Verein zur Vernetzung psychosozialer Berufsgruppen

Verein zur Vernetzung psychosozialer Berufsgruppen Jahresbericht 2016 Inhalt Editorial  B.A.S.I.S. 2016  2 5-11 Die Herausforderungen in der Vo...
Author: Birgit Adenauer
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Verein zur Vernetzung psychosozialer Berufsgruppen

Jahresbericht 2016

Inhalt Editorial  B.A.S.I.S. 2016 

2 5-11

Die Herausforderungen in der Vorbetreuung 

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Beratung und Behandlung – Das Jahr 2016

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Case Management – Doppeltes Augenmerk auf jeden Klienten

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Suchttherapie mit geistig abnormen Rechtsbrechern – Gruppen- und Einzeltherapie mit Maßnahmeuntergebrachten nach § 21/2 StGB

Schwerpunkt Substitution 

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Österreich – Land der Opioide?

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Substitution in der Behandlung ­– Der psychologische Zugang

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Die medizinische Perspektive auf Substitution

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Gastbeitrag 

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Komplementär oder widersprüchlich? – Aufenthaltsbeendende Maßnahmen während einer gesundheitsbezogenen Maßnahme

Leistungsangebot 

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„Gleichheitssatz“ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.

B.A.S.I.S. 2016

585

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Personen

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Personen

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+66%

Personen

+35% 24% 2014

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Vorbetreuung

Behandlung

Entwicklung der Vorbetreuung in den Justizanstalten Wien-­ Josefstadt, Wien-Favoriten, ­Wien-Simmering, Eisenstadt, Wiener Neustadt, Hirten­berg, Korneuburg, Schwarzau, St. Pölten und Stein

Von den 605 vorbetreuten Personen konnten ca. 24 Prozent unmittelbar nach ihrer Enthaftung in unser ambulantes Behandlungsprogramm aufgenommen werden.

• Abklärung der Therapiewilligkeit und -fähigkeit • Abklärung, ob ein ambulantes oder stationäres Setting hilfreich bzw. zielführend ist • Informationen über den Verein B.A.S.I.S. und sein ambulantes Behandlungskonzept • Erstellung von Therapieplatzzusagen, falls die Voraus­ setzungen für eine ambulante Therapie erfüllt sind

der von uns vorbetreuten Personen konnten wir unmittel­ bar nach ihrer Enthaftung in unser ambulantes Behand­ lungsprogramm aufnehmen, etliche weitere Klienten kamen zeitverzögert zu uns, da ein stationärer Aufenthalt vorangegangen war oder die Klienten später aus anderen Einrichtungen zu uns gewechselt haben. GROSSES DANKE AN UNSERE PARTNER

ZAHLEN UND FAKTEN

Ohne eine gut aufgestellte organisatorische wie personel­ le Vorbetreuungsarbeit wäre das eigentliche „Hauptge­ schäft“, nämlich die Behandlung suchtkranker Menschen, die noch dazu straffällig geworden sind, kaum möglich. Unser Vorbetreuungsteam war 2016 mit Mag.a Marion Hagen und mir für die Justizanstalten Wien-Josefstadt, Wien-­Favoriten und Wien-Simmering sowie Hubert Stür­ zenbecher für die Justizanstalten in Niederösterreich und Burgenland wieder viel unterwegs. Neu stieß 2016 Alena Schaller, BA dazu und fügte sich rasch und harmonisch in unser eingespieltes Team ein. Insgesamt haben wir 605 Personen im Jahr 2016 (Vgl. Jahr 2015: 585 Personen und 2014: 470 Personen) in den Justizanstalten Wien-Josefstadt, Wien-Favoriten, ­Wien-Simmering, Eisenstadt, Wiener Neustadt, Hirten­ berg, Korneuburg, Schwarzau, St. Pölten und Stein besucht. An drei Wochentagen ist unser Vorbetreuungs­ team fix in den Justizanstalten vor Ort, wobei auf der JA Wien-­Josefstadt der eindeutige Schwerpunkt liegt. Je nach Bedarf und Anfrage machen wir die Vorbetreuung flexibel an weiteren Wochentagen. Ungefähr 24 Prozent

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Es ist mir wichtig, mich bei all jenen Personen und Insti­ tutionen zu bedanken, die uns bei unserer Vorbetreuung mit ihrer Hilfsbereitschaft und fachlichen Kompetenz unterstützen. Mein Dank gilt sämtlichen Sozialarbei­ terinnen und Sozialarbeitern in den Justizanstalten, die uns mit den Besuchswünschen der Insassinnen und Insassen versorgen; Danke auch an alle Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter der Servicecenter in den Justizan­ stalten, speziell der JA Wien-Josefstadt, die uns mit den ausgestellten Sprechkarten rasch und unbürokratisch den Zutritt ermöglichen. Außerdem gilt mein Dank den Justizwachebeamtinnen und -beamten in den Vorführ­ zonen der Justizanstalten, auch hier sei besonders die JA Wien-Josefstadt hervorgehoben, die uns die betroffenen Personen mit kurzen Wartezeiten bringen. Nicht zuletzt vielen Dank den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die uns ihre Mandantinnen und Mandanten anvertrauen und die oben beschriebenen Abklärungen veranlassen. Ihnen allen möchte ich herzlich „Danke“ sagen! GUTACHTEN NACH §39 (2) SMG – AUF EIN WORT!

