T. Pfefferkorn, J. Fiehler
Sinus- und Hirnvenenthrombose ISBN 978-3-17-024502-0
Kapitel E8 aus T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.)
Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012
Kohlhammer
BDG_neu.book Seite 457 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09
E8
Sinus- und Hirnvenenthrombose von T. Pfefferkorn und J. Fiehler*
Die Sinus- und Hirnvenenthrombose (SVT) ist eine insgesamt eher seltene, bei prädestinierten Patienten aber relativ häufige Erkrankung mit variabler klinischer Präsentation, gelegentlich schwieriger neuroradiologischer Diagnosesicherung, guten Möglichkeiten der Behandlung und einer unter Therapie vergleichsweise günstigen Prognose. Aus pathophysiologischen und therapeutischen Gesichtspunkten ist zwischen blander und wesentlich seltener auftretender septischer SVT (s. E 8.5.2) zu unterscheiden. In Abhängigkeit von den betroffenen venösen Strukturen ist weiter zwischen einer Thrombose der großen Sinus und einer Thrombose der zerebralen Venen zu differenzieren. Häufig sind beide Strukturen gleichzeitig betroffen. Eine Beteiligung der inneren Hirnvenen ist selten, hat aber prognostische Konsequenzen. Im vorliegenden Beitrag wird nur die SVT im Erwachsenenalter behandelt, obwohl die Erkrankung auch bei Kindern auftritt, möglicherweise sogar mit einer etwas höheren Inzidenz.
E 8.1
Klinik
E 8.1.1
Klinische Symptomatik und prädisponierende Faktoren
Häufigstes Symptom der SVT sind Kopfschmerzen. Sie sind bei fast 90 % der betroffenen Patienten vorhanden (Ferro et al. 2004) und bei etwa 20 % der Patienten alleiniges Symptom. Bleibt die Thrombose auf die Sinus beschränkt, so kommt es bei ausreichender Drainage über kollaterale Venen in der Regel zu keiner lokalen Hirnschädigung. Fokale neuroTab E 8.1:
logische Defizite treten in dieser Konstellation dementsprechend selten auf. Allerdings entwickelt sich durch die gestörte Liquorresorption und venöse Liquordrainage eine intrakranielle Hypertension (Stam 2005), die zu einem Papillenödem und Sehstörungen führen kann (Biousse et al. 1999). Eine Ausbreitung der Thrombose auf die zerebralen Venen kann im Rahmen der dann auftretenden lokalen venösen Kongestion zu fokalem Ödem, Infarkt und/ oder Blutung mit entsprechenden fokal-neurologischen Ausfällen führen (Stam 2005). Auch epileptische Anfälle sind dann sehr häufig. Insgesamt treten diese bei etwa 40 % der Patienten mit SVT auf (Ferro et al. 2008). Bei einem kleinen Teil der Patienten kommt es, teilweise auch unter Therapie, bei zunehmender fokaler und/oder generalisierter Hirnschwellung zu einer vital bedrohlichen klinischen Verschlechterung, sodass eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmungspflichtigkeit und Hirndrucktherapie notwendig wird. Bei Beteiligung der inneren Hirnvenen zeigen über 70 % der betroffenen Patienten quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen (Pfefferkorn et al. 2009), sodass auch in dieser Konstellation häufig Intensivpflichtigkeit besteht. Tab. E 8.1 zeigt die Häufigkeit einzelner Symptome und klinischer Zeichen bei unselektierten Patienten mit SVT. Tab. E 8.2 zeigt typische klinische Befundkonstellationen in Abhängigkeit der betroffenen venösen Strukturen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in der Mehrzahl der Fälle mehrere Venen/Sinus betroffen sind (z. B. kombinierte Thrombose von Sinus sagittalis superior, Sinus transversus und kortikalen Venen).
Symptome und klinische Zeichen bei SVT (Ferro et al. 2004)
Symptome/Zeichen
Häufigkeit (%)
Kopfschmerzen
89
Epileptische Anfälle
39
Paresen
37
Stauungspapille
28
Bewusstseinsstörung, qualitativ (z. B. Orientierungsstörung, psychotische Symptomatik)
22
Aphasie
19
Bewusstseinsstörung, quantitativ (Koma/Sopor)
14
Doppelbilder
14
Visusminderung
13
Sensible Ausfälle
5
* Autoren dieses Kapitels in der 5. Auflage: M. Strupp und M. Dichgans.
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Zerebrovaskuläre Erkrankungen Tab. E 8.2:
Typische Befundkonstellationen bei SVT
Betroffener Sinus, betroffene Venen
Häufigkeit (%)
Symptome/ Klinische Zeichen
Sinus transversus
70–80
Kopfschmerzen, teilweise Hypoplasien häufig, daher lateralisiert; Ohren- und Na- schwierige Abgrenzung in ckenschmerzen; fokale der alleinigen MRA Ausfälle
Evtl. schlechtere Prognose bei rechtsseitiger Thrombose; septische Genese bei Otitis oder Mastoiditis
Sinus sagittalis superior
62
Kopfschmerzen, Stauungspapille, Bewusstseinsstörung, erhöhter Liquoreröffnungsdruck
Gelegentlich Zeichen der generalisierten Hirnschwellung
Gelegentlich blander Verlauf mit isolierter intrakranieller Hypertension
Sinus rectus
18
Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen bis zum Koma
Bereits im Nativ-CT meist hyperdense Darstellung des Sinus rectus
Innere Hirnvenen häufig mit betroffen
Kortikale Venen
17
Kopfschmerzen, fokale Ausfälle, Aphasie, epileptische Anfälle
Stauungsblutung, Stauungsinfarkt; direkter Nachweis schwierig, am ehesten mit MRT (T2*)
Bei ausgedehntem Befund vitale Bedrohung durch Raumforderung und Mittellinienverlagerung
Innere Hirnvenen
11
Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen bis zum Koma
Thalamus- und Basalganglienödem; Hirnvenen im Nativ-CT regelhaft hyperdens
Ungünstiger Verlauf (Tod oder schwere Behinderung) bei etwa 20 % der Patienten
Sinus cavernosus
1
Kopfschmerzen, Chemosis, Protrusio bulbi
Schwieriger radiologischer Nachweis (MRT: T2*)
Häufig septische Genese (Sinusitis, Infektionen im Gesichtsbereich)
Zerebelläre Venen