Vergleich und Urteil

Probelektion am 14.04.2015 Vergleich und Urteil Lösungsskizze Vergleich und Urteil A. Vorüberlegungen I. Sachverhaltserfassung Es geht um das Drei...
Author: Dominik Weiß
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Probelektion am 14.04.2015

Vergleich und Urteil Lösungsskizze

Vergleich und Urteil A. Vorüberlegungen I.

Sachverhaltserfassung

Es geht um das Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger (G), Hauptschuldner (S) und Bürgen (B).

II. Problemaufriss Die Aufgabenstellung fragt nach den Erfolgsaussichten der Klage des G gegen den Bürgen B, die maßgeblich davon abhängen, ob und inwieweit die Ergebnisse der Verfahren zwischen G und S für den Prozess zwischen G und B relevant sind. Dabei geht es in erster Linie um Fragen der materiellen Rechtskraft und der Rechtskrafterstreckung. Eine Besonderheit

des

Prozessvergleichs,

Schweizer deren

Zivilprozessrechts

Ausgestaltung

ist

zahlreiche

die

Rechtskraftwirkung Detailfragen

birgt.

des Die

Rechtskrafterstreckung auf Personen, die am rechtskräftig abgeschlossenen Prozess nicht beteiligt waren, kollidiert mit der Gewährleistung rechtlichen Gehörs, wie sie in der Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 2 BV) und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist (Art. 6 Abs. 1 EMRK).

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III. Aufbau Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist, sodass zunächst zwischen Eintretensvoraussetzungen und Begründetheit zu differenzieren ist. Im Aufbau ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse der zwei Vorprozesse zwischen G und S jeweils gesondert daraufhin zu prüfen sind, ob und inwieweit sie Auswirkungen für die Entscheidung des Gerichts im Bürgschaftsprozess haben. Deshalb ist in der Gliederung zwischen den beiden Verfahren zwischen G und S zu unterscheiden. Schließlich wird jeweils zunächst die Bindungswirkung zwischen den Parteien des Vorprozesses – also G und S – zu ermitteln sein, bevor dann in einem zweiten Schritt die Auswirkungen auf den Prozess zwischen G und B zu klären sind.

B. Erfolgsaussichten der Klage des G gegen B I.

Zulässigkeit der Klage

Die

Erfolgsaussichten

der

Klage

bestimmen

sich

zunächst

danach,

ob

die

Eintretensvoraussetzungen vorliegen. Die Klage ist nach dem Sachverhalt beim zuständigen Gericht erhoben worden. Der Zulässigkeit könnte deshalb allenfalls die negative Prozessvoraussetzung der abgeurteilten Sache entgegenstehen (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO). Der Einwand der res iudicata ist von Amtes wegen zu berücksichtigen. Er ist eine Folge der materiellen Rechtskraft, die zwei Ausprägungen hat: zum einen die Sperrwirkung, die eine negative Eintretensvoraussetzung ist, zum anderen die Bindungswirkung in Folgeprozessen (Bindungswirkung oder Präjudizialität). Materielle Rechtskraft setzt formelle Rechtskraft im Sinne

von

Unanfechtbarkeit

mit

ordentlichen

Rechtsmitteln

voraus

(Basler

Kommentar2/Steck Art. 236 N 35). Dabei wirkt die Rechtskraft nach h.M. nicht materiellrechtlich im Sinne einer Umgestaltung der Rechtslage, sondern prozessual, indem sie die Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand verbietet. Diese ne bis in idem-Wirkung verwirklicht die Verbindlichkeit des Entscheids, vermeidet einander widersprechende Urteile und dient damit nicht nur dem Rechtsfrieden, sondern auch der Entlastung der Justiz. Einigkeit besteht darin, dass die Sperrwirkung grundsätzlich Anspruchsidentität voraussetzt. Unzulässig ist die Klage dann, wenn sie den identischen Streitgegenstand betrifft. Die h.M. unterscheidet bei der Bestimmung des Streitgegenstandes zwischen der Frage der Litispendenz (Rechtshängigkeit) und der Rechtskraftwirkung: beim Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit (lis alibi pendens) folgen Bundesgericht und h.M. auch bei reinen Inlandsstreitigkeiten der vom EuGH für Streitigkeiten unter der EuGVVO entwickelten Kernpunkttheorie (BGE 128 III 284 E.3bb; Kurzkommentar ZPO/Berti Art. 64 N