Im Jahr 2016 haben wir insgesamt 96 Gutachten nach § 39 (2) SMG erstellt. In vier Fällen (4,17 Prozent) konnte

ambu lan te Th

statio nä

B.A.S.I.S. 2016

erapie Th re

19

Personen

96

Gutachten nach § 39 (2) SMG

keine Therapieempfehlung ausgesprochen werden, in 19 Fällen wurde eine stationäre Therapie (19,79 Prozent) und in 73 Fällen eine ambulante Therapie (76,04 Prozent) empfohlen. Regelmäßige Evaluierungen und Anpassungen sind Teil unserer Arbeit, um unser hohes Qualitätslevel auch langfristig zu halten. Als Beispiel sei an dieser Stelle eine Neuerung genannt: Seit dem vergangenen Jahr bieten wir an, Akten, die für das Strafverfahren relevant sind, in das Gutachten einzuarbeiten – sofern dies gewünscht wird und uns die Akten vom Auftraggeber (meist Rechts­ anwältinnen und Rechtsanwälte) zur Verfügung gestellt werden. So kann hinsichtlich der Exploration und einer Therapieempfehlung (oder eben keiner Empfehlung) auf allfällige Widersprüche in Aussageprotokollen verwiesen werden und eine Therapieempfehlung bzw. Ablehnung argumentativ präzisiert werden. Trotz der knapp hundert Gutachten, beobachten wir, dass zwei Fragen nach wie vor die Geister scheiden: Selbst unter den erfahrensten Juristen scheint immer noch Uneinigkeit darüber zu herrschen, ob und wie weit solche Gutachten als Entscheidungsgrundlage herangezo­ gen werden können. Und: Ob Gutachten von gerichtlich beeideten Sachverständigen nicht „eine größere Gültig­ keit“ als ein Gutachten nach § 39 (2) SMG haben. Wir ori­ entieren uns hier am Gesetzestext, der nicht nur zulässt, sondern sogar klar definiert, dass solch ein Gutachten dem Gericht als Entscheidungsgrundlage zu dienen hat. Wir können außerdem auf unsere fachliche Kompetenz als Suchtexperten verweisen – wir erstellen diese Gutachten

ie ap er

73

Personen

nach bestem Wissen und Gewissen und gehen sehr sorg­ sam mit Empfehlungen um. Was hätte eine ambulante Therapieeinrichtung davon, jemanden eine Therapie zu empfehlen, die schon zum Zeitpunkt der Begutachtung offensichtlich aussichtlos scheint? Wir verstehen uns zu­ dem nicht als „Konkurrenz“ zu den erfahrenen gerichtlich beeideten Sachverständigen. Wir sehen es als anerkannte Therapieeinrichtung nach § 15 SMG als unsere Verpflich­ tung an, diesen Aufträgen bei Anfrage nachzukommen und unsere Berufspflichten als Ärzte sowie Psychothera­ peuten zu erfüllen. 

Mag. Peter Wally Psychotherapeut Leitung Vorbetreuung

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B.A.S.I.S. 2016

Beratung und Behandlung Das Jahr 2016

IM JAHR 2016 HABEN WIR IM VEREIN B.A.S.I.S. ­I NSGESAMT 734 KLIENTEN BETREUT. Unter den Begriff

Betreuung fällt in diesem Zusammenhang, wenn wir die Therapiefähigkeit und -willigkeit im Rahmen der Vorbe­ treuung abklären, Klienten begutachten, beraten und im ambulanten Setting behandeln. In der längerfristigen the­ rapeutischen Behandlung befanden sich im vergangenen Jahr 465 Klienten, die hauptsächlich aufgrund von „The­ rapie statt Strafe“ zu uns kamen. Die meisten Klienten hatten daher eine Weisung vom Gericht, unter anderem im Rahmen der gesundheitsbezogenen Maßnahme nach § 11 Suchtmittelgesetz. Als spezialisierte Einrichtung auf Suchttherapie haben wir 2016 auch Klienten betreut, die sich „freiwillig“ einer Therapie bei uns unterziehen wollten, meist mit eben diesem Hintergrund einer Suchtmittelergebenheit bzw. Suchtmittelthematik. Die Mehrheit unserer Klienten sind bei uns aufgrund ihrer Drogenproblematik, bisweilen zeigen sich aber auch andere Formen der Abhängigkeit wie Spielsucht, Alkoholabhängigkeit oder Kleptomanie und komorbide Störungen, wie affektive Störungen oder Persönlichkeitsstörungen. Als multiprofessionelles Team, das sich aus Fachleuten der Psychotherapie, Psychologie, Sozialarbeit, Medizin und Psychiatrie zusammensetzt, können wir darauf entsprechend eingehen. Abklärung und Behandlung erfolgen im Rahmen unserer kli­ nisch-psychologischen Diagnostik, der therapeutischen Behandlung im Einzelsetting und bei Terminen mit unserem Psychiater.

Film ausgeweitet. Wenngleich es im ambulanten Setting immer wieder herausfordernd ist, geschlossene Gruppen mit einer bestimmten Teilnehmeranzahl „stabil“ über mehrere Monate Laufzeit zu halten, wollen wir dieses Angebot als Ergänzung zur Einzeltherapie weiter aus­ bauen. Die Gruppentherapien können Klientinnen und Klienten dabei unterstützen mehrere Sichtweisen auf ein Problem zu erlangen, da Menschen mit ähnlichen Her­ ausforderungen im Alltag in einem vertrauensvollen und professionell geleiteten Rahmen zusammentreffen. Eigene Problemlagen können besser eingeordnet werden, indem die persönlichen Geschichten und Zugänge anderer Teil­ nehmer gehört und besprochen werden. Wenn das eigene Problem thematisiert wird, kann es dank des Austausches mit den anderen Teilnehmern und dem Therapeuten oft an bedrohlicher Größe und Schwere verlieren. Eine gut etablierte, verlässliche Gruppe mit klaren Gruppenregeln bietet die Gelegenheit im Gespräch mit anderen neue Lö­ sungsmöglichkeiten kennenzulernen. Bisweilen können diese im Gruppenkontext bereits ausprobiert werden. Die Gruppe vermittelt Klienten oftmals das hilfreiche Gefühl: „es geht auch anderen so“ und „ich bin nicht allein, ich sitze zusammen mit anderen im selben Boot“. 

