MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN)

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) In diesem Bereich können Sie diese Themen vertiefen: Bewerbungsverfahren und Einstellu...
Author: Franka Vogt
17 downloads 1 Views 2MB Size
MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) In diesem Bereich können Sie diese Themen vertiefen: Bewerbungsverfahren und Einstellung Behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung Sonderregelungen bei der Arbeitszeit Kündigungsschutz Schwerbehindertenvertretung Anrechnung auf Ausgleichsabgabe

Seite 1 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) BEWERBUNGSVERFAHREN UND EINSTELLUNG Prüfpflicht zur Einstellung von Menschen mit Behinderungen Gemäß § 81 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einer Stellenbesetzung zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Diese Pflicht gilt für alle Arbeitgeber, nicht nur für die öffentlichen Arbeitgeber, die jahresdurchschnittlich mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen und damit der gesetzlichen Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX unterliegen. Um auch arbeitslose und arbeitssuchend gemeldete Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, ist eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit vorgesehen. Über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die Betriebs- oder Personalräte unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, kann die Schwerbehindertenvertretung eine Erörterung einfordern.

Stellenausschreibung Um die gesetzliche Beschäftigungsquote zu erreichen, sollten Unternehmen bei Stellenausschreibungen Menschen mit Behinderungen besonders ansprechen. Eine Möglichkeit hierfür ist der nachfolgende Formulierungsvorschlag für die Stellenausschreibung: „Schwerbehinderte Menschen werden ausdrücklich aufgefordert, sich zu bewerben und werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.“

Bewerbungsgespräch Menschen mit und ohne Behinderungen sollen grundsätzlich die gleichen Zugangschancen zu einem Arbeitsplatz haben. Eine Benachteiligung auf Grund einer Behinderung ist nicht zulässig. Hieraus folgt auch, dass die Frage nach einer Behinderung im Bewerbungsverfahren grundsätzlich nicht zulässig ist. Eine nicht wahrheitsgemäße Beantwortung schließt eine Anfechtung des Arbeitsvertrags gem. § 123 BGB aus. Fragen nach einer Behinderung sind jedoch dann möglich, wenn diese in unmittelbarem Zusammenhang mit den Besonderheiten und Anforderungen des konkret zu besetzenden Arbeitsplatzes stehen bzw. wenn die einer Behinderung zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen den betrieblichen Arbeitsablauf wesentlich beeinträchtigen kann. Weiterhin ist die Frage nach einer Behinderung dann zulässig, wenn der Arbeitgeber durch gezielte Einstellung von schwerbehinderten Menschen den Anteil dieser im Unternehmen

Seite 2 von 14

erhöhen will. Denn dann liegt eine positive Maßnahme vor, die schwerbehinderte Menschen nicht benachteiligen sondern bevorzugen will.

Entscheidung zur Einstellung Bewirbt sich ein Mensch mit Behinderungen um eine ausgeschriebene Stelle im Betrieb, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung und den Personal- oder Betriebsrat (soweit vorhanden) unverzüglich über den Eingang der Bewerbung zu informieren. In das Auswahlverfahren ist die Schwerbehindertenvertretung einzubeziehen. Diese kann in die entscheidungsrelevanten Teile bei Bewerbungen Einsicht nehmen und an den Vorstellungsgesprächen teilnehmen. Die Einbeziehung der Schwerbehindertenvertretung erfolgt nicht, wenn der schwerbehinderte Bewerber die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt. Lehnt ein Arbeitgeber trotz Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht und gegen das Einverständnis der Schwerbehindertenvertretung einen schwerbehinderten Bewerber ab, so ist diese Entscheidung mit der Schwerbehindertenvertretung bzw. dem Betriebs- oder Personalrat zu erörtern. Der Arbeitgeber entscheidet dann über die Stellenbesetzung und teilt seine Entscheidung allen Beteiligten mit. Wird ein schwerbehinderter Bewerber dabei behinderungsbedingt benachteiligt, so entsteht ihm zwar kein Anspruch auf Gründung eines Arbeitsverhältnisses, jedoch entsteht ein Entschädigungsanspruch.

