Stellungnahme. der. zum

BAG SELBSTHILFE Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. Kirchfeldstr....
Author: Mina Fleischer
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BAG SELBSTHILFE Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. Kirchfeldstr. 149 40215 Düsseldorf Tel.: 0211/31006-35 Fax.: 0211/31006-48

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE)

zum

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG)

Als Dachverband von 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt es die BAG SELBSTHILFE zwar, dass mit der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilfesystem des SGB XII wichtige Zielsetzungen hin zu mehr Inklusion und Teilhabe erkennbar werden. Leider werden jedoch große Chancen vertan, die mit einer wirklichen Reform der Eingliederungshilfe im Sinne der Menschen mit Behinderungen verbunden wären. Die BAG SELBSTHILFE bedauert sehr, dass der vorliegende Entwurf weit hinter den Erwartungen zurück bleibt, die gerade vor dem Hintergrund der langen

Diskussionen im vorausgegangenen hochrangigen Beteiligungsprozess entstanden waren. Teilweise sind sogar Verschlechterungen gegenüber der derzeitigen Rechtslage erkennbar oder zumindest zu befürchten. Vor allem steht ein Großteil der

geplanten

Neu-Regelungen

nicht

im

Einklang

mit

der

UN-

Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).

I. Grundsätzliche Anmerkungen Der Referentenentwurf weist Unzulänglichkeiten und Defizite bereits in folgender Hinsicht auf:

1. Koalitionsvereinbarung Zum einen bleibt der Entwurf bereits hinter den eigenen politischen Vorhaben und Vereinbarungen der Regierungskoalition zurück. Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode hatten sich die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD darauf verständigt, „die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines

bundeseinheitlichen

Verfahrens

personenbezogen

ermittelt

werden.

Leistungen sollen nicht länger institutionszentriert, sondern personenzentriert bereitgestellt werden.“ Dabei soll „das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen

im

berücksichtigt“

werden.

Sinne Im

der

Übrigen

werde

UN-Behindertenrechtskonvention man

„die

Einführung

eines

Bundesteilhabegeldes prüfen“. Wie nachfolgend noch näher ausgeführt wird, werden mit den im vorliegenden Entwurf enthaltenen Neuregelungen diese auf der UN-Behindertenrechtskonvention basierenden Ziele nicht erreicht. Auffallend ist, dass viele der bisherigen Eingliederungshilferegelungen des SGB XII lediglich – vielfach wortgleich – in den neuen Teil II des SGB IX überführt werden, sich am System des Sozialhilfecharakters und der Fremdbestimmung jedoch so gut wie nichts ändert. Vor allem ist der Entwurf weiterhin weit entfernt von einem modernen Teilhaberecht – soweit man 2

hierunter die Verwirklichung der Grundsätze von Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation

versteht.

Stattdessen

stehen

nach

wie

vor

finanzielle

und

verwaltungsbezogene Aspekte im Vordergrund, während die Erbringung der Leistungen der Eingliederungshilfe vorrangig unter der Prämisse wirtschaftlicher Gesichtspunkte erfolgen soll. Insoweit wird in der Praxis weder eine hinreichende Orientierung am persönlichen Bedarf erfolgen noch besteht ein Wunsch- und Wahlrecht

für

den

einzelnen

Leistungsbezieher

im

Sinne

einer

echten

Entscheidungsmöglichkeit zwischen alternativ zur Verfügung stehenden Leistungen.

2. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Damit bleibt der vorliegende Entwurf zum anderen auch weit hinter den Vorgaben der UN-BRK zurück. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der Konvention völkerrechtlich dazu verpflichtet, deren Inhalt in innerdeutsches Recht umzusetzen. Das Vertragsgesetz bewirkt die innerstaatliche Geltung des völkerrechtlichen Vertrages (sog. Rechtsanwendungsbefehl bzw. Rechtsgeltungsbefehl), denn in dem Moment, in dem er Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden ist, erstreckt sich gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die Bindung der öffentlichen Gewalt auch auf diese Norm. Da die wenigsten der in der UN-BRK enthaltenen Rechte einklagbare subjektive Rechte des einzelnen Bürgers darstellen, muss eine Umsetzung in innerdeutsches Recht erfolgen, um entsprechende Ansprüche zu begründen.

Im

Übrigen

sind

nach

der

Rechtsprechung

des

Bundesverfassungsgerichts die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen der Auslegung geltender Normen zugrunde zu legen. Das heißt aber wiederum nicht, dass es im Belieben des Gesetzgebers steht, ob er im Rahmen seiner Gesetzgebung die Vorgaben der UN-BRK beachtet oder nicht. Gerade aufgrund der normativen innerstaatlichen Geltung der Konvention muss der Gesetzgeber darauf achten, dass es nicht zu einem Normwiderspruch oder auch nur einem Wertungswiderspruch kommt. Gerade das ist aber im Falle des geplanten Bundesteilhabegesetzes zu befürchten. Denn wenn etwa Personen, die nach der Definition der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 1 Satz 2) als Menschen mit Behinderungen gelten, aufgrund von höheren Anforderungen im BTHG von vornherein

vom

Genuss

der

dort

verankerten

Rechte

im

Bereich

der

Eingliederungshilfe ausgeschlossen werden (vgl. § 99 SGB IX-E), stellt dies ganz 3

offenkundig einen Wertungswiderspruch dar. Auch stellt sich die Frage, wie zum Beispiel der in der UN-Behindertenrechtskonvention enthaltene Grundsatz der Selbstbestimmung (vgl. Art. 3a) im Einklang steht mit einem stark eingeschränkten Wunsch- und Wahlrecht (vgl. hierzu die Ausführungen unter III. 3.). Ungeachtet

dieser

Referentenentwurf Umsetzung

der

rechtlichen eines

Verpflichtung

Bundesteilhabegesetzes

UN-Behindertenrechtskonvention

stellt

der

ohnehin dar.

vorliegende

keine

Wie

wirkliche

wichtig

der

Bundesregierung die UN-Konvention und der Gedanke von Inklusion sind, hat sie zwar immer wieder betont (nicht zuletzt im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, aber zum Beispiel auch im erwähnten Koalitionsvertrag), faktisch sind sie für die politisch Verantwortlichen aber

offensichtlich

nur

dann

von

Bedeutung,

wenn

entsprechende

Gesetzesregelungen oder sonstige Maßnahmen mit keinen oder nur geringen Kosten verbunden sind. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die regelmäßige Erwähnung bzw. Bezugnahme auf die UN-Behindertenrechtskonvention sowie die darin enthaltenen Grundsätze von Inklusion und Selbstbestimmung in erster Linie als Etikette dienen sollen und es weniger darauf ankommt, den Geist und Inhalt der Konvention tatsächlich in Gesetze und andere politische Maßnahmen einfließen zu lassen. Beim vorliegenden Entwurf lässt sich dies vor allem daran erkennen, dass die Eingliederungshilfe zwar aus dem SGB XII herausgelöst werden soll, um – wie es in der Begründung heißt – den Leistungen ihren bisherigen Sozialhilfe- und Fürsorgecharakter zu nehmen. Die bloße Verankerung der Eingliederungshilfe im SGB IX genügt insoweit jedoch nicht, denn am sozialhilfeorientierten Kernwesen der Eingliederungshilfe ändert sich praktisch kaum etwas: nach wie vor werden bei der Leistungserbringung Einkommen und Vermögen berücksichtigt und nach wie vor bestimmen weitestgehend die Rehabilitationsträger – und nicht der betroffene Behinderte –, welche konkreten Leistungen erbracht werden.

3. Befürchtung steigender Kosten und nachteiliger Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt Es ist unbestritten, dass die Kosten der Eingliederungshilfe einen der größten Posten der Sozialetats von Ländern und Kommunen (und indirekt auch des Bundes)

4

ausmachen. Bis 2014 sind die jährlichen Ausgaben für die Eingliederungshilfe laut Statistischem Bundesamt auf 15 Milliarden Euro netto gestiegen, wobei in jenem Jahr 860.500 Betroffene Leistungen der Eingliederungshilfe erhielten. Es ist nachvollziehbar, dass die Angst vor weiter steigenden Kosten nicht nur bei Haushaltspolitikern Vorsicht und Zurückhaltung hervorruft, wenn es um die Ausgestaltung neuer Regelungen geht. Doch wer eine einfache Rechnung aufmacht, die lediglich die bestehende Finanzlage, die Fallzahlen und die durchschnittlichen Kosten pro Empfänger von Eingliederungshilfeleistungen (derzeit ca. 17.400 Euro) berücksichtigt, handelt unbedacht und letztlich unverantwortlich – gerade auch in haushaltspolitischer Hinsicht. Denn die verhältnismäßig hohen Kosten der Eingliederungshilfe haben vor allem zwei wesentliche Ursachen, die in den Debatten weitgehend unberücksichtigt bleiben oder allenfalls nur indirekt angesprochen werden: erhebliche strukturelle Mängel und fehlende Zugänge für Menschen mit Behinderungen zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Nirgendwo sonst wirken sich das gegliederte Sozialleistungssystem und die unterschiedliche

Finanzierungszuständigkeit

stärker

aus

als

bei

der

Behindertenhilfe: Ist der Betroffene erwerbsgemindert, erhält er in der Regel durch Sozialversicherungsbeiträge

finanzierte

Erwerbsminderungsrente

von

der

Rentenversicherung, anderenfalls bzw. in Ergänzung hierzu Grundsicherung, für die wiederum

die

jeweilige

kommunale

Behörde

zuständig

ist.

