Und er predigte ungehindert

Und er predigte ungehindert Evanglikale und die Religionsfreiheit Ralf Altwegg Autor: Ralf Altwegg Art: Abschlussarbeit Version: - Datum Erst...
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Und er predigte ungehindert

Evanglikale und die Religionsfreiheit

Ralf Altwegg

Autor:

Ralf Altwegg

Art:

Abschlussarbeit

Version:

-

Datum Erstellung:

Mai 2009

Seiten:

74 (inkl. Deckblatt)

Copyright:

IGW International

Adresse IGW IGW International Josefstrasse 206 CH - 8005 Zürich Tel. 0041 (0) 44 272 48 08 Fax. 0041 (0) 44 271 63 60 [email protected] www.igw.edu

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Vorwort für Abschlussarbeiten

Vorwort Theologische Arbeit ist Dienst an der Gemeinde, sie ist Hirtendienst. Die enge Verknüpfung von theologischer Ausbildung und Gemeinde zeigt sich unter anderem in den Abschlussarbeiten der IGW-Absolventen. Jedes Jahr werden rund 40 solche Arbeiten geschrieben. Die intensive Beschäftigung mit einem Thema ist eine gewinnbringende Erfahrung, bei der die Studierenden durch überraschende Entdeckungen und neue Erkenntnisse ihren Horizont erweitern. Auch die Gemeinde soll und darf von diesem Ertrag profitieren. Die Schulleitung von IGW begrüsst darum die Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit. IGW International ist mit weit über 300 Studierenden die grösste evangelikale Ausbildungsinstitution im deutschsprachigen Raum. Sie bietet verschiedene Studiengänge für ehrenamtlichen, teil- oder vollzeitlichen Dienst an. In der Schweiz und in Deutschland existieren Studienzentren in Zürich, Bern, Olten, Essen, Karlsruhe, Chemnitz und in Braunschweig. In Österreich unterstützt IGW den Aufbau der Akademie für Theologie und Gemeindebau AThG. Das IGWAngebot umfasst eine grosse Vielfalt an Ausbildungen und Weiterbildungen: vom Fernstudium (für ehrenamtliche und vollzeitliche Mitarbeiter und zur Vertiefung einzelner Themen) über das Bachelor-Programm (als Vorbereitung auf eine vollzeitliche Tätigkeit als Pastor) bis zum Master als Weiterbildung und für Quereinsteiger mit akademischer Vorbildung. Im Anschluss an das Masterprogramm steht den IGW-Absolventinnen und Absolventen die Möglichkeit zum Weiterstudium MTh und DTh (GBFE/UNISA) offen. Weitere Informationen finden Sie auf www.igw.edu. Seit Herbst 2008 macht IGW alle Abschlussarbeiten online zugänglich, welche die Beurteilung „gut“ oder „sehr gut“ erhalten haben. Die Arbeiten stehen kostenlos auf der Website zur Verfügung (http://www.igw.edu/downloads). Für die Schulleitung Dr. Fritz Peyer-Müller, Rektor IGW International; [email protected]

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INHALTSVERZEICHNIS 1  EINLEITUNG ................................................................................................................. 1  2  BIBLISCH-THEOLOGISCHER TEIL........................................................................ 2  2.1  Paulus predigte ungehindert (Apg 28,30-31)............................................................. 2  2.2  Christen und Staat im Neuen Testament.................................................................... 4  2.2.1  Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört (Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20,20-26) ........................................................... 4  2.2.2  Der Rat des Gamaliel (Apg 5,34-42) ............................................................ 5  2.2.3  Unterordnung unter die Staatsgewalt (Röm 13,1-7) ...................................... 6  2.2.4  Wer unterliegt der Gemeindezucht (1 Kor 5,1-13)? ....................................... 8  2.2.5  Beten für die Regierung (1 Tim 2,2) ............................................................. 9  2.2.6  Was mache ich mit einem entlaufenen Sklaven (Philm)?.............................. 10 

2.3  Zusammenfassung und Fazit des biblisch-theologischen Teils ............................... 11  3  KIRCHENGESCHICHTLICHER TEIL ................................................................... 12  3.1  Christen und Staat im Altertum ............................................................................... 12  3.1.1  Zeit der Verfolgungen ................................................................................ 12  3.1.2  Die Konstantinische Wende und ihre Folgen............................................... 13 

3.2  Christen und Staat im Mittelalter ............................................................................. 14  3.2.1  Vereinheitlichung von Kirche und Staat...................................................... 14  3.2.2  Der Investiturstreit und seine Folgen ......................................................... 15 

3.3  Christen und Staat im konfessionellen Zeitalter ...................................................... 18  3.3.1  Reformation und Gegenreformation ........................................................... 18  3.3.2  Die Konfessionskriege des 16. Jahrhunderts ............................................... 19  3.3.3  Der Dreissigjährige Krieg ......................................................................... 22 

3.4  Christen und Staat in der Moderne .......................................................................... 24  3.5  Zusammenfassung und Fazit des kirchengeschichtlichen Teils .............................. 25  4  RECHTLICHER TEIL ................................................................................................ 27  4.1  Grundsätzliches zum säkularisierten Staat............................................................... 27  4.1.1  Definition des säkularisierten Staates ........................................................ 27  4.1.2  Legitimität des säkularisierten Staates ....................................................... 28  4.1.3  Religion als einigendes Band des Staates ................................................... 29  4.1.4  Folgen der Migration und Pluralisierung ................................................... 30  4.1.5  Religionen, welche die Trennung von Religion und Staat ablehnen.............. 30 

4.2  Typen religiöser Neutralität in säkularisierten Staaten ............................................ 32  4.2.1  Der religionslose Staat im Allgemeinen ...................................................... 32  4.2.2  Der religionsfreundliche religionslose Staat am Beispiel der USA .............. 33  4.2.3  Der religionsfeindliche religionslose Staat am Beispiel Frankreichs ........... 34  4.2.4  Der religiös neutrale Staat am Beispiel Deutschlands................................. 36  4.2.5  Würdigung der Typen religiöser Neutralität ............................................... 37  © IGW International

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4.3  Die Religionsfreiheit in der Schweiz ....................................................................... 37  4.3.1  Entstehungsgeschichte ............................................................................... 37  4.3.2  Kurze Darlegung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen................... 39  4.3.3  Was ist eine Religion bzw. ein Glaube? ...................................................... 40  4.3.4  Gebot der staatlichen Neutralität ............................................................... 41  4.3.5  Individueller Teilgehalt der Religionsfreiheit ............................................. 42  4.3.6  Korporativer Teilgehalt der Religionsfreiheit ............................................. 44  4.3.7  Grundrechtskonformität der religiösen Lehre ............................................. 45  4.3.8  Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ............................. 47 

4.4  Zusammenfassung und Fazit des rechtlichen Teils.................................................. 49  5  PRAKTISCHER TEIL................................................................................................. 51  5.1  Rückblick auf die drei Hauptteile ............................................................................ 51  5.2  Erkenntnisse für evangelikale Christen.................................................................... 52  5.3  Schlusswort .............................................................................................................. 54  BIBLIOGRAPHIE............................................................................................................. 56  ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ..................................................................................... 61  ANHANG: TEXTE VON VERFASSUNGEN UND VÖLKERRECHTLICHEN VERTRÄGEN ............................................................................................................... 62  Schweizerische Eidgenossenschaft ................................................................................. 62  Französische Republik .................................................................................................... 64  Vereinigte Staaten von Amerika ..................................................................................... 65  Bundesrepublik Deutschland .......................................................................................... 65  Vereinte Nationen (UNO) ............................................................................................... 66  Europarat ......................................................................................................................... 67 

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1 EINLEITUNG Religionsfreiheit – was ist das eigentlich? Es handelt sich um ein Grundrecht, das in der Verfassung verankert ist; soviel ist klar. Sie gibt mir das Recht, meinen Glauben an Gott zu bezeugen. Aber sie erlaubt es auch einem Muslim, einem Buddhisten oder einem Anhänger von New Age, seine Religion auszuüben. Gestützt darauf werden Moscheen samt Minaretten gebaut, Kopftücher getragen und Kinder vom Schwimmunterricht abgemeldet. Müssen wir bald mit Islamschulen und der Einführung der Scharia rechnen? Ist die Religionsfreiheit überhaupt mit der Bibel vereinbar? Möchte Gott nicht vielmehr, dass wir auf einen biblischen Staat hinarbeiten? Als Jurist evangelikalen Glaubens, der zudem politisch interessiert ist, werde ich immer wieder mit diesen und ähnlichen Fragen konfrontiert. Das hat mich veranlasst, ihnen im Rahmen dieser Arbeit vertieft nachzugehen. Der Ansatz ist interdisziplinär, das Publikum besteht aber in erster Linie aus evangelikalen Christen. Das Ziel der Arbeit ist es vorab, ein biblisch fundiertes und theologisch korrektes Ergebnis zu erhalten. Sodann soll der moderne Staat in Bezug auf die Fragestellung untersucht und mit den gewonnenen biblisch-theologischen Erkenntnissen verglichen werden. Dies werde ich nicht nur aus einer gegenwärtigen Sicht angehen, sondern auch aus einer geschichtlichen, denn nur wer die Geschichte kennt, versteht die Gegenwart. Wichtig ist mir sodann auch, dass mich mein Zielpublikum überhaupt versteht; die rechtlichen Argumentationen müssen mithin auch für Menschen ohne juristische Ausbildung verständlich sein. Um diese Ziele zu erreichen, habe ich die Arbeit in drei Hauptteile gegliedert, in welchen ich je einen Aspekt der Fragestellung untersuche. Sie beginnt mit einem biblisch-theologischen Teil. Er legt das für die evangelikale Ausrichtung unerlässliche biblische Fundament, indem er aufzeigt, was Gott uns durch die Bibel über das Thema Kirche und Staat sagt. Zudem wird verdeutlicht, wie die Christen zur Zeit der Apostel mit dem Staat umgingen. Der zweite Hauptteil ist kirchengeschichtlicher Natur. Er beginnt mit dem nachapostolischen Zeitalter und untersucht kurz die Situation vor der konstantinischen Wende, deutlich ausführlicher dann die Geschehnisse danach. Dabei lege ich klare Schwergewichte auf die beiden geschichtlichen Hauptereignisse im Prozess der Säkularisation des Staates. Dies sind der Investiturstreit und die Konfessionskriege nach der Reformation. Der rechtliche Teil ist der dritte Hauptteil der Arbeit. In ihm betrachte ich kurz die rechtsgeschichtliche Entstehung der Religionsfreiheit, hauptsächlich dann aber die Gegenwart. Ich behandle dabei sowohl Grundsätzliches zum säkularisierten Staat aus rechtsphilosophischer bzw. staatstheoretischer Sicht als auch die konkrete Ausgestaltung der Religionsfreiheit in der Schweiz sowie in ausgewählten weiteren Staaten. An die drei Hauptteile schliesst sich ein kurzer praktischer Teil an. Er fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen, bündelt sie und zieht ein Fazit; mithin legt er dar, was die gewonnenen Erkenntnisse für evangelikale Christen konkret bedeuten.

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2 BIBLISCH-THEOLOGISCHER TEIL Nach meinem Verständnis ist die Bibel das geschriebene Wort Gottes. Sie ist gesamthaft und in allen Einzelheiten wahr, Grundlage des christlichen Glaubens und damit unsere absolute und oberste Autorität. Sie ist unfehlbar, vollständig und widerspruchsfrei. Alles, was wir über den christlichen Glauben wissen müssen, ist darin festgehalten. Sie enthält die göttlichen Gebote, denen es zu gehorchen gilt. Wer die Bibel nicht respektiert, rebelliert gegen Gott (Grudem 1994:81-84). Aus diesem Grund ist es bei einer Arbeit im Fachbereich praktische Theologie – auch wenn sie interdisziplinär ist und ein Schwergewicht in einer säkularen Wissenschaft wie der Jurisprudenz aufweist – unerlässlich, eine biblisch-theologische Basis zu legen. Das ist der Zweck dieses Teils der Arbeit. Ich werde dabei zunächst anhand einer ausgewählten Bibelstelle in das Thema einführen, und danach weitere Texte aus der Bibel untersuchen, um herauszufinden, was das Wort Gottes über das Verhältnis zwischen Christen und dem Staat zu sagen hat. Damit lege ich die theologische Grundlage, welche eine glaubhafte weitere Untersuchung der Bedeutung der Religionsfreiheit für evangelikale Christen überhaupt erst ermöglicht.

2.1 Paulus predigte ungehindert (Apg 28,30-31) Als Einstieg in die Thematik habe ich eine Bibelstelle ausgewählt, die aus rechtlicher Sicht – insbesondere für das Grundrecht der Religionsfreiheit – ausgesprochen interessant ist. Dabei handelt es sich um Apg 28,30-31, mithin das Ende der Apostelgeschichte. Die Vorgeschichte dieser beiden Verse ist die letzte Reise des Apostels Paulus, von der die Bibel berichtet, nämlich die Reise nach Rom (Apg 27-28). Nachdem Paulus und die Menschen, welche ihn begleiteten, viele Strapazen und einen bedrohlichen Schiffbruch erlitten hatten, kamen sie in der Reichshauptstadt an. Nach einem ersten Kontakt mit den Juden der Stadt führte der Apostel eine ganztägige Evangelisationsveranstaltung für sie durch, bei der sich einige Menschen bekehrten (Apg 28,17-23). Aufgrund der Uneinigkeit der Juden (Apg 28,24-25) wandte sich Paulus in der Folge den Heiden zu, denn er war überzeugt, dass sie ihm zuhören würden (Apg 28,26-28). In der Tat, die Heiden hörten zu (Apg 28,30-31, Elb): Er [Paulus, R. A.] aber blieb zwei ganze Jahre in seiner eigenen Mietwohnung und nahm alle auf, die zu ihm kamen; er predigte das Reich Gottes und lehrte die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen, mit aller Freimütigkeit ungehindert.

Mit diesen zwei Versen endet die Apostelgeschichte. Ihr letztes Wort lautet im griechischen Originaltext akōlytōs (Longenecker 2007, z. St. Lk 28,31). Dieser Begriff entstammt der Rechtssprache. Die Behörden liessen Paulus zwar mit Sicherheit weiterhin dauernd bewachen und wussten demzufolge auch, was er tat. Dennoch liessen sie ihn seine evangelistische Tätigkeit ungehindert ausfüh-

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ren; sie auferlegten ihm kein Redeverbot und unterwarfen ihn keiner Zensur (Bruce 1988:511; Stott 1990:400). Hat der römische Staat Paulus somit Religionsfreiheit gewährt? Vom Grundsatz her lässt sich diese Frage bejahen, denn Paulus konnte – selbst aus heutiger Sicht – von den wichtigsten international anerkannten Elementen dieses Grundrechts profitieren. So hatte er das Recht, eine von ihm gewählte Religion – welche nicht die Staatsreligion war – zu haben und auszuüben. Er durfte seinen Glauben auch in der Öffentlichkeit in verschiedener Weise praktizieren und andere Menschen darin unterrichten (vgl. Kapitel 4.3). Die Tatsache, dass Lukas einen Rechtsbegriff verwendete, unterstreicht weiter, dass der römische Staat Paulus Religionsfreiheit gewährte. Doch wie war das möglich, da doch die Römer ihre eigene Religion hatten (Tenney 1994:87-88), der Kaiserkult langsam aufkam (:89) und zudem in einem Prozess vor dem Senat im Jahr 58 n. Chr. fremde Religionen abgelehnt worden waren (Reicke 1968:245)? Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass das Christentum zu jener Zeit noch immer als Teil des Judentums galt. Dieses genoss seit der Zeit von Julius Cäsar volle Religionsfreiheit, d. h., es war von der Verehrung der staatlichen Götter und vom Kaiserkult befreit (Schneider 1963:476).1 Es durfte innerhalb des Römischen Reiches ungehindert für seinen Glauben eintreten und auch neue Anhänger werben (Reicke 1968:245). Da die Christen in den Augen des Staates Juden waren, galt dieses Recht auch für sie. Die Voraussetzung war einzig, dass die religiösen Angelegenheiten nicht mit denjenigen des Staates in Konflikt kamen (Tenney 1994:376). Paulus achtete peinlich genau darauf, diese Bedingung einzuhalten. So konnte er seinerzeit vor dem Statthalter Felix getrost sagen, dass er sich niemals subversiver Tätigkeiten schuldig gemacht hatte (Apg 24,12). Vor dem Statthalter Festus konnte er bekräftigen, dass er nie gegenüber dem Tempel oder dem Kaiser gesündigt hatte (Apg 25,8). Nach seiner Rede vor Festus und König Agrippa waren sich diese und alle übrigen Anwesenden einig, dass es keine Tat des Paulus gab, die Strafe verdient hätte. Ohne seine Berufung auf den Kaiser hätten sie ihn nach ihren eigenen Worten freigelassen (Apg 26,30-32). Als Fazit dieses Kapitels lässt sich somit folgendes sagen: Der Apostel Paulus lehrte das Evangelium freimütig und offen. Da er den Vorteil hatte, dies unter dem Mantel des Judentums tun zu können, einer Religion, welcher der Römische Staat Religionsfreiheit zugestand, konnte er es un-

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Mit Ausnahme einiger barbarischer Kulte, z. B. die Druiden, liess das römische Reich die meisten Religio-

nen frei gewähren. Jedoch waren sie, im Gegensatz zu den Juden, nicht von den staatlichen Verpflichtungen, einschliesslich der Verehrung der römischen Götter befreit. Sie nahmen diese Pflichten denn auch bereitwillig auf sich (Mann:1963:467). Für die Christen sollte es kurze Zeit später zum Problem werden, als dieses Privileg aufgehoben wurde (vgl. Abschnitt 3.1.1). © IGW International

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gehindert tun, solange er nicht mit den Staatsinteressen in Konflikt kam. Er war sorgsam darauf bedacht, diese Voraussetzung einzuhalten und gewann so viele Menschen für Gott. Wie aber verhält es sich grundsätzlich mit dem Verhältnis zwischen Christen und dem Staat? Stellt das Neue Testament dafür Verhaltensrichtlinien auf? Wofür ist der Staat überhaupt da? Davon handelt das nächste Kapitel.

2.2 Christen und Staat im Neuen Testament 2.2.1 Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört (Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20,20-26) Die erste Stelle im Neuen Testament, welche das Verhältnis von Christen und dem Staat zur Sprache bringt, ist Mt 22,15-22 (sowie die Parallelstellen Mk 12,13-17 und Lk 20,20-26). Die Pharisäer verbündeten sich mit den Herodianern und schickten Vertreter zu Jesus. Diese schmeichelten ihm und stellten dann die Frage: „Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht?“ (Mt 22,15-17, Ehu). Aus Mt 20,18 sowie Lk 20,23 wird klar, dass diese Frage eine Falle war, auf welche Jesus aber freilich nicht hereinfiel. Diese Konspiration hatte folgende Hintergründe: Die verschiedenen Fraktionen der Juden waren bezüglich des Gehorsams gegenüber dem römischen Staat zerstritten. Gemäss den Zeloten war bereits die Zahlung der Kopfsteuer eine Missachtung der Gebote Gottes, weil sie darin eine Anerkennung des Kaisers sahen, wo es doch für Juden nur einen Herrscher, nämlich Gott, geben kann. Die Pharisäer hingegen zahlten die Kopfsteuer, denn für sie waren die Römer ein göttliches Gericht (das es interessanterweise aber zu beseitigen galt, sobald sich die Gelegenheit dazu bot). Auch zu den bereitwilligen Steuerzahlern gehörten einerseits die Sadduzäer, denn für sie war das politische Überleben des Volkes wichtig, und andererseits die Herodianer, für welche Rom die Schutzmacht war, welche die Herrschaft ihrer Dynastie sicherte. Zudem ist zu erwähnen, dass die Mehrheit des jüdischen Volkes einen Messias erwartete, welcher Israel von der römischen Herrschaft befreite (vgl. zum Ganzen Maier 1983:212-214, 216 sowie Maier 1992:487-488). Würde Jesus vor diesem Hintergrund die Zahlung der Steuer erlauben, so wäre der Verlust eines grossen Teils seiner Anhänger die Folge. Daher erwarteten die Pharisäer und Herodianer, die sich in einer wahrlich unheiligen Allianz zusammengeschlossen hatten, dass Jesus die Zahlung verbieten würde. So hätten sie eine stichhaltige Begründung für eine Anklage vor dem römischen Statthalter. Doch sie hatten nicht mit der geistgeführten Antwort Jesu gerechnet: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22,21b, Ehu). Sie war so genial, dass die Falle ins Leere schnappte. Es gab weder einen Abfall von Anhängern, noch eine Begründung für die ersehnte Anklage gegen Jesus (Rienecker 1975, z. St. Mt 22,15-22; Maier 1983:214). Rienecker (1975, z. St. Mt 22,15-22) führt aus, nur der eine Teil dieser Antwort sei zentral, nämlich „Gebt Gott, was Gott gehört!“ Damit greift er meines Erachtens aber zu kurz. Zwar sind diese © IGW International

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Worte in der Tat schon deswegen speziell, weil sie über die gestellte Frage hinausgehen. Jesus überführte die Fragesteller damit: Gebt ihr denn auch Gott, was ihm gehört? Trotzdem sind beide Aspekte seiner Antwort gleichermassen wichtig. Jesus sagte ausdrücklich, dass man nicht nur Gott, sondern auch dem Kaiser – mithin dem Staat – geben soll, was ihm zusteht. Dies bezog sich im konkreten Fall auf das Zahlen von Steuern und damit den Gehorsam gegenüber dem römischen Staat (vgl. Maier 1983:216-217; Luck 1993:241). Betrachtet man den gesamten Kontext des Neuen Testaments (vgl. dazu die in den folgenden Abschnitten analysierten Bibelstellen), so lässt sich Mt 22,21b neben der Aufforderung des Gehorsams gegenüber Gott durchaus auch als allgemeines Gebot des Gehorsams gegenüber dem Staat verstehen (zumindest, solange daraus kein Konflikt entsteht; vgl. Abschnitt 2.2.3). Insgesamt war die Antwort Jesu damit ausgesprochen antirevolutionär (Schirrmacher 2002:59). Jesus hat so mit kurzen Worten eine Grundlage für die Trennung von Kirche und Staat gelegt: Die Angelegenheiten des Staates („was dem Kaiser gehört“) und die Angelegenheiten der Gemeinde („was Gott gehört“) sind verschiedene Dinge. Auf den Worten Jesu aufbauend hat der Apostel Paulus das Verhältnis zwischen Christen und dem Staat dann noch weitaus ausführlicher und konkreter behandelt; es ist ein Thema in mehreren seiner Briefe. Die Abschnitte 2.2.3 bis 2.2.6 befassen sich mit den wichtigsten Stellen. Zuvor sei jedoch noch eine interessante Begebenheit angesprochen, die sich im jüdischen Hohen Rat abspielte.

2.2.2 Der Rat des Gamaliel (Apg 5,34-42) Nachdem die Mitglieder des Hohen Rates das in Apg 5,26-32 wiedergegebene Zeugnis gehört hatten, waren sie betroffen und wollten die Apostel umbringen (Apg 5,33). Doch ein Pharisäer namens Gamaliel, der ein im ganzen Volk angesehener Gesetzeslehrer war, ergriff das Wort. Er erinnerte an zwei andere religiöse Führer, die beide starben, und deren Anhänger sich in der Folge wieder zerstreuten. Basierend darauf riet er (Apg 5,38b-39a, NGÜ): Lasst diese Leute unbehelligt! Geht nicht gegen sie vor! Denn wenn das, was sie planen und unternehmen, nichts weiter ist als Menschenwerk, wird es von selbst zugrunde gehen. Wenn es jedoch Gottes Werk ist, werdet ihr nicht imstande sein, diese Bewegung zum Verschwinden zu bringen. Oder wollt ihr am Ende als solche dastehen, die gegen Gott kämpfen?

Gamaliels Votum konnte die Apostel in der konkreten Situation zwar nicht vor einer Auspeitschung bewahren, sondern nur (aber immerhin) vor der Hinrichtung (Apg 5,40). Zudem kann nicht von einer Gewährung von Religionsfreiheit gesprochen werden, da der Hohe Rat das Sprechen im Namen Jesu weiterhin verbot. Auch ist Bruce (1988, z. St. Apg 5,38-39) zuzustimmen, dass Gamaliels Rat nicht in jeder Situation unbesehen gefolgt werden kann (vgl. auch Abschnitt 4.1.5). Stott (1990:118) betont darüber hinaus, dass (zumindest kurzfristiger) Erfolg kein Kriterium sein kann, um zu beurteilen, ob etwas von Gott kommt oder nicht. Doch trotz aller Einschränkungen sprach © IGW International

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dieser Schriftgelehrte ein weises Wort, das eine gute Grundlage für die weitere Analyse des Themas Religionsfreiheit bietet: Gottes Werk ist ewig, während das Werk von Menschen – und selbstverständlich auch das Werk dunkler Mächte – vergänglich ist. Zwar können kurzfristige Erfolge möglich sein, langfristig gehört der Sieg jedoch ausschliesslich Gott. Das gilt auch für religiöse Bewegungen.

2.2.3 Unterordnung unter die Staatsgewalt (Röm 13,1-7) Röm 13,1-7 gilt als eine der wichtigsten Bibelstellen zum Verhältnis zwischen Gläubigen und der Staatsgewalt. 2 Einleitend dazu ist aber festzuhalten, dass der Römerbrief, wie alle Briefe, an bestimmte Empfänger gerichtet war, die sich in einer bestimmten Situation befanden. Daher steht von vornherein fest, dass daraus keine umfassende „christliche Staatslehre“ abgeleitet werden kann. Dennoch enthält der Text Anhaltspunkte zu diesem Thema. Wie bei jedem Bibeltext sind diese zu akzeptieren, auch wenn sie einem missfallen sollten (De Boor 1982a:299-300). Die Grundaussage des Textes findet sich bereits im ersten Vers: Alle Menschen müssen sich der übergeordneten staatlichen Gewalt unterordnen, denn jede staatliche Macht ist von Gott eingesetzt (Röm 13,1). Paulus war weit gereist und erfahren. Er kannte alle Seiten der Politik; er hatte ihre Missbräuche am eigenen Leib erlebt (Apg 16,22-24; 2 Kor 11,23), und er hatte seine Vorteile als römischer Bürger genutzt (Apg 16,37; Apg 22,25-29; Apg 25,11).3 Vor diesem Hintergrund schrieb er, dass auch Christen – obwohl sie einen himmlischen Herrn haben – den irdischen Staatsmächten gehorchen müssen, weil diese von Gott eingesetzt sind (De Boor, z. St. Röm 13,1). Die staatlichen Regierungen sind Diener Gottes, welche das strafende Schwert „nicht umsonst“ tragen (Röm 13,4). Sie haben den göttlichen Auftrag, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, indem sie Gutes belohnen und Böses bestrafen. Aus diesem Grund müssen sich – so die Worte des Apostels – nur böse Menschen vor der staatlichen Macht fürchten (Röm 13,3). Das Besondere bei Christen ist dabei aber, dass sie sich den Anordnungen des Staates nicht nur wegen der Furcht vor Strafe unterordnen sollen, sondern auch um des Gewissens willen (Röm 13,5; vgl. auch 1 Petr 2,15-16). Konkret bedeutet dies, dass sie keine Kavaliersdelikte im Stil von „das tut ja jeder“ begehen und nichts Verbotenes tun, das „ja ohnehin niemand bemerkt“. Vielmehr ordnen sie sich den Gesetzen unter, weil sie von einem Staat erlassen worden sind, der gottgewollt und von Gott eingesetzt ist (Schirrmacher 2002:58).

