Raumentwicklung in den vier Gebietseinheiten des Alpenrheintals

Raumentwicklung in den vier Gebietseinheiten des Alpenrheintals Interviews mit den Raumplanungschefs Vorbemerkung Für die nachfolgenden Interviews wu...
Author: Samuel Kaiser
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Raumentwicklung in den vier Gebietseinheiten des Alpenrheintals Interviews mit den Raumplanungschefs

Vorbemerkung Für die nachfolgenden Interviews wurden an die Raumplanungschefs von Graubünden, St. Gallen, Liechtenstein und Vorarlberg sieben identische Fragen gestellt. Sie wurden beantwortet von: – Cla Semadeni, Vorsteher des Amtes für Raumentwicklung des Kantons Graubünden, – Ulrich Strauss, Vorsteher des Planungsamtes des Kantons St. Gallen, – Hubert Ospelt, Leiter der Stabsstelle für Landesplanung des Fürstentums Liechtenstein, – Dr. Franz Hämmerle, Leiter der Abteilung für Raumplanung und Baurecht im Amt der Vorarlberger Landesregierung. Die Antworten zeigen gemeinsame Einschätzungen, aber auch Unterschiede in den Beurteilungen der möglichen Umsetzung der Raumplanung.

Fragen und Antworten 1. Die Grundsätze der Raumentwicklung sind bei hohem Abstraktionsgrad qualitativ wohl kaum bestritten. Im «grauen» Alltag präsentiert sich dies anders. Hier stellt etwa der schweizerische Raumentwicklungsbericht 2005 fest, dass der anhaltende Bodenverbrauch und die Zersiedlung der Landschaft weiterhin Sorge bereiten und die bisherige Entwicklung nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann. In Landschaftsschutzkreisen wird teils gar von einem Versagen der Raumplanung gesprochen. Aus welchen Gründen erreichen die einleuchtenden Aussagen der Zielebene nicht die Nie91

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derungen der Praxis und in welcher Form äussert sich diese Problemlage Ihrer Einschätzung nach in der Landschaft des Alpenrheintals? Cla Semadeni, Graubünden Es ist tatsächlich so, dass die «Raumentwickler» in ihrer Tagesarbeit über weitgehend unbestrittene Grundsätze verfügen. Nach unserer Erfahrung bewähren sie sich im «grauen» Alltag eigentlich ausgezeichnet: Sie lassen beispielsweise im konkreten Fall einer Regionalplanung, einer Ortsplanung oder einer Baubewilligung differenzierte und zukunftsgerichtete Lösungen zu. Die Möglichkeit, Entscheide nach der Wünschbarkeit räumlicher Ziele auszurichten oder diese räumlichen Interessensabwägungen zugänglich zu machen – die notabene noch demokratisch legitimiert werden können! – ist eine Qualität, die täglich spürbar ist und die uns die «Raumentwicklung» als etwas Faszinierendes erleben lässt. Unsere neuesten Untersuchungen zeigen, dass die Siedlungsentwicklung in Graubünden in den letzten Jahren kontrolliert und in ausbalancierter Weise – also nachhaltig – gelenkt werden konnte. Zersiedlung und Versagen der Raumplanung kommen nur beschränkt vor, allenfalls dort, wo die eingeleiteten Gegenmassnahmen noch nicht gegriffen haben. Im Alpenrheintal sind die Problemstellungen erkannt. Der Wille, die «wichtigen» Fragen anzugehen, ist auf fachtechnischer Ebene da. Die gewählten Projektansätze dazu sind erfolgversprechend. Wünschbar ist, dass sich die Politik auf diese Zusammenarbeit noch besser einstellt. Ulrich Strauss, St. Gallen Grundsätzlich hält der Raumentwicklungsbericht der Schweiz 2005 zu Recht fest, was im Bereich der Raumentwicklung noch nicht nachhaltig ist. Gleichzeitig ist aber auch sein grosser Mangel, dass viel zu wenig herausgearbeitet wurde, was in den letzten Jahrzehnten erreicht worden ist. Eine der wegleitenden Ideen in den Grundzügen der Raumordnung Schweiz von 1996 bildete das Städtenetz Schweiz mit der Bahn 2000 als Rückgrat. Dieses Ziel wurde meines Erachtens weitgehend erreicht. Die Schweiz ist urban geworden, so urban, dass nun die zweite Stufe erklommen werden kann: die Metropole Schweiz! Für das Alpenrheintal stellt sich dabei sicher eine zentrale Frage: Wollen wir Teil der Metropole Schweiz sein oder wollen wir ein periurbaner Raum mit vielen kleineren, 92

