Elias Frank

Prof. Dr. Sabine Meine Musikgeschichte 1

07.01.2016

Musik der Renaissance (14.-16. Jahrhundert) „Musik und Glaubensreformen“ lautete das dritte und letzte Unterthema der Musikgeschichtsvorlesung über Musik der Renaissance. Wie bei allen vorhergehenden Vorlesungen, gaben die 4 Basisfragen -

Wer macht Musik? Wo erklingt Musik? Wie wird Musik überliefert? Warum erklingt Musik?

der Vorlesung ihre Grundstruktur. Die Einstiegsfrage der 10. Sitzung lautete: Warum war Musik im Kontext von Reformation und katholischer Reform bedeutend? Um diese Frage zu beantworten, ist es am sinnvollsten, die Musik der Reformation so wie die der katholischen Reform, zuerst getrennt zu betrachten.

1. Musik im Kontext von Reformation Reformation (lat. reformatio „Wiederherstellung, Umgestaltung“) bezeichnet eine Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen (u.a. lutherisch) führte. In Deutschland wurde sie überwiegend von Martin Luther angestoßen. Wer war Martin Luther? Martin Luther, geboren 1483 und gestorben 1546 in Eisleben, begann im Alter von 18 sein Studium an der Universität Erfurt. Im Januar 1505 schloss er dieses mit dem Examen zum „Magister artium“ ab. Dieses war der akademische Grad, den ein Student nach dem Studium der „septem artes liberales“ (Grundkenntnisse in Grammatik, Rhetorik, Dialektik (Trivium) und Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (Quadrivium)) erhielt. Aufgrund eines in Todesangst abgelegten Gelübdes, schlug Luther einen kirchlichen Lebensweg ein und trat im Sommer 1505 dem Augustiner-Kloster in Erfurt bei. Hier wurde er schon knapp zwei Jahre später zum Priester geweiht. Im Herbst 1508 begann Luther ein Theologiestudium an der Universität Wittenberg. Vier Jahre später wurde Luther zum Doktor der Theologie und übernahm den dortigen Lehrstuhl für Bibelauslegung. Ein prägendes Schlüsselerlebnis in Luthers leben war seine 1510/1511 angetretene Romreise, der Hauptstadt der katholischen Kirche. Dort erfuhr er vor seiner eigenen Haustür, in welchem Luxus der Papst und sein Umfeld lebten. In einem Bericht eines anonymen Botschafters über den Alltag des Papstes heißt es: „Hier lebt es sich in Festen und Tänzen, und jeden Tag finden Pferderennen statt; und der Papst will alles sehen.“ Durch Karikaturen des Papstes als Ausgeburt der Hölle wird klar, dass es Menschen gab, die den Missbrauch des hohen geistlichen Amtes nicht duldeten. Auch die Aussage eines Anonymen: „Das ist die Kirche Roms, Hauptstadt der ganzen Welt? Das? Das ist ein Schweinestall!“, unterstreicht dies. In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ schrieb Martin Luther selbst von Intrigen, schmutziger Habsucht und Korruption der Geistlichen in Rom.

