Therapie der chronischen Hepatitis B

Kompetenznetz Hepatitis © 2007 91 Schattauer GmbH Therapie der chronischen Hepatitis B Chancen und Grenzen der neuen Nukleos(t)idanaloga W. O. Böche...
Author: Irmgard Busch
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Kompetenznetz Hepatitis © 2007

91 Schattauer GmbH

Therapie der chronischen Hepatitis B Chancen und Grenzen der neuen Nukleos(t)idanaloga W. O. Böcher I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Schlüsselwörter

Keywords

HBV-Therapie, Nukleosidanaloga, Nukleotidanaloga, virale Resistenz

HBV treatment, nucleoside analogues, nucleotide analogues, viral resistance

Zusammenfassung

Summary

Die Hepatitis-B-Virus(HBV)-assoziierte Leberzirrhose und das Leberkarzinom gehören in der westlichen Welt zu den häufigsten Indikationen einer Lebertransplantation. Obwohl die chronische Hepatitis B auch mit modernen Therapien kaum „ausgeheilt“ werden kann, kann doch die Progression zu Zirrhose und Karzinom bei rechtzeitiger Diagnosestellung verhindert werden. Dabei spielen die Nukleos(t)idanaloga wegen ihrer guten Wirksamkeit und Verträglichkeit im Vergleich zu Interferon alfa eine zunehmende Rolle. Hauptlimitationen dieser Substanzklassen sind die fehlende Viruselimination mit der fast regelhaften Notwendigkeit einer Dauertherapie sowie die Entstehung von Resistenzmutanten. Auf Grund des Wirksamkeitsverlusts der Therapie sowie der Kreuzresistenz zu anderen Vertretern der jeweiligen Substanzklasse sollte die Entstehung solcher Resistenzen nach Möglichkeit vermieden werden. Am schnellsten und häufigsten treten diese unter Lamivudin auf, weshalb den neueren Substanzen Adefovir und Entecavir in der Ersttherapie heute der Vorzug gegeben wird. Bei Lamivudin-vorbehandelten Patienten mit Resistenzmutation erscheint die Kombination mit Adefovir als wirksamste Therapie. Neuere Nukleos(t)idanaloga sind in der Entwicklung, ihr Platz im bestehenden therapeutischen Armamentarium muss sich noch herausstellen.

D

ie chronische Infektion mit dem Hepatitis B Virus (HBV) führt in ca. 30–50% der Patienten zu einer chronischen Hepatitis und kann in der Folge zu Leberzirrhose und Hepatozellulärem Karzinom führen (1). Diese Folgeerkrankungen der Hepatitis B stellen heute in westlichen Ländern eine der häufigsten Indikationen zur Lebertransplantation dar. Man unterscheidet je nach serologischer Nachweisbarkeit von viralem HBe-Antigen oder anti-HBe-Antikörpern die HBe-positive oder -negative chronische Hepatitis B, die sich in Prognose und Ansprechen auf die

HBV associated liver cirrhosis and cancer are among the most common diagnoses leading to liver transplantation in the western world. While viral elimination is rarely accomplished by current treatments, progression of liver disease can be halted by timely diagnosis and start of treatment. Nucleos(t)ide analogues are increasingly becoming the mainstay of HBV treatment owing to their excellent antiviral potency and tolerability. Main limitations are the lack of viral elimination and the development of resistance mutations on long-term treatment. As these counteract the therapeutic effect and mediate resistance against different substances of the same class, development of resistance should be avoided as possible. As lamivudine resistance is developing extraordinarily fast and common, adefovir and entecavir became the preferred choice for first line treatment. In case of preexisting lamivudine resistance, the combination with adefovir is mostly active. The role of upcoming new nucleos(t)ide analogues within the already existing therapeutic repertoire will have to be established. Treatment of chronic hepatitis B – chances and limits of the new nucleos(t)ide analogues Med Welt 2007; 58: 91–95

Therapie deutlich unterscheiden (1, 2). Daher ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Verlaufsformen nicht nur für die Diagnostik, sondern auch zur Beurteilung der Prognose und der Therapiewahl wichtig. Neben diesen beiden Virusvarianten gibt es verschiedene Genotypen (A-H), die geographisch unterschiedlich verteilt sind und sich ebenfalls im Therapieansprechen unterscheiden (3). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Genotypisierung des HBV in der klinischen Routine noch nicht etabliert.

