Religion und Philosophie im Widerstreit?

Philosophie und Religion sind innerhalb der neuzeitlichen Philosophie zusehends in eine Spannung gebracht: Eine autonom gewordene Vernunft oder Ration...
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Philosophie und Religion sind innerhalb der neuzeitlichen Philosophie zusehends in eine Spannung gebracht: Eine autonom gewordene Vernunft oder Rationalität verantwortet sich nicht mehr vor prä- bzw. überationalen Quellen, und eine heimatlos gewordene, frei bewegliche Spiritualität kann sich im Binnenraum philosophischer Argumentation kaum mehr in ihrem Eigenrecht behaupten. Das spannungsvolle Wechselverhältnis von Spiritualität und Rationalität ist jedoch in allen Weltphilosophien thematisch: so in den ostasiatischen Traditionen des Taoismus, Brahmanismus und Buddhismus, in der Tradition der griechischen Philosophie - Platonismus und Neuplatonismus - ebenso wie im Judentum, Christentum und Islam. Der vorliegende Band sucht in nahezu 50 Beiträgen durch Grenzbestimmung ihrer Prämissen beide Positionen aus ihrer Entgegensetzung zu befreien: Formen der Rationalität werden untersucht, die in einer Grenzbestimmung der Reichweite wie des Geltungsspielraums ihrer Möglichkeiten sich der Dimension der Transzendenz bewusst zu bleiben suchen, und Spiritualität/Religiosität wird thematisch, insofern sie auf Formen rationaler Explikation bezogen ist.

C. Bickmann, M. Wirtz, H.-J. Scheidgen Religion und Philosophie im Widerstreit ?

Studien zur Interkulturellen Philosophie 18

Claudia Bickmann, Markus Wirtz, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.)

Religion und Philosophie im Widerstreit ? Band 1

SIP 18

ISBN 978-3-88309-458-1

Verlag Traugott Bautz

Religion und Philosophie im Widerstreit ? Band 1

Studien zur Interkulturellen Philosophie Studies in Intercultural Philosophy

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Études de philosophie interculturelle

Begründet von

Heinz Kimmerle und Ram Adhar Mall

Herausgegeben von

Henk Oosterling und Hermann-Josef Scheidgen

Verlag Traugott Bautz Nordhausen 2008

Claudia Bickmann, Markus Wirtz, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.) unter Mitwirkung von Myriam-Sonja Hantke, Dennis Kumetat, Maia Traine und Viktoria Burkert

Religion und Philosophie im Widerstreit? Internationaler Kongress an der Universität zu Köln, 13. – 16. Juli 2006

Traugott Bautz Nordhausen 2008

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre freundliche Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in Der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagsentwurf von Birgit Hill Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2008 Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany ISBN 3-88309-458-1 www.bautz.de

Inhaltsverzeichnis Band 1 Claudia Bickmann Vorwort. Einführung in die Themenstellung……………..…………………11

I. Prämissen und Prinzipien der Annäherung zwischen Religion und Philosophie Claudia Bickmann Immanenz ohne Transzendenz? Wege der Annäherung zwischen Ost und West……………………….........23 Rainer Enskat Religion trotz Aufklärung? Retraktationen einer ungelösten Aufgabe der Philosophie……………………………………………...............45 Andreas Speer Theologische Vermittlungen. Ein mittelalterlicher Blick auf das Verhältnis von Philosophie und Religion…………………………………..103 Tobias Voßhenrich Theologia negativa – eine interkulturelle Perspektive……………………..121 Klaus E. Kaehler Das Unendliche im Endlichen. Feuerbachs anthropologische Verkehrung des spekulativen Wahrheitsanspruchs……………...................141 Morteza Ghasempour Drama der Transzendenz…………………………………………................155

Inhaltsverzeichnis Önay Sözer Heuristik eines interkulturellen Logos der Religionen…………………….165 Georg Stenger Wie von ,Religion‘ sprechen. Verflechtungen und Paradoxien zwischen ratio und religio………………181 Hamid Reza Yousefi Religionswissenschaft im 21. Jahrhundert. Eine interkulturelle Orientierung……..........................................................205 Dieter Lohmar Der religiöse Blick. Analysen zur poietischen Sichtweise in Alltag, Wissenschaft und Religion…………………………………………………..237 Andreas Cesana Was bleibt? Interkulturelle Philosophie und religiöse Traditionen……….253

II. Rechtfertigungsversuche zwischen Vernunftansprüchen und Glaubenspostulaten Ernst Tugendhat Über Religion………………………………………………………………..271 Reinhard Brandt Der Gott in uns und für uns bei Kant……………………………................285 Gregor Maria Hoff Die Grenzen der Zumutung. Der außerordentliche Vernunftanspruch der Theologie…………………………………...............313