MEHR GRUPPENTHERAPIEANGEBOTE

Vergangenes Jahr haben wir unser Behandlungskon­ zept überarbeitet (siehe S. 9). Im Zuge dessen haben wir unser Angebot an Gruppentherapien im Verein B.A.S.I.S. wieder auf unterschiedliche Themen wie z.B. Entspannungstechniken, „Leben mit der Sucht“ oder

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Mag.a Manuela Hellmer Psychologin Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision Leitung Beratung und Behandlung

B.A.S.I.S. 2016

Case Management Doppeltes Augenmerk auf jeden Klienten

NACH REGELMÄSSIGEN KLEINEREN ADAPTIO NEN HABEN WIR IM VERGANGENEN JAHR IN ­E INEM ­U MFA SSENDEN INTERNEN QUALITÄTSPRO ZESS ­U NSER BEHANDLUNGSKONZEPT AUF DEN ­P RÜFSTAND ­G ESTELLT. Als ein Ergebnis des Tüftelns

und Evaluierens haben wir ein individuell abgestimm­ tes Fall­management für unsere Klienten eingeführt. 2016 hat also das ­sogenannte Case Management (CM) Einzug in den Verein B.A.S.I.S. gehalten. Jeder Klient hat nun seinen ­persönlichen Case Manager ergänzend zur ­thera­peutischen Begleitung durch den Behandler. Der Case Manager ist allem voran für die Qualitätssicherung zuständig und Ansprechpartner bei administrativen ­Fragen zu Auflagen und Zielen. Der Therapeut arbeitet im Unterschied dazu in einem kontinuierlichen in­ haltlichen Prozess mit dem Klienten, wobei es zu Beginn darum geht, eine stabile Beziehungsebene aufzubauen. Dieses Mehraugenprinzip zielt auf eine noch professionellere Betreuung der Klienten ab, da der Case Manager als reiner Fallführer, der den Klienten bei gutem Verlauf nur alle 10-12 Wochen sieht, eine sachliche Au­ ßensicht auf teils schwierige Fallverläufe geben kann. In der Intervision erlaubt das Fallmanagement zudem einen wachsameren Blick für das richtige Maß von Nähe und Distanz in der Behandlung unserer Klienten. Gerade bei unserer Kernzielgruppe der Suchtklientel ist die poten­ zielle Gefahr einer Co-Abhängigkeit nicht von der Hand zu weisen. „BIN ICH DENN SO EIN SCHWERER FALL …?“

Nach erfolgter Umstellung der bestehenden Klienten auf unser neues Behandlungskonzept gab es im ersten Case Management-Termin schon einmal Stirnrunzeln bei ei­ nem Klienten und die Frage: „Bin ich denn so ein schwe­ rer Fall …?“. Aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt schleppenden Auflageneinhaltung vermutete der Mann

mittleren Alters spontan einer der wenigen Klienten mit einem „eigenen Manager“ zu sein. Er erwartete nur den „mahnenden Ansprechpartner“. Ganz falsch lag er in seiner Annahme nicht, denn bei der Fallführung geht es durchaus darum, in problematischen Phasen zu interve­ nieren und die Einhaltung der Auflagen mit Klienten zu klären. Es war dennoch möglich ihm im ersten CM-Ter­ min von seinem Vorteil eines persönlichen Fallmanagers zu überzeugen – immerhin hat er nun eine zentrale Schnittstelle zu allen anderen unterstützenden Angeboten des Vereins. QUALITÄTSSICHERUNG DURCH ROLLENAUFTEILUNG

Psychotherapie in einer § 15 SMG Einrichtung bringt es salopp gesprochen mit sich, mehrere Auftraggeber zu haben: Da ist fraglos das Gericht, das die Weisung ausspricht und regelmäßig Bericht über den Verlauf des Therapieprozesses benötigt. Und da ist natürlich der Klient, der sich im Rahmen der psychotherapeutischen Verschwiegenheit auf die Begleitung einlässt und an der Zielerreichung arbeitet. Im Prozess mit dem Therapeuten stehen die inhalt­ liche Arbeit und die Beziehungsebene im Vordergrund, die nicht durch mahnende Worte zur Auflagen­einhaltung beeinträchtigt werden sollen. Unser Verständnis der Qua­ litätssicherung mit geteilten Rollen lautet: Der Therapeut soll den Klienten bestmöglich dort abholen, wo er im Moment steht, hilfreich begleiten und seine ­Motivation stärken. Dass die Auflagen dabei dennoch immer beach­ tet und die formalen Rahmenbedingungen eingehalten werden, ist vorrangig Sache des Case Managers. „WAS WOLLEN SIE IM RAHMEN DER THERAPIE ­E RREICHEN?“

Beim ersten Case Management-Termin stehen drei Themen im Zentrum: die individuellen Ziele des Klien­

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ten, seine persönliche Veränderungsbereitschaft und der eigene Bedarf nach Therapie aus Sicht des Klienten. Es wird eine gemeinsame Zielvereinbarung aufgesetzt und eine Einschätzung getroffen, was aus unserem Angebot kurz- und langfristig für den Klienten hilfreich sein kann. Im Case Management wird zusammen mit dem Klienten auch darauf geschaut, was konkret zu welchem Zeitpunkt realistisch umsetzbar ist, um das Scheitern an allzu illusionären Zielen zu verhindern. Die Zielsetzungen der gesundheitsbezogenen Maßnahme, die das Gericht definiert, bilden freilich den übergeordneten Rahmen von „Therapie statt Strafe“: Abstinenzorientierung und Resozialisierung. MULTIPROFESSIONELLE WIE INDIVIDUELLE ­B ERATUNG

