StandardWissen Lehramt Orthographie. System und Didaktik. Bearbeitet von Jakob Ossner

StandardWissen Lehramt 3329 Orthographie System und Didaktik Bearbeitet von Jakob Ossner 1. Auflage 2010. Taschenbuch. 298 S. Paperback ISBN 978 3...
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StandardWissen Lehramt 3329

Orthographie

System und Didaktik

Bearbeitet von Jakob Ossner

1. Auflage 2010. Taschenbuch. 298 S. Paperback ISBN 978 3 8252 3329 7 Format (B x L): 15 x 21,5 cm Gewicht: 407 g

Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Angewandte Sprachwissenschaft > Studien zu einzelnen Sprachen & Sprachfamilien Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei

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UTB 3329

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StandardWissen Lehramt Die Bände zur Didaktik des Deutschen werden herausgegeben von Jakob Ossner

Bislang sind erschienen in der Reihe: Jakob Ossner: Sprachdidaktik Deutsch Martin Fix: Texte schreiben Achim Barsch: Mediendidaktik Deutsch Roland W. Wagner: Mündliche Kommunikation in der Schule Ursula Bredel: Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht Gabriele Kniffka/Gesa Siebert-Ott: Deutsch als Zweitsprache Peter Marx: Lese- und Rechtschreiberwerb Engelbert Thaler: Teaching English Literature Christine Garbe u.a.: Texte lesen Ergänzend: Christine Garbe u.a.: Lesesozialisation. Arbeitsbuch

Jakob Ossner

Orthographie System und Didaktik

Ferdinand Schöningh

Der Autor: Jakob Ossner lehrte an den Pädagogischen Hochschulen Ludwigsburg, Heidelberg, Weingarten sowie von 1997-2003 an der Goethe-Universität Frankfurt Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik; von 20032008 Hochschulrektor, seitdem ist er an der Pädagogischen Hochschule des Kantons St. Gallen (PHSG) tätig; von 2004-2008 Vorsitzender des Symposion Deutschdidaktik e.V.; seit 2004 Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Untersuchungen zur Sprachbewusstheit und Schriftsprachlichkeit; Mitherausgeber des Handbuchs Didaktik der deutschen Sprache (2003, UTB 8237). In dieser Reihe bereits erschienen: Sprachdidaktik Deutsch (2. Aufl. 2008, UTB 2807).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.schoeningh.de Schöningh ISBN 10: 3-506-76900-8 Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Layout: Alexandra Brand und Judith Karwelies UTB-Bestellnummer: ISBN 978-3-8252-3329-7

Vorwort zur Reihe StandardWissen Lehramt – Studienbücher für die Praxis Wie das gesamte Bildungswesen wird sich auch die künftige Lehramtsausbildung an Kompetenzen und Standards orientieren. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, was Lehrkräfte wissen und können müssen, um ihre berufliche Praxis erfolgreich zu bewältigen. Das Spektrum reicht von fachlichen Fähigkeiten über Diagnosekompetenzen bis hin zu pädagogisch-psychologischem Wissen, um Lehren als Unterstützung zur Selbsthilfe und Lernen als eigenaktiven Prozess fassen zu können. Kompetenzen werden nicht in einem Zug erworben; Lehrerbildung umfasst nicht nur das Studium an einer Hochschule, sondern ebenso das Referendariat und die Berufsphase. Die Reihe StandardWissen Lehramt bei UTB bietet daher Lehramtsstudierenden, Referendaren, Lehrern in der Berufseinstiegsphase und Fortbildungsteilnehmern jenes wissenschaftlich abgesicherte Know-How, das sie im Rahmen einer neu orientierten Ausbildung wie auch später in der Schule benötigen. Fachdidaktische und pädagogisch-psychologische Themen werden gleichermaßen in dieser Buchreihe vertreten sein – einer Basisbibliothek für alle Lehramtsstudierenden, Referendare, Lehrerinnen und Lehrer.

