Thema: Wie viel Macht haben nationale Parlamente in der EU?

Vortrag von Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, am 25. Januar in der Schwarzkopf-Stiftung. Die Veranstaltung war Teil ...
Author: Brit Fertig
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Vortrag von Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, am 25. Januar in der Schwarzkopf-Stiftung. Die Veranstaltung war Teil von Europa Verstehen, ein Projekt der SchwarzkopfStiftung in Kooperation mit der Stiftung Mercator.

Thema: Wie viel Macht haben nationale Parlamente in der EU? Vor zwei Wochen war der britische Schatzkanzler Philip Hammond in meinem Büro zu Gast – es war ein sehr interessantes Gespräch. Hammond ist ein typischer britischer Politiker: sehr höflich, sehr humorvoll - und er wirkt ein bisschen wie ein Aristokrat. Kein Zufall, dass auf seiner Mappe, die er dabei hatte, stand: HM Treasury. Her Majesty´s Treasury. Man könnte sagen: Hammond war für eine kleine Charme-Offensive hier. Wir redeten natürlich über die Brexit-Entscheidung und die anstehenden Austrittsverhandlungen. Hammond war ursprünglich selbst gegen den Austritt gewesen, fühlt sich nun aber verpflichtet, die demokratische Entscheidung umzusetzen. Er sagte mir, dass für den Ausgang der Abstimmung zwei Gründe entscheidend waren: erstens die Bilder von der Flüchtlingskrise 2015 auf dem Kontinent. Und zweitens der schlechte Zustand der Europäischen Union ganz allgemein. Klar, dass einem überzeugten Europäer wie mir solche Aussagen nicht besonders schmecken. Und gegen diese Argumentation lässt sich auch einiges einwenden: Die Flüchtlinge aufzunehmen war eine humanitäre Pflicht. Und als großes Mitgliedsland hätte Großbritannien ja mithelfen können, die EU zu verbessern – stattdessen waren die Briten damit seit jahrzehntelang damit beschäftigt, sich auf wichtigen Gebieten Ausnahmeregelungen zu organisieren. Das ist alles richtig. Aber wenn wir ehrlich sind, dann hat der britische Finanzminister mit seiner Aussage einen wunden Punkt getroffen: Die EU hat in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität eingebüßt. Wie ein Haus, das lange nicht gepflegt wurde: Das Fundament steht noch, aber es hat Risse bekommen und der Putz blättert von den Wänden. Der Renovierungsbedarf springt einem sofort ins Gesicht.

Wie konnte es so weit kommen? In den ersten 50 Jahren hatte sich die europäische Integration wie entlang einer Exponentialkurve entwickelt. Die Mitgliedsländer vergemeinschafteten immer mehr Politikbereiche. Die gemeinsamen Institutionen wurden gestärkt. Das EP erhielt mehr Macht und Einfluss. Und immer mehr Länder traten dem Staatenbündnis bei.

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Dabei war es nicht so, dass es keine kontroversen Diskussionen über den Zustand und mögliche Reformen der Europäischen Institutionen gab. Aber am Ende setzte sich immer eine Win-win-Logik durch, die Kompromisse und Paketlösungen ermöglichte. Derweil existierte in der Gesellschaft das, was Politikwissenschaftler den „permissiven Konsens“ nennen: Die Bürger verstanden zwar nicht genau, was ihre politischen Eliten da in Brüssel genau verabredeten und trieben – aber sie waren grundsätzlich damit einverstanden. Doch in den neunziger Jahren begann der permissive Konsens zu bröckeln. Das Vertrauen in die europäischen Institutionen nahm ab. Zum Beispiel sank die Wahlbeteiligung zu Europawahlen in Deutschland von 65 im Jahr 1979 auf 45 Prozent im Jahr 1999 (2004 und 2009: 43 Prozent; 2014: 48 Prozent). Zugleich kam der Motor der europäischen Einigung spätestens Mitte der 2000er Jahre ins Stottern. Nichts zeigt dies deutlicher als der gescheiterte Verfassungsvertrag nach den verlorenen Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005. Als der Vertrag von Lissabon im Jahr 2007 unterzeichnet wurde, war der europäische Elan schon spürbar erlahmt. Und just zu diesem Zeitpunkt wurden die Schwächen der Europäischen Union durch zwei weltweite Großkrisen schonungslos offen gelegt: durch die Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise und die Flüchtlingskrise. Diese beiden Krisenkomplexe haben Europa komplett durchgeschüttelt. Sie haben das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit von Politik erschüttert – und sie tun dies bis heute. Die Unfähigkeit Europas, in der Flüchtlingspolitik an einem Strang zu ziehen, die bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu beseitigen und für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen gefährdet den Zusammenhalt in und zwischen den Staaten. Sie untergräbt die Idee von der EU als politisches Hoffnungsprojekt.