Die Eigenverantwortung des Klienten und die Bereit­ schaft zur aktiven Mitarbeit werden im Case Management ebenso besprochen wie individuelle Klienten-Fragen zu Auflagen und Rahmenbedingungen. Der Case Manager ist auch für den regelmäßig an das Gericht geschickten Bericht verantwortlich, der Auskunft gibt, inwieweit sich ein Klient an die formalen Rahmenbedingungen unseres Behandlungskonzepts hält. Die grundsätzliche Verschwie­ genheit gilt für den Case Manager wie den Behandler. Auf Wunsch von Klienten werden Therapiebestätigungen auch anderen Institutionen vorgelegt. In den wiederkeh­ renden Terminen während der gesamten Therapielaufzeit überprüft der Fallmanager den Prozess und klärt, inwie­ fern die praktische Unterstützung des Klienten durch andere Berufsgruppen im Team sinnvoll sein kann. Klienten, die beispielsweise an einem Substituti­ onsprogramm teilnehmen oder damit beginnen wollen, führen ein beratendes Gespräch mit unserer Allgemein­ medizinerin. Erzählen Klienten von depressiven Episo­ den, massiven Schlafproblemen oder psychiatrischen Störungen, wird ein Gespräch mit unserem Psychiater vereinbart. Ist der Suchtdruck hoch und erscheint für Klienten und Betreuer ein Austausch mit anderen Betrof­ fenen als förderlich, wird die Teilnahme an einer unserer psychotherapeutischen Gruppen koordiniert. Nicht selten wiegen Themenbereiche wie Arbeitslosigkeit, eine fehlende Wohnmöglichkeit, Schulden oder die unzurei­ chende Versorgung der Kinder schwer im Rucksack von

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Klienten. Im Case Management wird eruiert in welchen Bereichen dringlicher Handlungsbedarf besteht, um etwa Termine mit unseren Sozialarbeitern zu koordinieren. Der Rahmen der Verschwiegenheit, in dem die Beratung durch Fachleute in unserer Einrichtung stattfindet, bietet unseren Klienten eine Sicherheit, die gerne angenommen wird. „VEREIN ZUR VERNETZUNG PSYCHOSOZIALER ­B ERUFSGRUPPEN“

Unser vollständiger Vereinsname sagt es bereits: Die Ar­ beit im multiprofessionellen Team ist unser Tagesgeschäft als Einrichtung nach §15 SMG. Das Case Management ermöglicht uns, den multiprofessionellen Ansatz in der Zusammenarbeit von Psychotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeitern wie Psychosozialen Beratern und Ärzten noch professioneller zu leben. Mit dem klar definierten Schnittstellenmanagement, das nun jeden Klienten von der Aufnahme in unser ambulantes Behandlungskonzept bis zu seinem Therapieende begleitet, kann der multidiszi­ plinäre Ansatz noch besser auf die jeweilige Entwicklungs­ phase des Klienten abgestimmt werden. Insofern richtet sich die Zuweisung an die einzelnen Berufsgruppen in unserem Verein nach der persönlichen Dringlichkeit für den Klienten, aber auch was die Stabilität der einzelnen Person erfordert und erlaubt. Der Case Manager hat dabei in enger Abstimmung mit dem Behandler die Übersicht und stimmt sich ab, wann der richtige Moment für welche Betreuung in Ergänzung zur Psychotherapie ist. Wichtig ist uns dabei, Klienten gut bei uns „ankommen“ und in den vertrauensvollen inhaltlichen Prozess mit dem ­Therapeuten einsteigen zu lassen. 

Mag.a Barbara Weywoda Case Management Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision

B.A.S.I.S. 2016

Suchttherapie mit geistig abnormen Rechtsbrechern Gruppen- und Einzeltherapie mit ­Maßnahmenuntergebrachten nach § 21/2 StGB

UNSERE SUCHTTHERAPIEGRUPPEN IN DER JUSTIZ­ ANSTALT (JA) MITTERSTEIG UND DEREN AUSSEN­ STELLE FLORIDSDORF BESTEHEN NUN SEIT ÜBER ZWEI JAHREN. In jeder JA gibt es je eine Gruppe mit sechs bis

acht Teilnehmern im 14-tägigen Rhythmus. Auf die be­ sonderen psychotherapeutischen Herausforderungen bei dieser Personengruppe – wie es der Gesetzestext nennt: „geistig abnorme Rechtsbrecher“ – sowie den speziellen Zwangskontext bin ich in den Jahresberichten 2014 und 2015 eingegangen (siehe www.vereinbasis.com). Meine bisherigen Erfahrungswerte und Beobachtungen bestä­ tigen, dass diese Therapieangebote mehrheitlich Sinn machen und von den inhaftierten Teilnehmern angenom­ men werden. Wie im „richtigen Leben“ können sich die einzelnen Teilnehmer natürlich unterschiedlich gut auf den Therapieprozess einlassen und individuell viel für sich mitnehmen. Seit Anfang 2016 betreue ich frühere Gruppenteil­ nehmer nun nach Abschluss ihrer Gruppe (die Laufzeit einer Gruppe ist im Schnitt ein Jahr) in Einzeltherapie. Ein guter Beleg für die Akzeptanz der Therapie. Dadurch kann ich die persönlichen Entwicklungen der Klienten noch besser verfolgen. Guten Gewissens kann ich festhal­ ten, dass eine positive Veränderung im Sinne einer baldi­ gen „Resozialisierung“ auch mit dieser Klienten-Gruppe möglich ist – unter der Voraussetzung, dass sich der einzelne Klient ernsthaft auf diesen Veränderungs- und Stabilisierungsprozess einlassen kann. Das Kernklientel unseres Vereins ist unverändert die klassische „Therapie statt Strafe“-Personengruppe. Wir haben im vergangenen Jahr auch vermehrt „Therapie