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Der Apostel Petrus hat in der Parallelstelle 1 Petr 2,13-17 in kürzeren Worten die gleichen Kernaussagen

gemacht, wie es Paulus in der hier behandelten Stelle getan hat. 3

Aus der Sicht des modernen Rechtsstaates würde es natürlich nicht angehen, dass eine Klasse von Men-

schen solche Vorteile gegenüber anderen hat, wie es damals bei den römischen Bürgern der Fall war. Indessen gibt es immer noch zahlreiche Staaten, bei denen genau dies vorkommt. Die Art und Weise des Vorgehens von Paulus darf in diesen Fällen durchaus auch heute noch als Vorbild gelten. © IGW International

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Was aber hat Gott dazu veranlasst, die Institution Staat einzusetzen? Die Antwort auf diese Frage ist im Sündenfall zu suchen. Durch ihn öffneten sich die Tore für das Böse und für die Macht der Sünde (Baral 2001:140-141). Sie versklavt den Menschen (Joh 8,34), und er ist dadurch beständig in Versuchung, Böses zu tun (:142), wodurch er sich selber und andere gefährdet. Aus diesem Grund hat uns Gott den Staat als Ordnungsmacht gegeben, die uns vor der gegenseitigen Vernichtung schützen soll. Barth (1946:9) bezeichnet den Staat sogar als das sichtbare Mittel des göttlichen Schutzes für den Menschen, ohne den es keine christliche Ordnung gäbe. Er schreibt weiter (:9-10): Wo Bürgergemeinde, wo Staat ist, da haben wir es, wieviel menschlicher Irrtum und menschliche Willkür dabei im Einzelnen mitlaufen mag, in der Sache nicht etwa mit einem Produkt der Sünde, sondern mit einer der Konstanten der göttlichen Vorsehung und Weltregierung in ihrer zugunsten des Menschen stattfindenden Gegenwirkung gegen die menschliche Sünde und also mit einem Instrument der göttlichen Gnade zu tun.

Bemerkenswert ist, dass Barth diese Zeilen zu einem Zeitpunkt schrieb, als das nationalsozialistische deutsche Unrechtsregime noch in jüngster Erinnerung war. Auch bei Paulus ist zu betonen, dass er den Römerbrief schrieb, als mit Nero ein despotischer Kaiser herrschte, wenn auch die Verfolgungen noch nicht begonnen hatten (vgl. Mauerhofer 1999:112; Benario 2006, unter The first years of rule sowie unter Administrative and foreign policy). Röm 13,1-7 gilt eben nicht nur für Rechtsstaaten. Auch pervertierte Ausprägungen der göttlichen Institution Staat, wie Diktaturen, handeln in der Gewalt, die ihnen Gott gegeben hat (Barth 1946:10-11; vgl. Joh 19,11). Auch solchen despotischen Herrschern sollen sich Christen unterordnen. Doch was ist zu tun, wenn der Staat etwas anordnet, das für Christen aufgrund der biblischen Gebote unerfüllbar ist? Paulus spricht diese Frage in Röm 13,1-7 nicht an, an anderer Stelle in der Bibel ist sie jedoch beantwortet: In einem solchen Fall gilt es, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen (Apg 5,29; vgl. auch Apg 4,19-20). Niemand steht über Gottes Geboten, schon gar nicht eine Institution, die – wie der Staat – von Gott selber eingesetzt worden ist (Schirrmacher 2002:64). Dennoch ist zu betonen, dass eine Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Staat nur dann zulässig ist, wenn dieser die Verletzung eines Gebotes Gottes verlangt (:67), und auch dann nur als ultima ratio. Die Voraussetzungen dazu sind dann gegeben, wenn man lediglich noch die Wahl zwischen der Befolgung der staatlichen Anordnung und der Befolgung des göttlichen Gebotes hat. Das war beispielsweise wenige Jahrzehnte nach dem Tod von Paulus der Fall, als sich die Christen dem Befehl des Kaisers Domitian und seiner Nachfolger widersetzten, welche die Anbetung ihrer Person verlangten (Uhlmann 2003a:49). Auch in späteren Zeiten haben sich immer wieder Menschen auf dieses biblische Widerstandsrecht berufen, etwa zu Zeiten der Verfolgung. Dazu gehörten auch Verfolgungen einzelner christlicher Glaubensrichtungen durch die vorherrschende Konfession bzw. – nach der Reformation – durch die vorherrschenden Konfessionen. In unserem Land war dies sogar im 19. Jh. noch der Fall, als die Freikirchen von den Staatskirchen unterdrückt wurden. Mehr

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dazu werde ich im kirchengeschichtlichen Teil ausführen (vgl. insbesondere die Abschnitte 3.1.1, 3.1.2 und 3.3.1). Abgesehen von diesem Sonderfall ist die Aussage von Röm 13,1-7 aber klar: Gott hat den Staat und seine Machthabenden eingesetzt, um für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen und so das Zusammenleben der Menschen zu ordnen. Seinen Anordnungen ist daher zu gehorchen. Wie Maier (1992:491) festhält, gehört man als Christ sowohl zum Staat als auch zur Gemeinde und hat sich beiden gegenüber loyal zu verhalten, solange es irgendwie möglich ist. Nicht in Röm 13,1-7 enthalten ist hingegen die Aufforderung, auf einen christlichen Staat hinzuarbeiten. Der Staat ist zwar gottgewollt, aber er hat seine eigenen Aufgaben. Das Heil kommt nicht durch ihn. Vielmehr ist es Sache der Gemeinde, mittels Evangelisation und Mission auf die Bekehrung der Menschen hinzuwirken. Weder soll sich der Staat in die Aufgaben der Gemeinde einmischen, noch die Gemeinde in diejenigen des Staates. Das bedeutet nicht, dass Christen niemals staatliche Amtsträger sein dürften. Auch in der Antike gab es – zumindest ausserhalb der Zeiten der Christenverfolgung – schon gläubige Menschen in Amt und Würden (vgl. Schneider 1963:480). Dabei gilt es aber, die biblisch gesetzten Grenzen zu beachten: Ein Christ, der staatlicher Amtsträger ist, darf dieses Amt nicht dazu missbrauchen, einem Nichtchristen die göttlichen Gebote aufzwingen zu wollen (vgl. dazu auch Abschnitt 2.2.4). Selbstverständlich gilt der Missionsauftrag für ihn ebenfalls, er hat ihn jedoch ausserhalb seiner staatlichen Aufgaben zu erfüllen. Auf die Frage, inwieweit sich die Gemeinde oder ihre Mitglieder in die Ausgestaltung der staatlichen Ordnungen einbringen sollen, wird zurückzukommen sein (vgl. für die Ergebnisse Kapitel 5.2).

2.2.4 Wer unterliegt der Gemeindezucht (1 Kor 5,1-13)? Eine weitere Bibelstelle, welche sich für die vorliegende Untersuchung zu betrachten lohnt, ist 1 Kor 5,1-13. Sie befasst sich mit dem Thema der Gemeindezucht. Eine Tatsache, die sie so interessant macht, ist, dass die Päpste in späteren Jahrhunderten 1 Kor 5,4-5 für ihre Zwecke missbrauchten. Sie verwendeten diese Stelle als Grundlage für den Kirchenbann und die Inquisition gegen Menschen, welche von der offiziellen Lehre abwichen. Zur Durchsetzung griffen sie auf die Staatsgewalt zurück (de Boor, z. St. 1 Kor 5,5; vgl. dazu auch die Ausführungen im kirchengeschichtlichen Teil, insbesondere Kapitel 3.2). Der Text von 1 Kor 5,4-5 (Ehu) lautet folgendermassen: Im Namen Jesu, unseres Herrn, wollen wir uns versammeln, ihr und mein Geist, und zusammen mit der Kraft Jesu, unseres Herrn, diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben seines Fleisches, damit sein Geist am Tag des Herrn gerettet wird.

Nichts in dieser Bibelstelle weist darauf hin, dass Paulus eine Grundlage dafür schaffen wollte, dass irgendeine Kirche oder Gemeinde zur Durchsetzung der Gemeindezucht oder anderer Interessen – auch solchen mit biblischer Grundlage – die Staatsgewalt herbeiziehen soll. Vielmehr ist es

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Sache der Gemeinde – und nur der Gemeinde – unbelehrbare Mitglieder auszuschliessen und sie somit „dem Satan zu übergeben“ (1 Kor 5,4-5; de Boor, z. St. 1 Kor 5,4-5). In 1 Kor 5,12-13 (NGÜ) wird Paulus dann ganz deutlich: Ist es etwa unsere Aufgabe, über die zu Gericht zu sitzen, die ausserhalb der Gemeinde stehen? Seid ihr nicht vielmehr verpflichtet, eure eigenen Leute zur Verantwortung zu ziehen? Über die draussen wird Gott selbst das Urteil sprechen. „Schliesst also den, der Böses tut, aus eurer Gemeinschaft aus!“

Paulus unterscheidet klar und deutlich zwischen dem anzuwendenden Vorgehen innerhalb und ausserhalb der Gemeinde. Um die Sünden der Menschen ausserhalb der Gemeinde brauchen sich die Gläubigen nicht zu kümmern, das können sie Gott überlassen (de Boor, z. St. 1 Kor 5,12-13). Zu betonen ist, dass dies dem Missionsbefehl in keiner Art und Weise widerspricht: Wir sollen zu allen Völkern gehen, die Menschen zu Jüngern machen, sie taufen und sie lehren, alles zu befolgen, was Jesus geboten hat (Mt 28,19-20). Wenn dann später einzelne dieser getauften und gelehrten Jünger in unbelehrbarer Weise gegen die göttlichen Gebote verstossen, so sollen sie – wenn alle anderen in Mt 18,15-20 niedergelegten Massnahmen nichts gefruchtet haben – in letzter Konsequenz ausgeschlossen werden. Es steht jedoch nirgends in der Bibel, dass wir die ungläubigen Menschen mit Gewalt dazu zwingen sollen, die Gebote einzuhalten.

2.2.5 Beten für die Regierung (1 Tim 2,2) Beim 1. Timotheusbrief handelt es sich um einen Pastoralbrief; die Verfasserschaft ist seit Anfang des 19. Jh. umstritten. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, eine Abhandlung über die Einleitungsfragen dieses Briefes zu schreiben. Daher beschränke ich mich auf die Hinweise, dass meines Erachtens Paulus der Autor ist, und dass die Abfassungszeit auf ca. 66 n. Chr. anzusetzen ist. Für die Begründung sei auf Mauerhofer (1999:167-177) verwiesen, dessen Auffassung ich teile. Der Gebetsaufruf für Könige und andere staatliche Machthaber (1 Tim 2,2) steht in direktem Zusammenhang mit Röm 13,1-7 (vgl. Abschnitt 2.2.3). Interessant ist, dass Paulus eigentlich einen Aufruf zum Gebet für alle Menschen macht (1 Tim 2,1), das Gebet für die Personen, welche Staatsgewalt innehaben, aber besonders herausstreicht. Sie haben die göttliche Aufgabe, für Ruhe und Frieden zu sorgen; tun sie dies, so können die Christen „ungestört und in Frieden ein Leben führen…, das Gott in jeder Hinsicht ehrt und das in allen Belangen glaubwürdig ist“ (1 Tim 2,2b, NGÜ). Damit ist nicht gemeint, dass wir uns dann auf die faule Haut legen können. Vielmehr geht es Paulus darum, dass die Gläubigen in einer geordneten und friedlichen Umgebung das Evangelium verkünden können, ohne Behinderungen durch Kriege, Anarchie, Gewalttaten oder sonstige staatliche Unordnung gewärtigen zu müssen (Bürki 1980, z. St. 1 Tim 2,2). In diesem Sinne lässt sich sagen, dass der göttliche Auftrag an den Staat, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, auch beinhaltet, dadurch für die Gemeinde Gottes die Möglichkeit zu schaffen, Mission und Gemeindebau zu betreiben (Grünzweig 1990:87). Nicht zum Auftrag des Staates gehört indes© IGW International

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sen auch bei dieser Bibelstelle, selber in dieser Richtung aktiv zu werden. Es geht lediglich um die Schaffung des nötigen Freiraumes, damit die Kirche ihren Auftrag erfüllen kann.

2.2.6 Was mache ich mit einem entlaufenen Sklaven (Philm)? Zum Schluss dieses Kapitels sei noch ein Bibeltext angesprochen, welcher die in Abschnitt 2.2.1 angesprochene antirevolutionäre Haltung des Neuen Testaments in einem konkreten Anwendungsfall demonstriert. Dabei handelt es sich um den Philemonbrief. Dieser Brief ist ein persönliches Schreiben von Paulus an einen wohlhabenden Christen namens Philemon. Paulus legte darin Fürsprache für dessen entlaufenen und inzwischen zum Glauben gekommenen Sklaven Onesimus ein (Bürki 1989:203). Bemerkenswert ist dabei, dass Paulus nicht etwa die Sklaverei als unchristlich bezeichnete und gestützt darauf Onesimus zum freien Mann erklärte. Vielmehr respektierte Paulus die geltenden Gesetze, welche die Sklaverei zuliessen, den Sklaven zu einer Sache und Onesimus somit zu Philemons Eigentum erklärten, mit dem er tun und lassen konnte, was ihm beliebte. Auch machte Paulus nicht von seiner apostolischen Autorität Gebrauch, um Philemon zu irgendetwas zu zwingen (Philm 8-9). Zwar setzte er implizit sanften Druck auf (Philm 19b.21), aber grundsätzlich bat er Philemon lediglich darum, barmherzig mit Onesimus umzugehen, ihn wie einen Bruder – oder sogar wie Paulus selber – aufzunehmen (Philm 16-17). Aus heutiger Sicht kann kein Zweifel an der Unmenschlichkeit der Sklaverei bestehen, doch in der Antike war sie Teil der anerkannten gesellschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten. Auch das Neue Testament nimmt sie als gegeben hin (Jerusalemer Bibellexikon 1990, Sklaverei). So weisen mehrere neutestamentliche Briefe die Sklaven an, ihren Herren – auch den bösartigen – gehorsam zu sein (Eph 6,5-6; Kol 3,22; 1 Tim 6,1; Tit 2,9-10; 1 Petr 2,18). Die Herren sollen gemäss Eph 6,9 und Kol 4,1 ihre Sklaven menschlich behandeln; es gibt jedoch keine Bibelstelle, welche die Freilassung der Sklaven anordnet. Paulus und die anderen biblischen Autoren versuchten nicht, diese Situation durch Zwang zu ändern. Wie Suhl ausführt (1981, z St. Phil 9b), war die Dialektik zwischen Zwang und Freiwilligkeit, welche Paulus anwandte, möglicherweise nötig, um bei Philemon eine Denkblockade aufzubrechen und das Entscheidende überhaupt in den Blick zu bekommen. In jedem Fall wäre direkter Zwang durch Paulus kontraproduktiv gewesen, denn solche Veränderungen müssen von innen her kommen – vom Herzen der Menschen. Geschieht dies, so werden die so veränderten Menschen für sich die erforderlichen Konsequenzen ziehen. Wer seinen Sklaven als Bruder betrachtet (Philm 16), wird ihn bestimmt mehr als nur menschlich behandeln. Durch diesen Denkanstoss war innerhalb der christlichen Gemeinschaft der Startschuss zum Prozess der Abschaffung der Sklaverei gegeben, selbst wenn weiterhin christliche Herren auch christliche Sklaven hielten. In der Tat resultierte die formelle Abschaffung der Sklaverei in den USA und in anderen Ländern – wenn auch erst sehr viel später – aus einer veränderten Sicht der Menschen und ihrer Rechte (Bürki 1989:225). Dass zuvor doch noch über Jahrhunderte viele sogenannte © IGW International

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„Christen“ die Sklaverei nicht nur gefördert, sondern sie sogar biblisch begründet haben, ist ein anderes Thema, das den Zustand der menschlichen Natur erschreckend wiedergibt (Jerusalemer Bibellexikon, Sklaverei). Den Aposteln und ihrer Vorgehensweise ist dies aber nicht vorzuwerfen.

2.3 Zusammenfassung und Fazit des biblisch-theologischen Teils Der Staat und sein Verhältnis zu den Christen ist ein im Neuen Testament wiederholt angesprochenes Thema. Die betrachteten Bibelstellen haben gezeigt, dass ihn Gott selber als Institution eingesetzt und ihm den Auftrag erteilt hat, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, gute Menschen zu belohnen und böse zu bestrafen. Dadurch soll er den Christen den nötigen Freiraum schaffen, damit diese den göttlichen Missionsbefehl erfüllen können. Damit der Staat den göttlichen Auftrag überhaupt erfüllen kann, ist es nicht verwunderlich, dass ihm gegenüber das Gebot der Unterordnung gilt. Allerdings ist er selber auch nicht rechtsfrei. Er untersteht den Geboten Gottes. Verlangt der Staat von den Christen etwas, was diesen nur noch die Wahl zwischen dem Gehorsam gegenüber dem Staat und dem Gehorsam gegenüber Gott lässt, so müssen sie sich für Gott entscheiden. In diesem – als ultima ratio zu verstehenden – Fall haben sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zum Widerstand. Nicht zuletzt auch, damit es möglichst nicht dazu kommen muss, besteht der Auftrag, beständig für die Regierung zu beten. Demgegenüber ist zu betonen, dass die Bibel keinerlei Aufträge an den Staat erteilt, selber die Aufgaben der Christen an sich zu ziehen. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt: Es gibt weder göttliche Aufträge, auf einen christlichen Staat hinzuarbeiten, noch solche, den Staat zur Gemeindezucht hinzuzuziehen oder Nichtchristen mit Gewalt zur Einhaltung der göttlichen Gebote zu zwingen. Christen, welche staatliche Ämter innehaben, bleiben an diese Voraussetzung gebunden. Das Neue Testament ist antirevolutionär. Veränderungen sollen in den Herzen der Menschen geschehen. Insgesamt ergibt sich somit, dass zur Zeit der Apostel eine klare Trennung zwischen dem geistlichen Bereich der Gemeinde und dem weltlichen Bereich des Staates galt. Es gab keine Idee eines christlichen Staates. Die Christen waren in erster Linie auf ihren Auftrag zu Mission und Gemeindebau und somit auf das bereits gegenwärtige und das kommende Reich Christi ausgerichtet. Dennoch sind Christen gemäss der Bibel Bürger sowohl des Staates als auch der Gemeinde Gottes. Mit dem Vorbehalt der ultima ratio des aus dem Vorrang der göttlichen Gebote abgeleiteten Widerstandsrechts haben sie sich beiden gegenüber loyal zu verhalten. Damit sind die biblisch-theologischen Grundlagen für das Verhältnis von Kirche und Staat gelegt. Doch wie ging es nach der apostolischen Zeit weiter? Haben sich die Christen an diese Grundlagen gehalten? Diesen Fragen gehe ich im nun folgenden kirchengeschichtlichen Teil nach.

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3 KIRCHENGESCHICHTLICHER TEIL Im kirchengeschichtlichen Teil untersuche ich die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat, beginnend mit den Verfolgungen unter Nero, bis ins 19. Jh. Besonderes Augenmerk lege ich dabei auf den Investiturstreit und die Konfessionskriege des 16. und 17. Jh., da diese von grundlegender Wichtigkeit für den Prozess der Säkularisation des Staates sind.

3.1 Christen und Staat im Altertum 3.1.1 Zeit der Verfolgungen Noch unter Nero war es für die Christen mit der Religionsfreiheit vorbei. Einerseits wurde klar, dass Christentum und Judentum deutliche Unterschiede aufwiesen, andererseits gerieten die Christen aufgrund von Missverständnissen und Verleumdungen in falschen Verdacht. Der Staat begegnete ihnen nicht mehr mit Toleranz, sondern mit Feindseligkeit (Tenney 1994:375-376; Uhlmann 2003a:24-25). Daher waren die Christen für Nero die idealen Sündenböcke, denen er die Schuld am Brand von Rom in die Schuhe schieben konnte. Die erste gross angelegte Christenverfolgung durch den römischen Staat war Tatsache geworden, wenn sie sich auch auf die Stadt Rom und ihre unmittelbare Umgebung beschränkte (Sierszyn 2001:40-41; Tenney 1994:27-28; Schneider 1963:478). In der Folge blieb es für die Christen bis zum Regierungsantritt Domitians (81-96) relativ ruhig (Brandt 1936:104). Dann jedoch trat ein massives Problem auf: Domitian beanspruchte als erster Kaiser bereits zu Lebzeiten Göttlichkeit und nahm den Titel Dominus et Deus (Herr und Gott) an. Viele seiner Nachfolger taten es ihm gleich. Da es für Christen aber nur einen Gott gibt, der verehrt und angebetet werden darf (Ex 20,3), hatten sie keine andere Wahl, als dem Staat unter Berufung auf das Widerstandsrecht gemäss Apg 5,29 den Gehorsam zu verweigern (vgl. Abschnitt 2.2.3). Diese Weigerung der Verehrung des Kaisers und seines Bildes führte dazu, dass der sonst gegenüber verschiedensten Nationalkulten tolerante römische Staat gegen die Christen einschritt. Die Folge war eine Welle von Verfolgungen und Prozessen, die sich zunehmend über das ganze Reichsgebiet erstreckte. Sie dauerte – mit Unterbrüchen, in denen Duldung und Ruhe herrschte – bis ins frühe 4. Jh. Die Römer führten keine Religionsprozesse, sondern verwendeten die reine Tatsache der Verweigerung der Kaiseropfer als Beweis für die Staatsfeindlichkeit der Christen, obwohl diese treu gemäss 1 Tim 2,2 für Kaiser und Reich beteten. Die Märtyrer nutzten diese Verfahren und Hinrichtungsshows indessen, um vor ganzen Menschenmassen wirksame Evangelisation zu betreiben (Scanell 1909; Uhlmann 2003a:49-51; Lietzmann 1936:156). Die Übernahme von Staatsämtern durch Christen wurde in dieser Zeit vor dem Hintergrund von Apg 5,29 unmöglich, da damit die unumgängliche Verpflichtung zur Kaiserverehrung und zur Verurteilung von Mitchristen verbunden gewesen wäre (vgl. Lietzmann 1936:149). Christliche Amtsinhaber, welche sich an die Bibel hielten, wurden unehrenhaft ihrer Ämter enthoben (Schneider 1963:480).

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Gerade diese Zeit hat klar gemacht, dass die Kirche weder durch Theologie noch durch Hierarchie oder irgend etwas anders Menschliches gerettet wird, sondern einzig durch den sie leitenden Christus. Er ebnet die Wege, steht den Menschen, welche seinen Willen tun, bei und stattet sie mit allem aus, was sie brauchen (Brandt 1936:119-120).

3.1.2 Die Konstantinische Wende und ihre Folgen Im Jahr 312 erstritt Kaiser Konstantin seinen berühmten Sieg an der Milvischen Brücke und zog in Rom ein, ohne Kaiseropfer zu beanspruchen – ja er verbot sie sogar. Im Folgejahr verkündete er das Toleranzedikt von Mailand, mit welchem er Religionsfreiheit gewährte. Die Christenverfolgungen wurden beendet, beschlagnahmte Güter zurückgegeben, Strafurteile aufgehoben (Uhlmann 2003a:118-119). Doch schon bald begünstigte Konstantin seinen eigenen Glauben, d. h. die katholische Kirche (damals noch mit der Ostkirche vereint). Sie erhielt Steuerbegünstigungen, ihre Verwaltungsgrenzen wurden denjenigen des Staates angepasst. Im Jahr 326 erliess der Kaiser das Häretikergesetz, womit nur noch die katholische Kirche Versammlungsrecht hatte (:119-120). Eine Staatskirche schuf er allerdings noch nicht, das taten erst seine Nachfolger. Dennoch wurde die Verweltlichung der Kirche gefördert (:122). Bereits unter Konstantins Söhnen begannen dann die Verfolgungen der Heiden (:122). Zum ersten Mal in der Geschichte schlüpften Christen innert kurzer Zeit von der Rolle der Verfolgten in diejenige der Verfolger. Es sollte nicht das letzte Mal sein. Eine Entspannung erfolgte ausgerechnet während der kurzen Regierungszeit von Julian „Apostata“ (361-363), weil dieser sich vom Christentum abwandte. Allerdings kann auch unter ihm nicht von echter Religionsfreiheit gesprochen werden, da das Pendel zu weit auf die andere Seite schwang. Die unmittelbaren Nachfolger Julians duldeten die Heiden noch (Kurtz 1868:106), unter Kaiser Theodosius wurden jedoch alle Ansätze von Religionsfreiheit endgültig beseitigt. Im Jahr 380 machte er die katholische Konfession zur alleinigen Reichskirche. Elf Jahre später wurden alle anderen Religionen und christlichen Glaubensrichtungen verboten und ihre Ausübung als Staatsverbrechen geahndet (Uhlmann 2003a:123). Die Kirche wurde dadurch zu einer zunehmend zentralistisch organisierten Machtinstitution, welche die Gewissen der Gläubigen versklavte. Die Menschen, welche zum Christentum gezwungen wurden, waren vielfach reine Namenschristen, da ihnen die innere Motivation fehlte. Heidnische Praktiken wurden in verchristlichter Form weiter praktiziert. Dadurch stiegen die Bedeutung des Heiligenkults samt Reliquienverehrung und ab dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 die Marienverehrung (:124, 135-136). Die Taufe erhielt ein magisch-sakramentales Verständnis, aus dem die Taufwiedergeburtslehre und die Säuglingstaufe (zeitweise auch die Taufe auf dem Sterbebett) entstanden. Ähnlich wie bei den alten Mysterienkulten wurde das Baby dadurch in die Gesellschaft aufgenommen – bereits bei den alten Germanen war dies der Moment gewesen, in welchem das Kind den Namen erhielt (:133-134). Im Osten wurden Kirche und Staat sogar deckungsgleich, der Patriarch wurde zum Hofbischof des Kaisers. Im Westen konnte sich der Papst, begünstigt durch den Zerfall des weströmischen Reichs © IGW International

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(Uhlmann 2003b:2), beginnend mit Leo I. (440-461), als Alleinherrscher durchsetzen, der beanspruchte, dass sich ihm der Kaiser unterzuordnen hatte. Dies wurde durch die Verlegung der Kaiserresidenz nach Konstantinopel und den Untergang des Weströmischen Reichs im Jahr 476 begünstigt. Die Kirche wurde zum Staat im Staat (Uhlmann 2003a:124, 128-130; vgl. Kapitel 3.2).