Seite 1 von 5

Elias Frank

Prof. Dr. Sabine Meine Musikgeschichte 1

07.01.2016

Sehr bekannt wurde Luthers Kritik über die Ablassbriefe. Gegen Bezahlung konnten die Gläubigen für sich oder bereits Verstorbene, den Erlass ihrer Sünden bewirken und dadurch den Prozess des Fegefeuers verkürzen. Somit konnte man sich praktisch in den Himmel kaufen. Doch nach Luthers Ansicht durfte nur Gott entscheiden, wer in den Himmel und wer in die Hölle kommt. Daher nagelte er am 31.10.1517 (Reformationstag) 95 Thesen, in denen er Kritik über die gängige Ablasspraxis ausübte, an die Schlosskirche in Wittenberg (Auslöser der Reformation). 1520 sagte sich Luther von der katholischen Kirche los. Ein Jahr später, 1521, erklärte man Luther als „vogelfrei“ (jeder konnte Luther töten, ohne bestraft zu werden). Daraufhin lebte er inkognito auf der Eisenacher Wartburg, wo er u.a. das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Dabei ging es Luther darum, dass alle Menschen Messen verstehen sollten. Doch nicht nur Messen sollten von diesem Zeitpunkt an in deutscher Sprache sein. Aufgrund seines engen Verhältnisses zur Musik (Kindheit: Laute/Flöte/Chor, Studium) sollte auch der von ihm gewünschte Gemeindegesang (statt nur Priester) auf Deutsch sein. Luther wies der Musik einen zentralen Platz im Leben der Kirche und der Gläubigen zu, bzw. für Luther sind die Gläubigen die Kirche, denn sie gestalten wie Priester und Kantorei den Gottesdienst aktiv mit. Zudem erkannte Luther auch das große Therapiepotential von Musik. Er selbst schreibt, Musik habe ihn „oft erquickt und von großen Beschwerden befreit“. Er sah Musik als ein Mittel zum fröhlich werden. Musik wurde demnach zur Stärkung des Glaubens eingesetzt, weil sie zum einen religiöse Identitäten schafft und zum anderen Gefühle ausdrückt bzw. auslöst (vgl. 4. Vorlesung). Zudem gilt Luther auch als Förderer der mehrstimmigen Musik. Die entstandenen Kirchenlieder gingen teilweise auf alte lateinische Lieder zurück, die man durch Kontrafaktur und neue Rhythmisierung erhalten wollte. So machte Luther aus dem einstrophigem lateinischen Credolied „Credo in Deum Patrem omnipotentem“ das dreistrophige Lied „Wir glauben all an einen Gott“. In der Vorlesung hörten wir dieses in zwei Fassungen. Als erstes als Tenorlied von Johann Walter und danach eine moderne Fassung als Chorsatz von Paul Martin Heller aus dem Jahr 2013. Johann Walter hatte zusammen mit Martin Luther die Reform der „deutschen Messe“ in die Wege geleitet. Daher gilt Johann Walter auch als „Urkantor“ der evangelischen Kirche. 1526 gründete er die Stadtkantorei Torgau in Sachsen, um mit Torgauer Bürgern die neue Kirchenmusik einzustudieren. Hier könnte das Tenorlied auch erklungen sein. Auch weltliche Lieder wurden mit neuen geistlichen Texten versehen. Des Weiteren komponierte Luther mindestens 20 eigene Lieder, darunter auch das Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“, ein an Psalm 46 („Gott ist unsere Zuversicht und Stärke“) angelehntes evangelisches Bekenntnislied, welches die Reformationsbewegung stärken sollte. Das 1529 in Wittenberg gedruckte Lied, ist für den Protestantismus von großer Symbolkraft und wurde im 19. Jahrhundert auch als „Marseiller Hymne der Reformation“ bezeichnet. Es könnte u.a. im September 1568 bei der Hochzeit des Grafen Georg Ernst von Henneberg mit Elisabeth von Württemberg in Stuttgart erklungen sein. Dies nimmt man an, da zentral auf den Seidentischdecken ein vierstimmiger Tenorliedsatz von Martin Agricola über Luthers Lied zu sehen war. Es konnte also vierstimmig auf der Hochzeit gesungen werden. In der Vorlesung hörten wir ebenfalls eine mehrstimmige Vertonung von „Eine feste Burg ist unser Gott“ von Michael Praetorius. Dieser veröffentlichte diese als

Seite 2 von 5

Elias Frank

Prof. Dr. Sabine Meine Musikgeschichte 1

07.01.2016

doppelchörige Choralmotette in seiner Sammlung Musae Sioniae (1605-1610) zusammen mit weiteren 1243 mehrstimmigen Sätzen über Kirchenlieder und Bibeltexte. Michael Praetorius (Michael Schultheiß), geboren 1571 in Creuzburg, gestorben 1621 in Wolfenbüttel, wuchs in einer Theologenfamilie auf. Zunächst besuchte er die Lateinschule in Torgau und studierte anschließend Theologie in Frankfurt (Oder). Durch seine autodidaktischen Fähigkeiten als Organist und Komponist wurde er 1593 Hoforganist im Dienste des Fürsten Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. In der Hofkapelle Wolfenbüttels könnte demnach seine Fassung von „Eine feste Burg ist unser Gott“ das erste Mal erklungen sein. Neben der Sammlung „Musae Sioniae“ komponierte Praetoius auch Cantus-Firmus-Stücke über protestantische Choralmelodien. Sein bedeutendstes Werk ist die dreibändige Abhandlung „Syntagma musicum“ (1615-1619). Sie gilt als wichtigste Quelle zur historischen Aufführungspraxis und des historischen Instrumentenbaus. So enthält der zweite Band („De Organographia“) im letzten Teil („Theatrum Instumentorum“) Abbildungen von zeitgenössischen Musikinstrumenten sowie eine Klassifizierung der Musikinstrumente. Im dritten Band versucht Praetorius die italienische Musik zu vermitteln (Termini musici). Zusammenfassend lässt sich über die Musik im Kontext der Reformation sagen, dass sie das Fundament der evangelischen Kirchenmusik darstellt. Die Forderung nach mehrstimmiger Musik als auch die Bibelübersetzung prägten die zukünftigen Kompositionen u.a. von Heinrich Schütz (z.B. Kleine geistliche Konzerte) oder Johann Sebastian Bach.