Inhalt 1 Seite

Einleitung: Aufbau des Buches

14

1.1

Die Beschreibung und Erklärung der deutschen Orthographie

16

1.2

Die Didaktik der deutschen Orthographie

2

Graphie und Orthographie

20

2.1

Schriftsysteme: alphabetische und nichtalphabetische Schriften

27

2.2

Graphie und Orthographie: Regeln, Konventionen, Normen

35

2.3

Grundsätzliche Überlegungen zum Erlernen der deutschen Orthographie

38

2.3.1

42

Fehlerkunde Zusammenfassung Aufgaben

3

Die deutsche Orthographie und ihre Geschichte

46

3.1

Kurze Geschichte der deutschen Orthographie und ihrer Reformen

54

3.2

Kurze Geschichte der Didaktik der Orthographie Zusammenfassung Aufgabe

58

4 62

4.1

64

4.2 4.2.1

Die Gebiete der deutschen Orthographie Aufbau der deutschen (Ortho-)graphie Die alphabetische Basis Die Graphem-Phonem-Beziehung

7

Inhalt

4.2.2

Zusammenfassung Aufgaben

112

113

4.2.3

4.3 4.3.1

4.3.2

4.4 4.4.1

4.4.2

236

8

Wörter im Satz schreiben Wörter im Satz auszeichnen: Die Groß- und Kleinschreibung

Didaktik der Groß- und Kleinschreibung Zusammenfassung Aufgaben

215

216 216 221 235

Didaktik der Getrennt- und Zusammenschreibung

Zusammenfassung Aufgaben

206

207

Die Getrennt- und Zusammenschreibung

Zusammenfassung Aufgaben

168

187 187

Die Schreibung ganzer Wörter

Zusammenfassung Aufgaben

167

168

Didaktik der Graphem-Phonem-Beziehung Zusammenfassung Aufgaben

133

135 135

Nichtalphabetische Zeichen in der deutschen Orthographie

4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3

Sätze und Texte für den Leser gliedern: Interpunktion Zeichen am Schluss eines Satzes setzen Zeichen innerhalb eines Satzes setzen Zeichen bei Wörtern setzen Zusammenfassung Aufgabe

Inhalt

237

4.5.4

252

253 253 258

Zusammenfassung Aufgaben 4.6 4.6.1 4.6.2

4.7 4.7.1 4.7.2

270

273

Texte gestalten Den Raum einer Zeile nutzen: Die Worttrennung am Zeilenende Didaktik der Worttrennung am Zeilenende Zusammenfassung Aufgabe

262

263 263 267

Didaktik der Interpunktion

Fremde Wörter schreiben Die Fremdwortschreibung Didaktik der Fremdwortschreibung Zusammenfassung Aufgabe

5

Zusammenfassung

Anhang 278

Aufgabenlösungen

285

Literatur

294

Register

9

Vorwort 2006 wurde das Regelwerk für die deutsche Orthographie, das 1996 mit wenig Zustimmung in der Bevölkerung reformiert worden war, erneut reformiert. Bis heute gibt auf der Grundlage dieses Regelwerks, von dem man annehmen kann, dass es einigen Bestand haben wird, keine zusammenhängende Darstellung der deutschen Orthographie. Die vorliegende Einführung versucht nicht nur dem abzuhelfen, sondern auch die systematische Beschreibung mit einer didaktischen Perspektive zu verbinden, da die Orthographie und ihr jeweiliger Zustand wesentlich vom Schulunterricht geprägt wird. Dem Ganzen liegt dabei die Überzeugung zugrunde, dass sich die Orthographie nicht nur als ein Gebilde gesetzter Normen verstehen lässt, sondern in all ihren Teilen ein erklärbares System bildet. Zu diesem Zwecke wird das Feld der Orthographie ausgemessen und es wird auf der Grundlage der Parameter Curriculum, Problemlösung, Prozeduren und metakognitives Wissen ein Rahmen für didaktische Entscheidungen, wie er bereits in der Sprachdidaktik Deutsch (UTB 2807) eingeführt wurde, gegeben. Wie schon die Sprachdidaktik Deutsch verweist auch dieser Band auf das zweibändige Handbuch Didaktik der deutschen Sprache, das 2003 ebenfalls bei (UTB 8235/8236) verlegt wurde. Die Geschichte der Didaktik des Rechtschreibens, die im Handbuch als Beitrag 27 zu finden ist, wird in diesem Band in neuer Darstellung gerafft wiedergegeben. Auch der Sprachgebrauch ist wie bei Sprachdidaktik Deutsch. Die Schülerinnen meinen auch die Schüler und die Schreiber und Leser auch die Schreiberinnen und Leserinnen. Dagegen treten Lehrerinnen und Lehrer als geschlechtsneutrale Lehrkräfte auf. Vielen habe ich zu danken: Allen voran meiner Frau, Marianne Ossner, die mir die Schülertexte zur Verfügung gestellt und das didaktische Unterfangen aus Sicht einer Lehrerin, die Schülerinnen das Schreiben lehrt, beurteilt hat, Ute Fischer und Barbara Schupp, die den Band mit ihren Kommentaren kritisch begleitet haben, den Mitgliedern des Rats für deutsche Rechtschreibung für viele Diskussionen, insbesondere seinem Vorsitzenden, Hans Zehetmair, der mir zudem dereinst die Wege zu einem tieferen Sprachverständnis gewiesen hat, und nicht zuletzt Erwin Beck für eine neue akademische Heimat. Rorschach, im Sommer 2009 Jakob Ossner 11

