Mit Luther in die neue Zeit - Die Gestaltung des Marktes in Osterwieck als Impuls

Hochschule Anhalt Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung Mit Luther in die neue Zeit - Die Gestaltung des Marktes in O...
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Hochschule Anhalt Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung

Mit Luther in die neue Zeit - Die Gestaltung des Marktes in Osterwieck als Impuls

Bachelorarbeit

eingereicht von:

Sebastian Kluth

geboren am:

22.05.1988

Studiengang:

Landschaftsarchitektur und Umweltplanung

Matrikel-Nr.:

4046974

1. Gutachter:

Herr Prof. Erich Buhmann

2. Gutachter:

Frau Dipl.-Ing. Franziska Krüger

Abgabe:

30.03.2012

Abstract

II

Abstract Thema:

Mit Luther in die neue Zeit - Die Gestaltung des Marktes in Osterwieck als Impuls

Verfasser:

Sebastian Kluth

Seitenanzahl:

89

Abbildungen:

51

Pläne:

5

Kurzbeschreibung: Im Zuge dieser Bachelorarbeit wurde ein Gestaltungskonzept für den Marktplatz in Osterwieck entwickelt, welches die Anforderungen der Stadt berücksichtigt und gleichzeitig dem gesamten Ortszentrum ein einheitliches Gestaltungsbild verleiht. Dabei standen zunächst eine ausführliche Analyse der Historie des Ortes, sowie die Auseinandersetzung mit der Bestandssituation im Vordergrund. Der Ort Osterwieck hat eine lange und interessante Geschichte, wobei besonders die Reformation das Stadtbild geprägt hat. Die außergewöhnliche Vielzahl an historischen Fachwerkhäusern der Kleinstadt im nördlichen Harzvorland wurde Stück für Stück in Stand gesetzt und auch die Sanierung der Straßenräume ist weit voran geschritten. Diese Altstadtsanierung soll nun mit der Umgestaltung des, bisher fast vollständig als Verkehrsraum genutzten, Marktes ihren Abschluss finden. Mit dem entwickelten Entwurf gibt es für die Stadt einen Anhaltspunkt, wie eine solche Innenstadt perspektivisch aussehen kann. Neben der Wiederbelebung historisch nachgewiesener Elemente liegt das Hauptaugenmerk darauf, mit einer einheitlichen Formensprache einen multifunktional nutzbaren Platz entstehen zu lassen, der einen ungestörten Aufenthalt ermöglicht und zusätzlich den Wochenmarkt wieder in das Ortszentrum legt. Verstärkt wurde auch eine Verknüpfung zum angrenzenden Kirchhof von St. Stephani geschaffen. Mit der Lutherrose wurde ein Element zur Bildung einer gemeinsamen Identität im ganzen Ort entwickelt. Weiterhin wurde zur Einbeziehung der Bevölkerung ein Fragebogen entworfen, dessen Ergebnisse sich im Anhang finden. Daneben stehen als Resultat der Arbeit die schriftliche Ausarbeitung, ein Merkblatt und fünf Pläne im DIN A1-Format.

Inhaltsverzeichnis

III

Inhaltsverzeichnis Abstract................................................................................................................................. II Inhaltsverzeichnis .............................................................................................................. III Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... V 1 Einleitung .......................................................................................................................... 7 2 Einordnung des Planungsraumes .............................................................................. 10 2.1 Räumlich ........................................................................................................................................... 10 2.2 Infrastrukturell.................................................................................................................................. 11 2.3 Touristisch ........................................................................................................................................ 12 3 Historische Betrachtungen .......................................................................................... 17 3.1 Die Entwicklung des Ortes ......................................................................................................... 17 3.2 Der Aufschwung von Handel, Gewerbe und Industrie.................................................... 23 3.3 Stadt der Reformation .................................................................................................................. 27 3.4 Das örtlichen Schulwesens........................................................................................................ 30 3.5 Aus der Frühgeschichte des Ortes ......................................................................................... 31 3.6 Vergleich der Schwarzpläne ..................................................................................................... 33 3.7 Historische Elemente am Markt ............................................................................................... 35 4 Bestandsanalyse und -bewertung .............................................................................. 40 4.1 Die Räume und deren Wahrnehmung .................................................................................. 40 4.2 Bisherige Stadtsanierung im Ort.............................................................................................. 48 4.3 Grünsystem ...................................................................................................................................... 50 4.4 Die Teilräume .................................................................................................................................. 53 4.4.1 Marktplatz ............................................................................................................................... 53 4.4.2 Stephanikirchhof .................................................................................................................. 56 4.4.3 Umgriff ..................................................................................................................................... 58 5 Planung / Umgestaltung ............................................................................................... 63 5.1 Anforderungen ................................................................................................................................ 63 5.2 Auswertung der Fragebögen .................................................................................................... 64 5.3 Konzeptentwicklung ...................................................................................................................... 64 5.3.1 Gesamtkonzept .................................................................................................................... 64

Abbildungsverzeichnis

IV

5.3.2 Die Teilbereiche ................................................................................................................... 70 5.3.3 Schwerpunkt Marktplatz ................................................................................................... 75 6 Zusammenfassung ........................................................................................................ 84 7 Literaturverzeichnis....................................................................................................... 85 8 Anlagenverzeichnis ....................................................................................................... 88 9 Selbstständigkeitserklärung........................................................................................ 89

Abbildungsverzeichnis

V

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Bestandsfoto Marktplatz Osterwieck .................................................................................... 9 Abb. 2: Die Lage der Stadt Osterwieck ............................................................................................. 10 Abb. 3: Bahnverbindungen um Osterwieck ..................................................................................... 12 Abb. 4: Verlauf Straße der Romanik................................................................................................... 13 Abb. 5: Wichtige Achsen durch Osterwieck..................................................................................... 14 Abb. 6: Rad- und Wanderwerge in der Umgebung ...................................................................... 15 Abb. 7: Verlauf Grünes Band in Deutschland ................................................................................. 16 Abb. 8: Kupferstich nach Merian .......................................................................................................... 19 Abb. 9: Stadtgrundriss von 1641.......................................................................................................... 20 Abb. 10: Fürstentum Halberstadt - Abtei Quedlinburg 1750..................................................... 21 Abb. 11: Osterwieck von Oben, Fotografie 2003 .......................................................................... 23 Abb. 12: Fotografie Kirche St.Stephani ............................................................................................. 28 Abb. 13: Wappen Einheitsgemeinde Osterwieck .......................................................................... 29 Abb. 14: Genetische Gliederung der Stadt nach Meibeyer 2004 ........................................... 31 Abb. 15: Vergleich der Schwarzpläne ................................................................................................ 34 Abb. 16: Historische Elemente am Markt ......................................................................................... 35 Abb. 17: Postkarte Osterwieck: Marktplatz mit Ratskeller ......................................................... 36 Abb. 18: Postkarte Osterwieck: Partie am Markt........................................................................... 37 Abb. 19: Fotografie aus dem Heimatmuseum in die Kapellenstraße um 1900................. 38 Abb. 20: Prospektillustration der Annoncen-Uhr-Actien-Gesellschaft aus Hamburg...... 39 Abb. 21: Luftbild von Osterwieck ......................................................................................................... 40 Abb. 22: Gliederung des Planungsraumes ..................................................................................... 41 Abb. 23: Heutige Gebäudenutzungen ............................................................................................... 42 Abb. 24: Prägende Raumkanten.......................................................................................................... 43 Abb. 25: Bisherige Fußgängerrouten ................................................................................................. 44 Abb. 26: Vorhandene Parkflächen ...................................................................................................... 45

Abbildungsverzeichnis

VI

Abb. 27: Verkehrswege (Frequentierung) ....................................................................................... 46 Abb. 28: Konfliktpotenziale ..................................................................................................................... 47 Abb. 29: Sanierung der Straßenräume ............................................................................................. 49 Abb. 30: Überörtliches Grünsystem .................................................................................................... 51 Abb. 31: Abgrenzung Plangebiet und Bestand .............................................................................. 54 Abb. 32: Panorama Marktplatz Ist-Situation .................................................................................... 55 Abb. 33: Kirchhof Ist-Situation............................................................................................................... 57 Abb. 34: Parkplatz Ist-Situation ............................................................................................................ 59 Abb. 35: Mittelstraße Ist-Situation ....................................................................................................... 60 Abb. 36: Vogteiplatz Ist-Situation......................................................................................................... 62 Abb. 37: Neugestaltung Systemschnitt ............................................................................................. 66 Abb. 38: Neugestaltung Konzeption ................................................................................................... 68 Abb. 39: Konzeption Beleuchtung bis 22:00 Uhr........................................................................... 68 Abb. 40: Konzeption Beleuchtung nach 22:00 Uhr....................................................................... 69 Abb. 41: Neugestaltung Kirchhof ......................................................................................................... 70 Abb. 42: Neugestaltung Vogteiplatz ................................................................................................... 71 Abb. 43: Neugestaltung Stobenplatz .................................................................................................. 72 Abb. 44: Neugestaltung Parkplatz ....................................................................................................... 74 Abb. 45: Neugestaltung Brunnenplatz ............................................................................................... 75 Abb. 46: Gestaltungskonzept Marktplatz .......................................................................................... 77 Abb. 47: Panorama Marktplatz Planung ........................................................................................... 78 Abb. 48: Neue Ausstattungselemente ............................................................................................... 79 Abb. 49: Osterwiecker Geschichtstafel ............................................................................................. 80 Abb. 50: Pflasterdetail .............................................................................................................................. 81 Abb. 51: Bespielungsvarianten ............................................................................................................. 82

Einleitung

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1 Einleitung Der gesellschaftliche Umschwung, welcher sich über die Jahrhunderte vollzogen hat und der damit einhergehende Fortschritt haben ihre Auswirkungen mit Nichten auf unsere Lebensqualität und die sozialen Lebensbedingungen beschränkt. Auch die Bedeutung von Freiflächen unterliegt dem Wandel der Zeit, womit sich neben der Nutzung vor allem auch das Erscheinungsbild der Außenräume verändert hat. Dieser bilaterale Prozess gegenseitiger Prägung ist keinesfalls abgeschlossen, er findet permanent und fortlaufend statt. Die Aufgabe der Landschaftsarchitektur liegt somit nicht nur darin, die Freiflächen nach heutigem Zeitgeist zu formen, sondern sowohl auf die vergangene Gestaltung im Sinne der Denkmalpflege Rücksicht zu nehmen, als auch den zukünftigen Zeitgeist durch eine zukunftsoffene Gestaltsprache zu beeinflussen. Während in vergangenen Epochen die Märkte und Straßenräume von jeher als Zentrum des öffentlichen Lebens eine enorme Bedeutung erfahren haben, die Gestaltung aber oftmals in den Hintergrund rückte, ist heute in Zeiten der Schnelllebigkeit und des demographischen Wandels ein Erscheinungsbild gefragt, das dem, besonders in Kleinstädten ausgeprägten, „Aussterben“ der öffentlichen Räume entgegenwirkt und gleichzeitig eine hohe Attraktivität schafft, welche Besuchern auch ohne ein dauerhaft lebendiges Treiben eine angenehme Aufenthaltsqualität vermittelt. Durch eine sich rasant entwickelnde Mobilität und den bedeutsamen Individualverkehr wird aktuell in Außenräumen ein Flächenanteil für Verkehrsräume benötigt bzw. genutzt, wie es selten zuvor in der Geschichte der Fall war. Gerade historische Stadtgrundrisse mit ihren verwinkelten Plätzen und engen Gassen stoßen da schnell an ihre Grenzen. In den letzten Jahren findet jedoch ein Umdenken dahingehend statt, dass nicht jeder Winkel mit dem eigenen Auto erreichbar sein muss und man wieder verstärkt auf öffentliche Verkehrsmittel setzt, wenngleich dahinter ökonomische und ökologische Ursachen zu suchen sind. Jenes Denken wird auch von der Freiraumplanung aufgegriffen und spiegelt sich in den umgestalteten Außenräumen wieder. Die vorliegende Arbeit setzt sich konkret mit dem Ortszentrum der Stadt Osterwieck auseinander. Die außergewöhnliche Kleinstadt im nördlichen Harzvorland zeichnet sich durch eine beispiellose Vielzahl an großteils gut erhaltenen und sehr alten Fachwerkhäusern aus. Mit den 376, unter Denkmalschutz stehenden, Häusern ist fast der komplette Altstadtkern betroffen, immerhin die Hälfte davon wurde vor 1720 erbaut.

Einleitung

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Die Stadt bekannte

sich früh zum lutherischen Glauben und aufgrund der 41

Hausinschriften mit reformatorischer Theologie ist Osterwieck als „Fachwerkstadt der Reformation“ geprägt. Weiterhin ist mit der Kirche St. Stephani eines der frühesten protestantischen Stadtkirchenbauwerke zu sehen, welches mit Bauzeit von 1552-1557 weit vor dem Glaubensbekenntnis des gesamten Bistums Halberstadt 1568 fertiggestellt war. 1 In Osterwieck wurden die Straßenzüge im Rahmen der Städtebauförderung bisher grundsaniert. Der Kernbereich um den Marktplatz ist als Schlusspunkt dieser Altstadtsanierung für eine Umgestaltung vorgesehen. Die Stadt möchte im Rahmen einer solchen Veränderung den Wochenmarkt wieder im Zentrum etablieren und einen lebendigen, vielfältig nutzbaren Platz schaffen. Aus diesem Grund lief im Sommer 2011 bereits

ein

erstes

studentisches

Ideenprojekt

der

Hochschule

Anhalt

mit

Architekturstudenten aus Dessau unter der Betreuung von Professor Erich Buhmann und Professor Dr. Dorothea Fischer-Leonhardt. Diese Bachelorarbeit versteht sich nicht als Fortführung der bisherigen Arbeiten, sondern eher als vertiefende Betrachtung aus der eigenen Sicht der Landschaftsarchitektur, ohne dabei von den vorhandenen Ausarbeitungen Gebrauch zu machen. Trotz seiner vielen Besonderheiten hat Osterwieck mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, denen sich viele kleinere Gemeinden der neuen Bundesländer nach der politischen Wende ausgesetzt sahen. Der Marktplatz als früheres Zentrum des öffentlichen Lebens ist heute weitgehend auf seine Funktion als Verkehrsfläche reduziert (siehe Abb. 1). Herausforderung bei der Neugestaltung wird es sein, im historischen Kontext eine multifunktional nutzbare Freifläche mit ansprechender Gestaltung zu schaffen und eine Vernetzung des gesamten Innenstadtbereichs zu erreichen, ohne dabei die verkehrliche Bedeutung auszuklammern.

1 vgl. Einheitsgemeinde Osterwieck 2011, S. 28

Einleitung

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Abb. 1: Bestandsfoto Marktplatz Osterwieck2

Um ein Konzept zur Neugestaltung zu entwickeln stehen am Anfang eine ausführliche, Betrachtung der Historie, sowie eine intensive Bestandserfassung und Analyse. Daraus wird ein Entwurf für einen neuen Marktplatz im Zusammenhang des gesamten Ortskerns erarbeitet. Die wesentlichen Ergebnisse der Ausarbeitung finden sich in Form von Plänen unterstützt von dieser textlichen Dokumentation.

2 Quelle: eigene Aufnahme, Januar 2012

Einordnung des Planungsraumes

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2 Einordnung des Planungsraumes 2.1 Räumlich Die sogenannte Einheitsgemeinde Osterwieck liegt am östlichen Rand Sachsen-Anhalts im Landkreis Harz.

Abb. 2: Die Lage der Stadt Osterwieck3

In den 14 Gemeinden leben insgesamt etwa 12.500 Einwohner auf einer Fläche von 212 km². Die direkte Grenze zu Hessen war zu Zeiten des Kalten Krieges als Eiserner Vorhang bekannt. Heutzutage hat diese Nähe zu den alten Bundesländern mehrere Vorteile, besonders Berufspendler können ihren Wohnsitz im Ort behalten und zur Arbeit in die nahegelegenen Ballungsräume fahren. Einige Kilometer südlich befindet sich mit dem Harz das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands. Der Fallstein als Erhebung direkt nördlich von Osterwieck ist eine bewaldete Anhöhe von 288 m ü. NN an seinem höchsten Punkt. Osterwieck liegt mit seinen 120 m ü. NN im Tal zwischen diesen beiden Höhenzügen. 3

Quelle: http://www.stadtosterwieck.de/images/stories/phoca/ wirtschaft/thumbs/phoca_thumb_ m _uebersicht.jpg, abgerufen am 21.02.2012

Einordnung des Planungsraumes

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Die Ilse, welche am Nordhang des Brockens entspringt, fließt als einzig bedeutsamer Fluss in Süd-Nord-Richtung durch das Gemeindegebiet, dabei direkt durch die Stadt Osterwieck und letztendlich bei Börßum in die Oker. Um den Ort wurde zum Hochwasserschutz mit der sogenannten Lake der Hauptteil des Flusses südlich herumgeleitet. Der verbliebene Kanal im Ort wird als Mühlen-Ilse bezeichnet. Die beiden Wasserläufe vereinen sich im Westen der Stadt wieder zur Ilse. Das nördliche Harzvorland ist mit durchschnittlich 8,7° Jahr nur leicht wärmer als der gesamtdeutsche Mittelwert. Beim Niederschlag ist die Region mit 600 mm/Jahr dagegen etwas unter dem landesweiten Schnitt von 800 mm/Jahr4. Begründen kann man dies durch die Lage im Regenschatten des Harzes. Mit zunehmender Geländehöhe in steigen die Niederschläge und sinken die Temperaturen. Osterwieck ist dem Oberzentrum Magdeburg zugeordnet. Halberstadt, Wernigerode und Goslar sind umliegende Mittelzentren. Die Stadt selbst fungiert als Grundzentrum für die umliegenden Orte. Dabei übernimmt man die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, sowie Verwaltungs-, Bildungs- und Sporteinrichtungen. 2.2 Infrastrukturell Großräumig ist die Lage in einem virtuellen Viereck der Städte Hannover, Magdeburg, Halle und Göttingen als relativ zentral zu bezeichnen. Davon profitiert Osterwieck auch bei der infrastrukturellen Anbindung (siehe Abb. 2). Die A2 im Norden, die A14 im Osten, sowie die A38 im Süden und die A7 im Westen untermauern diesen Zusammenhang. Verbunden ist der Ort an jenes Autobahnnetz über die unweite A395 in Richtung Braunschweig, sowie die B6N nach Osten. Im Gemeindegebiet sind weiterhin die B244, welche von Helmstedt nach Wernigerode in Nord-Süd-Richtung das Gemeindegebiet quert und die B79 von Braunschweig nach Halberstadt verlaufend. Daneben gibt es eine Reihe an Landes- und Kreisstraßen zur Verbindung der Ortschaften untereinander. Über den Kraftverkehr ist Osterwieck sowohl an die Wirtschaftszentren der Region, als auch überregional Knotenpunkte solide gekoppelt.