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Inhaltsverzeichnis

Harald Seubert Identität in Differenzen: Die Spannung zwischen Religion und Philosophie im Denken des Nicolaus Cusanus………………….................325 Dacian Bugnar Religion als Ausdruck des Aberglaubens? Anmerkungen zu Spinozas Religionskritik und ihrer Bedeutung für die Gegenwart…………………..349 Renate Trapp Kants moralischer Gottesbeweis…………………………………................363 Torsten Spies Das Verhältnis von Religion und Philosophie bei Hegel…………….........375 Michael Quante William James‘ Rechtfertigung religiöser Überzeugungen………………..383 Jeffrey Andrew Barash Die Geltungsfrage in Cassirers Religionsphilosophie……………………..397 Christoph Uhlhaas Befreiung des Ich – Befreiung vom Ich. Monotheismus und Buddhismus in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen…………………...411 Michael Dusche Die ,wahre‘ Religion und ihre politische Instrumentalisierung…...............427

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Inhaltsverzeichnis

Band 2 III. Philosophische Wege in die monotheistischen Religionen Wolfgang Röd Gott der Philosophen oder Gott Abrahams? Descartes’ und Pascals Gottesvorstellungen……………………...............449 Theo Kobusch Universales Christentum. Zur christlichen Idee einer universalen Religion………............................465 Mohammed Turki Ibd Ruschd: Widerstreit zwischen Philosophie und Religion…………...491 Raif Georges Khoury Sünde und Vergebung im Diwan des Abū Nuwās (762-813 n. Chr.) oder: die Rolle der Dichtung bei der Befreiung des Geistes in der arabisch-islamischen Kultur………………………………...............505 Christian Sommer Phaenomenologia crucis. Heideggers Rückgang zum Urchristentum im interkulturellen Gespräch………………………………………………537

IV. Außereuropäische Grenzgänge zwischen Spiritualität und Rationalität 1. Wege zwischen Rationalität und Spiritualität in Afrika Heinz Kimmerle Die Welt der Geister und die Achtung vor der Natur. Eine neue Bewertung des Animismus………………………………..........555

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Inhaltsverzeichnis

2. Chinesische Philosophie und Idealismus Saša Josifovic Tao als Ursprung der Existenz……………………………………….........573 Bruce Matthews Rationality’s Demand of its Other: Schelling’s Ecstasy of the Unvordenkliche and Hui-Neng’s Wu-Nien.................................................589

3. Indische Annäherungen Ram Adhar Mall Religionsphilosophie: Eine interkulturelle philosophische Erkundung mit besonderer Berücksichtigung der indischen Philosophie……………613 Smail Rapic Rationalität und Spiritualität in Nagarjunas Madhyamika-śastra………...669 Katharina Ceming Das Verhältnis von Religion und Philosophie im Neuplatonismus und im Vedanta……………………………………………………….........685 Helmut Girndt Der Vedanta und die Transzendentalphilosophie Fichtes………….........701 Monika Kirloskar-Steinbach Rationalitätskriterien in der Philosophie des Advaita-Vedanta am Beispiel von Radhakrishnan. Überwindung des Gegensatzes von ,Vernunft‘ und ,Spiritualität‘?.......................................................................717

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Inhaltsverzeichnis

4. Japanische Horizonte Ichiro Yamaguchi Religiosität aus dem Schweigen…………………………………………....733 Silja Graupe Vom Nutzen und Nicht-Nutzen der Religion…………………………...749

V. Philosophische Grenzüberschreitungen jenseits der Dichotomie von Glauben und Vernunft Hans-Joachim Höhn Dezentrierte Vernunft. Postsäkulare Konstellationen von Philosophie und Religion……………769 Edith Düsing Nietzsches Aitiologie, Diagnose und Prognose des europäischen Nihilismus…………………………………………………………………..787 Gabriele Münnix Derrida, negative Theologie und interkulturelle Philosophie……………803 Viktoria Burkert Levinas’ ethische Transzendenz im Ausgang von Kant…………….........825 Markus Pfeifer Der philosophische Sinn religiöser Begriffe im Denken Levinas’.............835 Markus Wirtz Das Göttliche (Ver-)Sprechen. Hinweise auf Sagbarkeitsspielräume von Ungesagtem und Unsagbarem…………………………………………….849

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Claudia Bickmann

Vorwort. Einführung in die Themenstellung Innerhalb der neuzeitlichen Philosophie werden Rationalität und Spiritualität/Religiosität, Philosophie und Religion, zusehends in eine Spannung gebracht: Eine autonom gewordene Vernunft oder Rationalität wird sich nicht mehr vor über- bzw. vorrationalen Quellen verantworten, und eine heimatlos gewordene, frei bewegliche Spiritualität oder Religiosität kann sich im Binnenraum philosophischer Argumentation – in Zeiten der rational organisierten Diskurse – kaum mehr in ihrem Eigenrecht behaupten. Auseinander gerückt scheint, was in einer Vielzahl europäischer, aber auch außereuropäischer Traditionen stets aufeinander bezogen war. Dass beide auch im europäischen Kulturraum – in der Antike wie auch im Mittelalter – noch komplementäre Verhältnisse auszubilden suchten, zeigen unschwer die Annäherungen • in den verschiedenen vorsokratischen Formen des Philosophierens; • in Platons Hinausgreifen auf das übersinnliche Gute, das nur epekeina tes ousias zu finden ist; • in Aristoteles‘ Idee des höchsten göttlichen Prinzips, das wir Menschen – in seinem eigenen Innesein – nur in wenigen glücklichen Ausnahmesituationen erreichen; • im Neuplatonismus, in dem beide Sphären gar eine direkte Verschmelzung eingehen: Rationalität ist notwendige Ausdrucksform des Göttlichen – das Göttliche unerreichbar im Begriff. • Noch Kants deutliche Grenzziehung zwischen Wissen und Glauben dient der Achtung und Anerkennung des rationalitäts-

