Nach der bald ein Jahrhundert dauernden

April 2016 Sonderausgabe Nr. 2 Freie Hochschule für Geistes- wissenschaft Goetheanum-Welt-Konferenz 2016 27. September bis 1. Oktober 2016 Wor...
Author: Kristina Schmid
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April 2016 Sonderausgabe Nr. 2





Freie Hochschule für Geistes- wissenschaft Goetheanum-Welt-Konferenz 2016 27. September bis 1. Oktober 2016

World Conference Conferencia Mundial Welt-Konferenz Zu dieser Sonderausgabe



Auf der Jahrestagung der All­ gemeinen Anthroposophischen Gesellschaft gaben die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe für die Goetheanum-Welt-Konferenz Beiträge, die das Anliegen dieser Konferenz illustrieren. Diese Bei­ träge werden hier dokumentiert und weitgehend im Stil der münd­ lichen Rede belassen.

Constanza Kaliks S. 1 Goetheanum-Welt-Konferenz: Gesichtspunkte und Kontext Christiane Haid S. 2 Leben mit der Grundsteinmeditation Ueli Hurter S. 4 Aktuelles Verständnis der Sektionsarbeit S. 6 Paul Mackay Aufgabe der Anthroposphischen Gesellschaft S. 8

Christiane Haid, Ueli Hurter, Constanza Kaliks, Paul Mackay Programm der Goetheanum-Welt-Konferenz

Goetheanum-Welt-Konferenz: Gesichtspunkte und Kontext

Mensch und Zeitanforderungen entsprechend Die Goetheanum-Leitung möchte ermöglichen und fördern, dass die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft, die Anthroposophische Gesellschaft und die Lebensfelder als organisch zusammengehörende Bereiche in ihren Aufgaben erfasst werden und sich durch ihr gegenseitiges Verhältnis bekräftigen.

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ach der bald ein Jahrhundert dauern­ den Entwicklung anthroposophischer Ini­tia­tiven ist die Wirklichkeit der gegen­ seitigen Verbundenheit von Hochschule, Gesellschaft und Lebensfeldern sicht­ barer und wirksamer zu gestalten. Die Lebensfelder haben sich weltweit mit den Aufgaben und Herausforderungen vor Ort verbunden. Die Anthroposophische Gesellschaft wirkte zwar vielfach durch ihre Mitglieder impulsierend in der Gründ­ ung von Insti­ tutionen, aber diese ent­ wickelten sich dann oft nur mit einer losen Verbindung zur Anthroposophischen Gesellschaft weiter. Die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft wird oftmals al­ lein mit der Arbeit an den Klassenstunden, die Rudolf Steiner ihr als Grundlage zu ein­ er zeitgemäßen Menschenerkenntnis gab, gleichgesetzt  – ihre Aufgabe als Erkennt­ nisort für eine Wissenschaft des Mensch­ lichen, die auf Geist­erkenntnis fundiert ist, trat aber vielfach in den Hintergrund. Die Goetheanum-Leitung hat begon­ nen, daran zu arbeiten, diese Bereiche in ihrem gegenseitig sich befruchtenden Verhältnis zu verbinden. Es seien hier drei Beispiele dieses Vorhabens genannt:

Das Jahresthema ist ein Vorschlag der Goetheanum-Leitung für die anthropo­ sophische Bewegung weltweit: In Zwei­ gen, Gruppen und individuell kann die Anregung aufgenommen werden. Mit ihm kann die Aufmerksamkeit auf ein bestimm­ tes Gebiet von Gegenwartsfragen gerich­ tet werden. Für die Goetheanum-Leitung ist das Jahresthema – gemeinsam mit den Generalsekretären entwickelt – zu einem wichtigen Bestandteil und zentralen Oku­ lar für die Arbeit geworden. Für 2016/­­17 heißt das Thema ‹Welt­ verwandlung und Selbsterkenntnis im An­ gesicht des Bösen› (‹Anthroposophie weltweit› Nr. 1–2/2016): Die Gegenwart fordert auf, die Weltverbundenheit, die Be­ jahung der Wirklichkeit, in die wir uns stel­ len und aus der wir verwandelnd handeln, in und aus der Auseinandersetzung mit dem Bösen zu gestalten – sowohl um uns wie auch in uns selbst. Das schafft eine ver­ änderte Bewusstseinsgrundlage für alle Bereiche des Handelns in einer Welt, in der Gewalt und Zerstörung ständig präsent und wirksam sind. So stellt sich heute je­ dem die Frage nach einem aktiven Umgang mit diesen Kräften. Das Jahres­thema kann

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zu einem bewusstseinsverbindenden Ele­ ment zwi­schen Menschen werden, indem eine solche Teilhabe an den Gegenwarts­ fragen zur Grundstimmung anthropo­ sophischer Arbeit wird. Ein weiteres Beispiel ist die Entwick­ lung der Freien Hochschule für Geistes­ wissenschaft. Unter anderem war es für die Goetheanum-Leitung ein wichtiger Schritt, sich ein Bild von den Fragen und Themen zu machen, die in den verschie­ denen Sektionen dieser Hochschule seit ihrer Gründung erforscht wurden. Für alle Sektionen liegt nun ein Ergebnis dieser Untersuchung mit interessanten, zum Teil überraschenden Tatsachen vor. Diese Standortbestimmung zeichnet ein Bild der Gesamtheit der Hochschule und ihrer Entwicklung seit über 90 Jahren. Sie wird im Sommer 2016 als Buch im Verlag am Goetheanum erscheinen. Als letztes Beispiel sei die Goethe­anumWelt-Konferenz im September 2016 genannt. Nach dem Prinzip ‹Menschen sehen Menschen› lädt die GoetheanumLeitung weltweit Menschen ein, die sich mit und aus der Anthroposophie mit den Herausforderungen der Gegenwart aus­ einandersetzen. Mit ihnen möchten wir versuchen, immer deutlicher zu erkennen, welche Schritte unternommen werden können, sodass 2024 – 100 Jahre nach der Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft – die Geistes­ wissenschaft Rudolf Steiners, den Bedürf­ nissen der Menschen und den Fragen der Zeit entsprechend, kräftiger und Zukunft ermöglichend in der Welt stehen kann. Wir freuen uns, weitere Vorschläge für Teilnehmer zu erhalten, die stell­­ver­ tretend für so viele, die weltweit aktiv sind, zur Konferenz eingeladen werden könn­ ten: Menschen, die gemeinsam mit der Goetheanum-Leitung weitere Schritte für eine zeitgerechte Entwicklung der anthro­ posophischen Arbeit gestalten möch­ten. Wie kann die anthroposophische Ar­ beit dem Menschen gerecht und den Zeitforderungen entsprechend heute gestal­tet werden? Das ist eine Frage, die immer erneut gestellt werden muss. Eine Fülle von Erfahrungen – durch fast ein Jahrhundert hindurch gewonnen – sowie die immensen Herausforderungen der Gegenwart bilden die Grundlage für die Entwicklungen, die aus der Zukunft auf­ gegriffen werden möchten und die wir verstehen, begleiten und ermöglichen wollen. | Constanza Kaliks

Leben mit der Grundsteinmeditation

Selbsterkenntnis in der Bewusstseinsseele Mit der Anrufung ‹Menschenseele!› und der Aufforderung zu üben, ermöglicht die Grundsteinmeditation dem Menschen, sich selbst in seinem Verhältnis zur Welt zu erkennen. Im Wechsel zwischen Kontemplation und aktiver Betätigung geht es darum, sich aus dieser neuen Gestimmtheit dem Weltsein liebend zuzuwenden.