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11 m.w.N.), während im Rahmen der Rechtskraftlehre der prozessuale zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff maßgeblich ist. Die Bestimmung des Streitgegenstandes erfolgt nach h.M. auch im Zusammenhang mit der Rechtskraftwirkung nicht nach Maßgabe des materiellen Rechts, also anhand des eingeklagten materiellen Anspruchs, sondern prozessual, also auf der Grundlage des prozessualen Anspruchs. Das ist richtig, weil bei der Feststellungsklage ein entsprechender materiellrechtlicher Feststellungsanspruch fehlt und auch weil sonst das Fehlurteil eine stärkere Wirkung hätte als das richtige Urteil. Nach h.M. ist bei der prozessualen Bestimmung des Streitgegenstands nicht nur auf das Rechtsbegehren abzustellen, vielmehr setzt sich der Streitgegenstand aus Rechtsbegehren und

Lebenssachverhalt

entscheidungserheblich,

zusammen. weil

weder

Der bei

Theorienstreit

ist

materiellrechtlicher

hier

indessen

Betrachtung

noch

nicht bei

prozessualem Verständnis von einer Identität des Streitgegenstandes auszugehen ist: Es geht materiellrechtlich betrachtet um die Bürgenhaftung des B aus Art. 492 OR und nicht um die Kaufpreiszahlungspflicht aus Art. 184 Abs. 1 OR, und prozessual divergieren Rechtsbegehren

und

Lebenssachverhalt

zwischen

den

Vorprozessen

und

dem

schwebenden Rechtsstreit. Schließlich sind die Parteien der Vorprozesse zwischen G und S und diejenigen des rechtshängigen Verfahrens zwischen G und B nicht identisch. Das bedeutet nicht, dass das Ergebnis der Vorprozesse für den Prozess bedeutungslos ist, doch besteht keine Sperrwirkung der res iudicata gegenüber der Klage von G gegen B, die einen Nichteintretensentscheid

rechtfertigen

würde

(Art.

59

Abs.

2

lit.

e

ZPO).

Die

Eintretensvoraussetzungen liegen vor, die Klage ist deshalb zulässig.

II. Begründetheit der Klage 1. Materiellrechtliche Voraussetzungen der Bürgenhaftung Die Klage ist begründet, wenn die Voraussetzungen der Bürgenhaftung vorliegen (Art. 492 ff. OR). Das setzt einen wirksamen Bürgschaftsvertrag voraus (Art. 492 Abs. 1, 493 Abs. 2 OR) und eine bestehende Hauptschuld, für deren Erfüllung B gegenüber dem G einzustehen hat (§ 492 Abs. 2 OR). Laut Sachverhalt hat B eine wirksame einfache Bürgschaft für die Verbindlichkeiten des S gegenüber G aus dem streitigen Kaufvertrag bis zum Höchstbetrag von CHF 600‘000 übernommen. Die Fälligkeit der Bürgschaftsforderung (Art. 501 Abs. 1 OR) ergibt

sich aus

der nach der

Aufgabenstellung

voll beweisbaren Fälligkeit der

Hauptforderung, sodass B insoweit keine Einrede erheben kann (Art. 502 Abs. 1 S. 1 OR). Nachdem S in Konkurs geraten ist, steht dem B auch die Einrede der Vorausklage nicht zu (Art. 495 Abs. 1 Var. 1 OR). Eine Einrede kraft möglicher Verrechnung durch den Hauptschuldner (Art. 121 OR) scheidet nach materiellem Recht aus, weil dem S laut

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Sachverhalt

keine

Gegenforderung

Vergleich und Urteil Lösungsskizze zusteht,

es

sei

denn,

aus

Gründen

einer

Rechtskrafterstreckung wäre anderes anzunehmen. Aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft kommt es für die Entscheidung des Gerichts darauf an, ob und inwieweit die Hauptforderung des G gegen S aus Kauf besteht (Art. 184 Abs. 1 OR). Nach der Aufgabenstellung ist davon auszugehen, dass G den Kaufvertrag voll beweisen kann. Allerdings kommt es auf die Beweisbarkeit der Kaufpreisforderung nur an, soweit das Gericht nicht an die Ergebnisse der Prozesse zwischen G und S gebunden ist.

