Richard Arnold Bermann Arnold Höllriegel. Kurzgeschichten. Essais entenpress

Richard Arnold Bermann Arnold Höllriegel Kurzgeschichten Essais 1912-1914 entenpress Erstausgabe © Entenpress, Berlin 2015 Umschlaggestaltung © Pa...
Author: Jasmin Becke
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Richard Arnold Bermann Arnold Höllriegel

Kurzgeschichten Essais 1912-1914

entenpress

Erstausgabe © Entenpress, Berlin 2015 Umschlaggestaltung © Palaio Fabri-Melea nach einem Aquarell von Peter Schmiedel, Berlin Satz: Satz by Satz bei Parechese Gesamtherstellung: totem, Inowrocław Herausgegeben von Robert Schmitt Scheubel Band I 978-3-937416-32-8 GA 978-3-937416-24-3

»Beinahe« .. .. .. .. .. .. Eine Stimme aus dem Dunkel .. .. Ikla .. .. .. .. .. .. .. Bäder und Reisen – Herr Eigentlich .. Die Jagd nach der Romantik .. .. Der neue Direktor .. .. .. .. Litfaßsäulen.. .. .. .. .. .. Der Zerrspiegel .. .. .. .. .. »Haro!«. .. .. .. .. .. .. Der Ernst des Lebens .. .. .. .. Die Gefährtin .. .. .. .. .. Nach der Reise .. .. .. .. .. Leier und Schreibmaschine .. .. .. Caruso im Vogelhaus .. .. .. .. Damit sie lachen und nicht weinen .. Das verhüllte Schaufenster .. .. .. Die japanische Pfeife .. .. .. .. Das Südliche .. .. .. .. .. Moralische Geschichte.. .. .. .. Echt Afrika .. .. .. .. .. .. Episode .. .. .. .. .. .. Seepferdchen .. .. .. .. .. Der Polizist .. .. .. .. .. .. Mein Koffer . .. .. .. .. .. Moralische Geschichte.. .. .. .. Alfred und Eduard sprechen vom Theater Gegen Frankreich . .. .. .. .. Das leuchtende Schiff .. .. .. .. Der Krieg und der Islam .. .. .. Marlborough .. .. .. .. .. Nachwort .. .. .. .. .. ..

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»Beinahe« Herr Beinahe ist eine wichtige Persönlichkeit. Ihm gehört halb Berlin. Ihm, seiner Frau und seiner ausgedehnten Familie. Oder man muß das eigentlich eine Dynastie nennen. Herr Beinahe hat eines Abends Appetit auf Kaviar. Er kann sich keinen Kaviar leisten, aber beinahe könnte er es. Er tritt in ein Delikatessengeschäft. »Ich habe da sibirischen Kaviar,« sagt der Kommis. »Er ist zwar blutrot, aber er schmeckt beinahe wie der feinste Malossol. Und das Pfund kostet nur sechs Mark.« Herr Beinahe kauft. Oder aber er geht in das nächste Automatenbüffet und ersteht dort für zwanzig Pfennig ein Ei mit Elbkaviar, auf dem gehackte Zwiebeln gestreut sind. Es ist beinahe genießbar. Herr Beinahe ist befriedigt. Er hat beinahe Kaviar gegessen. Er ist beinahe ein Schlemmer. Herr Beinahe ist der Mann, der fortwährend um die Grenzen der höheren Lebensgenüsse herumschleicht und auf Abfälle lauert. Andere Leute, die ebensoviel Geld habe wie er, gehen in ihre Stammkneipe zu Abend 7

