Mit den richtigen Kennzahlen steuern (Teil 1) *

Mit den richtigen Kennzahlen steuern (Teil 1)* Welche Kennzahlen braucht ein Unternehmen? Ganz unterschiedliche Aspekte sind wichtig, um eine Antwort ...
Author: Beate Hermann
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Mit den richtigen Kennzahlen steuern (Teil 1)* Welche Kennzahlen braucht ein Unternehmen? Ganz unterschiedliche Aspekte sind wichtig, um eine Antwort zu finden. Der Beitrag fasst sie in zwölf Fragen an Entscheider zusammen. Die ersten vier Fragen – um die es in diesem ersten Teil des Beitrags geht – ergründen, ob die Kennzahlen die richtigen Dinge messen. Kennzahlensysteme sind das Rückgrat der Unternehmenssteuerung. Kaum überschaubar viel ist zu diesem Themenfeld geschrieben worden. Dennoch fällt es in der Unternehmenspraxis nicht immer leicht, die richtigen Kennzahlen auszuwählen: Welche Fragen müssen Sie als Entscheider stellen? Welche Kriterien gilt es, der Auswahl zugrunde zu legen? Die Auswahlentscheidung ist auch deshalb so schwierig, weil Kennzahlen einen dualen Charakter haben. Aus einer eher naturwissenschaftlichen Perspektive sind Kennzahlen ein möglichst präzises Spiegelbild der Realität, das letztlich der Messung des Erfolgs dient. Hingegen kann man Kennzahlen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive auch als ein Instrument zur Beeinflussung des Verhaltens von Akteuren im Unternehmen interpretieren. Hier liegt der Fokus weniger auf einer möglichst präzisen Abbildung der Realität als vielmehr auf den Verhaltenswirkungen des Instruments. Während einzelne Aspekte der Auswahlentscheidung immer wieder thematisiert werden, fehlt eine Gesamtschau. Dabei stellt sich die Auswahlproblematik in Zukunft möglicherweise noch mehr als bisher, denn die Entwicklung der Informationstechnologie ermöglicht es Managern zunehmend, in einem vom Unternehmen mehr oder weniger breit gesetzten Rahmen die Auswahl selbst mitzubestimmen. Wir wollen Ihnen in diesem Beitrag, dessen zweiter Teil im nächsten Heft der Controlling & Management Review erscheint, insgesamt zwölf Fragen an die Hand geben, die Ihnen helfen, die richtigen Kennzahlen zu finden (vergleiche Infokasten, S. 37). Sie hängen eng miteinander zusammen und lassen sich auf drei Leitfragen zurückführen. Die ersten beiden sind dabei primär aus der bereits erwähnten naturwissenschaftlichen Perspektive motiviert: Messen Sie die richtigen Dinge? Und: Messen Sie diese Dinge richtig? Die dritte Leitfrage ergibt sich hingegen aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive, die auf Verhaltenswirkungen abstellt: Erzielen Ihre Kennzahlen auch (die richtige) Wirkung? Diese drei Leitfragen sollten Sie im Prozess der *

Schäffer, U. / Weber, J. (2015): Mit den richtigen Kennzahlen steuern (Teil 1). WHU Controlling & Management Review, 59(3), 34. 1/10 Institute of Management Accounting and Control (IMC)

Definition Ihrer Kennzahlen für die Unternehmenssteuerung jeweils gleichzeitig stellen und beantworten. Hiermit gelangen Sie zu den Kennzahlen, die auf Ihr Unternehmen und Ihre spezifische Situation am besten passen. Optimale Standardsets an Kennzahlen gibt es nicht. Messen Sie die richtigen Dinge? Haben Sie den Strategiebezug Ihrer Kennzahlen sichergestellt? Die hinter dem folgenden Satz stehende Idee mag vielen von Ihnen vertraut vorkommen: Kennzahlen dienen der Messung wichtiger Ziele, die wiederum über Ursache-Wirkungs-Ketten mit den übergeordneten Zielen der Organisation und der dahinterstehenden Strategie verbunden sein sollten. Es ist das große Verdienst von Kaplan und Norton (1996), dass sie diesen Gedanken des Strategiebezugs von Kennzahlensystemen weltweit verbreitet haben. Negativ formuliert lautet die zentrale Botschaft: Messen Sie nichts, nur weil es einfach gemessen werden kann oder weil es schon immer gemessen wurde! Überlegen Sie vielmehr genau, was Sie eigentlich messen wollen, und orientieren Sie sich dabei konsequent an Ihren strategischen Zielen! Lassen Sie uns den