Pleiten, Pech und Pannen

Pleiten, Pech und Pannen … in der Psychotherapie zur Nomenklatur des Negativen in der Psychotherapie Jürgen Friedrich (PPT, Rostock) Vortrag gehalten...
Author: Günther Bieber
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Pleiten, Pech und Pannen … in der Psychotherapie zur Nomenklatur des Negativen in der Psychotherapie

Jürgen Friedrich (PPT, Rostock) Vortrag gehalten im Symposium „Wie Phoenix aus der Asche“ auf dem DGVT-Kongress 2014 in Berlin

Begriffsfeld des Negativen • Abbrecher Ablehner Nonresponder Risikopatient • Nichtaufnahme Verweigerung Abbruch Rückfall • Nebenwirkung Unerwünschtes Ereignis Schaden Risiko • Fehler Unterlassung Missbrauch Ausbeutung Widerstand Vermeidung • Scheitern Misserfolg Negativergebnis

Orientierung im Begriffsfeld • Person - bezogene Begriffe • Prozess - bezogene Begriffe • Wirkungs - bezogene Begriffe • Kriteriums - bezogene Begriffe • Ergebnis - bezogene Begriffe

Psychotherapie • • • • •

Person Prozess Wirkung Kriterium Ergebnis

Ergebnis: welche Wirkung hinterließ der personale Prozess hinsichtlich finaler Kriterien?

Margraf 2012: Psychotherapie als wissenschaftlich begründetes Handeln beruhe auf den Standbeinen der Alltagserfahrung und der Berufserfahrung sowie der Wissenschaft.

Person-bezogene Begriffe • • • •

Patient Klient Kunde Partner

zu heilen zu schützen zu bedienen zusammenarbeiten

Person-bezogene Begriffe • • • •

Abbrecher Ablehner Nonresponder Rückfälle

Foa 1983: Failures in B.T.

• Risikopatienten Typisierungen

Prozess-bezogene Begriffe • Nichtaufnahme, Ablehnung Verweigerung 1/3 (Garfield, 1980) • Therapiekrise (Therapiepause)

• Abbruch • Rückfall

des Therapieprozesses nach Besserung

Abbruch: Gründe in BPS - Lit. • Impulsivität • Antisozialität

• Instabile Therapiemotivation • Instabile therapeutische Beziehung • Geringe soziale Unterstützung

Interviews nach DBT-Abbruch Frage 7:

Pat.Nr.

Bedeutung Arbeit Therapeuten? Frage 8: Negative Folgen D BT?

nach Abbruch

Frage Frage Nr. Nr. nach

Zu ET unaufgelöster Konflikt: Beurteilung nicht möglich. 1 ET-Bemerkung sei als „Stich“ erlebt 32 7 worden, habe Vertrauen angekratzt.“Trau meiner Wahrnehmung, was richtig u falsch ist, nicht“. Zum unaufgelösten Konflikt mit dem ET: 7 32 „Der ET sah mich nicht so, wie ich bin: Enttäuschung“ (Tränen). Bedürfnis nach Klärung stark. DBT habe was aufgerührt, sei aber für den weiteren Verlauf nicht entscheidend gewesen. 8 32 Nach dem Abbruch resultierte das Gefühl, alleingelassen worden zu sein.

Beendigung

Pat.Nr.

Das straighte Vorgehen der Ts der DBT 7 war zuträglich + notwendig Ts der GT waren eher wie Lehrer (positiv)

21

7

Bedeutung T der ET als Elternfigur ist mehr ins Gewicht gefallen

21

7

Gleichgeschlechtliche T gehen bestimmte Fragestellungen anders an (ist IP wichtig)

21

7 GT haben oft Gruppen-Themen missachtet

21

7

7 GT ham ihren Job aber schon gut gemacht

21

38 T der ET hab ich richtig gern

7

8

38 Ts der GT haben ihren Job gut gemacht

7

7

7

7

38

38

Ts der GT waren sympathisch (so eine Art Sparringspartner)

T der ET war das Beste bis jetzt, das habe sich über die Zeit entwickelt.