Abkürzungen Es werden die folgenden Abkürzungen verwandt: Adj. Art. ARW engl. fr. GPK Gr Ind. Inf. it. Kons. lt. mhd. ndd. ndld. NTS Ph PhSch Pl. Präp. Präs. Pron. Sg. Subst. TS türk. ung. V

12

= Adjektiv = Artikel(wort) = Amtliches Regelwerk = englisch = französisch = Graphem-Phonem-Korrespondenz = Graphem = Indikativ = Infinitiv = italienisch = Konsonant = lateinisch = mittelhochdeutsch = niederdeutsch = niederländisch = Nebentonsilbe = Phonem = phonographische Schreibung = Plural = Präposition = Präsens = Pronomen = Singular = Substantiv = Tonsilbe = türkisch = ungarisch = Vokal

Einleitung: Aufbau des Buches 1

1. Einleitung: Aufbau des Buches

1.1 Die Beschreibung und Erklärung der deutschen Orthographie

Beschreibung des Regelwerks – Beschreibung von Regelmäßigkeiten

Rekonstruktion des Regelwerks

Fundament der Beschreibung der deutschen Orthographie 14

Die deutsche Orthographie ist nicht leicht zu beschreiben. Soll man unter ihr das amtliche Regelwerk, wie es in der Fassung vom 1.8.2006, das zum 1.8.2007 endgültig in Kraft trat, verstehen? Wenn dies so wäre, dann könnten wir nicht von der deutschen Orthographie im Singular sprechen, sondern müssten von den deutschen Orthographien von 1901, 1996 und 2006 (und so manchen Zwischenstadien) sprechen, also den Zeitpunkten, zu denen die deutsche Orthographie normiert wurde. Außerdem unterläge ein solches Vorgehen dem Missverständnis, aus der Formulierung einer Regel auf den Sachverhalt selbst zu schließen. Gerade die Diskussion zum § 2 des Regelwerks nach 1996 (vgl. Eisenberg, 1997) hat aber gezeigt, dass man Regel im Sinne von Regelmäßigkeit scharf von der Formulierung der Regelmäßigkeit im Regelwerk scheiden muss. Wenn es also nicht einfach die Beschreibung des Regelwerks ist, so könnte es seine beschreibende Auslegung sein, die sich günstigenfalls mit der Beschreibung der Regelmäßigkeiten, wie sie insgesamt die deutsche Orthographie ausmachen, decken. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, da das amtliche Regelwerk nicht nur die vorschreibende Formulierung von Regelmäßigkeiten enthält, sondern auch Normierungen, die nicht sofort als Regelmäßigkeiten beschrieben werden können. So deckt sich etwa die Festsetzung, dass ck ein Graphem sei, nicht mit den beschreibbaren Regelmäßigkeiten. Aber auch bei der (mündlichen) Sprache kann man nicht eine normorientierte Gebrauchsgrammatik mit ihren Regeln und Anweisungen nehmen und daraus eine Beschreibung der Sprache herleiten. Vielmehr ist der Prozess gerade umgekehrt. Da aber das, was als Schriftgut vorliegt, selbst wieder Ergebnis des Regelwerkes ist, liegt ein wesentlicher Teil der Beschreibung tatsächlich in der Rekonstruktion des Regelwerkes begründet. In diesem Sinne sind vor allem auch Alternativen zu diskutieren, die sich sowohl auf eine Norm beziehen können als auch auf die Formulierung einer orthographischen Regel. Zur Beschreibung gehört aber mehr als die Rekonstruktion und Diskussion von vorfindlichen Regeln. Es muss das Beschreibungsfundament angegeben werden. In dieser Einführung wer-