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Quelle: http://www.harz-seite.de/klima.htm, abgerufen am 20.02.2012

Einordnung des Planungsraumes

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Bei der Betrachtung der Bahnverbindungen ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Die Gemeinde verfügt über keinen eigenen Bahnanschluss mehr. Eine frühere Strecke der Osterwieck-Wasserslebener Eisenbahn wurde zu DDR-Zeiten ausschließlich auf der Ostseite der Grenze genutzt und schließlich im Jahr 2002 stillgelegt. Die Trasse ist jedoch heute noch in großen Teilen erhalten. Der nächste Eisenbahnknoten findet sich im 12 km entfernten Vienenburg, was generell als suboptimal zu bezeichnen ist (siehe Abb. 3). Durch die gute Straßensituation und die relativ geringen Entfernungen zu den umliegenden Orten kann man diesen Nachteil jedoch partiell kompensieren.

Abb. 3: Bahnverbindungen um Osterwieck5

2.3 Touristisch Von der infrastrukturellen Anbindung profitiert die Region natürlich auch beim Tourismus. Der Harz als innerdeutsche Ausflugs- und Urlaubsregion übt darüber hinaus eine enorme Anziehung auf die Menschen aus. Das Gebiet ist bequem zu erreichen und damit ein beliebtes Reiseziel. Das große Potenzial begründet sich speziell in Osterwieck jedoch mit Nichten auf diesem Fakt. Der Ort mit spiegelt seinen „138, bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges erbauten, Häusern die Stilgeschichte des Fachwerkbaus von der Gotik über die

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Einordnung des Planungsraumes

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Renaissance bis zum Barock wieder“6. Als einzigartig lassen sich auch die 41 Hausinschriften bezeichnen, die in reformatorischer Theologie geschrieben, Zeugnis für die lange Geschichte des lutherischen Glaubens im Ort sind. Mit der Straße der Romanik, der Deutschen Alleenstraße und der Deutschen Fachwerkstraße kreuzen sich gleich drei wichtige landesweite Achsen in Osterwieck.

Abb. 4: Verlauf Straße der Romanik7

Die Straße der Romanik verläuft als Reiseroute durch Deutschland und verbindet eine Vielzahl an Gebäuden aus der Zeit des Mittelalters (siehe Abb. 4). Sie ist Teil der

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Heft Einheitsgemeinde Osterwieck, S. 28 Quelle: http://www.djh-sachsen-anhalt.de/fileadmin/images/titelbilder_hauptauftritt/Strasse _der_Romanik/Verlauf_StrasseRomanik.jpg, abgerufen am 23.02.2012 7

Einordnung des Planungsraumes

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europaweiten Transromanica mit Stationen in Deutschland, Italien, Österreich und Slowenien. Die Deutsche Alleenstraße ist eine gesamtdeutsche Strecke mit beidseitig bepflanzten Baumstraßen, welche als einzigartiges Kulturgut Heimat für viele Pflanzen- und Tierarten ist. Jenes Band aus Bäumen verbindet Ost mit West und gilt vor allem als Projekt zum Naturschutz. Die Deutsche Fachwerkstraße führt von der Elbmündung bis zum Bodensee und verbindet auf 2800 km fast 100 Fachwerkstädte mit ihren Denkmälern und einmaligen Landschaften. Diese drei Routen haben ihren Kreuzungspunkt in Osterwieck (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Wichtige Achsen durch Osterwieck8

In der Umgebung von Osterwieck findet man außerdem eine Reihe von regional und überregional bedeutsamen Rad- und Wanderwegen (siehe Abb. 6). Der Europaradweg R1 von Boulogne-sur-Mer in Frankreich bis St. Petersburg in Russland ist mit 3500 km Länge der Wichtigste. Er verläuft nur wenige Kilometer südlich von Osterwieck. Über den Ilse-Radweg, eine Art Rundweg von 32 km Länge, gelangt man von Ilsenburg direkt in 8

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Einordnung des Planungsraumes

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den Ort Osterwieck und wieder zurück an den Europaradweg. Die Radroute am Grünen Band verbindet auf 70 km Strecke als Rundweg die ehemalige Grenzregion. Weiterhin erwähnenswert ist der Harzvorlandweg, welcher sich auf 200 km von Thüringen nach Niedersachsen erstreckt und das Gemeindegebiet nordöstlich passiert.

Abb. 6: Rad- und Wanderwerge in der Umgebung9

Mit dem Grünen Band als Biotopverbund, das sich entlang der Grenze des ehemaligen Eisernen Vorhangs zieht und durch zusammen 12.500 km in ganz Europa verläuft, findet sich eine weitere bedeutsame Achse nur unweit des Ortes. Besonders am innerdeutschen Grenzstreifen hat sich die Natur regeneriert und bietet einzigartige Lebensräume für Tiere und Pflanzen (siehe Abb. 7). Aus dem ehemaligen Todesstreifen entstand eine Art Lebenslinie. Der Harz war aufgrund seiner reichhaltigen Bodenschätze zu jeder Zeit begehrt und hat deshalb eine lange Tradition als Grenzregion.

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Einordnung des Planungsraumes

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Abb. 7: Verlauf Grünes Band in Deutschland10

Unweit nördlich von Osterwieck steht mit dem Bismarckturm seit 1904 ein lokales Denkmal, das einen ausgezeichneten Panoramablick über das ganze Harzvorland bietet. In der Summe lässt sich für den Ort ein großes touristisches Potenzial ausmachen, das es verstärkt zu nutzen gilt.

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Quelle: http://www.umwelt-im-unterricht.de/sites/default/files/bilder/karte_deutschland_grunes_ band_0.png, abgerufen am 23.02.2012

Historische Betrachtungen

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3 Historische Betrachtungen 3.1 Die Entwicklung des Ortes Die lange Geschichte der Stadt Osterwieck geht zurück bis auf das Jahr 780 n.Chr., wo Karl der Große bei seinen Feldzügen gegen die Sachsen zum ersten Mal die Oker überquerte und im heutigen Osterwieck, damals „Salingenstede“ eine Kirche gründete. Diese Kirche weihte er dem heiligen Stephanus und machte sie zum Sitz seines Missionszentrums mit Hildegrim als Leiter. Karl der Große hatte dabei das Ziel, die heidnischen Sachsen zum christlichen Glauben zu bekehren. Das Missionszentrum aber wurde um 800 nach Halberstadt verlegt. Am 1. April 974 erhielt „Seligenstadt“ als Bistum das Münz- und Zollrecht von Kaiser Otto II, später auch die Zollfreiheit und Marktrecht (Verkehrsrecht). Damit gab er den Einwohner die Erlaubnis, Handel zu treiben, nicht auf Märkten, wie man sie heute kennt, sondern jederzeit in jedem Haus. Der Name Osterwieck erscheint in schriftlichen Quellen erstmals um 1073 n. Chr., im Inhalt eines Briefes vom Erzbischof an mehrere Bischöfe als „Ostrewic“. Allgemein ist die Endung -stedt oder -stadt bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. gebräuchlich, während die Endung -wiek dem eher 7./8. Jahrhundert zugeordnet wird. Mit der Vorsilbe Oster- gab man wahrscheinlich die Himmelsrichtung aus Sicht der damaligen Siedler an. Vermutlich lag Osterwieck also östlich einer bedeutenden Stadt oder Stelle, welches in dem Fall die örtliche Kirche gewesen sein könnte. Der „Wik“ wird im altsächsischen und fränkischen als „Umschlagplatz und Rastort für durchreisende Wander- und Fernkaufleute, dann aber auch eine feste Wohnsiedlung für ansässige Händler und örtliche Gewerbetreibende“ 11 bezeichnet. 1108 wird das Augustiner Mönchskloster in Osterwieck durch Bischof Reinhard von Halberstadt beschenkt und bestätigt, allerdings nur vier Jahre später wieder nach Hamersleben verlegt, da sich die Mönche angeblich vom Marktlärm gestört fühlten. Der Standort lag nördlich des Marktes im Bereich des heutigen Hagens und deutet auf ein reges Treiben zu dieser Zeit hin.

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Theo Gille: Stadtführer Osterwieck S.8

Historische Betrachtungen

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Im 12. Jahrhundert wird die Stephanikirche mit den beiden noch heute erhaltenen, romanischen Türmen erbaut. Etwa aus dieser Zeit stammt auch die Nikolaikirche. Aus einer Urkunde des Jahres 1215 vom Halberstädter Bischof heißt es übersetzt: „in unserer Stadt Osterwieck“. Dies ist der erste schriftliche Hinweis, welcher auf das Stadtrecht hindeutet, zu dieser Zeit ein autonomes Rechtsgebilde. 1265 werden das Rathaus als „Theatrum“12 und zehn Jahre später der Marktplatz erstmals explizit genannt. Ein Umbau des Rathauses erfolgte in den Jahren von 1450-1460, wie es noch heute erhalten ist. Der erste bekannte Stadtschreiber Wanradus, Stenboden genannt, legte im Jahr 1353 das Osterwiecker Stadtbuch an, es enthielt 113 Rechtsartikel nach Goslarer Recht. 1495 ereignete sich eine verheerende Überschwemmungskatastrophe, wobei fast der ganze Ort zerstört wurde. Die Kirche, auf einer Anhöhe gelegen, und das Rathaus mit seinen Steinfundamenten blieben dabei verschont. In Folge dessen wurde der, dafür hauptsächlich verantwortliche, Trallebach, welcher über den heutigen Marktplatz direkt durch den Ort floss, in einen südlich um die Stadt angelegten Kanal eingeleitet, wobei ein genauer Verlauf jenes Baches heute nicht mehr exakt bekannt ist. Der Kanal wurde gebaut, um einen Hauptteil des Ilsewassers umzuleiten, schnitt aber gleichzeitig auch dem Trallebach den Weg in den Ort ab. Die sogenannte Mühlen-Ilse, wie sie noch heute existiert verblieb im Zentrum. Im Jahr 1511 gab es einen verheerenden Stadtbrand, welcher die meisten Häuser zerstörte. Aus der Zeit vor diesen beiden Ereignissen sind daher kaum noch Fachwerkhäuser vorhanden. Es ist davon auszugehen, dass danach eine städtebauliche Neuordnung stattfand. Für den Reichtum einer Stadt im Mittelalter waren ortsansässige Adelsfamilien von großer Wichtigkeit. In Osterwieck sind die Bedeutsamsten die Rössings, welche sich im 14. Jahrhundert hier niederließen. Sie besaßen unter anderem den „Bunten Hof“. Der Name leitet sich vom Bundeshof ab und war schon lange vorher ein Treffpunkt sächsischer Adliger gegen den Kaiser. Im Jahr 1578/79 wurde das heute noch vorhandene Gebäude erbaut. Die Familie war mit ihren Soldaten an einigen Feldzügen beteiligt und man nimmt an, dass die Waffen dafür in Osterwieck beschafft wurden. Damit füllte sich dementsprechend die Stadtkasse und auch ortsansässige Handwerker profitierten.

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übersetzt Schauplatz nach http://de.wiktionary.org/wiki/theatrum

Historische Betrachtungen

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Abb. 8: Kupferstich nach Merian 13

Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges war Osterwieck eine starke Festung mit wohl fast 4000 Einwohnern. Bis zum Jahr 1623 wurde Osterwieck vom Kampfgeschehen daher kaum berührt. Dann kam der Herzog Christian von Braunschweig mit 16000 Mann Fußvolk und 6000 berittenen Soldaten in den Ort. Für den Unterhalt sollte die Stadt Geld aufbringen, welches sie nicht besaß, so dass alle Wertsachen beschlagnahmt wurden. Ab jenem Zeitpunkt war die Zeit des Krieges für die Bevölkerung sehr hart und entbehrungsreich. Die Besatzung wechselte bis zum Kriegsende mehrfach, an der Situation änderte dies jedoch nichts. Ab 1631 war das Gebiet unter schwedischer Herrschaft, letztlich belagerten die kaiserlichen Truppen den Ort vom 4. Juli 1641 an. Auf dem Kupferstich von Merian desselben Jahres erkennt man eine gut ausgebaute Stadtbefestigung (siehe Abb. 8). Von der Belagerung existiert auch ein Belagerungsplan. Dieser zeigt zwar in deutlich vereinfachter Weise, aber dennoch klar erkennbar, die kreisrunde Struktur des Ortes mit den zentralen Freiflächen am Markt (siehe Abb. 9).

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Quelle: Schauer: Die Fachwerkstadt Osterwieck 1997 S. 9

Historische Betrachtungen

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Abb. 9: Stadtgrundriss von 164114

Am 6. August 1641 zogen die Kaiserlichen in den Ort, konnten ihn aber nicht dauerhaft halten. Zwei Jahre später übernahmen die Schweden Osterwieck bis Kriegsende erneut. Neben der Bedeutung als starker Festung war auch die zentrale Lage ein Grund für die Wichtigkeit des Ortes. Die Einwohnerzahl sank wegen des Krieges und Krankheiten, wie der Pest, in dieser Zeit auf gerade einmal 1000. Am 14. Oktober 1648 wurde der Westfälische Friede von Osnabrück geschlossen. Halberstadt als Bistum wurde weltliches Fürstentum und unterstand von nun an Brandenburg-Preußen. Osterwieck wurde Kreisstadt (siehe Abb. 10). Unter Napoleon gehörte Osterwieck dann ab 1807 zum Königreich Westfalen, genauer dem Saale-Departement und dem Distrikt Halberstadt, es war Kantonssitz. Mit der Niederlage des französischen Kaisers im Jahr 1813/14 wurden die vorherigen Verwaltungsstrukturen wiederhergestellt und bestanden dann bis zum Jahr 1825. Im 19. Jahrhundert erlebte die Entwicklung des Ortes einen Aufschwung. Die Einwohnerzahl stieg kontinuierlich an und auch das Gewerbe blühte auf.

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Quelle: Schauer: Die Fachwerkstadt Osterwieck 1997 S. 9

Historische Betrachtungen

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Abb. 10: Fürstentum Halberstadt - Abtei Quedlinburg 175015

In der zweiten Hälfte begann dann mit einigen Fabrikgründungen die eigentliche Industrialisierung. 1868 erhielt Osterwieck über die Haltestelle Schauen Anschluss zur neu gebauten Bahnlinie Halberstadt-Vienenburg. Da diese Situation für die Fabriken im Ort suboptimal war, gründeten deren Besitzer ein Komitee für den Bau einer Eisenbahn von Osterwieck nach Wassersleben. Sie wurde bereits am 18. Mai 1882 eröffnet und mit ihr der Anschluss ans Haupteisenbahnnetz hergestellt. Die Erweiterung der Linie bis nach Hornburg wurde dann 1908 beendet. Von Hornburg nach Börßum existierte bereits zuvor eine Linie, so dass erstmals eine durchgehende Bahnverbindung geschaffen war. Die, wegen der gesellschaftlichen Veränderungen neu vom Land in die Stadt gezogenen, Industriearbeiter benötigten zusätzliche Wohnungen, welche auf den ehemaligen Wallanlagen in einfacher Fachwerkarchitektur entstanden. Im Jahr 1884 brach in der Nacht vom 11. zum 12. Januar ein Brand in der Schützenstraße aus. Das Feuer zerstörte 44 Wohnhäuser, sowie 100 Stall- und

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Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8d/F%C3%BCrstentum_HalberstadtAbtei_Quedlinburg.jpg, abgerufen am 23.02.2012

Historische Betrachtungen

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Nebengebäude. Ein starker Wind sorgte für eine schnelle Ausbreitung. Die Halberstädter Feuerwehr konnte das Feuer aber eindämmen, so dass ein Übergreifen auf weitere Häuser verhindert werden konnte. Da die Versicherung nur zahlte, wenn das Haus innerhalb eines Jahres wieder aufgebaut wurde, schlossen sich die Baulücken relativ rasch wieder. Im Jahr 1895 folgte der Bau einer städtischen Wasserleitung und 1901 erhält Osterwieck durch ein eigenes Kraftwerk Elektrizität. Es folgt ein Sprung in die Zeit der Weltkriege. Während dem Ersten Weltkrieg fallen 248 Osterwiecker Bürger. Bereits 1930 wird das Heimatmuseum eröffnet und Fritz Gille der erste Leiter. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Stadt von großen Bombenangriffen verschont, lediglich 1944 fallen acht Fliegerbomben auf den Stadtrand und ein Mensch stirbt. Im Vergleich zu Halberstadt, welches am 8. April 1945 fast völlig zerstört wurde, hat Osterwieck großes Glück gehabt und die Fachwerkbauten blieben erhalten. Drei Tage nach diesem Ereignis rückten amerikanische Truppen kampflos in den Ort ein. Sie werden am 1. Juni von den Engländern abgelöst und schon ab Juli beginnt die sowjetische Besatzungszeit. Die Zonengrenze verlief nur 5 km westlich der Stadt. Mit dieser Zugehörigkeit war die Entwicklung des Ortes entscheidend geprägt. In der Folgezeit kam es zu Enteignungen der Betriebe und Bildung von Genossenschaften. Trotzdem kehrte langsam eine Wiederbelebung in Industrie und Landwirtschaft ein. Mit dem Gleitlagerwerk und dem Kleiderwerk fanden sich bedeutsame Betriebe in Osterwieck. Ebenso typisch für das Gebiet der DDR wurden verstärkt Kinderbetreuungseinrichtungen gebaut und Schulen erweitert. In den 1960er Jahren entstanden für die wachsende Stadt Wohnblöcke und mit dem Neubau der Mietwohnungen und Industrieanlagen wurde der Erhalt der historischen Gebäude in der Altstadt zurückgestellt. Zur Zeit der Wende wurden mehrere Betriebe, u.a. die Zuckerfabrik geschlossen und die Arbeitslosigkeit erreichte die 50% Marke. Auf der positiven Seite stehen die Sanierung der Stephanikirche und die Etablierung einer Abiturausbildung im Ort. Seitdem findet eine Sanierung des gesamten Innenstadtbereichs statt und der Ort erlebt einen stetigen Aufschwung (siehe Abb. 11).