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erne möchte ich versuchen, etwas anzusprechen, was wir mit Ihnen in der Vorbereitung der Goetheanum-WeltKonferenz teilen und womit wir zugleich in einem über 90-jährigen Geschichts­ strom leben, auch durch schwere Zeiten hin­durch. Es ist die dreimalige Anrufung: «Menschenseele!», in der wir uns mit dem Grundsteinspruch verbinden können. Im Hinblick auf die Vorbereitung der Konferenz ist der Grundsteinspruch für die Goethe­ anum-Leitung ein wesentliches Funda­ ment, das wir in der Tagesgestaltung auf­ greifen, indem die drei Anrufungen «Übe Geist-Erinnern», «Übe Geist-Besinnen» und «Übe Geist-Erschauen» als geistige Grund­ stimmung die einzelnen Tage durchziehen. Mit dem Grundsteinspruch ist ver­ bunden, was in der Generalversammlung 2016 schon von Gerald Häfner angespro­ chen wurde: die Dreigliederung des Men­ schenwesens – sie gibt es, sie ist da. Den­ noch war, was Rudolf Steiner 1923 mit dem Grundsteinspruch in Worte fassen konnte, das Ergebnis einer 30-jährigen Forschung und – wie er ausführt – eine Erkenntnis, die er den Kriegsstürmen abgerungen hatte und erst langsam in Sprache zu fassen vermochte. Uns tritt in seinen Worten ein sprach­ liches Kunstwerk entgegen, das so gestal­ tet ist, dass wir uns als Menschenwesen in einer dreifachen Art in die Welt hinein

gestellt sehen. Übend, diese Ausrichtun­ gen immer wieder neu zu beleben, können wir uns als kosmisch-menschliches Wesen im Weltzusammenhang erfahren lernen. Die Art und Weise des Sich-selbst-Erken­ nens ändert sich im Laufe der Mensch­ heitsgeschichte. In Griechenland hatte sie noch einen anderen Charakter als in unse­ rem Zeitalter der Bewusstseinsseele, das 1413 begann. Dort war die mensch­liche Selbsterkenntnis im Spruch im Tempel zu Delphi «Erkenne dich selbst» vollkommen ausgeschöpft. In der Bewusstseinsseele muss, wie Rudolf Steiner entwickelt, diese Erkenntnis auf dreifache Art – auf die leib­ liche, seelische und geistige Wesenheit des Menschen – ausgedehnt werden.

Der Vater-Grund Der Grundsteinspruch eröffnet eine Selbsterkenntnis, die einen fortwähren­ den Prozess der inneren Organbildung an­ regt, in dem wir uns als ein dreigliedriges Wesen in drei Weltbereichen – der Tiefe, dem Umkreis und der Höhe – gewahr werden. In einer ersten Ausrichtung bli­ cken wir auf die Vater-Welt, in der wir un­ ser Sein als Gliedmaßen-Mensch erfahren. Die Gliedmaßen kommen uns als jüngste Bildungen unserer Leiblichkeit gleichsam aus dem Raum des Kosmos entgegen und befähigen uns, den Erden-Raum zu er­ greifen, uns im Raum zu betätigen, ja den

Menschenseele! Du lebest in den Gliedern, Die dich durch die Raumeswelt In das Geistesmeereswesen tragen: Übe Geist-Erinnern / In Seelentiefen, Wo in waltendem / Weltschöpfer-Sein Das eigne Ich / Im Gottes-Ich / Erweset; Und du wirst wahrhaft leben Im Menschen-Welten-Wesen.

Menschenseele! Du lebest in dem Herzens-Lungen-Schlage, Der dich durch den Zeitenrhythmus Ins eigne Seelenwesensfühlen leitet: Übe Geist-Besinnen / Im Seelengleichgewichte, Wo die wogenden / Welten-Werde-Taten Das eigne Ich / Dem Welten-Ich / Vereinen; Und du wirst wahrhaft fühlen Im Menschen-Seelen-Wirken.

Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen In den Weltentiefen Sein-erzeugend: Ihr Kräfte-Geister Lasset aus den Höhen erklingen, Was in den Tiefen das Echo findet; Dieses spricht: Aus dem Göttlichen weset die Menschheit. Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd: Menschen mögen es hören.

Denn es waltet der Christus-Wille im Umkreis In den Weltenrhythmen Seelen-begnadend. Ihr Lichtes-Geister Lasset vom Osten befeuern, Was durch den Westen sich formet; Dieses spricht: In dem Christus wird Leben der Tod. Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd: Menschen mögen es hören.

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Anthroposophie weltweit • Goetheanum-Welt-Konferenz 2016  April 2016  |  3

Raum zu gestalten. Hier wird uns auch die Belebung durch die Weltengeister zuteil. Wir empfinden, wie sie uns in die­sem Gliedmaßen-Menschsein unterstüt­ zen und tragen. Es ist die allwaltende Menschenliebe, durch die wir die Kraft er­ halten, uns tätig in die Welt hineinzustel­ len und die Erde langsam zu verwandeln. Sie verleiht uns die Aufrichtekraft, durch die wir im Vater-Grund des Seins unmit­ telbar leben können. Das ist kein Vorgang, den man «einmal erkannt, dann besitzt», sondern es ist eine innere Betätigung, die in fortwährendem Üben immer mehr zu einem Zusammenklang mit dieser Wesens­tätigkeit der Vaterwelt führt, zu ih­ rem Erleben und mehr und mehr zu ihrem bewusstseinsmäßigen Durchdringen.