Zielsetzung einer Therapie Primäres Ziel jeder antiviralen Therapie ist die Elimination desVirus und dasAusheilen der Erkrankung. Wie bei anderen chronischen Virusinfektionen (HIV, HCV) wird allerdings mit den gegenwärtigen Therapieoptionen eine über die Therapiedauer hinaus anhaltende Ausheilung nur sehr selten erreicht. Daher soll zumindest das Fortschreiten der Erkrankung zu Zirrhose und Karzinom aufgehalten werden. Für diese klinischen Endpunkte sind bei der Hepatitis B serologische Surrogatmarker etabliert, die in Ergänzung der histologischen Beurteilung der Leber dasAbschätzen desTherapieansprechens erlauben und die mit der klinischen Prognoseverbesserung korrelieren (4): ● Die HBs-Serokonversion markiert das Ausheilen der Infektion, der Patient entwickelt fast immer anti-HBs und ist nicht mehr als infektiös anzusehen; dieses höchste Therapieziel wird mit allen derzeitigen Therapeutika in weniger als 5% der Patienten erreicht (5–7). ● Die HBe-Serokonversion mit Verlust des HBe-Antigens und Entwicklung von anti-HBe-Antikörpern markiert den meist anhaltenden Übergang einer aktiven und hoch-replikativen Hepatitis B in eine inaktive und niedrig-replikative Form mit normalisierten Transaminasen und niedriger Viruslast. Diese kann bei 20–40% der Patienten mit der HBe-positiven Verlaufsform im Therapieverlauf erreicht werden und zeigt ein meist anhaltendes Therapieansprechen mit klinischer Prognoseverbesserung an (8). Im Spontanverlauf kann eine HBe-Serokonversion bedingt durch eine Präcore oder Core Promoter Mutation allerdings auch den Übergang in die HBe-negative Verlaufsform markieren: dann fällt die Vi-

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ruslast nur gering ab und die Erkrankung bleibt aktiv, progredient und Therapiebedürftig (1). Der Abfall oder Verlust der Viruslast, gemessen mit einem hoch-sensitiven PCR-Assay, stellt v. a. für die HBe-negativen Patienten ein wichtiges Surrogat für ein Therapieansprechen dar und führt in der Regel zur Normalisierung der Leberwerte, sowie einer klinischen und histologischen Stabilisierung (4, 9).

die histologischen Veränderungen in der Leber fortgeschritten sind oder je mehr leberschädigende Kofaktoren bestehen (10). Eine Altersgrenze oder Komorbiditäts-bedingte Kontraindikationen sind angesichts der Vielzahl zur Verfügung stehender Medikamente nicht mehr limitierend.

Die Vielzahl der in den verschiedenen klinischen Studien sehr unterschiedlich gewählten Ansprechkriterien und Testsysteme erschwert die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erheblich. Am besten akzeptiert ist daher die anhaltende HBe-Serokonversion bei HBe-positiven sowie die Negativierung der HBV-DNA (PCR) bei HBe-positiven und -negativen Patienten.