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Abb. 11: Osterwieck von Oben, Fotografie 200316

Mit dem Ortsteil Hessen gibt es einen weiteren geschichtsträchtigen Ort in der Gemeinde, der seine Blüte mit dem Schloss unter Heinrich Julius erlebte. Er war Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, weiterhin Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel und sorgte dafür, Hessen als Glanzpunkt höfischen Lebens und Zentrum der Gartenkunst bekannt zu machen. 3.2 Der Aufschwung von Handel, Gewerbe und Industrie Im Mittelalter schlossen sich Handwerker und Gewerbetreibende zu Gilden und Innungen zusammen. In Osterwieck ist als älteste die Leinweberinnung bekannt, über die aus dem Jahr 1308 das erste schriftliche Zeugnis existiert. In dieser Urkunde vom Halberstädter Bischof steht festgeschrieben, dass sich kein fremder Leinweber in Osterwieck niederlassen darf und die Aufnahme in die Innung den Mitgliedern obliegt. Für die Aufnahme ist ein Betrag zu entrichten, welcher zur Hälfte an den Bischof und zum Rest an die Innungsmitglieder fließt. Weiterhin dürfen die Mitglieder keine Vorschrift erlassen, die der Stadt oder dem Bischof zum Nachteil werden können.

16

Quelle: Stadt Osterwieck

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Während dieses Zeitraumes gab es bereits weitere Innungen im Ort, die der Krämer erhielt 1327 ihre Bestätigung. Im Stadtbuch werden 1353 zusätzlich erwähnt: Bäcker, Brauer, Tuchhändler, Messerschmiede, Hutmacher (die aber keine eigene Innung haben) und Fleischhauer17. Die Leineweberinnung war ursprünglich nicht mit den anderen Gilden gleichgestellt. Sie durfte als einzige nicht an den Versammlungen der Gilden teilnehmen und deren Söhne durften in vielen Gilden nicht als Lehrlinge anfangen. Erst nachdem sie 1652 einen Schutzbrief vom Kaiser Ferdinand III. erwirkt hatten, wurden Leinweber ab 1660 voll anerkannt. Für Osterwieck spielten eine besondere Rolle: Gewandschneider und Tuchmacher, Sattler, Schuster, Krämer, Knochenhauer, Schneider und Schmiede18. Wer in einer dieser Gilden aufgenommen werden wollte, musste nachweisen, dass er einen Lehrbrief im jeweiligen Handwerk besaß, vier Ahnen als Beweis seiner Abstammung benennen, sowie nicht zu einem tadelhaften Geschlecht gehören. Dies waren damals z.B. Zöllner, Bartscherer oder Schäfer. An der Nordseite der Stephanikirche findet sich die Gildenprieche, welche die Namen der sieben Gilden und ihre Vorsteher beinhaltet. Die Macht jener Organisationen wird auch darin verdeutlicht, dass etliche Bürgermeister Gildenmitglieder waren. Die Vereinigungen machten häufig von ihrem Einspruchs- und Mitbestimmungsrecht gebrauch, denn damals galten Arbeitsniederlegungen und Streiks ebenso als Machtmittel zur Interessendurchsetzung, wie heute. Unter der westfälischen Herrschaft wurden die Innungen 1809 aufgelöst, der Besitz enteignet und die Gewerbefreiheit eingeführt. Mit der Auflösung jenes Königreichs entwickelte sich aber wieder der vorhergehende Zustand. Während des Besuchs von Zar Peter 1697 war die Stadt für ihre Waffenherstellung und Metallverarbeitung bekannt. Ilsenburg war damals eines der größten Hüttenwerke Deutschlands. Das Zeughaus im Moskauer Kreml bewahrt angeblich noch heute Radschlossgewehre aus Osterwieck auf. Auch das Braugewerbe hatte für Osterwieck eine große Bedeutung. Bereits 1353 findet sich im Stadtbuch eine Strafe für Brauer, die beschuldigt werden, zu wenig auszu-

17, 18

Theo Gille: Stadtführer Osterwieck S.18

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schenken und keinen Beweis dagegen erbringen können. Im 16. Jahrhundert besaßen nur Halberstadt, Aschersleben und Osterwieck das Recht, im Bistum zu brauen und auszuschenken. Noch heute weisen die ausladenden Torbögen auf den ausgedehnten Braubetrieb hin, von 421 Häusern hatten 1766 immerhin 87 das Braurecht. 1723 gab es bereits eine Flanellfabrik im Ort und 1759 eine Leinwand- und Schlechterfabrik. In einer Solchen wurden die Garne für Webereien mit dünnflüssigem Klebemittel durchtränkt. Mit der Industrialisierung entstanden in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Harzer Bleiweißfabrik, die Druckerei, Zuckerfabrik, Düngerfabrik, Böttcherei, Fassfabrik mit Sägewerk, die Deutschen Halbtonwerke, eine Konservenfabrik, sowie eine Reihe der Betriebe für Handschuh- und Lederherstellung. Letztere haben dabei eine herausragende Bedeutung, die Osterwieck zeitweise sogar „Weltruf“ brachte. Im 17. Jahrhundert kamen die Hugenotten in die Region und prägten die Handschuhherstellung. Um die Felle verarbeiten zu können, mussten sie natürlich vorher gegerbt werden, was eine Reihe von Gerbereien mit sich brachte. All diese Industrie benötigte als Existenzgrundlage das Wasser der Ilse. Als Begründer der eigentlichen Handschuhindustrie in Osterwieck gilt Christian Behrens. Er begann 1850 mit der

Handschuhfabrikation

und

beschäftigte

1875

außergewöhnliche

200

Handschuhmacher und 700 Arbeiterinnen (Näherinnen und Stepperinnen). Eine weitere Besonderheit war, dass Frauen eine solche Arbeit von zu Hause ausüben konnten. 1869 wurde ein Handschuhmacherverein gegründet, mit dem wiederrum der Arbeitskampf Einzug hielt. 1905 zählte der Ort 15 Handschuhfabriken, die in den Jahren bis 1924 mehr als 1000 Menschen Arbeit boten. Die höchste Einwohnerzahl in der Geschichte der Stadt, mit Ausnahme der Eingemeindungen seit 2010, erreichte Osterwieck 1895 mit 6378 Einwohnern. Zu Zeiten der Inflation wurde dann das „Osterwiecker Ledergeld“ produziert. Insgesamt 177.000 Scheine mit einem Nennwert von 2,9 Mio. Mark wurden 1922/1923 gedruckt. Mit dem Aufdruck „Baustein“ versuchte man, das 1921 erlassene Verbot der Ausgabe von Notgeld zu umgehen. Die Scheine wurden für Sammlerzwecke vertrieben und waren eine gute Werbung für die ortsansässige Lederindustrie. Ende der 1920er Jahre ging die Konjunktur immer weiter zurück, so dass 1932 der Großteil der Lederarbeiter ohne Anstellung war und zahlreiche Betriebe schließen mussten. Nachdem zwei Handschuhfabriken durch Brände zerstört wurden, gab es bis 1945 nur noch drei Fabriken. 1980 wurden dann zwei davon zusammengeschlossen, überlebten

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den politischen Umbruch aber nicht. Aktuell hält lediglich das Ehepaar Seeger die Handschuhherstellung aufrecht. Eine weitere große Rolle in der Geschichte von Osterwieck spielte die Buchdruckerei und Verlag von A. W. Zickfeldt. Er gründete im November 1868 eine kleine Druckerei in der Neukirchenstraße.

Diese wuchs rasch und mit ihr die Verlagstätigkeit. Mit der

pädagogischen Literatur erreichte man sogar Millionenauflagen. 1883 wurde die Druckerei in die Nikolaistraße verlegt. Nach dem Tod von August Wilhelm wurde der Betrieb von seinem Sohn weitergeführt. Durch weitere Expansion war ein Umzug in das neue Gebäude Bahnhofstraße unabdingbar. Zu Zeiten der NS-Regimes brachte man auch regimetreue Literatur heraus, was Anlass war, den Betrieb nach dem Zweiten Weltkrieg zu enteignen.

Die Maschinen wurden ausgebaut und in die Sowjetunion

verbracht. Man begann aber von neuem mit einer kleinen Druckerei und spezialisierte sich auf den Druck und Vertrieb von Formularen für die Landwirtschaft. Nach der Wende folgte die Übernahme durch einen Braunschweiger Unternehmer und die Umbenennung in „Demos-Pigge Druck+Verlag“. Die lange Tradition wird heute durch die Druckerei Borek, ehemals Pigge-Druck bewahrt. Die Lackfabrik wurde 1847 gegründet und das dort hergestellte Bleiweiß schaffte es sogar auf die Weltausstellung in Wien 1874. Die Anlage entwickelte sich bis zum 1. Weltkrieg zu einer der wichtigsten Deutschlands. Wie die anderen Betriebe auch, wurde sie 1947 in Volkseigentum überführt, nach der Wende wieder privatisiert und modernisiert. Heute ist die Lackfabrik wieder ein Aushängeschild für den Ort mit mehr als 100 Arbeitsplätzen. Mit der Zuckerfabrik, welche 1878 eingeweiht wurde verschwand eine, früher wichtige Anlage durch Abriss in den 1990er Jahren komplett aus dem Ortsbild. Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg erlebte man hier einen technischen Aufschwung und nach der Enteignung im Jahr 1946 eine weitere Blütezeit. Der Zucker wurde auf dem Devisenmarkt für die DDR in etliche Länder verkauft. Die Umweltverschmutzung durch die Anlage wurde jedoch zum ständig wachsenden Problem, so dass 1989 die Stilllegung folgte. Im Jahr 1939 entstand eine Fabrik, welche Gleitlager als Ersatzteile für Kraftfahrzeuge herstellte. Zwei Jahre später gründete sich ein weiterer Standort in Osterwieck, die beiden Unternehmen operierten jedoch getrennt. Nach der Verstaatlichung wurden

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beide Betriebe zum VEB Gleitlagerwerk vereint.

Mit dem Wachstum des

Fahrzeugmarktes wuchs auch der Bedarf an Ersatzteilen. So entwickelte sich der Standort in der ehemaligen DDR zum Alleinhersteller mit ausgezeichneter Qualität. 1992 von einer englischen Firma übernommen, wurde die Firma schon 1995 wieder komplett geschlossen. Heute tritt an seine Stelle die neu gegründete Gleitlager und Metallverarbeitung GmbH. Auf Kleiderwerk, Molkerei und Konservenfabrik, von denen nur erstgenanntes die Nachwendezeit überlebt hat, soll nicht weiter eingegangen werden. Insgesamt brachte die politische Wende einen unglaublichen Einbruch der Arbeitsplätze im Ort mit sich, welcher durch die vielen Neugründungen kleiner Unternehmen zwar abgeschwächt, jedoch nie ganz abgefangen werden konnte. Die lange Tradition als wirtschaftlich herausragende Stadt in der Region konnte nicht gehalten werden. Das wiederkehrende Auf und Ab zeugt aber von einer aktiven Entwicklung. In Zukunft gilt es dabei neue Potenziale zu erschließen. Heute sind besonders Maschinenbau, Metall- und Elektroindustrie, aber auch chemische Industrie von Bedeutung. Beispiele in Osterwieck hergestellter Produkte sind Motoren für Schiffe und Windräder, chemische Stoffe für die Elektroindustrie

oder

auch

Hydraulikzylinder.

In

fünf

Gewerbe-

und

einem

Industriegebiet ist Raum für etliche Firmen. Weiterhin findet man auch jede Menge Handwerker im Ort. Diese bewahren sozusagen die alte Handwerkstradition. Als dritte, tragende Säule steht aktuell der Dienstleistungssektor. Insgesamt sind mehr als 300 Unternehmen in der Gemeinde ansässig.

Die aufgezeigte Entwicklung gibt einen

Eindruck, wie sich das Gewerbe über die Jahrhunderte veränderte und hat dabei schon früh wichtige Handelsstrukturen aufgezeigt. 3.3 Stadt der Reformation Die Symbiose von Stadt und Kirche in Osterwieck begann bereits mit der Ortsgründung durch die christlichen Missionare im 8. Jahrhundert n.Chr. Diese enge Verbindung belegt auch das älteste, bekannte Stadtsiegel aus dem 13. Jahrhundert. Es zeigt „eine Turmfront, in deren Mittelbau der Erz- und Protomärtyrer Stephanus mit Palmzweigen und Steinen dargestellt ist“, umschrieben mit den Worten „Siegel der Bürger von Osterwieck 19“. Mit der romanischen Kirche St. Stephani, nebst bischöflicher Vogtei und der neueren St. Nikolai, die schon früh unter der Zuständigkeit des Rates der Stadt

19

Zur Sozialgeschichte des protestantischen Stadt- und Kirchenbaus im Osterwieck des 16. Jahrhunderts von Klaus Thiele, Wolfenbüttel

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stand, gab es zwei Pole, welche Einfluss auf die Entwicklung einer neuzeitlichen Stadt ausübten. Aus den bereits beleuchteten Gründen machte der Ort im 16. Jahrhundert den Sprung in die Neuzeit und entwickelte das „frühprotestantisch geprägte frühneuzeitliche Stadtbild 20“. Der Neubau des Kirchenschiffs von St. Stephani war von 1552-1557 das erste größere Bauvorhaben, welches durch eine protestantische Stadt von Beginn an geplant und vollendet wurde. Zur Zeit der Fertigstellung war das Bistum Halberstadt noch katholisch geprägt. Die beiden Türme stammten als ältester Teil sogar aus der Zeit des 12. Jahrhunderts und wurden erst später mit Spitzen versehen. Eben diese Türme mit Chor und Altar sind im katholischen Erscheinungsbild erhalten geblieben, während die Halle später im Stil der Reformation errichtet wurde (siehe Abb. 12). St. Stephani war u.a. Vorbild für den Bau der Kirche in Wolfenbüttel.

Abb. 12: Fotografie Kirche St.Stephani21

Das Kirchenvermögen sollte nicht angegriffen, sondern städtebaulich eingesetzt werden. Es zeigt die einzigartige Verknüpfung von Stadt- und Kirchenbau. Die Kirche gab Darlehen an Bürger bzw. Hausbesitzer zur Erneuerung oder Erbauung ihrer Häuser und bekam dafür Zinsen. Viele Darlehensnehmer waren Ratsherren oder Kirchenvorsteher. 20

Zur Sozialgeschichte des protestantischen Stadt- und Kirchenbaus im Osterwieck des 16. Jahrhunderts von Klaus Thiele, Wolfenbüttel 21 Aufnahme Michael Negraszus 2011

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Einige der frühen, protestantischen Bürger Osterwiecks verewigten sich, vor allem als Glaubensbekenntnis in einer Zeit des Katholizismus, auf Inschriften in der Kirche. St. Stephani wurde durch bedeutende Bürger eine Reihe von Bildern und Epitaphien gestiftet. Die Bewohner scheuten auch nicht davor, an ihren Häusern reformatorische Texte anzubringen. Die Psalmverse lassen Bibeltreue genauso erkennen, wie einen hohen Bildungsstandard und ein, auf Gemeinschaft ausgerichtetes, Rechtsbewusstsein. 1535 führte man unter besonderen Umständen die Reformation in Osterwieck ein. Aufgrund des Autoritätsverfalls bei der Landesherrschaft und der nicht vollständigen Reformation im Bistum, war Osterwieck eine sich selbst verwaltende städtische und kirchliche Gemeinschaft. Damit hatte man ein gesteigertes Bewusstsein für die Interessen des Ortes. Das eigenständige Finanzsystem der Stadt, welches unter der Kontrolle eines Rates stand und wovon sogar ein Großteil des Kirchenneubaus bezahlt wurde, ermöglichte in besonderer Weise die Verknüpfung von Kirche und Stadt und machte Osterwieck zur Stadt der Reformation. Die noch heute erhaltenen 41 Hausinschriften kennzeichnen die Stadt als Besonderheit in ganz Deutschland. Auch das Stadtwappen mit der fünfblättrigen Heckenrose, die sehr große Ähnlichkeit zur Lutherrose aufweist, belegt dies. Das Bistum Halberstadt bekam recht früh den Schild als Wappen zugesprochen, der zur Hälfte Silber zur Anderen Rot gefüllt war. Darauf setzte man in Osterwieck die Rose in der jeweils anderen Farbe. Mit der Eingemeindung wurde das Wappen für die Einheitsgemeinde abgeändert. Das Schild besteht nun aus vier Teilen, in den jeweils Roten finden sich die 14 Sterne für die 14 Gemeinden (siehe Abb. 13).