7 38 Nein, gar keine Folgen, absolut nicht!

8

7

Unaufgelöstes aus der 2.ET ist eine negat. Folge (Übertragung wurde nicht aufgelöst) Ts der DBT hatten großes Einfühlungsvermögen Ts der DBT haben das Gefühl vermittelt, dass ich ein Mensch bin DBT-Ts haben Wissen, große Erfahrung u. Kompetenz u. nehmen ihre Arbeit sehr ernst GTs waren sehr flexibel

8 Nee, kann ich eigentlich nicht sagen

21 22 22 22 22 22

Gründe für Verhaltenstherapie-Abbruch

41%

36% 30%

21%

DGVT Ausbildungsambulanz Berlin

45% Auckenthaler, 2010

Wirkungs-bezogene Begriffe • Nebenwirkung ‚neben‘ Hauptwirkung

(wertfrei, pos./neg.)

trotz lege artis Behandlung ohne Kunstfehler! implizite Kausalitätsannahme

• Unerwünschte Wirkung (zielbezogen, neg.) • Unerwünschtes Ereignis (zielbezogen, akausal) • Schaden • Risiko

(ir/reversible Folgen) (Sammelbegriff)

Nebenwirkung in der Informatik • Programm ist stets in genau 1 Systemzustand

• Jede Rechenoperation bewirkt: Setzung der Ergebnisvariable Setzung der Berechnungsvariablen = Nebenwirkung!

• Jede Operation verändert den Systemzustand über das angezielte Ergebnis hinaus

Pure Ursache-Wirkungs-Sichtweise isoliert Systemik

Der Begriff ‘Nebenwirkung‘ lebt aus dem Ineinander von unikausaler und systemischer Logik!

Nebenwirkungen in der Pharmazie • „Die bei bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen“ (AMG) nicht Überdosierung / Wechselwirkung Substanz-abhängig und Dosis-un/abhängig

• Neuzulassung: EAW überwiegen + UAW vertretbar Un-/erwünschte Arzneimittelwirkung (UAW, EAW) Beipackzettel: auch Akausales, normiert • 5% medikamentös behandelter Patienten haben UAW 5% stationärer Behandlungen sind UAW-induziert, 59% dieser UAW bei Patienten >70 J.

Nebenwirkungen in Psychotherapie Historische Literatur • Freud 05 • Reich 47

Dora‘s Rache Charakteranalyse

• Balsam & Bondy 83 Side effects of reward • Heide & Borkovec 83 Relaxation induced anxiety

Nebenwirkungen in Psychotherapie • Orientierung in Wissenschaft, Ethik und Praxis an unsauberer Begriffsverwendung in Medizin Streben nach Naturwissenschaftlichkeit? Naives Ausblenden jeder NW Idealist. Selbstkritik

• Nebenwirkungsforschung fast nonexistent Varianzerweiterung Bergin: 10% Augenschein-NW-Praxeologie

• Wirknachweise indirekt, prototypisch u. global via gruppaler Omnibus-Erfolgsforschung PT-Wirkungen wohl komplexe Interaktionen Ohne spezif. Wirknachweis keine NW

PT-Wirkweise • Vom Schamanismus zur Neuropsychotherapie… Heilungsglaube: Trepanationen

• Wieso Besserung trotz vieler Fehler? Patient ist der letztliche Effektor seiner Änderungen PT-Interaktion ist Impulsgeber dafür Patient-Therapeut System ist relativ fehlertolerant Patient-Umwelt System ist relativ änderungsträge

• Wirkweise individuell, Nebenwirkung auch? Allgemeine Wirkfaktoren nur Wirkvoraussetzungen? Metaanalysen: stromlinienförmige Therapeuten? Einzelfall Wenn-Dann Wirk-Pfade

PT-Wirkweise Theorie • Theorie unerwünschter PT-Wirkweisen Sollte in Interventions-Metatheorie passen (Placebo) Sollte Umschlag von Alltagsfehler-Toleranz in Fatalfehler-Allergie erklären (Nocebo) Sollte zwischen allgem. / spezif. Wirkfaktoren trennen

Kriteriums-bezogene Begriffe • Fehler

Kunstfehler: Regelabweichung von Leitlinie, Verfahren, Methode, Technik alltägliche F. / fatale F. Haltungs-F. / Handlungs-F. Unterlassungs-F.