Liegt

keine

Erwerbsminderung vor, reicht das vorhandene Einkommen und Vermögen jedoch nicht zum Lebensunterhalt aus, kommt Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Betracht – allerdings auch nur soweit die Hilfebedürftigkeit nicht durch eine andere vorrangige Sozialleistung überwunden werden kann. Ist der Betroffene zudem pflegebedürftig, kommen (grundsätzlich vorrangige) Pflegeleistungen für bestimmte Lebensbereiche in Betracht. Benötigt der Betroffene dagegen ein Hilfsmittel, sind die Krankenkassen zuständig, aber nur wenn die Leistung im Rahmen des sog. Behindertenausgleichs erbracht wird, anderenfalls kommt wieder der

Sozialhilfeträger

zum

Zuge,

wenn

das

Hilfsmittel

als

Leistung

der

Eingliederungshilfe beansprucht werden kann. Und was die Arbeitsmarktintegration angeht: hier kommen zum einen Leistungen der Arbeitsagentur in Betracht, die vom Bund wie durch Abgaben von Unternehmen finanziert wird, aber auch Leistungen der Integrationsämter der Länder. Werkstätten für behinderte Menschen 5

werden dabei zumeist von den Kommunen, teilweise aber auch von den Ländern finanziert. Insoweit hat jeder Bereich seine eigene Verwaltung und hierauf begrenzte Verantwortung - und damit auch sein eigenes eingeschränktes Blickfeld. Jeder steht unter dem Druck, die eigenen Kosten möglichst gering zu halten; ist jemand anderes zuständig, umso besser. Nicht eine optimierte Zusammenarbeit zwischen den Behörden zum Wohle des behinderten Menschen und mit dem Ziel, ihn in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, steht im Mittelpunkt, sondern die Bewahrung der Hoheit über den eigenen Verwaltungsbereich bei gleichzeitiger Zielsetzung der Kostenvermeidung bzw. des Erhalts staatlicher Mittel. Verlässt ein Behinderter die Förderschule bzw. die Regelschule mit etwaiger Schulbegleitung – für die Finanzierung sind in der Regel Land und Kommune zuständig – prüft die Arbeitsagentur im Rahmen berufsvorbereitender Maßnahmen, ob eine Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgversprechend ist. Ist das der Fall, findet sich jedoch keine Stelle, erhält er von der Arbeitsagentur Arbeitslosengeld. Dem letztlich für diese Leistung aufkommenden Bund dürfte es daher gefallen, wenn eine „wesentliche Einschränkung in der Fähigkeit zur Teilhabe“ festgestellt wird und der Betreffende in einer Werkstatt für behinderte Menschen unterkommt. Dann zahlen nämlich die Kommunen. Die Arbeitsagenturen entscheiden über die Frage der Erwerbsfähigkeit maßgeblich mit, während sich die Kommunen auf ein Werkstattgutachten stützen, soweit der Betreffende zur Berufsvorbereitung hier tätig war. Problematisch ist insoweit die Tatsache, dass die Werkstatt umso mehr verdient, je mehr Mitarbeiter sie beschäftigt. Diesem System wohnt also zwangsläufig ein Interessenkonflikt inne, egal ob dabei böse Absichten im Spiel sind oder nicht. Schlimm ist hieran, dass das System in sehr vielen Fällen zu Lasten des behinderten Menschen geht. Und dem Staat ist hierdurch auch nicht geholfen, denn die Kosten bleiben bestehen, egal ob Bund, Land oder Kommune im Einzelfall zuständig ist. Da die Kommunen vor allem unter der Last sozialer Leistungen, die sie erbringen müssen, leiden, müssen ihnen Bund und Land aushelfen – so wie dies beispielsweise mit den vereinbarten fünf Milliarden Euro Unterstützung zur Finanzierung der Eingliederungshilfe vorgesehen war. Solange an den Strukturen insgesamt jedoch nichts geändert wird und der einzelne Behinderte nicht eine reelle Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

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erhält, bleiben die hohen Kosten bestehen. Stattdessen werden nach wie vor alte Bilder und Stereotypen aufrechterhalten, die verhindern, wirkliche Reformschritte einzuleiten, die ihrerseits kostendämpfend wirken. Zugegebenermaßen ist hierfür ein langer Atem erforderlich. Eine vorausschauende Planung – einschließlich der Schaffung einer entsprechenden Gesetzeslage - führt jedoch zweifelsohne zu einer klaren Amortisierung der finanziellen Aufwendungen sowie zu einer langfristigen Stabilisierung.

4. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit Abschließend sei im Rahmen der grundsätzlichen Anmerkungen noch auf folgenden Aspekt hingewiesen. Die Regelungen bewirken sowohl hinsichtlich der Formulierung des jeweiligen Inhaltes als auch hinsichtlich der Systematik und bestehender Verweise untereinander eine große Unübersichtlichkeit und Unklarheit. Das mag bei vielen Sozialrechtsnormen der Fall sein, vor allem bei den bisherigen Regelungen im SGB XII. Dennoch hätte die Chance genutzt werden können, durch verständlichere Formulierungen eine bessere und leichtere Nachvollziehbarkeit zu erzeugen. Gerade im sozialrechtlichen Bereich muss für alle Beteiligten – Leistungsempfänger, Leistungsträger und Leistungserbringer – klar sein, was gelten soll. Damit Rechte tatsächlich gewährt werden können, müssen sie präzise beschrieben werden. Auch müssen die Vorrangregelungen im Normengefüge deutlich und bestimmt sein. Soweit Rechtsnormen jedoch nicht mehr oder nur noch mit großer Schwierigkeit inhaltlich zu verstehen und in ihrer Wechselwirkung und Bezugnahme zu anderen Vorschriften

kaum

nachvollziehbar

sind,

ist

dies

nicht

mehr

mit

dem

rechtsstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit vereinbar. Es mutet seltsam an, dass einerseits im Sinne von Inklusion die sog. Leichte Sprache gerade bei Behörden und Verwaltung stärker etabliert wird, andererseits ein Gesetz geschaffen wird, das selbst manchem Sozialrechtsexperten Schwierigkeiten beim Verstehen bereitet. Dessen ungeachtet ist zu befürchten, dass dem Bundesteilhabegesetz das gleiche Schicksal ereilt wie seinerzeit den Neuregelungen zum Arbeitslosengeld II im SGB II: die Vielzahl an unklaren, teilweise sogar widersprüchlichen Regelungen führen dazu, dass entsprechend fehlerhafte Bescheide von Gerichten aufgehoben und korrigiert

7

werden müssen und dass vor allem im Wege der Rechtsfortbildung erst nach Jahren höchstrichterlich geklärt ist, wie manche Regelungen im Lichte des Grundgesetzes und

der

UN-Behindertenrechtskonvention

zu

verstehen

sind.

Mit

einem

hinreichenden Maß an Klarheit und Transparenz bei der Ausgestaltung der einzelnen Normen würde man der zu befürchtenden Klageflut indessen von vornherein wirksam begegnen können.

II. Forderungen der BAG SELBSTHILFE und des Deutschen Behindertenrates sowie weiterer Verbände an ein Bundesteilhabegesetz Im Rahmen des vorausgegangenen hochrangigen Beteiligungsverfahrens waren zehn Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates (DBR) an den Diskussionen der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beteiligt. Die BAG SELBSTHILFE sowie fünf ihrer Mitgliedsverbände

(d.h.

behinderungsspezifische

Verbände

aus

dem

Selbsthilfebereich) entsandten dabei die Mehrheit der Verbändevertreter in der Arbeitsgruppe. Trotz verschiedener Blickwinkel und teilweise auch durchaus unterschiedlicher Interessen in Detailfragen haben die Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Behindertenrates

(DBR)

gemeinsame

Grundpositionen

erarbeitet

(vgl.

„Zusammenfassende Positionierung für ein Bundesteilhabegesetz zum Abschluss des BMAS-Beteiligungsverfahrens“ vom 31.03.2015), die in den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingeflossen sind. Diese Betrachtungsweise und Beurteilung stellte sodann auch die „Messlatte“ für die Vorläufige Bewertung des DBR zum Arbeitsentwurf Bundesteilhabegesetz

(Stand

18.12.2015)

dar.

Die

in

dieser

Vorläufigen

Erstbewertung enthaltene Kritik am Entwurf war mit der Hoffnung verbunden, dass der Arbeitsentwurf vom 18.12.2015 noch umfangreiche Änderungen erfährt. Leider ist dieser Erwartung mit dem vorliegenden Referentenentwurf auch nicht ansatzweise Rechnung getragen worden. Es bleibt dabei, dass die Kernforderungen, die nicht zuletzt auf den Inhalten der UN-BRK basieren, weitestgehend unerfüllt bleiben. Das betrifft die Verwirklichung

8

des Prinzips der Selbstbestimmung durch Ausgestaltung eines echten Wunsch- und Wahlrechts von Menschen mit Behinderungen ebenso wie Gewährung von Fachleistungen ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen, damit Inklusion und Autonomie des Einzelnen nicht von vornherein daran scheitern, dass ein Betroffener auf Armutsniveau gehalten wird. Mit den nachfolgenden „Sechs Gemeinsamen Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz“ haben der Deutsche Behindertenrat, die Fachverbände für Menschen mit Behinderung, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen die von allen für unverzichtbar und im Hinblick auf das Bundesteilhabegesetz umzusetzenden Notwendigkeiten zusammengefasst:

Sechs gemeinsame Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz zum Referentenentwurf vom 26. April 2016 Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe. Dieses Recht gilt bundesweit für alle behinderten Menschen. Notwendige Unterstützungsleistungen müssen bundesweit einheitlich gemäß Grundgesetz gewährleistet sein, um einheitliche Lebensverhältnisse zu sichern. Es darf nicht vom Bundesland abhängen, ob und wie Leistungen gewährt werden. Eine Regionalisierung der Eingliederungshilfe ist strikt abzulehnen. Wir kritisieren auch Öffnungsklauseln, mit denen ein Bundesland einzelne Leistungen oder auch Zugang, Umfang und Qualität zulasten der Betroffenen reduzieren könnte.