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übergreifenden Glaubens an eine übersinnliche Kraft, nicht seiner Kritik oder Zerstörung. • Fichte, Schelling und Hegel arbeiten in der Konsequenz der Trennung beider Sphären an einer Rückbesinnung auf die Einheit von Glauben und Wissen. Philosophie und Religion sollen ihre Gegenstände, wenn auch nicht die Weisen ihrer Annäherung, teilen. • Im 20. Jahrhundert tritt uns zunächst mit Martin Heidegger (dem späten Heidegger) der Versuch entgegen, das Göttliche neu zu denken; Wittgenstein unternimmt den Versuch einer klaren Grenzziehung zwischen dem Sagbaren und dem NichtSagbaren, das sich nur zeigen ließe; Levinas‘ Idee des Göttlichen ist radikal vom Anderen aus gedacht; Derrida denkt das Religiöse jenseits aller Gegensätze von Transzendenz und Immanenz. Die wachsende Spannung zwischen der Rationalität eines wissenschaftsbezogenen Weltentwurfs und der Spiritualität als letztem Horizont unserer Weltauslegung, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert verstärkt im Binnenraum der Philosophie entwickelt hat, wird insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer entscheidenden Herausforderung in einer beschleunigt zusammenwachsenden Welt. Dabei lässt sich die Ausgangslage wie folgt beschreiben: Während in den westlichen Kulturen und Zivilisationen der Anspruch einer auf Prüfbarkeit und Rationalität gegründeten Weltsicht an Vorherrschaft gewonnen hat, wird in verschiedenen nicht-europäischen Philosophien zunehmend eine Einbettung unseres Wissens in die je tradierten endogenen Formen der Religiosität bzw. Spiritualität gesucht. Rationalität wird dabei zwar als Maß der Problembeschreibung und bewältigung adaptiert, doch verstärkt sich die Tendenz, die je eigenen Traditionslinien des Taoismus, Hinduismus, des Buddhismus oder des Islam nicht in kritisch aufgeklärter Reflexion zu distanzieren, sondern sie – als Resultat der ,Grenzbestimmung‘ westlicher Positionen – erneut

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in ihrer Geltung zu bekräftigen. Dabei wird eine Vielzahl westlicher Traditionslinien als Explikationsgrundlage in Gebrauch genommen. • So werden etwa die Grundlagen des Islam mit Bezug auf Positionen der Aufklärung (Rousseaus, Voltaires, Kants und Fichtes) neu gesichtet und durch die Potentiale der Selbstreflexion, der Aufklärung wie der Idee der Freiheit auf einen neuen Grund zu stellen versucht. Erreicht werden soll eine höhere Integration von Rationalität und Spiritualität, als es jene Positionen erlaubten. • Die chinesische prozessorientierte Philosophie (in der Gestalt des Field-Being) sucht die Grundfragen des Taoismus und Konfuzianismus im Lichte westlicher Positionen auszulegen (insbesondere der Philosophien Hegels, Heideggers, aber auch der Whiteheadschen prozessorientierten Metaphysik). Betont wird die irreduzible Integrationskraft taoistischer und konfuzianischer Annäherung. • Die japanische Kyoto-Schule unternimmt den Versuch, das buddhistische Primat der ,Leere‘ – u.a. mit Bezug auf James‘ Analyse der ,reinen Erfahrung‘ – als letzten Horizont aller sinnlich-übersinnlichen Bemühungen zu beschreiben und sich auf diese Weise als weiterentwickelte Stufe idealistischer und phänomenologischer Bemühungen zugleich in diese Traditionslinie einzuschreiben. • Verschiedene Schulen des Buddhismus suchen die Nähe zu Positionen der Dekonstruktion, insofern hier die Kritik am Substanzbegriff als Ausgang auch der eigenen Reflexion über Identität und Differenz dienen kann. Westlich aufgeklärte Formen der Rationalität, wie sie etwa seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt in ihrem Wissenschaftsbezug, in pragmatischen oder analytischen Formen der Problembeschreibung ihren Niederschlag finden, werden als logos-zentriert in ihre Grenzen gewiesen: Eine Philosophie jedoch, so die leitende Überlegung, die nicht

