Patienten mit peripherer arterieller

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Körperliche Bewegung bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit Jürgen M. Steinacker, Yuefei Liu, Hartmut Hanke

Zusammenfassung Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist meist eine arteriosklerotische Erkrankung der Gefäße, sie betrifft aber auch die Endstrombahn und die Muskulatur. Die pAVK führt zum Verlust von Belastbarkeit und Lebensqualität und im Extremfall zum Verlust der Extremität. Neben den interventionellen und operativen Revaskularisationsverfahren ist das Gehtraining die wichtigste nichtmedikamentöse Therapiemaßnahme in Ergänzung zur konsequenten Behandlung der Risikofaktoren Rauchen, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie und Übergewicht. Täglich sollte ein Intervall-Gehtraining über 60 min mit 5- bis 15-minütigen Intervallen durchgeführt werden, wobei die Belastungsintensität möglichst hoch sein sollte bis zum Claudicationsschmerz. Studien zeigen eine Steigerung der Gehstrecke um etwa 200 Prozent nach sechs bis zwölf Wochen. Die Langzeitergebnisse sind gleichwertig der von Gefäßinterventionen. Schlüsselwörter: periphere arterielle Verschlusskrankheit, Lebensqualität, körperliche Aktivität, Gehtraining, Durchblutungsstörung

Summary Physical Activity to Treat Peripheral Arterial Occlusive Disease Peripheral arterial occlusive disease which is most commonly caused by arteriosclerotic occlusion of the arteries to the leg affects also the microcirculation and skeletal muscles, and leads to loss of performance, e.g. walking ability, to loss of quality of life, and in last consequence, to loss of an extremity. Besides the use of sophisticated interventional and operative revascularization procedures, walking training remains the most important nonmedical treatment measure in addition to aggressive intervention of the risk factors smoking, hyperlipidemia, arterial hypertension and body weight. Walking training should be performed daily for at least 60 min, divided in 5 to 15 min long exercise intervals that should cause even claudication. Multiple studies revealed that the intensity of exercise is an important predictor of the success of training and that the painfree walking distance can be doubled within six to twelve weeks. Long time results are equivalent to those of revascularization procedures. Key words: peripheral arterial occlusive disease, quality of life, physical activity, walking training, impaired circulation

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atienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) können durch die interventionellen und operativen Therapiemethoden oft sehr wirksam behandelt werden. Insbesondere mit minimalinvasiven Methoden wie der transluminalen Endarterektomie (TEA) oder der perkutanen transluminalen Angioplastieverfahren (PTA) kann die Strombahn im Bereich von Becken- und Oberschenkelarterien oftmals funktionell wiederhergestellt werden. Limitiert sind interventionelle Verfahren allerdings im Bereich der Unterschenkelarterien. Die PTA oder TEA einer isolierten Stenose bewirkt einen Wegfall des Durchblutungshindernisses und schafft damit beste Voraussetzungen für eine Schmerzfreiheit und Rekompensation des Patienten. Patienten mit pAVK sind meist nicht nur isoliert an einer Gefäßstelle erkrankt, sondern die pAVK muss fast immer als Symptom der Systemerkrankung Arteriosklerose angesehen werden. Entzündliche Gefäßwandprozesse, systemische Erkrankungen oder rezidivierende embolische Schübe spielen in der Pathogenese eine kleinere Rolle (22). Das bedeutet der systemische Charakter der Erkrankung: Eine Gefäßintervention an einer lokalen Stelle des Gefäßes beseitigt nicht weitere Probleme der Erkrankung, die zum Beispiel die periphere Durchblutung, die Muskulatur und den Stoffwechsel betreffen. Zudem birgt die Maßnahme eigenständige Probleme, insbesondere eine Restenosierung. Neben Interventionsmethoden gibt es medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen. Diese können begleitend, ergänzend oder alterna-

Medizinische Klinik und Poliklinik, Abteilung Innere Medizin II – Kardiologie/Angiologie (Direktor: Prof. Dr. med. Vinzenz Hombach), Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin (Leiter: Prof. Dr. med. Jürgen M. Steinacker), Universitätsklinikum Ulm

tiv eingesetzt werden. Damit wird eine ausschließlich symptomorientierte Therapiestrategie vermieden (12, 24, 31, 36). In Studien war das funktionelle Langzeitergebnis von reinen Gefäßinterventionen nicht besser als das von reinem Gehtraining (4, 35). In einem multimodalen Therapiekonzept ist deshalb Gehtraining ein wichtiger Schwerpunkt.