2. Bindung an die Ergebnisse der Vorprozesse zwischen G und S? a) Bindung an das Urteil im ersten Prozess? aa) Verhältnis zwischen G und S In Betracht kommt zunächst eine Bindung an den Entscheid im ersten Prozess, durch das S auf Teilklage des G in Höhe von CHF 100‘000 zur Zahlung von CHF 50‘000 verurteilt worden ist, weil das Gericht irrtümlich davon ausgegangen ist, die tatsächlich zu keinem Zeitpunkt bestehende Forderung des S gegen G habe in Höhe von CHF 50‘000 bestanden und die eingeklagte Forderung im Wege der Aufrechnung zur Hälfte zum Erlöschen gebracht. Das rechtskräftige Urteil ist für weitere Prozesse zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand bindend, eine Klage über denselben Streitgegenstand ist unzulässig (ne bis in idem – Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO), was ein Gericht von Amtes wegen zu berücksichtigen hätte. In Rechtskraft erwächst der Entscheid im Ausgangspunkt lediglich in Bezug auf das Dispositiv, wobei die Reichweite vielfach erst aus den Entscheiderwägungen ersichtlich wird (BGE 136 III 345, 347 f.; Balser Kommentar2/Steck Art. 236 N 35 m.w.N.), während über Vorfragen grundsätzlich keine rechtskraftfähige Aussage getroffen wird. Auf der Grundlage der h.M. bestimmt sich der Streitgegenstand in Rechtskraftfragen prozessual und zweigliedrig, d.h. nach Maßgabe von Rechtsbegehren und Lebenssachverhalt. Das über eine Teilklage ergehende Leistungsurteil entfaltet Rechtskraft deshalb lediglich im Hinblick auf den eingeklagten Teil der Gesamtforderung. Es steht zwischen G und S mithin fest, dass S dem G CHF 50‘000 schuldet. Dagegen erwächst das Bestehen des Kaufvertrages nicht in Rechtskraft, obwohl das Gericht die Teilabweisung der Klage auf die hilfsweise geltend gemachte Verrechnung gestützt hat. Dazu hätte G eine Feststellungsklage erheben müssen, was er nicht getan hat. Darüber hinaus nimmt die Klageabweisung an der materiellen Rechtskraft teil: zwischen G und S steht also fest, dass S aus der eingeklagten Summe CHF 50‘000 nicht schuldet. Schließlich ist anerkannt, dass auch die Entscheidung über die Gegenforderung in Rechtskraft erwächst, wenn bei der Eventualverrechnung nicht schon das

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Bestehen der Hauptforderung verneint worden ist (BGE 23 I 774 E.5 in fine, Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 43 m.w.N.; Meier, Scheizerisches Zivilprozessrecht, S. 242). Es steht also zwischen G und S rechtskräftig fest, dass die Gegenforderung nicht in Höhe von CHF 100‘000, sondern nur in Höhe von CHF 50‘000 bestanden hat und durch Verrechnung erloschen ist (Art. 124 Abs. 2 OR).

bb) Verhältnis zwischen G und B Fraglich ist, ob und inwieweit das rechtskräftige Urteil im Erstprozess Bindungswirkung im Bürgschaftsprozess entfaltet. Dabei ist zwischen dem Bestand der Hauptforderung aus dem Kaufvertrag und der Einrede der Verrechnung zu unterscheiden.

(1) Bestand der Hauptforderung aus Kaufvertrag Das Gesetz regelt die subjektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft nicht ausdrücklich (hierzu Basler Kommentar2/Steck Art. 236 N . Nach h.M. beschränkt sich die Rechtskraftwirkung grundsätzlich auf die Prozessparteien im formellen Sinn (Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 47), hier also G und S. Eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte bedarf einer besonderen Rechtfertigung und muss der verfassungsrechtlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs Rechnung tragen (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Anerkannt ist eine volle Rechtskrafterstreckung nach h.M. in den Fällen der Rechtsnachfolge, obwohl dem Rechtsnachfolger rechtliches Gehör persönlich nicht unbedingt gewährt wird (Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 48). Das lässt sich in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge mit der Erwägung rechtfertigen, dass der Gesamtrechtsnachfolger in sämtliche Rechte und Pflichten einrückt, also auch in die prozessuale Rechtslage. Bei der Einzelrechtsnachfolge entspricht die Bindung des Zessionars an den rechtskräftigen Entscheid dem Gebot des Schuldnerschutzes, die Bindung des Schuldners dem Schutz des Rechtsverkehrs in Person des Zessionars, so dass Bundesgericht und h.M. auch insoweit zur vollen Rechtskrafterstreckung gelangen (BGE 105 II 273 E.3.a; Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 48 m.w.N.). Die Rechtskrafterstreckung harmoniert in beiden Fällen mithin mit den zugrunde liegenden materiellrechtlichen Wertungen. Eine weitere Ausdehnung der vollen Rechtskraftwirkung auf Fälle der akzessorischen Haftung wird dagegen mit Recht kritisch gesehen. So wird eine Erstreckung der Rechtskraft des auf Klage des Gläubigers gegen den Hauptschuldner die Hauptforderung gutheißenden