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mehr den Sinn des gelebten Lebens wie seine übersinnlichen Kräfte zu thematisieren vermag, habe nicht nur ihr Ziel verfehlt, sondern auch ihre Legitimationsgrundlage eingebüßt. Bezogen auf die eigenen tradierten Formen des Philosophierens wird darum die Stärke solcher philosophischer Positionen betont, die den spirituellen Bedürfnissen des Menschen, seiner sinnlich-übersinnlichen Doppelnatur, noch gerecht zu werden vermögen. Gegen den vereinseitigenden Verstand wird der Holismus einer die Extreme umgreifenden, Rationalität und Spiritualität integrierenden Perspektive betont. In diesem Punkt stellen die westlichen Traditionslinien, die auf einer deutlichen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft bestehen, insofern ein Gesprächsangebot dar, als die Vernunft von Kant bis Hegel eben jenes integrative Vermögen sein sollte, das Endliches und Unendliches, Bedingtes und Unbedingtes, Kontingentes und Absolutes noch in einem einigen Theorierahmen vereinen sollte. Das faustische Erbe einer ,planetarisch herrschenden Technik und Wissenschaft‘, dem allein das empirisch Vorfindliche als Leithorizont gilt, wird für die desaströsen Konsequenzen, sei es der Naturzerstörung, sei es der erneut vorherrschenden ökonomischen und politischen Dominanzansprüche des Westens, verantwortlich gemacht. Die Tagung sucht im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Extremen – einer autonom gewordenen Rationalität und einer rational sich explizierenden Spiritualität – nach Wegen der Vermittlung. Die leitende Idee lautet: Ohne derartige Versuche einer Annäherung müssten beide Seiten gegeneinander sprachlos bleiben; Sprachlosigkeit aber ist Quelle der Missverständnisse und der Gewalt. So sollen – als Resultat geglückter Annäherung – beide Positionen aus ihrer bloßen Entgegensetzung zueinander befreit werden. Die leitende Überlegung lautet: Sowenig eine rational argumentierende Philosophie das Phänomen des Spirituellen ausblenden kann (und sei es, dass es als ,ihr gänzlich Anderes‘ bestimmt wird), so wenig können Positionen der Spiritualität oder Religiosität ohne rationale Explikationsgrundlage be-

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stehen: Beide Positionen stehen im Tagungsthema darum auch nicht isoliert zur Diskussion, sondern werden bezogen auf ihr je ausgegrenztes ,Anderes‘ hin geöffnet und zur Sprache gebracht. • Bezogen auf die Horizonthaftigkeit der Rationalität bedeutet dies: Im Mittelpunkt stehen solche Formen der Auseinandersetzung mit Rationalität, die in einer Grenzbestimmung der Reichweite wie des Geltungsspielraums ihrer Möglichkeiten sich der Dimension der Transzendenz noch bewusst zu bleiben suchen: Positionen der Transzendentalphilosophie, der Phänomenologie, der Fundamentalontologie, des Pragmatismus (James), der Dialektik (des Idealismus und der Frankfurter Schule), der Dekonstruktion (Derrida, Levinas), aber auch Ansätze wie die des frühen Wittgenstein, dem die Tatsache, dass die Welt existiert, das Mystische anzuzeigen scheint. • Spiritualität/Religiosität soll ebenfalls thematisch sein, insofern sie auf Formen rationaler Explikation bezogen ist: Positionen des Islam, des Buddhismus (vgl. etwa die Arbeiten zur buddhistischen Logik von M. Blau), aber auch des Taoismus (in der Gestalt des chinesischen Field-Being) werden unter der leitenden Hinsicht ins Gespräch gebracht, wie in ihnen Rationalität zu einem geeigneten Medium der Annäherung an das je Vermeinte werden kann. Der hier recht weit verstandene Begriff des Religiösen oder Spirituellen umfasst Phänomene wie Transzendenz versus Immanenz, Glauben versus Wissen, die Idee des Sakralen im Unterschied zum Profanen, des Mystischen und Erhabenen im Unterschied zu Formen rationaler bzw. diskursiver Verständigung. Diese Entgegensetzungen sind nahezu in allen Weltphilosophien vertraut: im asiatischen Kulturraum etwa im Taoismus, im Brahmanismus oder Buddhismus; in der Tradition der griechischen Philosophie etwa im Platonismus und

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Neuplatonismus, ebenso wie im Judentum, Christentum und Islam. Im Sinne eines friedlichen Miteinander in dieser rasch zusammenwachsenden Welt suchen die Philosophen, die von Traditions wegen mit den Tiefenstrukturen der Kulturen befasst sind, sich der Herausforderung dieser zunehmend gewaltsam sich entladenden Spannung zu stellen und sich argumentativ in dieser Streitlage zu orientieren. Dabei ist der zugrunde liegende Leitgedanke folgender: Beide Positionen werden angesichts der vorherrschenden Spannungslage in den Versuch einer Grenzbestimmung der eigenen Prämissen geschickt. Prämissentransparenz sowie der Versuch, vom Orte des Anderen aus zu denken, sollen die Annäherung bestimmen. Auf diese Weise soll die Möglichkeit grenzüberschreitender Reflexion denkbar werden. Ziel ist eine Annäherung zwischen diesen sich zunehmend gegeneinander verselbständigenden Positionen; beide Extreme sollen in ihrem wechselseitigen Bezug zueinander deutlich werden: Dies soll auf dem genannten Wege einer doppelten Spiegelung möglich werden: • die Positionen, deren Ziel und Fluchtpunkt in der Bekräftigung des Spirituellen bzw. Religiösen liegt (Taoismus, Islam, KyotoSchule etc.), sollen auf die in ihnen zur Anwendung gebrachten Formen der Rationalität hin durchsichtig gemacht werden; sowie umgekehrt: • diejenigen Positionen, denen die verschiedenen Formen der Rationalität zu den letzten unhintergehbaren Horizonten gehören, sollen auf die in ihnen untergründig wirkenden Ideen des Sakralen, der Spiritualität oder Religiosität hin reflektiert werden. Zentral für unsere Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Annäherung sind darum solche Positionen, die bereits auf dem Boden der Rationalität nach einer Verständigung suchen.