Pathophysiologie Durchblutung. Die pAVK führt zu einer peripheren Minderdurchblutung, die zum Beispiel in der Szintigraphie gut darstellbar ist (19) (Abbildung 1). Diese Minderdurchblutung hat funktionelle und strukturelle Konsequenzen, die weit über die isolierte Stenose hinausgehen. Die peripheren Gefäße sind im Verhältnis zur versorgten Muskelmasse sehr lang, und die Ruhedurchblutung ist wesentlich niedriger als im Herzmuskel. So beträgt die Ruhedurchblutung des Herzmuskels etwa 50 mL/min × 100 g, die des Skelettmuskels etwa 5 mL/ min × 100 g. Bei Belastung wird die koronare Durchblutung etwa um das Vierfache gesteigert, die Skelettmuskeldurchblutung dagegen um das Zehnfache. Bei der pAVK ist der Strömungswiderstand in den erkrankten Gefäßen relativ hoch und die mögliche Steigerung der Durchblutung ist deutlich eingeschränkt (23). Der Strömungswiderstand in einer Extremität hat dabei zwei Komponenten: den transstenotischen Druckgradienten und den peripheren Gefäßwiderstand der distalen Gefäße. Im Verlauf der Erkrankung führt der chronisch eingeschränkte poststenotische Blutfluss damit zu funktionellen Störungen, wie Abnahme der Gefäßmotilität, und relativ bald auch zu strukturellen Veränderungen, wie einer Abnahme der Gefäßdiameter und der Kapillarisierung. Die Abhängigkeit von

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Stress Anterior

Redistribution Posterior

Anterior

Posterior

Kontrolle

pAVK

Abbildung 1: Ganzkörperthalliumszintigramm eines Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) (unten) und eines Patienten ohne pAVK (oben). Dargestellt sind die Aufnahmen bei Belastung und in der Reperfusion. (Modifiziert nach Liu Y et al., Angiology 1996; 47: 879–886. Mit freundlicher Genehmigung von Westminster Publications, Glen Head, NY, USA) (19).

Kontrolle

pAVK II

pAVK III

pAVK IIII

MHC IId  MHC IIa  MHC IId  Abbildung 2: Myosin-Isoformenspektrum im M. gastrocnemius bei Normalpatienten und bei unterschiedlichem Schweregrad der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Während beim Normalpatienten die drei Myosin-Isoformen nachweisbar sind, kommt es mit steigendem klinischen Schweregrad zuerst zum Verlust des schnellen Myosins IId und folgend des intermediären Myosins IIa. Das langsame, stressresistente Myosin I überwiegt deutlich. (Aus Steinacker, JM et al., J Vasc Surg 2000; 31 443–449. Mit freundlicher Genehmigung von Mosby, Orlando, FL, USA) (33).

Perfusionsdruck und Durchblutung kann mit einer zirkulatorischen Hyperbel beschrieben werden (Grafik 1). Bei der pAVK wird der maximale Blutfluss überwiegend durch die Stenose bestimmt (obere Asymptote), während der minimale Perfusionsdruck, der noch eine Durchblutung zulässt (so genannter Stagnationsdruck), im Wesentlichen durch den Widerstand der peripheren Gefäßstrombahn bestimmt wird (linke Asymptote).