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Entscheids zum Nachteil des Bürgen ganz überwiegend verneint. Dadurch wird der schon nach materiellem Recht ungünstigen Rechtsposition des Bürgen im Prozessrecht Rechnung getragen. Auch der akzessorisch haftende Bürge hat trotz – oder gerade wegen – seiner materiellrechtlich „untergeordneten Stellung“ Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 50 m.N.; a.A. Guldener, ZPR, 374 ff.). Eine Rechtskrafterstreckung zum Nachteil des B kommt danach nicht in Betracht, weil er im Erstprozess nicht beteiligt war. Insoweit kommt es auf den Beweis des Kaufvertrages folglich an, den G nach der Aufgabenstellung erbringen kann. Nach überwiegender Literaturmeinung soll eine Rechtskrafterstreckung zugunsten des Bürgen indessen gerechtfertigt sein, weil das rechtliche Gehör insoweit keine Rolle spiele (Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 50 m.w.N.). Wenn man dem folgt, steht zugunsten des B rechtskräftig fest, dass die Hauptforderung in Höhe von CHF 50‘000 erloschen ist (Art. 114 Abs. 1 OR), sodass er insoweit von der Bürgenhaftung befreit ist (Art. 509 Abs. 1 OR). Immerhin erscheint es weder mit dem Sicherungszweck der Bürgschaft noch mit dem Gebot materieller Gerechtigkeit vereinbar, wenn der Bürge verurteilt werden könnte, obwohl die Klage gegen den Hauptschuldner rechtskräftig abgewiesen worden ist. Unbefriedigend bleibt dabei, dass eine Rechtsgrundlage für die Rechtskrafterstreckung letztlich fehlt, doch begegnet auch der allgemein anerkannte Fall der Rechtskrafterstreckung bei Rechtsnachfolge diesem Einwand (Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 50). Auf der Suche nach einer gesetzlichen Grundlage könnte man allenfalls daran denken, die Teilabweisung zugunsten des S als Einrede im Sinne von Art. 502 Abs. 1 S. 1 OR oder als Erlöschensgrund im Sinne von Art. 509 Abs. 1 OR anzusehen, was im Wege der Analogie auf eine einseitige Rechtskrafterstreckung der Klageabweisung hinauslaufen könnte. Das Gericht hat diese Rechtskrafterstreckung von Amtes wegen zu berücksichtigen, weil es sich um eine unmittelbare Folge der materiellen Rechtskraft handelt (BGE 112 II 268 E.1.a; Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 58 m.w.N.; Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 246).

(2) Einrede der Verrechnung Der Bürge kann die Befriedigung des Gläubigers einredeweise verweigern, soweit dem Hauptschuldner das Recht der Verrechnung zusteht (Art. 121 OR). Die Rechtskraft des Urteils im Erstprozess umfasst das Nichtbestehen einer weitergehenden Gegenforderung in Höhe von CHF 50‘000, die das Gericht – im Einklang mit der materiellen Rechtslage – als unbegründet angesehen hat. Diese Wirkung muss sich B auf der Grundlage der h.M., die lediglich eine einseitige Rechtskrafterstreckung befürwortet, jedoch nicht entgegenhalten

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lassen, weil ihm im Erstprozess kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Weil dem S jedoch laut Sachverhalt nach materiellem Recht keine Gegenforderung zusteht, kann er die Einrede der Verrechnung insoweit nicht mit Aussicht auf Erfolg erheben. Allerdings steht zugunsten des B materiell rechtskräftig fest, dass eine Gegenforderung in Höhe von CHF 50‘000 bestanden hat, weil das Gericht insoweit einem Rechtsirrtum unterlag. Wenn man mit der h.M. eine Rechtskrafterstreckung zu Lasten des B verneint, steht allerdings der Untergang der Gegenforderung durch Verrechnung nicht rechtskräftig fest. Deshalb stellt sich die Frage, ob B sich einerseits auf den Untergang der Hauptforderung berufen kann, der logische Folge wirksamer Verrechnung ist, und andererseits zusätzlich gegenüber dem ausgeurteilten Betrag die Einrede der Verrechnung erheben kann mit der Begründung, dem S sei die Gegenforderung rechtskräftig zuerkannt worden. Hier zeigt sich die Schwäche der von der h.M. befürworteten einseitigen Rechtskrafterstreckung: sie kann zu einer Art „Rosinen-Picken“ führen. Derart widersprüchliches Verhalten muss indessen jedenfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben durchgreifenden Bedenken begegnen (Art. 9 BV, Art. 52 ZPO; Art. 2 Abs. 1 ZGB). Deshalb steht dem B die Einrede der Verrechnung im Ergebnis nicht zu.

cc) Zwischenergebnis Hinsichtlich des im ersten Prozess eingeklagten Teilbetrages haftet B in Höhe von CHF 50‘000 und ist insoweit zur Zahlung zu verurteilen. Die mit der Bürgschaftsklage geltend gemachten weiteren CHF 50‘000 stehen dem G nicht zu, weil die rechtskräftige Aberkennung dieser Summe im Erstprozess aufgrund einseitiger Rechtskrafterstreckung zugunsten des B wirkt.

b) Bindung an den Prozessvergleich im zweiten Prozess? aa) Verhältnis zwischen G und S Im Verhältnis zwischen G und S sind zunächst die vereinbarte Vergleichssumme von CHF 100‘000 und die Teilzahlung des S in Höhe von CHF 50‘000 zu erörtern. Sodann ist auf die Erledigungsklausel einzugehen.