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wenig schlagkräftigen Zellen sein? In der Studie «Räumliche Entwicklung des Alpenrheintals – Analysen und Thesen» vom Mai 20021 wird denn auch bemängelt, dass viele kleinere Zentren bestehen, aber kein Hauptzentrum. Deshalb wird vorgeschlagen, als zukunftstaugliche Entwicklungsstrategie ein Städtenetz mit einer klaren Hierarchie und ländlich strukturierten Zwischenräumen mit einem Bevölkerungspotenzial von 450 000 Einwohnern zu verfolgen. Eine derartige grenzüberschreitende Strategie wurde bis heute nicht vereinbart. Aber auf Vorarlberger Seite wird mit dem Projekt «vision rheintal» an einem wichtigen Baustein für diese Idee gearbeitet. Auf St. Galler Seite hat die Diskussion um den Zusammenschluss von fünf politischen Gemeinden zu einer grösseren Stadt begonnen. So sind zur Zeit viele Bausteine in Bearbeitung. Eine verstärkte grenzüberschreitende Diskussion über die Rolle des Rheintals im Wirtschaftsraum Europa wird sicher in den nächsten Jahren stattfinden. Eine gute Basis haben die Raumplaner auch mit dem im Jahr 2001 vorgelegten Konzept «Bodan Rail 2020» zur grenzüberschreitend abgestimmten Gestaltung des öffentlichen Verkehrs gelegt, das unter anderem die wichtigsten öV-Knoten bezeichnet. Hubert Ospelt, Liechtenstein Die Grundsätze der Raumentwicklung sind bei hohem Abstraktionsgrad in unseren Breiten in der Regel unbestritten. Bei genauerer Betrachtung präsentieren sie sich nach dem zu ihrer demokratischen Legitimation geführten Diskussionsprozess aber häufig vage und eher unverbindlich. Geht es dann im Alltag bei der Umsetzung ums Eingemachte, verbleiben oftmals nur Fragmente der ursprünglichen Zielsetzungen. Dies dürfte für alle politischen Landschaften des Alpenrheintals zutreffen und ist gerade für unser Land infolge seiner Kleinheit besonders ausgeprägt. Andererseits darf festgestellt werden, dass immerhin die Eingrenzung der Siedlungsgebiete, die Sicherung von Landwirtschaftsflächen und die Bezeichnung wesentlicher Natur- und Landschaftsräume erzielt werden konnten. Der Bodenverbrauch hält zwar nach wie vor an, ist aber auch mit den Mitteln der Raumplanung nur bedingt zu steuern. Die Alternative, mit höheren Dichten den Flächenverbrauch einzudämmen, ist abgesehen von den zentralen Bereichen auch nicht über alle

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Siehe Zusammenfassung von Mario Broggi, S. 13.

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Zweifel erhaben. Nach wie vor sind gewisse Zersiedlungstendenzen feststellbar, doch bewegen sie sich weitgehend innerhalb der ursprünglich festgelegten Siedlungsbegrenzungen. Die Zielsetzungen der Raumplanung werden im Alltag oftmals nicht lehrbuchmässig umgesetzt. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wesentliche Grundsätze, wie z.B. die Beschränkung auf bestehende Bauzonen, in der Landschaft des Alpenrheintals auch in Zukunft eingehalten werden können. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg Auch in Vorarlberg hört man gelegentlich, die Raumplanung habe versagt. Ich kann diese Einschätzung nicht teilen. Die Raumplanung hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur positiven Gesamtentwicklung des Landes geleistet. Nur zwei Beispiele: – Hätte es keine Raumplanung gegeben, wäre der «Wildwuchs» von Handelseinrichtungen an den Autobahnknoten und Siedlungsrändern ungebremst weitergegangen. – Ebenso ist davon auszugehen, dass die ungeordnete Siedlungsentwicklung der Nachkriegszeit bis heute anhalten würde. Es wird immer wieder übersehen, dass es in den letzten 30 Jahren bis auf wenige kleine Ausnahmen gelungen ist, die Siedlungsränder im Rheintal zu halten. Dass die öffentliche Wahrnehmung gelegentlich eine andere ist, ist wohl auch auf den Umstand zurück zu führen, dass gute Raumplanung vielfach nicht sichtbar ist! Werden die verschiedensten Ansprüche an den Raum in geordnete Bahnen gelenkt, wird dies als selbstverständlich hingenommen. Dass es dazu des täglichen raumplanerischen Einsatzes bedarf, wird nicht erkannt. Es soll hier aber nicht der Eindruck erweckt werden, es gäbe kein Verbesserungspotenzial. Gerade aus diesem Grund wurde in den vergangenen Jahren das Projekt «vision rheintal» durchgeführt, das den geänderten Raumansprüchen in entsprechender Form Rechnung tragen soll. Das Projekt wurde mit der Erarbeitung eines Leitbildes zur räumlichen Entwicklung und regionalen Kooperation abgeschlossen, welches es nun umzusetzen gilt.