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Die Kompensation einer Stenose kann durch Bildung von Kollateralgefäßen, verbesserte Kapillarisierung oder Gefäßdilatation erfolgen. In Ruhe ist der Blutfluss in den peripheren Blutgefäßen schon beim Gesunden gering, sodass auch die Scherkräfte am Endothel gering sind. Diese sind für die endogene Vasodilatation wichtig. Bei pAVK ist dieser Effekt verstärkt, zusätzlich ist die Endothelfunktion durch die Risikofaktoren arterielle Hyperto-

nie, Rauchen und Hyperlipidämie gestört (12, 32). Durch die periphere Minderperfusion werden vasokonstriktive Mechanismen aktiviert wie das ReninAngiotensin-System (RAS) (6). Bewegungsmangel und Überernährung erhöhen die RAS-Aktivität und senken den Blutfluss (32). Die RAS-Aktivität hat einen wesentlichen Anteil am erhöhten Gefäßwiderstand, verstärkt die arterielle Hypertonie und vermindert den Kollateralblutfluss (32). Eine alleinige, erfolgreiche Behandlung der Stenose kann nicht das Durchblutungsproblem des chronischen pAVK-Patienten beseitigen, das eine große periphere Komponente aufweist. Eine Gefäßdilatation führt bei der chronischen pAVK initial meist nur zu einer Verdopplung der Gehstrecke. Weitere Verbesserungen werden erst in den folgenden Monaten erreicht (28, 35). Muskulatur. Beim erwachsenen Mann beträgt die Muskulatur etwa 40 bis 45 Prozent des Körpergewichtes. In ihrer Gesamtheit ist die Muskulatur damit das größte Organ des Körpers. Die ischämische Toleranzzeit der Skelettmuskulatur ist mit mehreren Stunden wesentlich höher als die der meisten anderen Körpergewebe. Nach wenigen Minuten Ischämie ist die kontraktile Funktion des Skelettmuskels nicht mehr gewährleistet. Die dann notwendige Pause bei Belastung verringert wieder den Sauerstoffverbrauch und erlaubt eine Regeneration des Stoffwechsels der Muskelzelle. Deshalb ist bei pAVK die alterskorrigierte jährliche Amputationsrate mit etwa 0,7 Prozent sehr gering (1). Dies würde bedeuten, dass hier kein wichtiges medizinisches Problem vorliegt. Das ist aber nur scheinbar so. Patienten mit pAVK erreichen, wahrscheinlich aufgrund der körperlichen Inaktivität, auch bei Oberkörperbelastung nur 50 Prozent der Sauerstoffaufnahme von Normalpersonen (30). Die chronische pAVK führt aber auch zu einer Abnahme der Muskelmasse in den betroffenen Extremitäten (11, 12, 32) (Abbildung 1). Dabei sind wichtige Einflussgrößen neben der Inaktivitätshypotrophie aber auch die Minderdurchblutung selbst. Die Autoren konnten zeigen, dass es bei der pAVK zu einer hohen Expressi-