Punkt weiter verdeutlichen: Stellen Sie sich zu diesem Zweck bitte vor, dass Sie ein Unternehmen erfolgreich gegründet haben. Nach einigen Jahren harter Arbeit möchten Sie erstmals und wohlverdient für mehrere Monate in die Karibik verschwinden – ohne Telefon, ohne Notebook, einfach mal weg. Sie kehren an einem Sonntag zurück und finden niemanden im Büro vor. Welche Kennzahlen würden Sie gerne vor sich liegen sehen, um sofort und ohne mit jemandem gesprochen zu haben zu wissen, dass es Ihrem Unternehmen noch gut geht? Wahrscheinlich würden Sie all jene Größen sehen wollen, die zentrale Stellschrauben Ihres Geschäftsmodells darstellen. Sie würden hoffen, dass alle wichtigen Ziele in dem vor Ihnen liegenden Tableau erfasst sind. Stellt man die Zusammenhänge zwischen diesen Stellschrauben grafisch dar, erhält man Ketten von Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen verschiedenen strategischen Zielen und den darauf bezogenen Kennzahlen. Kaplan und Norton (2004) haben für die strategiebezogene Visualisierung dieser Ketten den Begriff der „Strategy Map“ gewählt. Eine solche Karte stellt im Idealfall nicht nur sicher, dass die richtigen – weil für die Erreichung der Ziele relevanten – Dinge gemessen werden, sondern ermöglicht auch den strategischen Dialog im Unter-

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nehmen. Ein hinreichend präzises, geteiltes Verständnis der grundlegenden strategischen Zusammenhänge und der diese repräsentierenden Kennzahlen versetzt Ihr Team in die Lage, das Geschäftsmodell und die ihm zugrunde liegenden Annahmen konstruktiv infrage zu stellen und verlässlich dezentrale Entscheidungen im Sinne der Unternehmensführung zu treffen. Ein solches Verständnis wird sich aber selten von alleine einstellen. Was Sie dafür tun können, werden wir insbesondere im Kontext der dritten Leitfrage „Erzielen Ihre Kennzahlen die (richtige) Wirkung?“ diskutieren (siehe dazu den zweiten Teil des Beitrags in Controlling & Management Review 4/2015). Haben Sie eine angemessene Balance aus Leistungstreibern und finanziellen Aspekten realisiert? Bleiben wir noch für einen Augenblick bei der Logik der Balanced Scorecard. Hier – und nicht nur hier – wird deutlich, dass es einer ausgewogenen Mischung von Leistungstreibern und Ergebniskennzahlen bedarf. Warum ist das so? Einerseits gilt es natürlich, Transparenz über das Ergebnis der eigenen Handlungen zu besitzen. Diese erreicht man über Kennzahlen, die die finanzielle Performance (Wertsteigerung, Jahresüberschuss, Betriebsergebnis und so weiter) des Unternehmens messen. Andererseits gilt es, im Rahmen der Unternehmenssteuerung im Bedarfsfall frühzeitig gegenzusteuern. Dazu braucht es aber keine Ergebnisgrößen, sondern Leistungstreiber als Kennzahlen, die hinreichend früh eine Indikation dafür geben, dass Dinge möglicherweise in die falsche Richtung laufen. In einem volatilen Umfeld und bei Strategien, die auf Produktdifferenzierung und Wachstum abzielen, wird eher ein Fokus auf Leistungstreiber, in einem stabilen Umfeld und bei kostenorientierten Strategien eher ein Fokus auf Ergebnisgrößen Sinn machen (vergleiche etwa Chenhall 2003). In jedem Fall brauchen Sie aber eine ausgewogene Kombination aus beiden! In unserem Austausch mit der Praxis erleben wir immer wieder, dass das Thema Frühindikatoren auf wenige, vergleichsweise leicht messbare Kennzahlen wie etwa den Marktanteil oder die Qualität zentraler Prozesse reduziert wird. Das reicht in der Regel aber nicht, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu antizipieren und nach Möglichkeit zu vermeiden. Erlauben Sie uns auch an dieser Stelle wieder eine Analogie, um den Punkt zu verdeutlichen: Als Autofahrer sitzen Sie am Steuer und schauen die meiste Zeit nach vorne durch die Windschutzscheibe und nicht nach hinten durch den Rückspiegel. Nur gelegentlich wird Ihr Blick nach vorne durch einen Blick nach hinten oder zur Seite ergänzt. Warum sollte das in der Unternehmenssteuerung anders sein?