Seite 3 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) BEHINDERUNGSGERECHTE ARBEITSPLATZGESTALTUNG Der Anspruch auf eine behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes sowie des Arbeitsumfeldes basiert auf § 81 Abs. 4 SGB IX. Ein Anspruch besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist.

Barrierefreiheit in Gebäuden Viele Arbeitnehmer arbeiten im Büro. Daher verlangt das Baurecht ausdrücklich, Neubauten von Bürogebäuden grundsätzlich barrierefrei zu gestalten. Dieser anfängliche Mehraufwand macht spätere bauliche Anpassungen unnötig und spart letztendlich Kosten. Die bestehenden Vorschriften für die Planung eines neuen Gebäudes sind auch eine Orientierungshilfe für diejenigen, die ein älteres Bauobjekt behinderten- und rollstuhlgerecht nachrüsten. Nicht zuletzt kommen die unterschiedlichen Maßnahmen, die im Sinne der Barrierefreiheit getroffen werden, unter ergonomischen Aspekten auch den Mitarbeiten zugute, die nicht behindert sind. Eine wichtige Planungsunterlage ist die DIN 18040-1. Rampen und Fahrstühle dienen der Überwindung von Hindernissen. Flächen müssen so bemessen werden, dass Rollstuhlfahrer ausreichenden Platz zum Navigieren haben. Dies betrifft neben den Arbeits- und Verkehrsflächen auch Sanitär- und Sozialräume. Weitere Aspekte sind Türgestaltung, Fußbodenqualitäten, aber auch Farbgestaltung, taktile oder akustische Leitsysteme im Gebäude sowie die Planung von Pkw-Stellplätzen im Außenbereich.

Behindertengerechte Ausstattung eines Arbeitsplatzes Die Gestaltung des Arbeitsplatzes kann je nach Behinderungsart sehr individuelle Ausprägungen erforderlich machen. Das Integrationsamt und die Rehabilitationsträger fördern diese Anpassungen durch Beratungsangebote und finanzielle Zuschüsse. Nähere Informationen dazu finden Sie in Modul 4. Beispiele: 

Büroarbeitsplatz für einen Rollstuhlfahrer Es muss ausreichend Platz für die Bewegungsfreiheit und die im Arbeitsalltag notwendigen Wendemanöver zur Verfügung stehen. Bei der Auswahl des Schreibtisches ist zu berücksichtigen, dass dieser nicht zu tief sein darf, und in ausreichender Breite unterfahrbar sein muss. Schränke und andere Aufbewahrungsmöbel sollten aufgrund der eingeschränkten Greifmöglichkeiten zwischen 0,40 und 1,40 m hoch sein. Bei

Seite 4 von 14





Schaltern und Geräten wie Kopierer oder Drucker sollte darauf geachtet werden, dass sie aus einer Sitzposition heraus zu erreichen und zu bedienen sind. Arbeitshilfen für Sehbehinderte Arbeitsplätze für blinde und sehbehinderte Mitarbeitende erfordern in Abhängigkeit zur konkreten Behinderung verschiedene technische Sonderausrüstungen, z.B. u.a. eine Braille-Zeile für einen Blinden. Für einen Sehbehinderten könnte ggf. eine Vergrößerungssoftware oder ein spezieller Bildschirm passender sein. Weitere technische Arbeitshilfen für Menschen mit Behinderungen Insbesondere in Produktionsabteilungen können je nach Jobanforderung und Behinderungsart sehr unterschiedliche technische Hilfen erforderlich sein, beispielsweise Hebevorrichtungen, akustische oder visuelle Signalgeber u.a.m.