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Abnahme der Faserfläche von schnellen Muskelfasern kommt, die Laktat bilden können (13, 27). Die Autoren konnten zeigen, dass sich das Spektrum der Myosinschwerketten, die die kontraktilen Eigenschaften des Muskels bestimmen, in Abhängigkeit vom klinischen Schweregrad zunehmend zu langsamen Myosinen verschiebt. Im Stadium IV haben vitale Muskelgebiete fast das gesamte schnelle Myosin verloren (33). Bei pAVK finden sich niedrige ATP-Spiegel und eine Glycogenverarmung (16). Dies führt Periphere Durchblutung bei peripherer arterieller Ver- zu einer Vulnerabilität schneller schlusskrankheit (pAVK). Die zirkulatorische Hyperbel Fasern (15). Die schnellen Fabeschreibt die Beziehung zwischen Blutfluss und Persern sind zwar wesentlich kräftifusionsdruck. Der maximale Blutfluss wird bei pAVK überwiegend durch die Stenose bestimmt (obere ger, energetisch aber deutlich Asymptote), während der minimale Perfusionsdruck, aufwendiger, das heißt weniger der noch eine Durchblutung zulässt (Stagnations- effizient als langsame Fasern. druck), im Wesentlichen durch den Widerstand der peri- Das ist ein wichtiger Grund für pheren Gefäßstrombahn bestimmt wird (linke Asymptote). (Modifiziert nach Steinacker et al., Perfusion die Verschiebung zu langsamen 1998; 11: 172–181. Mit freundlicher Genehmigung von Fasertypen oder Myosin-IsoforVerlag Perfusion, Nürnberg) (31). men bei der pAVK (32). Da chronische pAVK die on des Stressproteins HSP70 im Ske- Muskulatur wesentlich betrifft, ist Gehlettmuskel kommt. Bei der pAVK im training in der Therapie auch aus dieStadium II mit der typischen Claudica- sem Grund unbedingt notwendig. tio intermittens sind die Konzentrationen von Stressproteinen besonders hoch. Die Stressproteine sind Indikato- Grundzüge der Therapie ren für einen Ischämie-Reperfusionsschaden (17). Die Bildung dieser Pro- Direkte Ziele der Behandlung sind: > die Hemmung der Progression der teine erhöht aber die Ischämietoleranz des Muskels (18). Weitere Folgen der koronaren Herzerkrankung und der Ischämie sind Calciumüberladung und pAVK, > die Verminderung des (kardialen) Einzelfasernekrosen, die zur Atrophie beitragen (11). Diese Ischämieauswir- Risikos, > die Verbesserung von Belastbarkungen führen auch zu peripheren Nervenschädigungen mit partieller Dener- keit und Lebensqualität. Die Säulen der Therapie im chrovierung von Muskelfasern, die zu einer gewissen Gangataxie bei der pAVK bei- nischen Stadium der pAVK sind die Behandlung der Risikofaktoren der tragen (13, 27). Die Ischämie bei Belastung sollte Arteriosklerose sowie der Begleiternach bisherigem Verständnis zu höhe- krankungen (insbesondere der KHK) ren Laktatspiegeln bei der Belastung und die Verbesserung des peripheren von pAVK-Patienten führen. Dies ist Blutflusses (22). aber nicht so, die maximalen Laktatspiegel bei PAVK sind deutlich niedriger Nichtmedikamentöse Basistherapie (29). Lange Zeit blieb dieser Zusammenhang unverstanden und wurde auf Die Basistherapie umfasst insbesondeniedrigere Muskelmasse und Durchblu- re eine positive Beeinflussung von Risitung zurückgeführt. In den letzten Jah- kofaktoren wie Rauchen und Übergeren konnte nachgewiesen werden, dass wicht, die nichtmedikamentöse Bees bei der pAVK zu einer signifikanten handlung der arteriellen Hypertonie, Grafik 1

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der Hypercholesterinämie und des Stoffwechsels (zum Beispiel Hyperinsulinämie, Diabetes mellitus). Diese Maßnahmen sollten durch tägliches Gehtraining unterstützt werden (22, 24, 31, 36, 38). Rauchen ist der wichtigste Risikofaktor der pAVK. Über 90 Prozent der Patienten mit pAVK geben an, im Verlauf ihres Lebens eine Zeit lang geraucht zu haben. Die Amputationsrate ist bei rauchenden Patienten deutlich höher als bei Nichtrauchern. Die Aufgabe des Rauchens beeinflusst nachweislich die Progredienz der pAVK und der Arteriosklerose (9, 10).

Medikamentöse Therapie Die Prinzipien der medikamentösen Therapie sind an anderer Stelle ausführlich dargestellt worden (12, 31). Positive Langzeiteffekte sind nachgewiesen für die Lipid senkende Therapie mit CSE-Hemmern (1, 12, 23) und die Behandlung der arteriellen Hypertonie, insbesondere für ACE-Hemmer (3, 12, 29, 31). Die Thrombozytenaggregationshemmung mit Aspirin oder Clopidogel ist nur für Patienten mit invasiver Therapie belegt, wird aber allgemein zur Risikosenkung kardialer Komplikationen gegeben (2, 12, 20). Der Hämatokrit sollte zwischen 38 bis 48 Prozent gehalten werden (24). Vasodilatatoren werden zwar häufig eingesetzt, die Studienergebnisse sind aber widersprüchlich (12).