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2. Welche übergeordneten raumplanerischen Leitbilder mit konkreten und präzisen Aussagen bestehen für die von Ihnen zu betreuende Gebietseinheit? Welche sind die zentralen Aussagen dieser Leitbilder für das Alpenrheintal und wie stark sind diese Leitbilder an den Grenzen mit den Nachbarn abgestimmt? Cla Semadeni, Graubünden Stellt man die in den territorialen Richt- und Landesplanungen (Richtpläne, Konzepte, Programme etc.) festegelegten «Leitbilder» zusammen, so erkennt man, dass diese eigentlich nicht schlecht zusammenpassen, wenn man die Gestaltungskraft des Alpenrheins und der Landesgrenzen akzeptiert. Natürlich genügt dies nicht – vor allem auch, wenn man bedenkt, dass letztere künftig andere räumliche Rollen spielen werden. Der Handlungsbedarf ist auch hier erkannt, wenn man die verschiedenen laufenden Projekte der vier Raumplanungsfachstellen in Betracht zieht. Die Regierung Graubündens hat ihre «Leitbildvorstellungen» für das Alpenrheintal im Rahmen der Stellungnahme zum Raumentwicklungsbericht Schweiz formuliert. Diese gilt es nun – zusammen mit den betroffenen Partnern – im «Raumentwicklungskonzept Schweiz» zu verankern und strategisch in der nächsten Programmperiode 2007 bis 2011 der European Territorial Cooperation ETC in konkreten Projekten umzusetzen. Das Projekt DACH+ (Raumentwicklung im Grenzraum D, A, CH und FL-Interreg IIIA-Projekt) hat hier hervorragende Startvoraussetzungen geschaffen. Ulrich Strauss, St. Gallen Der Kanton St. Gallen hat seine raumplanerische Vision mit den Grundzügen der räumlichen Entwicklung im Richtplan festgehalten. Diese Vision ist auf der Homepage des Kantons (www.sg.ch) unter «Bauen, Raum, Umwelt» in der Rubrik «Raumentwicklung» publiziert. Die Richtplanung wird mit den Nachbarn abgestimmt. Im Rheintal betonten alle Nachbarn unisono, dass die Grundzüge der räumlichen Entwicklung des Kantons St. Gallen ihren Vorstellungen weitgehend entsprächen. Hubert Ospelt, Liechtenstein Die übergeordneten raumplanerischen Leitbilder – sowohl bezogen auf die generellen Ziele wie auch auf die vier Sachbereiche Siedlung, Verkehr, 95