3.2 Christen und Staat im Mittelalter 3.2.1 Vereinheitlichung von Kirche und Staat Die Nachfolger Leos I. führten seine Politik fort. Gelasius I. (492-496) begründete die Zweigewaltentheorie, wonach der Staat sich nicht in kirchliche Angelegenheiten einmischen darf. Gemäss Symmachus (498-514) kann kein Mensch den Papst richten. Gregor I. (540-604) vermehrte die kirchlichen Grundstücke und schaffte so die Grundlage für den Kirchenstaat, der mit der Pippinischen Schenkung im Jahr 756, bestätigt durch Karl den Grossen im Jahr 774, endgültig entstand (Sierszyn 1997:268-269; Uhlmann 2003b:16-17). Etwa gleichzeitig tauchte in Rom die „Konstantinische Schenkung“ auf, ein gefälschtes Testament Konstantins, wonach dieser dem Papst die weltliche und geistliche Herrschaft über die ganze Welt übertragen habe. Einzig der Papst dürfe die Kaiserinsignien verleihen. Weitere Fälschungen, mit welchen die Päpste ihren Machtanspruch untermauern wollten, folgten (Uhlmann 2003b:17-19). Unter Karl dem Grossen (768-814) entstand die Idee des „christlichen Abendlands“. Er sah sich sowohl als uneingeschränkter politischer Herrscher als auch als Beschützer, Förderer und Verwalter der Kirche (Cäsaropapismus). So setzte er die Bischöfe ein und liess sie vom Papst nur noch bestätigen. Zudem förderte er Bildung, Armenfürsorge, Kunst und Seelsorge und reformierte den Gottesdienst. Auch in kirchliche Lehrentscheidungen griff er ein. Darunter war die Entscheidung, dass der Heilige Geist von Vater und Sohn ausgehe und nicht zusammen mit dem Sohn vom Vater allein. Diese Entscheidung führte den endgültigen Bruch mit der Ostkirche herbei, die sich ab diesem Zeitraum „orthodox“ (rechtgläubig) nannte. Karl der Grosse hat West- und Mitteleuropa sowohl politisch als auch kirchlich vereinheitlicht. Dies wirkte über den Zerfall seines Reiches hinaus nach (Uhlmann 2003b:7, 27-29; Wegener 1963:104-109). Ferner begann im Frühmittelalter das Eigenkirchenrecht aufzukommen. Danach konnte jemand eine Kirche oder ein Kloster stiften. Diese war sein vererbbares Eigentum, und er wurde dadurch zum Kirchenherrn. Er hatte das Recht, die Pfarrer zu bestimmen und kassierte die Kirchensteuer (Zehnt) ein (Uhlmann 2003b:7). Der deutsche König Otto I. (936-973) versah viele Bischöfe und Äbte mit Reichslehen und machte sie so zu ihm direkt unterstellten Fürstbischöfen und Fürstäbten, welche die hohe Gerichtsbarkeit ausübten. Im Gegenzug mussten sie finanzielle und militärische Leistungen erbringen. Mit dieser Reichskirchenpolitik entzog er die Kirche der Macht des Adels und machte sie zur Staatsdomäne. Die politischen Pflichten liessen den Bischöfen kaum mehr Zeit für die kirchlichen, was zu ihrer Verweltlichung führte (:55-56). © IGW International

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Von 900 bis 1050 wurde das Papsttum zum Spielball der zerstrittenen Adelsfraktionen. Männer und teilweise Jugendliche wurden auf den Papstthron gehievt, um häufig schon kurze Zeit später gestürzt und in den Kerker geworfen zu werden. Blasphemie, Sittenlosigkeit und Inzest waren an der Tagesordnung. Die Macht lag oft in den Händen von Mätressen (Uhlmann 2003b:52-53). Dieser Entwicklung wollte der asketisch-fromm lebende König Heinrich III. (1039-1056) Einhalt gebieten. Er sah sich als Priesterkönig, Schutzherr und Förderer der Christenheit. So förderte er die von Cluny ausgehende Klosterreformbewegung, die allmählich zur Kirchenreformbewegung wurde. Ab 1046 arbeitete er mit dem Papst zusammen, der die Einsetzung der Bischöfe durch den Kaiser akzeptierte. Da er nicht mehr zusehen konnte, wie die Päpste durch Simonie an die Macht kamen, setzte er selber nacheinander drei reformfreudige Deutsche als Papst ein (Sierszyn 1997:287-288; Uhlmann 2003b:58). Der römische Klerus akzeptierte diese Papsternennungen und übertrug Heinrich die erbliche Befugnis, zukünftig jeden Papst zu ernennen (Wegener 1961:113). Diese Entwicklungen führten dazu, dass der Staat vor dem Investiturstreit mehr als nur christlich bestimmt war. Die politische Ordnung war „in sich selbst, in ihrer Substanz, sakral und religiös geformt, eine heilige Ordnung, die alle Lebensbereiche umfasste, noch ganz ungeschieden nach ,geistlich’ und ,weltlich’, ,Kirche’ und ,Staat’“ (Böckenförde 1967:47). Der gesamte Staat beruhte auf dem Christentum, auf christlicher Geschichtstheologie und Endzeiterwartung; er war Erscheinungsform der ecclesia und in den Auftrag der Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden einbezogen. Konsequenterweise standen Kaiser und Papst beide als geweihte und heilige Personen mit verschiedenen Aufgaben innerhalb der einen ecclesia. Die religiös-politische Einheitswelt war sowohl in Institutionen und Rechtsgeschäften als auch im täglichen Leben verwirklicht (:47-48).

3.2.2 Der Investiturstreit und seine Folgen Im Jahr 1056 wurde der erst sechsjährige Heinrich IV. König. Papst Niklaus II. ergriff die Gelegenheit, um 1059 vom Laterankonzil eine neue Papstwahlordnung beschliessen zu lassen, welche dem König die Wahl des Papstes entzog und sie dem Kardinalskollegium übertrug. Die deutschen Fürsten und Bischöfe empfanden dies als unfreundlichen Akt (Sierszyn 1997:289-291). Drei Jahre später entführte der Erzbischof von Köln den zwölfjährigen König, womit die Kirche die Reichsgewalt gewann. Drei Erzbischöfe bildeten einen Staatsrat, der junge König wurde freizügig erzogen, damit er einen labilen Charakter erhalten sollte (:294-295). Doch das Ziel von Papst Gregor VII. (1073-1085) war nicht nur die Befreiung der Kirche von der weltlichen Vorherrschaft, sondern die Unterordnung der weltlichen unter die geistliche Gewalt (Papocaesarismus), mithin die Aufrichtung des Reiches Christi auf Erden. Er sah eine fast mystisch anmutende, den rechten Glauben garantierende Verbindung des jeweils regierenden Papstes mit dem Apostel Petrus. Abweichung von der Lehre der römischen Kirche gefährde das ewige Leben, bei Machthabern auch dasjenige seiner Untertanen. Als einziges probates Mittel in solchen Fällen sah Gregor die Amtsenthebung. Der Papst sollte daher das Recht haben, nicht nur Bischöfe © IGW International

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und Priester sondern auch Könige abzusetzen und Untertanen von ihrem Treueeid zu entbinden. Sogar Kriegsaufrufe sah er als gerechtfertigt an. Ferner beanspruchte er die legislative Gewalt und die kaiserlichen Insignien. Seine Ansprüche fasste er unter dem Titel Dictatus papae zusammen (Nitschke 1963:367-377; Sierszyn 1997:295-298). Dieser Vorgang läutete das Ende der Einheit von Kirche und Staat ein. Das vorherige Verständnis definierte ecclesia als gesamte Einheit der christlichen Umwelt, nun löste sich die Kirche als neue ecclesia aus dieser Gesamtheit heraus (Böckenförde 1967:48-49). Der weltliche Herrscher war nicht mehr Teil der neuen ecclesia; er verlor seine Stellung als geweihte Person und wurde zum Laien – aus kirchlicher Sicht dem einfachen Gläubigen gleichgestellt. Als solcher unterstand er „hinsichtlich der Erfüllung seiner Christenpflichten wie jeder andere dem Urteil der geistlichen Instanz, welche ihrerseits dem Urteil einer weltlichen Instanz nicht unterworfen war“ (:49). Als Gregor VII. im Jahr 1075 die Laieninvestitur verbot, durch welche die Bischöfe bei der Einsetzung durch den König Ländereien und weltliche Kompetenzen erhalten hatten (Sierszyn 1997:298), ergriff der inzwischen 25-jährige Heinrich Gegenmassnahmen. Noch im gleichen Jahr setzte er unter Truppengewalt in Mailand einen Erzbischof ein. Gregor drohte dem König mit der Exkommunikation. Sofort berief Heinrich eine Synode von 28 deutschen Bischöfen unter dem Vorsitz des Mailänders ein, die Gregor die Anerkennung absprach. Dieser Akt jugendlicher Arroganz nahm das Volk für Gregor und gegen Heinrich ein. Bereits am Tag nach dem Erhalt des Manifests sprach Gregor die Exkommunikation aus. Päpstliche Gesandte zogen durch Deutschland und organisierten Aufstände. Im Herbst 1076 hatten sich alle Fürsten gegen Heinrich erhoben und die Bischöfe waren von ihm abgefallen. Dem König blieb nur noch die Kapitulation. Die Fürsten legten fest, dass der Papst im Februar 1077 bei einem Reichstag über die Absolution Heinrichs entscheiden solle. Bei Nichtabsolution – womit gerechnet wurde – sollte er definitiv abgesetzt sein (:301). Doch Heinrich fasste einen Gegenplan. Im äusserst kalten Januar 1077 zog er mit seiner Frau, seinem Sohn und wenigen Gefolgsleuten über die Berge in die Lombardei. Der Papst war bereits unterwegs nach Augsburg und residierte in einer Festung in Canossa. An drei aufeinanderfolgenden Tagen erschien Heinrich im Büsserkleid barfuss im Schnee vor der Burg, um den Papst demütig um Einlass und Absolution zu bitten. Der Politiker Gregor wollte eigentlich nicht nachgeben, der Priester Gregor hatte jedoch – besonders nachdem der Abt von Cluny und Mathilde, Markgräfin auf der Burg Canossa, für Heinrich eingetreten waren – keine Wahl. Nachdem Heinrich versprochen hatte, den päpstlichen Schiedsspruch im Streit mit den Fürsten zu akzeptieren und den Papst weder an seiner Deutschlandreise zu hindern, noch sich an ihm zu rächen, erhielt er die ersehnte Absolution. Die in Tibur versammelten Fürsten erachteten dies als Rückenschuss. Die Feinde Heinrichs waren gespalten, und der Papst reiste nicht mehr nach Deutschland (:302-303). In Deutschland folgten drei Jahre Bürgerkrieg. Als Heinrich die Situation wieder im Griff hatte, beschloss er, endgültig mit Gregor abzurechnen. Er zog mit Truppen nach Italien und ernannte © IGW International

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einen Gegenpapst (Clemens III.). Gregor konnte sich zwar eingeschlossen halten, doch am Palmsonntag 1081 liess Heinrich seinen Gegenpapst weihen und sich von ihm zum Kaiser krönen. Dann zog er von dannen und überliess Rom den Normannen. Diese setzten Gregor wieder ein und plünderten die Stadt. Als sich die Bürger wehrten, musste Gregor fliehen und starb 1085 in der Verbannung (:304). Die Kämpfe gingen auch unter Papst Urban II. und König Heinrich V. weiter, bis die Parteien 1122 kampfmüde das Wormser Konkordat schlossen (:307). Oft wird im Zusammenhang mit dem Investiturstreit gefragt, ob der demütige Büsser Heinrich den Schnee von Canossa als Sieger verliess oder ob der Sieg doch dem Papst zuzurechnen ist. Wichtiger als diese Frage ist jedoch, dass der Investiturstreit der erste Schritt des Säkularisationsprozesses war. Gregors Handeln in Canossa machte den Bruch mit der alten Ordnung besonders deutlich. Der Bann gegen Heinrich wäre auch in der alten Einheitswelt möglich gewesen, wenn auch nur in Ausnahmefällen. Bei der Aufhebung desselben ging es jedoch nur noch um einen religiösen Akt, nämlich die Wiederaufnahme in die Kirche. Mit der Wiedereinsetzung als König befasste sich Gregor nicht mehr, sondern er überliess sie Heinrich selber. Dies unterstrich die erfolgte Trennung zwischen der geistlichen und der weltlichen Sphäre (Hübinger, zitiert nach Böckenförde 1967:50). Dass die Vorherrschaft im neu entstandenen System vorderhand der Kirche zukam, war in einer noch derart selbstverständlich christlichen Gesellschaft nicht mehr als logisch. Der weltliche Herrscher war Christ und stand daher unter den christlichen Geboten, über welche die Geistlichkeit wachte (Böckenförde 1967:50). Damit die Kirche diese Vorherrschaft aber überhaupt geltend machen konnte, musste sie die Trennung der Sphären – somit auch die Weltlichkeit selber und letztendlich die Säkularisation der Politik – anerkennen. Damit war der Grundstein dafür gelegt, dass sich das Verhältnis zueinander auch einmal ändern und die Vorherrschaft wechseln konnte (:51). Vorderhand übten die Päpste ihren noch bestehenden Vorrang aber weiter aus. Alexander III. feierte sich im Jahr 1177 im Frieden von Venedig als Sieger und liess sich vom Kaiser die Füsse küssen. Dem englischen König Henry II. auferlegte er einen Bussgang, der den Gang nach Canossa wie einen Sonntagsspaziergang aussehen liess (Sierszyn 1997:308-312). Innocenz III. (1198-1216) sah sich als Herr des Abendlands und entschied im deutschen Thronfolgestreit für Friedrich II. In England hatte König John („Lackland“) den neuen Erzbischof von Canterbury nicht akzeptiert, worauf Innocenz über England das Interdikt verhängte, John absetzte und Frankreich aufforderte, England in Besitz zu nehmen. Als John klein beigab, erhielt er England wieder – als Lehen der römischen Kirche. Im Jahr 1215 entschied das 4. Laterankonzil u. a., dass der Papst oberster König und oberster Priester sei – das geistliche Schwert führe er selber, das weltliche verleihe er Fürsten, welche der katholischen Kirche gewogen seien. Herrscher, die sich gegen den Papst auflehnen, seien als Gotteslästerer zu bannen und auszurotten (:312-316). Man beachte bei dieser sog. „Zweischwertertheorie“ aber, dass vor dem Investiturstreit wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, überhaupt von zwei getrennten Schwertern zu sprechen. Da© IGW International

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mals herrschte noch Einheit – jetzt anerkannte sogar der Papst, die (noch) vorherrschende Macht, die prinzipielle Trennung von Kirche und Staat. Im Spätmittelalter kam es dann noch zu einem weiteren Konflikt zwischen Kirche und Staat, der einen anderen Ausgang fand als die bisherigen. Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) sah sich, wie seine Vorgänger, als oberster Weltherrscher. Als es zu Spannungen mit Philippe IV. („le Bel“) von Frankreich kam, erliess Bonifaz im Jahr 1302 die Bulle Unam Sanctam. Darin bezeichnete er es als für alle Menschen heilsnotwendig, sich dem Papst zu unterwerfen. Frankreich jedoch stand zu seinem König: Die Etats généraux und die Bischöfe erklärten den Papst für abgesetzt. Dieser bannte Philippe, der wiederum Bonifaz schwerer Verbrechen beschuldigte und ihn gefangen nehmen liess. Bald schon starb der gedemütigte Papst, ohne dass sich jemand um den Bannfluch gegen Philippe gekümmert hätte (Sierszyn 1997:346-349; Uhlmann 2003b:113). Böckenförde (1967:52) schreibt zu diesen Vorgängen: Indem das Papsttum seit dem Investiturstreit Jahrhunderte hindurch versuchte, die kirchliche Suprematie durchzusetzen, hat es wesentlich dazu beigetragen, dass die Träger der weltlichen Gewalt sich auf die Eigenständigkeit und Weltlichkeit der Politik besannen und den Vorsprung an Institutionalisierung, den die Kirche ihnen voraus hatte, durch die Ausbildung staatlicher Herrschaftsformen mehr und mehr aufholten.

Die äusseren Formen des alten Systems bestanden nach dem Investiturstreit noch weiter, obwohl sie zunehmend zu Hohlformen wurden. Auch verstanden sich die weltlichen Obrigkeiten weiterhin als christliche Herrscher. Der Investiturstreit hatte nur die Entlassung des Staates aus dem Sakralen zur Folge, noch nicht aus dem religiösen Fundament als Ganzes. Er war lediglich die erste Stufe der Säkularisation. Die zweite wurde mit der Reformation eingeläutet und mit den Konfessionskriegen vollzogen (:53).

3.3 Christen und Staat im konfessionellen Zeitalter 3.3.1 Reformation und Gegenreformation Die Reformatoren hatten unterschiedliche Vorstellungen bezüglich des Verhältnisses von Kirche und Staat. Luther gab bis 1525 den einzelnen Gemeinden sehr weitgehende Rechte und legte seine Hoffnung in ihr Wachstum. Die Obrigkeit sollte nicht reglementierend eingreifen, hingegen kam ihr eine hohe Verantwortung für den äusseren Schutz des Wortes Gottes zu. Nach den Erfahrungen des Bauernkrieges begann Luther jedoch, die Hilfe der Landesfürsten zu suchen. Er war zur Überzeugung gekommen, dass es der politischen Obrigkeit bedurfte, um die katholische Messe zu beseitigen und die widersprüchlichen Formen des Gottesdienstes und der Verkündigung zu vereinheitlichen. Zwar sollte die Einsetzung der Fürsten als „Notbischöfe“ nur vorübergehenden Charakter haben, dennoch zeigte die sächsische Kirchenvisitation von 1527/28, dass der Weg zum landesherrlichen Kirchenregiment unaufhaltsam eingeschlagen war (Lutz 1964:53-54).

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Gemäss Zwingli soll der Pfarrer nicht politisch handeln, jedoch ist es seine Aufgabe, die Regierung zu beraten und zu warnen. Er selbst überschritt diese Grenzen jedoch weit und griff regelmässig direkt in die Politik ein (Sierszyn 2000a:205). Nachdem er 1522/23 in Zürich die Oberhand gewonnen hatte, versuchte er zunehmend, alle Lebensbereiche in der Stadt zu verchristlichen. Die Auswirkungen dieses Modells waren namentlich in den demokratischen Gegenden der Schweiz gross, wo sich das Wachstum der religiösen Bewegung auf die Ergebnisse der Behördenwahlen auswirken konnte (Lutz 1964:55). Calvin kämpfte lange mit dem Rat von Genf um die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, insbesondere in Fragen der Kirchenzucht. Er vertrat grundsätzlich sogar die völlige Glaubensfreiheit. An seinem Wirkungsort Genf benutzte er aber aus Angst vor Irrlehren dennoch den Staat zur Durchsetzung einheitlicher Lehre (Uhlmann 2003c:62; Sierszyn 2000a:266). Die Täufer trennten Kirche und Staat streng. Gemäss Beschluss der Synode zu Schlatten a. R. im Jahr 1527 darf ein Christ nicht einmal ein öffentliches Amt bekleiden (Konferenz 1931:315; Sierszyn 2000a:226). Von diesem täuferischen Grundsatz gab es nur wenige abweichende Meinungen, die eine staatsfreundliche Haltung vertraten. Eine davon war diejenige von Balthasar Hubmaier, auf dessen Theologie später hauptsächlich die Baptisten zurückgriffen. Er erachtete gerade Christen als besonders qualifiziert, um Staatsaufgaben wahrzunehmen (Uhlmann 2003c:51, 54). Zwingli, Luther sowie die ganze Obrigkeit Deutschlands und der Schweiz waren sich einig, dass die Täufer Irrlehrer und Aufrührer waren. Auch im Auftrag der Reformierten wurde nun der Staat tätig, um Andersgläubige auszurotten. Die Mittel waren Ausweisung, Geldstrafe, Gefängnis, Folter und Todesstrafe. Kinder wurden zwangsgetauft. Wie schon nach der Konstantinischen Wende wurden die eben noch Verfolgten rasch selbst zu Verfolgern (Wegener 1961:197). Aufgrund der Bedeutung, welche das Christentum für die politische Ordnung immer noch hatte, waren religiöse Konflikte zwangsläufig auch politische Konflikte. Noch immer sahen es Katholiken, Lutheraner und Reformierte als Aufgabe des Staates an, dem wahren Glauben mit allen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen; ob die als Häretiker Betrachteten aufrührerisch und gewalttätig waren oder nicht, war dabei irrelevant (Böckenförde 1967:54). Darüber, was der wahre Glaube beinhaltet, waren sich freilich auch die grossen Konfessionen nicht einig. Die Religionsfrage musste damit zwangsläufig zur politischen Angelegenheit werden (:54). Die Fronten waren verhärtet. Bald schon wurde der Konflikt auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Eine ganze Welle schrecklicher konfessioneller Bürgerkriege im 16./17. Jh. war die Folge (:55).

3.3.2 Die Konfessionskriege des 16. Jahrhunderts Von den zahlreichen Konfessionskonflikten des 16. Jh. sei der Verlauf des wichtigsten kurz zusammengefasst. Dabei handelt es sich um die Hugenottenkriege in Frankreich.

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Die Protestanten gründeten um die Mitte des 16. Jh. überall in Frankreich Gemeinden nach Genfer Vorbild und gaben sich ein gemeinsames Glaubensbekenntnis. Als der katholische König Henri II. im Jahr 1559 bei einem Turnierunfall starb, setzten sie grosse Hoffnungen in den neuen König François II. und gewannen auch neue Anhänger. Trotz der Warnung Calvins versuchten sie, den 15-jährigen König aus seiner katholischen Umgebung zu „befreien“ und einen der ihren als Regenten einzusetzen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Danach wurden die französischen Protestanten immer öfter als Huguenots (Hugenotten) bezeichnet, ein Begriff, der wohl von „Eidgenossen“ abzuleiten ist und sie als aktive, politisch-militärische Partei kennzeichnete (Lutz 1964:105-106). François starb 1560. Nachfolger wurde sein zehnjähriger Bruder Charles IX., die Königinmutter Caterina de’ Medici amtete als Regentin. Sie strebte einen Ausgleich der konfessionellen Gegensätze an. Zu diesem Zweck veranstaltete sie 1561 ein Gespräch zwischen Hugenotten und Katholiken, das aber scheiterte. Zudem erliess sie ein Toleranzedikt zu Gunsten der Hugenotten. Doch 1562 überfiel der Katholikenführer François de Guise eine betende Gemeinde und machte sie nieder. Dies war der Startschuss der Hugenottenkriege, deren erste drei von 1562-1570 dauerten. Sie endeten mit dem Frieden von Saint-Germain, in dem es dem Hugenottenführer Admiral Gaspard de Coligny gelang, weitgehende politische und kirchliche Zugeständnisse auszuhandeln (:106). Danach strebte de Coligny einen Nationalkrieg aller Franzosen gegen Spanien an, was Frankreich als Ganzes dem protestantischen Lager angenähert hätte. Zunächst galt es aber, die zerstrittenen Parteien zu kitten. Was wäre hierzu besser geeignet gewesen, als eine Heirat zweier hochkarätiger Vertreter? Die Auserwählten waren der Protestant Henri de Bourbon (später auch „von Navarra“ genannt) und die katholische Prinzessin Marguerite de Valois (die jüngste überlebende Tochter von Henri II. und Caterina de’ Medici). Doch für Caterina war de Coligny zu bedrohlich geworden; sie beschloss daher seinen Tod. Die Hochzeit bot eine gute Gelegenheit dazu. In der Nacht auf Bartholomäus (24. August) liess sie alle anwesenden Hugenottenführer ermorden. Auch de Coligny fiel dem Massaker zum Opfer. Es folgte eine organisierte Hetzjagd, bei der zehntausende Hugenotten starben. Die Regierung stellte dies als Notwehr gegen ein bevorstehendes Komplott dar, was zu einer positiven Aufnahme bei den Katholiken und zu Feierlichkeiten im Vatikan führte. Für die Hugenotten hatte die Bartholomäusnacht jedoch eine Steigerung des Selbstbewusstseins zur Folge. Die Loyalität zum Staat war dahin und es folgten weitere Kriege. Die Katholiken spalteten sich in die radikale, nach Spanien orientierte „Liga“ und die gemässigten „Politiques“ (:106-107). Letztere bestanden aus staatsbezogenen Juristen, die vom scholastischen Naturrecht abrückten und eine neue, rein politische Argumentation entwickelten, die einen formellen Begriff des Friedens beinhaltete. Sie verstanden unter Frieden nicht mehr das Leben in der Wahrheit, sondern das Schweigen der Waffen, die äussere Ruhe und Sicherheit – den Gegensatz zum Krieg. Diesen formellen Frieden erachteten sie als wichtiger, als den Streit um die religiöse Wahrheit, denn Waffen seien kein geeignetes Mittel, um Glaubensspaltungen zu überwinden. Krieg bringe nur Hass, Elend

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und Feindschaft. Daher erachteten sie den formellen Frieden als selbständiges und in sich selber gerechtfertigtes Gut. Erreicht werden könne er nur durch Einheit des Landes; dies wiederum erfordere Achtung des Befehls des Königs, der als neutrale Instanz über den Parteien stehe – nur er könne den Frieden bewirken und erhalten. Den Kampf um den wahren Glauben erachteten die Politiques als alleinige Sache der Kirchen (vgl. zum Ganzen Böckenförde 1967:57-58). Es fällt auf, wie ähnlich die Argumentation der Politiques den im biblisch-theologischen Teil dieser Arbeit gewonnenen Richtlinien der Bibel ist. Nachdem Charles IX. im Jahr 1574 ohne eheliche Söhne gestorben war, folgte ihm sein Bruder Henri III. auf den Thron. Da auch er keine Kinder hatte, löste der Tod seines letzten Bruders im Jahr 1584 bereits zu seinen Lebzeiten eine Thronfolgekrise aus, denn nun war der am Tag vor der Bartholomäusnacht verheiratete Hugenottenführer Henri, der inzwischen König von Navarra geworden war, Thronfolger. Dies rief Felipe II. von Spanien auf den Plan, der den Katholizismus in Frankreich gefährdet sah (Lutz 1964:108). Papst Sixtus V. (1585-1590) sah sich diesbezüglich vor Probleme gestellt. Ein Sieg der Hugenotten würde einen religiösen Umschwung in Europa zur Folge haben, eine erfolgreiche Intervention Spaniens andererseits die Unabhängigkeit Frankreichs gefährden, was für das Papsttum als unabhängige geistliche Macht ebenfalls kritisch werden könnte. Sein Ziel war daher die Vereinigung von König und Liga gegen die Hugenotten. Die Liga wollte von ihm jedoch zunächst eine Bulle, welche Henri de Bourbon und einen weiteren Hugenottenführer als Ketzer exkommunizierte und sie – vor allem – von der Thronfolge ausschloss. Im Jahr 1585 erliess der Papst diese Bulle. Doch der vom Papst mit der Vollstreckung beauftragte König Henri III. publizierte sie nicht einmal. Alle Konfessionen erachteten sie als unbefugte Einmischung der Kirche in die politischen Verhältnisse Frankreichs. Immer mehr Katholiken liefen zu Henri de Bourbon über. Auch Henri III. unterlag dieser Wandlung. Er liess zwei Führer der Katholiken, denen er eben noch Staatsämter übertragen hatte, ermorden und vereinigte am 30. April 1589 seine Armee mit der hugenottischen. Der Papst rügte den König und zitierte ihn nach Rom. Kurz nach Ablauf der gesetzten Frist starb Henri III. durch den Dolch eines Mönchs (:126-127). Die Hugenotten und die königstreuen Katholiken (Politiques) riefen sofort Henri de Bourbon als Henri IV. zum König aus. Die Liga proklamierte einen katholischen Gegenkönig. Es folgten Kämpfe und ein diplomatisches Hin und Her, an dem sich auch der Vatikan beteiligte. Henri setzte dem ein Ende, indem er im Jahr 1593 zum Katholizismus übertrat. 1594 wurde er als „christlicher König“ gesalbt und 1595 erhielt er von Papst Clemens VIII. die feierliche Absolution (:126-129). Durften die Katholiken dies als Sieg feiern? Oberflächlich betrachtet scheint es so. Doch in Wahrheit war es kein Sieg einer Religion mehr, sondern ein Sieg der Politik. Henri wusste, dass er dem Land nur durch seinen Konfessionswechsel Frieden bringen konnte (Böckenförde 1967:58-59). Als Erstes war es aber nötig, das Land von der Bedrohung Spaniens zu befreien. Dazu verbündete sich der nun katholische Henri IV. mit den protestantischen Engländern und Niederländern und führte

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einen rein politischen Krieg gegen Spanien. Noch während den von Clemens VIII. vermittelten Friedensverhandlungen erliess Henri am 13. April 1598 das Edikt von Nantes, mit welchem er den Hugenotten Rechtssicherheit und weitgehende gottesdienstliche Freiheit gewährte (Lutz 1964:129130). Unter dieser konfessionellen Duldung konnte Henri das Land wirtschaftlich und administrativ wieder aufbauen und die Kriegswunden heilen. Zwar war die Religionsfreiheit beschränkt, denn sie galt nur in den von den Hugenotten beherrschten Territorien, wodurch ein (protestantischer) Staat im (katholischen) Staat entstand, was mit der Zeit erneut zu Problemen führen musste (Mann 1964b:141). Dennoch wurden erstmals zwei Religionen in einem Staat zugelassen. Es war nun möglich, Bürger von Frankreich zu sein und alle damit verbundenen Rechte zu geniessen, ohne der einzigen vom Staat festgelegten Religion angehören zu müssen (Böckenförde 1967:59).

