Sabina Schutter „Richtige“ Kinder

VS RESEARCH Kindheit als Risiko und Chance Herausgegeben von Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Bergische Universität Wuppertal

Kindheit ist in den letzten Jahren verstärkt ins Zentrum öffentlicher und fachlicher Diskussionen gerückt: Mangellagen, Verwerfungen und Exklusion, die diese Lebensphase betreffen, sind nicht mehr zu übersehen. Umgekehrt wachsen aber auch Kulturangebote, ein Markt von Lern- und Vergnügungsmöglichkeiten sowie materielle und emotionale Investitionen der Eltern – für das Glück und die Zukunft der Kinder. Kindheiten werden vielfältiger und ungleicher. Vor diesem Hintergrund thematisiert die Reihe einerseits, was „normale Kindheit“ bedeutet, so wie sie Experten definieren und wie sie Sozialpolitik zu garantieren versucht, und andererseits die große Variation realer Kindheiten. In die Analyse sollen auch die Stimmen der Kinder, ihre Einschätzungen und Ansprüche, die in Surveys und Ethnographien ermittelt werden, eingehen. Die Reihe umfasst das Programm einer Soziologie der Kindheit, zu dessen Einlösung aber auch andere Disziplinen beitragen, wie Literatur- und Medienwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Ökonomie und Entwicklungspsychologie.

Sabina Schutter

„Richtige“ Kinder Von heimlichen und folgenlosen Vaterschaftstests

VS RESEARCH

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Dissertation Universität Wuppertal, 2010 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.

1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18059-5

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist als Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal entstanden. Das Promotionsverfahren wurde mit der Verteidigung am 12. November 2010 abgeschlossen. Mein Dank gilt meinen Gutachterinnen Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, die mich mit vollem Vertrauen in mich und meine Arbeit wesentlich unterstützt hat, sowie Prof. Dr. Rita Casale für wertvolle Hinweise. Während der Dissertation war ich Mitglied im Promotionskolleg „Kinder und Kindheiten im Spannungsfeld gesellschaftlicher Modernisierungen“ der Universitäten Kassel und Wuppertal. Im Rahmen des Kollegs sowie bei den Veranstaltungen habe ich Inspiration erhalten. Daher bedanke ich mich bei den Professor/innen des Kollegs, Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Prof. Dr. Friederike Heinzel, Prof. Heinz Sünker, Prof. Dr. Werner Thole und Dr. Rita Braches-Chyrek, sowie den Mitgliedern des Kollegs für Diskussionen und Anregungen. Finanzielle Förderung ist ein wesentlicher Bestandteil von Wissenschaft. Die Hans-Böckler-Stiftung hat mit einem Stipendium sowie mit der Förderung des Kollegs und weiterer Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen durfte, einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Daher gilt mein Dank der Stiftung sowie insbesondere Werner Fiedler. Ein geduldiger unterstützender und kritischer Rahmen, in dem ich mich aufgehoben, aber auch gefordert fühlte, war ebenfalls von hoher Bedeutung für das Gelingen dieser Arbeit. Ich möchte mich bei Katharina Debus, Lars Alberth, Dr. Thomas Meysen, Dr. Jens Leon Tiedemann, Christian Koch, Peggi Liebisch, Maren Vergiels und Sigrid Andersen besonders für die Unterstützung, Kritik, Diskussionen, das Essen, die Kekse und die vielen unermüdlichen Gespräche über das immer gleiche Thema bedanken. Dr. Sabina Schutter

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis....................................................................................... 13 Einleitung .......................................................................................................... 15 1

Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“ ............................................................................ 23 1.1 1.2 1.3 1.4

Forschungsstand und Lücken ............................................................. 23 Das interpretative Paradigma: die Aushandlung sozialer Ordnung ... 27 Familie als Keimzelle der Gesellschaft .............................................. 28 Generationale Ordnung und normative Überhöhung: Kindheit als Kategorie............................................................................................ 29 1.5 Kindheit im Recht – Objektivationen ................................................ 31 1.6 Von der Natur – Kinder und Liebe .................................................... 32 1.7 Das Kind als Erbe .............................................................................. 33 1.8 Vaterschaft – von der gesellschaftlichen zur identitären Kategorie ... 36 1.9 Vaterschaft als Institution – Vater und Vater Staat ............................ 37 1.10 Vom Familienoberhaupt zum neuen Vater ........................................ 42 1.11 Väter in Trennung und Scheidung: Diskontinuität und Kontinuität im Spannungsverhältnis .................................................. 43 1.12 Väterlichkeit und hegemoniale Männlichkeit .................................... 45 1.13 Gute Mütter ........................................................................................ 48 1.14 Mütter sind Frauen – Mütterlichkeit ist weiblich ............................... 49 1.15 Zwischenfazit: Familie im Wandel der Generationen- und Geschlechterverhältnisse.................................................................... 53 2

Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit ....................................................................................... 55 2.1 Familienrecht im Wandel ................................................................... 57 2.2 Abstammung aus juristischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive ......................................................................................... 59 2.3 Vaterschaft im Familienrecht ............................................................. 60

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Inhaltsverzeichnis

2.4 2.5 2.6 2.7

Vaterschaftsfeststellung ..................................................................... 61 Vaterschaftsanfechtung ...................................................................... 62 Die Rechtslage zur Abstammungskenntnis aus Sicht des Kindes ...... 63 Die anderen: Ausnahmen als Regelungsfall ...................................... 64 2.7.1 Fortpflanzungsmedizin ........................................................... 64 2.7.2 Homosexuelle Partnerschaften mit Kindern ........................... 66 2.7.3 Familien mit adoptierten Kindern ........................................... 67 2.8 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive ......................................................................................... 69 2.9 Abstammung und Vaterschaft: Überblick über europäische Vergleichsstaaten ............................................................................... 75 2.9.1 Vaterschaft in England: Die genetische Wahrheit zählt ......... 76 2.9.2 Frankreich: Statusbesitz als zweite Vaterschaftsbestätigung .. 77 2.9.3 Österreich: keine Regelung heimlicher Tests ......................... 78 2.9.4 Die Natur als Quelle des Rechts: Abstammung und Elternschaft ............................................................................. 78 2.10 Zwischenfazit: Die Konstituierung von Familie durch Recht ............ 79 3

Legitimität und Macht: Diskursanalyse ................................................. 81 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

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Diskurs als Konflikt um Deutung ...................................................... 82 Akteure in der wissenssoziologischen Diskursanalyse ...................... 84 Diskurse und soziale Typik ................................................................ 86 Diskursanalyse mittels der Grounded-Theory-Methode .................... 87 Material: Gesetze, Urteile und Stellungnahmen ................................ 88

Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes ........................................................................... 91 4.1 Urteil des BVerfG zu heimlichen Vaterschaftstests ........................... 94 4.2 Gesetz zur Klärung der Abstammung unabhängig vom Anfechtungsverfahren ........................................................................ 95 4.3 Diskursiver Effekt: „Für fremde Kinder muss niemand zahlen“ ....... 97 4.4 Rechtslage nach der Einführung des Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft ......................................................................................... 99

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Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest ..................... 101 5.1 Das Bundesverfassungsgericht als Instanz der Herstellung gesellschaftlicher Realität ................................................................ 101 5.2 Organisation des Bundesverfassungsgerichts .................................. 104 5.3 Höchste Richter/innen und ihre Berufung........................................ 104

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5.4 5.5 5.6 5.7 5.8

Normenkontrollverfahren und Beschwerden ................................... 105 Verfassungsauslegung...................................................................... 105 Die parteilichen Texte ...................................................................... 106 Sprecher/innen ................................................................................. 108 Positionen der Stellungnahmen hinsichtlich des Gesamtergebnisses ........................................................................... 109 5.9 Aufbau der Analyse ......................................................................... 110 6

Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG ............................................................... 113 6.1 Der Ausgangsfall und alternative Deutungen .................................. 113 6.2 Abstammung als Identitätsmerkmal: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts .............................................................. 114 6.3 Leitsätze ........................................................................................... 115 6.4 Urteilsbegründung ........................................................................... 115 6.5 Das Verhältnis der berührten Grundrechte von Vater, Kind und Mutter............................................................................... 116 6.6 Zur Zulässigkeit eines heimlichen Vaterschaftstests im Verfahren der Vaterschaftsanfechtung ....................................... 117 6.7 Zwischenfazit: die Abwägung von Grundrechten ............................ 118