Die Sohnes-Sphäre Die Schicht des Geist-Besinnens bringt uns mit einer ganz anderen Sphäre in Verbindung – es ist der Umkreis, die Weite. In unserem Selbsterleben kommen wir in diesem zweiten Bereich an den Übergang zwischen innerer und äußerer Welt her­ an. Hier spielen sich die feinen Wechsel­ wirkungen zwischen Herz und Lunge ab, der Übergang zwischen Luft- und Flüssig­ keitsprozessen. Wir erleben uns mit unse­ rem Wesen an der Grenze zwischen unse­ rem Leib und der Außenwelt: Wir nehmen die Luft in uns hinein. Sie ist das Element, das uns erfrischt und belebt. Das hat Aus­ wirkungen auf unseren gesamten Flüssig­ keits- und Blutorganismus. Wir erleben hier eine Welt des Fließens, des Hin- und Her­ webens, der Teil eines jahrtausendealten Rhythmus ist; Rudolf Steiner spricht von Äonen. In diesem fortwährenden rhyth­ mischen Element leben wir und haben

Teil daran. Durch den Grund­ steinspruch kommen wir in eine andere Dimension des Erlebens. Wir erfahren, dass wir in einem Weltenrhythmus leben, und sind damit Teil eines großen Atemprozesses, den uns ein Wesen ermöglicht, dessen Lebenselement der Umkreis der Erde ist. Es ist die Welt des Sohnes, der auch unsere Schicksalszusam­ menhänge gestaltet, wo wir wie fühlend wahrnehmen können, wie wir in diesem Puls- und Weltenschlag darinnen leben und durch seine Gnade getragen werden.

Die Geistes-Welt Die dritte Perspektive, die wir als Übende ergreifen können, ist eine, die uns mit der Höhe verbinden kann, wenn wir für sie erwachen. Hier hängt alles von unserer Initiative ab, ob wir uns durch Willenskraft mit dem Geist verbinden können. Dafür müssen wir die älteste Gabe, unser Haupt, das die Prägungen der Vergangenheit und die Tendenz zur Abkapselung zeigt, die Neigung, sich in sich einzuspinnen, für die Herzenswärme öffnen, die ihm aus der Mitte unseres Wesens entgegenströmt. So vermag sich das Haupt für die Welt der Gedanken, die Sphäre der Weltgedanken – die wir zuneh­mend als etwas erleben ler­ nen, das uns zukommt – zu öffnen. Weltgedanken sind nicht das, was gewöhnlich wie von selbst in unserem Kopf als die subjektiv gespiegelte Vor­ stellungswelt entsteht. Wenn wir uns innerlich frei und rein für die Welt des Geistes zu öffnen vermögen, treten uns die Weltgedanken, die wir empfangend in uns aufnehmen, als lebendige Wesen entgegen. Sie werden zunehmend Teil un­ serer Wesenheit, durch die wir den Geist in der Welt wirksam werden lassen.

Grundstein der Liebe Das sind drei Blickrichtungen in Wesens­ bereiche, die in unseren Vorbereitungen für die Michaeli-Welt-Konferenz leben und von denen wir uns erhoffen, dass wir uns mit der Tagungsgemeinschaft und eben­ so wesentlich mit den Menschen, die an dieser Konferenz – wenn auch nicht phy­ sisch, so doch geistig – teilhaben werden, in dieser Arbeit am dodekaedrischen Liebes­stein in einer Gemeinschaft wissen können. Es ist damit ein Zusammenwirken angesprochen, das seine Einheit in der Konstituierung des inneren Menschen fin­ det. Jeder ist in diesem Sinne am inneren Bau der Anthroposophischen Gesellschaft mit beteiligt, in der Arbeit an dem Stein, an dem jeder von uns durch sein inneres Leben baut, sodass wir in Zukunft dazu kommen mögen, tatsächlich diese Stei­ ne so zusammenzufügen, das daraus ein Bau entstehe. Von der anderen Seite aus gesehen können wir uns als Gemein­ schaft im Einsenken des dodekaedrischen Liebessteines – wie Rudolf Steiner es zur Begründung der Gesellschaft 1924 aus­ spricht – in unsere Seelen mehr und mehr als eine Einheit erleben lernen, die sich zu einem tätigen und praktischen Wirksam­ werden in der Welt befähigt. Das meditative Leben ist dann keines, das als etwas von der Welt abgezogenes stattfindet oder durch das der Einzelne an seinem In-der-Welt-Sein leidet, sondern das im Wechsel zwischen Kontemplation und aktiver Betätigung im Weltgesche­ hen uns immer mehr befähigt, in dieses Weltsein liebend einzutauchen und es zu gestalten, angesichts der großen Heraus­ forderungen, vor die uns unsere Zeit heute stellt. | Christiane Haid

Menschenseele! Du lebest im ruhenden Haupte, Das dir aus Ewigkeitsgründen Die Weltengedanken erschließet: Übe Geist-Erschauen / In Gedanken-Ruhe, Wo die ew’gen Götterziele / Welten-Wesens-Licht Dem eignen Ich / Zu freiem Wollen / Schenken; Und du wirst wahrhaft denken In Menschen-Geistes-Gründen.

In der Zeiten Wende Trat das Welten-Geistes-Licht In den irdischen Wesensstrom; Nacht-Dunkel / Hatte ausgewaltet; Taghelles Licht / Erstrahlte in Menschenseelen; Licht, / Das erwärmet Die armen Hirtenherzen; Licht, / Das erleuchtet Die weisen Königshäupter.

Denn es walten des Geistes Weltgedanken Im Weltenwesen Licht-erflehend. Ihr Seelen-Geister Lasset aus den Tiefen erbitten, Was in den Höhen erhöret wird: Dieses spricht: In des Geistes Weltgedanken erwachet die Seele. Das hören die Geister in Ost, West, Nord, Süd; Menschen mögen es hören.

Göttliches Licht, Christus-Sonne, Erwärme / Unsere Herzen; Erleuchte / Unsere Häupter; Dass gut werde, Was wir Aus Herzen / Gründen, Aus Häuptern führen / Wollen.