3.3.3 Der Dreissigjährige Krieg Um das Jahr 1618 waren immer noch alle Europäer zumindest dem Namen nach Christen. Der Protestantismus hatte sich ausgedehnt, doch auch die gegenreformatorischen Jesuiten waren überall tätig. Die Frage nach dem rechten Glauben überlagerte alle übrigen Fragen. Bei Diskussionen über Staat, Wirtschaft und Gerechtigkeit wurde über Prädestination, Abendmahl und gute Werke gestritten. Ganze Staaten, Reiche und Dynastien identifizierten sich mit der einen oder der anderen Lehre (Mann 1964b:136). In Frankreich regierte Louis XIII., nachdem einige Jahre seine katholische Mutter Maria de’ Medici die Regierung geführt hatte. Die von Henri IV. zusammengebrachten Kräfte waren auseinandergebrochen oder hatten unstimmige Bündnisse geschlossen. Durch eine Doppelhochzeit war eine Allianz zwischen Spanien und Frankreich entstanden (:142-144). Im Deutschen Reich galt der Religionsfriede von 1555, der das Prinzip cuius regio eius religio (der Herrscher bestimmt die Konfession der Untertanen) verankert hatte. Das Umfeld jedoch hatte sich verändert. Der Vertrag wurde nur noch von glaubensbegeisterten Monarchen strikt vollzogen, z. B. von Maximilian von Bayern, der einen katholischen Musterstaat errichten wollte. Der Protestantismus breitete sich auch in katholischen Gebieten wie Österreich aus, obwohl er vom Feuer der Reformation verloren hatte. Aus den Gegenbewegungen entstanden eine protestantische Union und eine katholische Liga, was fast zur Auflösung des Reichs führte. Im Kurfürstenkollegium bahnte sich mit der nächsten anstehenden Kaiserwahl eine Zerreissprobe an (:151-154). Europa sass somit auf einem Pulverfass. Der Funke kam aus Böhmen, dessen gewählter König als Kurfürst eine wichtige Rolle bei der Kaiserwahl spielte. Der dortige Friede beruhte auf dem kaiserlichen Majestätsbrief von 1609, welcher den evangelischen Ständen volle Religionsfreiheit und Kirchenhoheit zugestand. Eine Unklarheit in seiner Auslegung führte zum Prager Fenstersturz. Die Protestanten bildeten eine provisorische Regierung und verboten den Jesuitenorden. Die katholischen Kirchenfürsten verliessen das Land freiwillig (Mann 1964b:157-161). Die katholischen Herrscher stellten sich klar gegen die Aufständischen, während die protestantischen nicht deutlich genug für sie Partei ergriffen. Sie waren zu weit weg, anders orientiert oder ärgerten sich über die © IGW International

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Missachtung der Obrigkeit (:161). Es ist daher nicht verwunderlich, dass Böhmen 1620 vernichtend geschlagen sowie gewaltsam und gründlich rekatholisiert wurde. Die Führer wurden hingerichtet, der Kaiser vernichtete den Majestätsbrief. Die protestantische Union löste sich auf, Spanien besetzte das linke Rheinufer; auch deutsche Gebiete waren betroffen. Im Jahr 1629 war der Widerstand der Protestanten gebrochen. Der Kaiser erliess ein Restitutionsedikt, wonach alle seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 eingezogenen Kirchengüter zurückzugeben waren. Die Katholiken – allen voran die Habsburger – triumphierten (Sierszyn 2000a:389-399). Doch dies war nur die erste Phase dessen gewesen, was als der Dreissigjährige Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Gustav II. Adolf von Schweden wollte nun seinen deutschen Glaubensbrüdern doch beistehen. Zudem fürchteten sich Kardinal Richelieu und Papst Urban VIII. vor einer Übermacht der Habsburger. Die katholische Welt war gespalten (:390-391). Doch als Gustav II. Adolf im Jahr 1632 fiel, starb der letzte Kriegsherr, der für Religion und Religionsfreiheit gestanden hatte (Mann 1964b:212). Die dritte Kriegsphase (1632-1648) war daher kein Religionskrieg mehr. Es ging nur noch um die politische Vorherrschaft in Europa (Sierszyn 2000a:391). Beim gewaltigen, vier Jahre dauernden Friedenskongress mussten die konfessionellen Fragen dann aber doch noch gelöst werden. Fast alle europäischen Staaten waren vertreten. Es war ein neues Europa – das Europa der souveränen, ebenbürtigen Staaten, das sich nun gegen den Anspruch des Kaisers definierte (Mann 1964b:220-221). Die politische Landkarte Europas wurde neu gezeichnet, Grenzen wurden nachhaltig verschoben (:223-225). Die Verhandlungen über die Beilegung des Konfessionsstreits waren indessen von Misstrauen beherrscht und zogen sich hin. Die Protestanten hatten infolge der Kriegsergebnisse die stärkere Rolle inne. Dennoch konnte Kaiser Ferdinand III. durchsetzen, dass die katholische Restauration von Österreich und Böhmen nicht angetastet wurde. Für den Rest des Reiches wurden Kompromisse erreicht. Das Wichtigste für die Protestanten war die uneingeschränkte und dauernde Gleichberechtigung. Sie wollten keine Ausnahmen oder befristeten Rechte mehr. Diese Forderung konnten sie durchsetzen. Ferner wurde 1624 als „Normaljahr“ definiert: Wer sich in diesem Jahr im Wissen und Einverständnis des Landesherrn zu einer Konfession bekannt hatte, durfte dabei bleiben. Im Übrigen wurde das Prinzip cuius regio eius religio aber nochmals statuiert. Andersgläubige erhielten das Recht zur Auswanderung und zur Ausübung ihres Glaubens jenseits der Landesgrenzen (:225-226). Am 24. Oktober 1648 wurde der Friedensvertrag unterzeichnet. Einige Wochen danach protestierte der Papst feierlich. Es war „der Protest einer geistlich gebliebenen Macht gegen eine Ordnung, die wohl noch mit geistlichen Dingen sich abgab, aber sie im weltlichen Sinne regelte“ (:227). Der Dreissigjährige Krieg war der letzte grosse Religionskrieg gewesen. Unter Louis XIV. von Frankreich spielte Religion im Sinne kirchlicher Tyrannei noch eine Rolle, aber sonst verursachte sie keine Weltbewegungen mehr. Herrscher unterschiedlicher Konfessionen paktierten miteinander, der Papst hatte auf dem politischen Parkett kaum mehr Einfluss (:229-230).

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Die Menschen, die über Jahrhunderte unter dem System einer öffentlichen Kult-Religion gelebt hatten, mussten für die Toleranz aber erst reif werden (Böckenförde 1967:60). Nicht zuletzt deswegen existierten vorderhand weiterhin fast überall Staatsreligionen. Die Entscheidung darüber war jedoch nicht mehr eine Frage der Durchsetzung der Wahrheit, sondern sie oblag der Politik (:59). Dass diese die Staaten vorderhand immer noch auf die Grundlagen des Christentums stellte, ändert nichts daran, dass gegenüber der Zeit vor der Reformation eine grundlegende Änderung eingetreten war (:60). Unterstrichen wird dies beispielsweise durch das politische Testament des Kardinals Richelieu, in welchem er der „Regierung Gottes“ nur noch den Bereich der Moral zuweist und ihr in Bezug auf die Politik keinen inhaltlich fassbaren Gehalt mehr zugesteht (:60-61). Thomas Hobbes sah den Staat als eine souveräne Entscheidungseinheit, die äusseren Frieden und Sicherheit zu gewährleisten hat (:61). In seinem Werk Elementa philosophica de cive legte er die Grundsätze über die Aufgabe des Staates dar. Böckenförde (1967:62) fasst sie wie folgt zusammen: Die rein säkulare, diesseitsorientierte und religions-unabhängige Zielsetzung des Staates ist darin [in Hobbes Text, R. A.] eindeutig ausgesprochen: Sicherung der Erhaltungsbedingungen des bürgerlichen Lebens und Ermöglichung der Befriedigung der individuellen Lebensbedürfnisse durch die Bürger. Um dieses Zieles willen wird er mit dem „summum imperium“, das heisst der höchsten, zur Letztentscheidung berufenen und darum souveränen Herrschaftsgewalt ausgestattet, weil nur durch eine solche souveräne, letztentscheidende Instanz, der gegenüber sich niemand auf sein ‚privates’ Urteil berufen kann, Frieden und Sicherheit erreicht, Recht und Unrecht sicher unterschieden werden können. Der Staat in diesem Sinn ist die „minimum condition“ für Frieden und Sicherheit.

Erneut ist eine erstaunliche Übereinstimmung der Quintessenz eines säkularen Autors mit den biblischen Grundsätzen der Aufgabe des Staates festzustellen (vgl. Kapitel 2.3).

3.4 Christen und Staat in der Moderne Die französische Nationalversammlung erliess 1789 eine Menschenrechtserklärung, die religiöse Meinungsfreiheit garantierte. Mit der Verfassung von 1791 folgte die volle Glaubens- und Religionsfreiheit. Damit emanzipierte sich der Staat von der Religion und beschloss, sich ihr gegenüber neutral zu verhalten. Sie war damit nicht mehr Teil der Staatsordnung, sondern wurde Teil der Gesellschaft und des Interesses der Menschen, die sich damit befassen wollten (Böckenförde 1967:6465). Die Menschen erhielten das Recht, eine von ihnen gewählte Religion privat und öffentlich zu bekennen oder dies nicht zu tun, ohne dass ihre Rechte als Bürger davon berührt wurden (:65). Dies hatte auch zur Folge, dass die vom Staat verkörperte und gesicherte Substanz nun ausserhalb der Religion, d. h. in weltlichen Zielen und Gemeinsamkeiten, gesucht werden musste; mithin lässt sich die Verwirklichung der Religionsfreiheit an der Weltlichkeit des Staates messen (:65). Im Zeitalter der Restauration (1815-1830) kam nochmals die Idee eines christlichen Staates auf, welcher die Säkularisation aufhalten oder rückgängig machen sollte (:66). Doch der Prozess war nicht mehr zu stoppen, die Rückbesinnung war nur scheinbar. Faktisch wurde das Christentum © IGW International

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lediglich „zum Dekor für höchst weltliche Geschäfte, eingesetzt zur Stabilisierung von Machtlagen und zur Sanktion zeitbedingter politisch-sozialer Verhältnisse, um sie gegenüber einem veränderten Zugriff zu konservieren“ (:66). Alle Versuche der Wiederherstellung eines christlichen Staates sind denn auch gescheitert; die Religionsfreiheit behielt stets das letzte Wort (:66-67).

3.5 Zusammenfassung und Fazit des kirchengeschichtlichen Teils Der biblisch-theologische Teil hatte gezeigt, dass das Neue Testament die Trennung zwischen Kirche und Staat lehrt. Gott hat beiden ihre spezifischen Aufgaben zugewiesen: Die Kirche ist zur Mission berufen, der Staat zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (vgl. Kapitel 2.3). Dennoch hat die kirchengeschichtliche Analyse gezeigt, dass die Christen nach der konstantinischen Wende über Jahrhunderte praktisch permanent das Gegenteil getan haben. Sobald sie das Joch der Verfolgung abgeschüttelt und selber staatliche Gewalt erlangt hatten, christianisierten sie andersgläubige Menschen mit Gewalt, statt sie mit der Bibel zu evangelisieren. Eine Vielzahl von Namenschristen war die Folge. Die Kirche erfüllte den Missionsbefehl zwar oberflächlich betrachtet, doch ein Blick in die Tiefe offenbarte etwas ganz anderes. Das „christliche Abendland“ gab es nur dem Namen nach, denn zahlreiche Menschen bekannten sich lediglich zum Christentum, um Repressalien bis hin zu Folter und Tod zu vermeiden. Viele heidnische Bräuche blieben bestehen. Bis ins 11. Jh. waren Staat und Kirche eins. Die politische Ordnung war eine heilige Ordnung, Kaiser und Papst waren beides geweihte und heilige Personen in der einen ecclesia. Die religiöspolitische Einheitswelt war sowohl in Institutionen und Rechtsgeschäften als auch im täglichen Leben verwirklicht. Doch dann kam mit dem Investiturstreit der erste Schritt des Säkularisationsprozesses. Während man unter ecclesia vorher die Gesamtheit von Kirche und Staat verstanden hatte, war es nachher nur noch die Kirche. Der weltliche Herrscher war nicht mehr Teil der ecclesia. Der Papst kümmerte sich zwar noch um die Mitgliedschaft des Herrschers in der Kirche, nicht jedoch um die Wiedereinsetzung in sein politisches Amt. Zwar vermochten die Päpste über Jahrhunderte, die Vorherrschaft zu behalten, die beiden Sphären blieben aber getrennt. Zudem besannen sich die weltlichen Herrscher gerade wegen der Machtspiele der Päpste auf die Eigenständigkeit und Weltlichkeit der Politik, was die Bildung staatlicher Herrschaftsformen begünstigte. Die Lehren der Reformatoren über das Verhältnis von Kirche und Staat entsprachen der Bibel. Doch die Angst vor Irrlehren brachte sie dazu, den Staat zu Hilfe zu nehmen, um die „wahre Lehre“ sicherzustellen. Mit den Täufern wurde die grösste Glaubensrichtung, welche in den Augen der Reformatoren eine falsche Lehre verbreitete, blutig verfolgt. Bald schon lieferten sich die nun entstandenen Konfessionen schreckliche Kriege um die wahre Lehre. Der eigentliche Sieger dieser Kriege war aber keine theologische Lehre, sondern die Politik. Die Staaten blieben zwar vorderhand weiter auf den Grundlagen des Christentums basiert, die Änderungen waren jedoch unübersehbar. Die Zielsetzungen der Staaten wurden immer mehr säkular, diesseitsorientiert und religionsunabhängig. Der zweite Schritt des Säkularisationsprozesses war getan. Mit den Geschehnissen © IGW International

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rund um die französische Revolution wurde er vollendet. Es gab in der Folge zwar noch Gegenbewegungen, doch alle Versuche der Wiederherstellung eines christlichen Staates scheiterten – die Religionsfreiheit behielt stets das letzte Wort. Führte der Säkularisationsprozess zu einer Entchristlichung der Gesellschaft? Wie Böckenförde (1967:67-68) feststellt, hängt die Antwort auf diese Frage vom theologischen und geschichtsphilosophischen Standpunkt desjenigen ab, dem sie gestellt wird. Als besonders wichtig erachte ich aber seine Feststellung, dass die Religionsfreiheit nicht nur zu einer negativen Bekenntnisfreiheit führte, sondern auch zu einer positiven. Gerade im säkularisierten, weltlichen Staat hat der christliche Glaube die Freiheit, durch die religiöse Überzeugung der Menschen wirksam zu sein. Verwehrt ist ihm lediglich die institutionell-öffentliche Existenzform und die Beteiligung am Allgemeinen des Staates (:68-69). Auch hier sei wieder auf die übereinstimmenden exegetischen Feststellungen des biblisch-theologischen Teils dieser Arbeit verwiesen. Interessant ist indessen auch die Frage, was einen Staat überhaupt zusammenhält, nachdem das einigende Band der Staatsreligion weggefallen ist. Im 19. Jh. entstand die Idee des Nationalstaats, der diese Aufgabe erfüllte, indem die Einheit der Nation an die Stelle der Einheit der Religion trat. In der Zwischenzeit hat dieses Konzept seine Formkraft aber vielerorts bereits wieder verloren. Auch der Versuch, in gemeinsamen Wertüberzeugungen eine neue Einheitsgrundlage zu finden, wie es nach dem 2. Weltkrieg geschah, ist dürftig und gefährlich (:69-70). Vor diesem Hintergrund formulierte Böckenförde (1967:71) seinen berühmten Satz: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Ein freiheitlicher Staat kann nur bestehen, „wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert“ (:71). Dies jedoch kann er nicht mit rechtlichem Zwang oder autoritativen Geboten tun, ohne dass er seine Freiheitlichkeit dabei gleich wieder aufgibt, was ihn in einen – wenn auch säkularisierten – Totalitarismus zurückfallen liesse. Aus diesem Grund gibt es keine Möglichkeit, hinter die Schwelle von 1789 zurückzufallen, ohne den Staat als Ordnung der Freiheit zu zerstören (:71). Wie sollen Christen mit dieser Feststellung umgehen? Wurden nicht Aufklärung und französische Revolution samt dem ganzen Säkularisierungsprozess vielfach als antichristlich und dämonisch beurteilt? Aber sind sie das wirklich? Mehrfach habe ich nun festgestellt, dass die Ergebnisse der Säkularisation mit der biblischen Staatsidee übereinstimmen. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass wir den säkularisierten Staat nicht nur akzeptieren, sondern begrüssen sollten. Er entspricht dem christlichen Glauben und er ist eine Chance für uns. Daher sei zum Schluss dieses Teils der Arbeit mit Böckenförde (1967:72) festgestellt, dass wir Christen dadurch die Möglichkeit schaffen können, die es dem säkularisierten, weltlichen Staat erlaubt, aus den inneren Antrieben und Bindungskräften des religiösen Glaubens leben zu können (mehr dazu werde ich in Abschnitt 4.1.3 ausführen). © IGW International

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4 RECHTLICHER TEIL Nachdem ich im vorangegangenen Teil die geschichtliche Entstehung des säkularisierten Staates behandelt habe, geht es nun im rechtlichen Teil darum, wie die Religionsfreiheit in den heute existierenden säkularisierten Staaten im Allgemeinen und in der Schweiz im Speziellen ausgestaltet ist. Hierzu diskutiere ich zunächst einige grundlegende Ausgangsfragen zum säkularisierten Staat, bevor ich die verschiedenen Typen der Ausgestaltung religiöser Neutralität in säkularisierten Staaten darlege. Sodann gehe ich genauer auf die Religionsfreiheit in der Schweiz ein, wobei ich auch die grundlegenden völkerrechtlichen Verträge behandle und einige rechtsvergleichende Blicke über die Grenze werfe.

4.1 Grundsätzliches zum säkularisierten Staat 4.1.1 Definition des säkularisierten Staates Bevor ich mich vertieft mit dem säkularisierten Staat, wie er sich heute präsentiert, befassen kann, ist es erforderlich, ihn zu definieren. Gemäss Böckenförde (2007:12-13) sind im säkularisierten Staat Religion und Staat grundsätzlich voneinander getrennt. Die Aufgabe, geistliche und religiöse Ziele zu verfolgen, obliegt den Religionsgemeinschaften. Der Staat hingegen sieht seine Daseinsberechtigung und seine Legitimation in der Verfolgung weltlicher Interessen (:13). Er hat keine Religion und vertritt keine Religion, er mischt sich nicht in ihre Organisation und Ausübung ein, er übt keine Religionshoheit aus, und er bietet sich nicht zur Durchsetzung der Religion oder ihrer Forderungen an (:13-14). Es gibt somit keinen Raum, für christliche, islamische oder von einer anderen Religion verbindlich geprägte Staaten (:14). Das bedeutet aber nicht, dass der säkularisierte Staat die Religion ablehnen oder ignorieren muss. Im Gegenteil – nach dem heute vorherrschenden Verständnis akzeptiert er, dass sie da ist und er setzt sich in ein Verhältnis zu ihr (:13; vgl. Abschnitt 4.2.5). Die Religion kann im Rahmen der politischen Willensbildung Einfluss auf Gestaltung und Ordnung des Zusammenlebens nehmen, soweit dies im betreffenden politischen System möglich ist. Allerdings ist den Religionsgemeinschaften nicht alles erlaubt. Der Staat muss ihre Freiheit und Wirksamkeit vor dem Hintergrund seiner eigenen weltlichen Aufgaben und Zwecke eingrenzen (:14). Selbst auf dem Weg mehrheitsgetragener politischer Willensbildung darf es keine Abkehr vom Prinzip der religiösen Neutralität des Staates geben (:14-15). Dies gilt auch dann, wenn Staaten, welche eine nicht christliche Staatsreligion kennen, kein Gegenrecht halten, wie dies in vielen islamischen Staaten der Fall ist (vgl. BBl 2009, 7627-7628). Zu beachten ist allerdings in diesem Fall die Grenze, ab welcher sich der säkularisierte Staat gegenüber Religionen, welche das Neutralitätsprinzip nicht akzeptieren, verteidigen muss (vgl. dazu die Abschnitte 4.1.2 sowie insbesondere 4.1.5). © IGW International

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4.1.2 Legitimität des säkularisierten Staates Warum gibt es den säkularisierten Staat, wie er soeben definiert wurde? Woher nimmt er seine Legitimität? Nach der Lektüre des kirchengeschichtlichen Teils werden manche sagen, das sei doch klar: Es geht um die Abwehr kirchlich-religiöser Ansprüche auf Vormacht im weltlichen Bereich, wie sie vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit weit verbreitet waren. Das ist in der Tat die traditionelle Begründung, wie sie etwa Böckenförde (2007:17) formuliert. Doch heute haben viele Kirchen die Religionsfreiheit anerkannt – kann diese traditionelle Rechtfertigung trotzdem noch gelten? In Zeiten des friedlichen Zusammenlebens aller Religionen ist das eine berechtigte Frage. Betrachtet man aber das seit einiger Zeit zunehmende Vordringen fundamentalistischer religiöser Bewegungen, so ist es durchaus angebracht, dass der Staat immer noch – oder wieder – ein wachsames Auge darauf wirft, dass diese die herausgearbeiteten Schranken beachten. Das gilt namentlich auch für grosse Religionen, die Mühe mit der grundsätzlichen Trennung zwischen Religion und Staat haben, wie etwa dem Islam (:18; vgl. auch Abschnitt 4.1.5). Darüber hinaus stellt heute das Prinzip der Menschenrechte die Rechtfertigung des Staates auf eine neue Basis. Der Staat ist Grundlage aller menschlicher Gemeinschaft, er hat sie zu gewährleisten und zu sichern (:18-19). Die Religionsfreiheit ist dabei ein zentrales Grundrecht – sie setzt einen weltlichen, der Religion gegenüber neutralen, mithin einen säkularisierten Staat voraus (:19). Sodann darf auch die theologische Rechtfertigung nicht ausser Acht gelassen werden, die ich im biblisch-theologischen Teil herausgearbeitet habe. Selbst die katholische Kirche hat die zuvor noch abgelehnte Religionsfreiheit mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil akzeptiert, und zwar mit einer positiven Begründung, aus der Freiheitsnatur und der Würde des Menschen heraus (:21). Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zog daraus die Konsequenzen und wandte sich von der Staatslehre seines ausgesprochen politisch agierenden Vorgängers Leo XIII. (1878-1903) ab. Im Jahr 1998 erklärte er (zitiert nach Böckenförde 2007:22-23), dass aus dem Atheismus oder der Religion kein politisches Konzept gemacht werden darf. Vielmehr müsse der Staat „fern von allem Fanatismus und extremem Säkularismus ein ruhiges soziales Klima und eine adäquate Gesetzgebung fördern, so dass es jeder Person und jeder Religionsgemeinschaft möglich ist, frei in ihrem Glauben zu leben und ihn auch im öffentlichen Leben auszudrücken“ (:22-23). Gemäss dem gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. (zitiert nach Böckenförde 2007:23) ist es den Christen auferlegt, „die wahren Errungenschaften der Aufklärung, die Menschenrechte und dabei besonders die Freiheit des Glaubens und seiner Ausübung als wesentliche Elemente gerade auch für die Authentizität der Religion“ aufzunehmen. Diese Entwicklung in der römisch-katholischen Kirche ist zu begrüssen. Sie entspricht den Erkenntnissen des biblisch-theologischen Teils dieser Arbeit. Böckenförde (2007:23) fällt beim Studium der gegenwärtigen Diskussionen allerdings auf, dass auch gläubige Christen noch erhebliche Mühe haben, diese Grundsätze zu akzeptieren und sie im konkreten Verhalten zu realisieren. Dieser Beobachtung ist beizupflichten. Sie bezieht sich bei Weitem nicht nur

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auf Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. Laufende Diskussionen unter evangelikalen Christen zeigen das gleiche Bild. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

4.1.3 Religion als einigendes Band des Staates Gemäss Böckenförde (1967:71) lebt der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann (vgl. Kapitel 3.5). Kann die Religion für ihn diese Voraussetzungen schaffen? Jeder Staat muss Leistungen erbringen, welche seine Legitimität verbürgen. Machtausübung und Zwangsgewalt sind zwar unausweichlich, aber kein Staat kann sich ausschliesslich darauf gründen. Die Menschen müssen zu ihm eine Einstellung haben, welche sie dazu bringt, überwiegend freiwillige Gehorsamsleistungen zu erbringen. Dazu braucht es nicht zuletzt ein „Wir-Gefühl“, ein einigendes Band (Böckenförde 2007:24-25). Lebendige und gelebte Religionen, welche die Religionsfreiheit akzeptieren, können als solch ein einigendes Band dienen und eine tragende stabilisierende Kraft sein (:25). Die Aufgabe des Staates ist es aber dabei lediglich, diese Möglichkeit zu garantieren, indem er den Religionsgemeinschaften durch Gewährung der Religionsfreiheit den Freiraum gibt, ihre Arbeit zu tun. In diesem Zusammenhang soll der Staat die vorhandenen und gelebten Religionen durchaus auch vor Anfeindungen und Verunglimpfungen schützen (:26). Mehr kann und darf er aber nicht tun, denn sonst würde er den Säkularisationsprozess rückgängig machen. Das Problem ist jedoch, dass gelebte Religion im Rückgang ist. Die Gründe liegen insbesondere in einem zunehmend areligiösen sozialkommunikativen und audiovisuellen Umfeld, aber auch in der Selbstsäkularisation einiger Kirchen (:26-27). Diese führt zu unverbindlichen Volkskirchen, wie sie etwa Huber (zitiert nach Karlen 1948:112) postuliert, denen sich jeder nach freiem Belieben und ohne Verbindlichkeit zugesellen oder sich auch wieder davon lösen kann. Wie Huber selber einräumt, ist das aber keine gelebte Religion; daher können solche Kirchen die Aufgabe des einigenden Bandes gerade nicht erfüllen. Teilweise wird diskutiert, ob eine Zivilreligion an die Stelle der traditionellen Religionen treten kann. Unter diesem Begriff versteht man „gewisse Bestände religiöser Kultur…, die in das politische System faktisch oder auch institutionell integriert sind“ (Böckenförde 1967:27). Erscheinungsformen sind etwa Vereidigungen oder religiöse Aussagen in öffentlichen Reden, welche symbolisch einen Bezug zu einer als vorhanden vorausgesetzten Religion ausdrücken und den säkularen Staat somit indirekt religiös legitimieren sollen (:27-28). Die Zivilreligion kann in einem nichtkonfessionellen christlichen Kleid, aber auch in der Färbung einer beliebigen anderen Religion daherkommen (Müller 2008:52). Sie kann in dieser Form aber kaum die Lücke gelebter Religion füllen, denn ohne die vorhandene Religion, an die sie gebunden ist, wird sie selbst zum blossen Dekor (Böckenförde 2007:28). Hinzu kommt die Gefahr, dass sie den Weg zur Rückkehr einer religion civile im Sinne Rousseaus ebnen kann, d. h. zu einer bürgerlichen säkularen Religion, die als Staatsreligion durchgesetzt wird. Dies würde die Religionsfreiheit beseitigen (:28-29). © IGW International

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Der säkularisierte Staat ist daher darauf angewiesen, im Rahmen der Freiheitsordnung vorhandene und gelebte Kultur zu stützen und zu schützen. Religion ist auch heute noch ein Thema, welches die Menschen interessiert, dennoch herrscht ein weit verbreiteter religiöser Analphabetismus. Nicht einmal mehr das religiöse bzw. christliche Grundwissen ist vorhanden (Lauber 2008:142-143). Der Staat kann dem durch den schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrag entgegenwirken (Böckenförde 2007:31), indem er Wissen und Kenntnisse über Religion im Allgemeinen vermittelt (Lauber 2008:142). Weiter kann und darf er aber nicht gehen. Die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass Religion wieder lebendig und gelebt wird, obliegt den Religionsgemeinschaften. Sie sind daher aufzurufen, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen.