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Das Kind als Faustpfand........................................................................ 119 7.1 Soziale und interessenlose Kinder – die Stellungnahmen ................ 119 7.2 Informationelle Selbstbestimmung des Kindes ................................ 122 7.3 Das Recht des Kindes auf Nichtwissen in der Auffassung des BVerfG ......................................................... 124 7.4 Das Verfahren schützt Kinder – Kinderschutz im parlamentarischen Verfahren ........................................................... 127 7.5 Interessenkoalitionen: Das Kind als entscheidendes Gewicht ......... 130 7.5.1 Die Vertretung der Kindesinteressen durch die Mutter ........ 130 7.5.2 Die Interessen des Kindes als Spiegel der Interessen des Vaters ...................................................... 131 7.5.3 Das Kind als eigenständiger Interesseninhaber .................... 132

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Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen ....................................... 133 8.1 Eigennützige und verantwortungsvolle Mütter – die Stellungnahmen.......................................................................... 133 8.2 Entscheidungsbefugnis der Mütter in den Stellungnahmen ............. 136

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8.3 Von der Begründung eines Kenntnisinteresses – die mütterliche Intimsphäre im Urteil .............................................. 137 8.4 Mütter sind passiv und beichten – das parlamentarische Verfahren ....................................................... 138 9

Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung .................................. 141 9.1 Väter in Not oder verantwortungslose Väter – die Stellungnahmen.......................................................................... 141 9.2 Der Anspruch des Vaters auf Kenntnis – die Stellungnahmen ........ 146 9.3 Zum Schutz des Grundrechts des Mannes nach geltendem Recht – das BVerfG ................................................................................... 148 9.3.1 Die derzeitige materiell-rechtliche Lage: Vaterschaftsvermutung ......................................................... 148 9.3.2 Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung: das überschießende Ziel........................................................ 149 9.4 Vater und Kind in Beziehung – die Ambivalenz nachmoderner Vaterschaftskonstruktion ................................................................. 150 9.5 Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG ...................................................................................... 153 9.5.1 Männer in der Sackgasse: Auswege und Schlüssel .............. 154 9.5.2 Exkurs: Referenzurteile zu Individualität und Identität durch Abstammung............................................................... 155 9.5.3 Urteil zum Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung (1989) ............................................................. 155 9.5.4 Urteil zum Anfechtungsrecht und Umgangsrecht des biologischen Vaters (2003) ................................................... 156 9.6 Männlichkeit und weibliche Treue im Urteil des BVerfG ............... 159 9.7 Die Urängste der Väter im parlamentarischen Verfahren ................ 160

10 Familie: von Frieden, Gerechtigkeit und Treue .................................. 163 10.1 Der Schutz des Familienfriedens ..................................................... 163 10.2 Die tradierte Paarfamilie: Rosen, warmes Essen und Latschen ....... 166 11 Zwischenfazit: Kindheit Macht Vaterschaft ........................................ 169 12 Von Äpfeln und Stämmen: Konsequenzen und Effekte...................... 173 12.1 Konsequenzen der Abstammungsfeststellung für das Kind ............. 173 12.1.1 Rückwirkender Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanfechtung .............. 175

Inhaltsverzeichnis

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12.1.2 Neue Hierarchien zwischen biologischen und sozialen Kindern? ............................................................................... 176 12.2 Väter im Spannungsfeld von hegemonialer Männlichkeit und „neuer“ Väterlichkeit ................................................................ 177 12.2.1 Der Staat als misstrauischer Vater: Gesetz zur Ergänzung der Anfechtung der Vaterschaft.......................... 178 12.2.2 Brüche nachmoderner Vaterschaft........................................ 180 12.3 Gleiche Rechte, ungleiche Pflichten: Mütter und das Kindschaftsrecht ........................................................................ 182 12.4 Familie im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität ....... 185 13 Fazit: eigene, richtige und falsche Väter und Kinder ......................... 189 Anhang ............................................................................................................. 197 Literatur .......................................................................................................... 205

Abkürzungsverzeichnis

Baden Württemberg Bayern BDSG Bf BGB BGH BMFSFJ BMJ BVerfG BVerfGE BVerfGG DFGT DIJuF DJB DKSB DNA GG Hib ISUV OGH PAS RG VafK VAMV VK ZPO

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