Abb. 13: Wappen Einheitsgemeinde Osterwieck22

22

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6a/Wappen_Stadt_Osterwieck.png, abgerufen am 24.02.2012

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Die Stadt zeichnet sich in ihrer Entwicklung also durch eine außergewöhnliche Verbindung von Glauben und Bauen aus und ist dabei schon lange protestantisch geprägt. 3.4 Das örtlichen Schulwesens Ein weiterer, nicht uninteressanter Betrachtungsraum ist das Schulwesen und seine historische Entwicklung, obwohl es dazu relativ wenige historische Zeugnisse gibt. Erste Überlieferungen dazu stammen aus dem Jahr 1311, charakterisiert durch den unbedingten kirchlichen Einfluss, den das Mittelalter mit sich brachte. Im Diakonatshaus am Hagen gab es laut Beleg um 1564 eine Schule. Einige Zeit später, genauer 1784 besuchten die Stadtschule etwa 400 Kinder, je zur Hälfte männlich und weiblich. Die Mädchenschule gründete sich im Jahr 1825 und wurde bis 1868 als solche genutzt. 1867 entstand das Schulgebäude auf dem Stephanikirchhof als Knabenschule. Es wird heute nichtmehr als solches genutzt. Nach dem Stadtbrand wurde am Sonnenklee eine neue Mädchenschule erbaut. Diese wurde nach dem Ersten Weltkrieg zur gemischten Grundschule. 1898 entstand in der Mauerstraße die dritte Schule, sie war die ersten 20 Jahre unter kirchlicher Aufsicht.

Bereits 1844 gründete man eine katholische

Volksschule als Privatschule in gemieteten Zimmern. Im Jahr 1888 zog man ins Pfarrhaus, ehe sie 1894 von der Stadt übernommen wurde. Zeitweise existierte auch noch eine höhere Privatschule. Sie wurde 1902 aufgelöst und zu einer höheren Abteilung der Volksschule erkoren. Später war sie Handelsschule, Berufsschule, Bauschule, Sonderschule und Gymnasium. Mit der Umstellung des Schulsystems während der DDR Zeit hatte die Stadt eine achtklassige Zentralschule, die sich später zu einer zehnklassigen Polytechnischen Oberschule entwickelte. Durch das Wachstum gab es eine Trennung in die einzügige und zweizügige POS. Nach 1990 folgte logischerweise der nächste Umbruch. Das Fallsteingymnasium entstand und so gab es neben Grund- und Sekundarschule alle drei verfügbaren Schultypen im Ort. Aktuell finden sich mit zwei Kindergärten, einer Grundschule und einem Gymnasium wichtige Einrichtungen im Osterwieck. Die Sekundarschule liegt im Ortsteil Dardesheim, zwei weitere Grundschulen in Bühne und Hessen. In der Einheitsgemeinde gibt es dreizehn Kinderbetreuungseinrichtungen, von denen zwei in Osterwieck selbst stehen. Der Ort hat eine vielgestaltige Geschichte des Schulwesens, gab es gleichwohl eine bunte Mischung der verschiedenen Schultypen. Der, mitten im Betrachtungsraum liegende, Stephanikirchhof wurde einst als Schulhof genutzt, was absolut konträr zu seiner vorherigen Funktion als Begräbnisstätte zu sehen ist.

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3.5 Aus der Frühgeschichte des Ortes Die frühe Topographie und Siedlungsentwicklung wirft die Frage auf, warum gerade dieser Ort für eine Mission in Ostsachsen gewählt wurde. Dabei spielten neben geologisch-morphologischen Betrachtungen auch hydrologische Verhältnisse eine Rolle. Im Jahr 2004 stellte der Siedlungsgeograph Meibeyer aus Braunschweig auf dem Osterwiecker Symposium seine Analyseergebnisse vor. Demnach gab es im frühen Mittelalter einen geschlossenen Siedlungskern, welcher von einem Mauerring umschlossen wurde (siehe Abb. 14).

Abb. 14: Genetische Gliederung der Stadt nach Meibeyer 200423

23

Quelle: 1200 Jahre Bistum Halberstadt: Osterwiecker Tage 2. - 6. Juni 2004 Symposium um St. Stephani, Beitragssammlung - Osterwieck: 2004)

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Den Verlauf dieser ersten Stadtbefestigung kann man noch heute an den Straßen Sonnenklee - Rosmarinstraße - Mittelstraße - Stobentwete, sowie der Mühlen-Ilse erkennen. Innerhalb dieses Bereichs befand sich ein Altstadtkern und darum gelegen, auf einer künstlichen Anhöhe, als Verlängerung eines Kiesrückens die Kirche oder Kapelle und der Vogteibereich. Diese breite Bank aus Ilse-Flusskiesen wird als ältester Teil des ursprünglichen Ortes angenommen. Der Geländeanstieg scheint nicht natürlichen Ursprungs, sondern ist wohl ein Versuch den Platz vermeintlich zusätzlich hochwassersicher zu gestalten. Dies geschah nicht erst bei, oder mit dem Bau des Missionszentrums, sondern bereits davor als Teil einer befestigten burgähnlichen Anlage. Aufgrund fehlender Beweise lässt sich das jedoch nur von Indizien ableiten. Der Name Hagen, direkt nördlich kann von dem Begriff Burghagen kommen. Solche fand man bei frühen Burgen nahezu regelmäßig, so auch im benachbarten Hornburg. Im ganzen Vorharzraum wurden Kirchen im Schutz von solchen Burgen gebaut, womit man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass die erste Missionsstation bei einer Burg lag, etwa mit dem Namen Salingenstedt. Später unterlag diese Wehranlage dann der üblichen Sukzession und wurde zum Standort des Klosters. Weiterhin nimmt man an, der Söllingsche Hof ist Platz der ehemaligen Vogtei bzw. des 1108 schriftlich belegten bischöflichen Fronhofes. Von Bedeutung ist auch die Lage Osterwiecks an einer sehr alten wichtigen Fernstraße von Hildesheim-Minden in Richtung des Raumes Halle (Saale). An dieser gründeten sich beidseitig, nach und nach die Siedlungen in diesem Gebiet. Höher gelegene Standorte waren in der Regel Siedlungskerne weltlicher oder geistlicher Herrschaften bzw. Marktansiedlungen, in diesem Fall gut geschützt von der Ilse im Norden und der Tralle im Süden. Die einzigen Bodenfunde aus der Zeit vor dem hohen Mittelalter gab es im Bereich der Mittelstraße und der Kapellenstraße. Im 10. Jahrhundert existierte eine ottonische Marktsiedlung auf jenem Kiesrücken. Damit lässt sich eine erste Ausdehnung der Siedlung von Osten auf die Kapellenstraße und die Mittelstraße vermuten, mit einem kleinen Platz vor dem ehemaligen Rathaus und der Stadtkirche dahinter. Um den ältesten Bereich existierten vier jüngere Teilbereiche, welche diesen hufeisenförmig umgaben. Im 13. Jahrhundert muss es außerhalb des Mauerrings im Süden, bei der 1262 erstmals erwähnten Nikolaikirche, einen weiteren Siedlungskern gegeben haben. Durch diese Ausdehnung wurde eine größere Marktfläche notwendig. Westlich befand sich der 1341 erstmals genannte Walkenrieder Klosterhof. Unweit östlich der Nikolaikirche war der „Bunte Hof“, später Sitz der Rössings.

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Im Norden außerhalb des Mauerrings, als Hagen bezeichnet, könnte dem Namen nach einstmals ein hainartiger Baumbestand gewesen sein oder aber ein durch Buschwerk umfriedetes Gelände, der einstige Burghagen. Durch archäologische Funde wird dort eine enge Bebauung in das 12./13. Jahrhundert zurück datiert. Das östlich vorgelagerte Vordorf war ab dem 14. Jahrhundert Platz für größere Lehnshöfe. Als jüngstes, für bauliche Zwecke genutztes Gebiet, ist das Wietholz mit seiner sehr kleinteiligen Grundstücksstruktur auf dem ehemaligen Feuchtgebiet zwischen Neustadt und Ilse zu nennen. Zu Besiedlungszeit existierte noch der Trallebach in Form eines kleinen und nicht sehr wasserreichen Bachlaufs, welcher nach dem Hochwasser und der Umlegung der Ilse in die Lake floss und die Stadt nicht mehr erreichte. Im 16. Jahrhundert wurde mit der Neuordnung des, von da an spätmittelalterlichen Stadtbildes der Mauerring erweitert und die bis dahin außerhalb liegenden Bereiche mit in die Befestigung integriert. Es gab 13 Türme und drei Stadttore. Mit der fortschreitenden Waffentechnik hat man im 17. Jahrhundert einen Wall vorgelagert. Zum Ende des 30-Jährigen Krieg wurde die Befestigung jedoch stark beschädigt und verbliebene Reste im Jahr 1872/73 beseitigt. Das Planungsgebiet des heutigen Marktplatzes liegt mitten im Zentrum dieser ursprünglichen Siedlung, genauer zwischen dem Altstadtbereich und der Anhöhe, sozusagen am Fuß der einstigen Kirchenanlage nebst Burgstelle. 3.6 Vergleich der Schwarzpläne Als älteste hinreichend genaue Karte findet man jene, aus dem September 1886 durch den Vermesser Benke aufgenommene. Sie zeigt die Stadt in der Wiederaufbauphase nach dem Stadtbrand. Bei der Neubebauung nach diesem Ereignis wurde der Stadtgrundriss nur gering geändert. Die Westseite des Marktes wurde begradigt, die Westseite der Schützenstraße zurückgesetzt, zuzüglich der Abschrägung des Hauses am Markt 10. Betrachtet man den ältesten bekannten Grundrissplan vergleichend mit dem von 1904 und dem Aktuellen, so lässt sich für den gewählten Ausschnitt auf den ersten Blick nahezu keine Veränderung feststellen (siehe Abb. 15). Einige Baulücken aus der Zeit des Stadtbrandes ein Jahr zuvor waren noch nicht wieder geschlossen, der Plan keine 20 Jahre später jedoch bildet nahezu identisch die heutige Bebauungsstruktur ab. Natürlich gab es ab und an mal Baulücken, die neu entstehen oder geschlossen werden, doch für das innerörtliche Stadtbild lässt sich im gesamten feststellen, es blieb seit fast 130 Jahren unverändert. Selbst nach dem Brand entschied man sich, die bewährten Raumkanten genauso wiederherzustellen. In dem, zuerst noch fehlenden, Gebäude des

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neuen Rathauses ist seit 1923 die Stadtverwaltung untergebracht. Das Alte war für moderne Verwaltungsformen nicht mehr geeignet und wurde zum Heimatmuseum deklariert. Die Bebauung auf dem Stobenplatz wurde in den 1970er Jahren abgerissen und die Fläche nicht neu bebaut. Man kann davon ausgehen, dass die ursprünglichen Grundstücksgrenzen sehr alt sind und über die Jahrhunderte bewahrt wurden. Begründet wird dies auch durch die alten Häuser auf den Grundstücken, die heute noch genauso erhalten sind, wie teilweise zurück bis ins 16. Jahrhundert.

Abb. 15: Vergleich der Schwarzpläne24

Während der Kern der Stadt dicht bebaut ist, findet man nördlich vom Hagen, zwischen Kapellenstraße und Wietholz, sowie südlich des Sonnenklees größere unbebaute

24

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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Flächen. Die gleichmäßig gereihten Parzellen, mit den Vorderhäusern und schönen Fassaden zur Straße hin, zeigen rückwärtige Seitenflügel und große Scheunen zum Grundstücksteil hin. Im Jahr 1886 lag die Anzahl der Scheunen deutlich höher, nötig wurden diese, als im 15. Jahrhundert mit dem Bau des Hessendamms der Fernverkehr nicht mehr über Osterwieck lief und der Handel zurückging. Man brauchte die Landwirtschaft als Erwerbsgrundlage. Alle wichtigen Straßen im Ort führen radial zum Markt hin. Dieser ist Zentrum, nicht wie bei anderen Handelsstädten die Geschäftsstraße. Jedermann sollte auf dem Platz verweilen und sich neu orientieren. Während Stobenplatz und Vogteiplatz durch Abbruch entstanden sind, ist der Marktplatz einziger echter Platz im Stadtgefüge. Der Raum um die Kirche ist unbebaut, da er als Begräbnisstätte fungierte. 3.7 Historische Elemente am Markt Historische Belege zur

Gestaltung eines Stadtplatzes für eine Gemeinde dieser

Größenordnung zu finden, zeigt sich im Allgemeinen sehr schwierig. Gibt es keinerlei Beschreibungen, so werden diese Elemente nur durch Postkarten und spätere Fotografien deutlich.

Abb. 16: Historische Elemente am Markt25

Als ältestes Element am Markt kann der Tralle-Bach gesehen werden, der von Südost nach Nordwest über den heutigen Marktplatz verlieft, jedoch bereits im 15. Jahrhundert

25

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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in die Laken-Ilse eingeleitet, komplett um die Stadt herum floss (siehe Abb. 16). Er war demnach Teil der geographischen Voraussetzungen, welche überhaupt zu einer Ansiedlung an diesem Ort führten.

Abb. 17: Postkarte Osterwieck: Marktplatz mit Ratskeller26

Die große doppelseitige Treppe vor dem Ratskeller (siehe Abb. 17) lässt sich ebenso auf historischen Karten erkennen, wie eine Wasserpumpe am heutigen Heimatmuseum, damals noch Rathaus. Wasserversorgung spielte auf öffentlichen Plätzen eine große Rolle. Weiterhin fand man schon lange Zeit die charakteristischen Baumreihen aus kleinkronigen Gehölzen parallel zu den Häuserkanten (siehe Abb. 18) und eine große Linde neben der Wasserpumpe. Ein späteres Element, auf mehreren Fotografien zu finden, war eine sogenannte Wettersäule, auf der Ecke am Heimatmuseum (siehe Abb. 19).

26

Quelle: http://static1.akpool.de/images/cards/40/401295.jpg abgerufen am 28.02.2012

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Abb. 18: Postkarte Osterwieck: Partie am Markt27

Die Wettersäule von Osterwieck Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in zahlreichen Orten in ganz Europa sogenannte Wettersäulen aufgestellt. Dies waren meist bis zu 3 Meter hohe gegossene und quadratische Elemente, welche den Einwohnern und Gästen die Möglichkeit geboten haben, Wetterdaten im Ort selbst zu verfolgen. Dazu gehörten Normaluhr, Thermometer, Hygrometer, Barometer und vieles mehr. Die Säule in Osterwieck gehörte zum Typ Meteorologische und Annoncen-Uhrensäule aus Hamburg, hergestellt ab 1884 von der Annoncen-Uhr-Actien-Gesellschaft auf Grundlage einer amerikanischen Erfindung mit allen dazugehörigen Patenten (siehe Abb. 20).

27

Quelle: http://static1.akpool.de/images/cards/29/298340.jpg, abgerufen am 28.02.2012

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Abb. 19: Fotografie aus dem Heimatmuseum in die Kapellenstraße um 190028

Auszug aus der Originalbeschreibung der Säule: „Ein drei Meter hoher Kunstguß auf Sockel trägt in der Bedachung die Embleme der Tageszeiten, während die Windrose mit Fahne ihn bekrönt. Eine deutliche (29 centim. Durchmesser Zifferblatt) Uhr, ein ebenso großes Barometer der Uhr gegenüber mit einstellbarem Zeiger und Datum, Thermometer, Sonnen- und Mond Auf- und Niedergang, Tages- und Nachtlänge, Wetterprognose (sobald in Zeiten erhältlich), abgehende und ankommende Züge und eine Fülle vergleichender und statistischer Angaben. Einwohnerzahl, Flächeninhalt, Münzen etc. bilden die Ausstattung, während die Uhr einen revolvirenden Apparat treibt, welcher 20 Empfehlungsblätter in’s Gesichtsfeld treten läßt, deren jedes automatisch verschwindet, um dem nächsten Platz zu machen 29“.

28 29

Quelle: Heimatmuseum Osterwieck http://www.wettersaeulen-in-europa.de/index01.html, abgerufen am 01.03.2012

Historische Betrachtungen

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Abb. 20: Prospektillustration der Annoncen-Uhr-Actien-Gesellschaft aus Hamburg30

Die Uhren wurden auch im nichtdeutschsprachigen Ausland vertrieben und waren zu dieser Zeit sehr beliebt. Für weitere Ausstattungsmerkmale finden sich in den Recherchen keinerlei Belege.

30

Quelle: http://www.wettersaeulen-in-europa.de/auag600/auag05.jpg, abgerufen am 29.02.2012

Bestandsanalyse und -bewertung

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4 Bestandsanalyse und -bewertung 4.1 Die Räume und deren Wahrnehmung Abgrenzung und Untergliederung Das Planungsgebiet befindet sich direkt in der deutlich über 1000 Jahre alten Ortschaft Osterwieck. Im Zentrum der Fachwerkstadt liegt der Marktplatz mit dem Rathaus (siehe Abb. 21). Ein solches Vorhaben der Neugestaltung muss jedoch immer im Zusammenhang mit dem gesamten Ortskern gesehen werden. Deshalb fasst der Betrachtungsraum auch den Vogteiplatz im Norden mit dem Hagen, den Stobenplatz im Osten mit der Mittelstraße, die Tralle und Schützenstraße im Süden, sowie den Parkplatz im Westen mit der Schulzenstraße ein.