2. Musik im Kontext der katholischen Reform Grundsätzlich hat die katholische Kirchenmusik das Ziel, die Würde und Feierlichkeit der Liturgie zu erhöhen und die Gemütsbewegung der Gläubigen zu stärken. Auch die katholische Kirche nutzt dazu die Ausdruckskraft und Popularität weltlicher Musik für ihre Zwecke, indem gute Melodien neu textiert werden (Kontrafaktur). Als Beispiel hierfür dient das eingangs gehörte geistliche Madrigal „Pianto della Madonna“ von Claudio Monteverdi. Dieses stellt eine Kontrafaktur der Arie „Lamento d` Arianna“ aus der, bis auf diese Arie, verschollenen, Oper „L` Arianna“ (1608), dar. Erklungen sein könnte das Madrigal in der Kirche „Santa Maria della Salute“. Diese wurde mit der Bitte an Madonna um Beendigung der Pest, die 1630/31 in Venedig wütete und fast 1/3 der Venezianer umbrachte, erbaut. Monteverdi verlor durch die Pest einen Sohn und auch seinen langjährigen Freund Alessandro Striggio. Unter diesem Eindruck ließ er sich 1632 zum Priester weihen. Wenn also das Madrigal „Pianto della Madonna“ in der Kirche „Santa Maria della Salute“ ertönte, könnte man dies auch als persönliches Bekenntnis Monteverdis („Ich möchte nun sterben, mein Sohn!“ (lat. „Iam moriar, mi Fili“)), welches er in den Mund Madonnas legt, ansehen. Im Kontext der katholischen Reform kamen jedoch weitere Absichten hinzu:

1.

Abschreckung von der Reformation

Um Anhänger der katholischen Kirche vor der Reformation abzuschrecken, wurden nicht nur Karikaturen über Luther als Antwort auf die Karikatur des Papstes als

Seite 3 von 5

Elias Frank

Prof. Dr. Sabine Meine Musikgeschichte 1

07.01.2016

Ausgeburt der Hölle gezeichnet, sondern auch Kirchenlieder parodiert. So wurde auch das in der Vorlesung angesprochene Te-Deum des Komponisten Maitre Jhan missbraucht, um Anhänger der Reformation anzugreifen. Dieses wurde im Auftrag von Herzog Ercole II. um getextet, sodass aus „Gott wir loben sich“ die mehrstimmige Motette „Luther wir verdammen dich“ (lat. „Te lutherum damnamus“) wurde. Diese wurde wahrscheinlich dem Papst bei seinem Besuch in der Hofkapelle von Fürst Ercole II. vorgespielt. So diente die neue Motette auch dazu, dass der Papst keine Zweifel bekommt, dass sich Ercole der katholischen Kirche abwendet, denn er war mit Renée de France, einer Tochter des Königs Ludwig XII. von Frankreich und Sympathisantin des Protestantismus, verheiratet. Da Ercoles Herzogtum zum Kirchenstaat gehörte, musste er eine vorsichtige Politik gegenüber dem Papst walten lassen.

2.