4 |  Anthroposophie weltweit • Goetheanum-Welt-Konferenz 2016  April 2016

Aktuelles Verständnis der Sektionsarbeit

Wenn wir das lesen, dann ist da nicht an­ geschrieben, was für den Praktiker ist und was für den inneren Weg. Das ist dasselbe. An einem gewissen Punkt, wo Rudolf Anthroposophie ist Praxis oder sie ist nicht. Für die Sektion für Landwirt­schaft zeigt Steiner zu den Landwirten spricht, die sich dies unter anderem in der unmittelbar sinnlichen Beziehung zum ‹Mist›, durch im Wesentlichen noch Abkömmlinge die das Irdische durch das Geistige vertieft und die ‹Tiefenschule› zur Hochschule des Land­ a dels gewesen sind, also Grafen geläutert wird: Michaelschule und Rosenkreuzerschule durchdringen sich. und Freiherren, da sagt er: «Es ist gut, wenn sie ein persönliches Verhältnis ha­ Gibt es das: Anthroposophie ohne ir haben uns vorgenommen, den ben namentlich zum Dünger, mit dem Anwendung und angewandte Anthropo­ von Constanza Kaliks skizzierten Ar­ sie arbeiten.» Hören Sie da mal hinein! sophie? Kann man da einsteigen? Das beitsstrom aus der Goetheanum-Leitung Ist das jetzt eine soziale Angabe, dass der kann man denken, aber dann ist man in an gewissen Beispielen nun konkreter zu Graf mal von seinem Pferd runtersteigen einem abstrakten Denken. Aber wenn man machen. Damit soll nicht auf die program­ soll, um den Mist anzuschauen und drinsteht, dann müsste man aus meiner matische Gestaltung der Goetheanumnicht nur die Erfahrung formuli­ Welt-Konferenz im Herbst eingegangen Knechte arbe­ eren: «Es gibt keine werden, sondern ich möchte aus dem «Es gibt keine nicht iten zu lassen? Ist nicht angewandte Arbeitsstrom der Sektionsarbeit einzelne das eine prakAnthroposophie.» Fäden zum Aufleuchten bringen. angewandte Anthroposophie.» ­tische An­gabe, Anthrop osophie Aus meiner Situation – ich bin in die Anthroposophie ist Anwendung, dass der Mist ein ist Anwendung, Sektionsarbeit aus der Landwirtschaft Anthroposophie ist Praxis. guter Dünger An­t hrop osophie hinein­gekommen und war ursprünglich wird? Oder ist ist Praxis. Müssten weniger in der Anthroposophischen Ge­ dieses persön­ wir nicht zu der sellschaft und der Arbeit der Ersten Klasse liche Verhältnis eine eso­terische Anga­be? Formulierung kommen, dass wir sagen: verankert – ergibt sich heute die Notwen­ Da können wir auswählen, aber wir kön­ Das Lebens­feld ist das Arbeitsfeld, und digkeit, einen neuen Blick auf die Sek­ nen auch versuchen, alle drei in einem zu dieses ist zugleich das Sektionsfeld? Dann tionen zu werfen. Ich glaube, es geht nicht hören. wäre die Sektion nicht mehr nirgends, nur um einen neuen Blick, sondern wir sondern sie hätte eine deutliche Anbin­ müssen etwas grundsätzlich neu setzen. Vom Abfall zum Dünger dung, ein Feld der Wirksamkeit, wenn Mit ‹setzen› meine ich ‹neu denken›, ‹neu nicht sogar ein Feld schöpferischer Ge­ erkennen›, um dann daran unser Fühlen Dünger ist für uns ja Mist, und Mist staltung in dem Gebiet, in dem Anthropo­ und Handeln zu orientieren. Mit ‹neu› ist ist Abfall. Wenn die Kuh Milch gibt, sophie in der Praxis ist und lebt, also nicht hier nicht ein verquerer Versuch gemeint, die verkaufen wir Ihnen als Konsumen­ nur ‹angewandt› wird. Daran schließt sich etwas zu erneuern, was an sich schon neu ten. Das ist Demeter-Milch, für die wir die Frage an, ob in diesem Sinne die Hoch­ ist, sondern es geht um ein Aktualisieren nach einer Anregung von Eduard Willa­ schule selbst auch Praxis ist. Da kann man für die jetzige Situation, für unsere Gene­ reth einen Cent erheben sollen, um das ja nicht sofort deutlich Antwort geben, ra­tion. Goetheanum zu finanzieren. Die ist dann aber ich möchte diesen Frageraum auf­ schon weg vom Hof, das ist auch gut so, Anthroposophie ist Anwendung machen. wir könnten auf dem Hof gar nicht so viel Milch ge­brauchen. Wenn wir gewohnheitsmäßig sagen, Für Esoteriker, Praktiker und sozial Aktive Dann habe ich aber noch den Mist wir haben erstens die Hochschule, zweit­ der Kuh, den Kuhfladen. Das ist, vom ens die Gesellschaft und drittens die Ich kann an einem Beispiel meiner Sek­ Wirtschaftlichen her gesehen, der Abfall, Lebens­felder, dann bleibt die Frage: Wo tion für Landwirtschaft aus dem Konkre­ den niemand will. Wenn ich den verpacke, sind denn die Sektionen angesiedelt? Es ten sprechen. Wie ist diese Praxis auch dann kaufen Sie das bestimmt nicht. Das gibt ein sehr verbreitetes Verständnis, die Anthroposophie, wenn die Anthroposo­ behält der Bauer selbst. Dann hat er auch Hochschule mit der Ersten Klasse gleich­ phie diese Praxis ist? Wenn wir die geistige das Stroh – wieder Abfall, denn auch das zusetzen. Blicken wir von da aus auf die Substanz, die Impulssubstanz nehmen, Korn hat er Ihnen verkauft, weil Sie Brot Gesellschaft, so haben die Sektionen auch dann ist das für unsere Sektion dasjenige, essen wollen. (Vielleicht können wir da hier keinen Platz – und in den Lebens­ was im sogenannten ‹Landwirtschaft­ auch noch einen Cent erheben?) Aber das feldern ebenso wenig. lichen Kurs› (GA 327) kondensiert ist. Also Stroh wollen Sie ja auch nicht, das ist leer­ Folgen wir diesem Bild, dann hätten wir in dem, was wir aus der Geistesforschung gedroschen. Auch das behält der Bauer. Er die Situation – und vielleicht denken und von Rudolf Steiner haben. Wir sind ja in bringt diese beiden Abfälle zusammen, fühlen wir eben doch noch so –, dass wir der glücklichen Lage als Landwirte, dass den Fladen und das Stroh, so entsteht der auf der einen Seite die Hochschule mit der wir nur ein Buch haben. Wir sind auch in Misthaufen, der durch sorgfältige Pflege Ersten Klasse haben (da ist dann gleich­ der glücklichen – vielleicht auch unglück­ ein ganz wertvoller Dünger werden kann. sam die Anthroposophie), und auf der lichen Lage –, dass die Stenogramme weg Damit ist man in der Abfallbewirt­ anderen Seite ist das Lebensfeld (da wäre sind, wir haben sie nicht. Glücklich oder schaftung. Und in dem Moment sagt also die angewandte Anthroposophie, so unglücklich – Tatsache ist, wir haben ein Rudolf Steiner: Entwickeln Sie dazu ein sagen wir das zum Teil auch). Ich glaube, Buch und das ist sozusagen für die Eso­ persönliches Verhältnis. Was heißt denn das ist falsch. Damit kommen wir nicht teriker, die Praktiker und die sozial aktiven ‹ein persönliches Verhältnis›? Das heißt weiter. Das ist nicht aktuell. Menschen dasselbe. Da ist alles darin.