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Vorausgesetzt wird dabei, dass wir das Anliegen derjenigen Positionen, die Rationalität allein im Horizont von Spiritualität oder Religiosität eingebettet sehen wollen, ernst nehmen müssen und es nicht allein als Ausdruck vorkritischen, voraufgeklärten Denkens disqualifizieren dürfen, wenn wir an einer Verständigung mit all denjenigen Versuchen interessiert sind, die uns zur Zeit an den Rändern des europäischen Kulturraumes, neuerlich aber auch vermehrt im westlichen Kulturraum selbst entgegentreten. • Wenn wir zudem in Rechnung stellen, dass wir in den Zentren westlich-aufgeklärter Rationalität sowohl christliche wie jüdische Traditionen erneut rehabilitiert sehen (dabei genügt ein Blick auf die neuere französische Philosophie – Michel Henry, aber auch Levinas und Derrida bzw. in die zur Zeit heftig geführten Debatten um eine Renaissance des Christlichen in den USA), so lässt sich zeigen, dass sich jene dichotomischen Spannungen zwischen Rationalität und Spiritualität nicht allein in den nicht-europäischen Hemisphären verstärkt auffinden lassen. Vielmehr kann gezeigt werden, dass Formen der religiösen Erneuerung durch alle Weltkulturen hindurch an Bedeutung gewinnen; mithin also, dass die Rückgewinnung der Idee des Sakralen und Göttlichen zu den Ausdrucksgestalten der europäischen wie der nicht-europäischen Formen des Philosophierens gleichermaßen gehört. Der zur Zeit stärker werdende Akzent einer Rückgewinnung des Transzendenten, Sakralen oder Göttlichen bedarf jedoch einer eingehenden Analyse: Was bleibt in den verschiedenen Rationalitätspostulaten ausgegrenzt, so dass sich an dessen Rändern die Suche nach einer tieferen Einbettung selbst des Rationalen zu Wort melden kann? Die Konferenz rückt einen polyperspektivischen Blick in das Zentrum der Annäherung: Nicht sollen bilateral einzelne Traditionslinien aufein-

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ander bezogen werden, (wie es etwa in den vielfältigen Tagungen über den ,Islam und das Verhältnis zum Westen‘, ,die Kyoto-Schule und der Einfluss des Idealismus, der Phänomenologie oder Martin Heideggers‘ zum Ausdruck kommt), sondern es soll ein tragendes Leitthema aus verschiedenen Richtungen thematisiert und erörtert werden. So soll ein polyphones Gespräch in Gang gebracht werden, in dem sich die einzelnen philosophischen Traditionen wechselseitig einander öffnen und voneinander lernen können. Die gemeinsame Aufgabenstellung lautet: Wie können Positionen, denen Rationalität als letzter Horizont der Weltbeschreibung gilt, die Tauglichkeit der in diesem Konflikt in Gebrauch genommenen Rationalitätsstandards erweisen, um der Herausforderung der wieder erwachenden Spiritualität/Religiosität Rechnung zu tragen? Und wie können Positionen, denen die Spiritualität, das Sakrale oder der jeweilige Transzendenzbezug ein Letztes ist, zu Formen der Verständigung finden, die sie nicht dogmatisch voreinander separieren, sondern ihr Anliegen auch für die anderen verständlich und nachvollziehbar zu artikulieren vermögen? Diesen für das Zusammenleben der Kulturen im 21. Jahrhundert zentralen Fragstellungen suchen sich die folgenden über 40 Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven zu stellen. Als thematische Leitfäden fungieren dabei fünf Sektionsüberschriften, die das Spektrum der verschiedenen Zugänge konzentrieren: I. Prämissen und Prinzipien der Annäherung zwischen Religion und Philosophie; II. Rechtfertigungsversuche zwischen Vernunftansprüchen und Glaubenspostulaten; III. Philosophische Wege in die monotheistischen Religionen; IV. Außereuropäische Grenzgänge zwischen Spiritualität und Rationalität; V. Philosophische Grenzüberschreitungen jenseits der Dichotomie von Glauben und Vernunft. – Angesichts der inhaltlichen und methodischen Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven innerhalb der interkulturellen Philosophie versteht es sich von selbst, dass die in den einzelnen Aufsätzen vertretenen Positionen nicht in jedem Fall die Meinung der Herausgebe-

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rInnen widerspiegeln müssen. – Für Übersetzungen und Korrekturen der Abstracts dankt das Herausgeberteam Daniel Austerfield sehr herzlich.