Gehtraining Patienten mit pAVK haben eine deutliche Verminderung der Geh- und Belastungsfähigkeit, selbst bei langsamer Gehgeschwindigkeit. Die reduzierte Belastbarkeit führt zu einer Abnahme von Aktivitäten des täglichen Lebens und damit einer Verminderung der Lebensqualität (26). Die Erhöhung von Belastbarkeit und Lebensqualität sind daher die primären Therapieziele für Patienten mit pAVK (Grafik 2). Die primäre nichtmedikamentöse Therapie für pAVK ist das Gehtraining. Hierzu liegen randomisierte und kontrollierte Studien vor. Die Einzelstudien weisen zwar teilweise kleine Fallzah-

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len auf, insgesamt ist aber der Effekt des Gehtrainings eindeutig belegt (7, 8, 12, 34). Bei 26 analysierten Studien mit 539 Patienten mit PAVK II nahm die schmerzfreie Gehstrecke von 117 auf 282 m zu, das ist ein Zugewinn von 165 m oder 141 Prozent. In einer Metaanalyse wurde ein ähnlicher Effekt auf die maximale Gehstrecke von 179 m berechnet (8). Wenig beachtet, aber bedeutend sind Befunde aus randomisierten Studien, die intensives Gehtraining mit der peripheren Gefäßrekonstruktion oder mit der Angioplastie verglichen haben. Nach einem erfolgreichen Gefäßeingriff nahmen zwar die Beschwerden ab, die Belastungsfähigkeit wurde aber durch körperliches Training gleich gut wie beim Bypass oder deutlicher gegenüber der PTA verbessert (4, 35). Das verwundert nicht, denn körperliches Training greift nicht wie eine klassische Therapie selektiv an einer Organfunktion oder molekularen Struktur an, sondern ist eine therapeutische Maßnahme, die viele Organfunktionen und den gesamten Menschen einschließt (Grafik 2). Der periphere Blutfluss und die Scherkräfte am Endothel sind wichtig für die endogene Vasodilatation und können durch körperliche Arbeit wirk-

sam gesteigert werden. Muskelarbeit ist die wichtigste Maßnahme, um die Endothelfunktion wiederherzustellen und um den peripheren Gefäßwiderstand zu erniedrigen (12, 31, 32, 39). Damit ist mit einem geringeren Perfusionsdruck noch eine Durchblutung der Extremität möglich (Grafik 1). Training wirkt sich nicht oder wenig auf den Druckgradienten wie den Dopplerstaudruck oder auf die Ruhedurchblutung aus, da die Hämodynamik in den großen Gefäßen nicht verändert wird (8, 21, 34). Postulierte und teilweise bewiesene Effekte sind bessere Koordination und Geheffizienz (26, 37), bessere Blutflussdistribution (5, 34), Kollateralisierung und schnellere Reperfusion nach Belastung (34, 23), geringere Ischämieeffekte (34) und verbesserter Stoffwechsel (12).

Umsetzung von Gehstreckentest und Gehtraining

Generell ist ein körperliches Training bei den meisten Patienten mit pAVK indiziert und nur bei Patienten mit Ruheischämie und schweren Begleiterkrankungen kontraindiziert. Wegen der hohen Prävalenz einer signifikanten koronaren Herzerkrankung von etwa 60 Prozent sollte eine entspreGrafik 2 chende Diagnostik vorliegen, die Ruhe-EKG, BelastungsEKG (Handelkurbel- oder Ruderergometer) und Echokardiographie umfasst. Bei stabiler koronarer Herzerkrankung ist ein Training möglich, wobei die kardiale Belastungsfähigkeit die Beanspruchung limitiert (12, 31). Grundsätzlich sollte zu Beginn und begleitend zu einem körperlichen Training eine arterielle Hypertonie, eine diabetische Stoffwechsellage oder eine kardiale Ischämie ausreichend eingestellt und eine bestmögliche periphere Durchblutung hergestellt werden. Ziel ist ein tägliches IntervallGehtraining von 30 bis 60 min (12, 34). Die Belastung ist symptomlimitiert, das heißt es wird Einfluss von Erkrankung, Medikation, Gefäßintervention oder körperlichem Training auf biologische Funk- bis zur Schmerzgrenze gelaufen und dann pausiert. Da der Patitionen, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.