1. Wir fordern, für mehr Selbstbestimmung die Wunsch- und Wahlrechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken und nicht einzuschränken. • Auch für Menschen mit Behinderungen gilt das Recht, selbst zu entscheiden, wo, wie und mit wem sie wohnen und leben möchten. • Leistungen gegen den Willen der Betroffenen im Sinne von „Zwangspoolen“ nur gemeinschaftlich zu gewähren, lehnen wir daher strikt ab. • Außerdem darf kein Druck oder finanzieller Anreiz entstehen, Menschen vorrangig in Einrichtungen zu bringen – auch nicht mittelbar, indem z. B. bestimmte Angebote nicht zur Verfügung stehen oder nicht finanziert werden. 9

• Das neue Gesetz stärkt die Wunsch- und Wahlrechte nicht, sondern schreibt defizitäre Regelungen der Sozialhilfe fort. Beim Wohnen, insbesondere in der eigenen Wohnung, darf es keine Verschlechterungen geben. Wir fordern mit Nachdruck ein modernes Wunsch- und Wahlrecht, das die selbstbestimmte Lebensführung stärkt und berechtigte Wünsche der Betroffenen gelten lässt, wie dies für andere Rehabilitationsträger schon heute im Gesetz steht.

2. Wir fordern, Einkommen und Vermögen nicht mehr heranzuziehen. • Behinderung darf nicht arm machen. Auch bei im Laufe des Lebens erworbenen Behinderungen dürfen die Menschen nicht zu einem Leben in Armut gezwungen werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung Leistungen zur Unterstützung bekommen, insbesondere Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Blindenhilfe. Deshalb fordern wir im Sinne eines Nachteilsausgleichs den Verzicht auf die Einkommens- und Vermögensheranziehung. • Zumindest muss jetzt der spürbare und verbindliche Ausstieg im Gesetz festgeschrieben werden. Bei der Heranziehung insbesondere von Einkommen sind dazu in jährlichen Stufen deutliche Verbesserungen vorzusehen. • Die aktuelle Regelung, wonach Familien und Ehepartner mit ihrem Einkommen und Vermögen mit herangezogen werden, muss unmittelbar aufgehoben werden. • Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen gemeinschaftlich leben, muss weiterhin ein Geldbetrag zur persönlichen Verfügung verbleiben.

3. Wir sagen NEIN zu Leistungskürzungen und –einschränkungen. • Das Bundesteilhabegesetz muss Leistungen für die Betroffenen verbessern und darf nicht Personenkreise ausschließen oder Leistungen einschränken. • Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in 5 von 9 Lebensbereichen bestehen muss. Die Folge wäre, dass notwendige Unterstützung in einzelnen Lebensbereichen (z. B. bei Bildung oder Kommunikation) trotz bestehenden Hilfebedarfs nicht mehr gewährt wird. Das ist umso problematischer, als bei

10

Personen

ohne

wesentliche

Behinderung

bisherige

Ermessensleistungen

gestrichen werden sollen. • Die Aufgabe der Eingliederungshilfe wird im neuen Gesetz deutlich enger gefasst, ihre rehabilitative Ausrichtung ist damit nicht mehr gewährleistet, hier schafft auch ein offener Leistungskatalog keine Abhilfe. • Es drohen Einschränkungen bei der sozialen Teilhabe in Bereichen wie Freizeit, Kultur

und

Ehrenamt,

bei

gesundheitsbezogenen

Teilhabeleistungen,

Hilfsmittelversorgung, bei Bildung und Mobilität. Das betrifft auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Dazu darf es nicht kommen. • Im gesellschaftlich zentralen

Bereich der

Bildung sind Verbesserungen

dringender denn je. Statt Restriktionen oder gar Rückschritte braucht es hier besonders

niederschwelligen

Einheitlich

hohe

Zugang

Standards

für

und

umfassende

inklusive

Leistungsinhalte.

Bildung,

einschließlich

Unterstützungsleistungen, sind jetzt zu schaffen. • Notwendige

Leistungen

der

Pflege

sind

gleichberechtigt

neben

der

Eingliederungshilfe zu gewähren. Ein Vorrang von Pflegeleistungen, mit dem Eingliederungshilfeleistungen ausgeschlossen werden, ist abzulehnen. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht wegen ihres Unterstützungsbedarfs auf Pflegeeinrichtungen verwiesen werden.

4. Wir fordern ein Verfahrensrecht, das Leistungen zügig, abgestimmt und wie aus einer Hand für Betroffene ermöglicht und nicht hinter erreichte SGB IXGesetzesstandards zurückfällt. • Der Zugang zu Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe muss für alle Menschen umfassend in allen Lebenslagen ermöglicht werden. Daran müssen alle Rehabilitationsträger abgestimmt mitwirken. Die Eingliederungshilfe muss sich hier einpassen und denselben Verfahrensregelungen folgen. Die durch das SGB IX bereits erzielten Fortschritte sind zu bewahren und auszubauen. • Zugang,

Umfang

und

Rehabilitationsträger

auf

Inhalt

der

einheitlich

Teilhabeleistungen hohem

sind

qualitativem

für Niveau

alle zu

garantieren. Das SGB IX, 1. Teil gibt hier den Rahmen, er muss auch für die Eingliederungshilfe verbindlich werden.

11

5. Wir fordern mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben. • Damit

mehr

schwerbehinderte

Menschen

auf

dem

Arbeitsmarkt

Beschäftigungschancen erhalten, muss die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die

trotz

Gesetzespflicht

keinen

einzigen

schwerbehinderten

Menschen

beschäftigen, deutlich angehoben werden. 320 Euro im Monat setzen hier zu wenig Anreiz, rechtswidriges Verhalten zu ändern. • Schwerbehindertenvertretungen Unterstützung.

(SBV)

Freistellungs-

Fortbildungsansprüche

für

sie

in

und

Unternehmen

verdienen

Heranziehungsregelungen

müssen

verbessert

werden.

mehr sowie

Trifft

ein

Unternehmen Entscheidungen mit Wirkung für schwerbehinderte Beschäftigte ohne gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der SBV, darf diese Entscheidung erst wirksam werden, wenn die Beteiligung nachgeholt wurde. • Zugleich sind die Mitbestimmungsrechte für Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte

Menschen

Leistungsanbieter

auszubauen;

gelten.

Für

dies

muss

auch

Werkstattbeschäftigte

für

alternative

braucht

es

mehr

Wahlmöglichkeiten, wie zum Beispiel das vorgesehene Budget für Arbeit, um auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können. Auch für Menschen mit

sehr

hohem

Unterstützungsbedarf

ist

Teilhabe

am

Arbeitsleben

sicherzustellen, ohne dies auf Leistungen der Werkstatt zu beschränken.

6. Wir

fordern,

finanzielle

Betroffenenrechte

und

vertragliche

nicht

indirekt,

z.B.

Rahmenbedingungen

über

für

schlechte

Anbieter,

zu

beschneiden. • Die

geplante

Trennung

von

existenzsichernden

Leistungen

und

Teilhabeleistungen darf nicht zu Leistungslücken zulasten der behinderten Menschen führen. Kosten der Unterkunft und des Lebensunterhalts sind weiter umfassend zu finanzieren – unabhängig vom Lebensort. • Das neue Recht darf auch nicht zu enormer Bürokratisierung bei den behinderten Menschen bzw. Leistungserbringern führen. Die Qualität der Dienste und Einrichtungen darf nicht über eine Abwärtsspirale der Finanzierung gefährdet werden – im Interesse der Menschen mit Behinderungen.

12

• Das von der Bundesregierung geplante Durchbrechen der Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe darf zudem nicht dazu führen, dass Leistungen abgebaut werden oder die Tarifbindung der Leistungserbringer ausgehöhlt wird.

Die BAG SELBSTHILFE fordert wie die weiteren Unterzeichner des Papiers die politisch

Verantwortlichen

auf,

den

Entwurf

des

Bundesteilhabegesetzes

entsprechend zu korrigieren und zu überarbeiten. Dabei sind aus Sicht der BAG SELBSTHILFE die nachfolgend unter III. dargestellten Kritikpunkte zu einzelnen Regelungen

des

Referentenentwurfs

im

Hinblick

auf

die

Umsetzung

der

Kernforderungen von besonderer Bedeutung.

III.

