SEG 83

4 Einsatztaktik J. Brokmann 4.1 Einsatzablauf – 69 4.8 Sichtung – 82 4.2 Gefahren an der Einsatzstelle – 70 4.9 Einsatzeinheiten/SEG – 83 4.3...
Author: Jörn Geiger
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4 Einsatztaktik J. Brokmann

4.1

Einsatzablauf – 69

4.8

Sichtung – 82

4.2

Gefahren an der Einsatzstelle – 70

4.9

Einsatzeinheiten/SEG – 83

4.3

Luftrettungseinsatz – 72

4.10

Transportverweigerung – 83

4.4

Technische Rettung – 76

4.11

Leichenschau im Rettungsdienst – 84

4.5

Sekundär-Intensivtransport – 77

Literatur – 91

4.6

Übergabe und Übernahme von Patienten – 80

Weiterführende Internetadressen – 91

4.7

Gefahrstoffeinsatz – 80

4.1

Einsatzablauf

Einsätze im Rettungsdienst sind vielfältig und inhomogen. Dennoch ist ihnen eine Struktur eigen: ▬ Alarmierung ▬ Einsatzfahrt ▬ Finden der Einsatzstelle ▬ Ankunft an der Einsatzstelle ▬ Übersicht verschaffen (Erkundung und Rückmeldung, Anforderung weiterer Kräfte) ▬ Sofortmaßnahmen ▬ Erweiterte Maßnahmen ▬ Transportvorbereitung (Zielklinik) ▬ Transport ▬ Übergabe des Patienten ▬ Debriefing mit Einsatzpersonal Das Debriefing oder die Einsatznachbesprechung sind essentiell. Neben dem Aufarbeiten einsatzspezifischer Besonderheiten kann hier die Motivation des Personals maßgeblich gefördert werden. Besonders gut abgearbeitete Abläufe können eingangs hervorgehoben und im weiteren Gesprächsverlauf Optimierungsvorschläge so angesprochen

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werden, dass sie nicht als Vorwurf empfunden oder verstanden werden. Durch diese Vorgehensweise können beim nächsten Einsatz Fehler vermieden werden.

Führung Die Führung ist ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Rettungsdiensteinsatzes. Das Führungssystem besteht aus: ▬ Führungsorganisation ▬ Führungsmittel ▬ Führungsvorgang

Führungsvorgang Der Rettungsdienst ist entweder Teil der Feuerwehr oder er arbeitet in enger Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Hierfür ist eine gegenseitige Kenntnis von Führungsstrukturen und Vorgängen wichtig. Im Folgenden ist der Führungsvorgang der Feuerwehr schematisch dargestellt.

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Kapitel 4 · Einsatztaktik

Phase 1:

Planung

▬ Lagefeststellung – Erkundung/Kontrolle

Beurteilung:

Phase 2:

4

▬ Planung – Beurteilung der Lagefeststellung – Entschluss Phase 3:

▬ Befehlsgebung

Lagefeststellung ▬ ▬ ▬ ▬

Ort Zeit Wetter Verkehrslage

Schadenereignis/Gefahrenlage ▬ Schaden: – Schadenart – Schadenursache ▬ Schadenobjekt: – Art – Größe – Material – Konstruktion – Umgebung ▬ Schadenumfang: – Menschen – Tiere – Sachwerte

Schadenabwehr/Gefahrenabwehr ▬ Führung: – Führungsorganisation – Führungsmittel ▬ Einsatzkräfte: – Stärke – Gliederung – Verfügbarkeit – Ausbildung – Leistungsvermögen ▬ Einsatzmittel: – Fahrzeuge – Geräte – Löschmittel – Verbrauchsmaterial

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▬ Welche Gefahren sind für Mensch, Tiere, Umwelt und Sachwerte erkannt? ▬ Welche Gefahr muss zuerst und an welcher Stelle bekämpft werden? ▬ Welche Möglichkeiten bestehen für die Gefahrenabwehr? ▬ Vor welchen Gefahren müssen sich die Einsatzkräfte hierbei schützen? ▬ Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Möglichkeiten? ▬ Welche Möglichkeit ist die beste? Entschluss:

▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬

Ziele Einsatzschwerpunkte Einteilung der Kräfte Bewegungsabläufe Ordnung des Raumes Fernmeldeverbindung Versorgung

Befehl Allgemeine Inhalte:

▬ Einsatzform (Zugverband, Einsatz mehrerer Einheiten) Befehl an einzelne Mannschaftsteile:

▬ ▬ ▬ ▬ ▬

4.2

Einsatz Auftrag Mittel Ziel Weg

Gefahren an der Einsatzstelle

Grundsätzlich gilt: ▬ Erkennen von Gefahren ▬ Taktisch richtiges Vorgehen ▬ Verwendung notwendiger Schutzausrüstung ▬ Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften Der Notfallmediziner und sein Team sind nicht erst an der Einsatzstelle, sondern bereits ab dem Zeitpunkt der Alarmierung einer erhöhten Gefahr ausgesetzt (z. B. Einsatzstichwort).

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71 4.2 · Gefahren an der Einsatzstelle

Bereits die Fahrt zur Einsatzstelle birgt viele potentielle Gefahren. Der Notarzt als Beifahrer kann hier entscheidend zur Sicherheit beitragen (z. B. Orientierung, Anfahrtshilfe etc.). Beeinflussende Faktoren: ▬ Meldebild ▬ Dringlichkeit ▬ Psychischer und physischer Momentzustand ▬ Verkehrssituation ▬ Wetter ▬ Straßenzustand ▬ Art und technischer Zustand des Fahrzeuges ▬ Möglichkeit der Stressbewältigung ! Wichtig Eigenschutz geht vor!

Auf ausreichende Sicherheitsabstände bei Strom-, Gefahrgut- und Strahlenunfällen sowie Feuer und Gasgeruch ist zu achten. Ein Sicherheitsabstand ist auch dann wichtig, wenn es am Unfallort zu Gewalttätigkeiten kommen sollte. Evtl. erforderliche Fachdienste und deren Eintreffen können abgewartet werden, ohne den Eigenschutz zu vernachlässigen. Die persönliche Schutzausrüstung sollte den jeweiligen Einsatzstellen entsprechend angepasst werden, z. B. Feuerwehrhelm bei Einsätzen auf Baustellen, Verkehrsunfällen etc. Gefahren an der Einsatzstelle bestehen für: ▬ Menschen ▬ Eigene Kräfte ▬ Fremde Personen ▬ Tiere ▬ Sachwerte ▬ Umwelt ▬ Gerätschaften (Equipment)

Hauptgefahren Die Hauptgefahren an der Einsatzstelle sind in einer sog. Gefahrenmatrix zusammengefasst: ▬ ▬ ▬ ▬ ▼

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Atemgifte Ausbreitung Angst- und Panikreaktion Atomare Gefahren

▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬

Chemische Gefahren/ Biologische Gefahren Explosion Einsturz Erkrankung/Verletzung Elektrizität + Allgemeine Gefahren

Trifft eines der potentiellen Gefahren auf den jeweiligen Einsatz zu, ist weiterhin die Intensität und die Wahrscheinlichkeit in Hinblick auf die Gefährdung zu unterscheiden in: ▬ Erhebliche Gefährdung ▬ Mittlere Gefährdung ▬ Geringe Gefährdung Die Gefahr besteht aus drei Einzelkomponenten: 1. Ereignis 2. Gefährdetes Objekt 3. Gefahrenwirkung

Gefahren Gefahren im Straßenverkehr Einsatzstellen im Straßenverkehr sind in beide Verkehrsrichtungen abzusichern.

Absicherung der Einsatzstelle Jeder Rettungsdiensteinsatz an einer Einsatzstelle, die sich im Verkehrsbereich oder nah eines Verkehrsbereichs befindet, ist gefährlich. Selbst abgestellte Rettungsdienstfahrzeuge sind für andere Verkehrsteilnehmer ein Blickpunkt und lenken sie vom restlichen Verkehrsgeschehen ab. Die Absicherung ist abhängig von der Straßenart (Ortsstraße, Landstraße, Bundesautobahn). Richtwerte zur Absicherung an der Einsatzstelle ▬ Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften: 60 m entgegen der Fahrtrichtung

▬ Bundesstraßen, Landstraßen: 200 m entgegen der Fahrtrichtung

▬ Autobahnen: 800 m entgegen der Fahrtrichtung

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Kapitel 4 · Einsatztaktik

! Wichtig Eine Absicherung sollte mindestens am Anhalteweg beginnen.