essen, lassen sich ein Eisbein geben, trinken ein Bier dazu und werden satt. Herr Beinahe hat einen anderen Geschmack. Ihn lockt die biedere Kneipe alten Stiles nicht; für ihn sind die riesigen Restaurants gebaut, in denen es soviel Marmor, Messing, Mosaik und Holzschnitzerei gibt. Hier ist er König. Er diniert in einem wahren Königspalast. Daß noch fünftausend andere Könige mit ihm tafeln, stört ihn nicht. Er ist nicht exklusiv, nicht im mindesten. Er weiß: er kann es beinahe ebenso vornehm haben, wie die Leute in der glänzenden höheren Welt. Aber unter der Bedingung, das er sich mit fünftausend anderen Menschen zusammentun läßt. Manchmal geht er aber auch in andere Lokale. Auch in der Champagnerkneipe kann man einen schwarzen Kaffee trinken. Oder von Zeit zu Zeit kann sich Herr Beinahe mit zehn Namens- und Zunftbrüdern koalieren und eine Flasche Sekt trinken. Von jenem Sekt, der eigens für Herrn Beinahe erzeugt wird. Nämlich von dem beinahe französischen, der »in Luxemburg auf Flaschen gefüllt wird« oder wenigstens »Grenzsekt« heißt. (Wenn Herr Beinahe aber zu Hause ein Fest gibt, setzt er seinen Gästen Obstschaumwein vor. Eine Flasche Mosel ist nicht teurer, hat aber keinen Silberhals und knallt nicht.) Übrigens macht Herr Beinahe in seiner äußeren Erscheinung auch dem vornehmsten Sektlokal keine Unehre. Es gibt gewiß Geheimräte und Diplomaten, die am Abend auch ohne Smoking ausgehen. Herr Beinahe aber trägt unweigerlich einen Smoking. Einen fertig gekauften, ohne Seidenrevers, aber mit einer tiefvioletten Weste mit Goldknöpfen. Herr Beinahe wird bei seiner lüsternen Promenade um die Grenzen der guten Gesellschaft oder dessen, was er sich darunter vorstellt, von einem Heer williger Diener 8

unterstützt. Für ihn fabriziert man all den Schund, der aussieht, als ob –. Für ihn nennt man das Tanzvergnügen in der Vorstadt »Kavalierball« oder »Elitekränzchen«. Er findet in Berlin alle Tore offen, oder beinahe alle Tore. Wenn er rauchen will, kann er sich Zigarren kaufen, die »nach Havannaart« in Posemuckel fabriziert worden sind und eine mächtige Bauchbinde haben. (Die beim Rauchen natürlich nicht abgenommen wird.) Wenn er sich eine billige Krawatte kaufen will, kann er das in einem Geschäft tun, das »Maison de Luxe« oder »High-LifeShop« heißt. Der Ring, den er trägt, ist nicht etwa falsch. Nein, hochprima goldplattiert, mit einem synthetischen Edelstein. Herr Beinahe trägt nämlich bestimmt einen Ring. Millionäre können sich diesen Schmuck versagen, Herr Beinahe würde sich degradiert fühlen, hätte er ihn nicht an der Hand, die auf der Straße mit einem imitierten Wildlederhandschuh bedeckt ist. Botschafter und Minister hat man schon ohne Handschuhe gesehen, Herrn Beinahe nie. Ebenso, wie er im Sommer bestimmt einen Panama trägt. Einen beinahe echten. Herr Beinahe ist nicht mit dem vornehm tuenden Spießbürger zu verwechseln. Er ist eine Klasse für sich. Er ist nicht aus Stolz, sondern aus Demut das, was er ist. Er glaubt an ein ideal. Er glaubt an das High Life. Natürlich vor allem an seine leersten Äußerlichkeiten. Er würde alles darum geben, in St. Moritz rodeln zu dürfen. Im Grunewald kann der Schnee noch so verlockend auf Abhängen glänzen, es wird Herrn Beinahe nicht einfallen, eine Rutschpartie zu machen. Im Wald ist ihm überhaupt nicht wohl. Auf dem Sportplatz eher. Der schäbigste Radlerverein ist immer noch etwas Abgeschlossenes, ein »Klub« beinahe wie der Kaiserliche Automobilklub. Das alles in einer Zeit, die über Begriffe wie »High 9