Quellende Anthroposophie

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Anthroposophie weltweit • Goetheanum-Welt-Konferenz 2016  April 2016  |  5

ganz konkret: Riechen Sie. Weil das Organische die Tendenz hat, «in sich zu riechen», das heißt: zu stinken. Die Teil­ nehmer damals waren eben noch noble Menschen, darum drückt sich Steiner entsprechend aus. Stellen Sie sich vor, jetzt muss sich je­der mit seiner Nase dem Mist zuwenden, um dieses persönliche Verhältnis zu entwickeln. Auf der einen Seite habe ich nun mein­ en Mist, der mehr oder weniger riechen oder in sich riechen kann – und ich rieche den Charakter, das Stadium, in dem er sich befindet. Auf der anderen Seite habe ich das persönliche Verhältnis zu diesem Vor­ gang. Das ist nicht die reine verobjektivie­ rende oder messbare Wahrnehmung, sondern mit diesem Vorgang ist die ganze Person verbunden. Der konkrete Bauer auf seinem konkreten Hof mit seinem ganz besonderen Mist und dem Geruch dieses Mistes. Die Person, die vielleicht Anthro­ po­­sophie studiert. Vielleicht in der Ersten Klasse ist. Diese Person riecht jetzt hinein in das­jenige, was organisch vor sich geht.

Es geht also nicht so sehr darum, «die kann. Ein Bereich, wo es eben nicht nur Idee in der Wirklichkeit wiederzufinden», um Quantität, sondern auch um Qualität sondern die Idee in der Wirklichkeit zu geht. Für den Landwirt geht es darum, verlieren, um die Wirklichkeit so zu ent­ das Optimum an Stickstoffkonzentra­ tion herauszuriechen und, vom Geruch decken, dass sie ideendurchwirkt oder aus­gehend, zu handeln. Das ist auf dem geistdurchwirkt ist. Das ist der Weg, der je­-wei­ligen Hof individuell für den Einzel­ zu dem gehört, was ich als Hochschule der nen das, was die ‹Geisteswissenschaft­ Sektionen ansprechen möchte. lichen Anga­ ben zum Gedeihen der Zurück zum Ganzen Landwirtschaft›, so der Titel des ‹Land­ wirtschaftlichen Kurses› von Rudolf Wie kommt dann das Einzel-Erkennt­ Steiner, bewirken können. nis-Erlebnis wieder ins Ganze? Wenn wir In diesem Sinne können Sie sich jetzt hier aus den Sektionen heraus Tagun­ gen machen, ist es nicht mehr wie früher vorstellen, wenn Sie bei Ihrem Mist sind so, dass man aus und in dieser Weise dem sogenannten riechen, wo dann Im Großen gesprochen ist ‹Praxisfeld› kommt die Hochschule ist: dies die Begegnung und Durch- und hier sozusagen Ist das nicht eine aus Geisterkennt­ Tiefenschule? Und dringung der Michael­schule nis inspiriert wird, ich möchte fragen: mit der Rosenkreuzerschule. Gehört diese Tief­ sondern man kom­ enschule nicht un­ mt aus der Tiefen­ schule und läutert sie zur Hochschule. Wenn bedingt zur Hochschule dazu? Das ist nicht jedes Jahr hier 20 bis 30 Menschen von ‹an­ gewandte› Anthroposophie, das ist den 700 Teilnehmenden aus der soge­ quellende, originäre, lebendige Anthropo­ nannten Peripherie, die für sie das Zentrum sophie. Verbindung mit Stickstoff und Schwefel ist, als Beitragende kommen, dann kommt Die beiden Quellen der Sektion Was beim Riechen hauptsächlich wahr­ man an die Peripherie ans Goetheanum, Ich meine, es gibt in dieser Art von Ar­ genommen wird, was stinken kann, sind nicht um einfach einen Praxis­bericht zu ge­ beiten eine Quelle der Anthroposophie, die ben, sondern um das Erlebte zu läutern  – die Pro­zesse von Stickstoff und Schwefel. man in einer gewissen Weise – vielleicht dass man von demjenigen, was man Da wird also hineingerochen in die Geistig­ keit des eigenen Betriebes, weil der Stick­ in den ‹mistigen Umständen des Lebens› ist das jetzt sehr gewagt gesagt – in ein stoff der Träger der astralisch-empfind­erlebt hat, beziehungsweise von allem, Verhältnis zur Quelle der Anthroposophie ­lichen Geistigkeit im was in unserer Zivilisation scheinbar Abfall setzen kann, wie eigenen Betrieb ist. ist, was in solcher Art von persönlichem sie Rudolf Steiner Da wird also hineingerochen Das kommt heraus Verhältnis durchlitten und durchdrungen eröffnet hat. Diese in die Geistigkeit des eigenen beim Riechen und worden ist und in intensiver Vorbereitung beiden Quellen ste­ hen in einem Ver­ wird zum Ideenkos­ läutert, um davon am Goetheanum eine Betriebes, weil der Stickstoff mos zusammenge­ hältnis. Dazwischen Dar­stellung zu geben. Dann kommt die der Träger der astralisch-­ bracht, den der spannt sich die Di­ Geistsubstanz, die von hier ausgegangen empfindlichen Geistigkeit mension, die Quali­ Landwirt aus dem ist, ans Goetheanum zurück und wird wie neu gestiftet. tät desjenigen, was ‹L andwir tschaf t­ im eigenen Betrieb ist. Dieses Atmen zwischen dem Verlie­ ich Sektion nennen lichen Kurs› in sich ren der Geistsubstanz in der Praxis, in der möchte. Sodass Sek­­trägt. tion nicht einfach so ein Gemisch ist von Wirklichkeit, die sich durch den geistig Der Stickstoff ist die entscheidende ein bisschen Geist und ein bisschen Praxis, suchenden Landwirt der Geisterkennt­nis Stofflichkeit in der Landwirtschaft. In sondern dass zwei Quellen sich je­weils be­ entsprechend erweist, und diese Geist­ dem Moment, als man entdeckt hat, dass fruchten. erkenntnis wieder ans Goetheanum die Pflanze Stickstoff aufnehmen muss, Zur Veranschaulichung nochmals ein zurückzubringen, dieser Atem zwischen und man ihn synthetisierte, liegt der Be­ ginn der industriellen Landwirtschaft. Bild aus der Landwirtschaft: Der Samen, den beiden Polen, das wäre das Leben Das war der Grund, warum die Landwirte vielleicht auch der Geistsamen, hat ja für der Sektionen. Im Großen gesprochen ist Rudolf Steiner gebeten haben, den ‹Land­ sich keine Lebensfähigkeit; er braucht dies die Begegnung und Durchdringung wirtschaftlichen Kurs› zu geben. den fruchtbaren Boden. Wenn der Samen der Michael­schule mit der Rosenkreuzer­ schule. In dieser Weise suchend, aber auch Jetzt heißt es nicht: Den Stickstoff nicht auf den fruchtbaren Boden gesät sich einsetzend für eine neue Ak­tualität, schauen wir nicht an, stattdessen machen wird, wächst nichts. Umgekehrt wächst das ist ein Strom, der in der Goethe­ wir irgendwelche ‹geistigen› Dinge ohne auf frucht­barem Boden ohne Samen nur anum-Leitung lebt und den wir mit allen Stickstoff, sondern Rudolf Steiner leitet Unkraut. Diese beiden müssen also zuein­ anderkommen, wenn sich ein neuer Leben­ Menschen, die dann da sein werden an an, wie man mit der Nase – also durch ein szyklus daran anschließen soll, aus dem he­ der Michaeli-Konferenz, bearbeiten wol­ persönliches Verhältnis – in die Sphäre raus wieder ein neuer Samen gebildet wird. len. | Ueli Hurter der Kräfte des Stickstoffs hineinriechen