4.1.4 Folgen der Migration und Pluralisierung Der Staat wird von seinen religiösen Wurzeln sowie den daraus gebildeten Traditionen und Verhaltensweisen geprägt; sie haben Einfluss auf die Kultur, welche seine relative Gemeinsamkeit vermittelt, und auf die er angewiesen ist. Infolge der Migration und der allgemeinen Pluralisierung verändert sich diese aber in Richtung auf eine heterogene – ethische, religiöse und kulturelle – Vielfalt. Kann der Staat trotzdem volle Religionsfreiheit, Religionsneutralität und Gleichberechtigung aller Religionen gewährleisten, ohne dass der Sockel einstürzt (Böckenförde 2007:31-32)? Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht und darf nicht unter einem Kulturvorbehalt stehen (vgl. Abschnitt 4.3.3). Andererseits kann daraus aber auch kein Anspruch auf die Einebnung der religiös bestimmten Prägung der Kultur und Lebensform eines Staates erwachsen. Die fremden Religionen sind zumeist in der Minderheit, ihre Angehörigen leben somit in der Diaspora. Sowohl der Islam als auch das Judentum enthalten explizit die Anweisung, in der Diaspora die Gesetze und Gewohnheiten des Landes zu achten (Böckenförde 2007:34; vgl. auch Amin 2000:193). Damit ist zugegebenermassen noch nichts darüber gesagt, wie sie sich verhalten werden, wenn sie die Mehrheit oder auch nur den Status einer grossen Minderheit erlangen. Auf dieses Problem wird zurückzukommen sein (vgl. Abschnitt 4.1.5). Böckenförde (2007:36-37) erachtet in diesem Zusammenhang die gegenwärtige Tendenz offener Regelungen und Abwägungen im Einzelfall als problematisch und plädiert für klare Gesetze, welche freiheitsbezogen, aber auch freiheitsbegrenzend sind, namentlich im Bereich des allgemeinen Schulunterrichts und des Schutzes religiöser Überzeugungen vor Diffamierung und Herabsetzung (:36-37). Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Gerade, wenn man in einem fremden Land lebt, dessen Kultur und Umgangsformen man noch nicht so gut kennt, ist es hilfreich, wenn klar geregelt ist, wie man sich zu verhalten hat. Allerdings wird es nie möglich sein, jedes Detail zu regeln.

4.1.5 Religionen, welche die Trennung von Religion und Staat ablehnen Doch wie verhält es sich mit extremen, fanatischen Religionen? Viele Menschen haben Angst vor Anhängern solcher Religionen (Winzeler 2005:9). Schützt die Religionsfreiheit auch diese? Gibt es © IGW International

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Grenzen des Schutzbereichs, je nach dem Verhalten der Religionsgemeinschaft? Wie soll der Staat vorgehen, wenn sich Anhänger einer Religion nicht an die Staatsordnung halten oder sogar die Religionsfreiheit selber bekämpfen? Böckenförde (2007:37-38) prüft im Zusammenhang mit diesem Problem insbesondere die derzeit sehr aktuelle Frage, wie weit vom Islam und seinen Anhängern die Anerkennung des säkularisierten Staates und seiner Ordnung verlangt werden kann oder sogar muss, obwohl der Islam die Trennung von Religion und Staat nicht unterstützt. Er führt dazu aus, dass der Staat zunächst, wie er es vom 19. Jh. bis zum zweiten Vatikanischen Konzil auch gegenüber den Katholiken erfolgreich praktiziert hat, von den Muslims verlangen kann, dass sie sich loyal zu Verfassung und Gesetz verhalten, auch ohne ein Bekenntnis zu dessen Wertordnung abzugeben (:38). Bei der römisch-katholischen Kirche funktionierte dies gut; sie durfte sogar getreu der Staatslehre von Leo XIII. die These des katholischen Staates vertreten, solange sie die Existenz der Religionsfreiheit akzeptierte und sich entsprechend verhielt (:38-39). Was aber ist zu tun, wenn eine Religion die Religionsfreiheit dauerhaft und aktiv bekämpft, wenn ihre Anhänger versuchen, sie abzubauen, sobald sich – z. B. über politische Mehrheitsbildungen – Gelegenheiten dazu bieten? In diesem Fall müsste der Staat dafür sorgen, dass diese Religion und ihre Anhänger in der Minderheitsposition verbleiben, so dass der Diasporavorbehalt weiter gilt (:39). Es gehört zur Aufgabe des souveränen Staates, die Grundrechte nicht nur einzuhalten, sondern sie durchzusetzen, somit auch darauf zu achten, dass die Religionsgemeinschaften ihre Grenzen respektieren (Winzeler 2005:12-13). Daher reicht es nicht aus, wenn der säkularisierte Staat die Religionsfreiheit nur gewährt, sondern er muss sie – und damit sich selber – verteidigen. Zu betonen ist dabei aber, dass eine fundamentalistische Haltung alleine noch kein Eingreifen des Staates rechtfertigt. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die meisten Religionsgemeinschaften – namentlich auch die christlichen – davon ausgehen, dass sie die Wahrheit verkünden und ihre Botschaft universale Gültigkeit hat. Die entscheidende Frage ist, ob ohne Selbstaufgabe eine Entwicklung hin zur Anerkennung von Religionsfreiheit und säkularisiertem Staat möglich ist (Böckenförde 2007:40). Böckenförde (2007:41) schreibt, er könne mit dem ihm zur Verfügung stehenden Wissen nicht beurteilen, ob dies beim Islam der Fall ist. Auch der Rahmen dieser Arbeit würde durch eine solche Untersuchung gesprengt. Es wird aber nötig sein, sie vorzunehmen. Falls sie eher positiv ausfällt, besteht kein grundsätzliches Problem, obwohl weitere Aufmerksamkeit angezeigt ist. Fällt sie eher skeptisch aus, so muss sich der säkularisierte Staat verteidigen. Sein Vernunftfundament oder „Naturrecht“, das „womöglich an den antik-jüdisch-christlichen Kulturkreis im Reflexionshorizont der Aufklärung gebunden ist“, darf nicht aufgegeben werden (:41). Das gilt gegenüber dem Islam genauso, wie gegenüber jeder anderen Religionsgemeinschaft. Auch extreme christliche Gruppierungen können und müssen davon betroffen sein. © IGW International

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Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass sich das Urteil – gerade bei grossen Religionen – nur selten pauschal auf eine ganze Religion beziehen kann. Falls sich nur einzelne Gruppierungen einer Religion renitent gegenüber der Anerkennung von Religionsfreiheit und säkularisiertem Staat verhalten, so hat sich die Selbstverteidigung des säkularen Staates nur gegen diese einzelnen Gruppierungen zu richten. Andernfalls müsste wegen des Verhaltens einiger militanter christlicher Glaubensgemeinschaften auch das ganze Christentum bekämpft werden.

4.2 Typen religiöser Neutralität in säkularisierten Staaten Wie in Kapitel 4.1 dargelegt, gehört die religiöse Neutralität des Staates zu den Grundfesten säkularisierter Staaten. Es gibt jedoch verschiedene Arten ihrer Ausgestaltung. In der neueren Geschichte haben sich zwei Modelle herausgebildet. Dies sind der religionslose Staatstyp, in dem eine distanzierende Neutralität herrscht, und der religiös neutrale Staatstyp, der eine übergreifende, offene Neutralität praktiziert. Der religionslose Staatstyp kennt darüber hinaus zwei wichtige Unterformen. In diesem Kapitel werde ich eine Übersicht über die drei Typen geben und sie anschliessend würdigen.

4.2.1 Der religionslose Staat im Allgemeinen Im religionslosen Staat wird die Religion „explizit aus dem staatlichen Bereich ausgeklammert, der Staat gibt sich religiös indifferent“ (Karlen 1988:99). Verfassungstheoretisch basiert dieses Modell auf dem liberalen Staatsverständnis, das davon ausgeht, dass Freiheit durch Ausgrenzung aus dem Staat geschaffen wird. Demzufolge sind Staat und Gesellschaft getrennt. Die Religion gehört zum Bereich der Gesellschaft, somit resultiert auch eine Trennung von Staat und Religion (:99). Böckenförde (2007:14) spricht von einer „distanzierenden Neutralität“. Der grosse Vorteil dieses Modells ist seine Einfachheit. Der Staat hat seine Aufgaben, die Religionsgemeinschaften die ihren. Es gibt – mindestens theoretisch – keine Abgrenzungsprobleme. Das Religionsrecht ist vom Individuum her konzipiert, es basiert auf dem persönlichen religiösen Engagement jedes Menschen (Karlen 1988:92). Dies entspricht den Ansichten der Reformatoren, welche den Akzent der inneren Glaubenshaltung der Menschen von objektiven Glaubenswahrheiten hin zur subjektiven Glaubensgewissheit verlagerten (:92). Auch der Réveil, der Anfang des 19. Jh. in der Westschweiz stattfand, erachtete die Religion als ausschliesslich persönliches Verhältnis zwischen Mensch und Gott (:93), die Theologie der meisten evangelikalen Kirchen des 20. und 21. Jh. geht in die gleiche Richtung. Wie Karlen (1988:93) darlegt, führt die Betonung des persönlichen religiösen Engagements im einzelnen Menschen zu einer so starken „inneren Intoleranz der eigenen Glaubensüberzeugung“, dass nach aussen – gegenüber anderen Menschen – Toleranz herrschen muss, denn sonst würde das Zusammenleben unerträglich. Der religionslose Staatstyp überlässt die Religion demzufolge den einzelnen Menschen und gewährt ihnen zu ihrem Schutz die Religionsfreiheit als unveräusserliches Menschenrecht (:93). © IGW International

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4.2.2 Der religionsfreundliche religionslose Staat am Beispiel der USA Der religionslose Staat entstand Mitte des 18. Jh. in den englischen Kolonien Nordamerikas. Dort bestanden zahlreiche kleinere Religionsgemeinschaften, deren Anhänger aufgrund von Verfolgungen aus Europa geflohen waren. Sie bildeten den Nährboden für einen religiösen Individualismus, in dessen Rahmen sich die Religionsfreiheit – und im weiteren geistesgeschichtlichen Zusammenhang sogar die gesamten Menschenrechte – herausbilden konnten (Karlen 1988:93-94). Im Rahmen der Loslösung von England erliessen die meisten dieser jungen Staaten Menschenrechtserklärungen, welche auch die Religionsfreiheit garantierten. Die in diesen Dokumenten festgehaltenen Rechte waren als individuelle Rechte der einzelnen Menschen formuliert, die für alle Menschen galten, ungeachtet ihres Standes.4 Sie waren staatstragende Grundsätze, Basis der gesamten Rechtsordnung, individuelle Rechte und wurden im institutionellen Bereich verwirklicht. Das war etwas grundlegend Neues, das es bisher nirgendwo gegeben hatte. Darauf basiert in den USA auch die bundesrechtliche Garantie der Religionsfreiheit. Sie wurde 1789 im Rahmen der Bill of Rights als Teil des ersten Verfassungszusatzes erlassen und trat 1791 in Kraft. Mit der kurzen und bündigen Formulierung (vgl. Anhang) garantierte der Verfassungsgeber gemäss der sogleich zu diskutierenden Rechtsprechung nicht nur die freie Ausübung der Religion (sog. free exercise clause), sondern er verankerte implizit die Trennung von Kirche und Staat (sog. establishment clause). Der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court of the United States) befasste sich im Jahr 1947 im Entscheid Everson v. Board of Education erstmals eingehend mit dieser Verfassungsbestimmung. Er kam zu folgendem Schluss: „Der erste Verfassungszusatz hat eine Mauer zwischen Kirche und Staat errichtet. Diese Mauer muss hoch und undurchdringlich gehalten werden. Wir könnten nicht einmal den kleinsten Bruch erlauben“ (330 U. S. 1 (1947), S. 18, übers. R. A.).5 Aus diesem Grund verbot er die Benützung von Klassenzimmern für religiöse Institutionen. Schon fünf Jahre später relativierte das gleiche Gericht diesen strengen Grundsatz im Entscheid Zorach v. Clauson aber wieder (343 U. S. 306 (1952), S. 312-313, übers. R. A.): Der erste Verfassungszusatz sagt jedoch nicht, dass es in jeder Hinsicht eine Trennung von Kirche und Staat geben soll. Vielmehr definiert er sorgfältig die Art und Weise, in welcher es keine Angleichung oder Vereinigung oder Abhängigkeit voneinander geben soll. Das entspricht dem gesunden Menschenverstand. Andernfalls wären Staat und Religion Fremde – feindlich, misstrauisch und sogar unfreundlich… Wir sind ein religiöses Volk, dessen Institutionen ein oberstes Wesen voraussetzen. Wir garantieren die Freiheit, anzubeten, wie man will. Wir lassen Raum für eine grosse Vielzahl von Glaubensrichtungen, wie es die spirituellen

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Zu Beginn freilich nicht für Sklaven und nur eingeschränkt für Frauen.

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The First Amendment has erected a wall between church and state. That wall must be kept high and impreg-

nable. We could not approve the slightest breach. © IGW International

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Bedürfnisse des Menschen erfordern. Wir unterstützen eine Haltung der Regierung, die keine Parteinahme für eine Gruppe zeigt…6

Gestützt darauf bestätigten die Richter eine Gesetzesbestimmung der Stadt New York, die es den Eltern erlaubte, ihre schulpflichtigen Kinder während der Schulzeit ausserhalb der Schule Religionsunterricht besuchen zu lassen. Dass der Staat religiöse Faktoren nicht einfach ausser Acht lassen darf, wurde auch in Sherbert v. Verner (374 U. S. 398 (1963)) klar. Dabei ging es um ein Mitglied der Adventisten des Siebten Tages, das keine Stelle fand, weil es am Samstag nicht arbeiten wollte, um den Sabbat zu heiligen. Der Staat South Carolina verweigerte ihm aus diesem Grund die Arbeitslosenunterstützung. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass dies dem Recht auf freie Religionsausübung (free exercise clause) widerspricht. Der derzeit wichtigste Entscheid für die Auslegung der establishment clause ist Lemon v. Kurtzman. Er sieht vor, dass an drei Kriterien zu messen ist, ob ein konkretes Gesetz die establishment clause einhält (403 U. S. 603 (1971), S. 612-613, übers. R. A.): Erstens muss der Erlass einen säkularen legislativen Zweck haben; zweitens darf seine hauptsächliche Auswirkung weder zur Förderung noch zur Hinderung von Religion führen…; schliesslich darf der Erlass keine „übermässige Verflechtung der Regierung mit der Religion“ fördern.7

Wird die amerikanische Rechtsprechung zusammenfassend betrachtet, so zeigt sich, dass in den USA heute keine absolute Trennung von Kirche und Staat mehr herrscht. Vielmehr handelt es sich um eine religionsfreundliche, kooperative Art der Trennung, welche Kennzeichen des in Abschnitt 4.2.4 zu behandelnden religiös neutralen Staates aufweist (vgl. Karlen 1988:103).

4.2.3 Der religionsfeindliche religionslose Staat am Beispiel Frankreichs Obwohl das Anliegen der europäischen Staaten bei der Herausbildung der Religionsfreiheit primär die Sicherung des Religionsfriedens war, blieb der Blick nach Amerika nicht aus. Die französische Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789 enthielt fast genau die glei-

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The First Amendment, however, does not say that in every and all respects there shall be a separation of

Church and State. Rather, it studiously defines the manner, the specific ways, in which there shall be no concert or union or dependency one on the other. That is the common sense of the matter. Otherwise the state and religion would be aliens to each other—hostile, suspicious, and even unfriendly… We are a religious people whose institutions presuppose a Supreme Being. We guarantee the freedom to worship as one chooses. We make room for as wide a variety of beliefs and creeds as the spiritual needs of man deem necessary. We sponsor an attitude on the part of government that shows no partiality to any one group… 7

First, the statute must have a secular legislative purpose; second, its principal or primary effect must be one

that neither advances nor inhibits religion…; finally, the statute must not foster „an excessive government entanglement with religion.“ © IGW International

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chen Grundrechte, wie sie die amerikanischen Staaten erlassen hatten. Ähnliches galt für den ersten Grundrechtskatalog der Schweiz, der in der unter französischem Einfluss entstandenen Verfassung der Helvetischen Republik von 1798 enthalten war (Karlen 1988:35). Doch ging es hier nicht wie in Amerika um die Schaffung neuer Staatsstrukturen, sondern um revolutionäre Forderungen gegen bestehende staatliche Strukturen. Dies schlug sich auch in den radikalen und doktrinären Formulierungen nieder. Entsprechend problematisch war die Umsetzung; vielerorts erlahmte sie schon bald wieder. Gerade die Religionsfreiheit wurde zudem kontrovers diskutiert und nur zurückhaltend formuliert (:35). Auch war anders als in Amerika nicht die individuelle Freiheit das Hauptthema, sondern das friedliche Zusammenleben der beiden grossen Konfessionen, die sich jahrzehntelang blutig bekämpft hatten. So wurde etwa immer noch geregelt, welche religiösen Bekenntnisse überhaupt erlaubt waren. Erst im Verlauf des 19. Jh. wurde aus der Religionsfreiheit vor dem Hintergrund der amerikanischen Menschenrechtserklärungen und der Naturlehre sowie des Liberalismus ein Individualrecht (:36, 94). Zudem führte der Kulturkampf in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu einem starken Antiklerikalismus. Die Zielsetzung in Europa wurde dadurch zunehmend religionsfeindlich (:94). Vor diesem Hintergrund erliess Frankreich am 9. Dezember 1905 das Gesetz über die Trennung der Kirchen vom Staat (Trennungsgesetz). Es ist laizistischen Ursprungs und war insbesondere gegen die Machtansprüche der römisch-katholischen Kirche gerichtet. Gemäss diesem Gesetz (Auszüge im Anhang) garantiert der französische Staat die Gewissensfreiheit und die freie Ausübung von Gottesdiensten, einschränkbar einzig durch zwingende Interessen der öffentlichen Ordnung (Art. 1). Der Staat darf Glaubensrichtungen irgendwelcher Art weder anerkennen, noch finanzieren oder subventionieren (Art. 2 Abs. 1). Gemäss Art. 18 ff. können sich Religionsgemeinschaften einzig in einer dafür vorgesehenen privatrechtlichen Rechtsform (association cultuelle) organisieren, was insbesondere die römisch-katholische Kirche lange nicht akzeptierte. Sie vermochte gewisse Konzessionen durchzusetzen, so dass auch Frankreich die absolut strikte Trennung auf Dauer nicht durchhalten konnte (:96). Obwohl der Laizismus in Art. 2 Abs. 1 der Verfassung der Französischen Republik vom 28. September 1958 (vgl. Anhang) verankert ist und das Trennungsgesetz nie geändert wurde, herrscht heute keine radikale Trennung mehr. Statt von allgemeinem Laizismus wird vom „Laizismus des Staates“ gesprochen; der Staat wird immer noch als religiös und weltanschaulich absolut neutral betrachtet, religiöse Sachverhalte werden aber nicht mehr einfach ignoriert (:101). Seit 1959 gibt es staatlich organisierte Militär- und Anstaltsseelsorge, kirchliche Privatschulen werden staatlich mitfinanziert, es gibt wieder religiöse Erziehung in der Schule, und kirchliche Sozial- und Fürsorgetätigkeit wird honoriert (Sahlfeld 2004:26-27). Zwar gilt Frankreich immer noch als der laizistische Staat schlechthin, aber auch dort hat eine Annäherung in Richtung des religiös neutralen Staates (vgl. Abschnitt 4.2.4) stattgefunden.

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4.2.4 Der religiös neutrale Staat am Beispiel Deutschlands Der religiös neutrale Staatstyp praktiziert eine übergreifende, offene Neutralität. Die Religion kann sich auch im öffentlichen Bereich (z. B. Schule) entfalten, wo Bekenntnis und Möglichkeit der Lebensführung gemäss der Religion zugelassen sind, soweit die Grenzen beachtet werden. (Böckenförde 2007:14-15). Er wird auch als „Kooperationssystem“ oder „Modell der Partnerschaft“ bezeichnet (Karlen 1988:103-104). Das Verhältnis zwischen Staat und Religion ist in diesem Typ bedeutend differenzierter als beim religionslosen Staat oder bei Staatstypen ohne Religionsfreiheit. Der Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft soll ausgeglichen werden (:104-105). Die Religionsfreiheit sichert nicht nur die individuelle Freiheitssphäre, sondern sie verlangt auch nach einem freiheitlichen Religionsrecht; mithin kann die Religionsfreiheit ein Recht auf staatliche Leistungen begründen, welche ihrer eigenen Ausübung dienen (:107). Wie der religionslose überlässt auch der religiös neutrale Staatstyp die Suche nach der religiösen Wahrheit jedem einzelnen Menschen, im Gegensatz zu ersterem anerkennt er aber eine öffentliche Bedeutung der Religion, vergleichbar mit anderen kulturellen Bereichen, wie Theater, Film, Musik, Kunst oder Sport (:107). Die Religion erhält eine öffentliche Funktion im Gemeinwesen. Sie gehört zu einem Bereich der nichtstaatlichen Öffentlichkeit, zusammen mit vielen weiteren gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden, die wichtige öffentliche Aufgaben wahrnehmen (:113). Dem Staat selber ist es verwehrt, für bestimmte Religionen oder Weltanschauungen Partei zu ergreifen, aber er interessiert sich dennoch für sie, sie sind ihm nicht gleichgültig (:115-116). Ein häufiger Diskussionspunkt bei diesem Typ ist die Frage, wie sich Religionsgemeinschaften organisieren sollen. In vielen europäischen Ländern wird es den grossen Religionsgemeinschaften gestattet, öffentlich-rechtliche Organisationsformen beizubehalten, während die kleineren privatrechtlich organisiert sind. Karlen (1988:108) erscheint diese Ordnung am adäquatesten. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass dadurch eine mindestens implizite Bevorzugung der öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften besteht (vgl. Abschnitt 4.3.8). Deutschland hat dieses Problem elegant gelöst, indem der Staat den Religionsgemeinschaften, welche bestimmte Mindestbedingungen erfüllen, die Wahl zwischen der privatrechtlichen und der öffentlich-rechtlichen Form lässt. Entscheidend sind dabei die drei Kriterien Verfassung der Religionsgemeinschaft, beinhaltend die Intensität des religiösen Lebens, den institutionellen Aufbau und den finanziellen Zustand, Zahl der Mitglieder, wobei in der Regel mindestens ein Tausendstel der Einwohner des betreffenden Bundeslandes verlangt wird, sowie Beständigkeit, die angenommen wird, wenn die Religionsgemeinschaft seit mindestens 30 Jahren besteht (Sahlfeld 2004:22). Eine Aufhebung des Körperschaftsrechts ist gegen den Willen der betroffenen Religionsgemeinschaft nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich (:23). Dieses System wurde als Mittel zur Erleichterung und Entfaltung der Religionsfreiheit geschaffen (BVerfG 2 BvR 1500/97, 87). © IGW International

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Das Recht der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht toter Buchstabe geblieben. So weisen heute neben den beiden grossen Kirchen zahlreiche evangelische Freikirchen sowie weitere Religionsgemeinschaften, ja sogar areligiöse Weltanschauungsgemeinschaften diese Organisationsform auf (Sahlfeld 2004:23; Wikipedia Autoren, Körperschaftsstatus, unter Beispiele für Religionsgemeinschaften mit „Körperschaftsstatus“). Abgesehen von diesen Grundregeln überlässt Deutschland den Religionsgemeinschaften ihre Organisation und Verwaltung gänzlich selber; auch für öffentlich-rechtlich organisierte Kirchen gibt es keine Staatsaufsicht mehr. Die Bundesländer regeln den weltlichen Rechtsverkehr mit ihnen häufig vertraglich (Karlen 1988:109-110).

4.2.5 Würdigung der Typen religiöser Neutralität Es hat sich gezeigt, dass die grundsätzliche Trennung von Religion und Staat zu einem wertvollen und unabdingbaren Grundsatz geworden ist. Der Staat und die Religionsgemeinschaften haben unterschiedliche Aufgaben und unterschiedliche Mittel, sie sind aber beide in der gleichen, diesseitigen Wirklichkeit tätig. Es ist daher ungünstig, wenn sie sich – wie es in Frankreich versucht wurde – vollständig voneinander abgrenzen und nichts voneinander wissen wollen (vgl. Friederich 1993:227-228). Daraus würde faktisch eine Förderung der religiösen Haltung Atheismus resultieren, womit der Staat gerade nicht religiös neutral wäre. Vielmehr braucht es ein Miteinander von Kirchen und Staat, einen konstruktiven Dialog. Es geht um eine Abgrenzung der Zuständigkeiten (Friederich 1993:327-328) und um die Nichtidentifikation des Staates mit einem bestimmten Bekenntnis (:330). Der Staat soll in positiver Weise vom Glauben seiner Bürger Kenntnis nehmen (:333). Er soll die Leistungen, welche die Religionsgemeinschaften für ihn bringen, anerkennen (:338). Gespräch und Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften sind durchaus zulässig und erwünscht, solange sie gegenüber allen Religionen unparteiisch erfolgen. Daher ist Böckenförde (2007:20) Recht zu geben, wenn er den strengen, religionsfeindlichen Laizismus nur als eine Minderform des Verhältnisses von Kirchen und Staat bezeichnet, und für eine offene, übergreifende Neutralität plädiert, so wie sie Deutschland praktiziert oder wie sie sich weitgehend in den USA entwickelt hat. Beides sind meines Erachtens legitime und taugliche Modelle. Welchem der beiden sich ein Staat zuneigen will, hängt stark von seiner Geschichte und dem Umfeld ab. Mehr dazu werde ich für das Beispiel der Schweiz in Abschnitt 4.3.8 ausführen.

4.3 Die Religionsfreiheit in der Schweiz 4.3.1 Entstehungsgeschichte Nachdem die Verfassung der Helvetischen Republik die Religionsfreiheit vorgesehen hatte, verschwand sie im Jahr 1803 wieder aus der Schweiz (Karlen 1988:35). Auch die erste Verfassung der modernen Schweiz von 1848 sah noch keine Religionsfreiheit vor. Sie entstand unmittelbar nach

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dem Sonderbundkrieg zwischen den katholischen und den liberalen Kantonen, mithin in einem Klima, in welchem das Hauptanliegen die Schaffung von Religionsfrieden zwischen den katholischen und den reformierten Kantonen war. Andere Religionen als die beiden grossen christlichen Konfessionen waren noch kein Thema. Konsequenterweise gewährleistete Art. 44 Abs. 1 BV18488 die freie Ausübung des Gottesdienstes lediglich den anerkannten christlichen Konfessionen, nicht aber den Freikirchen und anderen Religionen. Im Jahr 1865 beschloss die Bundesversammlung eine Verfassungsänderung, die volle Religionsfreiheit gebracht hätte (für die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften in den Schranken der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung). Sie wurde jedoch am 14. Januar 1866 von Volk und Ständen abgelehnt (BBl 1866, 117). Immerhin erhielten aber bei der gleichen Volksabstimmung auch nichtchristliche Schweizer die volle Niederlassungsfreiheit, weil ein Abkommen mit Frankreich über die jüdische Bevölkerung dies erforderte (Sahlfeld 2004:41). Erst die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 brachte der Schweiz die Religionsfreiheit (Art. 49 und 50 BV1874), wobei allerdings der Sorge um den Religionsfrieden entspringende Einschränkungen wie das Jesuitenverbot eingefügt wurden (Art. 51 und 52 BV 1874). In der Kulturkampfzeit des 19. Jh. war der Gegensatz zwischen evangelisch und katholisch geprägter Politik zentral. So kam es damals in der Schweiz noch mehrfach vor, dass der Staat unliebsame Bischöfe der römisch-katholischen Kirche absetzte (Winzeler 2005:2-3). Heute ist dies kein Thema mehr. Mit den Einwanderungsschüben seit dem Zweiten Weltkrieg begann die Schweiz zu einer mulitreligiösen Einwanderungsgesellschaft zu werden, die sich mit den Problemen der Integration von Menschen befassen muss, die aus fremden Kulturkreisen stammen und anderen Religionen angehören (:5-6). Damit ist sie in guter Gesellschaft. Kälin (2000:30) hat in verschiedenen Staaten Gerichtsurteile zu interkulturellen Fragen analysiert und ist zum Schluss gekommen, dass die grosse Mehrheit davon das Grundrecht der Religionsfreiheit betreffen. In der Zwischenkriegszeit wurden erstmals grundlegende Menschenrechte in völkerrechtlichen Verträgen festgehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein rascher Ausbau, welcher dazu führte, dass die Menschenrechte heute zu einem verbindlichen Massstab des Völkerrechts geworden, mithin der autonomen Domäne der einzelnen Staaten entzogen sind (Friederich 1993:250). Die Religionsfreiheit ist insbesondere in folgenden Verträgen der UNO geregelt: Art. 18 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (keine Rechtsverbindlichkeit), Art. 18 Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II, rechtsverbindlich für die Schweiz seit 18. September 1992, unkündbar). Sehr wichtig ist auch Art. 9 EMRK (rechtsverbindlich für die Schweiz seit 28. November 1974), da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine reiche Rechtsprechung zu diesem Grundrechtskatalog entwickelt hat. Sowohl die EMRK als auch der UNO-Pakt II sind direkt anwendbar (BBl 2009, 7630).