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ent am Anfang oft durch Beschwerden und seine allgemeine Gangstörung schnell frustriert wird, ist der Entschluss zur Teilnahme und darauffolgend die längere Teilnahme an einem solchen Programm häufig schwierig. Deshalb sind eine initiale Schulung und eine wiederholte Kontrolle sehr wichtig (12, 25). Der Erfolg des Trainings hängt erheblich von der Motivation des Patienten ab und kann in einem überwachten Training deutlich gesteigert werden (25). Die Aufnahme in ein ambulantes Rehabilitationsprogramm kann daher eine sinnvolle Hilfe für die Patienten sein (36). Vor Beginn eines Trainings wird der klassische Gehstreckentest mit relativ langsamer Gehgeschwindigkeit auf einem Laufbandergometer mit 12 Prozent Steigung und 3 km/h durchgeführt. Gemessen wird die Laufstrecke bis zum Auftreten von typischen Claudicatioschmerzen und die Laufstrecke bis zum Abbruch wegen Schmerzen oder aus anderen Gründen. Nach 1 000 m wird abgebrochen. Die Beschwerden werden seitengetrennt protokolliert. Der Test kann mit weiteren funktionellen Messungen wie einer Dopplerdruckmessung oder einer transkutanen Sauerstoffpartialdruckmessung verbunden werden (28). Für ein effektives Gehtraining ist die Gehgeschwindigkeit des Gehstreckentestes zu gering. Am effektivsten scheint ein Training mit einer Intensität über der Ischämieschwelle mit etwa 80 Prozent der maximalen Laufgeschwindigkeit zu sein. Die erforderliche Laufgeschwindigkeit ist am Anfang wegen der Gangstörung schwer durchzuhalten. Bisherige Studienergebnisse weisen darauf hin, dass ein schnelleres Gehtempo mit höheren Effekten auf die Gehstrecke einher geht. In der Metaanalyse von Gardner und Poehlmann wirkte ein Training mit einem Abbruch erst bei stärkerem Claudicatioschmerz besser als ein Training nur bis zum ersten Auftreten des Claudicatioschmerzes (relative Gehstrecke + 350 m versus + 105 m) (8). Positiv wirkte sich auch aus, wenn mehr als dreimal wöchentlich mit mehr als 30 min pro Einheit trainiert wurde. Gehtraining hat den größten Effekt auf die Gehstrecke, während

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Krafttraining und allgemeines sportliches Training zwar positive Effekte haben, aber die Gehstrecke weniger deutlich verbessert wird (8, 14). Praktikabel ist eine Steuerung über die Belastungsdauer: Ein Intervall sollte mindestens 5 und maximal 15 min umfassen, bis Beschwerden auftreten, gefolgt von einer 3-minütigen Pause, die je nach Beschwerden auch verlängert werden kann. Die Gesamtbelastung je Trainingseinheit sollte etwa eine Stunde, inklusive der Pausen umfassen: > Beginn bei 6 Prozent Steigung, 4 km/h, > bei Unterforderung (Belastbarkeit > 15 Minuten): – Erhöhung um je zwei Prozent Steigung bis maximal 10 Prozent Steigung – nachfolgend Erhöhung der Laufgeschwindigkeit um je 0,5 km/h, > bei Überforderung (Belastbarkeit < 5 min) – Reduktion der Steigung auf 4 Prozent – nachfolgend Reduktion der Laufgeschwindigkeit um je 0,5 km/h, Für das Selbsttraining der Patienten hat es sich bewährt, ein Training auf einer Strecke mit einer leichten Steigung vorzuschlagen, das nach ähnlichen Prin-