Die folgenden HBV-wirksamen Medikamente sind derzeit in Europa zur Behandlung der chronischen Hepatitis B zugelassen oder verfügbar: Standard-IFN alfa und Pegyliertes Interferon alfa2a (PegIFNa; Jahrestherapiekosten: ca. Pegasys; 13750,-D); empfohlene Dosierung: 180 µg/ Woche; 24–48 Wochen bei HBe-positiver, 48 Wochen bei HBe-negativer Hepatitis B. Alfa-Interferone wirken sowohl direkt antiviral als auch durch eine Stimulation des Immunsystems, das die Virus-infizierten Zellen erkennt und zerstört (11). Die großen Zulassungsstudien der pegylierten IFNa haben gezeigt, dass eine auf 48 Wochen beschränkte Behandlung mit einer einmal wöchentlichen Injektion von 180µg PegIFNa2a subkutan bei HBe-positiven Verlaufsformen in 30% zur anhaltenden HBe-Serokonversion führt (7, 12). Bei HBe-negativen Patienten wird ein virologisches Ansprechen (95%) keine Behandlungsindikation dar. Fulminante Verläufe mit Zeichen der Leberinsuffizienz (reduzierte Gerinnungsparameter, Enzephalopathie) sollten in Transplantationszentren betreut und nach Möglichkeit in prospektive Therapiestudien zur Wirksamkeit von Nukleosidanaloga eingebracht werden. Die Mehrzahl der chronisch HBV-infizierten Patienten in Deutschland weist einen inaktiven HBs-Trägerstatus auf mit negativem HBe-Antigen, (fast) normalen Leberwerten und einerViruslast unter 104 Kopien/ ml. Diese Patienten haben eine günstige Spontanprognose, müssen aber wegen der Möglichkeit einer späteren Reaktivierung (bis 30%) lebenslang regelmäßig überwacht werden. Eine Therapieindikation ergibt sich hier bei rezidivierend erhöhten Leberwerten oder histologischem Progress (10). Die typische HBe-Antigen-positive wie auch die HBe-Antigen-negative aktive Hepatitis B mit hoher Viruslast (>105 Kopien/ml) und erhöhter GPT sollten dagegen in der Regel behandelt werden. Die Therapieindikation ist um so dringlicher, je weiter Med Welt 3/2007

Zugelassene Medikamente

damit die Virusreplikation hemmt (13, 14). Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten kommt es in der Standard-Dosierung von 100 mg/die unabhängig vom HBeStatus innerhalb weniger Wochen zum Abfall der Viruslast und der Transaminasen. Bei bis zu 20% der HBe-positiven Patienten kommt es in einem Jahr zur HBe-Serokonversion (14). Bei der Mehrzahl der Patienten kommt es nach dem Absetzen jedoch zum Rezidiv, evtl. im Rahmen eines entzündlichen Schubes. Daher ist diese Therapie in der Regel als Dauertherapie angelegt, die im Langzeitverlauf nicht abgesetzt sondern ggf. umgesetzt oder ergänzt werden muss. Im mehrjährigen Verlauf wurde für Lamivudin nicht nur eine Verbesserung histologischer Entzündungs- und Fibrose-Scores, sondern auch der Komplikationsrate und des Überlebens gezeigt (9). Auf Grund des günstigen Nebenwirkungsprofils gibt es nahezu keine Kontraindikationen, selbst bei fortgeschrittener Leberzirrhose kann es eingesetzt werden. Obwohl Lamivudin keine Zulassung für die Therapie von schwangeren Patientinnen hat, gibt es doch eine umfangreiche Datenlage über seine Sicherheit im Rahmen der HIV-Therapie. Daher ist es in der Schwangerschaft das Medikament der Wahl (15), um eine Hepatitis B zu therapieren oder bei hoher Viruslast der Mutter die peripartale Infektion des Foeten zu verhindern (16, 17). Auf Grund des raschen und häufigen Auftretens von Mutationen, v. a. im Bereich des YMDD-Motivs der viralen Polymerase, mit Kreuzresistenz zu zahlreichen anderen Nukleosidanaloga wird Lamivudin vermutlich in Zukunft seinen Platz in der Monotherapie verlieren (s. u.) (15). Bei Vorliegen einer Lamivudin-Resistenzmutante ist Adefovir auf Grund seines unterschiedlichen Resistenzmusters wirksam (18). Haupteinsatzgebiet von Lamivudin ist heute in der Kombination mit Adefovir bei bestehender Lamivudin-Resistenz (19). Im Einzelfall stellt es auch eine mögliche Therapie während der Schwangerschaft dar, solange die Datenlage für die Alternativpräparate unsicher ist (15). Für die Ersttherapie stehen alternative Präparate mit verbesserter LangzeitWirksamkeit zur Verfügung. Adefovir (Hepsera; Jahrestherapiekosten: ca. 8000,-D); empfohlene Dosierung:

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10 mg/Tag; bis 6–12 Monate nach HBe-Serokonversion oder bis zum Auftreten eines virologischen Versagens. Adefovirdipivoxil ist eine oral verfügbare Vorstufe von Adefovir aus der Gruppe der Nukleotidanaloga, die als Monophosphate den für Nukleosidanaloga limitierenden ersten Phosphorylierungsschritt umgehen. Eine engere Bindung an das aktive Zentrum der viralen Polymerase soll für die im Vergleich zu Lamivudin höhere Barriere gegen Resistenzentstehung verantwortlich sein (20, 21). In der zugelassenen Dosierung von 10 mg/die ist Adefovir sehr gut verträglich und führt in der Mehrheit der HBe-positiven oder -negativen Patienten zu einem Abfall der Viruslast und Transaminasen (6, 22, 23). Unter Langzeittherapie kommt es zu einer zunehmenden und anhaltenden Hemmung der HBV-Replikation (6) sowie Rate an stabilen HBe-Serokonversionen von 12%, 29% und 43% nach 48, 96 und 144 Wochen, die ein Absetzen der Therapie nach weiteren 6 Monaten erlaubt (24). Damit ist auch eine Adefovir-Therapie für die Mehrzahl der Patienten als Dauertherapie angelegt. Allerdings kann es nach mehrjähriger Therapie in einem der PegIFNa-Therapie vergleichbaren Anteil HBe-positiver Patienten zu einem anhaltenden Therapieerfolg kommen. Bei HBe-negativen Patienten hatten nach 3 Jahren noch 79% eine Viruslast 5 log, einer DNA-Negativitätsrate von 54–79% sowie einer HBe-Serokonversionsrate von 29% nach 2 Jahren (29). Auf Grund der Kreuzresistenz mit Lamivudin ist die Positionierung unter den vorhandenen Substanzen kurz nach Zulassung in den USA derzeit unklar. Tenofovir ist bisher nur für die HIV-Infektion zugelassen, mit einer Zulassung für die chronische Hepatitis B ist nicht vor 2008 zu rechnen.Tenofovir ist als Nukleotidanalogon dem Adefovir strukturell eng verwandt, hat aber den Vorteil einer deutlich geringeren Nephrotoxizität, sodass es sehr viel höher dosiert werden kann. Obwohl bisher keine kontrollierten Studienergebnisse bei der chronischen HBV-Infektion existieren, zeigen aber Kohortenanalysen eine sehr hohe HBVWirksamkeit sowohl bei Wildtyp-Infektionen als auch bei Lamivudin-Resistenz (30, 31). Trotz bestehender LamivudinResistenz und Immunsuppression infolge HIV-Koinfektion oder Organtransplantation wiesen 78% und 100% nach 24 und 48 Wochen Tenofovir-Therapie eine negative HBV-PCR auf (30). Ergebnisse aus den derzeit laufenden Phase-III-Studien für HBe-positive und -negative monoinfizierte Patienten werden für 2007 erwartet. Auch bei unzureichendem virologischen Ansprechen auf eine AdefovirTherapie ohne Resistenz weist Tenofovir eine hohe antivirale Effektivität auf (31). Auf Grund des unterschiedlichen Resistenzprofils im Vergleich zu den Nukleosidanaloga bei deutlich höherer antiviraler Wirksamkeit als Adefovir wird Tenofovir sicherlich eine zentrale Rolle in der Ersttherapie sowie als Kombinationspartner in der Behandlung Lamivudin-resistenter Patienten spielen. Clevudin ist ein Pyramidin-NukleosidAnalogon, das in den ersten Studien ebenfalls eine starke HBV-Wirksamkeit aufwies und sich derzeit in Phase-IIIStudien befindet (25, 32, 33). Emtricitabin ist für die HIV-Therapie zugelassen weist aber eine ähnliche

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HBV-Wirksamkeit und Resistenzprofil wie Lamivudin auf (33, 34). Ob es daher einen Vorteil gegenüber den vorhandenen Substanzen bieten kann, ist derzeit nicht absehbar.