Die Technischen Beratungsdienste der Bundesagentur für Arbeit und des Integrationsamtes sind spezialisiert auf behinderungsgerechte Fallgestaltungen und unterstützen Arbeitgeber bei der Einrichtung von Arbeitsplätzen.

Unterstützung im Betrieb durch Integrationsfachdienste Der Integrationsfachdienst ist ein Unterstützungsangebot für behinderte Beschäftigte. Außerdem gibt er Arbeitgebern, Vorgesetzten und Kollegen praktische Hinweise zum alltäglichen Umgang mit Mitarbeitern mit Behinderungen und unterstützt alle Beteiligten bei Problemen und in Krisensituationen. Eine Übersicht über die Integrationsfachdienste in Sachsen finden Sie in Stufe 3.

Seite 5 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) ARBEITSZEIT Teilzeit Schwerbehinderte Mitarbeiter haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn diese kürzere Arbeitszeit wegen der Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist. Dabei werden Arbeitgeber bei der Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen vom Integrationsamt unterstützt.

Mehrarbeit Schwerbehinderte Beschäftigte werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt. Dabei ist Mehrarbeit diejenige Arbeit, welche über die normale gesetzliche Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich hinausgeht. Es spielt keine Rolle, wie lange die individuell vereinbarte oder die tarifliche Arbeitszeit ist. Bereitschaftsdienst gilt seit dem 01.01.2004 auch als Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und ist bei der Bestimmung von Mehrarbeit zu berücksichtigen. Bei teilzeitbeschäftigten schwerbehinderten Menschen mit einer täglichen Arbeitszeit greift diese Regel grundsätzlich erst mit Erreichen der 8-Stunden-Grenze. Es besteht jedoch ein Anspruch des schwerbehinderten Teilzeitbeschäftigten auf Freistellung von dieser zusätzlich angeordneten Arbeitszeit, wenn die Teilzeitarbeit aus behinderungsbedingten Gründen erfolgt und der betroffene behinderte Mensch aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, auch nur vorübergehend arbeitstäglich mehr als die von ihm normalerweise zu erbringende Arbeitszeit zu leisten. Diese Vorschrift zur Freistellung von Mehrarbeit stellt kein Verbot der Mehrarbeit dar. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer soll aber gegen seinen Willen nicht zusätzlich belastet werden. Deshalb ist es ihm überlassen, ob er von seinem Anspruch auf Freistellung von Mehrarbeit Gebrauch macht oder nicht. Für die Freistellung von Mehrarbeit genügt, dass das Freistellungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht wird. Einer besonderen Freistellungserklärung des Arbeitgebers bedarf es bei berechtigtem Anspruch auf Freistellung von Mehrarbeit nicht.

Zusatzurlaub Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht nur für anerkannt schwerbehinderte Beschäftigte, mit einem GdB von mindestens 50. Gemäß § 125 SGB IX erhalten Menschen mit einer für das ganze Kalenderjahr anerkannten Schwerbehinderung und einer Arbeitszeitverteilung auf 5 Tage wöchentlich einen Zusatzur-