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I. PRÄMISSEN UND PRINZIPIEN DER ANNÄHERUNG ZWISCHEN

RELIGION UND PHILOSOPHIE

Claudia Bickmann

Immanenz ohne Transzendenz? Wege der Annäherung zwischen Ost und West The task my paper will set itself is to ground three different spheres to approach the phenomenon of the divine: We begin with a questioning of the fundamental dimensions that lie at the core of Religion, asking for the irreducible qualities of spirituality. Secondly, we open the area of a ,philosophy of religion‘ by analysing the phenomenon of the divine through the application of the concepts of ,immanence and transcendence’. Thereby we have opened the path to the genuine philosophical debate about identity and difference between reason and faith. Only within the horizon of our philosophical approach we may develop a clear distinction between the spiritual and cognitive level of our existence and simultaneously discover the reciprocity of the spheres: philosophical analysis reveals their mutual dependency: While conceptual analysis is depending on its pre-predicative, pre-rational fundaments, spirituality – irreducible to the concept of the divine – remains depending on the explanatory power of our thoughts. In einer dreistufigen Annäherung an die Spannung zwischen Glauben und Vernunft wird eine Wechselintegration der Extreme zur Sprache gebracht: Aus dem Immanenzraum des Religiösen wird zunächst die spezifisch religiöse Weise der Annäherung an das Phänomen des Göttlichen thematisch. Die Selbstartikulation des Religiösen bereitet in einem zweiten Schritt – in religionsphilosophischer Perspektive – der Frage nach dem Verhältnis von Immanenz und Transzendenz den Weg (typologisch dargelegt an den Positionen des Buddhismus und Taoismus, des Hinduismus und Neuplatonismus, des Christentums und des Islam.) Ein ,Philosophischwerden des Religiösen‘ ist vorbereitet. Erst die spezifisch philosophische Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein jedoch lässt in einer Grenzbetrachtung des Philosophischen auch die Wechseldurchdringung von Rationalität und Spiritualität begreiflich werden: Weder kann das spezifisch religiöse Bewusstsein in reine Gedanklichkeit aufgelöst werden, noch auch die philosophische Reflexion ohne eine Grenzreflexion ihrer prä-rationalen, prä-prädikativen Quellen einen zureichenden Begriff ihrer selbst entwickeln. Sphärenunterscheidung ist erforderlich, um das spezifisch Religiöse nicht im Begriffe zu quittieren, und zugleich deutlich werden zu lassen, dass das Begriffliche auf ein Vor- und Überbegriffliches als Quelle seiner eigenen Genesis verwiesen ist.

CLAUDIA BICKMANN

Zum Verhältnis von Religion, Religionsphilosophie und Philosophie Weltreligionen und Weltphilosophien teilten die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch, von Endlichem und Absolutem, nicht aber die Wege und Weisen, auf diese Fragen eine Antwort zu suchen. In der Gestalt von Ursprungsgeschichten, Offenbarungstexten und Prophetien fanden die Religionen ihre Antworten auf die Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des gelebten Lebens, lange noch bevor die Geschichte der Menschheit diese Fragen hat laut werden lassen. Erst in den Weltphilosophien werden sie dann als Fragen in der Auseinandersetzung mit den religiösen Offenbarungen und Ursprungsgeschichten zu Bewusstsein gebracht. Als Frage nach dem Verhältnis von Absolutem und Kontingentem, von Endlichem und Unendlichem, von Immanenz und Transzendenz, von Bedingtem und Unbedingtem, Identität und Differenz wurden sie Gegenstand prinzipientheoretischer Untersuchungen. Und es waren seit den Anfängen der großen Weltphilosophien in China, Indien, im Orient und im Okzident die Fragen nach dem Ziel und Richtungssinn wie den letzten Bestimmungsgründen unserer Existenz, die, so Kant, mit der Natur der menschlichen Vernunft unzertrennlich verbunden sind. Diese Fragen einten Religion und Philosophie. Vorbei scheinen jedoch seit der Renaissance und der Aufklärung die Zeiten, als beide einander berührten, verschwistert und aufeinander bezogen waren - als Explikationsgrund oder als Bezugspunkt -, als sie noch im Gleichklang nach dem gelingenden Leben, dem rechten Wege, nach den Übeln in der Welt fragten. In feindliche Lager auseinander getrieben, herrscht heute nicht nur Indifferenz - mit Hegel: die Mutter des Chaos und der Nacht -; vielfach ist vergessen, dass keine Religion ohne die in sie eingelagerte Form der Gedanklichkeit zu verstehen und keine philosophische Annäherung ohne Einsicht in die Grenzen gedanklicher Verfügbarkeit je zureichend zu beschreiben ist, beide mithin also aufeinander verwiesen sind.