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Natur und Landschaft sowie Ver- und Entsorgung sind im Landesrichtplan festgehalten, der sich zur Zeit in der Vernehmlassung befindet. Die Inhalte, wie z.B. der haushälterische Umgang mit den Ressourcen, die Siedlungsbegrenzung oder die bauliche Entwicklung nach innen, entsprechen den anerkannten Regeln der Raumentwicklung und decken sich weitgehend mit den Zielvorgaben unserer Nachbarn. Soweit es die Leitbilder betrifft, ist die Abstimmung somit ohnehin gegeben. Abgesehen von dem doch komplexeren Sachverhalt bezüglich der Verkehrsanschlüsse mit dem Land Vorarlberg konnten erforderliche Abstimmungen verschiedener Sachbereiche (z.B. bei Richtplanrevisionen) jeweils umgehend und unbürokratisch erfolgen. Zum Alpenrheintal im Besonderen beschränken sich die Aussagen im Landesrichtplan auf generelle Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Koordination. Liechtenstein nimmt im Weiteren laufend auch an grenzüberschreitenden, raumrelevanten Projekten teil. Exemplarisch seien die abgeschlossenen Interreg-Projekte «ländergender» (zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in den Verwaltungen von Liechtenstein, St. Gallen und Vorarlberg) sowie «Erholung und Freizeit im Alpenrheintal» oder das mehrjährige, noch laufende Projekt «DACH+» (Deutschland, Österreich, Schweiz + Liechtenstein) zur gemeinsamen Raumbeobachtung, erwähnt. In diesem Zusammenhang ist auch auf den regelmässigen Kontakt der Raumplanungsverantwortlichen an den Tagungen der Raumordnungskonferenz des Bodenseeraums hinzuweisen, der neben Erfahrungsaustausch jeweils auch die Besprechung und Abstimmung aktueller gemeinsamer Planungsanliegen erlaubt. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg Der Zielkatalog des Raumplanungsgesetzes ist gewissermassen das übergeordnete Leitbild der Raumplanung. Ihre vorrangigen Ziele sind die nachhaltige Sicherung der räumlichen Existenzgrundlagen des Menschen und die Erhaltung der Vielfalt von Natur und Landschaft. Zur Erreichung dieser Ziele dienen etwa die Gebote des haushälterischen Umgangs mit Grund und Boden, des Haltens der Siedlungsränder oder des besonderen Schutzes der natürlichen und naturnahen Landschaftsteile, der Trinkwasserreserven und der landwirtschaftlichen Vorrangflächen, ferner die Gebote der möglichst belästigungsfreien Zuordnung der einzelnen Nutzungskategorien oder der Vermeidung räumlicher Strukturen, die zu unnötigem motorisiertem Individualverkehr führen. 96

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Das im Projekt «vision rheintal» erarbeitete Leitbild zur räumlichen Entwicklung und regionalen Kooperation enthält Leitsätze zu folgenden Themenkreisen: – Soziokulturelle Entwicklung – Siedlung und Mobilität – Freiraum und Landschaft – Wirtschaftsstandort – Gemeinbedarfseinrichtungen – Gemeindekooperation Konzepte und Planungen für das gesamte Alpenrheintal (z.B. Zukunft Alpenrhein, Erholung und Freizeit im Alpenrheintal) bildeten wichtige Grundlagen und wurden bei der Bearbeitung des Leitbildes integriert. Grundaussage des Leitbildes ist das Bekenntnis zur polyzentrischen Grundstruktur des (Vorarlberger) Rheintales und zur Weiterentwicklung zur vernetzten Region (nach Möglichkeit über den Rhein und den Bodensee hinweg), zu einer Region, die das Beste von Stadt und Land vereint. Damit gehen wir weitestgehend auch mit den planerischen Überlegungen unserer Partner in der Bodenseeregion konform.

3. Welche raumplanerischen Errungenschaften Ihrer Nachbarn würden sie gerne übernehmen bzw. sind für Sie beispielhaft? Cla Semadeni, Graubünden Für uns ist es sehr beispielhaft, wie das Land Voralberg Grundlagen für die Planungen der Gemeinden aufarbeitet, die strategischen Projekte «vision rheintal» und «Bregenzerwald» professionell abwickelt, das Instrument «IKT-GIS (Informations- und Kommunikationstechnologie)» einsetzt und die Thematik «Landschaftsentwicklung / Landschaftskonzept» schon früh als Leitthema entdeckt und besetzt hat. Bei unserem Nachbarn Liechtenstein lernen wir, wie man den «öffentlichen Raum» sorgfältig gestaltet, wie man gute und lebendige «Dorfkern- und Zentrumsgestaltung» erreicht, wie man Ortsbildpflege betreibt und wie man die Naturschönheiten, Flora und Fauna schützt. 97