6 |  Anthroposophie weltweit • Goetheanum-Welt-Konferenz 2016  April 2016

Aufgabe der Anthroposophischen Gesellschaft

Gelebte Gegenseitigkeit Ein Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft ist die Pflege des seelischen Lebens. Dafür gibt es eine breite Palette an Übungsfeldern, die das individuelle Erkenntnisstreben und Schicksal ebenso ernst nehmen wie den Zusammenklang dieses Individuellen im Allgemein-Menschlichen.

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Menschen und in der menschlichen Ge­ m Kapitel ‹Innere Ruhe› des Buches ‹Wie sellschaft auf der Grundlage einer wahren erlangt man Erkenntnisse der höheren Erkenntnis der geistigen Welt pflegen Welten?› (GA 10) gibt es die Aufforderung wollen. Wir können immer wieder neu an den Geistesschüler, die Kraft zu suchen, die Frage stellen, was diese Pflege des «sich selbst in gewissen Zeiten wie ein seelischen Lebens beinhaltet. Fremder gegenüberzustehen». Das ist eine Ich möchte etwas erwähnen, das Ru­ ganz wichtige und schwierige Aufgabe. dolf Steiner während der Jahre des Ersten In dieser Goetheanum-Welt-Konferenz Weltkrieges ausgeführt hat. Zuerst hat er möchten wir uns als anthroposophische am 15. Juni 1915 bei einer Zweiggründung Bewegung in diesem Sinne aus der Welt­ darüber gesprochen, dann am 10. Ok­tober perspektive anschauen, man kann auch 1916 und wieder am 9. Oktober 1918. sagen: aus der Perspektive des Zeitgeistes. Während dieser ganzen Geschehnisse des Was tritt dann in Erscheinung? Ersten Weltkrieges hat er dasselbe Thema Wir wissen, der Zeitgeist ist der dreimal aufgegriffen. Erst einmal hat er ge­ Geist Michaels. Gelingt es uns, aus sagt, dass wir als Anthroposophische Ge­ dieser Per­ s­ pektive die Entwicklung der sellschaft eine ganz bestimmte Aufgabe anthropo­ sophischen Bewegung anzus­ haben, nämlich so in dieser Zeit zu leben, chauen? Können daraus Richtungskräfte dass immer Zukunftskräfte ent­ stehen hervor­ gehen, die wegweisend für die können, dass eine Entwicklungsrichtung künf­ tige Zeit wären? In den nächsten sichtbar wird. In diesem Sinne gibt Rudolf sieben Jahren haben wir die Möglichkeit Steiner uns als Anthroposophische Gesell­ und Aufgabe, das Ereignis der Weihnachts­ schaft die Aufgabe, in dieser Zeit wach zu tagung, das ein Menschheitsereignis leben und gleichzeitig zu fragen, wo diese war, neu zu erkennen, neu zu ergreifen: Reise hingeht. diesen «Welten-Zeitenwende-Anfang» in Wir leben jetzt in dieser Kulturperi­ Worten Rudolf Steiners am 1. Januar 1924 ode, was ist der Weg, in welche Richtung nach 100 Jahren so zu vergegenwär­tigen, geht es zur nächs­ dass die seither ten Kulturperio­ geleistete Arbeit Gelingt es mir, den anderen de? Und da deuals erster Schritt tet er drei Chara­ von diesem An­ Menschen so wahrzunehmen, kterzüge an. Der fang betrachtet ihm so zu begegnen, dass ich ers­ te ist Ge­ und verstanden in jedem anderen Menschen ein schwisterlichkeit, wird und eine das Für­einanderGrundlage für verborgenes Göttliches sehe? da-Sein: Bin ich weitere Schritte ansp re chb ar, bildet, die es bin ich für den anderen da? Wir leben in braucht, um diesen Anfang mehr und einer Zeit, in der die Bewusstseinsseele mehr zu verwirklichen. Das ist die Frage: erst einmal von ihrer Eigentendenz her Gelingt es uns gemeinsam, diese Pers­ ‹Nein› sagt: Ich bin nicht mit dir verbun­ pektive einzunehmen und dadurch eine den, sondern ich habe das Bedürfnis, auf vertiefte Selbsterkenntnis auf der Gesell­ eigenen Füßen zu stehen. Du stehst da, schafts- und Bewegungs­ebene vollziehen und ich stehe hier. Es ist die große Kultur­ zu können, woraus Richtungskräfte her­ aufgabe, so in der Bewusstseinsseele zu vorgehen können? leben, dass sich innerhalb der Seele eine Pflege des seelischen Lebens Wandlung so vollzieht, dass ich sage: «Ja, es geht mich etwas an, wie es dir geht!» Wenn wir die Gesellschaft im engeren Wir brauchen eine ver­tiefte Gegenseitig­ Sinne anschauen, ergibt sich aus dem ers­ keit. Denn ohne sie geht es überhaupt ten Artikel des Gründungsstatuts, dass nicht weiter. Es gibt keinen Weg in die Zu­ sie eine Vereinigung von Menschen sein kunft ohne eine gelebte Gegenseitigkeit. soll, die das seelische Leben im einzelnen

Weg zur nächsten Kulturepoche: Bin ich ansprechbar?

Verborgenes Göttliches im anderen Das Zweite, was Rudolf Steiner andeu­ tet, betrifft eine innere Haltung: Gelingt es mir, den anderen Menschen so wahr­ zunehmen, ihm so zu begegnen, dass ich in jedem anderen Menschen ein verbor­ genes Göttliches sehe? Das ist eine wun­ derbare Aufforderung an jeden einzelnen Menschen. Ermögliche ich, dass die Be­ gegnung mit einem anderen Menschen zu einem Sakrament werden kann? So deu­ tet Rudolf Steiner das an: die Begegnung jedes Menschen mit jedem Menschen als Sakrament zu erleben (Vortrag vom 9. Oktober 1918: ‹Was tut der Engel in unserem Astralleib?›, in ‹Der Tod als Lebens­wandlung› (GA 182)). Und als Drittes die Frage: Ist es nicht dem heutigen Menschen ein Bedürfnis, dass er in seinem Leben einen Sinn entdecken kann? Dazu braucht es ein vertief­ tes Erkenntnisstreben, weil der Sinn des Lebens nicht von vornher­ ein gegeben ist. Die schicksalsmäßigen Aufgaben, die auf einen zukommen wol­ len, brauchen eine gewisse innere Hal­ tung, eine Erkennt­ nishaltung, um sie sehen zu können. Sie werden nicht ein­ fach mitgegeben, sondern sollen entdeckt werden.