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Alle in diesem Kapitel zitierten Texte von Verfassen und Staatsverträgen sind im Anhang wiedergegeben.

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Am 1. Januar 2000 ist die neue Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Kraft getreten. Ihr Ziel war es in erster Linie, das Recht der alten Verfassung nachzuführen, mithin vollständiger und übersichtlicher darzustellen. Namentlich sollte auch die richterliche Rechtsfortbildung, die seit 1874 stattgefunden hatte, im Verfassungstext niedergeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund wurde Art. 15 BV formuliert, welcher die Religionsfreiheit entsprechend der alten Terminologie weiterhin als Glaubens- und Gewissensfreiheit bezeichnet. Der Bundesrat führte in der Botschaft aus, dass der neue Verfassungstext das Schwergewicht auf diese individualrechtlichen Aspekte der Religionsfreiheit lege, auf Kosten der Garantie des religiösen Friedens, die heute nicht mehr im gleichen Mass gefährdet erscheine, wie in der Vergangenheit (BBl 1997 I 1, S. 155). Insgesamt hat sich die Religionsfreiheit in der Schweiz von eingeschränkten Regelungen, welche nach dem Sonderbundkrieg den Frieden zwischen den grossen christlichen Konfessionen sicherstellen sollten, hin zu einer umfassenden Gewährleistung entwickelt. Hierzu hat – neben den abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen – namentlich die Rechtsprechung des Bundesgerichts beigetragen. Diese werde ich in den folgenden Abschnitten kurz diskutieren und dabei auch den Stand der Lehre nicht ausser Acht lassen. Begonnen sei aber mit einer kurzen Darlegung der einschlägigen Art. 15, Art. 36 und Art. 72 BV sowie mit der Frage, was man unter einer Religion oder einem Glauben im Rechtssinn überhaupt versteht.

4.3.2 Kurze Darlegung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen Art. 15 Abs. 1 BV garantiert die Religionsfreiheit an sich bereits umfassend. Wie das Verfassungsrecht der USA zeigt, würde diese Formulierung, konkretisiert durch die Rechtsprechung, eigentlich bereits genügen (vgl. Abschnitt 4.2.2). Der Verfassungsgeber hat sich dennoch zu einer sanften Konkretisierung im Text entschlossen. Art. 15 Abs. 2 und 3 BV enthält dabei den positiven Teilgehalt der Religionsfreiheit (was darf man tun), Abs. 4 den negativen Teilgehalt (was muss man sich nicht gefallen lassen). Der gesamte Verfassungsartikel lässt sich auch in drei andere Teilgehalte aufteilen, nämlich das Gebot der staatlichen Neutralität (vgl. Abschnitt 4.3.4), den individuellen Teilgehalt (vgl. Abschnitt 4.3.5) und den korporativen Teilgehalt (vgl. Abschnitt 4.3.6). Einschränkungen von Grundrechten sind gemäss Art. 36 BV möglich, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sind, die Einschränkung verhältnismässig ist und der Kerngehalt des Grundrechts unverletzt bleibt. Zum unverletzlichen Kerngehalt der Religionsfreiheit gehört nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts u. a. die Freiheit, einen religiösen Glauben zu haben, zu ändern oder nicht zu haben (inkl. des Rechts des jederzeitigen Austritts aus einer Religionsgemeinschaft) oder das Verbot, jemanden zu zwingen, ein Bekenntnis anzunehmen (Winzeler 2005:35-36). Der klassische, direkt in der Bundesverfassung vorgesehene, Fall einer zulässigen Einschränkung der Religionsfreiheit betrifft polizeiliche Massnahmen zur Wahrung des konfessionellen bzw. religiösen Friedens oder der öffentlichen Ordnung (Art. 72 Abs. 2 BV). In einem konkreten Fall hat das Bun© IGW International

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desgericht zudem eine gesetzliche Vorschrift des Kantons Basel-Stadt gutgeheissen, mit welcher die Bevölkerung vor täuschenden und unlauteren Anwerbepraktiken (konkret der ScientologyKirche) geschützt werden soll (BGE 125 I 369). Die Frage des Kerngehalts des korporativen Teilgehalts der Religionsfreiheit werde ich in Abschnitt 4.3.6 behandeln. Art. 72 Abs. 1 BV schliesslich statuiert, dass die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche (korrekter eigentlich Staat und Religionsgemeinschaften) den Kantonen obliegt. Mehr dazu folgt in Abschnitt 4.3.8.

4.3.3 Was ist eine Religion bzw. ein Glaube? Mit der Aufnahme der Religionsfreiheit in die Verfassungen wurden die Begriffe „Religion“ bzw. „Glaube“ zu Rechtsbegriffen, denn es ist zu definieren, was die Religionsfreiheit überhaupt schützt (Winzeler 2005:9). Es fällt auf, dass weder die Verfassungen, noch die internationalen Konventionen diese Definitionen vornehmen. Damit obliegt dies der Gerichtspraxis (Sahlfeld 2004:102). Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass der religiös neutrale Staat keine Bewertungen der Religionen als solche vornehmen darf. Auch die Definition der Rechtsbegriffe „Religion“ und „Glaube“ ist von einem neutralen Standpunkt aus vorzunehmen, andernfalls würde die Religionsfreiheit ausgehöhlt. Wie Pahud de Mortanges (1997:768) festhält, entspricht es „gerade der Idee der Religionsfreiheit, dass die Anhänger von Lehren, welche eine Mehrheit der Bevölkerung für absonderlich oder gar abstrus hält, diese leben und bezeugen können.“ Ausgangspunkt der Prüfung, ob es sich bei einer Lehre um eine Religion handelt, muss das Selbstverständnis der Menschen sein, welche für ihren Glauben die Religionsfreiheit beanspruchen wollen, denn nur sie selber können bestimmen, was ihre eigenen religiösen Überzeugungen sind (Kälin 2000:139). Allerdings kann nicht alleine darauf abgestellt werden, denn sonst verkäme die Religionsfreiheit zu einer allgemeinen Handlungsfreiheit, welche gerade die echten Religionen nicht mehr ausreichend schützen könnte (Karlen 1988:204). Daher muss ein Glaubensbekenntnis nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts „eine gewisse grundsätzliche, weltanschauliche Bedeutung erlangen, somit einer Gesamtsicht der Welt entsprechen“, um den Schutz der Religionsfreiheit beanspruchen zu können (BGE 119 Ia, E. 4b). Geschützt sind „Weltanschauungen, soweit sie Ausdruck des Religiösen oder Transzendenten sind und eine Gesamtschau des Lebens zum Gegenstand haben“ (BGE 119 IV 260, E. 3b/aa). Problematischer ist die Erfassung säkularer Weltanschauungen. Dass Atheismus unter dem Schutz der Religionsfreiheit steht, ist heute wohl unbestritten, da die Ablehnung göttlicher Existenz selber ein Ausdruck des Religiösen ist. Wie verhält es sich aber z. B. mit einem Menschen, der Pazifismus als seine grundsätzliche Weltanschauung betrachtet? Hier fehlt der Ausdruck des Religiösen oder Transzendenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelte einen Fall, in welchem eine britische Pazifistin Flugblätter verteilte, mit denen sie Soldaten davon abbringen wollte,

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nach Nordirland zu gehen. Er entschied, dass die Weltanschauung (der Glaube) Pazifismus von der Religions- und Glaubensfreiheit gemäss Art. 9 EMRK erfasst ist. Allerdings wies er die Beschwerde dennoch ab, weil das fragliche Verhalten keine Ausübung des Glaubens Pazifismus war, sondern lediglich davon beeinflusst (EGMR 7050/75, Arrowsmith v. United Kingdom).9 Der Bezug auf einen Ausdruck des Religiösen oder Transzendenten ist zwar tauglich, um zu definieren, was Religion ist, er reicht aber nicht aus, um den Schutzbereich der gesamten Religionsund Glaubensfreiheit im Rechtssinn festzulegen. Dieser kann definiert werden als umfassende Vorstellungen vom Sinn der menschlichen Existenz, ungeachtet dessen, ob dabei ein Gott, mehrere Götter oder gar kein Gott im Spiel ist (Karlen 1988:201). Dies entspricht auch dem Verständnis des UNO-Menschenrechtsausschusses (Sahlfeld 2004:102). Diese Definition ist sachgerecht und neutral, auch wenn freilich Abgrenzungsprobleme weiterhin nicht ganz zu vermeiden sein werden. Zu denken ist dabei beispielsweise an Organisationen, die zwar eine weltanschauliche oder religiöse Lehre aufweisen, diese aber lediglich als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele verwenden, wie es etwa bei der Scientology-Kirche diskutiert wird (Pahud de Mortanges 2007:768).

4.3.4 Gebot der staatlichen Neutralität Das Bundesgericht hielt in einem Fall zur Gottesdienstordnung im Strafvollzug im Jahr 1987 erstmals fest, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Kultusfreiheit den Staat zu religiöser Neutralität verpflichten (BGE 113 Ia 304, E. 4c). In Pra 87 (1998) Nr. 47, E. 4b/bb führte es dann aus: Die Glaubens- und Gewissensfreiheit verpflichtet den Staat, konfessionelle und religiöse Neutralität einzuhalten; der Einzelne kann sich diesbezüglich auf ein Individualrecht berufen… Der Staat beschränkt die Religionsfreiheit, wenn er auf unzulässige Weise, vor allem durch finanzielle Unterstützung eines der Protagonisten, in Kontroversen religiöser oder metaphysischer Art Partei nimmt… Das Neutralitätserfordernis ist indessen nicht absolut, was das – zulässige – Bestehen von öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen beweist… Der Sinn der Neutralität besteht nicht darin, in der Staatstätigkeit jedes religiöse oder metaphysische Moment auszuschliessen; eine antireligiöse Haltung, wie ein kämpferischer, sogar irreligiöser Laizismus ist ebensowenig neutral. Die Neutralität bezweckt, dass alle in einer pluralistischen Gesellschaft bestehenden Überzeugungen unparteiisch berücksichtigt werden. Der Grundsatz, wonach der Staat niemanden aus religiösen Gründen bevorzugen oder benachteiligen darf, hat allgemeine Tragweite…

Das Bundesgericht hat die staatliche Neutralität somit als eine der Grundfesten der Religionsfreiheit anerkannt. Entsprechend meiner Würdigung der Typen religiöser Neutralität (Abschnitt 4.2.5)

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Arrowsmith gilt auch heute noch als Leitentscheid. Darüber hinaus hat der EGMR eine reiche Rechtspre-

chung zu diesem Thema entwickelt, in welcher jeweils Einzelfragen behandelt werden. Für eine Übersicht sei auf Sahlfeld (2004:129-155) verwiesen. © IGW International

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ist es der Meinung, dass trotz der prinzipiellen Trennung von Religion und Staat kein religionsfeindlicher Laizismus nach französischem Muster anzustreben ist. Gemäss heutigem Stand der Schweizer Lehre und Rechtsprechung lässt sie sich die religiöse Neutralität des Staates wie folgt zusammenfassen: Der Staat darf sich mit keiner Religion oder religiösen Haltung identifizieren, er darf weder eine oder mehrere davon bevorzugen noch benachteiligen (Sahlfeld 2004:109). Er hat sich „jeder eigenen Stellungnahme, Bewertung oder Einmischung in Glaubensfragen und damit jeder Parteinahme für oder gegen ein Bekenntnis, eine Kirche oder Glaubensgemeinschaft“ zu enthalten (Friederich 1993:323). Die Aufgaben der Neutralität sind die Sicherung des inneren Friedens und der für die Entfaltung der Religion und Weltanschauungen der Privaten und ihrer Organisationen nötigen Freiräume sowie die Erleichterung der Identifikation der Einzelnen mit dem Frieden und Freiheit schaffenden Staat (Kälin 2000:37). Das Ziel ist kein religionsfeindlicher Laizismus, sondern eine offene, übergreifende Neutralität des Staates. Die Frage, wer die Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften vornehmen darf (sog. „Kompetenz-Kompetenz“), ist in den säkularisierten Staaten als Folge der im kirchengeschichtlichen Teil geschilderten Ereignisse klar zugunsten des Staates entschieden worden (Friederich 1993:186). Dies ist auch richtig, denn wenn jede Religionsgemeinschaft selber entscheiden würde, wo die Kompetenzlinie zu ziehen ist – wie es etwa Papst Leo XIII. wollte (:195) – ergäbe sich ein Sammelsurium verschiedenster Abgrenzungen. Teilweise postuliert die Lehre neben der Neutralität auch die Parität des Staates. Darunter wird das „Verbot ungerechtfertigter, nämlich konfessionell motivierter Privilegierung oder Diskriminierung“ von Religionsgemeinschaften verstanden, wobei die Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund sachlicher säkularer Kriterien wie Grösse, Struktur, Verbreitung, soziale Betätigung usw. zulässig ist (:345). Die Rechtsprechung verwendet diesen Begriff jedoch nicht, und bei einer umfassend verstandenen Neutralität des Staates kann getrost darauf verzichtet werden (:350). Das Gebot der Toleranz richtet sich heute nur noch ausnahmsweise direkt an den Staat, nämlich dann, wenn dieser – etwa an der Schule – religiöse oder andere Werte vermittelt. So hat das Bundesgericht in Pra 81 (1991) Nr. 72, E. 6a ausgeführt: „Die Geltung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Schule kann hauptsächlich durch Toleranz garantiert werden.“ Im Übrigen fungiert der Staat heute eher als „Hüter der Toleranz“, der „für einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen einzelner religiöser Gruppen und Gemeinschaften zu sorgen“ hat (Friederich 1993:355) und dabei ein „Optimum an positiver Freiheit“ anstreben soll (:356).

4.3.5 Individueller Teilgehalt der Religionsfreiheit Getreu der Ausgestaltung der Religionsfreiheit als Individualrecht (vgl. die in Abschnitt 4.2.3 geschilderte Entwicklung in Europa) gilt auch in der Schweiz der Mensch als Ausgangspunkt der Religionsfreiheit. Er ist vor staatlichem Zwang in Bezug auf die Religionsausübung zu schützen,

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und es muss ihm Raum zur freien Entfaltung und Ausübung seiner religiösen Überzeugungen gegeben werden (Friederich 1993:223), wozu z. B. die Gestaltung seiner Beziehung zu Gott gehört. Gemäss BGE 118 Ia 46, E. 4c umfasst die verfassungsmässig garantierte Religionsfreiheit in Bezug auf ihren individuellen Teilgehalt das Recht, eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu haben, sowie diese, innerhalb gewisser Schranken, zu äussern, zu verbreiten und zu praktizieren. Sie schützt den Einzelnen und die Religionsgemeinschaften vorab vor unerlaubtem Zwang durch den Staat. Gegenüber Privaten entfaltet dieses Grundrecht keine unmittelbare Wirkung; eine sogenannte Drittwirkung besteht nur indirekt in dem Sinne, dass bei der Auslegung von offenen Klauseln im Privat- und Strafrecht gegebenenfalls auch der Gehalt dieses Grundrechtes mitzuberücksichtigen ist… Da die Religionsfreiheit u. a. das Recht enthält, für eine bestimmte Religion zu werben, um neue Anhänger zu gewinnen bzw. solche einem andern Glauben abzuwerben, muss sie folgerichtig auch die Befugnis zur Kritik an andern Glaubensauffassungen in sich schliessen… Die Schranken, welche Private bei solchen kritischen Auseinandersetzungen zu beachten haben, ergeben sich aus den einschlägigen Vorschriften des Straf- und Zivilrechts…, und sie sind in den entsprechenden Verfahren durchzusetzen.

Die meistdiskutierten Gerichtsurteile über den individuellen Teilgehalt betreffen zurzeit die öffentlichen Schulen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts dazu ist zwar noch etwas uneinheitlich (Winzeler 2008:118), es lassen sich aber doch klare Tendenzen erkennen. So geniesst die religiöse Neutralität der staatlichen Schule eine hohe Priorität, weshalb z. B. kein Kruzifix des katholischen Glaubens im Schulzimmer hängen darf (BGE 116 Ia 252). Heikler ist die Frage des Verhaltens des Lehrpersonals. Dieses hat in der Regel selbst irgendeine religiöse Überzeugung, ist jedoch Staatspersonal, weshalb seine eigene aktive Religionsfreiheit vor dem Prinzip der religiösen Neutralität zurücktreten muss. Allerdings ist es unvermeidbar und zu akzeptieren, dass die religiösen Überzeugungen der Lehrer einen gewissen Einfluss auf den Unterricht nehmen. Auch müssen sie ihre Konfession nicht derart verleugnen, dass sie nicht mehr erkennbar ist. Disqualifikationen aufgrund der Konfession sind natürlich ohnehin nicht zulässig (Pra 87 (1998) Nr. 47, E. 4b/bb). Dennoch darf vom Lehrpersonal Zurückhaltung verlangt werden. Insbesondere hat es das Tragen religiöser Kleidungsstücke, wie eines Kopftuchs, einer Soutane oder einer Kippa zu unterlassen (E. 4d). Den Schülerinnen ist es in der Schweiz – im Gegensatz zum laizistischen Frankreich – aber erlaubt, ein muslimisches Kopftuch zu tragen (Winzeler 2008:18). Ferner hat das Bundesgericht im Jahr 2008 zwei interessante Fälle entschieden. So darf ein Angehöriger der Adventisten des Siebten Tages verlangen, die Maturitätsprüfung nicht an einem Samstag ablegen zu müssen (Pra 97 (2008) Nr. 114). Hingegen ist es zulässig, islamische Kinder dazu zu verpflichten, den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zu besuchen, vor allem, weil es sich um ein obligatorisches Schulfach handelt und ein genereller Dispens der Integration der muslimischen Bevölkerungsgruppe zuwiderlaufen würde (BGE 2C.149/2008, E. 7.2). © IGW International

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4.3.6 Korporativer Teilgehalt der Religionsfreiheit Ein positives Grundrechtsverständnis kann nicht übersehen, dass der Schutz der Glaubensentfaltung des Einzelnen nicht ausreicht. Die meisten gläubigen Menschen wollen ihren Glauben nicht nur alleine, sondern auch zusammen mit Anderen ausleben. Daher muss der Glaubensentfaltung in der Gemeinschaft angemessen Rechnung getragen werden (Friederich 1993:224). Im Sinne einer Freiheit des Einzelnen, den Glauben kollektiv ausüben zu dürfen, war dies eigentlich schon lange unbestritten (:225). Besonders vor dem Hintergrund des individualrechtlich formulierten Schweizer Verfassungstexts (vgl. Abschnitt 4.3.1) stellt sich aber auch die Frage nach der echten kollektiven Dimension der Religionsfreiheit – können sich neben den einzelnen Menschen auch die Religionsgemeinschaften darauf berufen? Haben sie ein Selbstbestimmungsrecht? Die Bundesversammlung hat es zwar beim Erlass der BV1874 abgelehnt, ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen explizit in den Verfassungstext aufzunehmen, dies lag aber in erster Linie an den Bemühungen um die Eingrenzung der weltlichen Macht der römisch-katholischen Kirche. Die Materialien zeigen, dass der Verfassungsgeber das Prinzip kirchlicher Freiheit als solches bereits damals ausdrücklich bekräftigt hat (Friederich 1993:367). Dennoch hat das Bundesgericht das Selbstbestimmungsrecht lange abgelehnt (BGE 4 536; BGE 35 I 335; BGE 52 I 116), wenn auch mit BGE 36 I 374 im Jahr 1910 ein kurzer Lichtschein aufblitzte. Erst im Jahr 1969 änderte es seine Praxis endgültig, indem es mit BGE 95 I 350, S. 354 entschied, dass sich juristische Personen, „die selber religiöse und insbesondere kirchliche Zwecke verfolgen, wie es bei den sogenannten Freikirchen der Fall ist“, auf die Religionsfreiheit berufen können. Es befreite sie daher von der Zahlung von Kirchensteuern an die Landeskirchen. Im Jahr 1992 entschied das Bundesgericht dann deutlich, dass die Religionsfreiheit den Einzelnen und die Religionsgemeinschaften vor unerlaubtem Zwang durch den Staat schützt (BGE 118 Ia 46, E. 4c). Auch auf Ebene der EMRK ist heute anerkannt, dass sich Kirchen auf die Religionsfreiheit berufen können (Friederich 1993:454-455). Trotz dieser Entwicklung verneint ein Teil der Lehre das Selbstbestimmungsrecht bei den öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen immer noch, weil die öffentlich-rechtliche Organisationsform und die Verleihung von Hoheitsrechten (besonders das Recht zur Erhebung von Steuern) die Kirche zu einer staatlichen Organisation mache und dem Staat kein Grundrecht gegen sich selbst zustehen könne (Winzeler 2005:42). Diese Haltung ist mit der Konzeption und dem Schutzobjekt der Religionsfreiheit jedoch unvereinbar und wird zu Recht zunehmend kritisiert (vgl. die Darstellung der Diskussion und die Beispiele aus der Rechtsprechung bei Winzeler 2005:42 ff.). Wie Friederich (2003:466) richtig ausführt, kommt „den Kirchen des öffentlichen Rechts faktisch die gleiche Aufgabe [zu] wie privatrechtlich organisierten Gemeinschaften: Beide dienen der Entfaltung individueller Grundrechtlichkeit.“ Somit kann der religiös neutrale Staat in dieser Hinsicht auch keine Unterschiede in seinem Verhältnis zu privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen machen (vgl. aber zur Grundrechtsbindung bei der Ausübung der Hoheitsrechte Abschnitt 4.3.7).

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Das Selbstbestimmungsrecht umfasst zunächst die Formulierung, Ausübung und innerkirchliche Durchsetzung eines Glaubensbekenntnisses (EKMR 7375/79, X. v. Dänemark). Es ist Friederich (1993:390-392) beizupflichten, dass zur Durchsetzung auch das Recht gehört, Mitglieder aus theologischen Gründen auszuschliessen bzw. Beitrittsgesuche abzulehnen. Sodann hat jede Religionsgemeinschaft das Recht, sich unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Rechtsformen zu inkorporieren, in der Schweiz also eine privatrechtliche Rechtsform (in der Regel Verein) zu wählen oder sich beim jeweiligen Kanton um die öffentlich-rechtliche Anerkennung zu bewerben (:386-387). Ebenfalls geschützt ist das Recht des kirchlichen Wirkens, bestehend aus den eigentlichen gottesdienstlichen Handlungen, aber auch Diakonie, Evangelisation, Mission usw. (:395-396). Friederich (1993:396) weist darauf hin, dass das Recht, selber über die Ausbildung der Geistlichen zu entscheiden, gemäss der Praxis nur Freikirchen zukomme. Diese Auslegung mag der herrschenden Lehre entsprechen und wird namentlich bei den evangelischen Theologiefakultäten praktiziert (Winzeler 2005:140-141), sie widerspricht meines Erachtens aber dem Wortlaut des einschlägigen BGE 97 I 116, E. 3b, der keinen solchen Vorbehalt enthält. In jedem Fall diskriminiert sie die öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen und ist daher abzulehnen. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die theologische Lehre von einer bekenntnisgebundenen Theologie zu einer reinen Religionswissenschaft entwickelt (vgl. Scheuner, zitiert nach Winzeler 2005:139-140). Damit kann sich die gesamte theologische Ausrichtung einer Religionsgemeinschaft verändern, ohne dass diese selber Einfluss darauf nehmen kann. Das ist inakzeptabel. Entgegen der von Winzeler (2005:56) als vertretbar erachteten Ansicht bin ich der Meinung, dass der Kerngehalt der Religionsfreiheit in jedem Fall auch den korporativen Teilgehalt erfassen muss, denn es ist nicht einzusehen, warum Art. 36 Abs. 4 BV gerade bei der Religionsfreiheit nur einen Teil des Grundrechts umfassen soll. Der diesbezügliche Kerngehalt sollte mindestens das Recht auf Gründung einer juristischen Person mit entsprechendem Zweck sowie die Formulierung des eigenen Glaubensbekenntnisses umfassen).