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St. Gallen ist uns vor allem Vorbild in Sachen «grenzüberschreitende Zusammenarbeit». Uns imponiert der Einsatz und das Engagement des kantonalen Planungsamtes für ein modernes dynamisches Raumplanungs-Verständnis. Uns freut die Offenheit, die Unterstützungsbereitschaft, das Verantwortungsbewusstsein und die Kollegialität auf fachlicher und politischer Ebene. Ulrich Strauss, St. Gallen Ein Kopieren von raumplanerischen Rezepten ist schwierig, weil die Voraussetzungen, wie Fragen der staatlichen Aufgabenteilung, Vorgaben der einzelnen Länder, Unterschiede in den einzelnen Politikbereichen, völlig anders sind. Wir sind aber in einem permanenten Erfahrungsaustausch, sei das in der Raumordnungskommission Bodensee, in gemeinsamen Projekten im Alpenrheintal («Erholung und Freizeit im Alpenrheintal»2) oder bei einzelnen Fachfragen in bilateralen Gesprächen. Wir versuchen auch «Best practice Beispiele» zu adaptieren und in unser Raumordnungssystem einzubauen. Beispielhaft sei erwähnt, dass wir versuchen im Bereich der publikumsintensiven Einrichtungen unseren Vollzug mit Vorarlberg ab- und anzugleichen. Hubert Ospelt, Liechtenstein Nachdem die Raumplanung in Liechtenstein bis anhin weder im Umfang noch inhaltlich so dezidiert vorgenommen wurde wie bei unseren Nachbarn, können wir von diesen nur lernen. Ohne eine Nachbarregion hervorheben zu wollen, möchte ich aus aktuellem Anlass das Projekt «Vision Rheintal» in Vorarlberg als nachahmenswertes Beispiel anführen. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg Beispielhaft erscheint mir, wie es in der Schweiz gelungen ist, die Planungen von Bund und Kantonen zu koordinieren.

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Siehe Beitrag S. 51.

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4. Eine wichtige Stossrichtung der Raumentwicklung zielt auf die Schonung möglichst grosser, nicht überbauter Flächen mit möglichst naturnahem Charakter. Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten, Leitplanken für deren Erhalt zu setzen? Inwiefern könnte die grenzüberschreitende Arbeit aufgrund einer räumlichen Gesamtsicht hier Vorteile bringen? Cla Semadeni, Graubünden Das Alpenrheintal verfügt über ein hohes Potenzial an «nicht überbauten Flächen». Einige davon sind an räumlich richtige Stellen platziert und weisen entsprechende funktionale Qualitäten auf. Auf dieses Potenzial ist zu setzen: nicht aus einer sektoriellen Sichtweise «Natur» heraus, sondern aus der ganzheitlichen Sichtweise eines «Stadtplaners». Das Alpenrheintal ist zu einem «Agglomerations- und Städtenetz» zusammengewachsen, das es verdient, aus einer Gesamtvision und -idee heraus weiterentwickelt zu werden. Hier gilt es anzusetzen. Die Ergebnisse des gemeinsamen Entwicklungsprojektes «Freizeit und Erholung» bildet dazu eine gute Ausgangsbasis. Ulrich Strauss, St. Gallen Mit dem Richtplan hat der Kanton St.Gallen schon solche Leitplanken gesetzt, u.a. mit dem Instrument der langfristigen Siedlungsgrenzen. Auch ist dies bei gemeinsamen Projekten immer wieder ein zentrales Thema. Hubert Ospelt, Liechtenstein Die Schonung grosser Flächen mit naturnahem Charakter resultiert aus den langfristig verfolgten Siedlungsbegrenzungen, wie sie im Landesrichtplan und in den Ortsplanungen festgehalten sind. Weitere Leitplanken ergeben sich z.B. auch aus den Vorgaben zum Hochwasserschutz, wie es im Entwicklungskonzept Alpenrhein ersichtlich ist. Hier ist die grenzüberschreitende Abstimmung, die eine räumliche Gesamtsicht voraussetzt, selbstverständlich. Diese Sachlage bringt uns dem Ziel der Erhaltung naturnaher Flächen ebenfalls näher. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg In den letzten Jahren wurde immer mehr die Notwendigkeit erkannt, weitere Vorkehrungen für den Hochwasserschutz entlang des Rheins zu 99

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treffen. Es ist zwischenzeitlich unbestritten, dass die Schaffung bzw. Erhaltung entsprechender Rückhalteräume eine taugliche Maßnahme der Schadensminimierung darstellt. Dass diese Aufgaben nur grenzüberschreitend und auf Grund einer räumlichen Gesamtsicht befriedigend zu lösen sind, dürfte wohl ausser Frage stehen. Während in der Vergangenheit vor allem aus Gründen des Naturund Landschaftsschutzes oder des Erhalts einer leistungsfähigen Landwirtschaft bzw. um die Kosten der Infrastruktur nicht ausufern zu lassen, auf ein Halten der Siedlungsgrenzen hingewirkt wurde, kommen nun die erwähnten Sicherheitsaspekte hinzu. Schon aus diesem Grunde glaube ich, dass in Zukunft die Möglichkeiten, Leitplanken für den Erhalt naturnaher, nicht überbauter Flächen zu setzen, steigen werden.