Wege aus der Krise Dass es so nicht weitergehen kann, darin sind sich die meisten Beobachter einig. Nur wie genau sich die EU verändern muss, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Option 1: Zurück zum Nationalstaat Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die die Macht von Brüssel zurück in die Nationalstaaten übertragen wollen. Das sind natürlich rechtspopulistische Parteien wie der Front National in Frankreich oder die AfD in

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Deutschland. Aber auch seriöse Wissenschaftler wie Wolfgang Streeck oder Fritz W. Scharpf fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen – was nach meiner Überzeugung das Ende der EU bedeuten würde. In Wirklichkeit wäre diese Strategie fatal – gerade für die Exportnation Deutschland. Mauern hoch und Schotten dicht, das hat noch nie funktioniert und wäre ein Verarmungsprogramm. Nein, in einer Welt, in der die transnationalen Herausforderungen zunehmen, lassen sich keine nachhaltigen Antworten in den engen Grenzen des Nationalstaats formulieren. Anders herum wird ein Schuh draus: Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie gründen - gerade jetzt!

Option 2: Die Europäische Republik Und dann gibt es diejenigen, die umgekehrt den Nationalstaat abschaffen wollen. Intellektuelle wie Ulrike Guérot oder Robert Menasse fordern nicht weniger als die Gründung einer „Europäischen Republik“. Mit einem europäischen Präsidenten und zwei Parlamentskammern, von allen europäischen Bürgern direkt gewählt. Den Europäischen Rat, die Kommission, das EP - und auch die Nationalstaaten würden in der Konsequenz abgeschafft. Denn – Zitat –:„ Die Nationalstaaten pervertieren die europäische Idee und spielen Europas Bürger gegeneinander aus.“ Ehrlich gesagt: Mir sind solche republikanischen Überlegungen nicht unsympathisch. Die Debatte lebt ja immer auch von solchen Visionen, an denen man die eigenen Positionen schärfen kann. Außerdem war es meine Partei, die SPD, die schon im Jahr 1925 in ihrem Heidelberger Programm die „Vereinigten Staaten von Europa“ forderte. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden soll. Ich glaube nicht, dass die Bürger auch nur eines einzigen EU-Mitgliedsland jetzt oder in Zukunft bereit wären, ihre nationalen Demokratien zugunsten einer europäischen Republik aufzugeben – auch wenn die Mehrheit der Europäer in Umfragen der Europäischen Union mehr vertraut als ihren jeweiligen nationalen Parlamenten. Der Zeitgeist läuft doch eher in die entgegengesetzte Richtung: Angesichts der multiplen Krisen sehnen sich viele Menschen nach Überschaubarkeit, Werten, Heimat, Gemeinschaft, Tradition, bekannten Strukturen. Ob zu Recht oder nicht, Brüssel steht für das Gegenteil: für bürgerferne Politik einer europäischen ExpertenElite. Davon abgesehen verkennen die Verfechter einer europäischen Republik die Bedeutung der nationalen politischen Diskurse, der nationalen Regierungen und insbesondere der nationalen Parlamente für die Akzeptanz und Funktionsfähigkeit der Politik der Europäischen Union.