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War es die Selbstverständigung über unsere erkennende Tätigkeit, die kritische Grenzziehung unserer Erkenntnistheorie, die mit der kopernikanischen Wende jene Brücke radikal durchschlug, indem sie aus lebendigen Vorstellungen verobjektivierende Seinsgedanken und aus einem sich ans Sein anschmiegende Denken objektlose Formbedingungen, Kategorien oder apriorische Verstandesbestimmungen treten ließ, mithin also die Rationalität verabsolutierte und die Sphäre des Prä-prädikativen wie des Religiösen oder Spirituellen aus ihren Reihen verbannte? Der Riss greift, wie ich im Folgenden ausführen möchte, tiefer in das Selbstverständnis von Philosophie und Religionen hinein, führt uns in die Anfänge des abendländischen Denkens zurück. Denn zunächst ist die Rede über die Religionen nicht kontextfrei: kaum werden wir eine geeignete Übersetzung etwa im Sanskrit oder im Chinesischen finden. ,Religio‘ in jener zweifachen Bedeutung als ,religare‘ als Rückwendung auf uns selbst, und als ,religere‘ als ein Sich-versammeln, als Aufsammeln und Verbinden, zeugt von einer Bewegung der Rückvergewisserung an einen einigen, allmächtigen Schöpfergott. Im Indischen müssen wir uns demgegenüber mit ,dharma‘ (Gesetz, Ordnung, Sitte) oder im Chinesischen mit ,Zong jiao‘ für die heilige Lehre behelfen - Indizien dafür, dass hier die Idee einer sich selbst stabilisierenden ewig gültigen Seinsordnung bleibender Bezugspunkt der Annäherung ist. Nie wurden die asiatischen Philosophien in vergleichbarer Radikalität von der Dynamik der Historisierung und Relativierung aller Seinssphären erfasst, wie sie seit der Renaissance und der Aufklärung verstärkt die abendländische Philosophie ergriffen hat. Heute nun erwachen die großen Traditionen Chinas und Indiens und bescheinigen dem westlich-abendländischen Denken zwar hohe analytische, aber mangelnde synthetische und intuitive Kraft, einen fehlenden Blick für die Einbettung der Phänomene im Gesamt der gegebenen sinnlich-sittlichen Ordnung. Das abendländische Denken sei zudem von einem grenzenlos expandierenden Willen geprägt, der sein Maß und seinen Richtungssinn nicht kenne. Der Spiegel der nicht-europäischen Phi-

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losophien konfrontiert uns so mit den Desideraten einer Weltauslegung, die in ihrem Bezug auf Technik und Wissenschaft ein aufgeklärtes Bewusstein ihrer selbst, mithin einen tragenden Werthorizont verloren hat und seither in gegeneinander blinden dehierarchisierten Systemen die Einzelnen in ihrem Überlebenskampf zu bloßen Funktionsträgern äußerlicher Netzwerke degradiert. Systemtheorie und Evolutionsbiologie erscheinen als adäquate Ausdrucksformen jener Tendenz. Doch nicht allein der Blick von außen erhellt, dass es an der Zeit ist, in eine neue Phase der Aufklärung einzutreten und ein dogmatisch gewordenes Wissen über sich selbst aufzuklären, in erneuter Grenzbestimmung seiner Möglichkeiten sich den Dimensionen zu öffnen, die allem Wissen unverfügbar, weil unzugänglich sind.1 Ein sich wissendes Selbstverhältnis oder ein Sich-wissen im Wissen wird darin erneut zu den leitenden Horizonten gelingenden Philosophierens gehören müssen. Die Zeiten, in denen wir im Blick auf das Andere, das Fremde, uns selbst vergaßen, müssen darum solchen weichen, in denen wir im verfremdenden Blick auf uns selbst diejenigen Dimensionen zurückgewinnen, die unser wissenschaftlich-technisches Zeitalter von unserem wissenden Weltbezug geschieden hat, indem es die Rationalität von der Intuition und Spiritualität, die natürlichen von den intelligiblen, die sinnlichen von den übersinnlichen Quellen trennte. Auch wenn nun die Spannung zwischen Religion und Philosophie in der genannten Weise die nicht-europäischen Philosophien weniger betreffen mag, da diese sich von den Fragen der Spiritualität wie den präprädikativen, intuitiven Dimensionen des Wissen nicht gar so weit entfernt haben, so erhellt der Blick auf die religiösen Epen der Menschheit: die Veden, die Upanishaden, die Thora, die Bibel und den Koran, dass wir in all diesen Traditionen Antworten auf gemeinsame Fragen finden. In didaktischer oder verkündender Rede, in Gleichnis, Erzählung oder im Bilde gewinnen wir Auskünfte über das Selbst- und Weltverhältnis 1 Vgl. dazu R. Enskat: Bedingungen der Aufklärung. Philosophische Untersuchungen zu einer Aufgabe der Urteilskraft (erscheint 2008 bei Velbrück Wissenschaft).

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der Menschen, mithin eine Antwort auf die Fragen: was ist der Mensch, worin gründet seine Existenz? Erst die philosophischen Traditionen scheiden dann die Frage nach dem rechten Leben von der Frage nach der Erkennbarkeit jenes höchsten Ziels und die Suche nach einer rechten Beschreibung der in Gebrauch genommenen logischen Formensprache wiederum von der ursprungslogischen Frage nach einem Prinzip aller Prinzipien. Im Lichte des Logos suchten sie Klarheit über die fraglich gewordenen Bedeutungspotentiale zu gewinnen, schränkten ihre Sinnhorizonte in verallgemeinernder Abstraktion auf wenige Kernfragen ein: So wurden die heiligen Texte der Veden und der Upanishaden in der indischen Mimancha-Tradition in einer eher ethischen, in der Advaita VedantaSchule in einer ursprungsphilosophischen, der Nyaya-Schule in einer logisch-analytischen Ausdeutung erschlossen. Was in den Urquellen der Upanishaden noch versammelt war, wurde in getrennte Perspektiven auseinander gelegt; getrennt wurden die ursprungsphilosophischen von den epistemischen und ontologischen, die logischen von den anthropologischen Fragen. So wie aber die Kunst und Literatur nicht vom Begriffe des Lebens oder des Todes reden, sondern in ihnen gelebt, geliebt und gestorben wird, so suchen auch die Religionen ihre Botschaften nicht in begrifflich allgemeiner Gestalt, sondern auf der Ebene der Vorstellung, d.h. im Bilde, im Gleichnis, und der Erzählung, zur Darstellung zu bringen. Soll darum der Widerstreit zwischen Philosophie und Religion nicht unüberbrückbar sein, so ist Bereichskritik im Sinne der Grenzbestimmung der in Gebrauch genommenen wie der darin eingelagerten Formensprache ein erster Schritt. Sogleich werden wir einer eigentümlichen Dialektik gewahr: Was die Philosophie auf Wegen der Abstraktion und Reduktion verliert, wird ihr auf dem Gebiete grenzüberschreitender Annäherung zu einem Gewinn: Indem sie die Sprache der religiösen Traditionen und Texte