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(1) Vereinbarte Vergleichssumme und Teilzahlung des S Der Prozess auf die zweite Teilklage des G in Höhe von CHF 200‘000 endet mit einem in der Instruktionsverhandlung geschlossenen und protokollierten gerichtlichen Vergleich über CHF 100‘000 (Art. 241 Abs. 1 ZPO). Der Prozessvergleich hat nach h.M. eine „Doppelnatur“ als materiellrechtlicher Vergleichsvertrag und Prozessvertrag (BGE 124 II 8 E.3.b; Basler Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 5 m.w.N.; Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 233). Materiellrechtlich ist der Vergleich ein Innominatkontrakt in Gestalt der „durch gegenseitige Zugeständnisse zustande gekommene[n] vertragliche[n] Beendigung eines Streits oder einer Ungewissheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis“ (BGE 95 II 423 f.; 100 II 144 f.; 105 II 277). Er hat – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Gestaltung – grundsätzlich keine novierende Wirkung (vgl. Art. 116 OR), lässt also Bestand und Qualifikation streitiger Forderungen unberührt mit der Folge, dass Sicherheiten für verglichene Forderungen bestehen bleiben (Gauch, Innominatverträge, Festgabe für Schluep, 1988, S. 3, 10 m.w.N.). Die Begriffsdefinition des Vergleichs wird nach h.M. auch für den Prozessvergleich zugrunde gelegt (statt vieler Sutter-Somm, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2012, N 1136 ff.). Prozessual hat der Prozessvergleich dabei nicht nur als Akt der Parteidisposition die Prozessbeendigung zur Folge, sondern er hat nach der Schweizer ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Das Zustandekommen des Prozessvergleichs ist in der ZPO nur teilweise geregelt. Materiellrechtlich erfordert der Vergleichsabschluss wie jeder Vertragsschluss eine übereinstimmende gegenseitige Willensäußerung der Parteien (Art. 1 Abs. 1 OR), die grundsätzlich formfrei wirksam ist (Art. 11 Abs. 1 OR). Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist die materiellrechtliche Regelung auf den Abschluss des Prozessvergleichs analog anwendbar, soweit sich aus dem Prozessrecht keine Besonderheiten ergeben (Art. 1 Abs. 1 OR analog). Hinsichtlich der Form des Prozessvergleichs ist das Erfordernis der gerichtlichen Protokollierung und der Protokollunterzeichnung durch die Prozessparteien gemäß Art. 241 Abs. 1 ZPO als lex specialis gegenüber Art. 11, 12 OR zu beachten. Auf der Rechtsfolgenseite ordnet das Gesetz – ähnlich wie beim Schiedsspruch (Art. 387 ZPO) – eine weitgehende Gleichstellung des Prozessvergleichs mit dem Entscheid an (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Diese Gleichstellung bezieht sich hier wie dort nicht nur auf die formelle Rechtskraft

im

ausschließlichen

Sinne

der

Revisibilität

Unanfechtbarkeit gemäß

Art.

328

mit

ordentlichen

ZPO

BGE

Rechtsmitteln

139

III

133;

(zur Basler

2

Kommentar /Herzog Art. 328 N 32), sondern nach h.M. grundsätzlich auch auf die materielle Rechtskraft. Die Einzelheiten sind umstritten. Unklar und streitig ist zunächst, ob die

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materielle Rechtskraft aus dem Dispositionsakt der Parteien selbst resultiert, wie insbesondere auch der Gesetzeswortlaut in Art. 241 Abs. 2 ZPO (und Art. 208 Abs. 2 ZPO) vermuten lässt (dafür z.B. Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 236, 240; SutterSomm, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2012, N 1139; Botschaft ZPO, S. 7345), oder

ob nicht

vielmehr

erst

der

entsprechende gerichtliche Abschreibens-

oder

Erledigungsentscheid in Rechtskraft erwächst (Art. 241 Abs. 3 ZPO) oder ob erst Vergleich und

