 2002 beurlaubt zur Wahrnehmung einer Gastprofessur am Institut für Publizistik und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich

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