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Die Umsetzung unserer Forderung ist nicht immer einfach, da die Messbarkeit mit zunehmendem Abstand von der angestrebten Ergebnisgröße tendenziell abnimmt. Das sollte aber kein Anlass sein, der Herausforderung auszuweichen. Vielmehr ist es essenziell, dass Sie die zentralen Leistungs- und Ergebnistreiber, so gut es eben geht, über Kennzahlen messen. Kaplan und Norton fordern sogar, dass Sie Frühindikatoren auch dann in Ihren Steuerungsrahmen aufnehmen, wenn Sie diese im Moment noch nicht oder nicht hinreichend überzeugend messen können. Im Sinne der Verhaltensbeeinflussung, auf die wir später noch näher zu sprechen kommen (siehe dazu den zweiten Teil des Beitrags in Controlling & Management Review 4/2015), ist es nämlich entscheidend, dass Ihre Aufmerksamkeit über Kenngrößen nicht auf das gelenkt wird, was am besten gemessen werden kann, sondern auf das, was Ihnen frühzeitig wichtige Steuerungssignale sendet. Bei aller Liebe zu Früherkennung und Strategie müssen allerdings auch die grundlegenden finanziellen Kenngrößen abgedeckt sein, selbst wenn diese nicht zu den wesentlichen Treibern Ihrer strategischen Zielgröße gehören. Anders formuliert: Den Strategiebezug von Kennzahlen mag man als Kür betrachten oder nicht, die Abbildung der wesentlichen finanziellen Kenngrößen ist in jedem Fall Pflicht. Neben erfolgsbezogenen Größen müssen hier auch zahlungsflussbezogene Größen berücksichtigt werden (vergleiche etwa Simons 2000 oder Weber/Schäffer 2014). Wie viele Kennzahlen brauchen Sie? Lassen Sie uns diesen Aspekt – seiner Bedeutung gemäß – etwas ausführlicher diskutieren. Wir werden dabei auch sehen, dass die eher naturwissenschaftliche und die verhaltensbezogene Perspektive auf Kennzahlen oftmals eng miteinander zu verknüpfen sind. Häufig wird in der Praxis eine Vielzahl von Kennzahlen zur Unternehmenssteuerung verwendet. Das verwundert wenig, sind doch die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle oft nicht trivial, sodass es eine Vielzahl von erfolgsrelevanten Aspekten gibt. Aus der Perspektive einer möglichst objektiven Erfolgsmessung gilt es, diese auch abzubilden. Die moderne Informationstechnologie ermöglicht es zudem, dieses Ziel zu immer geringeren Kosten zu realisieren. Aus einer verhaltensorientierten Perspektive ergeben sich zusätzliche Argumente für ein Mehr an Komplexität: Informationen sind eine wertvolle Ressource im politischen Spiel um Macht und vermitteln darüber hinaus auch Sicherheit. Zudem kann Selektivität gefährlich sein: Einzelne Manager mögen sie als Einladung für ein selektives Leistungsverhalten zulasten von Institute of Management Accounting and Control (IMC)

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nicht abgebildeten Aspekten begreifen. Selbst wenn man von einem nicht für Opportunismus anfälligen Team ausgeht, müssen Sie als Manager anderen erklären, warum einzelne Faktoren – und damit auch die Arbeit des einen oder anderen im Unternehmen – weniger wichtig ist als die anderer. Das ist in der Regel eher unangenehm. Es gibt also viele Gründe dafür, der Versuchung nachzugeben und zu versuchen, die vorhandene Komplexität weitgehend abzubilden. Aber das ist nicht ohne Gefahren: Das Nebeneinander einer großen Zahl von Steuerungsgrößen mag die Informationsverarbeitungsfähigkeit der Adressaten im Management überfordern und so möglicherweise auch dazu führen, dass