während der Strafe“ abgehalten – sei es in den Justiz­ anstalten Mittersteig und Floridsdorf oder in unseren Räumlichkeiten im dritten Bezirk. Die Klienten kommen beispielsweise im Rahmen ihrer Lockerungsmaßnahmen, wie Frei- bzw. Ausgänge, zu den Therapieeinheiten in den Verein. Einige nach ihrem Maßnahmenvollzug bedingt entlassene Klienten, denen Psychotherapie gerichtlich angewiesen wurde und denen wir in guter Erinnerung geblieben sind, haben ebenfalls bei uns die Behandlung begonnen. Ich möchte mich gerne an dieser Stelle bei der Gesamtleiterin Dr.in Katinka Keckeis sowie dem Psycho­ logischen Leiter der Außenstelle in Floridsdorf, Dr. Karl Linha, herzlich für die Zusammenarbeit und das Vertrau­ en bedanken. Zusätzlich möchte ich mich bei den Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeitern der betreuten Wohngrup­ pe WOBES IB 21 bedanken, da auch hier der Austausch und die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. 

Mag. Peter Wally Psychotherapeut Leitung Vorbetreuung

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SCHWERPUNKT SUBSTITUTION

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Drogenbezogene Todesfälle in Österreich 2006-2015

waren es 2015 wieder 153 Todesfälle. Die medikamentöse Behandlung von Menschen, die an einer Abhängigkeit von Opioiden, häufig Heroin, leiden, trägt daher wesent­ lich dazu bei, die Überlebenschancen der Betroffenen zu sichern und die Sterblichkeitsrate deutlich zu senken (siehe Seite 16). Klares Ziel einer ärztlich verschriebenen Substitution ist die Schadensminimierung, d.h. Infektio­ nen sowie Bykonsum sollen reduziert und die (Beschaf­ fungs-)Kriminalität gesenkt werden. Eine stabile Substitution gilt unter Ärztinnen und Ärzten als Voraussetzung für eine mögliche spätere Abstinenz. Der Paradigmenwechsel in den vergangenen Jahren führt von der Abstinenz hin zu einem möglichst selbst­bestimmten, stabilen Leben mit Medikamenten. ­Wie kann ein selbstbestimmtes, stabiles Leben im indi­ vidu­ellen Fall aussehen? Das gilt es immer gemeinsam mit den drogenabhängigen Klientinnen und Klienten zu klären. Ein Beispiel aus unserem Verein zeigt jedoch, dass die gesamte Geschichte eines Menschen und seine per­ sönlichen Ziele bei diesen Überlegungen berücksichtigt werden müssen. Substitution ist nicht automatisch immer die beste Lösung.

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Quelle: Bericht zur Drogensituation/ Gesundheit Österreich GmbH

Rückenschmerzen und Schlafproblemen seinen Hausarzt auf, der die Drogengeschichte des Mannes kannte. Zu diesem Zeitpunkt verlief die Psychotherapie im Verein B.A.S.I.S. bereits ein Jahr erfolgreich. Es erschien realis­ tisch, dass der Klient 2017 seine Abstinenz gut ausbauen könnte. In der ersten Einheit des neuen Jahres erzählte der Klient seinem Therapeuten verunsichert von seinem Besuch beim Hausarzt: Der Arzt hatte ihm aufgrund sei­ ner Schmerzen eine Substitution empfohlen und mit Zu­ stimmung des Klienten verschrieben. Eine Entscheidung, die der Klient bereits kurz darauf im Gespräch mit seinem Therapeuten bereute. Sein persönliches Ziel erschien dem Klienten mit einem Mal wieder unerreichbar, eine vorü­ bergehende psychische Destabilisierung war die Folge … Substitution kann ein ambivalentes Thema sein, in jedem Fall ist es jedoch höchst individuell zu betrach­ ten. Aus diesem Grund folgen auf den nächsten Seiten zwei fachliche Perspektiven auf die komplexe Materie. 

EINE KURZE FALLGESCHICHTE

Ein rund 40-jähriger, in seiner Jugend heroinabhängiger Klient mit gelegentlichem Kokain-Konsum, befand sich ab Anfang 2016 bei uns in wöchentlicher Einzeltherapie. Sei­ ne persönliche Zielsetzung: ein nachhaltig von Opioiden und Kokain freies Leben zu führen. Während der Weih­ nachtsfeiertage Ende 2016 suchte der Klient aufgrund von

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Mag.a Barbara Weywoda Case Management Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision

SCHWERPUNKT SUBSTITUTION

Substitution in der Behandlung

Der psychologische Zugang

MIT „SUBSTITUTION“ IST IM FOLGENDEN DIE SUB STITUTIONSTHERAPIE GEMEINT, D.H. DIE MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNG VON PERSONEN, DIE AN EINER OPIOID -, MEIST EINER HEROINABHÄNGIGKEIT, LEIDEN. Das Wort Substitution stammt vom Lateinischen

„substitutio“ und bedeutet wörtlich „Ersetzung“. Bei einer Substitutionsbehandlung sollen also Medikamente das bisher konsumierte Opioid ersetzen. Nun könnte man davon ausgehen, dass dieses Thema vorwiegend die Ärzte, die mit den Klienten und Patienten in Kontakt stehen, beschäftigt. Ich darf Ihnen verraten: dem ist nicht so! In meinem Beitrag möchte ich den Fokus auf die psycho­ logische und psychotherapeutische Behandlung richten und erläutern, inwiefern diese Berufsgruppen mit diesem wichtigen Thema in Kontakt stehen. BEGLEITUNG IN DIE SUBSTITUTIONSTHERAPIE