Abb. 21: Luftbild von Osterwieck31

31

Quelle: Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt 2006

Bestandsanalyse und -bewertung

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Der Schwerpunkt der Neugestaltung liegt freilich auf dem Marktplatz mit dem angrenzenden Parkplatz im Westen, sowie dem Kirchhof der Kirche St. Stephani. Der Stobenplatz, der Vogteiplatz und die Mittelstraße sind periphere Räume, welchen zwar nicht das Hauptaugenmerk zukommt, die aber für ein funktionierendes Konzept von großer Bedeutung sind. Alle weiteren Räume können als verbindende Achsen gesehen werden. Diese Dreiteilung soll sich auch bei der Bearbeitungstiefe wiederfinden (siehe Abb. 22).

Abb. 22: Gliederung des Planungsraumes 32

Gebäudenutzungen 32

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

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Mit insgesamt fünf gastronomischen und 16 Handels- bzw. Dienstleistungsbetrieben findet man neben öffentlichen Einrichtungen eine vielfältige Mischung des Gewerbes im Ortszentrum. Während sich Handel und Dienstleistung gleichmäßig verteilen, fällt bei der Gastronomie auf, dass diese ausschließlich im östlichen und nördlichen Randbereich des Planungsgebietes zu finden ist. Bis auf das Kaffee Mitte in der Mittelstraße, sind alle Lokalitäten relativ weit vom Markt entfernt und nicht unmittelbar für Touristen wahrzunehmen (siehe Abb. 23).

Abb. 23: Heutige Gebäudenutzungen33

Raumkanten

33

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

43

Typisch für erhaltene, mittelalterliche Stadtgrundrisse werden die wahrnehmbaren Raumkanten, welche ihrerseits die Räume bilden, ausschließlich und durchgängig durch Gebäude gezeichnet (siehe Abb. 24). Dies bedeutet man muss keine neuen Räume schaffen oder Kanten komplettieren und mit anderen Elementen wie Vegetation abgrenzen, sondern die historischen Begrenzungen erhalten und eine Betonung erreichen.

Abb. 24: Prägende Raumkanten34

Individualverkehr

34

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

44

Betrachtet man zunächst die Hauptachsen der Fußgänger, so ist auffällig, dass es aus meiner Sicht zwei wesentliche Achsen gibt. Einmal von der Schulzenstraße über den Stephanikirchhof in Richtung Mittelstraße, also in West-Ost-Richtung und einmal von der Schützenstraße über den Markt durch die Kapellenstraße in Nordost-Süd-Richtung. Davon abgehend finden sich weniger stark frequentierte Wege. Als Hauptanlaufpunkt kann sicher das Rathaus gesehen werden. Ab dem Stobenplatz ist auch der Weg an der Ilse eine gut genutzte Achse (siehe Abb. 25).

Abb. 25: Bisherige Fußgängerrouten35

Um nun mögliche Konflikte aufzuzeigen ist es notwendig, sich dem

motorisierten

Verkehr zuzuwenden. Ausgehen sollte man dabei von den Parkmöglichkeiten. Neben der 35

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

45

Chance des straßenbegleitenden Parkens gibt es mit dem Parkplatz neben dem Markt, dem Stobenplatz, dem Vogteiplatz und der Parkfläche im Hagen vier grundsätzliche Möglichkeiten sein Fahrzeug abzustellen. Diese sind räumlich gut um das Ortszentrum verteilt und auch mit ihren Kapazitäten im Wesentlichen ausreichend (siehe Abb. 26). Aufgrund der Belegung des Parkplatzes am Rathaus durch Verwaltungsmitarbeiter ist ein Ausbau des Stobenplatzes denkbar. Für den Bus steht eine Parkfläche vor dem Museum zur Verfügung. Diese nimmt jedoch in ihrer bisherigen Anordnung eine Menge Raum ein, welcher anders besser genutzt werden könnte.

Abb. 26: Vorhandene Parkflächen36

Die gesamte Altstadt ist als Tempo 30 Zone mit Zweibahnverkehr deklariert. Hauptachsen sind dabei von Nordwest nach Südost bzw. von Nordost nach Südwest zu

36

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

46

suchen (siehe Abb. 27). In Kombination mit den Fußgängerachsen ergeben sich im Bereich der Plätze, sowie vor der Schule potenzielle Konflikte. Dabei sind Einbahnverkehr und eine weitere Temporeduzierung anzustreben (siehe Abb. 28).

Abb. 27: Verkehrswege (Frequentierung) 37

37

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

47

Weiterhin fällt das fehlende Verkehrsleitsystem negativ auf. Bis auf wenige Schilder ist es nicht möglich, sich schlüssig im Ortszentrum zu orientieren. Eine Lösung, welche das Ortsbild nicht negativ ist zu prüfen.

Abb. 28: Konfliktpotenziale38

38

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

48

4.2 Bisherige Stadtsanierung im Ort In Osterwieck ist man Teil des Förderprogramms Städtebaulicher Denkmalschutz. Dieses

soll

-bereiche

zu

helfen,

bau-

erhalten

und

bzw.

kulturhistorisch

zukunftsweisend

wertvolle

Stadtkerne

weiterzuentwickeln,

und

sowie

die

entstehenden Konflikte mit einer neuzeitlichen Nutzung zu lösen. Als Schwerpunkte werden auf der Website aufgeführt39:



die Sicherung erhaltenswerter Gebäude und Ensembles von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung,



die Modernisierung und Instandsetzung dieser Gebäude oder Ensembles,



die Erhaltung und Umgestaltung von Straßen und Plätzen von entsprechender Bedeutung,



der Erhalt der historischen Stadtstruktur,



die Revitalisierung der Programmgebiete,



die Anwendung einer integrierten Handlungsstrategie,



die (Wieder-) Gewinnung der Historischen Stadtkerne als Orte der Identität.

Dabei stellt der Bund in Kooperation mit den Ländern seit 1991 Fördermittel zur Verfügung, wobei ein Eigenanteil von 20% bei den Kommunen verbleibt. Während das Programm zu Beginn nur für die neuen Bundesländer gedacht war, wurde es mit der dort üblichen Drittelfinanzierung 2009 auch in den alten Ländern eingeführt. Auf Bundesebene

laufen

mit

der

Expertengruppe

und

der

Bundestransferstelle

Städtebaulicher Denkmalschutz zwei unterstützende Anlaufstellen begleitend dazu. Aufgrund des großen Modernisierungsbedarfs, sowie der bedeutsamen Gebäude wurde Osterwieck bereits von Anfang an in das Förderprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz aufgenommen. Dazu bedurfte es des Vorschlags durch das Land Sachsen-Anhalt und dem Erlass einer städtebaulichen Erhaltungssatzung nach §172 BauGB. Diese liegt im Ort seit 11.06.1992 vor.

Alternativ

dazu

oder

zusätzlich

war

der

Erlass

einer

städtebaulichen

Sanierungssatzung nach §142 BauGB gedacht, welche Osterwieck schon seit dem 23.04.1991 besitzt.

39

Quelle: http://www.staedtebaulicher-denkmalschutz.de/programm/, abgerufen am 28.02.2012

Bestandsanalyse und -bewertung

49

Die Gebäude sind dabei als Teil eines Gesamtensembles im Altstadtbereich zu bewerten. Freilich galt es den, zu DDR-Zeiten eingesetzten, Verfall schnellstmöglich zu stoppen. Im selben Jahr beauftrage Osterwieck die heutige BauBeCon Sanierungsträger GmbH als Treuhänder und Sanierungsträger, die Planung und Sanierung der Altstadt zu koordinieren. Damit konnten über die Jahre etliche Gebäude saniert werden, bis zum Ende 2007 im Umfang von 50 Mio. Euro. Laut Angaben des Sanierungsträgers sind rund 80% aller Maßnahmen von Osterwiecker Investoren finanziert. Zwingend notwendig ist dabei eine gute Zusammenarbeit zwischen Stadt, Denkmalpflege, dem Sanierungsträger und den Bauherren. Die Beteiligung der Öffentlichkeit spielt ebenso eine entscheidende Rolle. Bisher wurden schätzungsweise 70% des nötigen Gesamtumfanges zur Sanierung bewältigt.

Abb. 29: Sanierung der Straßenräume40

Im Zuge dessen wurden auch die Straßenräume im Sanierungsgebiet erneuert. Die Erschließungsmaßnahmen sind zu einem Großteil abgeschlossen (siehe Abb. 29).

40

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

50

Die Förderung wird hierbei komplett von Bund und Ländern übernommen, zum Ende des gesamten Programms kommen jedoch Ausgleichsbeiträge für die entstandene Aufwertung auf die Grundstückseigentümer zu. Lediglich der Marktplatz, der Kirchhof, die Mittelstraße und die Tralle, sowie die Schindergasse sind noch nicht saniert und sollen als abschließende Straßenräume im Sanierungsgebiet eine Erneuerung erfahren. Genau dieser Bereich ist nun Schwerpunkt der Neugestaltung in dem 40,5 ha großen Areal mit insgesamt 519 Gebäuden. Mit genau 173 Gebäuden gibt es einen Denkmalanteil, welcher hierbei genau einem Drittel des Gesamtbestandes entspricht. Durch die Landesinitiative Urban 21 gab es von 2001-2006 eine weitere Unterstützung, mit deren Hilfe sechs Vorhaben, wie z.B. der Vogteiplatz oder die Uferpromenade an der Mühlen-Ilse, umgesetzt wurden. Diese Bündelung europäischer Förderprogramme verhalf Osterwieck als kleinster von 24 Städten weiter voran zu kommen. Ein Konzept von den Architekten Möhlmann & Urbisch Braunschweig wurde erstellt, um Schwachstellen in der Stadt aufzuzeigen und entwickeln zu können. Zusammenfassend wurde bisher ein Großteil der notwendigen Erneuerungen erfolgreich bewältigt, diese Konstanz in der Entwicklung muss beibehalten werden. 4.3 Grünsystem Sieht man das überörtliche Grünsystem im Zusammenhang, so fällt auf, dass vergleichsweise wenige öffentlich zugängliche Grünflächen existieren. Wahrscheinlich war die historische Notwendigkeit aufgrund der Nähe zu Fallstein und Harz nicht gegeben. So zeigt sich auch, dass die wichtigen Grünen Achsen, wenn man sie so bezeichnen möchte, allesamt aus dem Ort hinaus führen (siehe Abb. 30). Osterwieck selbst steht dabei als Ausgangspunkt, beispielsweise für Wanderungen zum Fallstein, jedoch nicht als Ziel der Naherholung in Grünanlagen.

Bestandsanalyse und -bewertung

51

Abb. 30: Überörtliches Grünsystem41

Der Große Fallstein beherbergt Eichen, Buchen und Hainbuchen, teilweise älter als 200 Jahre. Durch den Muschelkalkboden findet man Seidelbast, Adonisröschen, sowie Schneeglöckchen und Märzenbecher in voller Frühjahrsblüte. Am Rand des Waldes findet man Schlehen und Haselnusssträucher, die den Übergangsbereich bilden. Das zusammenhängende Waldgebiet ist genauso Lebensraum für eine vielfältige Fauna, speziell Vögel kann man hier in großer Varietät bewundern. Geht man nun etwas detaillierter in den Planungsraum, so bestätigt sich dieses Bild des gesamten Ortes auch im Detail. Die öffentlich wirksame Vegetation in Form von Großgrün konzentriert sich, mit Ausnahme des Kirchhofs, auf die Innenhöfe und bleibt damit dem Straßenraum verborgen. Diese Struktur ist typisch für mittelalterliche Stadtgrundrisse. Das Grün befindet sich in den Privatgärten hinter den Häusern. Auf den Straßenräumen glänzen nur die Häuserfassaden der Fachwerkhäuser. Dort gibt es den Versuch mit Kleinbäumen für eine Belebung zu sorgen. Solche Elemente sind für Osterwieck seit langer Zeit belegt.

41

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

52

Die zehn Linden auf dem Kirchhof haben eine große symbolische Bedeutung. „Die Linde gilt als ein Symbol für Gerechtigkeit, Liebe, Frieden und Heimat, sowie als Platz der Gemeinschaft. Dazu Martin Luther: Wenn wir Reuter sehen unter der Linden halten, wäre das ein Zeichen des Friedens. Denn unter der Linde pflegen wir zu trinken, tanzen, fröhlich sein, denn die Linde ist unser Friede- und Freudebaum.42“ Somit ist davon auszugehen, dass die Linden, ohnehin schon mit großer Symbolik behaftet, in Osterwieck als Lutherwirkungsstätte eine noch größere Bedeutung hatten. Schon vorher wurden Linden von der katholischen Kirche als Wachslieferant für Schreibtafeln oder Siegel genutzt. Zum Zeichen besonderer Anlässe oder als Denkmäler wurden in ganz Deutschland häufig Linden gepflanzt, sie galten als Symbol für Friede, Treue und Gerechtigkeit. Der Baum war klassischer Mittelpunkt des Ortes, der Treffpunkt an dem sich das gesellige Leben der Leute versammelte. So wundert auch nicht die frühere Linde neben dem Heimatmuseum, kann doch der Marktplatz seit ewigen Zeiten als Zentrum von Osterwieck angesehen werden. Weitaus praktikablere Gründe gab es wohl für die Rotdornpflanzungen rund um den Markt. Die Pflanze ist extrem Frosthart und genauso verträglich gegen Hitze und Stadtklima. Sie gehört zur Familie der Rosengewächse, ihm eine tiefere Bedeutung an diesem Ort zu unterstellen wäre reine Spekulation, zumal die meisten Deutungen keltischen Ursprungs sind und weit vor die bewiesene Besiedlung des Gebietes fallen. Dennoch ist prinzipiell eine Anlehnung an heidnische Ursprünge denkbar. Die Pflanzung von Spitzahorn, in Kugelform geschnitten, vor der Polizeistation, Standesamt und Apotheke stammt mit Sicherheit aus einer deutlich späteren Zeit. Ortstypisch ist eher die Pflanzung mit Rotdorn. Diese ist auch bei einer Neugestaltung als

einheitliches

Bild

anzustreben.

Allein

die

Schönheit

der

ursprünglichen

Fachwerkhäuser reicht besonders im Winter nicht aus, um dem, von Verkehr geprägten Raum am Markt Aufenthaltsqualität zu verleihen. Eine Ergänzung der Kleinbaumreihen auf den ursprünglichen Zustand, sowie die Pflanzung von Heckenrosen sind erste Ansätze zur Optimierung. Die Linden im Kirchhof sind eine gute Grundlage für einen grünen Anger mitten im Ort, diese bedürfen aber einer Ergänzung. Die Verbindung der vorhandenen öffentlichen Grünflächen, v.a. im Bereich der ehemaligen Wallanlagen mit dem Altstadtkern sollte verstärkt werden. 42

http://www.uni-goettingen.de/de/41770.html, aufgerufen am 02.03.2012

Bestandsanalyse und -bewertung

53

4.4 Die Teilräume 4.4.1 Marktplatz Der Markt als zentraler Platz hat eine herausragende Bedeutung für das Stadtgefüge. Früher war er Zentrum des öffentlichen Lebens, heute ist er vorwiegend Verkehrsfläche, genauer eine Art Knotenpunkt und Sitz der Verwaltung, Geschäfte findet man eher wenige. Die größere trapezförmige Fläche wird im Nordosten von einer kleineren, um die Ecke laufenden

Platzsituation

ergänzt.

Mit

Rathaus,

Polizei,

Heimatmuseum

Stadtinformation sammeln sich bedeutende Einrichtungen der Gemeinde.

und Das

Polizeigebäude steht mit seiner längeren Seite etwas im Raum und sticht damit als Raumkante sofort hervor. Die Gebäude sind, bis auf das Deutsche Haus, im Wesentlichen in einem guten Zustand und oft liebevoll saniert. Die innerörtlichen Verkehrsachsen führen alle zum Markt, was sich auch in der Gestaltung wiederspiegelt. Die Fläche wird nahezu gänzlich als Verkehrsraum genutzt (siehe Abb. 31). Die Zufahrten liegen im Nordwesten aus Richtung Schulzenstraße, von Süden aus der Schützenstraße und von Nordosten aus der Kapellenstraße. Der gesamte Verkehr ist zweispurig und auf Tempo 30 beschränkt. An der Ostseite des Marktes existiert ein Parkstreifen am Fahrbahnrand, welcher vor allem für Anwohner gedacht ist. Vor der Polizei sind zwei weitere Stellflächen für die Einsatzfahrzeuge.

Bestandsanalyse und -bewertung

54

Abb. 31: Abgrenzung Plangebiet und Bestand43

An den Häusern gibt es durchgehend Gehwege. Diese sind vor dem Rathaus und der Apotheke verbreitert. Weiterhin sind Toreinfahrten auf die Grundstücke für die Bewohner an der Ostseite vorhanden. Während der zusätzliche Platz auf dem Bürgersteig vor dem Rathaus mit Fahnenmasten belegt ist, findet man jeweils zwei Spitzahornbäume am Standesamt und vor dem Hörgerätegeschäft an der Westseite. Die ortstypischen

43

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

55

Rotdorngehölze sind in einer Reihe am Eck vor dem Heimatmuseum platziert. Bis auf eine kleine Pflanzfläche vor dem Standesamt und drei Pflanzschalen aus Waschbeton findet man keinerlei weitere Begrünung des Außenraumes (siehe Abb. 32). Mit Ausnahme der zwei Bänke unter den Ahornbäumen an der Westseite gibt es ebenso keine Sitzgelegenheiten. Entlang der Fußwegkanten finden sich einige, durchaus passende Laternen und in der Mitte des Platzes existiert eine weitgehend dreieckige gepflasterte Verkehrsinsel, deren wichtigste Funktion neben der Verkehrsleitung darin besteht, ein paar Wochen im Jahr dem Weihnachtsbaum als Untergrund zu dienen. Zwei braune Müllbehälter stehen im südlichen Bereich, sowie einer am Heimatmuseum.