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transzendiert, öffnet sie Raum für die Reflexion auf ihre Wahrheitsgehalte und erreicht so eine Übersetzung zwischen den Religionen. Diese transreligiöse, begriffliche Verständigung über Ziele und Zwecke unserer Existenz, indem sie die inwendige Perspektive der Religionen sprengt, dezentriert zugleich das religiöse Bewusstsein. Eines solchen Perspektivwechsels aber bedarf es auch, wenn die Antworten der Religionen nicht als Waffen im Kampfe um den besten Weg missbraucht werden sollen. Ist doch den Religionen eine unfragliche Binnenperspektive ebenso eingeschrieben wie der Philosophie der suchende, fragende analysierende und vergleichende – mithin also der skeptische Weg. So wie Platon um die Grenzen des Begriffs wusste, da die Dianoia sich nur approximativ den noetischen Gehalten annähern kann; Kant gar die Vernunftidee des Göttlichen von ihrer Erkennbarkeit deutlich schied und selbst Hegels Philosophie des Absoluten nur als ein sich vollbringender Skeptizismus begreiflich ist, so wird alles Thetische der Religionen philosophisch in das Fragliche des Hypothetischen verwandelt. Dieser Herausforderung einer Übersetzungsleistung im Weltkonzert der Stimmen können sich die Weltphilosophien oder Weltreligionen in Zeiten beschleunigter Annäherung nicht mehr entziehen, sollen sie nicht in einem sprachlos inwendigen Dunkel gegeneinander verharren. Modellfall jener Wechseldurchdringung von intuitiv-synoptischem und diskursiv-verständigem Wissen ist Platons Philosophie: Platons zweiwendige Perspektive, mit der er in dialogischen Wechselreden Selbsterhellung der Prämissen fordert, lässt das Nicht-Gesagte im Gesagten durchsichtig werden. Auch die indischen Traditionen des Buddhismus und Hinduismus - etwa in Nagajurnas dialogischen Wechselreden – erreichen Einsicht ins Unverfügbare nicht als thetische Setzung, sondern auf dem Wege der paradoxalen Grenzbestimmung unseres Wissens: Nicht sollte das Wissen der Rechtfertigung des Göttlichen dienen, sondern das Göttliche sich allein als ewig entzogener, wenn auch unvermeidlicher Bezugspunkt unseres Denkens und Handelns ex negativo zei-

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IMMANENZ OHNE TRANSZENDENZ?

zeigen können – ein Gedanke, den auch Heidegger im ,Ereignis des Denkens‘ wachzuhalten versucht. Ein Philosophischwerden der Religionen ist darum ebenso gefordert sowie ein philosophischer Begriff der Religionen, der das spezifisch Religiöse im argumentativen Diskurs nicht quittiert. So können wir das Sprachproblem zwischen Religion und Philosophie nicht den Philologien überlassen; diese reichen an die genannte Problemstellung nicht einmal heran; vielmehr ist die gemeinsame gedankliche Sprache, der wir uns annähern müssten, um füreinander durchsichtig zu werden, allein die Form des sich selbst reflektierenden und begrenzenden Begriffs; des Begriffs, der im Ausgriff auf das Unbegreifliche auch sich selbst noch zu umgrenzen vermag. Wie aber sollte das prä-prädikative-vorbegriffliche, das intuitive Wissen der Religionen mit der analysierenden und begriffsunterscheidenden philosophischen Perspektive im einigen Theorierahmen verbunden sein ohne beide Seiten in ihrer Eigenständigkeit zu gefährden? Lassen Sie mich einen Weg der Annäherung in drei Schritten versuchen. ,Von unten auf‘ wird 1. die religiöse Annäherung des Menschen ans Göttliche, - urbildlich in den kanonisierten Schriften antizipiert -, in die religionsphilosophische Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch, Immanenz und Transzendenz, Endlichem und Absolutem transformiert, 2. die religionsphilosophische Frage im Horizont der metaphysischen Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Denkens reflektiert, um schließlich 3. prinzipientheoretisch das Verhältnis von Gott und Mensch, Immanenz und Transzendenz in der zugrundeliegenden Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit, von Identität und Differenz durchsichtig werden zu lassen. Erst auf prinzipientheoretischer Ebene kann dann der Streit darüber sinnvoll ausgetragen werden, ob wir ein einiges Prinzip als Grund von Differenz und Mannigfaltigkeit annehmen müssen, ob dieses dann als

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