Der Verein B.A.S.I.S. besteht aus einem multiprofessio­ nellen Team, in dem sowohl Therapeuten (gemeint sind hier Psychologen und Psychotherapeuten) als auch Ärzte die Betroffenen mit ihren individuellen und berufsspe­ zifischen Zugängen begleiten. Das Zusammenspiel der verschiedenen Berufsgruppen soll den Betroffenen eine optimale ganzheitliche Behandlung zukommen lassen. Rund ein Viertel unserer Klienten weisen einen vergangenen oder gegenwärtigen Opioid- bzw. Heroin­ konsum auf. Allerdings befinden sich nur 80 Prozent dieser Klienten in einer Substitutionsbehandlung. Das klingt viel und ist in Relation zu Österreich, wo sich durchschnittlich 60 Prozent der Betroffenen in Substi­ tution befinden, sicherlich ein beachtlicher Wert. Wenn man jedoch überlegt, wie viele Klienten somit NICHT substituiert sind… dass von 100 Betroffenen noch immer 20 Personen ohne Substitution leben, stellt sich die Fra­ ge: „Wie kann das sein?“.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben soge­ nannten Systemgrenzen sind die persönlichen Beweg­ gründe der Klienten mindestens genauso zu berücksich­ tigen. Sie spielen eine erheblich größere Rolle bei der Entscheidung sich in Substitution zu begeben als etwaige Zugangsbarrieren, wie bspw. fehlender Versicherungs­ schutz. Die psychologische Begleitung eines Klienten bei all diesen Fragestellungen in ein Substitutionsprogramm nimmt daher eine wesentliche Rolle ein. ZIELE DER SUBSTITUTIONS­T HERAPIE

Ein Blick auf die international verwendeten Ziele der Substitutionstherapie hilft das wichtige Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen besser zu verstehen. Allem voran ist das primäre Ziel einer Substitutionsbehandlung die Senkung der Mortalitäts-, also Sterblichkeitsrate. In weiterer Folge sollen mögliche Infektionen als auch etwaiger Bykonsum, gemeint ist der zusätzliche Konsum anderer, meist illegaler Drogen, reduziert werden. In Summe soll mit einer geregelten Substitutionseinnahme außerdem die Kriminalitätsrate gesenkt und insgesamt für die Betroffenen ein stabileres Leben gefördert werden. Diese sehr weit gehaltenen Zielsetzungen verlangen den Betroffenen meist viel Auseinandersetzung (mit sich selbst) ab, die kaum durch ausschließlich medizinische Betreuung abgedeckt werden kann. Beispielsweise haben viele Betroffene durch ihren jahrelangen Drogenkon­ sum keine Vorstellung davon, wie ein „normales Leben“ aussehen oder gestaltet werden kann. Im therapeutischen Setting müssen zuerst die persönlichen Hintergründe von Klienten analysiert, ausgearbeitet und, wichtiger noch, ernst genommen werden. Die Angst, die viele Betroffene vor diesem Schritt haben, ist Thema in den oft über Mo­ nate, ja teilweise sogar über Jahre hinweg stattfindenden therapeutischen Prozessen.

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SCHWERPUNKT SUBSTITUTION

Exemplarisch möchte ich vom bisherigen Verlauf eines Klienten von mir berichten. Die Motive können auch bei anderen Personen mit ähnlicher Problematik als immer wieder auftretend angenommen werden. Der erste, sich in vielen Fällen wiederholende Beweggrund, weshalb Klienten nicht ins Substitutionsprogramm wollen, klingt für Außenstehende vielleicht zunächst paradox, ist jedoch einer der meist genannten Gründe:

„Ich will nicht abhängig sein!“ Während zu Beginn des Substitutionsprogrammes in Ös­ terreich im Jahr 1987 – also vor genau 30 Jahren – dieses vorwiegend als „Zwischenschritt“ zur Abstinenz angese­ hen wurde, vertreten die Experten mittlerweile seit Jahren die Haltung, dass die ideale und erfolgversprechendste Behandlung die Langzeitsubstitution ist. Das entspricht den internationalen Zielvorstellungen. Wenn überhaupt, soll die Substitution langsam über Jahre hinweg reduziert und letztendlich abgesetzt werden. Dieses Vorgehen soll vor allem exzessive Rückfälligkeiten verhindern, die nach einer Zeit der Abstinenz immer wieder aufgrund von Überdosierungen mit Todesfolgen auftreten. Wenn man nun Klienten, die noch nie im Substi­ tutionsprogramm waren und ohnehin Vorbehalte haben, diese Behandlungsweise in Aussicht stellt, wird man dagegen mit Sicherheit schnell an die therapeutischen Grenzen stoßen. Zumal es ein langer, häufig zu diesem

Zeitpunkt noch nicht abgeschlossener Prozess ist, eine Krankheitseinsicht hinsichtlich der eigenen Sucht zu erlangen. Die therapeutische Beziehung ist per se eine der wichtigsten Interventionen (manche Fachleute meinen sogar DIE wichtigste) im therapeutischen Prozess. Umso wichtiger ist es somit offen und direkt mit dem Klienten über die Vorgehensweise einer zeitgemä­ ßen Behandlung zu sprechen. Also zu thematisieren, dass die Substitution nicht dazu gedacht ist, in nur wenigen ­Wochen oder Monaten wieder abgesetzt zu werden. Die Vorbereitung sowie wahrheitsgemäße Auskunft, selbst wenn diese zu Irritationen, vielleicht sogar zu Ärger, führen, sind somit unumgänglich, um eine weitere, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Klienten nicht zu gefährden. Die damit verbundenen Befürchtungen des Betroffenen müssen in der Therapie aufgegriffen und aufgearbeitet werden. In unmittelbarem Zusammenhang mit solchen Gedanken und Gefühle steht der zweite Beweggrund vieler Klienten, um Substitution abzulehnen:

„Ich bin nicht abhängig – wieso soll ich mich also abhängig machen?“ Eine Einsicht über die eigene Suchterkrankung zu erlan­ gen dauert! Natürlich ist die Dauer dieses Prozesses indivi­ duell unterschiedlich, dennoch ist er meist mit einigen, oft

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Quelle: Bericht zur Drogensituation/ Gesundheit Österreich GmbH

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niederschmetternden Rückfällen und viel Reflexionsarbeit verbunden. Schwierig ist es häufig für Klienten zu akzep­ tieren, dass ein „kontrollierter“ Umgang mit der Substanz mehrfach nicht möglich ist (Anmerkung: es gibt jedoch Diskussionen unter Fachleuten, die den Standpunkt eines kontrollierten Konsums vertreten). Wenn also das Verlangen oder der aktuelle Konsum illegaler Substanzen vom Klienten nicht als Sucht sondern vielmehr als „vor­ übergehendes“ Problem verstanden wird – wieso sollte er sich dann in ein staatlich überwachtes, medikamentöses Programm begeben, in dem „die wirkliche Abhängigkeit“ erzeugt wird?

„Ich kann auch ‚ohne‘ leben!“ Ein weiteres Argument von Klienten lautet: „Ich kann auch ohne leben!“ – das mag wohl grundsätzlich so stimmen. Zu dem Zeitpunkt, wenn Klienten zu uns in Behandlung kommen, ist es aber zumeist (noch) nicht so. Ab welchem Zeitpunkt ist also ein Leben ohne illegaler Substanzen bei bestehender Suchterkrankung realistisch? Häufig ist der Einstieg in ein abstinentes Leben mit einer Vielzahl von Veränderungen verbunden, sei es die eigene Geschichte aufzuarbeiten, das soziale Umfeld zu wechseln, eine Tagesstruktur sowie eine soziale und berufliche Rein­ tegration wiederzuerlangen etc. Wie man diese, für ein abstinentes Leben meist notwendigen Voraussetzungen erreichen kann, wo man ansetzt und wie man mit diesen Veränderungen letztendlich langfristig umgehen kann, sind Themen, die eine intensive und langfristige Bear­ beitung erfordern. Zu Beginn einer Behandlung können diese Themen oft (noch) überfordernd wirken. Der letzte hier angeführte Beweggrund von Klienten Substitution abzulehnen, subsummiert weitere Ursachen und wechselt sich während des Prozesses erfahrungsgemäß immer wie­ der mit den bereits beschriebenen Motiven ab:

das Jugendamt oder den Arbeitgeber). Auch für Nichtbe­ troffene wirken diese Ängste durchaus nachvollziehbar. Zurück zu meinem zuvor angesprochenen Klienten … Wie in einem Kreislauf sind die soeben beschriebenen Argu­mente gegen eine Substitution innerhalb von ­nunmehr eineinhalb Jahren rotiert und abwechselnd immer wieder erneut aufgetreten. Teilweise konnten die Befürchtungen gut ausgearbeitet und Ängste genommen werden, teilweise tauchten dafür andere wieder auf. Die meisten Drogenabhängigen wünschen sich Normalität und haben die Befürchtung, dass eben diese Normalität mit dem Substitutionsprogramm nicht lebbar ist. Wenn man sich als Außenstehender heranwagt und sich versucht in die Betroffenen hineinzuversetzen ist diese Sorge durchaus nachvollziehbar. Die Thematik um die Substituti­ on ist also eine, die mit viel Fingerspitzengefühl und Geduld im Kontext des jeweils individuellen Prozesses besprochen werden muss. Die verschiedenen Einwände seitens des Kli­ enten müssen dabei immer wieder Platz finden, der Klient muss sich mit seinen Ängsten ernst genommen fühlen. Dies sind die unbedingten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anbindung an eine Substitutionsbehandlung. Gerne würde ich Ihnen berichten, dass sich besagter Klient mittlerweile im Substitutionsprogramm befindet, sich selbst ein gesünderes Leben gönnt und nach jahrelan­ gem Kampf zur Ruhe kommen kann – dem ist aber (noch) nicht so … er steht jedoch kurz davor! 

„Ich habe Angst!“ Bei vielen Klienten ist es die Angst vor einem Bykonsum (also, dass zusätzlich zur eingenommenen Substitution weitere Drogen konsumiert werden könnten), die Be­ fürchtungen hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen oder Langzeitschäden einer Substitution, eine generelle Abneigung gegenüber Medikamenten oder die Angst vor der Reaktion der Familie oder dem weiteren sozialen Um­ feld, das sie von einer Substitution abhält. Auch Ängste, wie ein Leben mit einer täglich notwendigen Medikation bestritten werden kann oder vor der Meldung an bestimm­ te Behörden (wiederholt befürchtet werden Meldungen an