Zu

den

Themenschwerpunkten

und

einzelnen

Regelungen

des

Referentenentwurfs Angesichts der Fülle an Neuregelungen und der Komplexität des Gesetzes insgesamt ist es kaum möglich, innerhalb der wenigen Tage, die als Frist zur Stellungnahme gesetzt worden sind, abschließend zu allen Detailaspekten Stellung zu nehmen. Gerade vor dem Hintergrund, dass Menschen mit Behinderungen und chronischer Erkrankung häufig aufgrund ihrer körperlichen bzw. gesundheitlichen Einschränkung mehr Zeit benötigen als nichtbehinderte Personen, mutet es geradezu zynisch an, einerseits von Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu sprechen, andererseits

jedoch

ein

derartiges

„Großprojekt“

im

Hauruckverfahren

durchzuboxen, offensichtlich mit der Absicht, Widerstände und Kritik auf diese Weise zu minimieren. So sehr der vorausgegangene Beteiligungsprozess auch lobend hervorzuheben ist – insbesondere die Möglichkeit zur Mitwirkung in der hochrangigen Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz hat insoweit sicherlich neue Maßstäbe gesetzt –, so ernüchternd ist die jetzige Einleitung des eigentlich maßgeblichen Gesetzgebungsverfahrens, bei dem ja genau zu prüfen ist, welche der im Vorfeld diskutierten Themen und Vorschläge sich im Bundesteilhabegesetz tatsächlich wiederfinden.

13

Aus diesem Grunde beschränkt sich die folgende Stellungnahme auf die Themenschwerpunkte im Bundesteilhabegesetz sowie auf einzelne Regelungen des Entwurfs.

1. Behinderungsbegriff / leistungsberechtigter Personenkreis Es wird zwar begrüßt, dass bei der Definition von Behinderung in § 2 SGB IX-E des Entwurfs

die

„Wechselwirkung

mit

einstellungs-

und

umweltbedingten

Barrieren“ als wesentlicher Aspekt zusätzlich herangezogen wird. Soweit der Begriff der „Teilhabe an der Gesellschaft“ um das Wort „gleichberechtigt“ ergänzt werden soll, ist jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb insoweit nicht die vollständige Formulierung laut UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe“, verwendet wird. Umgekehrt ist der in § 99 SGB IX-E festgelegte Personenkreis, der berechtigt sein soll, Leistungen der Eingliederungshilfe zu beanspruchen, so definiert, dass eine deutliche Einschränkung dieses leistungsberechtigten Personenkreises gegenüber der derzeitigen Rechtslage zu befürchten ist. Da hilft es auch nur begrenzt, dass in §

90

SGB

IX-E

wiederum

die

Förderung

der

„vollen,

wirksamen

und

gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ als Aufgabe der Eingliederungshilfe genannt wird, wenn ein Großteil an unterstützungsbedürftigen Personen gar nicht erst in den Kreis der Leistungsberechtigten gelangt. Soweit nach § 99 Abs. 1 SGB IX-E eine erhebliche Teilhabeeinschränkung dergestalt vorliegen muss, dass die Ausführung von Aktivitäten in mindestens fünf Lebensbereichen nach Abs. 2 nicht ohne Unterstützung möglich oder in mindestens drei Lebensbereichen auch mit Unterstützung nicht möglich ist, muss davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl an Personen, die nach jetzigem Recht eine wesentliche Teilhabeeinschränkung i.S. des § 53 Abs. 1 SGB XII aufweisen, die neuen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Es gibt eine hohe Zahl an Betroffenen, deren Einschränkung im Grenzbereich liegt und die nur in Teilen einer Unterstützung bedürfen. Es ist im Übrigen angesichts der unbestimmten Rechtsbegriffe in Absatz 2 davon auszugehen, dass in einer Vielzahl an Fällen Gerichte darüber zu befinden haben, ob Aktivitäten in einem bestimmten Lebensbereich möglich sind oder nicht. Selbst wenn es in einigen Jahren

14

höchstrichterliche

Rechtsprechung

zur

Beschreibung

und

Abgrenzung

der

verschiedenen Lebensbereiche gibt sowie zu der Frage, wann von entsprechenden „Aktivitäten“ auszugehen ist, bleibt es letztlich immer bei nur schwer vergleichbaren Einzelfallentscheidungen. Das trägt sicherlich nicht zu einer bundeseinheitlichen Verfahrensweise bei. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb ausgerechnet eine Grenzziehung bei fünf bzw. drei Lebensbereichen verläuft. Dies erscheint willkürlich und stellt gerade für solche Personen eine unverhältnismäßige Einengung dar, die in einem oder mehreren Lebensbereichen schon deshalb keiner Unterstützung bedürfen, weil sie hier von vornherein keine Aktivitäten entfalten. Konsequent wäre es vielmehr, wenn man die Mindestzahl der Lebensbereiche, in den Unterstützung erforderlich wird,

auf

1

senkt

oder

Behindertenrechtskonvention

– zu

um

gänzlich

stehen,

die

im

Einklang

keinerlei

mit

der

UN-

Einschränkung

bei

Personengruppen mit weniger Hilfebedarf vorsieht – auf einen gesonderten Personenkreis

bei

der

Eingliederungshilfe

verzichtet.

Zumindest

ist

die

Beibehaltung der in § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII enthaltenen Ermessensregelung, wonach auch Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung

Leistungen

der

Eingliederungshilfe

erhalten

können,

dringend

angezeigt. Denn es gibt immer wieder Fallkonstellationen, in denen zwar die formellen Voraussetzungen nicht vorliegen, jedoch die der gesetzlichen Intention entsprechenden Voraussetzungen. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es vielfältige Formen von Unterstützung gibt. So benötigen manche Personengruppen (etwa von Autismus Betroffene) zwar keine personelle Unterstützung im Sinne von Assistenz, hingegen Unterstützung therapeutischer Art. Dabei muss der Therapeut in vielen Fällen auch gar nicht zwingend körperlich anwesend sein, sondern es reicht ein telefonischer Kontakt. Es wird daher eine entsprechende klarstellende Umformulierung bei § 99 SGB IX-E sowie im weiteren Text gefordert, wonach die erforderliche Unterstützung nicht auf personelle Unterstützung im Sinne von persönlicher Assistenz beschränkt ist. Soweit in § 99 Abs. 1 SGB IX-E darüber hinaus von einer Schädigung der Körperfunktion und –struktur die Rede ist, wird eine Ergänzung für hilfreich

15

angesehen, dass von dieser Definition auch Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung erfasst sind. Als nachteilig gegenüber der jetzigen Rechtslage stellt sich im Übrigen auch die Verschärfung bei der Personengruppe dar, denen eine Teilhabeeinschränkung lediglich

droht.

Hier

muss

die

Einschränkung

künftig

„mit

hoher

Wahrscheinlichkeit“ drohen. Dieser Grundsatz widerspricht bereits dem in § 3 SGB IX-E enthaltenen Grundsatz des Vorrangs von Prävention. Diese Regelung ist zwar Teil eines Kapitels, das nicht gemäß § 7 Abs. 2 SGB IX-E vorrangig zur Anwendung kommt, so dass insoweit für die Eingliederungshilfe – wie auch für die anderen Leistungsgesetze - eigene abweichende Regelungen gelten können. Soweit die Eingliederungshilfe weiterhin in erster Linie als Soziale Rehabilitation verstanden werden soll, muss der genannte Grundsatz des Vorrangs von Prävention aber – wie im gesamten Rehabilitationsbereich - auch hier Anwendung finden. Abschließend noch folgender Hinweis in Bezug auf das mit der Einschränkung des Personenkreises offensichtlich verfolgte Ziel der Kostendämpfung: Wie eingangs betont, wird nicht verkannt, dass die Eingliederungshilfe mit hohen Kosten für den Staat verbunden ist. Aufgrund steigender Fallzahlen – nicht aber etwa aufgrund steigender Kosten im Einzelfall (!) – sehen sich die Kommunen sogar jährlich steigenden Kosten ausgesetzt. Dieser Entwicklung kann jedoch nicht dadurch entgegengewirkt werden, indem ein Teil des eigentlich leistungsberechtigten Personenkreises einfach ausgeschlossen wird – unter Verstoß gegen die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Denn wer Leistungen der Eingliederungshilfe beansprucht, hat wegen § 91 SGB IX-E grundsätzlich keinen entsprechenden Anspruch gegen einen anderen Träger. Er muss also auf die begehrte Leistung und insoweit auf Teilhabe gezwungenermaßen verzichten. Es ist aber gerade Aufgabe der Politik, insbesondere der für den Haushalt Verantwortlichen, dafür Sorge zu tragen, dass geltendes Recht auch angewandt wird bzw. werden kann. Und zum geltenden

Recht

gehört

auch

die

Eingliederungshilfe,

„Auffangnetz“ für alle Menschen mit Behinderungen.

16

und

zwar

als

2. Bedarfsermittlung und -feststellung Das Bestreben, Leistungen passgenau und personenzentriert zu erbringen, setzt zunächst eine hinreichende und umfassende Bedarfsfeststellung voraus. Dazu ist notwendig, dass anhand eines möglichst bundeseinheitlichen Verfahrens die objektive Bedarfslage des Betroffenen, zugleich aber auch seine persönlichen Teilhabepräferenzen geklärt werden. Gelingt bereits diese Feststellung nicht – insbesondere weil die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben nicht vorhanden sind – scheitert wirkliche Teilhabe und Inklusion von vornherein. Vor diesem Hintergrund ist zwar zu begrüßen, dass es nach § 115 SGB IX-E grundsätzlich ein bundeseinheitliches Verfahren geben soll, welches sich an den Maßstäben der ICF orientiert. Allerdings ermöglicht die genannte Regelung den Ländern nähere Ausgestaltungen in eigenen Landesverordnungen. Es ist davon auszugehen, dass die Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden und auf diese Weise ein bundeseinheitliches Verfahren untergraben wird. Auch andere Regelungen im Referentenentwurf, wie z.B. §§ 116 und 118 SGB IX-E, ermöglichen den Ländern, abweichende Regelungen zu treffen, was der angestrebten Verankerung bundeseinheitlicher Standards entgegenwirkt. Abgesehen hiervon besteht Grund zur Besorgnis, dass eine Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs mit dem vorliegenden Referentenentwurf nur schwer erreicht werden

kann.