Die Beschreibung und Erklärung der deutschen Orthographie 1.1

den folgende Fragen und folgende Bezugssysteme zugrunde gelegt. Was bedeutet es, dass • die deutsche Orthographie eine alphabetische Schrift ist? Der Bezugspunkt ist hier das Schriftsystem; • im ARW nicht nur die Kodifizierung von Regelmäßigkeiten, sondern auch Vorschriften, etwa die, ck als einen Buchstaben zu behandeln, zu finden sind? Der Bezugspunkt ist hier die orthographische Regel im amtlichen Regelwerk (ARW); • eine Orthographie Schreiber- und Leserbedürfnisse befriedigen muss? Bezugspunkt ist hier die Pragmatik der Orthographie. Wenn man die drei Bezugspunkte zusammenspielen lässt, kann man einen erklärenden Zugang zur deutschen Orthographie gewinnen. Insbesondere eröffnet sich aus der Zusammenschau der drei Bezugspunkte auch die Möglichkeit der Kritik am bestehenden Regelwerk, dessen Formulierung immer nur einen Status quo angeben kann und hinsichtlich dessen grundsätzlich gilt, dass nach der Reform vor der Reform bedeutet – wenngleich man sich wünscht, dass künftig die einschneidenden Reformen anders gestaltet werden als zwischen den Jahren 1996-2006. Vor dieser Maßgabe wird in dieser Einführung entlang den Gebieten des ARW vorgegangen: • Graphem-Phonem-Zuordnungen • Getrennt- und Zusammenschreibung; Schreibung mit Bindestrich • Groß- und Kleinschreibung • Zeichensetzung • Worttrennung am Zeilenende • Fremdwortschreibung Dabei wird eine erklärende Beschreibung des jeweiligen Feldes versucht, um Regelmäßigkeiten und die Regeln des Regelwerks verstehen zu können. Lediglich bei der Fremdwortschreibung verfährt diese Schrift anders. Während im amtlichen Regelwerk diese wesentlich bei der Graphem-Phonem-Beziehung abgehandelt wird mit bedeutenden Zusätzen bei der Groß- und Kleinsowie Getrennt- und Zusammenschreibung, wird sie hier ganz zum Schluss als eigenes Kapitel behandelt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sich bei der Fremdwortschreibung Fragen stellen, die am besten zusammenhängend beantwortet werden. (So ging auch das Regelwerk von 1901 vor.)

Erklärender Zugang zur Orthographie

Aufbau des Buches nach Sachgebieten

15

1. Einleitung: Aufbau des Buches

Grundlage: Die deutsche Orthographie bildet ein System

Durch die ganze Darstellung wird sich eine Grundannahme ziehen: Die deutsche Orthographie ist im Großen und Ganzen systematisch zu beschreiben. Diese Systematik zu finden, ist Aufgabe einer Theorie der Orthographie.

1.2 Die Didaktik der deutschen Orthographie

Kern und Peripherie als Maßgabe für die didaktische Auswahl

Das gegenwärtige schulische Rechtschreibcurriculum

16

Rechtschreiben lernt man in der Schule. Das bedeutet, dass sich bei der Orthographie in besonderer Weise die Frage nach ihrer Didaktik stellt. In der Tat gibt es ungezähltes Schrifttum, das den sicheren Rechtschreiberwerb verspricht. Dabei ist eine wesentliche Frage die nach dem Umfang des Erwerbs. Kein Schulcurriculum kann alle Feinheiten des amtlichen Regelwerks samt den daraus folgenden Konsequenzen vollständig aufnehmen. Traditionell gehört beispielsweise der Gebrauch der nichtalphabetischen Zeichen, wie Klammern, nur ganz am Rande zum schulischen Curriculum. Alle Überlegungen in diesem Bereich zielen auf das, was man Kern und Peripherie nennen kann. Hinzu kommt die Frage, was wann begonnen und wann es vertieft im Sinne eines Spiralcurriculums – nun in neuen Zusammenhängen und mit einem erweiterten Blick – aufgenommen wird. Für die Reihenfolge hat sich als »didaktisches Brauchtum« herauskristallisiert, dass in der Grundschule die Basis gelegt wird und Graphem-Phonem-Beziehung, Satzschlusszeichen, die Grundzüge der Großschreibung sowie – sehr früh – die Worttrennung am Zeilenende behandelt werden. In den Anfangsjahren der Sekundarstufe folgt dann eine Erweiterung und Vertiefung der Groß- und Kleinschreibung (Substantivierungen), die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Kommasetzung. Diese Abfolge hat viel Plausibilität, ist aber einem theoretischen Modell geschuldet, das man ausweisen und einer Kritik unterwerfen muss. Überhaupt ist es wissenschaftstheoretisch ausgesprochen naiv, anzunehmen, es gäbe die Orthographie; vielmehr gibt es Beschreibungen der Orthographie, die sich in Formulierungen eines Regelwerks ausdrücken. Dabei ist die präskriptive Form eines Regelwerks immer ein eigener Akt, denn nie kann aus einem Beschreibungssatz ein Aufforderungssatz einfach geschlossen werden.