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▬ Bei der Absicherung kommt Folgendes zum Einsatz: – Warndreieck – Warnleuchten – Blitzleuchten ▬ An den Einsatzfahrzeugen sind die Rundumkennleuchten, Front- und Heckblitzer sowie Warnblinker einzuschalten. ▬ Ist durch eine Absicherung keine ausreichende Sicherheit herzustellen, ist eine Vollsperrung notwendig. Einsatzkräfte sind dazu ermächtigt. ▬ Fahrzeuge können auch so aufgestellt werden, dass sie zwischen dem herannahenden Verkehr und den arbeitenden Einsatzkräften stehen (Prellbock). ▬ Dennoch muss ein Nachrücken weiterer Kräfte möglich sein. ▬ Fahrzeuge mit dem höchsten Einsatzwert stehen als nächstes zum Schadensort. ▬ Eine Umleitung in oder eine Sperrung von der Einsatzstelle vorgelagerten Abschnitten ist ausschließlich Aufgabe der Polizei.

Gefahren im Schienenverkehr Bahnanlagen sind vor allem wegen der hohen Geschwindigkeit von Zügen und den langen Anhaltewegen gefährlich; besonders zu berücksichtigen ist auch die Elektrizität in diesem Bereich. Die Bahn muss sofort, d. h. bereits bei der Notfallmeldung durch die Leitstelle benachrichtigt werden. Hier ist eine jeweilige Rückversicherung notwendig. Der Schienenverkehr ist soweit notwendig einzustellen. Sicherungsmaßnahmen gegen elektrische Gefahren müssen getroffen werden.

Gefahren in elektrischen Anlagen Unterscheidung: a) Niederspannung – 1000 Volt Wechselspannung oder 1500 Volt Gleichstrom – Bis zur Bestätigung der Spannungsfreiheit Mindestabstand von 5 m einhalten – Ausnahme spannungsführende Teile bei der Bahn: hier beträgt der Mindestabstand 1,5 m – Sicherheitsabstand so lange einhalten, bis feststeht, dass die Anlage abgeschaltet, geerdet und spannungsfrei ist Ist eine Hochspannungsleitung gerissen und berührt sie den Boden, bildet sich ein Spannungstrichter. Bei gut leitenden Böden wie Lehm ist der Trichter klein, bei schlecht leitenden wie trockenen Böden ist er groß. Dringt man mit großen Schritten in einen Spannungstrichter ein, so berührt man mit seinen Füßen unterschiedliche Spannungsbereiche. Es kommt zu einem Stromfluss im menschlichen Körper mit gefährlicher Stromstärke. Eine Annäherung bis 20 m ist zulässig, jedoch nur mit kleinen Schritten. ! Wichtig Wenn Strom abgeschaltet wird: Gegen ein Wiedereinschalten sichern!

Bei Annäherung an stromführende Teile besteht besonders bei Hochspannung die Gefahr des Stromüberschlages (Lichtbogen), was zu erheblichen Brandverletzungen führen kann.

! Wichtig Vor dem Betreten eines Gleiskörpers ist die Bestätigung des Bahnmanagers über die stillgelegte Strecke einzuholen.

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4.3

Luftrettungseinsatz

Am 01.11.1970 wurde der erste Rettungshubschrauber in München-Harlaching durch den ADAC in Betrieb genommen. Seitdem hat sich in Deutsch-

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73 4.3 · Luftrettungseinsatz

land ein flächendeckendes öffentlich-rechtliches Luftrettungssystem für Primär/Notfalleinsätze entwickelt. Die Luftrettungsstationen werden von unterschiedlichen Betreibern vorgehalten: ▬ ADAC Luftrettung ▬ Deutsche Rettungsflugwacht (DRF) ▬ Team DRF ▬ Katastrophenschutz (Verwaltung durch ADAC Luftrettung) ▬ Katastrophenschutz ▬ Sonstige

▬ Schonender, schneller Transport in die nächste geeignete Klinik

Was ist Luftrettung?