Abb. 32: Panorama Marktplatz Ist-Situation44

Am Heimatmuseum bis

zur

Ecke

der

Polizei findet man

bereits

sanierte

Fußgängerflächen mit Kleinsteinpflaster aus Granit im Segmentbogenverband und einem Plattenweg aus hellerem Material. Die Mittelstraße ist in farbigen Betonsteinen im Ellenbogenverband gepflastert. Der Steig an der Ostseite des Platzes ist in schlechtem Zustand, das Kleinsteinpflaster aus Kalkstein oder Granit ist uneben, schadhaft und wild ausgebessert. Mit einem Streifen aus glatten Steinplatten gibt es den Versuch zur Schaffung einer Barrierefreiheit. Dieser findet sich wiederrum nicht durchgängig auf der gesamten Länge. Aus der Schützenstraße bis an das Rathaus heran ist Granitpflaster im Reihenverband zu finden, vor dem Rathaus selbst aber Kalksteinpflaster im Passeverband. Das gleiche Bild gibt es auch vor dem breiteren Fußweg am Hörgerätegeschäft. Der Übergang zum Parkplatz hinter dem Standesamt mit grauen Betonsteinen ist deutlich wahrnehmbar. Der Bereich aus Richtung Schulzenstraße bis zur vorderen Ecke der Polizei im Nordwesten ist bereits beidseitig saniert. Ebenso wie vor dem

44

Quelle: eigene Aufnahme Januar 2012

Bestandsanalyse und -bewertung

56

Heimatmuseum gibt es hier Kleinsteinpflaster aus Granit, allerdings im Reihenverband, mit hellen Platten als zentralem Weg. Die Straße ist mit Segmentbögen in grobgliedrigerem Pflaster belegt. Die Bordsteine sind genau wie die Gehwegplatten in einem helleren Ton gehalten. Das verbleibende Stück zwischen den beiden erneuerten Flächen vor der Polizei ist aus quadratischen Betonplatten im Reihenverband. Insgesamt ergibt sich also auf dem Marktplatz ein wilder Mix aus Materialien und Verbänden, der ein einheitliches und ortstypisches Erscheinungsbild vermissen lässt. Zusammengefasst bleibt ein eher kritischer Eindruck zu dieser Fläche. Der Platz lässt eine klare Untergliederung nahezu komplett vermissen, was der Bedeutung des Ortes und der anliegenden Gebäude unangemessen scheint. Auch das Grün ist ohne Schema, sowohl in der Anordnung, als auch in der Artenwahl. Der Verkehr dominiert die anderen Funktionen. Die Aufenthaltsqualität ist als mangelhaft zu bezeichnen, fehlt doch ein Raum der einen Aufenthalt erst ermöglicht. Somit liegt darin die Begründung für eine Neugestaltung der Fläche, wie sie von allen Beteiligten eingestanden wird. Zum Kirchhof gibt es zwei Übergänge, einmal durch den sogenannten Schling neben dem Heimatmuseum und einmal hinter der Polizei. Der Schling ist der ältere Übergang der beiden Wege. Sie treten jedoch derart in den Hintergrund, dass es ortsfremden schwer fällt gezielt zum Kirchhof zu gelangen. 4.4.2 Stephanikirchhof Der Platz des Kirchhofs hatte seine frühere Bedeutung als Begräbnisstätte, Schulhof aber auch Wegeführung zum Kirchengebäude. Dessen heutiger Haupteingang ist an der Südseite, ursprünglich jedoch an der Westseite gelegen. Neben eben jenem Kirchengebäude wird die Fläche durch eine ehemalige Schule im Westen, ansonsten durch Wohnhäuser, begrenzt. Die historischen Gebäude sind hier ebenso im guten Zustand, lediglich die stilfremde Schule wirkt als Fremdkörper im Raum. Die einzige Zufahrt zum Platz liegt an der Schulzenstraße im Westen. Von Einwohnern und für die Einrichtungen in der ehemaligen Schule wird das, im Wesentlichen rechteckige, Areal als Parkfläche genutzt. Neben eben diesen Anwohnerparkflächen gibt es im östlichen Bereich noch Einfahrten zu Garagen für Anlieger. Im Osten und Südosten gelangen die Fußgänger und Radfahrer durch den Schling und den anderen Durchgang bei der Polizei auf den Platz, im Nordwesten aus Richtung Vogteiplatz durch die Stephanikirchgasse.

Bestandsanalyse und -bewertung

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Die Fläche ist zum Großteil unbefestigt, lediglich von Süden auf den Eingang der Kirche und von Osten auf den Eingang der Schule gibt es Wege aus Kopfsteinpflaster. Ein Streifen vor der einstigen Schule, heute vom AWZ genutzt, ist mit Betonsteinplatten gepflastert, nur der Bereich aus der Schulzenstraße bis zur Kirche und die Kirchgasse nach Norden wurden erneuert. Dazu hat man Pflaster in Segmentbögen und wassergebundene Wegedecken verwendet.

Abb. 33: Kirchhof Ist-Situation45

Einzige bestehende Begrünung stellen die zehn stattlichen, um eine Art Ostwestachse versetzt gepflanzten Linden dar. Am nordöstlichen Ende finden sich Reste einer ehemaligen Rasenbegrünung (siehe Abb. 33). Vor dem Westeingang der Kirche gibt es zwei Laternen, ansonsten keine Beleuchtungselemente. Der Weg um die Kirche am Pfarrhaus entlang wird durch Tore versperrt, so dass lediglich zwei Seiten des Gebäudes öffentlich sichtbar sind.

45

Quelle: eigene Aufnahme, Dezember 2011

Bestandsanalyse und -bewertung

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Auch hier fällt das Bestandsfazit eher negativ aus. Die vorhandenen Gehölze erzeugen zwar vor allem im Sommer ein angenehmes Raumgefühl, bedürfen zu einer schlüssigen Gliederung jedoch einer Ergänzung.

Die bisherigen Wege sind in einem desolaten

Zustand und wenig nützlich. Der großflächig erkennbare Boden spiegelt den tristen Gesamtcharakter der Fläche wieder. Auch hier sind keine Möglichkeiten zum Verweilen gegeben. Dennoch verfügt die Fläche über eine gute Anbindung an das Ortsgefüge, mit der Kirche über einen Touristenmagneten und damit über großes Potenzial zum innerstädtischen Grünareal zu werden, wenngleich bei einer Vornutzung als Friedhof besondere Vorsicht und Rücksichtnahme in Bezug auf eine Neugestaltung geboten sind. Weiterhin ist eine Umgehbarkeit des Kirchengebäudes zu anzustreben. 4.4.3 Umgriff Weniger gewichtet in der Ausführlichkeit der Betrachtungen, aber nicht weniger bedeutsam für das Gesamtgefüge, sind die umliegenden Flächen zu betrachten. Der Parkplatz neben dem Standesamt am Rathaus wurde zwar in jüngerer Zeit saniert, dabei trat jedoch eine Begrünung merklich in den Hintergrund (siehe Abb. 34). Lediglich ein großer Baum am Standesamt gibt diesem öffentlichen Raum ein Gesicht. An den Köpfen der Parkstreifen gibt es weitere kleine Strauchflächen und verschiedene kleine Rasenstücke. Weiterhin findet man die öffentlichen Toiletten an den Parkflächen.

Bestandsanalyse und -bewertung

59

Abb. 34: Parkplatz Ist-Situation46

Im südöstlichen Abschnitt sind mit den Sitzmauern gute Ansätze einer angenehmen Gestaltung zu finden, es wurde jedoch die Chance verpasst eine Zufahrt aus der Schützenstraße zu ermöglichen, um die Verkehrssituation am Markt zu entlasten. Das verwendete Material in Form von Betonsteinen für die Pflasterung ist als ausschließlich zweckmäßig zu beurteilen. Die kleinteilige Bebauung gibt dem Raum keine klaren Raumkanten. Die neumodische Beleuchtung passt nicht zum übrigen Ortsbild. Da der Parkplatz meist das erste ist, was Touristen sehen, wenn sie bei einer Anreise mit dem PKW ihr Fahrzeug verlassen ist eine Attraktivierung als notwendig anzusehen, eine komplette Neugestaltung wäre jedoch von Aufwand und Nutzen nicht gerechtfertigt. Auch durch die ansässige Verwaltung ist weiterhin ein Stück weit Repräsentationscharakter gefragt.

46

Quelle: eigene Aufnahme, Dezember 2011

Bestandsanalyse und -bewertung

60

Abb. 35: Mittelstraße Ist-Situation47

Die Mittelstraße bildete bis zur politischen Wende das Hauptgeschäftszentrum der Stadt. War sie zu jener Zeit noch Anziehungspunkt für das gesamte nördliche Harzvorland, haben die Einkaufszentren am Stadtrand, fehlende Parkgelegenheiten und die marode Bausubstanz dazu geführt, dass nach und nach ein Großteil der Einzelhandelsgeschäfte schließen musste. Die Fußgängerzone hat heute ihre Bedeutung nahezu komplett verloren, nur noch wenige ansässige Betriebe halten sich, wobei der Teil an der Kapellenstraße jüngst noch eher einen Aufschwung erfahren hat. Viele Gebäude sind in schlechtem Zustand und prägen somit das Gesamtbild negativ. Trotz der Deklaration als Fußgängerzone wird die Straße von Ortskundigen gern als Abkürzung für den Kraftfahrzeugverkehr benutzt. Weiterhin ist schräg gegenüber der Stobentwete ein Anwohnerparkplatz, welcher befahrbar bleiben muss. Begrünung ist in dieser aus Betonverbundstein gepflasterten Geschäftsstraße nicht vorhanden. Genauso sind kaum Sitzgelegenheiten vorzufinden (siehe Abb. 35). Die Stadt

47

Quelle: eigene Aufnahme, Dezember 2011

Bestandsanalyse und -bewertung

61

hat mit dem Mittelstraßenfest erfolgreich versucht eine Belebung herbeizuführen, solche Impulse wirken jedoch oft nur kurzzeitig. Um langfristig den Aufschwung zu fördern ist auch aus gestalterischer Sicht eine Umgestaltung unabdingbar. Ein dritter wichtiger Baustein im Innenstadtgefüge ist der Stobenplatz. Früher Bebaut, entstand durch Abrissmaßnahmen in den 1970er Jahren eine innerstädtische Brachfläche an der Ilse. Diese wird heute als Parkfläche genutzt. Mit dem Einkaufszentrum und dem Little Diner Imbisswagen sind zumindest zaghafte als belebend zu bewertende Elemente vorzufinden. Im Rahmen von Urban 21 wurde die Zufahrt aus der Kapellenstraße saniert, sowie am Standort der ehemaligen Mühle eine Pergola geschaffen. Außerdem gibt es entlang der Mühlen-Ilse nun eine Promenade. Während die Vielzahl der Gebäude in gutem Zustand ist, fällt ein Haus an der Kapellenstraße mit seinem maroden Zustand deutlich negativ auf. Vor diesem, für den gesamten Raum prägenden, Einzelbauwerk rückt selbst das stilistisch unpassende Einkaufszentrum Mitte in den Hintergrund. Am östlichen Abschluss stehen einige Birken und zwei Blautannen. Etwa das nördliche Drittel der Parkplatzsituation ist durch eine Rasenfläche gestaltet und mit einer umlaufenden Hecke vom tieferliegenden Straßen- und Fußgängerraum abgegrenzt. Der restliche Parkbereich ist mit Schotter belegt. Zu den Parkflächen gibt es eine Zufahrt. Bisher sieht man keine bewusste Gestaltung des Parkbereichs, lediglich die Abgrenzung zur Straße hin ist als solche zu bewerten. Die Pergola mit Sitzgelegenheiten liegt direkt neben der Zufahrt und ist räumlich nicht separiert. Während der erneuerte, östliche Streifen mit der Fahrbahn und dem Raum an der Ilse als positiv zu bewerten ist, findet man im restlichen Teil deutlichen Überarbeitungsbedarf. Die privaten Flächen am nördlichen Ende stellen ein Hindernis dar, sind jedoch dadurch wenig zu beeinflussen. Der Vogteiplatz mit durchfließender Ilse erhielt bereits im Rahmen der Initiative Urban 21 eine Umgestaltung. Dabei wurde die eher langgezogene Fläche durch ein Gebäude an der südlichen Grenze ergänzt und so die Raumkanten komplettiert. Die weiteren Gebäude sind mit Ausnahme eines, an der Nordseite befindlichen alle saniert, herauszuheben ist hierbei der Braune Hirsch als Hotel und Restaurant.

Bestandsanalyse und -bewertung

62

Die Platzfläche wurde durchweg gepflastert, für die Bürgersteige kam Kleinsteinsegmentbogenpflaster aus Kalkstein zum Einsatz. Der Platz wird als Einfahrt in den Hagen und Parkmöglichkeit genutzt. Über die Stephanikirchgasse besteht eine direkte Verbindung zum Kirchhof.

Abb. 36: Vogteiplatz Ist-Situation48

Auf dem Platzt selbst steht vor dem Hotel eine Baumreihe aus vier kleinkronigen Gehölzen, an der Westseite grenzt direkt der Stadtpark mit seinen alten Bäumen, nur durch eine Mauer abgegrenzt (siehe Abb. 36). Neben ein paar Gehölzen am westlichen Ende sind nur noch die begrünten Häuserfassaden zu erwähnen. Eine einzige Bank lädt zum Verweilen ein. Das vorbeifließende Wasser würde einen Aufenthalt aufwerten, wenn der allgemeine Pflegezustand des Flusslaufs besser wäre. Insgesamt hat dieser Platz bisher eine deutliche Aufwertung erfahren. Um seiner Funktion als Übergangsbereich zwischen der Altstadt und dem Stadtpark gerecht zu werden, sowie als repräsentativer Hotelvorplatz zu fungieren, sind auch hier gestalterische Änderungen erforderlich.

48

Quelle: eigene Aufnahme, Dezember 2012

Planung / Umgestaltung

63

5 Planung / Umgestaltung 5.1 Anforderungen Die artikulierten Anforderungen für eine Umgestaltung des Marktes lassen sich auf wenige Punkte konzentrieren. Während mit dem Studienprojekt 2011 die Vorstellung bestand, durch die Studenten in Wettbewerbsform erste, alternative Ideen zu finden, geht es im Sinne dieser Arbeit darum, aufgrund der tiefgreifenden Analyse ein schlüssiges und begründetes Konzept zu entwickeln, welches nachhaltig für die Stadt genutzt werden kann. Dieses kann wiederrum als Grundlage zur Verfügung stehen, um mit einer konkreten Bearbeitung durch ein Landschaftsarchitekturbüro den Marktplatz ausführungsreif zu gestalten und damit die Sanierung der Altstadt von Osterwieck abzuschließen. Die Stadt wünscht sich einen attraktiven Platz mit hoher Aufenthaltsqualität, an dem auch der Wochenmarkt und weitere Veranstaltungen stattfinden können. Mit jener vielfältig offenen Gestaltung ist die Vorstellung der Stadt auf eine Wortgruppe zusammengefasst, wenngleich auch eine funktionierende Lösung für den Verkehr beinhaltet ist. Um einem realitätsnahen Planungsablauf gerecht zu werden, sollten auch die Anforderungen des Denkmalschutzes Beachtung finden. Von dieser Seite aus möchte man in der Region gerne zurück zum klassischen Modell mit Fußweg, Bordstein, Straße. Als Materialien sollten der ortstypische Kalkstein oder die sehr ähnliche Grauwacke genutzt werden. Das Beispiel Quedlinburg zeigt jedoch, wie man auch ohne eine solch klassische Interpretation zu einer ansprechenden und zugleich denkmalgerechten Lösung kommen kann. Im Rahmen der örtlichen Bauvorschrift über die Gestaltung baulicher Anlagen in der Altstadt Osterwieck findet sich eine Artenliste einheimischer Pflanzen, welche zur Begrünung geeignet sind. Sie sollten natürlich auch bei einer Gestaltung im öffentlichen Raum berücksichtigt werden. Aufgrund der Historie des Kirchhofs ist in diesem Bereich mit gegebener Zurückhaltung zu agieren und eine schonende Variante zu suchen, welche archäologische Grabungen weitgehend reduziert.