Die

geplanten

Regelungen

zum

Teilhabeplan

und

zur

Teilhabekonferenz in §§ 19 und 20 SGB IX-E sowie ergänzend die Bestimmungen zur Gesamtplanung im Bereich der Eingliederungshilfe (§§ 117 ff SGB IX-E) erwecken zwar den Eindruck, dass eine umfassende Bedarfsermittlung und -feststellung stattfindet. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass das Verfahren zahlreichen Einschränkungen unterliegt - angefangen damit, dass eine unabhängige Beratung durch Betroffene und ihre Verbände nicht mit einem Rechtsanspruch verknüpft ist (vgl. hierzu nachfolgend unter 6.) oder dass das Gesamtplanverfahren nicht zwingendermaßen die Beteiligung von Bezugsbetreuern vorsieht, sondern lediglich die Möglichkeit enthält, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen. Gerade bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist es jedoch wichtig, dass deren Bezugsbetreuer – soweit ein solcher erforderlich und vorhanden ist – auch automatisch beteiligt wird. Auch die Einschränkung in § 20 SGB IX-E, wonach von

17

einer Teilhabekonferenz abgesehen werden kann, wenn der Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder wenn der Aufwand zur Durchführung nicht im Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistung steht, lässt befürchten, dass mit dieser Begründung in der Praxis vielfach keine umfassende Bedarfsfeststellung stattfindet. Hinzu

kommt,

dass

in

materiell-rechtlicher

Hinsicht

aufgrund

des

stark

eingeschränkten Wunsch- und Wahlrechtes (vgl. hierzu Punkt 3) und der vorrangigen Prüfung der Angemessenheit bzw. Wirtschaftlichkeit der Leistung, dass der eigentliche Bedarf gar nicht erst ermittelt wird, sondern von vornherein außer Betracht

bleibt.

So sind

etwa

nach

§ 118 SGB

IX-E

(Instrumente

der

Bedarfsermittlung) bei der Feststellung der Leistungen die Wünsche der Leistungsberechtigten lediglich „zu berücksichtigen“. Dies wird unterstützt durch die Regelung des § 7 SGB IX-E, der einen Vorbehalt abweichender Regelungen beinhaltet. Hierdurch besteht die große Gefahr, von der eigentlich angestrebten Personenzentrierung wieder abzukommen. So ist trotz Umformulierung und Erweiterung um einen zweiten Absatz der Kerninhalt des bisherigen § 7 SGB IX unverändert geblieben. Denn nach wie vor gelten für die einzelnen Rehabilitationsträger die im jeweiligen Leistungsgesetz verankerten Regelungen vorrangig gegenüber den Regelungen des SGB IX. Da nach Abs. 1 Satz 3 das Recht der Eingliederungshilfe im Teil 2 ebenfalls ein Leistungsgesetz im Sinne dieser Regelung darstellt, gehen die dortigen speziellen Regelungen gleichfalls vor. Das ist im Hinblick auf die eigentlich angestrebte Stärkung und Vereinheitlichung der seinerzeit speziell für die Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen geschaffenen Regelungen im SGB IX, wodurch deren besonderen Belangen und Schwierigkeiten Rechnung getragen werden soll, misslich. Es ist zwar zu begrüßen, dass die Vorschriften der Kapitel 2 (Einleitung der Rehabilitation), 3 (Erkennung und Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs) und 4 (Koordinierung der Leistungen) demgegenüber künftig vorgehen sollen. Warum ausgerechnet nur diese Kapitel vorrangig sein sollen, die allgemeinen Vorschriften in Kapitel 1 (das wichtige Regelungen zum Wunsch- und Wahlrecht oder auch zum Vorrang von Prävention enthält) oder etwa auch Kapitel zur Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger hingegen nicht, erschließt sich einem nicht.

18

Hilfreich wäre es auch gewesen, durch konkrete Erwähnung des SGB IX in den jeweiligen Leistungsgesetzen und der dortigen Verpflichtung zur Anwendung des SGB IX diesem Gesetz stärkere Geltung zu verschaffen. Nach wie vor werden die Regelungen in der Praxis allzu häufig übersehen, etwa die Zuständigkeitsprüfungs-, Weiterleitungs-

und

Feststellungspflicht

seitens

des

erstangegangenen

Rehabilitationsträgers gemäß § 9 SGB IX (bzw. § 15 SGB IX-E). Dieses Versäumnis wird durch den neuen Absatz 2 vermutlich sogar noch verstärkt. Denn die Beschränkung der vorrangigen Anwendung auf die Kapitel 2 bis 4 suggeriert, dass die anderen Kapitel von vornherein kaum einer Beachtung bedürfen.

3. Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung - Wunsch- und Wahlrecht Leider wird der Referentenentwurf mit seiner eingeschränkten Ausgestaltung des Wunsch- und Wahlrechts dem in der UN-Behindertenrechtskonvention enthaltenen Recht auf Selbstbestimmung und unabhängige Lebensführung in keiner Weise gerecht. Nicht der Wille des behinderten Menschen steht im Mittelpunkt, sondern die Wirtschaftlichkeit der Leistung. So wird am bisherigen Wortlaut des § 9 Abs. 1 SGB IX-E festgehalten, nach dem lediglich berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen wird. Mit dieser

Einschränkung

kann,

wie

eingangs

bereits

betont,

dem

Selbstbestimmungsrecht des behinderten Menschen aber keinesfalls hinreichend Rechnung getragen werden. Denn ein geäußerter Wunsch kann schon dann nicht mehr „berechtigt“ im Sinne des Gesetzes sein, wenn er mit Kosten verbunden ist, die aus Sicht des Trägers zu hoch erscheinen. Besonders misslich ist aber die Tatsache, dass gerade bei der Eingliederungshilfe mehrfach Einschränkungen beim Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten bestehen.

So

ist

Leistungsberechtigten

nach nur

§ zu

104

Abs.

2

entsprechen,

SGB wenn

IX-E

den

diese

Wünschen

angemessen

der sind.

Grundsätzlich nicht angemessen sind sie nach der genannten Regelung, wenn die Kosten der gewünschten Leistung die Kosten einer vergleichbaren Leistung unverhältnismäßig übersteigen. Dabei wird Bezug auf das in Kapitel 8 geregelte Vertragsrecht genommen. Dort ist wiederum in § 124 Abs. 1 SGB IX-E geregelt, dass die durch den Leistungserbringer geforderte Vergütung wirtschaftlich angemessen

19

ist, wenn sie im Vergleich mit der Vergütung vergleichbarer Einrichtungen im unteren Drittel liegt. Hierdurch steht zu befürchten, dass sich der damit verbundene Wettbewerbskampf zwischen den Leistungserbringern unmittelbar auf das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten auswirkt, und zwar derart, dass lediglich die mit Abstand günstigste Variante als angemessen gilt. Das bedeutet, dass neben einem faktischen Ausschluss des Wunsch- und Wahlrechts auch eine deutliche Qualitätseinbuße, zumindest in Teilen, zu erwarten ist. § 104 Abs. 3 SGB IX-E nennt zwar das Prüfungskriterium der Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung. Dabei sollen die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände und die Verhältnisse des Sozialraums sowie der eigenen Kräfte und Mittel zu würdigen sein. Welche genauen Maßstäbe für diese Merkmale gelten – etwa im Falle einer Betreuung -, lässt sich der Regelung indes nicht entnehmen. Weitere

Einschränkungen

beim

Wunsch-

und

Wahlrecht

sind

etwa

im

Zusammenhang mit der in § 20 SGB IX-E geregelten Teilhabekonferenz zu erkennen. Denn deren Durchführung ist nicht zwingend, vielmehr handelt es sich lediglich um eine „Kann-Regelung“. Auch die Tatsache, dass auf die in § 32 SGB IX-E vorgesehene Unabhängige Beratung kein Rechtsanspruch besteht, führt zu einer Einschränkung beim Wunsch- und Wahlrecht, weil der Berechtigte im Falle einer fehlenden oder unzureichenden Beratung womöglich gar nicht über alternative Leistungsformen und –inhalte informiert ist und daher gar keine Auswahl vornimmt. Schließlich wird sich die Tatsache, dass der bisherige Grundsatz „ambulant vor stationär“ nach § 13 SGB XII obsolet wird, in vielen Fällen nachteilig auf das Wunsch- und Wahlrecht auswirken. Denn bei der Zuordnung zu einer bestimmten Wohnform – häusliches Wohnen oder Wohnen in der Gemeinschaft – werden wegen der erwähnten Angemessenheitsregel in erster Linie die Kosten ausschlaggebend sein. Die Frage, welche Wohnform primär in Anspruch genommen wird, ist für die Betroffenen aber von zentraler Bedeutung. Seinem entsprechenden Willen muss zwingend vollumfänglich Rechnung getragen werden, egal ob er häusliches Wohnen oder ein Wohnen in einer stationären Einrichtung vorzieht. Es lässt sich also feststellen, dass das Recht auf Selbstbestimmung entgegen der Ankündigung im Referentenentwurf

keineswegs gestärkt,

20

sondern

vielmehr

geschwächt wird. Nach wie vor sind wirtschaftliche Aspekte für die Gewährung von Leistungen ausschlaggebend. Das Wunsch- und Wahlrecht dürfte hingegen letztlich nur dann zum Tragen kommen, wenn zwei vergleichbare Leistungen, die gleich teuer sind, zur Auswahl stehen oder wenn eine der Leistungen objektiv gänzlich unzumutbar ist.