Seite 6 von 14

laub von 5 Tagen. Die Urlaubstage treten zu dem Grundurlaub hinzu, der den schwerbehinderten Beschäftigten laut Arbeits- oder Tarifvertrag bzw. nach gesetzlichen Bestimmungen ebenso wie den nicht behinderten Beschäftigten ohnehin zusteht. Besonderheiten gelten dann, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft nicht während des gesamten Kalenderjahres besteht (z.B. Anerkennung als schwerbehinderter Mensch ab dem 15.06.). In diesen Fällen hat der schwerbehinderte Mensch für jeden vollen Monat der im Beschäftigungsverhältnis vorliegenden Schwerbehinderteneigenschaft einen Anspruch auf ein Zwölftel des regelhaften Zusatzurlaubs (im obigen Beispiel also für 6 Monate). Entstehen bei dieser Berechnung Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, so werden sie auf volle Urlaubstage aufgerundet. Der so ermittelte Zusatzurlaub ist ebenfalls dem allgemeinen Erholungsurlaub hinzuzurechnen. Der Anspruch ist ein Mindestzusatzurlaub. Sehen gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Regelungen (Betriebsvereinbarung) einen längeren Zusatzurlaub zugunsten schwerbehinderter Beschäftigter vor, so gelten diese Sonderregelungen. Wird die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend festgestellt, entsteht auch ein rückwirkender Anspruch auf Zusatzurlaub. Hat sich das Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft allerdings mehrere Jahre hingezogen, kann nur noch der für das abgelaufene letzte Kalenderjahr rückwirkend entstandene Zusatzurlaub beansprucht werden. Der Anspruch auf Zusatzurlaub besteht, solange die Schwerbehinderteneigenschaft fortdauert. Bei einer Herabstufung auf einen Grad der Behinderung von weniger als 50 besteht Anspruch auf Zusatzurlaub auf jeden Fall bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides, mit dem die Verringerung festgestellt wurde. Kann der gesetzliche Zusatzurlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist er finanziell abzugelten. Das gilt auch dann, wenn der Zusatzurlaub – ebenso wie der gesetzliche Mindesturlaub – bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht gewährt werden konnte, weil der schwerbehinderte Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war.

Seite 7 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) KÜNDIGUNGSSCHUTZ Innerhalb der ersten sechs Monate einer Beschäftigung besteht auch für schwerbehinderte Beschäftigte kein besonderer Kündigungsschutz. Zustimmungsfrei ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

auch dann, wenn dieses durch einen einvernehmlichen Aufhebungsvertrag, eine Kündigung von Seiten des schwerbehinderten Menschen oder durch Fristablauf bei einem befristeten Arbeitsverhältnis beendet wird. Im Wesentlichen beinhaltet der besondere Kündigungsschutz das Erfordernis der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Erst wenn die Entscheidung des Integrationsamtes in Form der Zustimmung vorliegt, ist die Kündigung des Arbeitgebers wirksam. Der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers kann nicht nachträglich durch das Integrationsamt zugestimmt werden. Wenn der besondere Kündigungsschutz nach den Feststellungen des Integrationsamtes keine Anwendung findet, wird ein sog. Negativattest erteilt. Dieses hat im Zweifelsfall die Wirkung einer erteilten Zustimmung und berechtigt den Arbeitgeber zur Kündigung. Die Zustimmung ist notwendig für die ordentliche und die außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber. Das gilt auch bei Änderungs- und Beendigungskündigungen.

Wann wird die Zustimmung zur Kündigung verweigert? Das Integrationsamt kann die Zustimmung zur Kündigung bspw. in nachfolgenden Fällen verweigern:      

es besteht für den Arbeitnehmer im Unternehmen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, auch durch Umsetzung oder Qualifizierung der Arbeitnehmer befindet sich in einer Rehabilitationsmaßnahme das befristete Arbeitsverhältnis wird ordentlich gekündigt der Arbeitnehmer wurde bereits für den gleichen Sachverhalt abgemahnt die Beteiligung des Betriebsrates liegt nicht vor die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung wurde nicht innerhalb von 2 Wochen ab dem für die Kündigung maßgebenden Ereignis beim Integrationsamt beantragt

Der Kündigungsschutz gemäß §§ 85 ff. SGB IX ist ein zusätzlicher Schutz. Daneben hat der schwerbehinderte Mensch wie jeder Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz ( KSchG ). Dabei ist das Kündigungsverfahren gemäß SGB IX dem arbeitsgerichtlichen Kündigungsverfahren nach dem KSchG vorgeschaltet. Erst nach zustimmender Entscheidung durch das Integrationsamt kann die Kündigung ausgesprochen werden. Seite 8 von 14

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes muss der schwerbehinderte Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung die Schwerbehinderung oder Gleichstellung dem Arbeitgeber mitteilen. Ansonsten verliert er den Sonderkündigungsschutz (BAG, Urt. v. 9.6.2011 – 2 AZR 703/09). Dies gilt dann nicht, wenn, z. B. 