Planung / Umgestaltung

64

Aus diesen Rahmenbedingungen und der ausführlichen Analyse wird ein tragfähiges Konzept entwickelt, das allen Akteuren die Möglichkeiten einer solchen Platzgestaltung vor Augen führt. 5.2 Auswertung der Fragebögen Um den Startpunkt für eine erneute Bearbeitung zu schaffen, wurde ein Fragebogen entwickelt. Er sollte auf die Planung aufmerksam machen und eine Verknüpfung zur vorrangegangenen Arbeit der Studenten aus dem Sommer 2001 herstellen. Die Bürger von Osterwieck bekamen die Gelegenheit, ihre Wünsche und Anregungen zu äußern. Neben dieser Chance zur Mitbestimmung des neuen Erscheinungsbildes, war es das Ziel herauszufinden, wo die Stärken und Schwächen des Ortes liegen. Trotz ortsüblicher Bekanntmachung, gab es leider nur 15 Rückläufe. Ein wirkliches Spiegelbild der breiten Meinungen im Ort lässt sich damit nicht herstellen. Es zeigt sich jedoch eine klare Tendenz dahingehend, dass man im Ort verstärkt auf die Historie von Osterwieck setzen möchte. Außerdem sind am Markt eine Beruhigung des Verkehrs und eine Wiederbelebung als Ortszentrum angestrebt. Die geäußerten Wünsche werden im Wesentlichen auch durch die Planung aufgegriffen. Alle ausgefüllten Fragebögen sind in der Anlage der Arbeit beigefügt. 5.3 Konzeptentwicklung 5.3.1 Gesamtkonzept Um folgend ein Konzept für eine Neugestaltung aufzuzeigen, sollen die Ergebnisse der umfassenden Analyse zunächst kurz zusammengefasst werden. Die Stadt Osterwieck hat eine lange, bewegte Geschichte. Dabei liegt die ursprüngliche Bedeutung als Handelsstadt in der Lage an einer wichtigen Fernstraße begründet. Im Mittelalter gab es im Ort sieben Gilden, die großen Einfluss auf das Handeln innerhalb der Stadt ausübten. Dies waren die Gewandschneider und Tuchmacher, Sattler, Schuster, Krämer, Knochenhauer, Schneider, sowie die Schmiede. Zur Zeit der Industrialisierung erlangte zusätzlich die Handschuh- und Lederherstellung einen außerordentlichen Stellenwert. Für viele dieser Gewerke war das Wasser Grundlage für ihre Arbeit, womit deren Ansiedeln auf die vorhandenen geographischen Gegebenheiten zurückzuführen sein dürfte. Der heutige Marktplatz lag am Fuß einer künstlich geschaffenen Anhöhe, auf welcher die erste Kirche gegründet wurde und zuvor wahrscheinlich bereits eine Burganlage

Planung / Umgestaltung

65

existierte. Eine erste Ausdehnung der einstigen Siedlung erfolgte vom ehemaligen Rathaus (Heimatmuseum) aus in Ostrichtung auf einem Kiesrücken zwischen zwei Flüssen. Die Mühlen-Ilse existiert noch heute in ihrem ursprünglichen Verlauf. Südlich dieses Rückens, über den heutigen Marktplatz laufend, gab es zusätzlich den Trallebach, welcher nach einem Hochwasser im 15. Jahrhundert jedoch umgeleitet wurde, um die Stadt vor weiteren Schäden zu bewahren. Osterwieck fand seine Lage während der Geschichte permanent in einer Grenzregion wieder, weshalb der strategisch wichtige Ort bei den jeweils Herrschenden von großem Interesse war. Der erste Befestigungsring der Stadt umfasste den nördlichen Teil des Altstadtbereichs, später wurde dieser auf das gesamte Areal der heutigen Altstadt erweitert. Weiterhin hatte die Reformation schon früh eine enorme Bedeutung für den Ort und wie sich gezeigt hat, war das Zusammenspiel von Kirche und Städtebau für das heutige Ortsbild prägend. Die Hausinschriften und der Kirchenneubau als Teilaspekte sind Ausdruck dessen. Um aus den vielgestaltigen Fakten ein Entwurfskonzept zu entwickeln, ist der Begriff Reformation von zentraler Bedeutung. Dieser meint aus dem Lateinischen übersetzt Veränderung und gleichzeitig Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Das, auf den ersten Blick, gegensätzlich wirkende Begriffspaar ist für die Neugestaltung prägend. Die historischen Elemente werden aufgegriffen und in einer teilweise veränderten Gestaltsprache einbezogen. Gleichzeitig findet sich eine offene und moderne Umformung statt, welche den heutigen Bedürfnissen und Gegebenheiten angepasst wurde.

Planung / Umgestaltung

66

Abb. 37: Neugestaltung Systemschnitt49

Grundsätzliches Prinzip dieses Entwurfes ist es, ebene Platzflächen aus ortstypischem Material zu schaffen (siehe Abb. 37) und dabei die Häuserfronten der prägenden Gebäude im Belag durch Bänder aus Steinplatten nachzuzeichnen. Somit werden die einzelnen

Bereiche

konsequent

miteinander

Verbunden

Gesamtbild, der bisher stark separierten Bereiche entsteht.

49

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

und

ein

einheitliches

Planung / Umgestaltung

67

Bei der Betrachtung im Zusammenhang des gesamten Ortszentrums steht aufgrund wachsender Bedeutung des demographischen Wandels auch die Barrierefreiheit im Vordergrund, worin letztlich die Begründung für einen Verzicht auf explizite Bordsteinkanten

liegt.

Verkehrsaufkommen

Damit

und

Einbahnlösungen vorgesehen.

einhergehend

Geschwindigkeit

ist

durch

eine

Reduzierung

gestalterische

Mittel

von und

Planung / Umgestaltung

68 Abb. 38: Neugestaltung Konzeption50

Der Trallebach als belebendes Element wird reaktiviert und durch das ganze Plangebiet gezogen. Mit einer verstärkten Begrünung entsteht ein angenehmeres Mikroklima, sowie eine neue Aufenthaltsqualität in allen Bereichen (siehe Abb. 38). Es findet eine Verteilung der Funktionen gemäß ihrer früheren Bedeutung und bestmöglichen Eignung im Altstadtbereich statt, wobei eine räumliche und funktionelle Vernetzung erreicht wird. Dennoch erhalten alle Teilflächen ihren spezifischen Charakter. Der Bestand wird soweit möglich in die Neugestaltung integriert und punktuell aufgewertet. In Bereichen, in denen das nicht möglich oder unzweckmäßig ist, erfolgt eine vollständige Neuplanung.

Abb. 39: Konzeption Beleuchtung bis 22:00 Uhr51

Die Beleuchtung trägt wesentlich dazu bei, den Raum auch bei Dunkelheit erlebbar zu machen. Dazu sind generell drei verschiedene Beleuchtungstypen vorgesehen. Die

50 51

Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012 Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012 & Adobe Photoshop CS5

Planung / Umgestaltung

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Hauptbeleuchtung des Straßenraumes wird durch Laternen (hier weiß dargestellt) übernommen. Sie finden sich auch auf dem Kirchhof und an der Mühlen-Ilse. Ergänzend dazu sind an den Eingängen zum Markt, den Engstellen, sowie der Mittelstraße Wandleuchten vorgesehen, die ein schwächeres, wärmeres Licht abstrahlen (hier in hellem Gelb). Um zusätzliche Highlights zu setzen werden herausgestellte Bäume, der Kirchenbau und der Brunnen als zentrales Platzelement indirekt angestrahlt. Sie sorgen für eine dezente Kulisse und tragen ihren Teil zur neuen Qualität bei (siehe Abb. 39). Angenehmes Licht hat einen großen Anteil daran, das Wohlbefinden bei Dunkelheit zu steigern. Dabei ist zum Schutz von Mensch und Umwelt jedoch das richtige Maß gefragt. Zur Vermeidung von Emissionen ist es zweckmäßig nach 22:00 Uhr einen Teil der Beleuchtung komplett abzuschalten, sowie die übrigen Lichter angenehm zu dimmen. Der Platz bleibt damit dennoch eingerahmt, ohne jedoch die Anwohner zu stören (siehe Abb. 40).

Abb. 40: Konzeption Beleuchtung nach 22:00 Uhr52

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012 & Adobe Photoshop CS5

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5.3.2 Die Teilbereiche Kirchhof Der Bereich um die Kirche wird als zusammenhängende Platzfläche umgehbar gestaltet und erhält einen Belag aus wassergebundenem Material. Die Mittelachse, welche bisher unvollständig aus den Linden gebildet wird, soll durch Entnahme und Neupflanzung weniger Gehölze ergänzt und erweitert werden. Ein zentrales Pflasterband entlang der Achse unterstreicht dieses Raumbild (siehe Abb. 41). Am Endpunkt sorgt ein Modell der Altstadtgliederung nach Meibeyer in Bronze gegossen für einen wirksamen und gleichzeitig informativen Endpunkt. Durch einen Materialwechsel wird der, für den PKWVerkehr nutzbare Bereich deutlich abgegrenzt und so eine wahrnehmbare Strukturierung geschaffen. Die Fläche ist damit gleichzeitig offen und multifunktional nutzbar.

Abb. 41: Neugestaltung Kirchhof53

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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An der Ecke vor dem Kircheneingang wird eine Lutherlinde gepflanzt. Sie erinnert symbolisch an die große Tradition der Reformation im Ort, wenngleich Luther hier selbst nie gewesen ist, und bildet den Auftakt für den zweiten gestalterisch abgegrenzten Bereich. Neben jenem öffentlich-profanen Bereich entsteht hinter der Kirche ein begrünter Kirchgarten, welcher zum Entspannen einlädt, aber auch für kleinere Festlichkeiten im Zusammenhang mit der kirchlichen Gemeinde gedacht ist. Die Abgrenzung des sakralen Bereichs spiegelt sich in der veränderten Gestaltsprache wieder. Gezielt platzierte Bänke laden zum Verweilen ein und mittels Laternen entsteht eine Ausleuchtung des größten Teilbereichs der Betrachtung. Vogteiplatz Der Vogteiplatz wird in seiner wesentlichen Struktur erhalten und mit sinnvollen Baumpflanzungen ergänzt. Weiterhin wird durch ein einheitliches Pflastermaterial die Zugehörigkeit zum restlichen Kernstadtbereich verdeutlicht. Dieser Platz soll den Übergang in den Stadtpark bilden und gleichzeitig attraktiver Aufenthalt für Touristen und Gäste des Braunen Hirschs sein. Ein Pflasterband parallel zu dessen Gebäudefront unterstreicht subtil die prägende Bedeutung des Hotels für den Platz und den Ort. In gleicher Weise reiht sich das Pflaster aus gesägter, geflammter Grauwacke. Ein paar Bänke und Beleuchtungselemente sorgen für die nötige Funktionalität. Die Parkflächen werden im Wesentlichen beibehalten, so sind die raumprägenden Neupflanzungen der Gehölze größte Veränderung in der Platzstruktur (siehe Abb. 42).

Abb. 42: Neugestaltung Vogteiplatz54

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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Stobenplatz Der Stobenplatz wird zum zweiten großen Parkplatz im Innenstadtbereich ausgebaut und erhält nach außen hin eine Abgrenzung durch geschlossene Baumreihen. Die Stellflächen für PKWs werden erweitert und mit einem Grüngürtel umrahmt (siehe Abb. 43). Die vorhandene Pergola an der alten Wassermühle wird in den Grüngürtel integriert und bildet für ankommende Besucher den Auftakt, über die Mittelstraße auf den Markt zu gelangen. Ausdruck dessen ist der Beginn der prägenden Pflasterung. Auf dem Platz selbst wird Schotter verwendet.

Abb. 43: Neugestaltung Stobenplatz55

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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Mittelstraße Die ehemals bedeutende Einkaufsmeile wird zurückhaltend aufgefrischt. Hier wird das Material der Neugestaltung angepasst und mit Bänken und Pflanzkübeln eine Möglichkeit zum Verweilen geschaffen. Gleichzeit wird damit den älteren Mitbürgen die Durchquerung dieser relativ langgezogenen Strecke erleichtert. Eine weitere Belebung sollte nicht durch feste Elemente erreicht werden, sie muss von den Nutzern kommen. So hat das Mittelstraßenfest gezeigt, welches Potenzial in diesem Bereich steckt. Solche Möglichkeiten sollten intensiviert werden. Mit temporären Aktionen kann die Straße Stück für Stück an Bedeutung zurück erlangen und vielleicht lässt sich damit auch der Leerstand abbauen. Die offene Gestaltung lässt Kreativität der Bürger freien Entfaltungsraum. Dennoch wird mit der Anordnung der Elemente eine Durchfahrt mit dem PKW erschwert. Letztlich ist die Fußgängerzone nur für den Lieferverkehr und dringend notwendige Anwohnerfahrzeuge freizugeben. Ein konsequentes Parkverbot ist die Folge. Im Übergang zum Markt werden die Parkplätze vor der Bank verlegt und zwei Bäume in die Mittelachse gepflanzt. Damit wird eine Durchquerung mit PKWs weiterhin erschwert und ein attraktiver Sitzplatz geschaffen. Wie an allen anderen Stellen auch, sollte den Gastronomen dringend eine Möglichkeit zur Außenbestuhlung geschaffen werden. Sie belebt das Stadtbild, sorgt für Treffpunkte und ist Orientierung für Ortsunkundige. Parkplatz am Rathaus Der große Parkplatz am Rathaus soll mit Bäumen in den Grünstreifen zwischen den Parkzeilen deutlich ansprechender gestaltet werden (siehe Abb. 44). Sie liefern gleichzeitig Beschattung für parkende Kraftfahrzeuge. Die südöstliche Einfahrt wird geöffnet und an ihrem Eingang ein Baumtor geschaffen. Hier soll neben dem Stobenplatz ein zweiter Anlaufpunkt für Touristen entstehen und damit der erste Eindruck des Ortes geprägt werden. An beiden Parkplätzen werden Informationstafeln aufgestellt, die auf den ersten Blick eine Orientierung erleichtern. Der Übergang zum Markt wird in eine reine Ausfahrt umgewandelt und damit eine nachhaltige Verkehrslösung geschaffen.

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Abb. 44: Neugestaltung Parkplatz56

In der Schützenstraße steht bisher ein Brunnen einsam mitten im Straßenraum. Er findet seine Begründung in der Historie, ist er doch entscheidend genutzt wurden, um den Stadtbrand im Jahr 1884 zu bekämpfen. Diese karge Situation wird in eine kleine Platzfläche umgewandelt, sowie mit Baum und Bänken deutlich aufgewertet (siehe Abb. 45). Alle bisher beschriebenen Bereiche finden sich innerhalb des einheitlich gestalteten Pflasterbelages wieder. Die Übergänge zu den, außerhalb liegenden Bereichen werden mittels flach auslaufender Rampen realisiert.

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Abb. 45: Neugestaltung Brunnenplatz57

5.3.3 Schwerpunkt Marktplatz Den Schwerpunkt der Neugestaltung bildet das Areal am Markt. Um eine sinnvolle, dem Planungsziel entsprechende Lösung zu finden, ist hier eine vollständige Neuplanung notwendig. Wie die anderen Bereiche auch, zeigt sich die Fläche ohne Bordsteine und Höhenunterschiede. Eine Trennung zwischen Verkehr und Aufenthaltszonen wird nur durch gestalterische Mittel erreicht. Um

die

historischen

Fußwegeverläufe

aufzunehmen

ist

hier

neben

dem

Großsteinpflaster aus Grauwacke im Reihenverband zusätzlich Kleinsteinpflaster aus Kalkstein vorgesehen. Es soll im Segmentbogenverband an den ehemaligen Verläufen verlegt werden und schafft damit eine zwar wahrnehmbare aber nicht aufdringliche Teilung, ohne dabei den Charakter als einheitliche Fläche zu stören. Zum Stichwort Barrierefreiheit gehört neben einem Verzicht auf sperrende Höhensprünge genauso auch die Rücksichtnahme auf Personen mit Sichtbehinderungen. Für eine klare Gestaltsprache ist die Verwendung eines einheitlichen Pflasterbelages deutlich zu bevorzugen. Dies würde es jedoch Menschen mit Sehschwäche nahezu unmöglich machen, zu unterscheiden wo sich Fahrbahnen und Fußgängerbereiche

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befinden. Auch dies ist ein Argument, welches letztlich zur Entscheidung für ein Kleinsteinpflaster auf den Fußwegen geführt hat. Wenngleich die Farbunterschiede kaum wahrnehmbar sind, zeigen die Formatwechsel recht deutlich den Weg. Durchzogen wird das Muster auf den Teilplätzen und in den Übergängen jeweils durch eine Granitbänderung. Für jeden Teilplatz ist jeweils ein Band parallel zu den prägenden Häuserfronten geplant. Es findet sich ebenso in der Gesamtgestaltung immer dann, wenn ein deutlicher Wechsel in Belag und Funktion dargestellt werden soll. Der Trallebach wird als kleine und flache Wasserrinne wieder aufgenommen und fließt nun konsequent geradlinig über den Markt. An den Stellen wo eine Überquerung ermöglicht werden soll, ist die Rinne mit gusseisernen Platten abgedeckt. Diese sind so eingebettet, dass es wiederrum keinen Höhenversatz gibt (siehe Abb. 46). Ein wichtiger Punkt für die Gestaltung war eine Neuregelung des Verkehrs. Ehemals als kompletter Verkehrsplatz genutzt, entsteht nun eine Lösung mit zwei Einbahnstraßen. An der Ostseite wird der Verkehr in Richtung Norden geleitet, an der Westseite nach Süden. Damit wird auf dem Platz viel Fläche dazu gewonnen und dennoch eine sinnvolle Verkehrslösung geschaffen. Da diese Stelle meistens Einwohner des Ortes passieren, ist davon auszugehen, dass sie sich schnell an die veränderte Verkehrsführung gewöhnen werden und verstärkt Alternativwege suchen. Die Geschwindigkeit wird im gesamten Bereich auf 20 km/h reduziert, wodurch die Sicherheit für Fußgänger erhöht und die Geräuschkulisse gesenkt werden soll.