4. Leistungskatalog und –umfang Laut Begründung zum vorliegenden Referentenentwurf soll es zu

keinen

Leistungseinschränkungen

offene

kommen.

Insoweit

ist

der

grundsätzlich

Leistungskatalog im Referentenentwurf zu begrüßen. Die BAG SELBSTHILFE sieht allerdings die dringende Notwendigkeit von Klarstellungen. So ist zu verdeutlichen, dass die neu gefassten Teilhabeansprüche in Teil 1 des SGB IX tatsächlich vollumfänglich und gleichwertig die bisherigen Leistungen nach dem SGB IX bzw. dem SGB XII ersetzen, insbesondere was die Hilfen zur Bildung und zur Teilhabe am Arbeitsleben

betrifft.

So

muss

der

Leistungsumfang

beispielsweise

auch

Schulbegleiter, außerschulische Maßnahmen (z.B. auch Fern- oder Hausunterricht für schwerstkranke bzw. bettlägerige Personen) sowie ambulante Therapien (etwa für Menschen mit Autismus) erfassen. Für den Bereich Bildung (§ 75 SGB IX-E) ist vor allem wichtig, dass dem behinderten Menschen eine tatsächliche Möglichkeit eingeräumt wird, frei über seine Berufsausbildung zu entscheiden, und ihm nicht aufgrund der erstellten Prognose zur Geeignetheit für den späteren Beruf von vornherein Schranken auferlegt werden. I

Zusätzlich zu beanstanden ist, dass die bisherige Regelung des § 55 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) im neuen § 76 SGB IX-E nur eingeschränkt wiedergegeben wird. So fallen insbesondere die „Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben“ künftig weg. Ob dieser Wegfall durch die neu hinzugefügte „Assistenzleistung“ hinreichend kompensiert wird, muss bezweifelt werden, ging es bei der bisherigen Formulierung doch vor allem darum, hierdurch erst einmal Lebensbereiche zu erfassen, für die Teilhabeleistungen beansprucht werden können. Auch im Zusammenhang mit der Gewährung von Assistenzleistungen (§§ 78, 133 Abs. 2 SGB IX-E) erscheinen Nachbesserungen erforderlich, da anderenfalls eher mit

21

Leistungsverschlechterungen zu rechnen ist als mit den insoweit angekündigten Leistungsausweitungen. Denn wenn beispielsweise § 78 Abs. 2 SGB IX-E festlegt, dass die Leistungen nach Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht werden, bedeutet das im Umkehrschluss, dass alle anderen Leistungen nicht von Fachkräften zu erbringen sind. Wichtig ist aber, dass – ganz im Sinne des Rechts auf Selbstbestimmung - der Betroffene im Einzelfall über die notwendige und vor allem von ihm gewünschte Assistenz entscheiden kann. Die Unterteilung in qualifizierte und nicht qualifizierte Leistungen birgt indes die Gefahr von Wettbewerbsstreitigkeiten und einer qualitativen Verschlechterung der Leistung, weil letztlich die kostengünstigste Variante maßgeblich wird. Es ist daher eine klarstellende Regelung zu fordern, wonach die Kosten für erforderliche Assistenzen

(etwa

Gebärdensprachdolmetscherkosten

oder

Kosten

für

Taubblindenassistenz) voll übernommen werden. Denn nur auf diese Weise kann eine echte und umfassende Teilhabe gewährleistet werden. Eine weitere Einschränkung ist auch bei § 82 SGB IX-E (Leistungen zur Förderung der Verständigung) erkennbar, denn dort wird eine Verständigung mit der Umwelt „aus besonderem Anlass“ gefordert. Eine solche Einschränkung ist indes mit dem Leitgedanken einer gleichberechtigten Teilhabe (§ 1 SGB IX-E) nicht vereinbar. Sie dürfte vielmehr einen bürokratischen Mehraufwand bedeuten und letztlich zu unterschiedlichen Einzelfallentscheidungen mit entsprechendem gerichtlichem Klärungsbedarf führen. Der Deutsche Gehörlosen-Bund schlägt insoweit folgende Formulierung für § 82 SGB IX vor: Leistungen

zur

Förderung

der

Verständigung

werden

erbracht,

um

Leistungsberechtigten mit Hör- und Sprachbehinderungen die Verständigung mit der Umwelt zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Leistungen umfassen insbesondere Hilfen durch Gebärdensprachdolmetscher und andere geeignete Kommunikationshilfen. Die Leistung umfasst ein Kontingent von 180 Stunden Dolmetschen oder andere Kommunikationshilfen im Jahr. Mehrbedarf wird nur bei besonderem Anlass gewährt. § 17 Abs. 2 des Ersten Buches bleibt unberührt. Es finden sich zahlreiche weitere Einzelregelungen, die nicht nachvollziehbare Einschränkungen

enthalten

oder

einer

klarstellenden

Ergänzung

bedürfen.

Beispielhaft sei § 83 Abs. 4 SGB IX-E genannt, wonach die Mobilitätshilfe beschränkt

22

wird,

wenn

die

Leistungsberechtigten

minderjährig

sind.

Hier

ist

nicht

nachvollziehbar, weshalb eine Leistungsbegrenzung erfolgt. Und in Bezug auf Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen nach § 4 Abs. 4 SGB IX-E wird eine Ergänzung dahingehend für notwendig erachtet, dass diese Leistungen vollumfassend

zu

Sorgerechtsentzug

erbringen

sind,

vorzubeugen.

um auf

Im

diese

Übrigen

fehlen

Weise

einem

im

voreiligen

Referentenentwurf

Leistungen der Elternassistenz. Auch aufgrund der geplanten Trennung von Fachleistungen und Leistungen zum Lebensunterhalt ist faktisch mit Leistungsverschlechterungen und –einschränkungen zu rechnen, gerade bei behinderten Menschen, die in Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben und deren (Mehr-)Bedarfe sich aller Voraussicht nach nicht

ohne

Weiteres

den

Wohn-

und

Lebensunterhaltskosten

bzw.

den

Regelbedarfskosten nach dem SGB XII zuordnen lassen. Das ist gerade dann zu befürchten,

wenn

sich

ein

hoher

Unterstützungsbedarf

auch

auf

die

Lebenshaltungskosten auswirkt. So plädiert der Bundesverband Fatigatio e.V. ausdrücklich dafür, die entsprechenden Regelsätze für diejenigen Leistungsbezieher zu erhöhen, die wegen ihrer Behinderung oder chronischen Erkrankung etwa eine schadstoffarme Wohnung oder eine spezielle Diät einhalten müssen und deshalb entsprechende

Mehrkosten

haben.

Der

Gesetzgeber

wird

aufgefordert

sicherzustellen, dass es hier nicht zu Leistungslücken kommt. § 116

SGB

IX-E

ermöglicht

die

Erbringung von

Leistungen

an

mehrere

Leistungsberechtigte gemeinsam (sog. Poolen). Hiervon soll nur dann abgesehen werden dürfen, wenn dies für die Leistungsberechtigten zumutbar ist und mit Leistungserbringern entsprechende Vereinbarungen bestehen. Es ist nachvollziehbar, dass die gemeinsame Inanspruchnahme einer Leistung in bestimmten Fällen im Hinblick auf die hierdurch bewirkte Kostenverringerung zweckmäßig ist (etwa bei einem gemeinsamen Fahrdienst). Hiergegen wird sich – wenn kein besonderer Grund im Einzelfall vorliegt – auch kein Betroffener wenden. Allerdings muss die Regelung klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass ein Poolen gegen den Willen des Betroffenen nicht in Betracht kommt. Dies ist bei der jetzigen Formulierung nicht der Fall.

23

Für den Bereich der Frühförderung (§ 46 SGB IX-E) wird eine ausdrückliche Benennung spezieller behinderungsspezifischer Leistungen vermisst, etwa die Förderung der Deutschen Gebärdensprache. Dass diese Leistungen automatisch vom Katalog des § 46 erfasst werden, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Das betrifft etwa auch das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern auf bilinguale Frühförderung oder die Aufnahme der Sprach- und Kommunikationsförderung. Um tatsächlich alle Leistungsinhalte, die für eine umfassende Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention erforderlich sind, zu erfassen, fordert die BAG SELBSTHILFE

neben

der

bereits

eingangs

eingeforderten

klarstellenden

Formulierung den Katalog des § 102 Abs. 1 in Bezug auf die Leistungen der Eingliederungshilfe dergestalt zu erweitern, dass alle Lebensbereiche erfasst werden, also z.B. auch der Gesundheitsbereich mit entsprechenden Assistenzen. Dabei ist sicherzustellen, dass die Leistungen auch tatsächlich vor Ort verfügbar sind. Es genügt nicht, dass die Leistungen zwar grundsätzlich bzw. theoretisch zur Verfügung stehen, im Einzelfall aber eine Leistungserbringung nur in der Nachbarstadt oder einem noch entfernter liegenden Ort möglich ist. Schließlich sind auch die Leistungspflichten der anderen Sozialversicherungsträger, insbesondere der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), gesetzlich stärker hervorzuheben bzw. zu verankern. Dies betrifft vor allem die Soziotherapie, die häusliche Krankenpflege, die Hilfemittelversorgung, den Krankentransport und die Psychotherapie.