Erledigungsentscheid

zusammen

Rechtskraft

wirken

(dafür

Basler

Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 18 ff., 23 f.). Das Bundesgericht hat in einem jüngeren Entscheid in Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur klargestellt, dass die Rechtskraftwirkung dem Vergleichsabschluss selbst innewohnt und der Abschreibungsbeschluss rein deklaratorischen Charakter hat (BGE 139 III 133 – zur Frage der Rechtsmittel gegen einen gerichtlichen Vergleich). Die gesetzliche Lösung entspricht damit dem sogenannten „Berner Modell“, das abweichende „Zürcher Modell“, wonach Rechtskraftwirkung erst dem Abschreibensentscheid beizumessen war, hat in die ZPO keinen Eingang gefunden (Basler Kommentar2/Steck Art. 241 N 2 ff. m.N.). Hinsichtlich der vereinbarten Vergleichssumme ist die Rechtskraftwirkung inter partes im Ausgangspunkt auf jeden Fall unproblematisch, weil sich Vergleich und Erledigungsentscheid insoweit inhaltlich decken: zwischen G und S steht rechtskräftig fest, dass G gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung hat, nicht dagegen, dass ein Kaufvertrag besteht (so wohl auch Basler Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 33 – m.E. etwas unklar). Auf eine erneute Kaufpreisklage von G gegen S über denselben Betrag dürfte das Gericht von Amtes wegen nicht eintreten (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO). Weil der Grund der Rechtskraftwirkung – Vergleichsabschluss gemäß Art. 241 Abs. 1 ZPO oder Erledigungsentscheid gemäß Art. 241 Abs. 3 ZPO – unklar ist, erhebt sich allerdings die Frage der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft (hierzu Basler Kommentar1/Oberhammer Vor Art. 236 – 242 N 55 ff.): wenn die Teilzahlung von S an G in Höhe von CHF 50‘000 an der Rechtskraft teilhat, weil erst ab dem Zeitpunkt des Erledigungsentscheides gemäß Art. 241 Abs. 3 ZPO eine Rechtskraftwirkung einsetzte, stünde die Kaufpreisforderung des G wohl lediglich

in

Höhe

von

CHF

50‘000

rechtskräftig

fest,

obwohl

die

protokollierte

Vergleichssumme CHF 100‘000 beträgt. Ein Streit zwischen G und S über die Wirkung der Zahlung wäre späterer gerichtlicher Verhandlung und Entscheidung aufgrund der Rechtskraftwirkung entzogen. Stellt man dagegen in systematischer Übereinstimmung mit der

bundesgerichtlichen

Rechtsprechung

und

der

h.L.

auf

den

Zeitpunkt

des

Vergleichsabschlusses ab (BGE 139 III 133 – Revisibilität des Abschreibungsbeschlusses verneint), steht die Kaufpreisforderung in Höhe von CHF 100‘000 rechtskräftig fest, und über die Wirkung der Zahlung könnte nachträglich noch gestritten werden. Für die Maßgeblichkeit des Vergleichsabschlusses in zeitlicher Hinsicht spricht neben dem Gesetzeswortlaut vor

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allem die Rechtsklarheit, weil nur so gewährleistet ist, dass der protokollierte Inhalt des Prozessvergleichs den Umfang der Rechtskraftwirkung grundsätzlich zuverlässig wiedergibt. Folgt man dieser Lösung, steht die Kaufpreisforderung zwischen G und S in Höhe von CHF 100‘000 rechtskräftig fest. (2) Erledigungsklausel Unklar ist die Wirkung der Erledigungsklausel im Prozessvergleich. Achtet man die Erledigungsklausel in ihrer Wirkung einer Teilabweisung der Klage gleich, wird man davon auszugehen haben, dass zwischen den Parteien G und S jedenfalls rechtskräftig feststeht, dass eine Kaufpreisforderung in Höhe eines Teilbetrages von CHF 100‘000 nicht besteht. Abweichend

könnte

man

die

Vergleichssumme beschränkt

Rechtskraftwirkung

ansehen mit der

des

Folge,

Vergleichs dass

als

auf

die

hinsichtlich des

die

Vergleichssumme übersteigenden Teilbetrages der Klageforderung keine Rechtskraftwirkung besteht.

Die

Reichweite

der

Parteidisposition

über

den

Streitgegenstand

ist

im

Ausgangspunkt Auslegungsfrage. Die ZPO enthält keine eigenständige prozessuale Regelung über die Auslegung von Prozesshandlungen, doch kommt die analoge Anwendung der entsprechenden obligationenrechtlichen Vorschrift in Betracht (Art. 18 OR). Maßgeblich ist danach der übereinstimmende wirkliche Parteiwille. Der Sachverhalt bietet keinen Anhaltspunkt

für

einen

Parteiwillen

dahingehend,

die

Rechtskraftwirkung

auf

die

Vergleichssumme zu beschränken. Zudem ist auch das Gericht offenbar davon ausgegangen, dass die Parteien jedenfalls den gesamten schwebenden Rechtsstreit einvernehmlich erledigen wollten, weil es keine Teilabschreibung vorgenommen hat, sondern einen uneingeschränkten Erledigungsentscheid gefällt hat, anstatt ein Sachurteil über einen etwa noch hängigen Rest zu erlassen. Deshalb kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob die Rechtskraftwirkung vom Vergleichsabschluss selbst ausgeht oder vom gerichtlichen Erledigungsentscheid

oder

von

beiden

Akten

zusammen.