5. Die Regelungsdichte im Bau- und Planungsrecht wird mit ihren Details in der Bevölkerung teils als hoch empfunden. Umgekehrt verfügt die Raumplanung nur über eine geringe Gestaltungskraft, eine geringe politische Reichweite und eine eher tiefe Verbindlichkeit, wenn es um die grossen räumlichen Entwicklungslinien geht. Warum ist das so? Was könnte daran geändert werden? Welche Konsequenzen wären daraus zu ziehen? Cla Semadeni, Graubünden Es ist tatsächlich so, dass die Regelungsdichte zu hoch ist, und dass diese allzu oft zu widersprüchlichen und unverständlichen Entscheidungen führt. Diese Regelungsdichte lenkt – so die Erfahrung – zuviel vom Wesentlichen ab, höhlt die «Gestaltungskraft» aus und produziert auf «falscher» Stufe «falsche» Verbindlichkeiten. In diese Fallgrube fallen viele hinein. Raumplanung reduziert auf «Bau- und Planungsrecht» ist jedoch für das Amt für Raumentwicklung des Kantons Graubünden (und die anderen Raumplanungsfachstellen) kein Ansatz, um «Raumentwicklung» zu betreiben. Unser Verständnis kommt in unserem Kantonalen Richtplan «RIP2000» und in unseren Kernprojekten zum Ausdruck, welche sowohl politische Reichweite als auch Verbindlichkeit und Gestaltungskraft haben, wenn es um die «grossen räumlichen Entwicklungslinien» geht.

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Ulrich Strauss, St. Gallen Die schweizerische Raumplanung ist in die staatliche Aufgabenerfüllung integriert. Es ist daher sicher schwierig, klare Ergebnisse zu beziffern. Ich bin aber dezidiert der Meinung, dass sowohl der Richtplan wie auch die Nutzungspläne im Kanton St. Gallen eine hohe Verbindlichkeit und auch einen hohen politischen Rückhalt haben. Grosse räumliche Entwicklungslinien werden oft stark durch europäische, ja teilweise weltweite Strömungen geprägt, die durch eine Region wie das Rheintal kaum beeinflusst werden können. Ich denke da an die Entwicklungen in der Weltwirtschaft, in sozioökonomischen Menschenbewegungen grösseren Ausmasses usw. Hubert Ospelt, Liechtenstein Zumindest auf Landesebene kann in Liechtenstein eigentlich nicht von Regelungsdichte gesprochen werden, nachdem bis anhin explizite gesetzliche Grundlagen zur Landesplanung fehlen. Hier besteht also Nachholbedarf. Auf kommunaler Ebene kann im Einzelfall berechtigt eine zu hohe Regelungsdichte im Bau- und Planungswesen moniert werden, insbesondere weil aus planerischer Sicht oftmals schwer nachvollziehbare Detailregelungen vorherrschen, während die strategischen Ziele eher stiefmütterlich behandelt sind. Diesbezüglich wirkt sich die Gemeindeautonomie in der Ortsplanung teils kontraproduktiv aus. Was die Gestaltungskraft und Verbindlichkeit der Planungsmittel betrifft, so widerspiegeln sie generell die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Auf dieser Ebene wäre anzusetzen, um den beabsichtigten räumlichen Entwicklungslinien nachzuleben. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg Die Praxis zeigt eher das Gegenteil. Es wird in der Öffentlichkeit immer dann, wenn ein Einzelfall (auf Grund der in Vorarlberg herrschenden eher geringen Regelungsdichte) einmal nicht befriedigend (im Sinne der vox populi) gelöst werden kann, nach schärferen Normen gerufen. Dass die Gestaltungskraft der Raumplanung beschränkt ist, ist nicht zuletzt auch Ausfluss unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, und das sollten wir wohl billigend in Kauf nehmen.