4.3.7 Grundrechtskonformität der religiösen Lehre Einige Autoren sind der Meinung, dass der demokratische Staat von allen Religionsgemeinschaften und religiösen Akteuren erwarten dürfe, dass sie „ihre Lehren freiheitsverträglich und grundrechtskonform interpretieren“ (Müller 2008:48). Müller (:49) schreibt weiter: „Eine Bezugnahme auf heilige Texte im absolutistisch-normativen Sinne, die eine Disqualifizierung einer anderen Religion nach sich zieht, ist auf keiner Stufe der Öffentlichkeit zulässig...“ Nun ist es aber eine unbestreitbare Tatsache, dass die meisten Religionsgemeinschaften davon ausgehen, dass sie die Wahrheit verkünden. Soweit es dabei um heilsrelevante Kerngrundsätze geht, ist damit fast immer eine gegenseitige Disqualifizierung aller anderen Religionen verbunden. Das ist unvermeidlich. Ein Dialog zwischen den Religionen soll und muss stattfinden; der Staat darf dies durchaus auch unterstützen. Hingegen kann es nicht sein, dass er den Religionsgemeinschaften © IGW International

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vorschreibt, wie sie ihre heiligen Texte zu interpretieren haben. Andernfalls würde die Religionsfreiheit ad absurdum geführt und die Neutralität des Staates aufgehoben. Die Frage, welche der Staat untersuchen muss, ist einzig, ob die Religionen trotz ihres Wahrheitsanspruches die Grundsätze der Religionsfreiheit und des säkularisierten Staates akzeptieren können (vgl. Abschnitt 4.1.5). Eine kleine Einschränkung ist bei den öffentlich-rechtlich organisierten Kirchen zu machen. Sofern und soweit sie hoheitliche Tätigkeiten (z. B. Steuererhebung) ausüben, sind sie an die Grundrechte gebunden, denn die Grundrechte sind gerade dazu da, die Menschen vor unkontrollierter Ausübung hoheitlicher Tätigkeit zu schützen. Darüber hinaus müssen aber auch die öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften vom Korsett der Grundrechtsgewährleistung frei sein. Die Anerkennung macht die Religionsgemeinschaft nicht zu einem Teil des Staates, denn sonst würde der Staat wieder selbst Religion betreiben. Sie ist lediglich ein Gefäss, das im europäischen Umfeld aus historischen Gründen den grossen – und in Deutschland aus Gründen der Praktikabilität, Neutralität und Fairness allen – Religionsgemeinschaften zur Verfügung gestellt wird (vgl. die Abschnitte 4.2.4 und 4.3.8 sowie für Deutschland BVerfG 2 BvR 1500/97, 77-87). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es keine „Religionsfreiheit innerhalb einer Religionsgemeinschaft“ gibt. Menschen, welchen die in ihrer Religionsgemeinschaft vorherrschende Interpretation der religiösen Schriften nicht gefällt, steht es frei, den Austritt zu erklären. Die Organe der EMRK haben zudem mehrfach klargemacht, dass auch Geistliche an die Grundsätze ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft gebunden sind, und diese nicht verpflichtet ist, einen Geistlichen anzustellen, wenn er sich nicht daran halten will (vgl. Sahlfeld 2004:186-187). Selbstverständlich führt dies aber nicht dazu, dass Religionsgemeinschaften rechtsfrei wären. Kein Mensch kann auf fundamentale Existenzrechte verzichten. Hierzu gehören z. B. das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum sowie das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit (vgl. dazu auch die Kriterien bei Kälin 2000:46). Verstösst eine Religionsgemeinschaft dagegen, so muss der Staat eingreifen, wie es kürzlich in den USA gegen führende Mitglieder der Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter Day Saints zu Recht geschehen ist (vgl. Wikipedia contributors, Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter Day Saints). Ein solcher Eingriff des Staates kann sich zunächst gegen spezifische Akte der Religionsgemeinschaften richten, z. B. Nichtanerkennung von Zwangsehen (Kälin 2000:184) oder von Verträgen, welche unverzichtbare Persönlichkeitsrechte verletzen (Pahud de Mortanges 2007:769). Physische oder psychische Gewaltanwendungen, sexuelle Ausbeutungen und dergleichen sind strafrechtlich zu verfolgen (Kälin 2000:184-185). In extremen Fällen, bei welchen dauernde konkrete Gefahren für hochwertige Rechtsgüter, wie Leib und Leben oder Kindesschutz vorliegen, müsste auch das Verbot der betreffenden Religionsgemeinschaft erwogen werden (:191). Schwierige Abgrenzungsfragen ergeben sich, wenn abgeklärt werden muss, ob jemand unter Vormundschaft gestellt werden kann, um ihn

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aus einer ihn ausbeutenden Religionsgemeinschaft herauszulösen oder ob Kindesschutzmassnahmen zu ergreifen sind, etwa wenn Eltern ihren Kindern notwendige medizinische Behandlungen aus religiösen Gründen verweigern (Pahud de Mortanges 2007:769). Als nicht von den fundamentalen Existenzrechten erfasst erachte ich jedoch die meisten aus der Rechtsgleichheit abgeleiteten Fragen. Als Beispiel sei ein Fall aus Schweden angeführt: Ein freikirchlicher Pastor, der in einer Predigt die Homosexualität scharf verurteilt hatte, wurde zu einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt. In der Folge hob der Oberste Gerichtshof von Schweden (Högsta domstolen) dieses Urteil wieder auf. Weil der Pastor nicht zu Gewalt gegen Homosexuelle aufgerufen und seine Aussagen mit einschlägigen Zitaten aus der Bibel untermauert hatte, habe er nur seine Religionsfreiheit in Anspruch genommen (Anwar 2005). Dieser Entscheid ist zu begrüssen.10 Ebenso ist es nicht sachgerecht, wenn der Staat den Religionsgemeinschaften eine demokratische Struktur vorschreibt. Dies gilt meines Erachtens, entgegen der Ansicht von Sahlfeld (2004:176177) und weiteren Autoren, auch für öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften. Falls eine Religionsgemeinschaft zum Schluss kommt, dass ihre religiösen Grundlagen eine demokratische Organisation nicht befürworten, muss es ihr freistehen, dies umzusetzen, solange es ihren Mitgliedern freisteht, den Austritt zu erklären. Andernfalls mischt sich der Staat ohne Not in theologische Interpretationen ein (vgl. dazu auch Friederich 2003:419-421).11

4.3.8 Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat untersteht in der Schweiz gänzlich der Kultusfreiheit der Kantone (Art. 72 Abs. 1 BV). Immerhin ist aber zu betonen, dass sich die kantonalen Normen in jedem Fall innerhalb der Schranken der Religionsfreiheit bewegen müssen (Friederich 1993:243). Dabei sind, wie Karlen (1988:171) betont, die zeitgemässen Schutzaufgaben der Grundrechte massgebend, ungeachtet dessen, ob es eine Tradition dazu gibt oder nicht. Dies führt namentlich dazu, dass jeder Kanton das Prinzip der weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Staates beachten muss (Friederich 1993:307). Wie bei zahlreichen Zuständigkeitsbereichen der Kantone besteht eine Vielzahl verschiedener Systeme. In den unter starkem französischem Einfluss stehenden Kantonen Genf und Neuenburg

10

Damit habe ich keine Aussage darüber gemacht, ob Homosexualität mit der Bibel vereinbar ist. Ich gebe

meine Meinung dazu an dieser Stelle absichtlich nicht bekannt, um die Diskussion neutral zu halten. Meine Argumentation basiert einzig auf meinem Verständnis der Religionsfreiheit. 11

Die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts entspricht meiner Ansicht (BVerfG 2 BvR

1500/97, 91). Demgegenüber sind Recht und Praxis in den meisten Schweizer Kantonen anders; vgl. dazu etwa das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft KGE VV vom 5. September 2007 i. S. Röm.-kath. Kirchgemeinde Röschenz (810 06 199)/WIR. © IGW International

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sind Kirche und Staat getrennt (Winzeler 2005:118-121), wenn auch nicht so streng wie in Frankreich. Im Kanton Basel-Stadt gilt eine gemässigte Trennung, oft auch als „hinkende Trennung“ bezeichnet, der für die Schweiz Pioniercharakter zukommt (:93-96). Alle übrigen Kantone kennen bis heute ein System der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der grössten Religionsgemeinschaften, während die übrigen eine privatrechtliche Organisationsform zu wählen haben (vgl. die beispielhafte Übersicht bei Winzeler 2005:78-121). Wie Winzeler (:78) betont, liegt darin alleine zwar noch „keine Privilegierung der anerkannten und Diskriminierung der übrigen Religionsgemeinschaften“, allerdings kann die – je nach Kanton unterschiedliche – konkrete Ausgestaltung eine solche mit sich bringen. So gibt es in einzelnen Kantonen Regelungen, welche der Religionsfreiheit klar widersprechen, z. B. die Tatsache, dass die Möglichkeit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung im Kanton Basel-Landschaft ausdrücklich auf christliche und jüdische Religionen beschränkt ist (:92).12 Ein Anspruch auf öffentlich-rechtliche Anerkennung besteht indessen nach herrschender Lehre nicht (Rutz 2000:60), obwohl das Bundesgericht im Jahr 1898 einmal einen Kanton zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung einer Kirche verpflichtet hat (BGE 24 I 632). Das Problem dieser typisch schweizerisch zersplitterten Struktur liesse sich wohl nur nachhaltig beheben, wenn sich ihm der Bund annehmen würde. Der Evangelische Kirchenbund hat diesbezüglich die Schaffung eines Religionsartikels in der Bundesverfassung angeregt, der sich an das deutsche System anlehnt. Sahlfeld (2004:42-43) kritisiert, dies sei der „Weg des geringsten Widerstands“; die Kirchen würden im Vernehmlassungsverfahren auf Bundesebene bereits begrüsst und dieser Lösungsvorschlag schaffe zusätzliche Probleme durch die dann nötigen Kontaktaufnahmen des Bundes mit den Religionsgemeinschaften. Diese Kritik geht meines Erachtens jedoch am Kern der Sache vorbei. Es hat mit der grundsätzlichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat nichts zu tun, wenn Kirchen einfach allgemein zu Gesetzesentwürfen Stellung nehmen dürfen. Hingegen zeigt gerade die Tatsache, dass sie zur Vernehmlassung eingeladen werden, dass Kontaktaufnahmen des Bundes mit ihnen durchaus möglich sind. Wünschbar wären sie in jedem Fall, wenn auch die Kontakte mit den Kantonen zahlreicher bleiben dürften. Was die rechtliche Organisationsform angeht, so ist zu sagen, dass die von den privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften in der Regel gewählte Rechtsform des Vereins überaus flexibel und daher gar nicht so schlecht ist. Alle Garantien der Religionsfreiheit gelten auch ohne öffentlich-rechtliche Anerkennung, während das Recht der Besteuerung der Mitglieder meines Wissens von vielen Freikirchen gar nicht gewünscht ist. Die Probleme liegen weniger im rechtli-

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Ebenfalls zu nennen wäre die meines Erachtens verfassungswidrige, aber vom Bundesgericht in konstanter

Praxis gutgeheissene Tatsache, dass die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften (teilweise sogar nur eine Auswahl derselben) im Gegensatz zu den privatrechtlich organisierten das Recht haben, juristische Personen zu besteuern. Eine eingehende Diskussion würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. © IGW International

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chen Bereich, als im Ansehen und in faktischen Ungleichbehandlungen, die unter Umständen nur darin begründet sind, dass viele Menschen nicht so recht wissen, was es mit den privatrechtlich organisierten Kirchen überhaupt auf sich hat bzw. wo die Grenze zur gefährlichen Sekte verläuft (vgl. etwa die von Schaad 2000:175-176 geschilderten Probleme). Die Verweisung auch der grossen Kirchen in privatrechtliche Organisationsformen nach dem Vorbild von Frankreich dürfte indessen keine praktikable Lösung sein. Wie bei vielen anderen Themen hat Europa auch bei diesem nicht das Privileg, „auf der grünen Wiese“ beginnen zu können, wie es bei der Entstehung der USA der Fall war. Vielmehr gilt es, sich mit der Anpassung bestehender Strukturen auseinanderzusetzen. Zu abrupte Veränderungen rufen stets nach Widerstand (vgl. Karlen 1988:122). Die Lösung ist daher in einem System der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften, welche grundlegende Mindestbedingungen erfüllen, zu suchen. Dabei ist es denkbar – wie in Deutschland – mit der Anerkennung das Rechtskleid einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu verbinden, unbedingt nötig wäre dies aber nicht. Stattdessen könnte der Staat auch als Verein organisierte Religionsgemeinschaften offiziell anerkennen. Für die von Friederich (1993:187) angesprochene „Respektbezeugung“ des Staates gegenüber einer Gemeinschaft, die sich ohnehin als öffentliche Institution begreift, würde dies ausreichen. Insbesondere brächte dieses Label das Anrüchige der „nicht anerkannten Freikirche“ weitgehend zum Verschwinden (Müller 2000:189). Zudem entspräche ein solches System den modernen Tendenzen, auch Organisationen im privatrechtlichen Kleid mit öffentlichen Aufgaben zu betrauen. Als Beispiel einer nichtchristlichen Religion, die aus ähnlichen Gründen wie die Freikirchen an einer staatlichen Anerkennung interessiert wäre, sei der Islam angeführt. Er wäre auch bereit, die dafür nötigen Kriterien, wie die Schaffung eines entsprechenden Rechtskleides, zu erfüllen (Amin 2000:197-198). Man könnte also glauben, dass im Hinblick auf die Erreichung dieses Ziels christliche Freikirchen und der Islam für einmal Seite an Seite kämpfen. Dem war jedoch bei der negativ verlaufenen Abstimmung über das Anerkennungsgesetz des Kantons Zürich, welches die genannten Errungenschaften wenigstens auf kantonaler Ebene weitgehend gebracht hätte, nicht so. Die Angst vor dem Islam war gerade bei Mitgliedern von Freikirchen so stark, dass sie in grosser Zahl gegen das Gesetz stimmten (Spichiger-Carlsson 2004:7). Für weitere Anläufe wird somit Überzeugungsarbeit nötig sein. Allerdings dürfen diesbezüglich auch die Ausführungen des Abschnitts 4.1.5 nicht ausser Acht gelassen werden; spätestens beim konkreten Entscheid über die Anerkennung ist die dort erwähnte Prüfung sorgfältig vorzunehmen (vgl. Pahud de Mortanges 2000:206).

4.4 Zusammenfassung und Fazit des rechtlichen Teils Der westliche Kulturkreis besteht heute weitgehend aus säkularisierten Staaten. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass Religion und Staat grundsätzlich getrennt sind. Die Religionsgemeinschaften verfolgen geistliche, der Staat weltliche Interessen. Die drei Pfeiler der Legitimität des säkularisierten Staates sind die Erhaltung des Prinzips der religiösen Neutralität, die Gewährleistung und © IGW International

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Sicherung der menschlichen Gemeinschaft sowie die Begründung aus biblisch-theologischer Sicht. Doch kann der Staat nicht nur von seiner hoheitlichen Gewalt leben – er braucht ein Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bürger, ein Band, welches ihn zusammenhält. Gelebte Kultur, insbesondere gelebte Religion, kann ein solches Band sein. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat in Europa eine Bewegung der Migration und Pluralisierung eingesetzt, die zu einer heterogenen Vielfalt der Menschen führte, insbesondere auch hinsichtlich der Religionen. Obwohl die Religionsfreiheit nicht unter einem Kulturvorbehalt stehen darf, kann diese Durchmischung aber nicht zu einem Anspruch auf Einebnung der traditionellen Kultur eines Landes führen. Besondere Vorsicht ist zudem gegenüber Religionen geboten, welche die Trennung von Religion und Staat ablehnen und versuchen, sie abzubauen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Gegen solche Religionen muss sich der säkularisierte Staat verteidigen. Im Prozess der Entstehung der säkularisierten Staaten haben sich verschiedene Typen der Ausgestaltung des Verhältnisses von Religion und Staat herausgebildet. Die extremste Form ist der strenge Laizismus, der allerdings manche Probleme mit sich gebracht hat und selbst in seinem Mutterland Frankreich heute aufgeweicht ist. Die USA sehen sich zwar auch als religionsloser Staat, doch war die Ausgestaltung dort von Anfang an religionsfreundlicher. Zudem haben sie sich heute noch weiter dem religiös neutralen Staat angenähert, wie ihn etwa Deutschland, aber auch andere Länder Europas praktizieren. Staaten, welche diesem Typ zuneigen, anerkennen eine öffentliche Bedeutung der Religion und geben ihr entsprechenden Raum, achten dabei aber trotzdem auf eine klare Abgrenzung der Aufgabengebiete. Die Schweiz hat sich lange etwas schwer getan mit der Religionsfreiheit. Nach dem Sonderbundkrieg befasste sie sich zuerst nur mit der Gewährleistung des Religionsfriedens. Erst die Bundesverfassung von 1874 sah die Religionsfreiheit vor, garantierte sie allerdings noch nicht in vollem Mass. Die Einschränkungen entfielen erst nach und nach. Die geltende Bundesverfassung der Schweiz gewährleistet die Religionsfreiheit umfassend. Sie beinhaltet insbesondere das Recht, eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu haben, sowie diese, innerhalb gewisser Schranken, zu äussern, zu verbreiten und zu praktizieren. Zudem schützt sie vor religiösem Zwang. Heute ist anerkannt, dass sich Religionsgemeinschaften ebenfalls auf den Schutz der Religionsfreiheit berufen können, wenn sich auch Teile der Lehre mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften etwas schwer tun. Deutlich zurückzuweisen ist die von einigen Autoren geforderte grundrechtskonforme Theologie, solange es nicht um fundamentale Existenzrechte sowie die Respektierung der Trennung von Religion und Staat geht. Das Verhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften ist in der Schweiz eine kantonale Angelegenheit und demzufolge stark zersplittert. Hier wäre eine Vereinheitlichung durch die Aufnahme einer Rahmenbestimmung in die Bundesverfassung wünschenswert.

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5 PRAKTISCHER TEIL Nachdem ich in den drei Hauptteilen die biblisch-theologischen Grundlagen gelegt, die kirchengeschichtliche Entwicklung untersucht und die gegenwärtige Situation aus rechtlicher Sicht dargestellt habe, verbleibt es, die Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies ist Gegenstand des abschliessenden Teils dieser Arbeit. Ich habe ihn „praktischer Teil“ genannt, da er sich mit dem eigentlichen Praxisbezug der Untersuchungsresultate für mein Zielpublikum befasst. Den Beginn macht ein Rückblick auf die drei Hauptteile mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse. Anschliessend breite ich in einem separaten Kapitel die Erkenntnisse aus und lege dar, was sie für evangelikale Christen bedeuten. Dies erfolgt sowohl in erläuternder Weise als auch in der Form von Aufrufen und Wünschen. Den Abschluss dieses Teils bildet ein Schlusswort, in welchem ich Rückblick auf die gesamte Arbeit halte, aber auch darlege, in welchen Bereichen weiteres Forschungspotenzial besteht.

5.1 Rückblick auf die drei Hauptteile Der biblisch-theologische Teil hat gezeigt, dass Gott selbst den Staat als Institution eingesetzt und ihm den Auftrag erteilt hat, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, gute Menschen zu belohnen und böse zu bestrafen. Es ist seine Aufgabe, den Christen auf diese Weise den nötigen Freiraum zu schaffen, damit sie den göttlichen Missionsbefehl erfüllen können. Damit der Staat seinen Auftrag ausführen kann, gilt ihm gegenüber das Gebot der Unterordnung und es ist für ihn zu beten. Er selber untersteht auch den Geboten Gottes und seine Funktionäre werden sich für ihre Handlungen rechtfertigen müssen. Auf menschlicher Ebene ist die Abgrenzung jedoch klar: Es soll weder der Staat die Aufgaben der Gemeinde an sich ziehen, noch umgekehrt. Der christliche Staat ist keine biblische Idee. Einzig im Fall der unauflöslichen Wahl zwischen dem Gehorsam gegenüber dem Staat und dem Gehorsam gegenüber Gott müssen sich die Christen für letzteren entscheiden. Im kirchengeschichtlichen Teil habe ich zunächst dargelegt, dass die Christen diesen biblischen Prinzipien vor der konstantinischen Wende nachgelebt haben, in der Folge jedoch für lange Zeit nicht mehr. Vielmehr waren Staat und Kirche bis ins 11. Jh. eins. Doch dann kam mit dem Investiturstreit der erste Schritt des Säkularisationsprozesses. Danach war nur noch die Kirche ecclesia, nicht mehr die Gesamtheit von Kirche und Staat. Zwar vermochten die Päpste über Jahrhunderte, die Vorherrschaft zu behalten, die beiden Sphären blieben aber getrennt. Die Konfessionskriege des 16./17. Jh. bildeten den zweiten Schritt des Säkularisationsprozesses. Die Zielsetzungen der Staaten wurden immer mehr säkular, diesseitsorientiert und religionsunabhängig. Die Geschehnisse rund um die französische Revolution vollendeten den Säkularisationsprozess schliesslich. Alle späteren Versuche der Wiederherstellung eines christlichen Staates scheiterten – die Religionsfreiheit behielt stets das letzte Wort.

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Der rechtliche Teil hat den heutigen Stand des säkularisierten Staates aufgezeigt. Im westlichen Kulturkreis ist er nahezu überall umgesetzt. Dies äussert sich in einer grundsätzlichen Trennung von Religion und Staat, wobei die Religionen geistliche Interessen verfolgen und der Staat sich mit den weltlichen Interessen befasst. Doch kann der Staat nicht nur von seiner hoheitlichen Gewalt leben – vielmehr braucht er ein Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bürger, ein Band, welches ihn zusammenhält; die Religion, kann als ein solches dienen. Sodann hat sich der Staat heute mit Problemen wie Migration und Pluralisierung zu befassen. Besonders wichtig ist dabei, dass er sich gegen Religionen, welche die Trennung von Religion und Staat abzubauen versuchen, verteidigen muss. Unter den Typen der Ausgestaltung des Verhältnisses von Religion dürfte für die meisten europäischen Länder der religiös neutrale Staat, wie ihn etwa Deutschland praktiziert, die beste Lösung sein. Dieser Typ anerkennt eine öffentliche Bedeutung der Religion und gibt ihr entsprechenden Raum, wobei er aber auf eine klare Abgrenzung der Aufgabengebiete achtet. Die Schweiz gewährleistet die Religionsfreiheit heute umfassend. Das Verhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften ist infolge der kantonalen Zuständigkeiten allerdings stark zersplittert. Nun stellt sich die Frage, was diese Erkenntnisse für evangelikale Christen bedeuten. Wie soll man sich vor diesem Hintergrund verhalten? Dieser Frage gehe ich im folgenden Kapitel nach.

5.2 Erkenntnisse für evangelikale Christen Nach dem Rückblick auf die drei Hauptteile ist als erste und wichtigste Erkenntnis für evangelikale Christen herauszustreichen, dass es keinesfalls unser Ziel sein kann, einen biblischen Staat anzustreben. Vielmehr ist der säkularisierte Staat eine Idee Gottes, die wir als solche begrüssen und gutheissen sollen. Daraus ergibt sich auch, dass aus dem Neuen Testament keine Rechtsordnung gelesen werden kann. Andernfalls würde sich die Bibel widersprechen, was nach meinem bibliologischen Verständnis unmöglich ist. Es wäre interessant, bereits unternommene Versuche, biblische Normen direkt auf das staatliche Recht zu übertragen, einmal einer eingehenden exegetischen Prüfung zu unterziehen. Ich vermute, dass sich in den meisten Fällen eine sinnwidrige allegorische Übertragung zeigen würde. Die Religionsfreiheit beinhaltet sowohl eine negative Bekenntnisfreiheit als auch eine positive. Anders ausgedrückt schützt sie einerseits die Menschen vor ungewollten religiösen Zwängen und Beeinflussungen, andererseits gibt sie uns das Recht, unseren Glauben zu bekennen, und zwar auch in der Öffentlichkeit. Mithin ist es die verfassungsmässig garantierte Religionsfreiheit, mit welcher es uns der Staat erlaubt und ermöglicht, den biblischen Missionsbefehl zu erfüllen. Der säkularisierte Staat macht aber noch mehr für uns. Er ordnet und garantiert das friedliche Zusammenleben. Damit erfüllt er die biblischen Grundsätze; er schafft den Raum, für ein freies religiöses Bekenntnis. Es ist wichtig, dass dieses keinem staatlichen Zwang unterliegt, denn es ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Gott und jedem einzelnen Menschen.

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Somit wird klar, dass der säkularisierte, weltliche Staat, wie er heute existiert, aus christlicher Sicht eine absolute Notwendigkeit ist. Der Säkularisationsprozess war eine gute und unerlässliche Entwicklung. So blutig und unangenehm er für die Beteiligten gewesen sein mag – er war es, der dazu geführt hat, dass sich die westliche Welt von einem unbiblischen System (Einheit von Religion und Staat) zu einem biblischen System (Trennung von Religion und Staat) entwickelt hat. Die französische Revolution, welche diesen Prozess vollendet hat, war insofern ein positives Ereignis für evangelikale Christen. Dies gilt es wahrzunehmen und zu akzeptieren. Betrachtet man die Situation in der Schweiz, so zeigt sich unser Land heute als säkularisierter Staat. Wenn es auch in einzelnen Bereichen noch Verbesserungspotenzial gibt, entspricht die normative Ausgestaltung der Religionsfreiheit, einschliesslich des Verhältnisses von Religionsgemeinschaften und Staat, vom Grundsatz her weitgehend dem, was aus christlicher Sicht zu fordern ist. Etwas problematisch ist teilweise die konkrete Umsetzung; zudem bestehen in der Lehre einzelne Tendenzen, welche eine zu weit gehende Einmischung des Staates in religiöse Angelegenheiten fordern. Hier sind die Errungenschaften der Säkularisation unbedingt hochzuhalten, und es ist achtzugeben, dass keine Rückschritte stattfinden. Wo Verbesserungspotenzial besteht, sollte darauf hingewirkt werden, dass es so weit als möglich umgesetzt wird. Der Dialog zwischen dem Staat und den Kirchen – sowohl den öffentlich-rechtlich als auch den privatrechtlich organisierten – ist zu fördern. Es ist gut, wenn die beiden Bereiche übereinander Bescheid wissen. In diesem Zusammenhang dürfen Kirchen den Staat durchaus auch beraten.13 Wie sich gezeigt hat, kann der säkulare Staat nicht nur davon leben, sein Recht hoheitlich durchzusetzen. Er braucht ein Band, einen Rückhalt in der Gesellschaft. Andernfalls fallen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit auseinander und das Recht zerbricht. Neben der eigentlichen Evangelisationstätigkeit kann die Religion als ein solches Band wirken, indem sie ethische und sittliche Grundlagen in der Gesellschaft legt. Hier dürfen und sollen wir Christen durchaus auf die Gesellschaft einwirken, solange dies nicht durch den Staat oder unter Verwendung von staatlichen Mitteln geschieht. Wir werden dabei teilweise gleiche oder ähnliche Anliegen vertreten, wie andere Religionsgemeinschaften, teilweise werden sich auch Widersprüche ergeben. In jedem Fall sollten wir uns aber dieser Herausforderung stellen. Bedeutet die Trennung von Religion und Staat, dass man als Christ die Finger von der Politik lassen soll? Nein, keinesfalls. Gemäss der Bibel sind wir Bürger sowohl der Gemeinde Gottes als auch des Staates und müssen beiden gerecht werden. Daher ist es für Christen gut und wichtig, sich für Politik zu interessieren. Wer politisch aktiv werden möchte, darf und soll es tun; dies kann durchaus eine Berufung Gottes sein. Selbstverständlich ist es gut, dabei Werte zu vertreten, welche biblischen Grundprinzipien entsprechen, wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Menschlichkeit usw.

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Dasselbe Recht ist natürlich allen Religionen und Konfessionen zuzugestehen.

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Ebenfalls ist es erlaubt, im Rahmen des säkularen Rechts alle Möglichkeiten auszuschöpfen, damit der Auftrag der Evangelisation wahrgenommen werden kann. Dazu gehören etwa Gesuche an Behörden zur Erteilung der nötigen Bewilligungen (z. B. für eine öffentliche Verkündigung), einschliesslich des Ergreifens von Rechtsmitteln, wo dies nötig ist. Keinesfalls – dies sei nochmals betont – dürfen staatliche Mandate oder andere politische Mittel (inkl. Volksinitiativen und Referenden) aber eingesetzt werden, um anderen Menschen die Bibel aufzuzwingen oder gar eine „biblische“ Rechtsordnung anzustreben. Es mag zwar einfacher erscheinen, mit dem Schwert zu evangelisieren als mit der Bibel, aber die so entstehenden Früchte sind wurmstichig und faul. Nachhaltige Evangelisation wendet keinen äusseren Zwang an, sondern sie versucht, Veränderungen in den Herzen der Menschen zu erreichen. Wenn wir die Religionsfreiheit nur dort hochhalten, wo sie uns nützt (z. B. Evangelisation), sie aber andernorts mit Füssen treten (z. B. indem wir versuchen, Menschen, die unseren Glauben nicht teilen, biblische Werte durch staatlichen Zwang aufzuzwingen), widersprechen wir uns selbst und werden zu unglaubwürdigen Trittbrettfahrern. Beachtet werden sollte ferner auch, dass es keinen Sinn macht, im Bereich des Staates mit der Bibel argumentieren zu wollen. Christliche Politiker, welche dies versuchen, geben regelmässig sich selbst und den ganzen christlichen Glauben evangelikaler Färbung der Lächerlichkeit preis, weil ihre Botschaft – mag sie theologisch auch noch so richtig sein – nicht verstanden wird (vgl. 1 Kor 1,18). Bei einigen Menschen stösst sie auch auf Ablehnung, nur weil sie mit der Bibel vorgebracht wird. Die Argumentationsweise muss dem Zielpublikum angepasst werden, wenn sie erfolgreich sein soll. Daher sollen gläubige Christen, wenn sie mit Nichtchristen an der Lösung von Problemen des Staates arbeiten, klar und sachlich vorgehen. Der Heilige Geist steht uns auch bei unseren säkularen Tätigkeiten stets bei und gibt uns Einsichten, welche anderen Menschen verwehrt sind. Auf diese Weise können wir Jesus Christus verherrlichen. Das säkulare Recht ist Menschenwerk und daher unvollkommen. Dennoch entspricht es Gottes Willen und erfüllt – gerade mit seiner Unvollkommenheit – eine von Gott in der Bibel vorgesehene Funktion. Wenn wir dies erkennen, handeln wir biblisch und erfüllen den Willen Gottes.