Grenzen der Luftrettung: ▬ Schlechte Wetterbedingungen (Nebel, Sturm, Vereisung) ▬ Landungen in unbekanntem Gelände bei Nacht (⊡ Tab. 4.1)

▬ Die Luftrettung – die schnelle medizinische Hilfe aus der Luft per Hubschrauber – ist integrierter und ergänzender Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes ▬ Geregelt wird dies in den jeweiligen Rettungsdienstgesetzen der Bundesländer ▬ Die Hubschrauber werden von den Standortleitstellen bzw. von überregionalen Koordinierungsleitstellen eingesetzt

Was leistet Luftrettung? ▬ Schnelles Heranführen des Notarztes, dadurch besteht die Möglichkeit, Hilfsfristen einzuhalten ▬ Unabhängigkeit von schlechten Straßenverhältnissen wie Stau, Eis oder Überschwemmung ▬ Unabhängigkeit von topographischen Hindernissen ▬ Rettung aus unwegsamem Gelände

Aufgaben: ▬ Notfallrettung /Primärtransporte ▬ Intensivtransporte/Sekundärtransporte ▬ Suchflüge ▬ Organtransporte ▬ Heranführen von Spezialkräften ▬ Koordinierung/Überblick bei Großschadenslagen ▬ Transport von mehreren Verletzten

Zudem existieren noch weitere privater Anbieter, die in das öffentlich-rechtliche System integriert sind, sowie eine flächendeckende Vorhaltung von Intensivtransporthubschraubern (ITH). Die Luftrettung ist hoheitliche Aufgabe des Landes. Für die Festlegung der Stationierung sind die Innenministerien zuständig. Aufsichts- und entscheidungsbefugt sind die Innenministerien und Krankenkassen. Die Luftrettungsstationen werden Kernträgern (Kreise, kreisfreie Städte) zugeordnet, die wiederum den Rettungshubschrauber (RTH) einer Trägergemeinschaft (benachbarte Kreise und kreisfreie Städte) zur Verfügung stellen.

⊡ Tab. 4.1. Gegenüberstellung Luftrettung/Bodenrettung Luftgebundener Rettungsdienst

Bodengebundener Rettungsdienst

Positiv

Positiv

Schneller, flexibler Einsatz

Gute räumliche und technische Voraussetzung für Behandlung und Überwachung

Negativ

Negativ

Eingeschränkte Behandlungsmöglichkeit Eingeschränkte Lagerungsmöglichkeit Tageszeit- und wetterabhängig

Lange Transportzeiten Starke Erschütterungen

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Kapitel 4 · Einsatztaktik

Die RTH werden über die Notrufnummer 112 angefordert. Die tägliche Einsatzzeit beginnt um 7 Uhr bzw. bei Sonnenaufgang und endet bei Sonnenuntergang. Der reguläre Einsatz von Primärrettungshubschraubern in der Nacht ist nicht vorhanden und wird zurzeit an einigen Standorten getestet. Aufgrund der notwendigen hohen Sicherheitsstandards und einem damit verbundenen Zeitverlust ist in Zukunft nicht mit einem derartigen Ausbau zu rechnen. Die RTH müssen spätestens 2 min nach Alarmierung gestartet sein und sich auf dem Anflug zum Notfallort befinden. Der Einsatzradius beträgt in der Regel 50 km. Doch können auch 60–70 km entfernte Ziele in ca. 15 min erreicht werden. Der Luftrettungseinsatz wird durch den öffentlichen Rettungsdienst finanziert und steht jedem Menschen zur Verfügung. Die entstehenden Kosten werden anteilig von den Krankenkassen, den Trägern der Rettungsdienste, dem Bund oder privaten Betreibern übernommen.

Ausstattung Die medizinische Ausstattung ist in der DIN EN 13230 vorgeschrieben. Darüber hinaus sind auf den jeweiligen Stationen jedoch meistens je nach Zuladekapazität weitere Mittel vorhanden. Die Ausstattung muss den aktuellen Erkenntnissen der Notfallmedizin sowie dem notwendigen Ausbildungsstand des Personals angepasst sein. Hierbei ist ein Gleichgewicht zwischen medizinischen Erfordernissen, technischen Möglichkeiten, praktischer Nutzbarkeit und wirtschaftlichen Grenzen anzustreben.

Platzangebot Der vorhandene Platz in Rettungshubschraubern und Intensivtransporthubschraubern ist deutlich eingeschränkter als bei einem RTW/ITW. Dies ist einsatztaktisch bei der Versorgung der Patienten zu berücksichtigen.