die in den Kennzahlen enthaltenen Informationen – bewusst oder unbewusst – nur ausschnitthaft verwertet werden. Eine von vornherein geringe Anzahl von Kennzahlen verdeutlicht hingegen, was aus Sicht der Unternehmensführung wirklich wichtig ist. So wird es im Idealfall möglich, die Energie und die Zeit des Managements auf die als essenziell wahrgenommenen Dinge zu fokussieren. Das Argument, dass man auch die anderen Aspekte nicht aus den Augen verlieren sollte, ist in der Regel nicht falsch. Wenn aber zu viel Aufmerksamkeit des Managements auf eine Vielzahl weniger wichtiger Dinge gelenkt wird, kann dies mit nicht unerheblichen Opportunitätskosten verbunden sein. Aus einer verhaltensorientierten Perspektive ergibt sich noch ein weiteres wichtiges Argument für eine eher geringe Anzahl von Kennzahlen: Ein kleines Set an Steuerungsgrößen ist einfacher in die Fläche zu kommunizieren, was insbesondere immer dann von Bedeutung ist, wenn Sie Ihre Mannschaft mobilisieren und dezentrale Initiative fördern möchten. Welche Anzahl von Kennzahlen letztlich für die Unternehmenssteuerung angemessen ist, lässt sich mit Blick auf die Vielzahl der Argumente natürlich nicht allgemein sagen und hängt nicht zuletzt von der Komplexität des zugrunde liegenden Geschäfts ab. Entsprechend ist es wohl auch kein Zufall, dass die meisten Lehrbuchbeispiele für einfache Kennzahlensysteme aus dem Dienstleistungsbereich kommen, der in der Regel durch vergleichsweise einfache Geschäftsmodelle charakterisiert ist. So berichtet zum Beispiel Robert Simons von der amerikanischen Hotelkette Marriott. Deren CEO beschreibt prägnant die zugrunde liegende Steuerungsphilosophie: „If your employees are well taken care of, they will take care of the customer and the customer will come back. That is basically the core value of the company.“ Daraus leitet er die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter als erste Kennzahl ab, die über Ursache-Wirkungs-Ketten

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dann drei weitere Größen maßgeblich beeinflussen soll: die Zufriedenheit der Gäste, den Umsatz und den Umsatz pro verfügbarem Zimmer. Viel einfacher geht es nicht. Neben der Komplexität des zugrunde liegenden Geschäfts – ein Argument, das eher der objektiven Abbildungsperspektive entspringt – ist auch das intendierte Verhalten der Mitarbeiter von zentraler Bedeutung bei der Festlegung der richtigen Anzahl von Kennzahlen. Ein komplexes Kennzahlensystem mit einer Vielzahl von Metriken reduziert die Freiheitsgrade des betroffenen Mitarbeiters. Es diktiert weitgehend, was alles zu tun und zu beachten ist. Ein vergleichsweise einfaches, nur aus wenigen Kennzahlen bestehendes System lässt mehr Freiheitsgrade. In Situationen, wo unternehmerisches Handeln und Innovation gewünscht sind, wird es daher in der Regel auch Sinn machen, die Freiheitsgrade eher groß zu halten. Entsprechend wird ein Vorstandsvorsitzender selten an einer ganzen Batterie von Kennzahlen gemessen. Hingegen gilt es in Situationen, wo absolute Fehlervermeidung im Vordergrund steht – sei es wegen der Größe der Risiken oder auch der mangelnden Qualifikation der Mitarbeiter –, die Komplexität mit einer großen Zahl von Kenngrößen eher hoch zu halten. Fassen wir zusammen: Die optimale Anzahl von Kennzahlen lässt sich nur im Einzelfall ermitteln und hängt neben dem zugrunde liegenden Geschäft nicht zuletzt auch von der intendierten