zipien gestaltet sein und ebenfalls eine Stunde umfassen sollte. Jede Verbesserung des Blutflusses nach einer interventionellen Maßnahme wie Angioplastie oder einer operativen vaskulären Rekonstruktion muss nach den Daten der Autoren durch Gehtraining begleitet werden, damit der funktionelle Gewinn der Therapie auch in einen möglichst dauerhaften Vorteil umgesetzt werden kann. Erst durch das körperliche Training wird letztendlich eine funktionelle Wiederherstellung der Mikrozirkulation, der muskulären Kapazität, der Gesamtbelastbarkeit und damit der Lebensqualität erreicht. Manuskript eingereicht: 9. 7. 2002, revidierte Fassung angenommen: 24. 7. 2002

❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2002; 99: A 3018–3025 [Heft 45] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Jürgen M. Steinacker Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin Medizinische Klinik und Poliklinik Universitätsklinikum Ulm 89070 Ulm E-Mail: [email protected]

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Maßnahmen bei Refluxlaryngitis Die Prävalenz der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) bei Patienten mit laryngo-pharyngealen Erkrankungen ist wahrscheinlich größer als bislang angenommen. Die Autoren führten eine prospektive Studie bei 26 Patienten mit posteriorer Laryngitis durch; 19 wiesen ein Erythem und Ödem der interarytaenoidealen Region auf. Zusätzlich wurde eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und eine pH-Metrie durchgeführt. Eine Refluxkrankheit fand sich in 43 Prozent, eine Hiatushernie in 43 Prozent und eine Helicobacter-pylori-positive Antrumgastritis in 23 Prozent. Unter einer medikamentösen Antirefluxtherapie beziehungsweise Eradikation von Helicobacter pylori kam es in 90 Prozent zu einem Verschwinden der laryngo-pharyngealen Symptome beziew hungsweise der Laryngitis. Tauber S, Gross M, Issing WJ et al.: Association of laryngopharyngeal symptoms with gastroesophageal reflux disease. Laryngoscope 2002; 112: 879–886. Dr. W. J. Issing, Abteilung für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Ludwig-Maximilians-Universität München, Marchioninistraße 15, 81377 München, E-Mail: [email protected]

Referiert

Kombinationsbehandlung bei nächtlichem Säuredurchbruch ohne Nutzen Da einige wenige Patienten unter einer Protonenpumpenblocker-Therapie (PPI) nicht beschwerdefrei werden, ist von amerikanischen Autoren vorgeschlagen worden, um nächtliche Säureattacken zu blockieren, zusätzlich einen H2-Blocker einzusetzen. Die Autoren führten deshalb bei 23 gesunden Freiwilligen und 20 Refluxpatienten pH-Messungen im Magenfundus und 5 cm oberhalb des unteren Ösophagussphinkters durch. Zunächst erhielten die Patienten zwei Wochen lang zweimal täglich 20 mg Omeprazol vor den Mahlzeiten, dann über 28 Tage Protonenpumpenblocker plus H2Blocker (Ranitidin 300 mg) zur Nacht.

Nur am ersten Tag war die Kombination PPI plus H2-Blocker der Monotherapie signifikant überlegen, was pH-Werte unter 4 in liegender Position betraf. Nach einer und nach vier Wochen war kein Unterschied mehr nachweisbar, da es offensichtlich innerhalb kurzer Zeit zu einer Toleranzentwicklung der Belegzelle gegenüber H2-Blockern w kommt. Fackler WK, Ours TM, Richter JE et al.: Long-term effect of H2RA therapy on nocturnal gastric acid breakthrough. Gastroenterology 2002; 122: 625–632. Joel E. Richter, M. D., Department of Gastroenterology, A30, Cleveland Clinic Foundation, 9500 Euclid Avenue, OH 44195, USA, E-Mail: [email protected]

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Berichtigung In dem Beitrag „Harninkontinenz im Alter“ von Goepel et al., erschienen in Heft 40 vom 4. Oktober, wurde irrtümlich der Begriff „Kolpographie“ verwandt. Die korrekte Bezeichnung lauMWR tet hingegen „Kolporrhaphie“.

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