5.3 Schlusswort Wenn ich die Bearbeitung dieses Themas während der vergangenen Monate Revue passieren lasse, blicke ich auf eine anstrengende, aber äusserst spannende Zeit zurück. Mir selber hat sie geholfen, meine Gedanken zu ordnen und zu einer klaren Meinung über das untersuchte Thema zu kommen. Bei der Literaturrecherche habe ich festgestellt, dass es zwar ausreichend Literatur über Religionsfreiheit bzw. das Verhältnis von Kirche und Staat gibt, sie behandelt aber in der Regel nur entweder die rechtliche oder die theologische Perspektive. Gerade im evangelikalen Bereich gab es bisher kaum Autoren, welche die beiden Aspekte miteinander verbunden haben. Ich hoffe und bete daher,

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dass ich mit der vorliegenden Arbeit eine Grundlage geben konnte, welche die interdisziplinäre Perspektive für evangelikale Christen erschliesst, viele ihrer Fragen beantwortet, aber auch die weitere Diskussion über dieses wichtige Thema anregt. Allerdings ist der Forschungsbereich mit der Vollendung dieses Textes nicht erschöpft. Es gibt zahlreiche Fragen, welche offen bleiben mussten, weil sie den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätten. Interessante Vertiefungsfragen ergeben sich etwa bei der Thematik „Religion als einigendes Band des Staates“ (Abschnitt 4.1.3), etwa über die diesbezüglichen konkreten Möglichkeiten der Religionsgemeinschaften, namentlich, wenn sie privatrechtlich organisiert sind. Man könnte sich auch fragen, inwieweit moralische Normen überhaupt ins Recht überführt werden können und sollen. Ferner muss früher oder später die Analyse durchgeführt werden, ob andere Religionen – namentlich der von vielen Evangelikalen und anderen Menschen heute so gefürchtete Islam – die Religionsfreiheit und den säkularisierten Staat anerkennen können oder ob sie ihn bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen abzubauen versuchen (vgl. Abschnitt 4.1.5). Auch im spezifisch rechtlichen Bereich sind Vertiefungen möglich, so etwa im Steuerrecht (vgl. Fussnote 12), aber auch in weiteren Gebieten. Insbesondere gilt es aber, den – säkularen und religiösen – Stimmen Paroli zu bieten, welche die Religionsfreiheit abbauen wollen. Darüber hinaus muss auch darauf hingewirkt werden, dass dieses Grundrecht vollständig verwirklicht wird, wo es noch nicht der Fall ist. Gerade für evangelikale Christen ist es immens wichtig, und es wurde im Verlauf der Geschichte hart erkämpft. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass es ausgehöhlt wird. Nun bleiben mir noch zwei Dinge. Zunächst ist es mir ein Anliegen, meinem Fachmentor, Dr. iur. et lic. theol. Markus Koch, für die Betreuung und die zahlreichen wertvollen Hinweise ganz herzlich zu danken. Sodann möchte ich an alle Menschen, die mit mir den evangelikalen Glauben teilen, einen Aufruf richten: Gehen wir an die Arbeit und tun, wozu Gott uns berufen hat! Sei es als Mitarbeiter einer Kirche, als stimmberechtigte Bürger, als Juristen, als Politiker oder in welche Funktion auch immer der Herr uns gestellt hat. Doch egal, in welchem Bereich wir tätig sind, achten wir darauf, dass die Religionsfreiheit stets hochgehalten wird – auf dass wir, wie einst Paulus in Rom, ungehindert predigen können.

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Rechtschreibung gemäss Original. Mitau ist heute Jelgava, Lettland.

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Es sind noch nicht alle Bände erhältlich.

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Mann, Golo (Hrsg.) 1960-1964. Propyläen Weltgeschichte. 11 Bände in 22 Halbbänden. Frankfurt a.M./Berlin: Verlag Ullstein GmbH. Mann, Golo (Hrsg.) 1963a. Rom. Die römische Welt. Vierter Band, 2. Halbband. Propyläen Weltgeschichte. Frankfurt a.M./Berlin: Verlag Ullstein GmbH. Mann, Golo (Hrsg.) 1963b. Islam. Die Entstehung Europas. Fünfter Band, 1. Halbband. Propyläen Weltgeschichte. Frankfurt a.M./Berlin: Verlag Ullstein GmbH. Mann, Golo (Hrsg.) 1964a. Von der Reformation zur Revolution. Siebenter Band, 1. Halbband. Propyläen Weltgeschichte. Frankfurt a.M./Berlin: Verlag Ullstein GmbH. Mann, Golo 1964b. Das Zeitalter des Dreissigjährigen Krieges, in Mann 1964a. Mauerhofer, Erich 1999. Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. Bd. 2. 2. Auflage. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Müller, Alois 2008. Religion als vorpolitische Ressource, in Pahud de Mortanges 2008, 31-63. Müller, Markus 2000. Überlegungen aus Sicht der Pilgermission St. Chrischona, in: Pahud de Mortanges, Rutz & Winzeler 2000, 185-191. Nitschke, August 1963. Frühe christliche Reiche, in Mann 1963b, 273-393. Pahud de Mortanges, René, Rutz Gregor A & Winzeler, Christoph (Hrsg.) 2000. Die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Freiburg: Universitätsverlag Freiburg Schweiz. Pahud de Mortanges, René 1997. Destruktive Sekten und Missbrauch der Religionsfreiheit, Eine Problemanzeige. Aktuelle Juristische Praxis. Nr. 6, 766-770. Pahud de Mortanges, René 2000. Zusammenfassung und Folgerungen, in Pahud de Mortanges, Rutz & Winzeler 2000, 201-207. Pahud de Mortanges, René (Hrsg.) 2008. Religiöse Neutralität. Ein Rechtsprinzip in der multireligiösen Gesellschaft. Zürich/Basel/Genf: Schulthess Juristische Medien AG. Reicke, Bo 1974. The New Testament Era. The World of the Bible from 500 B.C. to A.D. 100. First Paperback Edition. Philadelphia: Fortress Press. Rienecker, Fritz 1975. Das Evangelium des Matthäus. 8. Auflage. Wuppertaler Studienbibel. 7. Auflage. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. Rutz, Gregor A 2000. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung in der Schweiz. Bestandesaufnahme und Entwicklungstendenzen, in: Pahud de Mortanges, Rutz & Winzeler 2000, 5-76. Sahlfeld, Konrad 2004. Aspekte der Religionsfreiheit. Zürich/Basel/Genf: Schulthess Juristische Medien AG. Scanell, Thomas 1909. The Catholic Encyclopedia. Domitian. http://www.newadvent.org/cathen/05114b.htm [3. Dezember 2008]. Schaad, Theo 2000. Überlegungen aus evangelisch-methodistischer Sicht, in Pahud de Mortanges, Rutz & Winzeler 2000, 173-177.

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Und er predigte ungehindert – Evangelikale und die Religionsfreiheit

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Schirrmacher, Thomas 2002. Ethik 6. Gottes Ordnungen. Staat und Recht. 3. korrigierte und erweiterte Auflage. Hamburg: Reformatorischer Verlag Beese. Nürnberg: Verlag für Theologie und Religionswissenschaft. Schneider, Carl 1963. Das Christentum, in: Mann 1963a, 429-485. Sierszyn, Armin 1997-2001. 2000 Jahre Kirchengeschichte, 4 Bde. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Sierszyn, Armin 2001. Von den Anfängen bis zum Untergang des weströmischen Reiches. Bd. 1. 2000 Jahre Kirchengeschichte. 3. Auflage. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Sierszyn, Armin 1997. Das Mittelalter. Bd. 2. 2000 Jahre Kirchengeschichte. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Sierszyn, Armin 2000a. Reformation und Gegenreformation. Bd. 3. 2000 Jahre Kirchengeschichte. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Sierszyn, Armin 2000b. Die Neuzeit. Bd. 4. 2000 Jahre Kirchengeschichte. Holzgerlingen: Hänssler-Verlag. Spichiger-Carlsson, Peter 2004. Analyse des Abstimmungsverhaltens der Zürcher Stimmbürger zu drei Kirchenvorlagen vom 30. Nov. 2003. Kurzbericht erstellt im Auftrag der röm.-katholischen und der evang.-reformierten Kirche des Kantons Zürich. Zürich: gfs-zürich. Online im Internet: http://www.gfs-zh.ch/data/kirchen/kirchenvorlagen1.pdf [9. April 2009]. Stott, John R W 1990. The Message of Acts. The Spirit, the Church & the World. Leicester / Downers Grove IL: InterVarsity Press. Suhl, Alfred 1981. Der Philemonbrief. Zürcher Bibelkommentare. Zürich: Theologischer Verlag Zürich. Supreme Court of the United States o. J. United States Reports. Washington DC: U. S. Government Printing Office. Tenney, Merril C 1994. Die Welt des Neuen Testaments. 4. Auflage. Maarburg an der Lahn: Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH. The Catholic Encyclopedia o. J. Online im Internet: http://www.newadvent.org/cathen [Zugriffsdaten beim Artikel]. Uhlmann, Peter H 2003. Kirchengeschichte für Einsteiger. 4 Teile. Bearbeitung 2003. Heimenhausen: Eigenverlag des Autors. Uhlmann, Peter H 2003a. Das Christentum in der Antike. Kirchengeschichte für Einsteiger. Bearbeitung 2003. Heimenhausen: Eigenverlag des Autors. Uhlmann, Peter H 2003b. Das Mittelalter. Kirchengeschichte für Einsteiger. Bearbeitung 2003. Heimenhausen: Eigenverlag des Autors. Uhlmann, Peter H 2003c. Die Reformation/Die Gegenreformation. Kirchengeschichte für Einsteiger. Bearbeitung 2003. Heimenhausen: Eigenverlag des Autors. Uhlmann, Peter H 2003d. Der Pietismus/Das Zeitalter der Aufklärung/Die Kirchen zwischen Verführung, Verfolgung und Erweckung (19. und 20. Jh.). Kirchengeschichte für Einsteiger. Bearbeitung 2003. Heimenhausen: Eigenverlag des Autors.

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Wegener, Günther S 1961. Die Kirche lebt. Der Weg der Christen durch zwei Jahrtausende. Kassel: J. G. Oncken Verlag. Wikipedia contributors 2009. Fundamentalist Church of Jesus Christ of Latter Day Saints. Wikipedia, The Free Encyclopedia. Online im Internet: http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fundamentalist_Church_of_Jesus_Christ_of_ Latter_Day_Saints&oldid=281187239 [6. April 2009, Versions-ID: 281187239]. Winzeler, Christoph 2005. Einführung in das Religionsverfassungsrecht der Schweiz. Zürich/Basel/Genf: Schulthess Juristische Medien AG.

Zitierte Bibelübersetzungen: Elb: Revidierte Elberfelder, 1985/1992, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal. Ehu: Einheitsübersetzung, 1980, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. NGÜ: Neue Genfer Übersetzung, 2006, Genfer Bibelgesellschaft, Romanel s/Lausanne.

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Dieses Verzeichnis enthält in der juristischen Terminologie übliche Abkürzungen, welche ich in der vorliegenden Arbeit verwendet habe. Die im „Verzeichnis gängiger Abkürzungen“ (Anhang 1 zum Style Sheet von IGW) enthaltenen Abkürzungen sind hier nicht nochmals wiedergegeben. Die Zitierweise von Gerichtsentscheiden richtet sich nach den Vorgaben des jeweiligen Gerichts. Abs.

Absatz (erste Untergliederung eines Artikels).

Art.

Artikel (in einem Gesetz).

AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts. Hrsg.: Bundeskanzlei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern.

BBl

Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Hrsg.: Bundeskanzlei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern.

BGE

Bundesgerichtsentscheid. Hrsg.: Schweizerisches Bundesgericht, Lausanne.

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).

BV1848

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. Herbstmonat 1848 (BBl 1849, 3).

BV1874

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (AS 1, 1).

BVerfG

Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland.

BvR

Verfassungsbeschwerde an das BVerfG (offizielles Aktenzeichen des BVerfG).

E.

Erwägung (in einem Gerichtsurteil).

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Strassburg.

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte mit Sitz in Strassburg.

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (SR 0.101).

Pra

Die Praxis. Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts – Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (enthält insbesondere deutsche Übersetzungen anderssprachiger Urteile). Hrsg.: Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel.

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts. Hrsg.: Bundeskanzlei der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern.

U. S.

United States Reports (Entscheidsammlung des obersten Gerichtshofs der USA). Hrsg.: Supreme Court of the United States, Washington DC.

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ANHANG: TEXTE VON VERFASSUNGEN UND VÖLKERRECHTLICHEN VERTRÄGEN Schweizerische Eidgenossenschaft Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. Herbstmonat 1848 (BBl 1849, 3) Artikel 44 1

Die freie Ausübung des Gottesdienstes ist den anerkannten christlichen Konfessionen im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet.

2

Den Kantonen, sowie dem Bunde, bleibt vorbehalten, für Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Konfessionen die geeigneten Maßnahmen zu treffen.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (AS 1, 1) Artikel 49 1

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverletzlich.

2

Niemand darf zur Teilnahme an einer Religionsgenossenschaft, oder an einem religiösen Unterricht, oder zur Vornahme einer religiösen Handlung gezwungen, oder wegen Glaubensansichten mit Strafen irgendwelcher Art belegt werden.

3

Über die religiöse Erziehung der Kinder bis zum erfüllten 16. Altersjahr verfügt im Sinne vorstehender Grundsätze der Inhaber der väterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt.

4

Die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte darf durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden.

5

Die Glaubensansichten entbinden nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten.

5

Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist der Bundesgesetzgebung vorbehalten. Artikel 50

1

Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.

2

Den Kantonen sowie dem Bunde bleibt vorbehalten, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgesellschaften sowie gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates die geeigneten Maßnahmen zu treffen.

3

Anstände aus dem öffentlichen oder Privatrechte, welche über die Bildung oder Trennung von Religionsgenossenschaften entstehen, können auf dem Wege der Beschwerdeführung der Entscheidung der zuständigen Bundesbehörden unterstellt werden.

4

Die Errichtung von Bistümern auf schweizerischem Gebiete unterliegt der Genehmigung des Bundes.

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Artikel 5116 1

Der Orden der Jesuiten und die ihm affillierten Gesellschaften dürfen in keinem Teile der Schweiz Aufnahme finden, und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt.

2

Dieses Verbot kann durch Bundesbeschluss auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört. Art. 5216

Die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden ist unzulässig.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) Artikel 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit 1

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.

2

Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen. 3

Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen. 4

Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen. Artikel 36 Einschränkungen von Grundrechten 1

Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.

2

Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.

3

Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein.

4

Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.

Artikel 72 Kirche und Staat 1

Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig. 2

Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften. 3

16

Bistümer dürfen nur mit Genehmigung des Bundes errichtet werden.17

Aufgehoben durch Bundesbeschluss über die Aufhebung des Jesuiten- und des Klosterartikels der Bundes-

verfassung (Art. 51 und 52), angenommen in der Volksabstimmung vom 20. Mai 1973 (AS 1973, 1455). 17

Aufgehoben durch Bundesbeschluss über die Aufhebung der Genehmigungspflicht für die Errichtung von

Bistümern, angenommen in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2001 (AS 2001, 2262). © IGW International

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Französische Republik Verfassung der französischen Republik vom 4. Oktober 195818 Artikel 1 Absatz 1 Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Sie gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Rasse oder Religion. Sie achtet jeden Glauben. Sie ist dezentral organisiert.

Gesetz vom 9. Dezember 1905 über die Trennung der Kirchen vom Staat19 Artikel 1 Die Republik garantiert Glaubensfreiheit. Sie gewährleistet die freie Religionsausübung, die allein aus den nachfolgend aufgeführten Gründen im Interesse der öffentlichen Ordnung beschränkt werden darf. Artikel 2 Weder anerkennt noch finanziert oder bezuschusst die Republik irgendeine Religionsgemeinschaft. Daher werden ab dem 1. Januar, der auf die Verkündung dieses Gesetzes folgt, alle sich auf die Religionsausübung beziehenden Ausgaben der Haushalte des Staates, der Departements und der Kommunen abgeschafft. In den vorgenannten Haushalten können gleichwohl diejenigen Ausgaben eingestellt werden, die sich auf seelsorgerliche Dienste beziehen und dazu dienen, die freie Religionsausübung in öffentlichen Einrichtungen wie Lycéen, Kollegien, Schulen, Pflegeheimen, Anstalten für Geisteskranke und Gefängnissen zu garantieren. Die öffentlichen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften sind vorbehaltlich der in Artikel 3 aufgeführten Bestimmungen aufgehoben. Artikel 18 Die Vereine, die zur Übernahme der Kosten, sowie zur Pflege und öffentlichen Ausübung einer Religion geschaffen sind, werden gemäß den Artikeln 5 ff. des Titels I des Gesetzes vom 01. Juli 1901 gebildet. Sie unterliegen ferner den Bestimmungen dieses Gesetzes.

18

Gemäss einer Übersetzung des Sprachendienstes des Deutschen Bundestages. Online im Internet:

http://www.assemblee-nationale.fr/deutsch/8cb.asp [3. Mai 2009]. 19

Gemäss einer auszugsweisen Übersetzung der Universität Trier von 2005. Online im Internet:

http://www.uni-trier.de/index.php?id=9161 [3. Mai 2009]. Vollständige Originalfassung online im Internet: http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006070169&dateTexte=20090502. © IGW International

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Vereinigte Staaten von Amerika The Constitution of the United States of America20 Amendment I Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; … 21

Bundesrepublik Deutschland Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 194922 Artikel 4 1

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

2

Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

3

Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Artikel 7

1

Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

2

Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. 3 Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

20

Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Online im Internet:

http://www.law.cornell.edu/constitution/constitution.billofrights.html#amendmenti [3. Mai 2009]. Grund für die Zitierung in der Originalsprache: vgl. Fussnote 21. 21

Eine exakte Übersetzung der ersten Hälfte dieses Textes ist kaum möglich. Häufig versucht man, sich mit

folgender sinngemässer Übertragung zu helfen: „Der Kongress [das Bundesparlament der USA, R. A.] darf kein Gesetz erlassen, welches eine Staatskirche errichtet…“ Wie die Rechtsprechung über diese sog. establishment clause zeigt, greift dies aber zu kurz (vgl. Abschnitt 4.2.2; Karlen 1988:101, Fn. 194). Die zweite Hälfte hingegen lässt sich klar als „…oder die freie Ausübung von Religion verbietet…“ übersetzen. 22

Online im Internet: http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/Grundgesetz/gg_01.html [3. Mai

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Vereinte Nationen (UNO) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 194823 Artikel 18 Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat, durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden.

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2) Artikel 18 1

Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.

2

Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. 3

Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.

4

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.

23

Online im Internet: http://www.un.org/Depts/german/grunddok/ar217a3.html [3. Mai 2009].

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Europarat Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101) Artikel 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit 1

Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. 2

Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

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ideaSchweiz l 13/2009

Theologiestudium mitten im Leben – missional und innovativ

Für den nächsten Schritt ausgebildet Wovon träumen Sie? Zieht es Sie zu einem Beruf wie Jugendarbeiter, Pastor, Zeltmacher, Evangelist, sozialdiakonischer Mitarbeiter, Streetworker, Pionier, Gemeindegründer, Missionar... und bis ans Ende der Welt? Oder haben Sie begabte jüngere Mitarbeiter in Ihren Reihen, die Sie gerne praxisbegleitend und «in house» zu vollzeitlichen Mitarbeitern ausbilden lassen möchten? Unsere beiden neuen Studiengänge «Bachelor of Arts» und «Bachelor of Theology» sind dafür massgeschneidert und wären genau das Richtige hierfür! Warum?

Zielgruppe Das Bachelor-Programm (BA) ist auf Personen ausgerichtet, die diese Ausbildung für einen vollzeitlichen Dienst in Gemeinde oder Mission absolvieren wollen und bereits in einer verbindlichen Mitarbeit in einer Gemeinde oder einem Missionswerk stehen: angehende Jugendarbeiter, Gemeindeleiter, Pastoren, sozialdiakonische Mitarbeiter, Missionare u.  ä.

Zielsetzung Die Studierenden erwerben in diesen 4- bis 6-jährigen theologischen Ausbildungen berufsMichael qualifizierende Girgis Kompetenzen in den grundlegenden theologischen Fächern sowie wertvolle praktische Erfahrungen. (Eine Ausnahme bildet der 1-jährige Studiengang igw. network, der als Ausbildung für eine ehrenamtliche Tätigkeit angelegt ist.)

Tätigkeiten unserer Absolventen 75 % unserer bisher insgesamt 173 Absolventen (Bachelor-Programm seit 1996) arbeiten heute in einem solchen vollzeitlichen leitenden Dienst, und zwar v.  a. in folgenden Berufen: • Gemeindeleiter • Pastor • Jugendpastor • Mitarbeiter in Missionswerk • sozialdiakonischer Mitarbeiter • Jugendarbeiter

Die 7 Pluspunkte von IGW 1. fundierte theologische Ausbildung 2. innovatives Ausbildungskonzept – studienbegleitende Praxis 3. einzigartige Kombination von Theorie, Praxis und Persönlichkeitsentwicklung 4. ganzheitliche Ausbildung 5. mitten im Leben 6. modular und massgeschneidert 7. anerkannte Abschlüsse Auf www.igw.edu kann die ausformulierte Version dieser 7 Punkte heruntergeladen oder per E-Mail an [email protected] bestellt werden.

IGW ist eduQua-zertifiziert! Mit dem eduQua-Zertifikat erhält IGW das wichtigste und bedeutendste schweizerische Qualitätszertifikat für Aus- und Weiterbildungsinstitutionen. Das eduQua-Zertifikat bescheinigt IGW ein zeitgemässes, hochstehendes sowie praxisrelevantes Angebot. Die Zertifizierung erfolgt durch die Schweizerische Vereinigung für Qualität und ManagementSysteme (SQS).

Studiengänge und Angebote

Ausgezeichnete Qualität Unsere über 150 Studierenden im Bachelor-Programm, die uns zur grössten theologischen Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Europa machen, irren sich nicht. Unsere Ausbildung hält, was sie verspricht. Das kürzlich erhaltene eduQuaZertifikat bescheinigt IGW ein zeitgemässes, hochstehendes und praxisrelevantes Angebot (siehe Kasten). Überzeugen Sie sich vor Ort an einem Schnuppertag. Wir freuen uns auf Sie und/oder Ihren Leiternachwuchs! Michael Girgis, Co-Rektor IGW

Weiterbildung (MA) Gerade in Zeiten der Veränderung ist lebenslange Weiterbildung wichtig: praxisrelevantes, theologisches Forschen, spannende Kurse, aktuelle Literatur und Einbezug der eigenen Praxis bilden die Grundlage unserer berufsbegleitenden Weiterbildung.

Fernstudium fundierte biblische Ausbildung für ehrenamtliche Mitarbeitende mit massgeschneidertem, individuellem Studienprogramm aus Präsenz- und Fernkursen.

Kursbesuch als Gasthörer IGW bietet eine grosse Vielfalt von Kursen und Seminaren an, die auch Hörerinnen und Hörer besuchen können. Eine ideale Gelegenheit, um IGW-Luft zu schnuppern oder zu interessanten Konditionen von kompetenten Referenten zu profitieren. Die Kursliste ist online einsehbar, unter «Kurse».

Downloads (NEU!)

Die Studienangebote im Bereich Ausbildung (Bachelor) Studiengang Bachelor of Arts (BA)

Studiengang Master of Theology (BTh-MTh)

Dauer: 4 Jahre Voraussetzung: abgeschlossene Berufslehre Credits: 180 C. (ECTS) Abschluss: Bachelor of Arts (BA) Nach Abschluss kann im MAStudiengang weiter studiert werden.

Dauer: 6 Jahre Voraussetzung: Matura/Abitur oder Berufsmatur plus «Passerelle» Credits: 300 C. (ECTS) Abschluss: Bachelor of Theology (BTh) und anschliessend Master of Theology (MTh)

Studiengang igw.network Dauer: 1 Jahr Voraussetzung: abgeschlossene Berufslehre Credits: 30 C. (ECTS) Abschluss: igw.network-Zertifikat Nach Abschluss kann in das zweite Jahr des BA-Studienganges eingestiegen werden.

Abschlussarbeiten, Handouts, Magazine und Artikel stehen in unserem Downloadbereich kostenlos zur Verfügung.

1991 gegründet, über 340 immatrikulierte Studierende. www.igw.edu (CH) oder www.de.igw.edu (DE).

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ideaSchweiz l 09/2008

Umsetzung der grossen Studienreform

Neue Lernfelder bei IGW Mit grundlegenden Neuerungen richtet IGW sich noch stärker auf sein Hauptziel aus, Menschen umfassend für ihren Dienst auszubilden. IGW hat die grosse europäische Bildungsreform zum Anlass genommen, sein Ausbildungskonzept grundsätzlich zu überarbeiten und sich, so Co-Rektor Michael Girgis, «noch einmal neu zu erfinden.» Zum Start des Studienjahres im September 07 wurden daher teilweise tiefgreifende Neuerungen lanciert. So orientiert sich das Bachelor-Programm (BA), das Männer und Frauen in 4 Jahren für ihren Dienst in Gemeinden oder christlichen Werken ausbildet, neu an drei «Lernfeldern»: Theorie, Praxis und Praxisbegleitung. Theorie deckt ab, was man gemeinhin unter schulischer Aus-

bildung versteht: Hier wird auf allen Gebieten der Theologie das für den Dienst notwendige Fachwissen vermittelt. Die Michael Praxis, bei IGW Girgis immer schon ein wichtiges Ausbildungselement, wird noch stärker in den Studiengang eingebunden, so dass im praktischen Dienst erworbene Kompetenzen dem Studium nun angerechnet werden können. Im Bereich Praxisbegleitung schliesslich werden in neu entwickelten Kursmodulen die grossen Ausbildungsthemen Persönlichkeitsentwicklung und Jüngerschaft über die gesamten 4 Jahre des Studiums vertieft. Ausführliche Informationen zur grossen Studienreform finden Sie auf www.igw.edu ➝ Ausbildung ➝ Studienreform 2010. Cla Gleiser, Studienleiter IGW

Neue Fachrichtung bei IGW

Studiengang Missionale Theologie Der Ruf nach qualifizierten und missionarischen Fachkräften in Werken, Gemeindeverbänden und Missionsgesellschaften wird immer lauter. Spürbar ist vor allem der Mangel an klassischen Evangelisten. Für den Dienst an Bevölkerungsgruppen aus orientalischen bzw. überseeischen Ländern werden auch Inlandmissionare gesucht. Gerade die Ausbildung zum Missionsdienst unter Moslems wird zunehmend an Wichtigkeit gewinnen. IGW stellt sich diesen neuen Herausforderungen und rüstet Menschen zum Dienst aus – nicht nur für die bisherigen klassischen Missionsländern, sondern gerade auch für das europäische Umfeld. Aus diesem Grund erweitert IGW sein Angebot an Fachrichtungen auf BA-Niveau: Neben Theologie (Schwerpunkt systematische Illustration: www.gleiser.ch

und biblische Fächer), praktischer Theologie, Missiologie und Sozialdiakonie steht IGWStudenten ab September 2008 ein Studiengang in missionaler Theologie offen. Die neue Fachrichtung hat folgende Schwerpunkte:

1. Evangelisation im nachchristlichen Europa Seit einigen Jahren fehlen zunehmend Evangelisten für Gemeinden und spezielle übergemeindliche Anlässe. Wir sind überzeugt, dass dieser Dienst für die Zukunft wieder verstärkt gefragt sein wird. IGW wird sich vermehrt für die Gewinnung und Ausbildung von Menschen einsetzen, die in diesem Dienst ihre Zukunft sehen.

2. Gemeindegründung und Gemeindebau Europa ist zum klassischen Missionskontinent geworden. Damit gewinnt die Thematik «Mission»

Relevanz für Gemeindebau und Evangelisation in unserer Gesellschaft. Die Ausbildung bei IGW vermittelt zuHelmut künftigen PionieKuhn ren und Gemeindegründern in diesen Bereichen Fachkompetenz und Perspektive.

3. Transkulturelle Mission Mission findet vor unserer eigenen Haustüre statt. Religionen und Weltanschauungen aus verschiedenen Kulturen prägen unsere Gesellschaft. Gerade der Dienst unter Moslems wird an Wichtigkeit zunehmen. IGW wird Studierende befähigen, das Evangelium in einer multikulturellen Gesellschaft weiterzugeben. Dabei sucht das Institut bewusst die Zusammenarbeit mit evangelistisch und missionarisch tätigen Partnern. Helmut Kuhn, Direktor EE

Studiengang Bachelor of Arts (BA) Ziel: vollzeitlicher Dienst in Gemeinde oder Mission Voraussetzung: abgeschlossene Berufslehre Dauer: 4 Jahre (180 Credits)

Studiengang Master of Theology (BTh-MTh) Ziel: vollzeitlicher Dienst in Gemeinde oder Mission Voraussetzung: Matura/Abitur Dauer: 5 Jahre (300 Credits)

Studiengang igw.network Ziel: ehrenamtliche Mitarbeit in der Gemeinde Voraussetzung: abgeschlossene Berufslehre Dauer: 1 Jahr (30 Credits) mit Anschlussmöglichkeit an BA oder BTh-MTh www.igw.edu