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Es ist deshalb ein Trugschluss zu glauben, die Demokratisierung des Friedens- und Freiheitsprojekts Europäische Union könne über einen – wie auch immer gearteten – Rückbau demokratischer Errungenschaften in den Mitgliedsstaaten erfolgen. Ich will diese These am Beispiel des Deutschen Bundestages verdeutlichen. Die Rolle des Bundestages in der Europapolitik Die EU-Mitwirkung des Bundestages ist Verfassungsauftrag: gemäß Art. 23 GG hat Bundestag das Recht, aber auch die Pflicht in alle Angelegenheit der Europäischen Union mitzuwirken. In der EU gibt es nämlich das Problem, dass die klassische Gewaltenteilung Exekutive/Judikative sozusagen permanent verletzt wird. Anders als in den Nationalstaaten werden europäische Gesetze (Richtlinie, Verordnung) durch die Regierungen der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament entschieden. Der Grund: EU-Gesetze wären praktisch unmöglich zu verabschieden, wenn nicht Regierungen Interessen und Sachkenntnis aus ihren jeweiligen Ländern bündeln würden. Diese Verletzung der Gewaltentrennung ist hinnehmbar und auch zulässig, weil einerseits das Europäisches Parlament Mitgesetzgeber ist und anderseits der Bundestag gegenüber der Bundesregierung mitwirkt. Das Bundesverfassungsgericht ist diese Mitwirkung zur Wahrung des Demokratieprinzips extrem wichtig. Wie genau sieht diese Mitwirkung aus? Die wichtigste Einflussmöglichkeit besteht in der Kontrolle der nationalen Regierung bei deren Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten im Rat. Der Bundestag erhält von der Bundesregierung automatisch alle EU-Dokumente (mehr als 20.000 jährlich). Gefiltert nach Bedeutung werden die wichtigen von ihnen im Plenum und in den Ausschüssen behandelt. Dort müssen die Vertreter der Bundesregierung Rede und Antwort stehen, über den Verhandlungsverlauf in Brüssel berichten und die Meinung der Abgeordneten aufnehmen. Ist der Bundestag (in aller Regel faktisch seine Mehrheit) der Auffassung, dass ein Thema besonders wichtig ist, beschließt er einen Verhandlungsauftrag für die Bundesregierung („Stellungnahme“). In einigen im Integrationsverantwortungsgesetz geregelten Fällen ist zudem eine Zustimmung des Bundestages zu bestimmten Maßnahmen der EU erforderlich. Darüber hinaus gibt es einen Dialog zwischen den nationalen Parlamenten und der Kommission: Den Parlamenten der Mitgliedsstaaten werden Konsultationsdokumente wie Grün- und Weißbücher unmittelbar zugeleitet und sie haben die Möglichkeit, sich direkt gegenüber der KOM zu äußern. Besonders wichtig: Neben der Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung finden im Bundestag regelmäßig große Debatten über europapolitische Themen statt. So hält die Bundeskanzlerin vor oder nach

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den Treffen des Europäischen Rates üblicherweise eine Regierungserklärung – mit anschließender Debatte in der Kernzeit des Plenums. Anders als viele Debatten im EP werden diese Parlamentssitzungen von der deutschen Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen. Die nationalen Parlamente sind also eine wichtige Säule der viel beschworenen europäischen Öffentlichkeit – und sollten dies auch bleiben. Aus diesen Gründen arbeite ich daran, die europapolitische Arbeit der nationalen Parlamente zu stärken, statt sie zu schwächen. Wir bemühen uns um eine engere Zusammenarbeit der nationalen Parlamente untereinander. Zum Beispiel habe ich für Februar zu einer Konferenz der sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden der nationalen EU-Parlamente eingeladen. Ich möchte ein Beispiel für die Mitwirkung des Bundestages an europäischen Angelegenheiten aus der Praxis nennen: die Eurokrise. Bei diesem Mega-Thema war der Bundestag umfassend beteiligt. Alle Finanzhilfen sind mit Zustimmung des Bundestages erfolgt. Die Fragen nach Ursachen, Verantwortlichen und besten Lösungswegen wurden umfangreich im Plenum diskutiert und in Beschlüssen festgehalten. Auch aufgrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes hatte der Bundestag bei der Grundsatzentscheidung, wegen der Gefahr eines Kollapses des globalen Finanzsystems Finanzhilfen zu gewähren, das letzte Wort. Zugleich hat er über die Auflagen der Hilfsprogramme und ihre Bedingungen abgestimmt. Sogar bei Einzelentscheidungen bei der Durchführung ist der Haushaltsausschuss einbezogen. Ich bin überzeugt: Ohne diese enge Einbindung des Bundestages wäre der öffentliche Unmut über die Hilfsgelder für die südeuropäischen Länder in Deutschland noch viel größer gewesen.