Anthroposophie weltweit • Goetheanum-Welt-Konferenz 2016  April 2016  |  7

Was wollen wir eigentlich miteinander? Da gehört etwas Reibung dazu. Trotzdem ist man für den anderen da, wenn man darauf angesprochen wird. So eine Kultur des Für-einander-da-Seins brauchen wir, auch in den Sektions- oder Lebensfeldern. Einen großen Teil meines Lebens war ich in anthroposophischen Einrichtungen tätig. Einer solchen Einrichtung geht es nur gut, wenn solch eine Kultur innerhalb der Einrichtung lebt. Und selbstverständlich ist diese Kultur auch für die Hochschule wichtig. Sie schafft eine Trägerschaft. Diese Art der Pflege des seelischen Lebens macht erst möglich, dass Geisteswissen­ schaft ausgeübt werden kann. Geistes­ wissenschaft ohne eine solche Kultur ist keine Geisteswissenschaft. Insofern geht es um eine Kultur, die überall hilft, die seelische Not zu überwinden. Foto: Sebastian Jüngel

Das Individuelle im Universellen

Freude an Pflege des seelischen Lebens Diese drei Charakterzüge wären, so Rudolf Steiner, innerhalb der Anthropo­ sophischen Gesellschaft zu pflegen. Sie sind Ausdruck von der Pflege des seelischen Lebens. Alle drei sind Aspekte dieser Pflege. Rudolf Steiner sagt 1916 und 1918, dass diese Qualitäten nicht nur wichtig sind, um eine Zukunft zu gestalten, sondern dass wir sie auch für die heutige Zeit brauchen. Unsere Zeit fordert eine innere Haltung, die diese Qualitäten enthält. Es ist auch eine tiefe Freude, daran zu arbeiten und sie zu ent­wickeln. Wenn das gelingt, dann schaffen wir gemeinsam eine Kultur, die nicht nur für das Leben innerhalb der Anthropo­ sophischen Gesellschaft von Bedeutung ist. Wir können uns als Anthroposophische Gesellschaft im engeren Sinn auch auf­ fassen als eine Art kulturelles Versuchs­ feld, auf dem wir mit­einander eine Kultur entwickeln, die die heutige Zivilisation so sehr vermisst. Doch wenn man hört, dass gesagt wird: Ihr seid schon ziemlich streitbar mit­ einander als Anthroposophen, dann den­ ke ich: Da ist etwas dran, weil Geschwister miteinander streitbar sind. Das darf auch mal so sein, wenn die Frage gestellt wird:

Rudolf Steiner hat an der Weih­ nachtstagung 1923/24 gesagt, dass un­ serer Gesellschaft die Aufgabe zufallen wird, die denkbar größte Öffentlichkeit mit echter, wahrer Esoterik zu verbinden. Und dass diese Aufgabe nur im Herzen der Menschen gelöst werden kann. Und, liebe Freunde, es ist meine Überzeugung, dass das ein Merkmal der heutigen, Mi­ chaelischen Esoterik ist, dass Esoterik und Öffentlichkeit zwei Seiten einer Sache sind. Das ist das Merkmal einer Michaelischen Esoterik, dass sie nicht mehr getrennt sind. Das bedeutet auch, dass wir in einer Zeit leben, in der das Individuelle und das Universelle ebenfalls zwei Seiten einer Sache sind. Was in tiefster Men­ schenseele lebt, ist gleichzeitig das Allgemein-Mensch­ lichste. Oder anders gesagt: Das Ur­eigenste des Menschen ist zu gleicher Zeit das Allgemeingültigste. Das ist ein Schlüssel, ein großes heutiges Michaelisches Geheimnis. Dadurch kön­ nen wir als Menschen universelle Werte in uns finden, wie die drei Qualitäten, die ich genannt habe, die überall auf der Welt gelebt werden können. Und so möchte ich meinen Beitrag mit dem ‹Rhythmus› aus dem Grundstein­ spruch für den Sonntag abschließen, der so wunderbar die drei Übungselemente aus dem Grundsteinspruch wiedergibt, sodass daraus ein neues Wir hervorgehen kann: «Übe Geist-Erinnern», «Übe GeistBesinnen», «Übe Geist-Erschauen», «dass gut werde, / was wir / Aus Herzen grün­ den, / Aus Häuptern zielvoll führen / Wol­ len.» | Paul Mackay

Zu den Finanzen

D

as Budget der Goetheanum-­ Welt-Konferenz 2016 inklusive der Verpflegung der Teil­ nehmenden könnte vollkommen gedeckt werden, wenn pro Teilnehmendem im Durch­ schnitt 360 Franken beigetragen werden. Jeder Teilnehmende wird deshalb bei seiner Anmeldung gebeten, nach seinen finanziellen Möglichkeiten ei­ nen entsprechenden Betrag ein­ zusetzen. Darüber hinaus besteht die sehr herz­liche Bitte an alle Mitglieder und Institutionen, ob sie mit einer Zuwen­dung zur Realisierung der GoetheanumWelt-Konferenz 2016 und eines Reise­ fonds für die aus großen Entfernungen kommenden Teilnehmenden beitra­ gen können.

Spenden und Unterstützungen bitte auf eines der folgenden Konten mit dem Stichwort: Welt-Konferenz 2016 Steuerabzugsfähige Spenden aus Deutschland in Euro Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland GLS Gemeinschaftsbank eG 44708 Bochum, Deutschland IBAN: DE13 4306 0967 0010 0845 10 BIC: GENODEM1GLS Steuerabzugsfähige Spenden aus der Schweiz Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, Dornach, Schweiz Raiffeisenbank 4143 Dornach, Schweiz IBAN: CH36 8093 9000 0010 0607 1 BIC: RAIFCH22 Spenden aus anderen Ländern in Euro Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, Dornach, Schweiz GLS Gemeinschaftsbank 44708 Bochum, Deutschland IBAN: DE53 4306 0967 0000 9881 00 BIC: GENODEM1GLS

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Programm der Goetheanum-Welt-Konferenz

mische Produkte verkauft, angesprochen? Welche Anliegen hat eine Sozialarbeiterin, die mit traumatisierten Kindern in Kriegs­ gebieten arbeitet? Am ersten Abend werden wir das musikalische Werk ‹Der Weg des Le­ bens› des tschechischen Komponisten Alois Hába hören, der sich in den 1930erJahren durch die plastische Gruppe des Menschheitsrepräsentanten zu einem Orchester­ werk inspirieren ließ, dessen Werk an diesem Abend zum ersten Mal im Goetheanum erklingen wird und in dessen musikalischen Tonkosmos uns Ste­ fan Hasler, Leiter der Sektion für Redende und Muszierende Künste, einführen wird. Die Komposition bringt die Auseinander­ setzung mit luziferischen und ahri­ manischen Kräften und die Suche nach einem Gleichgewicht zu Gehör.