5. Anrechnung von Einkommen und Vermögen Nach den in Kapitel 9 des zweiten Teils des SGB IX (Entwurf) geplanten Regelungen bleiben die Leistungen der Eingliederungshilfe weiterhin einkommens- und vermögensabhängig.

Zwar

sind

verschiedene

Änderungen

zugunsten

des

Leistungsempfängers und seiner Angehörigen geplant, wie etwa die stufenweise Erhöhung des Vermögensfreibetrages für eine angemessene Lebensführung und eine angemessene Alterssicherung und auch durch Verbesserungen bei der Anrechnung von eigenem Erwerbseinkommen. Diese Anpassungen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, die finanzielle Situation von Menschen mit Behinderungen, die durch das bisherige

Anrechnungssystem

faktisch

24

auf

Armutsniveau

gehalten

wurden,

nachhaltig zu verbessern. Behinderte Menschen mit höherem Einkommen werden künftig sogar in stärkerem Maße bei der (Mit-)Finanzierung der Leistungen herangezogen. Die BAG SELBSTHILFE bleibt bei ihrer Forderung nach einer vollständigen Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit der Leistungen. Denn erst wenn Leistungen

der

Eingliederungshilfe

im

Wege

einer

echten

Nachteilsausgleichsgewährung erbracht werden und Menschen mit Behinderungen und chronischer Erkrankung hierdurch auf die gleiche Ebene gestellt werden wie Nichtbehinderte, können sie auch die gleichen Chancen ergreifen, sei es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sei es im Gesundheitsbereich, sei es im Rahmen der Sozialen

Teilhabe.

Hierzu

muss

jedoch

die

Einsicht

reifen,

dass

die

Aufrechterhaltung eines Systems von Bedürftigkeit und letztlich auch Fürsorge zwangsläufig mit einer dauerhaften Ausgrenzung dieser Personengruppe verbunden ist. Das wiederum steht diametral dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft entgegen. Ganz abgesehen davon erscheint die von der hochrangigen Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz beim BMAS errechnete Größenordnung von maximal 580 Mio. Euro

Zusatzkosten

im

Falle

einer

vollständigen

Einkommens-

und

Vermögensunabhängigkeit haushälterisch durchaus vertretbar im Hinblick auf die hierdurch erreichbaren Ziele. Ungeachtet dessen ist mit den vorliegenden Neuregelungen auch nicht der von den Verbänden hilfsweise geforderte klare „Einstieg in den Ausstieg“ erkennbar. Die erlaubte Sparsumme steigt auf 25.000 Euro. Das ist im Vergleich zur bisherigen Grenze von 2.600 Euro auf den ersten Blick erfreulich, auch die Tatsache, dass das Einkommen des Partners des Leistungsberechtigten ab 01.01.2020 anrechnungsfrei bleiben soll. Fakt ist aber, dass es darüber hinaus bei den Anrechnungen für Leistungen bleibt. Und soweit eine aufgrund der Einschränkung im Leistungsbereich der Eingliederungshilfe begehrte Teilhabeleistung künftig nicht mehr gewährt wird und der Betreffende diese Leistung nunmehr von seinem Ersparten finanzieren muss, bleiben ihm eben doch nicht finanzielle Spielräume, etwa für einen Urlaub oder eine besondere Anschaffung. Ganz abgesehen davon ist sehr fraglich, inwieweit der genannte Ansparbetrag für eine angemessene Altersvorsorge

25

ausreichen soll, denn zu bedenken ist, dass meist kein Beschäftigungsverhältnis vorausgegangen ist, das anschließend ausreichende Rentenbezüge bewirkt. Insgesamt betrachtet ist ohnehin Zurückhaltung angezeigt, da sich die konkrete Auswirkung der veränderten Einkommens- und Vermögensanrechnung noch gar nicht abschließend beurteilen lässt. So sind etwa die Auswirkungen durch die künftige Trennung der Fachleistungen von den Leistungen zum Lebensunterhalt mit den entsprechenden Anrechnungsregelungen des SGB II und SGB XII noch nicht absehbar – vor allem wenn es um die Frage der Zuordnung einer bestimmten Leistung zu einem der beiden Bereiche geht. Nicht hinnehmbar ist, dass die Blindenhilfe wie auch das Gehörlosengeld nach wie vor nur dann gewährt werden sollen, wenn der Betreffende die Voraussetzungen für Sozialhilfe erfüllt. Der durch diese Leistungen gewährte Aufstockungsbetrag (zu dem ansonsten zustehenden Betrag für behinderungsbedingte Ausgaben) wird also nur gezahlt, wenn nicht mehr als 2.600 Euro angespart und auch keine Lebensversicherung oder ein Bausparvertrag zur Alterssicherung abgeschlossen worden sind. Die Blinden- und die Gehörlosenhilfe sind für den überwiegenden Teil der Leistungsberechtigten aber existentiell, decken sie doch zum Teil den besonders hohen Bedarf ab, der durch diese Sinnesbehinderungen entstehen.

6. Unabhängige Teilhabeberatung Es ist zu begrüßen, dass künftig eine unabhängige ergänzende Beratung gefördert werden soll. Diese ist in der Tat – wie in § 32 Abs. 1 SGB IX-E ausdrücklich formuliert – zur Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen unerlässlich. Denn dem Betroffenen muss die Möglichkeit eröffnet werden, sich von einer „neutralen“ bzw. einer Person seines Vertrauens beraten zu lassen. Dieses Vertrauen,

gepaart

mit

den

erforderlichen

fachlichen

Kenntnissen

über

Leistungsarten und –umfang, findet der Leistungsberechtigte in der Regel im Rahmen sog. Peer-Counselings. Erforderlich wäre es jedoch, wenn die Regelung einen konkreten Anspruch auf unabhängige Beratung verankern würde. § 32 SGB IX-E spricht lediglich von einem Angebot, das darüber hinaus nur in Ergänzung zur, nicht aber neben der Beratung der Leistungsträger und Leistungserbringer zu erbringen ist. Die konkrete 26

Ausgestaltung der Teilhabeberatung nach der genannten Norm bleibt im Übrigen einer noch zu erlassenden Förderrichtlinie vorbehalten. Dies und auch die Tatsache, dass die Förderung bis Ende 2022 befristet ist, lässt vermuten, dass die in Absatz 3 erwähnte „Beratung von Betroffenen für Betroffene“ keineswegs ein umfassendes Beratungsangebot beinhalten soll, wie es das Beratungskonzept des PeerCounselings vorsieht, sondern eher auf allgemeine Hinweise und Tipps für den Alltag abzielt. Nicht verständlich ist in diesem Zusammenhang, dass die unabhängige Beratung nicht vollständig finanziert, sondern lediglich gefördert werden soll. Soweit hiermit finanzielle Eigenbeteiligungen der beratenden Verbände und Institutionen gemeint sind, besteht die Gefahr, dass kleinere Organisationen, insbesondere solche, die Menschen seltener Erkrankungen und Behinderungen vertreten, keine ergänzende unabhängige Beratung anbieten können, weil ihnen die Mittel hierfür fehlen. Das schließt wiederum von vornherein bestimmte Personengruppen in unzulässiger Weise von einer Leistung aus, weil sie sich nicht hinreichend von Menschen mit der gleichen Behinderungs- oder Erkrankungsart beraten lassen können. Zu kritisieren ist zudem, dass die Regelung keine Vorgaben zur erforderlichen Barrierefreiheit enthält. So wäre es beispielsweise notwendig, die Kommunikation durch die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetschern im Falle gehörloser Ratsuchender sicherzustellen. Auch muss ein wohnortnahes Beratungsangebot sichergestellt werden. Abschließend noch folgender Hinweis in Bezug auf das Beratungsangebot der Träger: Mit dem vorliegenden Entwurf sollen die bisherigen Gemeinsamen Servicestellen abgeschafft werden. Dies ist insoweit zu billigen als die Servicestellen in den meisten Fällen nicht das erhoffte Beratungsangebot erbracht haben und sie deshalb von den Rehabilitanden auch nicht in Anspruch genommen worden sind. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht einen Bedarf an einer trägerübergreifenden Beratung gibt. Es bleibt zu hoffen, dass durch die geplanten Neuregelungen, insbesondere in §§ 12 und 106 SGB IX-E, tatsächlich die angestrebte und auch notwendige umfassende Beratung neben einem umfassenden Informationsangebot erreicht wird. Wichtig erscheint es dabei – auch im Hinblick auf die in § 20 SGB IX-E geregelte

Teilhabeplankonferenz

sowie

27

die

in

den

§§

117

ff.

geregelte

Gesamtplanung -, dass die Mitarbeiter hinreichend geschult werden und ein hinreichendes Verständnis für den gesamten Rehabilitationsbereich und darüber hinausgehende sozialrechtliche Zusammenhänge entwickeln. Denn einer der Hauptgründe

für

den

mangelnden

Erfolg

der

bisherigen

Gemeinsamen

Servicestellen ist die Einschränkung des Blickwinkels auf den eigenen Trägerbereich gewesen.

7. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - Schwerbehindertenvertretung Begrüßenswert ist die Verankerung des Budgets für Arbeit in § 61 SGB IX-E. Dies wird als durchaus wirksames Mittel angesehen, Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen und Arbeitgebern einen Anreiz zu geben, auch Menschen, die aufgrund ihrer Einschränkung eine Minderleistung gegenüber vergleichbaren Mitarbeitern ohne Einschränkung erbringen, einzustellen. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, dass das Budget nur für Menschen mit Behinderungen in Betracht kommen soll, die Anspruch auf Leistungen im Rahmen einer Werkstatt für behinderte Menschen haben. Die BAG SELBSTHILFE fordert hier eine Ausweitung auf alle Menschen mit Behinderungen. Zudem ist unbedingt erforderlich, dass für den behinderten Arbeitnehmer neben ggf. anderweitig notwendiger Unterstützung vor allem eine ausreichende und qualifizierte Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Auch die Öffnung des Marktes für sog. Andere Anbieter (§ 60 SGB IX-E) mag sich zwar gleichfalls günstig auf die bisherige starre Struktur im Bereich der Werkstattbeschäftigung

auswirken.

Bereits

jetzt

schon

existierende

Integrationsfirmen zeigen, dass ein Zuschnitt des Angebots eines Unternehmens auf die Möglichkeiten der bei ihm beschäftigten Mitarbeiter durchaus erfolgreich sein kann. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die Neuregelung in der Praxis bewährt, vor

allem

ob

und

inwieweit

arbeitsrechtliche

Standards

und

die

Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten eingehalten werden. Im Hinblick auf das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen muss bei der praktischen Umsetzung des § 60 SGB IX-E darauf geachtet werden, dass eine ausreichende Vielfalt (bzgl. Inhalt, Ausgestaltung, Größe und Erreichbarkeit des Anbieters) und eine

entsprechende

Wahlmöglichkeit

28

bestehen.

Auch

müssen

die

sozialversicherungsrechtlichen Regelungen hier genauso gelten wie bei den Werkstätten für behinderte Menschen. Leider handelt es sich hierbei um die einzigen neuen Maßnahmen im Entwurf, die positive Änderungen möglich erscheinen lassen. Insgesamt fehlt es an einem Ansatz, der – ausgehend vom behinderten Menschen und seiner individuellen Situation und nicht vom trägerbezogenen System – eine einheitliche Unterstützung aufweist, die Aspekte der Aus- und Weiterbildung ebenso beinhaltet wie finanzielle Hilfen und konkrete Jobvermittlungen. Als Beispiel sei hier das Defizit genannt, dass beim Übergang von der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt keine Arbeitsassistenz für den Betroffenen vorgesehen ist. Wichtig ist vor allem eine hinreichende Flexibilität, die es dem Betroffenen, aber auch Arbeitgebern ermöglicht, Arbeitsmodelle auszuprobieren und im Falle eines unbefriedigenden

Resultats

auch

ein

Rückkehrrecht,

vor

allem

in

den

Werkstattbereich zum Inhalt hat. Dabei muss eine der Möglichkeiten auch darin bestehen, dass der Betreffende mit Hilfe seines Persönlichen Budgets bzw. des neuen Budgets für Arbeit und unabhängig von Trägern einen Arbeitsvertrag abschließt, der auf seine Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnitten ist. Stehen insoweit beispielsweise eine erforderliche Assistenz oder eine sozialpädagogische Begleitung dauerhaft zur Verfügung und ist für das Beschäftigungsverhältnis nicht zwanghaft ein bestimmter Umfang (z.B. 15 Wochenstunden) vorgegeben, ist eine Beschäftigung außerhalb von Einrichtungen und sonstigen Sondereinrichtungen gleichfalls realisierbar. Allerdings muss letztlich immer der Wunsch des Einzelnen ausschlaggebend sein: das Beschäftigungsmodell, das für ihn nicht nur objektiv am besten geeignet ist, sondern ihm auch persönlich am besten zusagt, muss für ihn zur Verfügung stehen. Eine Beschäftigungsform gegen oder ohne den Willen des Betroffenen widerspricht dem Kerninhalt und -gedanken des Art. 27 der UNBehindertenrechtskonvention (Recht auf Arbeit und Beschäftigung). Ein solcher Widerspruch ist übrigens auch bei § 58 Abs. 1 erkennbar, der weiterhin am Erfordernis „Erbringung eines Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“

für

den

Berufsbildungsbereich

sowie

für

eine

Werkstattbeschäftigung festhält. Das bedeutet für eine nicht unerhebliche Zahl an Betroffenen, dass sie keinen Anspruch auf Leistungen auf Teilhabe am Arbeitsleben

29

geltend machen können. Art. 27 der UN-BRK stellt aber gerade nicht darauf ab, welche Arbeitsergebnisse der Betreffende liefert. Menschen, die das geforderte Mindestmaß nicht leisten können, haben lediglich die Möglichkeit, in speziellen Betreuungsgruppen unterzukommen - ohne Erzielung eines Arbeitseinkommens und ohne Erwerb von Rentenansprüchen. Dieser faktische Ausschluss stellt zweifelsohne eine nicht hinnehmbare Diskriminierung dar. Die BAG SELBSTHILFE bedauert, dass nicht die Gelegenheit genutzt wurde, die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keinen schwerbehinderten Mitarbeiter beschäftigen, deutlich anzuheben. Angesichts der hohen Zahl an Betrieben, die keine Schwerbehinderten beschäftigen, ist dies offensichtlich der einzige Weg, das betreffende Unternehmen dazu zu bringen, seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Beschäftigung nachzukommen. Leider „rentiert“ es sich bisher immer noch, am rechtswidrigen

Zustand

festzuhalten

und

die

verhältnismäßig

geringe

Ausgleichsabgabe zu zahlen. Positiv zu bewerten ist indessen, dass in der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) die Rechte von Werkstatträten und Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden sollen. Wie bereits oben erwähnt, ist es zwingend notwendig, diese wichtigen Mitwirkungsrechte auch bei den „Anderen Anbietern“ ausdrücklich zu verankern.

8. Verhältnis Eingliederungshilfe – Pflege Mit

dem

vorliegenden

Referentenentwurf

wird

die

bestehende

Schnittstellenproblematik zwischen Eingliederungshilfe und Pflege nicht gelöst, auch

nicht

im

Zusammenspiel

mit

dem

als

Entwurf

vorgelegten

Pflegestärkungsgesetz III (PSG III). Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Leistungen der Pflegeversicherung und der Pflegehilfen künftig vorrangig gegenüber Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren sind bzw. letztere ausschließen. Die BAG SELBSTHILFE lehnt dies in aller Deutlichkeit ab. Die

entsprechende

Regelung

über

den

grundsätzlichen

Nachrang

der

Eingliederungshilfe in § 91 SGB IX-E enthält im Absatz 3 eine Ausnahme für das häusliche Umfeld i.S. von § 36 SGB XI-E, wonach die Leistungen der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege (nach dem SGB XII und dem BVG) nur 30

dann vorgehen, wenn bei der Leistungserbringung die Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe nicht im Vordergrund stehen; außerhalb des häuslichen Umfelds gehen die Leistungen der Eingliederungshilfe den Pflegeversicherungsleistungen vor. Das bedeutet, dass es zum einen bei der bisherigen Abgrenzungsschwierigkeit zwischen Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Pflege nach dem SGB XI bleibt. Es ist also weiterhin mit Zuständigkeitsstreitigkeiten zu rechnen, die zu Lasten des Betroffenen gehen, schlimmstenfalls sogar verbunden mit Leistungslücken. Zum anderen werden auf diese Weise Rechtsansprüche des Betroffenen auf Leistungen der Eingliederungshilfe ausgehebelt, vor allem wenn es um den ambulanten Wohnbereich geht, für den nunmehr Pflegeleistungen maßgeblich sein sollen. Angesichts der bestehenden Deckelung von Pflegeleistungen und Leistungen bei der Hilfe zur Pflege muss ein betroffener behinderter Mensch Leistungseinschränkungen befürchten.

Und

soweit

Leistungen

einerseits

nach

teilhabe-

und

damit

förderfähigen und andererseits nach nicht teilhabe- und damit nicht förderfähigen Gesichtspunkten unterteilt werden sollen, ist gerade bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf eine vorrangige pflegeorientierte Versorgung zu erwarten, die eine soziale Teilhabe in den Hintergrund stellt, wenn nicht sogar faktisch ausschließt. Dabei kann es vor dem Hintergrund unterschiedlicher Anrechnungen von Einkommen und Vermögen in der Eingliederungshilfe und bei der Hilfe zur Pflege zu zusätzlichen Verschlechterungen kommen.

9. Berücksichtigung der Selbsthilfe im Bundesteilhabegesetz Die Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen oder chronischer Erkrankung findet im vorliegenden Referentenentwurf bedauerlicherweise kaum Erwähnung bzw. Berücksichtigung. In § 49 Abs. 6 SGB IX-E werden Hilfen zur Aktivierung von Selbsthilfepotentialen und die Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfeund Beratungsmöglichkeiten als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen medizinischer, psychologischer und pädagogischer Hilfen erwähnt. Es wäre jedoch angesichts des Partizipationsgrundsatzes und des Rechts auf Selbstbestimmung sinnvoll und notwendig, der Selbsthilfe im BTHG mehr Gewicht zu verleihen. Dies wäre zum einen bei § 32 SGB IX-E im Rahmen der ergänzenden unabhängigen Beratung angezeigt, zum anderen im Rahmen der Beteiligung im

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Teilhabe- bzw. Gesamtplanverfahren. Zumindest ist zu fordern, dass in der Förderrichtlinie nach § 32 SGB IX-E auf die Selbsthilfe ausdrücklich Bezug genommen wird.

Düsseldorf, den 18. Mai 2016

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