Die

umfassende

Gesetzesformulierung in Art. 241 Abs. 2 ZPO bietet für eine derartige Einschränkung kraft Gesetzes keinerlei Anhaltspunkt. Gegen eine Beschränkung der Rechtskraftwirkung des Prozessvergleichs auf die Vergleichssumme spricht auch der Gedanke der prozessualen Waffengleichheit, weil sonst nur derjenige vom Prozessvergleich profitieren würde, zu dessen Gunsten ein Anspruch vereinbart wird, während die Erledigungsklausel der Gegenpartei prozessual nicht zugute käme. Schließlich widerspräche eine solche Einschränkung dem Zweck des Prozessvergleichs, den Prozess endgültig zu beenden. Deshalb ist davon auszugehen, dass zwischen G und S rechtskräftig feststeht, dass die Kaufpreisforderung in Höhe eines Teilbetrages von CHF 100‘000 nicht besteht. Dagegen lässt sich dem Prozessvergleich nicht die rechtskräftige Feststellung entnehmen, dass kein Kaufvertrag besteht, denn sonst hätte die vergleichsweise Erledigung eine weiterreichende

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Rechtskraftwirkung als eine Teilabweisung durch Sachurteil (so wohl auch Basler Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 33 – m.E. etwas unklar). Ob die Parteien einen bloßen Feststellungsvergleich überhaupt schließen können, was umstritten ist (dagegen Basler Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 32), kann hier dahinstehen, weil im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für einen derartigen Parteiwillen ersichtlich sind. Eine andere Frage ist, ob sich die Erledigungsklausel mit der einem klageabweisenden Urteil entsprechenden Rechtskraftwirkung kraft Parteidisposition auch auf

den Teil der

Kaufpreisforderung erstreckt, der im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht eingeklagt war, also auf die letzten CHF 200‘000. Wenn man davon ausgeht, dass die Einbeziehung nicht eingeklagter Forderungen in den Prozessvergleich grundsätzlich möglich und einer entsprechenden Rechtskraftwirkung zugänglich ist, richtet sich die Beantwortung der Frage, ob das im konkreten Fall geschehen ist, nach der Vereinbarung der Parteien. Die Parteivereinbarung „Im Übrigen ist der Rechtsstreit zwischen den Parteien damit erledigt“ bedarf mithin auch insoweit der Auslegung (Art. 18 Abs. 1 OR analog). Versteht man den Begriff „Rechtsstreit“ streng prozessual, spricht das eher gegen eine Einbeziehung des nicht eingeklagten Teilbetrages. Begreift man ihn dagegen eher untechnisch, könnte man durchaus zu dem Ergebnis gelangen, die Parteien wollten die Kontroverse über die Kaufpreiszahlungspflicht insgesamt endgültig erledigen. Berücksichtigt man die weitgehende Rechtskraftwirkung eines Prozessvergleichs im Schweizerischen Recht, spricht das letztlich eher für eine vorsichtigere Handhabung. Es bedarf deshalb eindeutiger Anhaltspunkte für einen derart weitgehenden Parteiwillen, die im Sachverhalt fehlen, sodass eine einfache Erledigungsklausel keine hinreichende Grundlage für die Einbeziehung nicht eingeklagter Teilforderungen in die prozessuale Rechtskraftwirkung darstellt.

bb) Verhältnis zwischen G und B (1) Vereinbarte Vergleichssumme und Teilzahlung des S Hinsichtlich der Rechtskrafterstreckung auf B sind im Ausgangspunkt die für Entscheide geltenden Grundsätze heranzuziehen. Die prozessuale Rechtskraftwirkung des Vergleichs darf dem B nicht zum Nachteil gereichen, weil ihm im Prozess kein rechtliches Gehör gewährt worden ist (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Deshalb steht die Kaufpreisforderung ihm gegenüber nicht in Höhe von CHF 100‘000 rechtskräftig fest. Aber auch materiellrechtlich darf der Vergleich zwischen Gläubiger und Hauptschuldner den Bürgen B nicht schlechter stellen (arg. ex Art. 111, 112 OR – zum Vertrag zu Lasten bzw. zugunsten eines Dritten – und arg. ex Art. 502 Abs. 2 OR – zum Einredenverzicht). Deshalb