Lage sind, uns selbst und den anderen in seinen Qualitäten zu erkennen, sodass sich daraus eine fruchtbare Zusammen­arbeit in der Anerkennung der Differenzen ge­ stalten lässt. So kann uns Geist-Besinnen das Erüben einer neuen Gemeinschafts­ fähigkeit ermöglichen. Die Aufforderung «Übe Geist-Erschau­ en» stellt uns vor die Frage, ob wir ein gemeinsames Aufgabenbewusstsein im Hinblick auf die geistige Lage der Zeit, die Weltlage insgesamt und unsere Auf­ gabe darin entwickeln können. Welche Lösungs­ansätze sehen wir für eine Ver­ wandlung der Nöte unserer Zeit, die einen kraftvollen Beitrag leisten? Der letzte Tag wird uns hoffentlich er­ möglichen, die Arbeitsergebnisse der Kon­ ferenz im Sinne der vierten Strophe des Grundsteinspruchs als kraftvolle Impulse zu fassen, die uns in den kommenden sieben Jahren inspirieren werden. In den sich an die Darstellungen an­ schließenden Arbeitsgruppen wird es darum gehen, die Impulse gemeinsam zu bewegen und über Fragestellungen wie die oben genannten ins Gespräch zu kom­ men.

Gemeinsames Aufgabenbewusstsein

Die Sektionen der Hochschule

Die folgenden Vormittage stehen un­ ter dem inneren Motto der drei Übungs­ aufforderungen an die Menschenseele aus dem Grundsteinspruch. Jeden Mor­ gen wird die Arbeit durch eine euryth­ mische Demonstration der GoetheanumEurythmie­-Bühne zum Tagesmotto einge­ leitet. Daran schließen sich täglich zwei Impulsreferate an. Mit dem Vorhaben, die drei Übungen des Grundsteinspruchs als ein lebendiges Übungsinstrument der Tagung zugrunde zu legen, ist die Intention verbunden, uns im Lichte die­ ser Perspek­tiven noch einmal gründlicher zu fragen: Ist uns unser gemeinsamer Hintergrund so bewusst und transpa­ rent, dass wir daraus die Nöte der Welt erkennen und den Willen zu einer Lösung entwickeln? Können wir durch ein prak­ tiziertes Geist-Erinnern die Kräfte der Vergangenheit so vergegenwärtigen, dass sie uns befähigen, die bevorstehenden Zu­ kunftsaufgaben zu ergreifen? Die Aufforderung zum Geist-Besinnen stellt uns vor die Frage, ob wir dazu in der

Die erste Nachmittagshälfte wird es ermöglichen, in Fach- und Sektions­ gruppen längerfristige Fragestellungen sowie Arbeitsanliegen der Sektionen der Hochschule kennenzulernen. Die Sektions­leitenden und weitere mitwirk­ ende Mit­arbeiter werden Themen, Pro­ jekte und Forschungsfragen vorstellen und mit den Teilnehmern beraten. Die zweite Nachmittagshälfte wird im Plenum im Großen Saal stattfinden und der Tagungsgemeinschaft die Gelegen­ heit geben, an Impulsbeiträgen aus aller Welt teilzuhaben. Die drei Abendaufführungen mit Bei­ trägen aus dem Schauspiel und der Eu­ r ythmie werden das Thema der Auseinandersetzung mit den beiden Kräften des Bösen und die Erfahrung des Mensch­lichen und Menschheitlichen, die bereits in der Komposition von Alois Hába musikalisch angeklungen sind, weiter vertiefen. | Für die Vor­bereitungsgruppe: Christiane Haid, Ueli Hurter, Constanza Kaliks, Paul Mackay

Kultur der Menschlichkeit Eine Zusammenkunft für Menschen aus aller Welt zu gestalten, mit denen wir einen neuen Impuls für Hochschule, Anthroposophische Gesellschaft und Lebensfelder erarbeiten wollen und mit denen wir vor der Aufgabe stehen, die nächsten Jahre einer zu gestaltenden Zukunft ins Auge zu fassen, ist eine Herausforderung für alle Beteiligten.

I

n den fünf Tagen von 27. September bis 1. Oktober geht es darum, in einem ersten Schritt ein gemeinsames Bewusstsein zu erarbeiten und Initiativen zu entwickeln, die in den kommenden sieben Jahren eine kontinuierliche Weiterarbeit bis 2023/24 und darüber hinaus ermöglichen. Wir kommen dieser Aufgabe vor dem Hinter­ grund einer Zeitlage nach, die sich beinahe mit jedem Tag dramatischer gestaltet. An vielen Orten der Welt sind kriegerische Auseinandersetzungen im Gange; Hun­ gersnöte und Armut sowie das Phänomen des Terrors versetzen viele Menschen in Angst. Für die Flüchtlingsfrage ist keine Lösung in Sicht. So stehen die Menschen an viele Orten der Welt vor der Aufgabe, ganz neue soziale Formen zu entwickeln und eine Kultur der Menschlichkeit zu fördern, die über alle nationalen, sprach­ lichen, religiösen und sonstigen Differen­ zierungen hinausführt.

Menschen aus vielen Weltregionen Der erste Tag ist einer Geste des Ankom­ mens und einer Klärung der gemeinsamen Fragestellung gewidmet. Um 15 Uhr wird die Vorbereitungsgruppe, unterstützt von weiteren Mitgliedern der GoetheanumLeitung, in das Anliegen der GoetheanumWelt-Konferenz einführen. In einem sich daran anschließenden Worldcafé – einer Dialogform, die in kleinen Gruppen einen persönlichen Austausch über die Impulse ermöglicht – werden das gegebene The­ ma und die mitgebrachten Anliegen in einen ersten Zusammenklang gebracht. Hier begegnen sich erstmals Menschen aus vielen Sprach- und Weltregionen. Wie klingt die Fragestellung der Welt­ konferenz für einen jungen Waldorflehrer, der die Anthroposophie gerade kennenge­ lernt hat? Auf welchen Boden fällt die Frage bei einem jahrzehntelang mit dem Werk Rudolf Steiners verbundenen Autor und Redner? Wo fühlt sich der Betreiber einer Ladenkette, die biologisch-dyna­

Freie Hochschule für Geisteswissenschaft • Anthroposophie weltweit • Sonderausgabe • Herausgeber: Justus Wittich. • Redaktion: Sebastian Jüngel. • Beilage in ‹Anthroposophie weltweit› Nr. 5/2016. • © 2016 Freie Hochschule für Geisteswissenschaft, Dornach, Schweiz.