• Missbrauch • Ausbeutung

3 Welten:

Verstöße gg. Normen, auch der allgemeinen od. Berufs-Ethik

fachliche Normen ethische Pflichten rechtliche Standards

Handlungsfehler • Abweichung vom optimalen Handlungsablauf Oft naheliegendere Variante

• Indikator für Dysfunktionalität oder Milieustörung Z. B. alte Gewohnheit in neuer Situation

• Rupture and Repair (Safran, 2011) Mikro-Risse sind kittbar

• Fehlertoleranter Kontext - weniger Schäden? Anstatt Rebound-Effekt

Fehlerfreundlichkeit (F. E. Weinert) • Voraussetzung evolutionärer Entwicklung (Weizsäcker, 85: Technikfolgen)

• In lebendigen Prozessen sind Fehler inbegriffen Korrektur-Ermöglichung u. Folgen-Minimierung Verarbeitung des Falschen zum Richtigen hin (Fritz Oser: Negatives Wissen)

• PT: stört Fehler-Scham Fehler-Erkennung? Fehlertoleranz Nachlässigkeit Sind PT-Fehlerfolgen meist reversibel?

Fehler in der Psychotherapie • Fehler machen Personen • Nicht jeder Fehler muss Wirkung zeigen • Fehler in der PT ist immer zu definieren über ein normatives fachliches Kriterium • Fehler können, müssen aber nicht das Ergebnis beeinflussen Jeder Fehler ist ein Behandlungsfehler … …wenn alles den ther. Prozess beeinflussen kann, …wenn alle Interaktionen als therapeutische gelten.

Fehlerfreundliche Therapeuten • • • • • • •

selbstreflexionsfähig rückmeldungsorientiert risikoeingrenzend in professioneller Distanz transparent autonomiegewährend … Irren ist therapeutisch! (D. Regli, 2011)

Fehler - Ausblick • Handlungsfehler sind eine Entwicklungsnotwendigkeit! • Wir brauchen neue Fehlerkultur mit risikobewusstem, aber fehlerfreundlichem Klima! • Diese sollte basieren auf Abgrenzung von Fehler / Verfehlung / Vergehen

Präventions-Konzept Für PsychotherapeutInnen

Verhaltens - Prävention

Verhältnis - Prävention

individuell

individuell

generell

generell

Fehler

Fall-Intervision, fachliche QualitätsSupervision Trainings Sicherung Fehler-Feedback Fehlerkultur Fehlerkultur

Praxisforschung, Leitlinien Meldesysteme

Verfehlung

Balint-Arbeit

Berufsordnung disseminieren

Vergehen

Konsensus- BeschwerdeKonferenzen verfahren

unzensiertes Selbstmonitoring Verfehlungs- anonyme z.B. Phantasien? Fallvignetten Hilfen

Ethik-Seminare in Ausbildung

Gesetzeslektüre

Berufsverbote

Strafgesetze

Strafverfolgung

Ergebnisbezogene Begriffe • Scheitern • Miss-Erfolg

Goal Attainment Scaling (Kiresuk)

• Negativergebnis Letztliche Verschlechterung nach PT (Mays & Franks, 85) Auftreten neuer Symptome Verschärfung alter Symptome Fehlentwicklung 5–10% (Bergin, Lambert, 1963–2004) 12% (Smith,80)

All das kann Nebenwirkungs-Folge sein, Fehler-, Verfehlungs- oder Vergehens-Folge sein, muss es aber nicht!

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