Erziehung zum Glauben durch Laiengesang

Mit Ausnahme an Ostern oder Fronleichnam finden heute kaum noch große Prozessionen statt. Zur Zeit der katholischen Reform gehörten diese zum Alltag. Zu den über 30 großen Feiertagsprozessionen im Jahr kamen viele kleine hinzu, sodass man von mindestens einer Prozession pro Woche ausgehen konnte. Auch das in der Vorlesung gezeigte Bild des Künstlers Gentile Bellini, zeigt Prozessionen auf dem Markusplatz („Piazza San Marco“) in Venedig 1496 zum Festtag des Heiligen Markus. Auf Prozessionen von Bruderschaften, organisierten Gemeinschaften von Männern jeden Alters, die häufig unter kirchlicher Aufsicht entstanden, war es üblich, dass auch gesungen wurde. Das Problem war aber, dass viele keine Noten lesen konnten. Daher half man sich, indem man bekannte Melodien mit geistlichen Texten versah. In der Vorlesung wurde uns dieses Kontrafaktur-Verfahren anhand des Liedes „Chi non ama te, Maria“ („Wer liebt dich nicht, Maria“), welches auf dem Karnevalslied „Giovani mandati siamo“ („Wir sind die Jungen die gesandt wurden“) basiert, verdeutlicht – Aus einem bekannten Lied wurde durch einen neuen Text ein geistliches Lied, welches jeder überall singen konnte und auch die einfachen Leute fromm werden ließ. Da durch diese Art der Kontrafaktur ein irrsinniges Repertoire an geistlichen Liedern entstand, wurden diese 1563 (auch im Kontext der katholischen Reform) in der Lauden-Sammlung „Libro Primo – Delle Laudi Spirituali“ von dem Verfasser Razzi festgehalten.

3.

Reform mehrstimmiger Musik

Zwischen 1545-1563 tagte das Konzil von Trient (katholische Kirche). Hauptanlass war die Notwendigkeit, auf die Forderungen und Lehren der Reformation zu reagieren. So wurde u.a. über eine Reform von Missbräuchen in der Liturgie und deren Praxis beraten. Aber auch über die Zulässigkeit von mehrstimmiger Musik im Gottesdienst wurde verhandelt. So sollte die Kirchenmusik „nichts laszives und Unreines“ beinhalten und keine „üble Polyphonie“ zulassen. Sie sollte stattdessen klar und verständlich sein, dass die Gläubigen nicht verwirrt oder sogar gereizt werden könnten. Die Römische Schule, eine Gruppe von Komponisten, die im 16. Jahrhundert in der päpstlichen Kapelle in Rom wirkten, verwirklichten die kirchenmusikalischen Forderungen der Gegenreformation. Ihr Hauptvertreter Giovanni Pierluigi da Palestrina gilt daher auch als der „Retter der katholischen

Seite 4 von 5

Elias Frank

Prof. Dr. Sabine Meine Musikgeschichte 1

07.01.2016

Kirchenmusik“. Palestrina, geboren 1525 in Palestrina und gestorben 1594 in Rom, wurde schon 1551 Kapellmeister der Cappella Giulia der Peterskirche. Dies gilt als sehr außergewöhnlich, da Palestrina ein sehr weltliches Leben führte (Frau/Kinder). Doch er konnte sich auf die Gunst von Papst Julius III. und von Papst Marcellus II. berufen. Dies war bei dessen Nachfolger Papst Paul IV. nicht der Fall, woraufhin Palestrina seinen Posten verlassen musste und 1556 Kapellmeister der Lateranbasilika in Rom wurde. 15 Jahre später kehrte er als Kapellmeister wieder an die päpstliche Kapelle zurück. Im Kontext der musikalischen Forderungen des Konzils von Trient schrieb Palestrina mehrere Messen, darunter auch seine bekannteste Messe „Missa Papae Marcelli“. Durch diese schaffte er es sowohl die Hauptbedingungen des Konzils von Trient zu erfüllen als auch einen neuen Stil zu prägen – den „Palestrina Stil“. Dieser zeichnet sich aus durch eine hohe Textverständlichkeit, die durch homophon deklamierende Partien bei dichtem Text, während man die Selbstständigkeit der Stimmen im polyphonen Gewebe bei weniger Text beibehält, erreicht wird. Zu dem schafft er es, die kontrapunktische Kunst mit melodischen und harmonischen Rundungen zu verbinden (Vollklanglichkeit). So galt der Palestrina Stil nicht nur als Höhepunkt der Vokalpolyphonie, sondern wurde auch, durch die katholische Reform gestützt, zum Inbegriff und Vorbild der mehrstimmigen katholischen Musik überhaupt.

Seite 5 von 5