Kombinationstherapien Die Zukunft der HBV-Therapie wird in Analogie zur HIV-Therapie möglicherweise bereits in der Ersttherapie, sicher aber bei bestehender Resistenzmutation in der Kombination synergistischer Substanzen liegen, um ein Entstehen von Resistenzmutanten vorzubeugen, die die Wirksamkeit künftiger Therapieregime stark einschränken würden (35). Dabei zeigt die Unterlegenheit einer Kombination von Telbivudin und Lamivudin gegenüber Telbuvidin als Monotherapie (36), dass verschiedene Substanzen nicht beliebig kombiniert werden können. Ideal wäre vermutlich eine Kombination aus jeweils einem hoch-wirksamen Nukleotidund Nukleosidanalogon, da so eine Kompetition um den limitierenden Schritt der ersten Phosphorylierung umgangen wird und zudem keine gegenseitige Kreuzresistenz besteht. Für die Therapie von Lamivudin-resistenten Patienten konnte dies für die Kombination aus Lamivudin und Adefovir schon gezeigt werden (19). Zudem könnten hochpotente Kombinationen einen Effekt auf die cccDNA entfalten und so zur wirklichen Ausheilung beitragen (37). Es bedarf also langfristiger großer Studien mit adäquaten Endpunkten (virologische Durchbrüche, Resistenzrate, cccDNA, anhaltendes Ansprechen), bevor der Effekt einer Kombinationstherapie beurteilt werden kann.

Monitoring des Therapieerfolgs Unter Therapie mit Nukleos(t)idanaloga muss der Patient regelmäßig auf das Auftreten von Nebenwirkungen sowie das virologische und biochemische Ansprechen monitorisiert werden. In der Einstellungsphase sollte in kurzfristigeren Abständen eine Med Welt 3/2007

Kontrolle der biochemischen Routineparameter (Blutbild, Leberwerte, Gerinnung, Bilirubin, Kreatinin, Phosphat) sowie der Viruslast und des HBeAg erfolgen. Wenn ein Ansprechen dokumentiert ist, wiederholen sich diese Untersuchungen alle 6 Monate. Unter einer Therapie mit Peg-Interferon alfa müssen die entsprechenden weitergehenden Empfehlungen berücksichtigt werden. Da die Neukleos(t)id-Therapie ähnlich wie bei der HIV-Therapie eine jahre-, möglicherweise lebenslange Therapie bedeutet und da unter den derzeit verfügbaren Medikamenten lediglich zwei verschiedene Resistenzmuster existieren, sollte das Auftreten von Resistenzmutationen nach Möglichkeit vermieden werden. Dieses wird begünstigt durch einen suboptimalen antiviralen Therapieeffekt, also durch unter Therapie längerfristig nachweisbare Virus-Replikation (38). So besitzt unabhängig von dem gewählten Nukleosidanalogon eine negative HBV-DNA an Woche 24 den höchsten prädiktiven Wert für ein langfristiges Ansprechen nach 48 und 96 Wochen Therapie (39). Demnach sollte bei nachweisbarer Viruslast nach 24 Wochen Nukleos(t)id-Therapie die Behandlung durch Umstellung oder Ergänzung intensiviert werden.