Debatte über die Zukunft der EU Aus diesen Gründen sollten wir die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union nicht gegen die nationalen Parlamente führen, sondern wir sollten sie als wichtigen europapolitischen Akteur mitdenken und ernst nehmen. Und wir sollten die Debatte über die Zukunft der EU auch im Bundestag selbst führen. Option 3 Der Weg hin zu einer voll funktionsfähigen EU führt aus meiner Sicht nicht über revolutionsartige Veränderungen, sondern nur über mutige, aber realistische Reformen des bestehenden institutionellen Systems hin zu einer politischen Union. Dabei sind für mich zwei Punkte zentral: Wir müssen die Eurozone zu einer vollständigen Wirtschaftsunion ausbauen – mit eigenem EurozonenBudget und eigener parlamentarischer Repräsentanz zur demokratischen Kontrolle. Die

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Finanztransaktionssteuer sollte ein wichtiger Baustein werden beim Aufbau einer so genannten „Fiskalkapazität“. Klar ist: Nur mit einer wirtschaftlich starken Eurozone können wir die soziale Dimension Europas stärken und Mindeststandards für Arbeitnehmer durchsetzen. Wir müssen eine gemeinsame europäische Flüchtlingsordnung schaffen. Alle Experten sind sich einig, dass der Migrationsdruck in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eher noch steigen wird, vor allem aus Afrika. Davon werden nicht nur Deutschland, Schweden, Griechenland oder Italien betroffen sein, sondern alle Staaten der EU. Entweder wir steuern die Einwanderung gemeinsam, oder wir steuern sie gar nicht. Dann wird das Schengen-System nicht bestehen bleiben können. Ich bin optimistisch, dass wir diese und weitere Reformen hinbekommen. Veränderungen und Reformen lassen sich meistens nur in Krisen und unter äußerem Druck durchsetzen. Und in einer Zeit, in der Vladimir Putin und neuerdings anscheinend auch Donald Trump die EU spalten wollen, wird dieser Druck Woche um Woche spürbarer werden. Ich habe dem eingangs erwähnten Philip Hammond deshalb heftig widersprochen, als er sagte, aus seiner Sicht würde die EU ohne Großbritannien wirtschaftlich und sozial auf die schiefe Bahn geraten. Irgendwann würden sich deshalb auch die 48 Prozent der Briten, die für „Remain“ gestimmt haben, über den Brexit freuen. Nein, mit etwas Fortüne wird das Gegenteil der Fall sein: Das Krisenbündel aus Brexit, Migrationsdruck, Putin und Trump wird die EU Mitgliedsländer nachgerade dazu zwingen, der EU ein Reform- und Erneuerungsprogramm aufzuerlegen. Ein Programm, das zu mehr Sicherheit und Wohlstand in Europa führen wird. Ich habe Hammond in diesem Zusammenhang auf ein kleines Detail hingewiesen: Seit der BrexitEntscheidung ist die Zustimmung zur EU in den EU-Mitgliedsländern nicht etwa gesunken, sondern spürbar gestiegen. Es gibt also auch Zeichen der Hoffnung. Dabei gilt allerdings: Die Politiker können nicht alleine für eine gute Zukunft sorgen, sondern dazu braucht es das Engagement der Bürger. Deshalb möchte ich Sie und Euch dazu herzlich ermutigen, sich als junge Europäer in die Debatte zur Zukunft der EU einzumischen. Lassen Sie uns gemeinsam für ein besseres Europa arbeiten!

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