die Frage einer Anerkennung als schwerbehinderte Mensch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits diskutiert worden (BAG, Urt. v. 31.8.1989, 2 AZR 8/89) ist, oder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor Zugang der Kündigung mitgeteilt hat, er habe einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt (BAG, Urt. V. 9.6.2011 – 2 AZR 703/09). Der Mitteilung des Arbeitnehmers bedarf es auch dann nicht, wenn die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig ist (BAG, Urt. v. 30.6.1993, 2 AZR 10/82) oder der schwerbehinderte Mensch objektiv nicht in der Lage war, die Frist einzuhalten (z. B. wegen eines dreimonatigen stationären Aufenthalts in einem Nervenkrankenhaus)(BAG, Urt. v. 16.1.1985 – 7 AZR 373/83).

Seite 9 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) SCHWERBEHINDERTENVERTRETUNG Die Schwerbehindertenvertretung ist die gewählte Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Beschäftigten. Im § 94 SGB IX wird für ihre persönlichen Rechtsbeziehungen auch die Bezeichnung Vertrauensperson genannt. In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens 5 schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt werden, ist neben der Schwerbehindertenvertretung (Vertrauensperson) wenigstens ein stellvertretendes Mitglied zu wählen. Der Arbeitgeber kann von der Schwerbehindertenvertretung vor allem dahingehend profitieren, dass sie ihn in allen Belangen, die die schwerbehinderten Mitarbeitenden betrifft, berät und unterstützt. Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung erfolgt nach den Bestimmungen der Wahlordnung (SchwbVWO). Die Amtszeit beträgt 4 Jahre. Die Schwerbehindertenvertretung hat die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben im Betrieb oder der Dienststelle zu fördern und deren Interessen zu vertreten. Dabei hat sie vor allem 





  

darüber zu wachen, dass die zugunsten der schwerbehinderten Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden; Maßnahmen, die den schwerbehinderten Menschen dienen, bei den zuständigen Stellen zu beantragen (d.h. Maßnahmen, die mit der beruflichen Teilhabe und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in Zusammenhang stehen); Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinzuwirken; über den Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu verhandeln; bei der Einführung und Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements mitzuwirken; Beschäftigte bei der Antragstellung auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft oder auf Gleichstellung zu unterstützen.

Kernaufgabe der Vertrauensperson ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben im Betrieb oder der Dienststelle zu fördern sowie dem schwerbehinderten Menschen helfend und beratend zur Seite zu stehen. Sie bietet dafür Gesprächsmöglichkeiten an, stellt ihre Kenntnisse zur Verfügung, schaltet sich bei Schwierigkeiten ein und vertritt die Interessen der schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen bei Maßnahmen, die der Betrieb oder die Dienststelle plant. Dazu ist vor allem erforderlich, dass sie die schwerbehinderten Menschen und deren Arbeitsplätze genau kennt, um so bei Problemen rechtzeitig unterstützend eingreifen zu können. Außerdem muss sie jederzeit einen guten Überblick über den Betrieb bzw. die Dienststelle und die Einsatzmöglichkeiten für behinderte Menschen haben. Seite 10 von 14

In allen Angelegenheiten, die einen Einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig und umfassend unterrichten, vor einer Entscheidung anhören und die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Diese Anhörungspflicht des Arbeitgebers beinhaltet zugleich ein Mitwirkungsrecht der Schwerbehindertenvertretung. Dies besagt, dass der Arbeitgeber vor einer Entscheidung in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen (z.B. Umsetzung, Versetzung, Beförderung, Eingruppierung, Kündigung, Änderung der Arbeitsbedingungen, behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes mit technischen Arbeitshilfen, berufliche Weiterbildung ) verpflichtet ist, der Schwerbehindertenvertretung die Gründe für seine Maßnahme rechtzeitig mitzuteilen und ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Dazu muss die Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit haben, mit dem schwerbehinderten Betroffenen zu sprechen und sich umfassend zu informieren. Daraus erklärt sich auch das Recht des schwerbehinderten Menschen, bei Einsicht in die über ihn geführte Personalakte die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen. Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht, 