Einsätze Besatzung Die Besatzung besteht aus einem Piloten, der ein hohes Maß an Flugerfahrung besitzen muss. Bei Nachtflügen sind bei den öffentlich-rechtlichen Luftrettungsunternehmen zwei Piloten vorgeschrieben. Je nach Maschinentyp und Institution wird ein Bordtechniker vorgehalten, der sowohl für den technischen Zustand der Maschine als auch für Sonderaufgaben (Windenführung etc.) zuständig ist. Hinzu kommt ein Rettungsassistent, der über eine zusätzliche Ausbildung zum Luftrettungshelfer (HEMS-Crew Member) nach JAR-OPS 3 ausgebildet sein muss. In dieser Ausbildung werden ihm neben technischen Grundlagen und Wetterkunde auch navigatorische Grundlagen vermittelt. Der Luftrettungshelfer ist für die technische Einsatzbereitschaft der medizinisch-technischen Ausrüstung verantwortlich. Der Notarzt muss (länderspezifisch) den Fachkundenachweis »Arzt im Rettungsdienst oder die Zusatzbezeichnung Notfall/Rettungsmedizin besitzen. Die meisten Betreiber verlangen jedoch einen Facharztstandard und die weitere Qualifikation »Kurs Intensivtransport« der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI).

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Die Einsatzverteilung von Rettungshubschraubern ist regionalen Unterschieden vorbehalten (⊡ Abb. 4.1). ! Wichtig Der luftgebundene Rettungsdienst hat die Aufgabe, die Mittel des bodengebundenen Rettungsdienstes zu unterstützen und zu ergänzen, nicht jedoch sie zu ersetzen.

Einsatztaktik Primärversorgung:

▬ Das schnelle Heranführen des Notarztes, um den Patienten zu versorgen Primärtransport:

▬ Versorgung durch den RTH-Notarzt und schonender Transport in die nächste geeignete Klinik Sekundärtransport (Interhospitaltransfer):

▬ Medizinisch indizierte Verlegung eines Patienten von einer Klinik in eine andere

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75 4.3 · Luftrettungseinsatz

internistische Notfälle

21% 44% 15% 20%

▬ Decken, Kissen oder andere Ausrüstungsgegenstände entsprechend gesichert werden.

Verkehrsunfälle

Durchführung des Einsatzes

Unfälle bei Sport, Spiel und Arbeit

Flight Crew:

sonstige Einsätze

⊡ Abb. 4.1. Einsatzverteilung von Rettungshubschraubern

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▬ ▬ ▬ ▬

Vorflugkontrolle Flugdurchführung Durchführung des Rückflugs Unter Umsetzung der medizinischen Anforderungen an das Flugprofil ▬ Kommunikation ▬ Leitstelle/Luftaufsicht

Sonstige Einsätze:

▬ Suchflug, Organ-, Team- oder Bluttransport, Einsätze im Katastrophenfall

Landeplatzkriterien ▬ Größe für EC 135: ca. 30-mal 30 m

Verhalten bei Landung eines Rettungshubschraubers (RTH) ▬ An der Landestelle niemals Tücher oder sonstige Zeichen auslegen ▬ Immer Sichtkontakt zum Piloten halten ▬ Niemals von hinten an den RTH herantreten (Heckrotor) ▬ Bei Annäherung an den RTH nicht laufen ▬ Hände unten halten ▬ Immer vorne um den Hubschrauber herumgehen ▬ Unterschiedlichen Abstand zum Rotor bei schrägen Gelände beachten ▬ Absperrung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und Personen ▬ RTH auf mögliche Hindernisse (Leitungen) hinweisen Bei der Landung auf eng begrenzten Landeplätzen kann die Beeinträchtigung durch den sog. Downwash der Rotorblätter nicht immer verhindert werden. Das bedeutet für das Rettungspersonal am Boden, diesen Umstand rechtzeitig vor der Landung des RTH zu berücksichtigen, indem: ▬ die Notfallpatienten unbedingt geschützt werden, ▬ Türen und Fenster der Einsatzfahrzeuge geschlossen sind,

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Medical Crew:

▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬

Equipmentkontrolle Unterstützung im Anflug Optimierung des Bodentransports Patientenversorgung Patientenbetreuung an Bord Kommunikation mit der Leitstelle

Navigation ▬ ▬ ▬ ▬ ▬

System nach Grad/Kilometer Angaben aus dem Stadtatlas Angaben markanter Punkte in der Nähe Planquadratesystem Geographische Koordinaten GPS (»global positioning system«)