Die Disaktik der deutschen Orthographie 1.2

In dieser Einführung baut die Didaktik auf der zuvor gegebenen Beschreibung und Erklärung, die man unter einem didaktischen Blickwinkel als Sachanalyse lesen kann, auf. Der Gang ist dann bereichsweise dieser: • Jedes didaktische Kapitel beginnt mit der curricularen Verteilung des Lernstoffes. Dabei spielen auch Fragen der Entwicklung des Wissens eine Rolle. • Es folgt eine Darstellung von grundsätzlichen Problemlösungsmodi. Dabei sind Problemlösungsstrategien oft auch schon in der systematischen Darstellung gegeben worden. Sie werden in dieser Abteilung um didaktische ergänzt. • Rechtschreiben muss im Laufe der Zeit automatisiert werden; das bedeutet, dass Prozeduren eingeschliffen werden müssen. Hinweise hierzu folgen in einem jeweils eigenen Teil. • Schließlich ist der innere Monitor, der die orthographische Seite des Schreibens überwacht, auf Fehlersensibilität hin zu trainieren. Die Frage von Fehlern und Fehlersensibilität bildet den Abschluss eines jeden didaktischen Kapitels. Hinter den vier Abschnitten stecken die bekannten vier Wissensarten (deklaratives Wissen, Problemlösungswissen, prozedurales Wissen und metakognitives Wissen), die wiederum als Dimensionen von Kompetenzen formuliert werden können (vgl. Ossner, 2006). Dabei dürfen die geschilderten Dimensionen nicht als hinreichende, wohl aber als notwendige Bedingungen für eine Rechtschreibkompetenz angesehen werden. Man weiß nicht, was eine hinreichende Bedingung für orthographische Kompetenz ist, sicherlich gehört aber reflektierter Schreibgebrauch dazu. Wie jedes historisch gewachsene Gebilde kann auch die Orthographie nicht stringent aus einem Guss beschrieben werden, sondern als System mit Idiosynkrasien (Ausnahmen). Für das Lernen bedeutet dies, dass scharf zwischen dem Teil, der systematisch erworben werden kann, und dem, der fallweise erworben werden muss, unterschieden werden sollte, da beide verschiedene Lernweisen nach sich ziehen.

Ausweis der theoretischen Beschreibungsbasis

Wissensarten als Kompetenzen

17

Graphie und Orthographie 2

2. Graphie und Orthographie

Mögliche und amtliche Graphien

Fasst man die Orthographie als Ergebnis des ARW zusammen mit dem Wörterverzeichnis, so ist seit 1996 im Folgenden die gegenwärtig orthographisch korrekte Form; allerdings kann man darüber streiten, ob nicht die alte Form im folgenden angemessener wäre. In diesem Sinne ist im folgenden eine mögliche Graphie des besagten Ausdrucks. Die möglichen Graphien sind also zahlreicher als die tatsächlichen Orthographien. Dies weist darauf hin, dass eine Orthographie unter möglichen Graphien bestimmt, was als richtig gilt und damit andere Graphien ausschließt. Die Gründe hierfür können vielfältig sein und manche dieser Gründe für eine orthographische Entscheidung werden an entsprechender Stelle diskutiert werden. Wie ist aber zu bestimmen, was mögliche Graphien sind? Eine erste Antwort darauf gibt das Schriftsystem.

2.1 Schriftsysteme: alphabetische und nichtalphabetische Schriften Alphabetische Schriftsysteme

20

Die deutsche Graphie ist eine alphabetische Schrift. Dies meint nicht mehr oder weniger, als dass es ein sehr begrenztes Inventar von graphischen Zeichen (Graphemen) gibt, von denen – wie in der Lautsprache von den Lautzeichen (Phonemen) – ein unendlicher Gebrauch gemacht werden kann. Darüber hinaus interessiert, ob es einen Zusammenhang zwischen Grapheminventar und Phoneminventar gibt. Dabei kann man sich eine Skala denken, deren eines Ende durch einen Eins-zu-Eins-Zusammenhang zwischen Phonemen und Graphemen, und deren anderes Ende durch einen sehr schwachen Zusammenhang definiert ist. An irgendeiner Stelle ist jede alphabetische Schrift einzuordnen. Ganz anders funktionieren logographische Schriften. Dies wird an dem folgenden Beispiel deutlich: Unter Zugrundelegung des Saussureschen Zeichenmodells kann man eine logographische von einer alphabetischen Schrift folgendermaßen unterscheiden (vgl. Abb. 1):