Den Wegfall des durchgehenden straßen-

begleitenden Parkens sollen die beiden großen Parkflächen auffangen, welche sich in zumutbarer Entfernung befinden. Zusätzlich werden westlich der Polizei zwei Parkbuchten für die Einsatzfahrzeuge geschaffen. Neben der Fahrbahn nach Norden, an der Ostseite, entstehen vier Parkbuchten. Sie dienen tagsüber als behindertengerechte Stellflächen, sowie für die Besucher des Marktes und sind nachts für Anwohner frei zugänglich. Weiterhin wird vor dem Heimatmuseum eine Haltebucht für Busse mit einer Länge von bis zu 12 m geschaffen. Touristen können somit bequem am zentralen Platz aussteigen und finden sich direkt vor der historischen Anlaufstelle des Heimatmuseums wieder. Um den Wegfall der Parkflächen vor der Bankfiliale auszugleichen, entstehen in der Kapellenstraße in Fahrtrichtung neue Stellflächen. An Punkten, wo eine Gefährdung für den fußläufigen Verkehr gesehen wird, findet eine Abgrenzung der Fahrbahn mittels Granitpollern statt. Eine solche Lösung wird insgesamt als zweckmäßig angesehen, da eine maximale Fläche dem Aufenthalt zugutekommt, gleichzeitig jedoch eine geregelte Verkehrsleitung möglich ist.

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Abb. 46: Gestaltungskonzept Marktplatz58

Der nächste entscheidende Teilaspekt ist die Begrünung. Grundsätzlich werden alle vorhandenen Kleinbäume ihren bisherigen Standort verlieren. Die Reihe parallel zum Heimatmuseum wird einige Meter vom Gebäude versetzt, um damit einen kleinen Vorplatz entstehen zu lassen. Weiterhin erfolgt eine Reduzierung von sechs auf vier Gehölze, die jedoch in ihrem Wuchs nicht so stark verschnitten werden und damit eine großzügige Begrünung bilden. Im Zuge dessen wird die Reihe senkrecht zum Museum vollständig entfernt. Neben dem Heimatmuseum war der alte Standort einer Linde, er wird wieder aufgegriffen, jedoch mit einem, wie übrigens alle neu gepflanzten Gehölze am Markt, Rotdorn nachempfunden. Die beiden Ahorne vor der Polizei werden entfernt. Die Reihe wird ebenso parallel zum Gebäude durch fünf neu gepflanzte Rotdornbäume gebildet.

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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Sie sollen sich in ihrem Wuchs entfalten und eine grüne Raumkante bilden.

Abb. 47: Panorama Marktplatz Planung59

Weiterhin werden zwei Gehölze an die Stelle gesetzt, wo der Trallebach auf den Markt trifft. Sie haben neben der Raumbildung und Beschattung auf dem Platz selbst die Funktion, den von Süden her einfahrenden Verkehr auf die Situation aufmerksam zu machen und eine Geschwindigkeitsreduzierung zu bewirken (siehe Abb. 47). Die Fahrbahn macht in Fahrtrichtung nach rechts einen kleinen Knick, so dass eine weitere Verzögerung die logische Konsequenz ist. An der Stelle des Bogens wird in östlich neben der Fahrbahn ein weiterer Baum gesetzt. Er bildet zum einen südlich eine kleine Vorplatzsituation und zum anderen komplettiert er aus nördlicher Sicht die Teilung für den inneren Marktbereich, weicht dabei jedoch leicht aus der reihenparallelen Pflanzung quer zur Gebäudefront der Polizei ab. An der Westseite wird das nächste wichtige Gehölz gepflanzt. Es steht leicht im Raum zwischen den beiden Reihen und spendet Schatten für den Platz, zusätzlich werden Fahrzeuge, welche aus dem Parkplatz kommen und direkt auf den Platz zufahren gewarnt und zur Aufmerksamkeit angeregt, so dass sie ihren Weg in Fahrtrichtung nach rechts problemlos wahrnehmen. Die beiden Gehölze vor dem Standesamt können als einzige in ihrem Standpunkt belassen werden. In der Gesamtheit ist der quantitative Zuwachs an Gehölzen nicht wesentlich, entscheidend für die Raumqualität sind deren Standorte und der Verzicht auf einen deutlichen Verschnitt, wobei ein ausgedehntes Wachstum ermöglicht wird. Besonders in heißen Sommern erreichen die Temperaturen in Innenstadtbereichen unangenehme Höhen, Frischluftleitbahnen sind selten ausreichend vorhanden und eine Beschattung ist eine willkommene Milderung.

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Quelle: eigene Darstellung, Adobe Photoshop CS5

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Abb. 48: Neue Ausstattungselemente60

Zentrales Element des Platzes ist ein Sitzbereich mit Wasserfontänen am neuen Trallebach. Ausgerichtet sind die Ausstattungen am, parallel zum Polizeigebäude verlaufenden, Granitband. Die Wassersäulen sind darin integriert und können je nach Bedarf angeschaltet werden. Sie bilden eine zurückhaltende, sowie optisch als auch akustisch attraktive Kulisse und sind besonders für Kinder ideal, um sich an heißen Sommertagen abzukühlen. Die fünf Säulen durchbrechen die Symmetrie und die vier Bänke geben ausreichend Gelegenheit zum Verweilen. In jenes Granitband eingelassen sind die Wappen der sieben wichtigen Gilden in Osterwieck und ein achtes Wappen für die später bedeutsame Handschuh- und Lederherstellung. Sie sind Zeugnis der langen Handwerkstradition im Ort und regen den Besucher an sich näher zu informieren. Im Sinne der Partizipation sollte jede Steinplatte des Granitbandes von einem Bürger bzw. Handwerker im Ort erworben werden können. Damit schafft man ein Gemeinschaftsgefühl, was zur Vermittlung der Neugestaltung beiträgt. Jeder Bürger hat die Gelegenheit sich damit zu identifizieren und kann stolz berichten mitgewirkt zu haben. Ein weiteres Highlight bildet die sogenannte Osterwiecker Geschichtstafel (siehe Abb. 49). Sie ist Informations- und Leitsystem zugleich. An jedem geschichtsträchtigen Platz im Ort wird eine solche, gravierte Messingplatte in die Bänderung integriert. Dabei finden sich die wichtigsten Fakten zur Historie des jeweiligen Platzes in einem kurzen Text beschrieben und weiterhin mit Symbol und Pfeil die Richtungen zu den anderen

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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Anlaufstellen. Dem Besucher wird es somit ermöglicht, sich an jeder Stelle des Ortes kurz zu informieren und gleichzeitig einen Überblick über die weiteren Stationen zu erhalten. Wer neugierig geworden ist und mehr erfahren möchte wird zum Heimatmuseum geleitet.

Abb. 49: Osterwiecker Geschichtstafel61

Die historisch nachgewiesene Wasserpumpe neben dem Heimatmuseum wird reaktiviert und so gestaltet, dass es für den Nutzer möglich ist, mittels Pumpen eine gewisse Menge Wasser zu fördern. Eine solche Interaktionsmöglichkeit soll vor allem für Heranwachsende Anreiz bieten, sich zu betätigen, übt dieses Element ohnehin eine besondere Anziehungskraft aus. In der Analyse wurde eine Wettersäule für Osterwieck nachgewiesen. Diese findet nun an ihrem ursprünglichen Platz eine Einbeziehung in die Gestaltung. Sie soll die Gelegenheit bieten, sich auf traditionelle Weise über die klimatischen Bedingungen im Ort zu informieren und gleichzeitig als Aushang für zentrale öffentliche Bekanntmachungen dienen. Neben Fernseher, Internet und Handy entsteht dadurch eine reizvolle Alternative, um direkt die Vorhersage und das aktuelle Wettergeschehen zu verfolgen. Waren Wettersäulen früher nahezu alternativlos und ein Zeichen des Fortschritts, so soll heute ein Stück weit zu den Wurzeln der Wetteraufzeichnung gegangen werden. Gleichzeitig bildet ein solches Element einen ansprechenden Blickfang.

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Quelle: eigene Darstellung, Adobe Photoshop CS5

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Entlang der Häuserfronten findet sich ein wiederkehrendes Element, das als Lutherrose bezeichnet wird. Die Rose als Symbol der Reformation, findet sich schließlich die fünfblättrige Blüte der Heckenrose in Luthers Siegel wieder, besitzt eine lange Tradition und soll als Erkennungszeichen für den Ort Osterwieck in der gesamten Stadt etabliert werden. Zu diesem Zweck wurde ein Merkblatt entwickelt (siehe Anlage 6), mit welchem es jedem Bürger ermöglicht werden soll, aus einfachen aber zugleich dauerhaften Materialien, die Fassadenbegrünung mit historisch nachgewiesenen Rosenarten zu realisieren und damit in ganz Osterwieck ein gemeinsames Bewusstsein zu schaffen. Neben der Wartungsarmut hat die Drahtseilkonstruktion den Vorteil, dass sie unbewachsen kaum wahrgenommen wird. Aufwendige Holzkonstruktionen wären nicht wesentlich preiswerter, müssten jedoch regelmäßig mit Schutzanstrichen versehen werden, was bei einem Bewuchs oft nur schwerlich realisiert werden kann. Die rechtwinklige Form fügt sich nahtlos in das Muster der Fachwerkfassaden ein.

Abb. 50: Pflasterdetail62

Um die Ausstattung des Marktes zu komplettieren finden sich einige Bänke, u.a. vor dem Heimatmuseum, generell geschützt unter Bäumen, sowie Laternen in historischem Erscheinungsbild und Fahrradbügel ebenso aus Eisen in Anthrazit gehalten (siehe Abb. 48). Passend dazu sind die Bäume von Baumscheiben eingefasst, sie ermöglichen den Schutz des Wurzelraumes und sind trotzdem übergehbar. Jene Elemente finden sich im gesamten Planungsgebiet und sorgen für die Schaffung einer einheitlichen Identität des Ortes. Der neue Marktplatz bietet gleichzeitig ausreichend Raum für eine vielfältige Bespielung (siehe Abb. 51). Der Wochenmarkt gibt Stellfläche für etwa fünf Wagen und zwei kleinere Stände, was von der Größe her als ausreichend eingeschätzt wird. Diese verteilen sich so auf dem Platz, dass die weiteren Funktionen ungestört fortgeführt

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

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werden können und im Zentrum ein kleiner eingeschlossener Raum entsteht. Eine weitere exemplarische Möglichkeit ist das Aufstellen einer Leinwand parallel zur Polizei und einer Bestuhlung. Darauf können öffentliche Filmvorstellungen oder Sportereignisse gezeigt werden, was in kleineren Gemeinden zu einer Belebung und Versammlung des ganzen Ortes führen kann. Auch hier ist der Schnitt des Platzes so angelegt, dass keine störenden Beeinträchtigungen für die Gesamtfunktion erfassbar wären. Für die Auftritte von Schaustellern, Sängern oder jeglichen anderen Künstlern ist es möglich, den Marktplatz in eine Art Arena zu verwandeln. Dazu sollte er jedoch für den Verkehr zeitweise gesperrt werden.

Abb. 51: Bespielungsvarianten63

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Quelle: eigene Darstellung, Vectorworks 2012

Zusammenfassung

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Mit dem neuen Marktplatz wurde ein multifunktionell nutzbares Areal geschaffen, was die Anforderungen der Stadt beinhaltet. Gleichzeitig wurde Rücksicht auf die lange Historie des Ortes genommen und gezielt frühere Elemente in die Neugestaltung eingebracht. Gestützt auf die ausführliche Analyse entsteht ein Idealbild des gesamten Ortszentrums, welches

den funktionellen

und

gestalterischen Zusammenhang

herausstellt. Die Funktionen werden geordnet und klar verteilt. Es ist zu hoffen, dass eine solche Umgestaltung den gewünschten Erfolg erzielt und dem Markt zu seiner einstigen Funktion als Ort geschäftigen Treibens zurückbringt.

Zusammenfassung

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6 Zusammenfassung Wie im Thema der Arbeit bereits angedeutet, zeigte sich während der Ausarbeitung, welch große Bedeutung Luther, im konkreten die Reformation, für Osterwieck und seine Entwicklung hatten. Für den Entwurf war es zwingend notwendig, sich mit dem Plangebiet und seiner Geschichte vor Ort auseinander zu setzen. Neben einigen Ortsbesuchen ist hier die Zusammenarbeit mit dem Heimatmuseum, in Person von Frau Krebs, herauszustellen. Es entstand dabei eine sehr ausführliche Darstellung der Geschichte des Ortes. Sie bildet die fundierte Grundlage, um dem Markt ein neues Gesicht zu verleihen. Weiterhin unabdingbar war die Auseinandersetzung mit dem Bestand. Dieser verdeutlicht neben vorhandenen Schwächen, wo sich Entwicklungsmöglichkeiten und Potenziale finden. Indes war die Zusammenarbeit mit der Stadt notwendig und die Unterstützung durch eine ideenoffene Bürgermeisterin Frau Wagenführ ist als außergewöhnlich hervorzuheben. Um auf die Einleitung zurück zu kommen, muss festgestellt werden, dass eine Neugestaltung nur zu einer dauerhaft akzeptierten Lösung gelangt, wenn man die Vergangenheit des Planungsraumes detailliert betrachtet.

So ist der Marktplatz

keinesfalls als isolierter Raum zu sehen, sondern vielmehr der Systemzusammenhang im Innenstadtbereich zu betonen. Genauso, wie der heutige Zeitgeist die Gestaltsprache prägt, wird die Umsetzung dieses zentralen Bereichs auch Auswirkungen auf die Mentalität der Einwohner in Osterwieck haben. Aufbauend auf den Analyseschritten wurde ein Konzept entwickelt, welches den Versuch unternimmt, mit seiner Gestaltung eine Belebung der Innenstadt zu fördern und die Menschen mit einer ideenoffenen Lösung zu konfrontieren. Es erwies sich dabei als schwierig,

nach

einer

solch

umfangreichen

Vorarbeit

mit

der

notwendigen

gestalterischen Freiheit an eine solche Aufgabe zu gehen. Die Abfolge der Arbeitsschritte in dieser Abhandlung steht hierbei exemplarisch dafür, wie der Umgang mit einem solchen Planungsgebiet auch im Büroalltag erfolgen kann, wenngleich für einen derartigen Umfang freilich kein Raum verfügbar ist. Der Ort Osterwieck hat ein großes Potenzial und es ist zu hoffen, dass die Ergebnisse als Anreiz gesehen werden, dieses verstärkt zu nutzen. Mit einem attraktiven Zentrum kann sich die Einheitsgemeinde zu einem Anziehungspunkt für Touristen entwickeln, ähnlich wie die großen Nachbarn Quedlinburg oder Wernigerode.

Literaturverzeichnis

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7 Literaturverzeichnis Buchquellen 1200 JAHRE BISTUM HALBERSTADT: Osterwiecker Tage 2. - 6. Juni 2004 Symposium um St. Stephanie, Beitragssammlung- Osterwieck: 2004 ARCHITEKTEN MÖHLMANN & URBISCH: Urban 21 - Konzept Stadt Osterwieck Osterwieck/Braunschweig: 2000 GILLE, Theo: Stadtführer Osterwieck - 1. Auflage - Braunschweig: Höller und Zwick 1990 HARZVEREIN FÜR GESCHICHTE UND ALTERTUMSKUNDE E.V.: Harz Zeitschrift 2005 - Berlin: Lukas Verlag 2005 SCHAUER, Hans-Hartmut: Die Fachwerkstadt Osterwieck - 1. Auflage - Berlin: Verlag für Bauwesen 1997 STADT OSTERWIECK, ARCHITEKTEN MÖHLMANN & URBISCH : Örtliche Bauvorschrift über die Gestaltung baulicher Anlagen einschließlich Werbeanlagen in der Altstadt der Stadt Osterwieck - 1. Auflage - Braunschweig/Osterwieck: 1999 STADT OSTERWIECK: Einheitsgemeinde Stadt Osterwieck - 2. Auflage - Osterwieck: Mediaprint Infoverlag GmbH 2011 STADT OSTERWIECK: Osterwieck 974-1999 - 1. Auflage - Osterwieck: Demos-Pigge Druck und Verlag GmbH 1999 STADT OSTERWIECK: Osterwieck am Harz Altstadtsanierung 1991 - 2011 - 1. Auflage Halberstadt: 2011 THIELE, Klaus: Harz Forschungen 21, Osterwieck - Frühe Mission und frühprotestantische Bilderwelten - Berlin: Lukas Verlag 2005 THIELE, Klaus: Harz Forschungen 26, Osterwieck - Die Fachwerkstadt aus dem Reformationsjahrhundert - Berlin: Lukas Verlag 2010

Literaturverzeichnis

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http://www.alleenstrasse.com/about.php

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http://www.baubeconstadtsanierung.de/de/download/Vortrag_ Denkmalkongress.pdf

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http://www.baubeconstadtsanierung.de/de/geschaeftsfelder/stadtumbau_ost/

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http://www.baubeconstadtsanierung.de/de/geschaeftsfelder/staedtebaulicher_d enkmalschutz/

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Anlagenverzeichnis

8 Anlagenverzeichnis Anlage 1 Plan 01 - Analyse I: Das Plangebiet und seine Geschichte (Din A1) Anlage 2 Plan 02 - Analyse II: Die räumliche Wahrnehmung (Din A1) Anlage 3 Plan 03 - Konzeption: Strategie der Planung (Din A1) Anlage 4 Plan 04 - Umgriff: Das Gebiet im Zusammenhang (Din A1) Anlage 5 Plan 05 - Vertiefung: Der Schwerpunkt der Neugestaltung (Din A1) Anlage 6 Merkblatt: Lutherrosen für Osterwieck - Anleitung zur Fassadenbegrünung (Din A4) Anlage 7 Ergebnisse der Bürgerbefragung (Blattsammlung DIN A4) Anlage 8 DVD-Rom zur Bachelorarbeit

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Selbstständigkeitserklärung

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9 Selbstständigkeitserklärung Erklärung Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht in einem anderen Studiengang als Prüfungsleistung vorgelegt und keine anderen, als die angegebenen Hilfsmittel und Quellen (einschließlich der angegebenen oder beschriebenen Software) benutzt habe.

Köthen, den …………………………………………………

___________________________________ Unterschrift der Verfasserin/des Verfassers