Hubschraubertypen ▬ BK 117: – Der leistungsstarke, 2-motorige »Allrounder« für Windenoperation über schwer zugänglichem Gelände, im Gebirge, über See und für Intensivtransporte – Reisegeschwindigkeit: 241 km/h ▬ EC 135: – Die moderne, wendige, schnelle und leise Maschine als Nachfolgetyp für die BO 105 – Reisegeschwindigkeit: 241 km/h ▬ BK117-C2/EC 145: – Nachfolgemuster der BK 117 mit neuer Zelle – Bewährte Komponenten aus der EC-135-Serie übernommen – Idealer Intensivtransporthubschrauber

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Kapitel 4 · Einsatztaktik

▬ MD 900: – Durch den ersetzten Heckrotor (Notar-System) ein leiser Hubschrauber mit großem Innenraum – Reisegeschwindigkeit: 241 km/h ▬ Bell 222: – Einer von 2 typischen Intensivtransportern mit 2 Turbinen, großem Innenraum, großer Reichweite und hoher Zuladungsmöglichkeit ▬ Bell 412: – Typischer Intensivtransporthubschrauber – Gute Zugangsmöglichkeiten zum Patienten – Große Reichweite ▬ Augusta 109: – Primär- und Sekundärrettung – Hohe Leistungsfähigkeit – Hauptsächlich von der REGA eingesetzt

4.4

Technische Rettung

Die technische Rettung ist für die Versorgung von Patienten bei Verkehrsunfällen sehr wichtig. Ferner kann aber auch die Rettung von Patienten auf Baustellen oder Industrieanlagen nur unter Zuhilfenahme technischer Unterstützung möglich sein. Die technische Rettung wird in Deutschland durch die Feuerwehren gewährleistet, in einigen Bereichen auch durch das technische Hilfswerk. Eine technische Rettung ist notwendig, wenn der Patient aus eigener Kraft oder durch das Rettungsdienstpersonal nicht aus einer Zwangslage befreit werden kann. Die Versorgung ist dann nur mit dem Einsatz technischer Mittel möglich. Das Rettungsdienstpersonal muss über die Möglichkeiten und die Gefahren der eingesetzten Gerätschaften Kenntnis haben, um eine zielgerichtete und patientenorientierte Versorgung zu gewährleisten. Nur durch die Kenntnis kann das Rettungsdienstpersonal effiziente Maßnahmen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen durchführen, ohne die technische Rettung zu behindern. Technische Rettung bedeutet auch die Kombination von technischer Hilfeleistung mit medizinischer Hilfe.

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An der Unfallstelle müssen nach Sichtung und Erkundung der Lage schnell Entscheidungen getroffen werden. Bei der Befreiung eines Patienten aus seiner Zwangslage muss unterschieden werden zwischen: ▬ Crash-Rettung ▬ Patientenorientierte Rettung Zunächst muss die Gefährdung des Patienten und der Einsatzkräfte beurteilt werden. Es schließen sich der erste Eindruck und lebensrettende Sofortmaßnahmen an, sofern eine akute Gefährdung ausgeschlossen wurde. Die Rettung wird unter medizinischer Überwachung und Unterstützung der Vitalfunktionen durchgeführt. Im Anschluss wird der Patient aus seiner Lage befreit, dann folgt die weitere medizinische Versorgung des Patienten. Der Notarzt entscheidet in enger Absprache mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr, ob eine Crash-Rettung oder eine patientenorientierte Rettung in der jeweiligen Situation sinnvoll ist; dabei werden alle aktuellen Gegebenheiten berücksichtigt. Der Notarzt legt somit die Dringlichkeit und Reihenfolge fest, der Einsatzleiter bestimmt die Art der technischen Rettung. Ist eine medizinische Betreuung während der Befreiung notwendig, so geschieht dies in Absprache mit dem Einsatzleiter. Gegebenfalls notwendig werdende Unterbrechungen der technischen Rettung zur Durchführung weiterer medizinischer Maßnahmen müssen klar formuliert werden. Der Patient muss regelmäßig bzgl. seiner Vitalfunktionen (ABCDE) reevaluiert werden. Wird eine akute Verschlechterung festgestellt, muss ggf. eine andere Taktik zugunsten eines beschleunigten Vorgehens gewählt werden. Die Aufteilung des Raumes bei einer technischen Rettung: ▬ Bereitstellungsraum: (10 m Radius) – Gerät für die technische Rettung – Rettungsdienst ▬ Arbeitsraum: 5 m Radius ▬ Unfall: 1–2 m Radius Außerhalb des Bereitstellungsraumes ebenfalls notwendig sind: ▬ Abladehaufen ▬ Schrottplatz