Limitationen der Therapie mit Nukleos(t)idanaloga Die Entwicklung von Resistenzmutationen unter fortgesetzter Therapie stellt die Hauptlimitation aller Nukleos(t)idanalogaTherapien dar. Klinisch ist die Resistenzentwicklung an dem Wiederanstieg einer zunächst suffizient gesenkten Viruslast zu erkennen, dem oft mit einer Latenz von Wochen bis Monaten ein Wiederanstieg der Leberwerte bis hin zum fulminanten Schub folgt (40). Die langsame Kinetik des Viruslast-Anstiegs ist durch eine verminderte Replikationsfähigkeit (virale Fitness) der mutanten Viren bedingt. Allerdings kann ein sekundäres virologisches Versagen auch durch andere Faktoren bedingt sein, z. B. durch mangelnde Compliance, Grenzdosierungseffekte (v. a. unter Adefovir) oder andere Mechanismen. Eine solche virale Re-

sistenz führt ohne Änderung des therapeutischen Regimes zu einem beschleunigten Progress der Lebererkrankung (9). Die einzelnen Substanzen unterscheiden sich deutlich in Geschwindigkeit und Häufigkeit der Resistenzentstehung. Unter fortgesetzter Lamivudin-Therapie treten Mutationen im Bereich der viralen Polymerase in ca. 20% pro Jahr auf, nach 2, 3 und 4 Jahren also 42%, 53% und 70% (41). Da diese Lamivudin-assoziierten Polymerase-Mutationen (meist V173L, L180M, M204I/V) eine Kreuzresistenz oder die Entstehung weiterer Resistenzmutationen gegen wichtige neue Nukleosidanaloga begünstigen, wird es nur noch selten in der Monotherapie eingesetzt. Bei Vorliegen einer Lamivudin-Resistenzmutante sind Adefovir oder Tenofovir auf Grund ihres unterschiedlichen Resistenzmusters in vitro und in vivo wirksam. Auch unter mehrjähriger Adefovir-Therapie kommt es zum Auftreten von Mutationen der HBV-Polymerase, die langfristig den Wirksamkeitsverlust der Substanz bedeuten. Allerdings treten diese mit einer Häufigkeit von 0%, 3% und 11% nach 1, 2 und 3 Jahren seltener und langsamer auf als unter Lamivudin (20, 21, 42). Besteht allerdings bereits eine Lamivudin-Resistenz wird die Adefovir-Resistenzentstehung deutlich beschleunigt (9–18% innerhalb von 12 bis 24 Monaten) (42, 43). Da die Adefovir-Mutationen (A181V oder N236T) sich allerdings von den Lamivudin-Resistenzmutationen unterscheiden (21), bleiben Lamivudin und Adefovir bei der jeweils anderen Mutante wirksam (18, 44). Daraus leitet sich die Rationale für eine Kombination beider Substanzen ab bei Vorliegen einer Resistenz gegen eine der beiden. So konnte in einer großen italienischen Kohortenstudie an Lamivudin-resistenten Patienten durch eine Lamivudin/Adefovir-Kombination im Vergleich zur Adefovir-Monotherapie die Rate virologischen Sekundärversagens im mehrjährigen Verlauf von 9% auf 2% gesenkt und das virologische LangzeitAnsprechen signifikant gesteigert werden (19). Da eine Resistenz gegenüber Entecavir neben der Präexistenz einer Lamivudin-Resistenzmutante mindestens eine zusätzliche Mutation an den Positionen 184, 202 oder 250 der HBV-Polymerase erfordert (45),

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sind bei Nukleos(t)id-naiven Patienten bis Woche 96 keine und bis Woche 144 weniger als 1% Resistenzmutanten aufgetreten (46). Dahingegen wiesen nach 1, 2 und 3 Jahren 1%, 9% und 19% der Patienten mit Lamivudin-Resistenz trotz einer auf 1 mg/Tag erhöhten Entecavir-Dosierung virologische Durchbrüche durch Resistenzmutanten auf (46, 47). Damit erscheint ein Wechsel auf Entecavir bei vorbestehender LamivudinResistenz nicht sinnvoll. Die Resistenzschwelle für Telbivudin liegt signifikant höher als für Lamivudin, allerdings erscheint die Substanz mit ca. 20% bzw. 8% Resistenzen bei HBe-positiven bzw. –negativen Patienten nach zwei Jahren Therapie dem Adefovir und Entecavir unterlegen. Auf Grund der Kreuzresistenz mit Lamivudin stellt es zudem für diese Situation keineAlternative zuAdefovir dar. Für Tenofovir liegen für HBV-Patienten bisher keine kontrollierten Daten zur Resistenzsituation vor. Seine enge strukturelle Verwandtschaft zuAdefovir bei deutlich höherer antiviraler Potenz legen allerdings eine Kreuzresistenz mit reduziertem virologischem Ansprechen nahe. Dies konnte zwischenzeitlich sowohl in-vitro als auch in ersten Fallberichten bestätigt werden (48). Die zweite Limitation der Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga ist die fehlende Virus-Elimination, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine langfristige, meist lebenslange Therapie erforderlich macht. Ursächlich dafür ist die fehlende Wirkung dieser Substanzen auf das replikative Intermediat des HBV, die cccDNA, die episomal im Zellkern der infizierten Zelle vorliegt, eine sehr lange Halbwertszeit aufweist und bei Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben wird (49, 50).