beim Arbeitgeber den Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu beantragen. Ebenso wirkt die Schwerbehindertenvertretung an der Einführung und Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements für die schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Beschäftigten mit. an allen Sitzungen des Betriebsrats oder des Personalrats und deren Ausschüssen sowie des Arbeitsschutzausschusses beratend teilzunehmen: Sie kann beantragen, Angelegenheiten, die einzelne schwerbehinderte Menschen oder schwerbehinderte Menschen als Gruppe besonders betreffen, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen. einmal im Kalenderjahr und bei Bedarf auch wiederholt eine Versammlung schwerbehinderter Menschen im Betrieb oder in der Dienststelle durchzuführen.

Seite 11 von 14

MODUL 3: RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN (VERTIEFTE INFORMATIONEN) BESCHÄFTIGUNGSPFLICHT UND AUSGLEICHSABGABE Beschäftigungspflicht Gemäß §§ 71 ff. SGB IX haben öffentliche und private Arbeitgeber, die jahresdurchschnittlich über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. In Unternehmen mit jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätzen ist ein schwerbehinderter Mitarbeiter und in Unternehmen mit jahresdurchschnittlich bis zu 60 Arbeitsplätzen sind zwei schwerbehinderte Mitarbeiter zu beschäftigen.

Wer zählt? Welche Arbeitsplätze zählen? Zu den Pflichtarbeitsplätzen, die zur Berechnung der Ausgleichsabgabe herangezogen werden, zählen Arbeitsplätze, auf denen folgende Arbeitnehmer beschäftigt werden:       

Voll- und Teilzeitbeschäftigte geringfügig und kurzzeitig Beschäftigte Beschäftigte in Altersteilzeit Beschäftigte im Vorruhestand Beschäftigte auf Telearbeitsplätze freigestellte Betriebsräte Beschäftigte in Kurzarbeit nach SGB III

Nicht als Arbeitsplätze im vorbezeichneten Sinne zählen solche, die nur auf einer Dauer von höchstens acht Wochen begrenzt sind sowie Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden.

Wie wird die Ausgleichsabgabe berechnet? Bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe wird die Anzahl aller im gesamten Kalenderjahr anrechenbaren besetzten Arbeitsplätze zu Grunde gelegt. Davon sind die besetzten Pflichtarbeitsplätze abzusetzen und auf zwölf Monate gleichmäßig zu verteilen. Es ergibt sich die Anzahl der Jahresdurchschnittlichen Arbeitsplatzanzahl. Ist dieser Wert 20 und mehr, besteht für den Arbeitgeber eine Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte bzw. diesen gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer. Der für die Beschäftigungsquote maßgebliche Prozentwert für die Ermittlung der Höhe des zugrunde zulegenden Staffelbetrages der Ausgleichsabgabe ergibt sich aus der Anzahl aller besetzen Arbeitsplätze und der Anzahl aller besetzten Pflichtarbeitsplätze über das gesamte Veranlagungsjahr.

Seite 12 von 14

Mehrfachanrechnung Besondere Schwierigkeiten bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen können im Einzelfall dadurch ausgeglichen werden, dass diese auf 2 oder 3 Pflichtplätze angerechnet werden dürfen. Diese Entscheidung trifft die Bundesagentur für Arbeit. Schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte Auszubildende hingegen werden per Gesetz auf 2 Pflichtplätze angerechnet und zählen nicht bei der Anzahl der Arbeitsplätze mit.