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77 4.5 · Sekundär-Intensivtransport

Bei der patientenorientierten Rettung unterscheidet man: ▬ Zugangsöffnung ▬ Betreuungsöffnung ▬ Rettungsöffnung ▬ Rettung und Befreiung

Zugangsöffnung ▬ Um eine Zugangsmöglichkeit in den Innenraum des Fahrzeugs zu schaffen – durch das Seitenfenster o. Ä. ▬ Feststellung: – Wie viel Personen? – Verletzungsmuster? – Kritisch/nicht kritisch?

Betreuungsöffnung ▬ Um eine Betreuung des Patienten zu gewährleisten ▬ Um evtl. erste medizinische Maßnahmen durchzuführen ▬ Um die Befreiung aus dem Fahrzeug vorzubereiten

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Hebekissen Ein Hebekissen ist ein ca. 5–10 cm dickes Kunststoffkissen, das mit Pressluft aufgeblasen werden kann und somit seine Höhe auf 30–60 cm verändern kann. An Pressluft sind Drücke zwischen 1–7 bar notwendig. Damit können Lasten bis zu 40 t angehoben oder auseinandergedrückt werden. Die Rettung von Verletzten unter der Last darf erst nach einer ausreichenden Absicherung und nach Abschluss des Hebevorganges durchgeführt werden.

Plasmaschneidgerät Es handelt sich dabei um ein Lichtbogenschweißverfahren, bei dem ein Plasmastrahl, d. h. ein in Elektronen und Ionen zerlegtes Gas (meist Argon, Stickstoff oder Wasserstoff), und ein überlagertes Schutzgas, gewöhnlich Argon mit Wasserstoffzusatz, zugeführt werden. Im Plasmastrahl schmelzen Werkstück- und Zusatzwerkstoff. Beim Luftplasmaschneidverfahren werden weder Argon, Stickstoff noch Wasserstoff, sondern Druckluft und Drehstrom benötigt.

Rettung aus Höhen und Tiefen Rettungsöffnung ▬ Nach der medizinischen Versorgung und Betreuung kann der Patient aus dem Fahrzeug befreit werden

Gerätschaften Schere/Spreizer Die Rettungsschere und der Rettungsspreizer werden auch als schweres Gerät bezeichnet. Sie existieren einzeln oder auch als Kombinationsgeräte. Diese Geräte sind schwer und unhandlich, deshalb sind sie in ihrer Beweglichkeit und ihrem Bewegungsumfang deutlich eingeschränkt. Der Spreizer muss ab einer bestimmten Gewichtsklasse von 2 Einsatzkräften geführt werden. Dabei kann die Rettungsschere in der Regel von einer Person eingesetzt werden. Beide Gerätschaften werden hydraulisch betrieben. Hierfür ist ein Hydraulikkompressor notwendig. Diese Kompressoren werden elektrisch oder durch einen Verbrennungsmotor angetrieben. Die Geräte können abhängig vom Aggregattyp und der Hydraulikschlauchlänge ortsveränderlich eingesetzt werden.

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Das Retten von Patienten aus hohen und tiefen Einsatzstellen ist ein schwieriges Unterfangen. Wo bei dem einen Einsatz die Drehleiter oder die Hubrettungsbühne der Feuerwehr eine große Hilfe sein kann, ist sie beim nächsten Einsatz nur von geringem Einsatzwert. Hierfür werden Spezialkräfte notwendig, die in Deutschland noch nicht flächendeckend vorhanden sind, jedoch an bestimmten Schwerpunkten von Organisationen (z. B. Feuerwehr) vorgehalten werden. Um hohe Vorlaufzeiten zu verhindern, müssen derartig notwendige Maßnahmen bereits durch ersteintreffende Kräfte des Rettungsdienstes veranlasst werden.

4.5

Sekundär-Intensivtransport

Bedingt durch die zunehmende Spezialisierung einzelner Fachkliniken und Behandlungsmaßnahmen, sowie die erweiterte Indikationsstellung für bestimmte Verfahren, kommt es seit einigen Jahren zu einem Anstieg von Sekundär-Intensivtransporten. Schätzungen gehen von einem Transportaufkom-

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Kapitel 4 · Einsatztaktik

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