Fazit für die Praxis Bei Patienten ohne relevante Komorbidität oder Kontraindikationen mit deutlich erhöhten Transaminasen sollte zunächst die Indikation für PegInterferon-α2a geprüft werden. Ein solcher Therapieversuch sollte v. a. bei Vorliegen eines Genotyps A oder B über 6–12 Monate durchgeführt werden, um den Patienten eine Chance auf ein dauerhaftes Ansprechen zu bieten. Kommt diese Therapie nicht in Frage, kann ein stark antiviral wirksames Nukleos(t)idanalogon gegeben werden. Das Preis-NutzenVerhältnis sollte beachtet werden. Nach 24 Wochen sollte dann die HBV-DNA bestimmt und bei optimaler Response fortgeführt, und bei Nonresponse Änderungen der Therapie durchgeführt werden. Bei HBeAg-positiver Hepatitis sollte bei Errei-

Diese kann nach Beendigung einer Nukleos(t)id-Therapie oder im Spontanverlauf unter Immunsuppression nachAusheilen einer Hepatitis als Reservoir für die Reaktivierung der Virusreplikation dienen. Eine Elimination dieses Reservoirs kann nur durch Elimination der HBV-infizierten Zellen erfolgen, entweder durch natürlichen Zell-Turnover, oder durch eine immunologisch vermittelte Zytolyse. Für den erstgenannten Mechanismus wäre auf Grund der geringen Teilungsrate der Hepatozyten eine langjährige komplette Suppression der Virusvermehrung notwendig, um eine Neuinfektion von Zellen zu verhindern (51). Ob dies durch Kombinationstherapien erreichbar sein wird ist derzeit offen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Immun-

chen einer HBe-Serokonversion 6–12 Monate über den Nadir der Viruslast hinaus weiterbehandelt werden. Bei ausbleibender Serokonversion sowie bei HBe-negativen Patienten wird bis zum Auftreten von Resistenzen langfristig weitertherapiert. Bei Vorliegen einer Lamivudin-Resistenz sollte die Therapie nicht auf eine andere Monotherapie gewechselt, sondern um Adefovir ergänzt werden. Diese Kombination ist wirksam und reduziert das Risiko einer zusätzlichen Adefovir-Resistenz. Bei Vorliegen einer Adefovir-Resistenz sollte die Therapie um Lamivudin ergänzt werden. Für eine Kombination aus Adefovir und Entecavir, die in beiden Situationen theoretisch wirksamer sein könnte, fehlen klinische Daten. Die Zulassung neuer wirksamer Nuleos(t)idanaloga kann für die nächsten Jahre erwartet werden.

therapie durch therapeutische Vakzinierung oder unspezifische Immunstimulation attraktiv, um natürliche Killerzellen oder zytotoxische T-Lymphozyten zur Elimination cccDNA-tragender HBV infizierter Zellen zu stimulieren. Solche Therapien befinden sich derzeit in präklinischen und frühen klinischen Studien. Literatur unter www.die-medizinische-welt.de

Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. Wulf Otto Böcher I. Medizinische Klinik und Poliklinik Johannes Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1 55131 Mainz E-Mail: [email protected]

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