Zahlung von Ausgleichsabgabe Solange die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigt wird, ist für jeden unbesetzten Pflichtplatz eine monatliche Ausgleichsabgabe zu entrichten. Die Ausgleichsabgabe ist gestaffelt und richtet sich nach dem Erfüllungsgrad der Pflichtquote. 



 

Wer keine behinderten Menschen beschäftigt oder eine Beschäftigungsquote von unter zwei Prozent hat, zahlt den Höchstsatz von 290 Euro monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Bei einer Quote zwischen zwei und unter drei Prozent beträgt die Ausgleichsabgabe 200 Euro, zwischen drei und unter fünf Prozent werden pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz 115 Euro im Monat fällig. Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätzen zahlen je Monat 115 Euro, wenn sie ihren Pflichtplatz nicht besetzen. Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich weniger als 60 Arbeitsplätzen müssen 2 Pflichtplätze besetzen; sie zahlen 115 Euro, wenn sie weniger als 2 Pflichtplätze besetzen, und 200 Euro, wenn weniger als 1 Pflichtplatz besetzt ist.

Einmal jährlich melden die Arbeitgeber durch eine Selbstveranlagung die Zahl ihrer schwerbehinderten und denen gleichgestellten behinderten Beschäftigten an die zuständige Agentur für Arbeit und überweisen die Ausgleichsabgabe gleichzeitig bis zum 31. März des Folgejahres an das Integrationsamt. Wird die Ausgleichsabgabe nicht fristgerecht gezahlt oder falsch berechnet, werden von Gesetz wegen Säumniszuschläge erhoben. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe gilt sowohl für die privaten Arbeitgeber als auch für die Arbeitgeber der öffentlichen Hand. Das Gesetz berücksichtigt nicht, aus welchen Gründen der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen ist, ob er daran ein Verschulden trägt oder nicht. Dieser kann sich also zum Beispiel nicht darauf berufen, dass ihm die Agentur für Arbeit keinen schwerbehinderten Mitarbeiter vermitteln konnte. Folglich gibt es auch nach dem Gesetz keine Möglichkeit zum Erlass oder zur Ermäßigung der Ausgleichsabgabe.

Seite 13 von 14

Anrechnung von Aufträgen an Werkstätten für behinderte Menschen Arbeitgeber, die zur Ausgleichsabgabe verpflichtet sind, können ihre Zahlungspflicht ganz oder teilweise auch dadurch erfüllen, dass sie anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen Aufträge erteilen. 50 % der in den Aufträgen enthaltenen Arbeitsleistung kann an der zu zahlenden Ausgleichsabgabe abgesetzt werden. Die Höhe der Arbeitsleistung und das Vorliegen der Anrechnungsvoraussetzungen werden auf jeder Rechnung von der Werkstatt für behinderte Menschen ausgewiesen. Die Anrechnung kann nur innerhalb des Jahres erfolgen, in dem die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe entsteht. Da Aufträge zum Teil erst im Folgejahr in Rechnung gestellt und bezahlt werden, werden auch noch die bis zum 31.03. des Folgejahres beglichenen Beträge berücksichtigt. Nicht vorsteuerabzugsberechtigte Arbeitgeber können die Arbeitsleistung um den Mehrwertsteuersatz erhöhen.

Verwendung der Ausgleichsabgabe Die Ausgleichsabgabe darf nur für Zwecke der besonderen Leistungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben verwendet werden. Zu den wichtigsten Leistungen des Integrationsamtes aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gehören die finanziellen Leistungen an Arbeitgeber und schwerbehinderte Menschen sowie die Finanzierung der Integrationsfachdienste. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist außerdem aus Mitteln der Ausgleichsabgabe ein Ausgleichsfonds als zweckgebundene Vermögensmasse für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben eingerichtet worden. Aus diesem Ausgleichsfonds werden u.a. der Bundesagentur für Arbeit Mittel zugewiesen, aus denen Leistungen an Arbeitgeber zur besonderen Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben erbracht werden.

Seite 14 von 14

Suggest Documents