Mag.a Nicole Fitzthum Klinische und Gesundheitspsychologin

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SCHWERPUNKT SUBSTITUTION

Die medizinische Perspektive auf Substitution

OPIATABHÄNGIGKEIT IST EINE SCHWERE CHRONISCH VERLAUFENDE ERKRANKUNG MIT MASSIVEN AUSWIRKUNGEN AUF DEN GESUNDHEITSZUSTAND UND DIE SOZIALE INTEGRATION – OFT MIT TÖDLICHEM AUSGANG. Angesichts der multifaktoriellen Genese

und der damit verbundenen somatischen, psychischen und sozialen Folgestörungen ist eine fachübergreifende ­Kooperation des substituierenden Arztes mit Ärzten anderer Fachrichtungen aber vor allem auch mit „psycho­ sozialen Kooperationspartnern“ (wie Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Psychologen etc.) immer nötig, um dem Patienten die bestmögliche Betreuung zu bieten 1. Vom Konzept der Heilung (= langfristige Absti­ nenz) auszugehen, verkennt in den meisten Fällen die Realität des Verlaufs 2. Gefordert ist eine angemessene Langzeitbehandlung, deren Ziel es anfangs ist, das Überle­ ben zu sichern, um später eine Verbesserung der Lebens­ qualität und der Reintegration zu ermöglichen. Dabei ist die Substitutionstherapie die effektivste pharmakologische Therapieform 3, die die Mortalität senkt und die Überle­ bensrate signifikant erhöht. Die Sterberate bei Opiatabhängigen beträgt 2,5 bis 3 Prozent. Demgegenüber steht die Mortalität in der Gruppe der substituierten Patienten mit nur einem Prozent, was einer Reduktion auf ein Drittel entspricht 2. Noch eindrucksvoller ist die Überlebensrate nach 20 Jah­ ren mit 55 Prozent (ohne Substitution) versus 80 Prozent (mit Substitution). Diese und andere Studien legen nahe, dass das Postulat der Abstinenz nicht zielführend ist. Mit Hilfe der Substitutionstherapie muss zuerst die Lebenssituation des Patienten stabilisiert werden, um spä­ ter persönliche Ressourcen zu entwickeln. Erst viel später, wenn überhaupt, wird es möglich sein, an Abstinenz zu

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denken. In vielen Fällen wird dies aber gar nicht zu errei­ chen sein. Wichtig ist daher den Patienten möglichst lange unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle und in Psychothe­ rapie zu halten. Diese für die Lebensqualität des Patienten so förderliche „Anhalte-Quote“, d.h. dass er eben mög­ lichst lange in Betreuung bleibt, kann ebenfalls eher im Kontext eines Substitutionsprogramms erreicht werden als im Kontext abstinenzgestützter Therapien. Dabei ist auf die Wahl des individuell passenden Substitutionsmittels zu achten: Die in Österreich zur Anwendung kommenden Substanzen Buprenorphin, Methadon, Levomethadon und die retardierten Morphine sind im Rahmen der Substitutionsbehandlung als gleichrangig anzusehen. Die Festschreibung von Methadon und Buprenorphin in der österreichischen Suchtgiftverordnung (BGBl.II Nr. 451/2006) als „Mittel der ersten Wahl“ muss aus fachlicher Sicht abgelehnt werden1. Die Wahl des Substitutionsmit­ tels muss aufgrund des verschiedenen Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils vom Arzt individuell gewählt wer­ den 4. Die Einstellungsphase ist als kritisch anzusehen, da es bei zu hoher Initialdosis zu Überdosierungen kommen kann (vor allem Methadon), bei zu geringer Dosierung aber aufgrund der Entzugssymptomatik zu illegalem Konsum und damit ebenfalls zur Gefahr der Überdosie­ rung. In einem langfristig gut eingestellten Zustand ist der Bykonsum von Opioiden bei vielen Patienten nachweis­ lich reduziert, wenn die Medikamentendosierung adäquat erfolgt. Im Laufe der Therapie sollte natürlich regelmäßig nicht nur die Substitutionsdosis kontrolliert, sondern sollten auch die somatischen, psychischen und sozialen Umstände des Suchtpatienten immer wieder aufs Neue evaluiert und unter Umständen die Behandlungsziele neu formuliert werden.

SCHWERPUNKT SUBSTITUTION

2.968 2.066 1.370

2.353

1.765 1.207

1.061

985

1.015

20.000

15.000

1.836 10.000

1.431

5.000

2005

2006

2007

2008

2009

in fortgesetzter Behandlung befindliche Personen erstmals in Behandlung befindliche Personen

Leider kommt es trotz adäquater Medikation rela­ tiv häufig zu Bykonsum, vor allem von Benzodiazepinen und Alkohol, seltener von Opioiden. Benzodiazepine sind im Allgemeinen bei Abhängigen kontraindiziert, können aber in Ausnahmefällen zur Angstlösung nötig sein und sollten dann lediglich im Sinne der Krisenintervention verschrieben werden. Die Dauer der Substitutionsbehandlung ist eigentlich nicht zu befristen, sondern ist optimal als Langzeitbehandlung zu führen5. Erst nach langer Zeit der Stabilisierung und auch nur dann, wenn sich die sozialen Verhältnisse zum Guten gewendet haben, kann ein Reduk­ tionsplan erstellt werden, wobei die Reduktion langsam über mehrere Monate erfolgen sollte. In den meisten Fäl­ len kommt der Wunsch zur Reduktion vom Patienten und er kommt meist viel zu früh. Dann nämlich, wenn weder die inneren noch äußeren Entwicklungen des ­Patienten weit genug fortgeschritten sind, um eine längerfristige Abstinenz realistisch erscheinen zu lassen. In solchen Fällen sollte die ärztliche Einschätzung dem Patienten klar mitgeteilt werden und muss auf die Gefahren hingewiesen werden 1. 

2010

2011

2012

2013

2014

2015

Quelle: Bericht zur Drogensituation 2016

1 ÖGABS Konsensus Text Substitutionsbehandlung 2013 2 Meili; Suchttherapie 5/2004, Jenseits des Abstinenzpara­digmas – Ziele in der Suchttherapie 3 WHO/UNODC/UNAIDS Position Paper 4 Fischer Substanzabhängigkeit vom Morphintyp State-of-the Art Psychiatrie Psychotherapie (2006) 5 Bundesamt f. Gesundheit – Substitutionsgestützte Behandlungen bei Opiatabhängigkeit 2013

Dr.in Maya Winter-Sporn Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin

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Jahresbericht 2016