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Vergleich und Urteil Lösungsskizze

muss G die verglichene Kaufpreisforderung voll beweisen, was er laut Aufgabenstellung kann. Prozessuale Gründe in Gestalt der Rechtskraftwirkung des Prozessvergleichs stehen der Berücksichtigung der Zahlung – anders als G annimmt – nicht entgegen, denn die Rechtskraft erstreckt sich nicht auf die Zahlung. Weil die Teilzahlung des S an G nach dem Sachverhalt feststeht, ist die Hauptschuld in Höhe von CHF 50‘000 erloschen (Art. 114 Abs. 1 OR) und B dadurch in gleicher Höhe von der Bürgschaftsschuld befreit (Art. 509 Abs. 1 OR). Die Bürgenhaftung besteht im Hinblick auf die Vergleichssumme deshalb lediglich in Höhe von CHF 50‘000.

(2) Erledigungsklausel Die einseitige Rechtskrafterstreckung zugunsten des B bedeutet, dass das Nichtbestehen der Kaufpreisforderung in Höhe weiterer CHF 100‘000 im Verhältnis zu G rechtskräftig feststeht, wenn man dem Prozessvergleich eine urteilsgleiche Präjudizwirkung zuerkennt. Ob der Vergleich lediglich eine Sperrwirkung bezüglich einer Klage über denselben Streitgegenstand entfaltet oder ob ihm darüber hinaus auch Präjudizwirkung zukommt, ist unklar und streitig (dagegen Berti, Einführung in die Schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, S. 162; möglicherweise auch Basler Kommentar1/Oberhammer Art. 241 N 33 – etwas unklar). Der Gesetzeswortlaut bietet indessen für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Auch vom Sinn und Zweck her spricht die Gleichstellung mit dem rechtskräftigen Entscheid für eine präjudizielle Rechtskraftwirkung des Prozessvergleichs. Wenn man dem folgt, kommt es auf die materielle Rechtslage insoweit nicht an. Dass G die Kaufpreisforderung im Fall voll beweisen kann, spielt dann insoweit keine Rolle. Das Gericht muss die insoweit eingreifende Bindungswirkung zugunsten des B von Amtes wegen berücksichtigen und darf über diesen Teil der Hauptforderung weder verhandeln noch abweichend

entscheiden.

Lehnt

man

eine

prozessuale

Präjudizwirkung

des

Prozessvergleichs dagegen ab, bliebe die Aufhebung der Hauptforderung aufgrund der materiellrechtlichen Vergleichswirkung (Art. 114 Abs. 1, 115 OR) mit der Folge, dass B insoweit von der Bürgenhaftung befreit wäre (Art. 509 Abs. 1 OR). Im Ergebnis kommt es deshalb auf diese Streitfrage vorliegend nicht an. Weil der Vergleich keine Rechtskraftwirkung in Bezug auf die seinerzeit noch nicht eingeklagte Restforderung in Höhe von CHF 200‘000 entfaltet, kommt insoweit keine Rechtskrafterstreckung zugunsten des B in Betracht. Eine andere Frage ist allerdings, ob der Prozessvergleich nicht zumindest materiellrechtlich zugunsten des B wirkt, weil in der Erledigungsklausel eine entsprechende materiellrechtliche Aufhebung der Hauptforderung zu erblicken sein könnte (Art. 114 Abs. 1, Art. 115 OR), die zur Befreiung des Bürgen führt (Art.

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Probelektion am 14.04.2015

Vergleich und Urteil Lösungsskizze

509 Abs. 1 OR). Auch insoweit handelt es sich um eine Auslegungsfrage (Art. 18 OR analog), die man im Falle des Prozessvergleichs hinsichtlich der materiellrechtlichen Wirkung grundsätzlich gleich zu entscheiden haben wird wie im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung. Mangels entsprechender Anhaltspunkte für einen weitergehenden Parteiwillen ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die einfache Erledigungsklausel sich auf nicht eingeklagte Forderungsteile auswirkt. cc) Zwischenergebnis Im Hinblick auf die im zweiten Prozess geltend gemachten weiteren CHF 200‘000 haftet B als Bürge nur in Höhe von CHF 50‘000. Die weitergehende Klage des G ist unbegründet. Hinsichtlich des nicht eingeklagten Restbetrages in Höhe von CHF 200‘000 hat der Prozessvergleich zugunsten des B weder Rechtskraftwirkung noch materiellrechtliche Folgen.

3. Ergebnis zur Begründetheit Die Klage des G gegen B über CHF 500‘000 ist in Höhe von CHF 300‘000 begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

C. Gesamtergebnis Das Gericht wird B durch Sachentscheid zur Zahlung von CHF 300‘000 verurteilen und die Klage im Übrigen abweisen.

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