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6. Die Arbeiten für das Konzept der Rhein-Revitalisierung sind im Gange. Wie geht die Raumplanung damit um und welche Konsequenzen sehen Sie für Ihre Arbeit? Cla Semadeni, Graubünden Der Stabwechsel vom Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement BVFD bzw. dem Amt für Energie AfE-GR zum Departement des Innern und der Volkswirtschaft DIV bzw. Amt für Raumentwicklung ARE-GR ist noch nicht vollzogen. Uns ist es wichtig, dass die Arbeiten in inhaltlicher, zeitlicher und verfahrensmässiger Hinsicht koordiniert werden. Dazu ist es notwendig, eine zweckmässige und effiziente Projektorganisation zu bilden. Den Erfahrungen anderer Projekte (Flaz-Umlegung, Rhône-Korrektion) ist dabei Rechnung zu tragen. Unser Amt ist sehr gerne bereit, sich entsprechend in diese komplexen Arbeiten einzubringen. Ulrich Strauss, St. Gallen Die Raumplanung beteiligt sich daran und hat sich auch bisher schon sehr stark in dieses Projekt eingebracht. Wir werden uns bemühen, auch in Zukunft die Anliegen der Raumplanung, grenzüberschreitend abgestimmt, miteinander in das Projekt «Alpenrhein» hineinzutragen. Hubert Ospelt, Liechtenstein Die Arbeiten zum Entwicklungskonzept Alpenrhein werden sich in einer nächsten Phase auf die raumplanerischen Anliegen und deren Umsetzung konzentrieren müssen. Die Auswirkungen auf die betroffenen Landschaften und Siedlungen sind dabei zu präzisieren. Ebenfalls sind im Besonderen die Nutzungsansprüche an Freizeit und Erholung zu klären. In unserem Land sind die Gemeinden aus Eigentums- und planungsrechtlichen Gründen besonders stark in die Thematik involviert, was den Abstimmungsbedarf noch erhöhen wird. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg Das Projekt «Zukunft Alpenrhein» ist sehr wichtig für die Raumplanung. Neben der Wiederherstellung der ökologischen Funktionsfähigkeit und der Verbesserung der Hochwassersicherheit ist es vor allem der Aspekt Freizeit und Erholung, der zunehmend in den Mittelpunkt der Überlegungen rückt. Es ist davon auszugehen, dass die Gewässer und 102

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freien Flächen (Riedlandschaften) künftig noch stärker für Freizeit- und Erholungsnutzungen gebraucht und herangezogen werden.

7. Wenn Sie drei Wünsche an die «Fee» in Sachen Raumentwicklung frei hätten – wie würden sie lauten? Cla Semadeni, Graubünden Mit drei Wünschen ist es nicht getan! Trotzdem: 1. Man sollte nicht mehr von Bau- und Planungsrecht reden, sondern von Raumentwicklung, Raumordnungspolitik und -strategien und von Aktionsprogrammen. 2. Man sollte Raumentwicklung konsequent auf die Zukunftsfähigkeit des Raumes in all seine Facetten und Strukturen ausrichten, wobei durchaus auch der Mensch im Fokus sein darf. 3. Unsere Arbeit sollte als eine faszinierende, sich lohnende Angelegenheit betrachtet werden, die Freude macht, und man sollte uns diese Freude nicht vergällen. Urs Strauss, St. Gallen Ich bin grundsätzlich ein positiv denkender Mensch. Die Raumplanung hat schon sehr viel erreicht und wird auch in Zukunft im Rheintal eine wichtige Rolle spielen. Eigentlich bin ich wunschlos glücklich. Wenn ich in die Zukunft schaue, hoffe ich einfach, dass unsere Kontakte über die Grenzen noch intensiver werden. Hubert Ospelt, Liechtenstein Es müssen ja nicht gleich drei Wünsche sein. Die Anliegen der Raumentwicklung sind auf Gemeinde-, Landes- und regionaler Ebene von hohem öffentlichem Interesse, dem die Einzelinteressen untergeordnet sind. Der grosse Stellenwert der «res publica» sollte wieder auf die politische Agenda kommen. Dr. Franz Hämmerle, Vorarlberg 1. Mehr langfristiges Denken in unserer schnelllebigen Zeit. 2. Weniger Egoismus, mehr Hinwendung zum Gemeinwohl.

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Interviews mit den Raumplanungschefs

3. Zusammenwachsen des Bodenseeraums zu einer starken Modellregion, in der es sich lohnt, zu leben und zu arbeiten, wo Natur, Kultur und Wirtschaft zu Hause sind.

Schaaner Riet (Foto: Hans Jakob Reich)

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