Verhaltenswirkung ab. Was heißt das nun konkret? Wie viele Kennzahlen brauche ich? Eine klare Antwort auf diese Fragen werden Sie an dieser Stelle vermutlich gar nicht mehr erwarten. Dennoch möchten wir Ihnen einen zentralen Gedanken mitgeben, der auf eine alte Studie von George A. Miller zurückgeht. Dieser stellte schon 1956 fest, dass die menschliche Kapazität für die bewusste Unterscheidung, Aufnahme und Verarbeitung gleichzeitig eintreffender Daten auf sieben (plus oder minus zwei) Einheiten begrenzt ist. Spätere Studien haben die Ergebnisse von Miller im Wesentlichen bestätigt. Für den alltäglichen Umgang mit Kennzahlen wird Ähnliches gelten. Menschen können sich auch hier an fünf, sieben und manche Genies vielleicht sogar an neun Themen vergleichsweise einfach parallel erinnern. Und wenn Sie sich ohne kognitive Mühe an etwas erinnern können, wird es Ihre täglichen Entscheidungen im Regelfall auch stärker beeinflussen. An die Seite der skizzierten Obergrenze tritt aber auch eine Untergrenze: Zu wenige Kennzahlen werden den zentralen Trade-offs nicht gerecht und bieten gewissermaßen nicht genug Spielmasse, um die Kreativität in der Problemlösung hinreichend anzuregen. Um das damit verbundene Dilemma aufzulösen, kann man zweistufig vorgehen. So ist es vermutlich kein Institute of Management Accounting and Control (IMC)

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Zufall, dass die „Regel-Balanced-Scorecard“ aus einer Größenordnung von vier Perspektiven und ungefähr vier oder fünf Kennzahlen je Perspektive besteht. Durch diese Zweistufigkeit wird es möglich, auch eine Größenordnung von 16 oder 20 Kennzahlen in den Griff zu bekommen und zu speichern. Welche Kennzahlen stehen im Fokus der Betrachtung? Wie viele Kennzahlen man zur Steuerung braucht, wird auch durch die Antwort auf die Frage, wie die Kennzahlen denn eigentlich genutzt werden sollen, beeinflusst. Auf der Basis einer Typologie von Robert Simons haben wir an anderer Stelle vorgeschlagen, zwischen einer diagnostischen und einer interaktiven Nutzung von Kennzahlen zu unterscheiden (vergleiche Simons 1995; Weber/Schäffer 1999). Danach liegt eine interaktive Nutzung dann vor, wenn die Kennzahlen auf der relevanten Management-Ebene ständig und – wie der Name schon sagt – interaktiv genutzt werden, unabhängig davon, wie der aktuelle Zielerreichungsgrad ist. Eine so intensive Nutzung wird vor dem Hintergrund knapper kognitiver Kapazität in jedem Fall auf maximal eine Handvoll Kenngrößen zu reduzieren sein. Häufig sind es nur zwei oder drei Kennzahlen, die so genutzt werden. Simons zieht die sogenannten Cola-Kriege der 1980er Jahre als Beispiel heran und zitiert Pepsi, das mit dem relativen Marktanteil zu Coca-Cola sogar nur eine Kenngröße interaktiv nutzte. Eine diagnostische Nutzung zielt dagegen auf die Bestätigung eines vorab festgelegten SollZustands ab („Leitstand“) und trägt so dazu bei, die knappe Kapazität des Managements zu schonen. Über interaktiv genutzte Kennzahlen sollten Sie also in jedem Management Meeting sprechen, über diagnostisch genutzte Größen hingegen nur dann, wenn die Ampeln auf Gelb oder Rot stehen. Sie müssen als Manager nur aktiv werden, wenn etwas schlecht läuft oder erste Anzeichen für Probleme sichtbar werden. Diagnostisch genutzte Kennzahlen vermitteln auf diese Weise Sicherheit, ohne dass die ständige Aufmerksamkeit des Managements erforderlich ist. Entsprechend ist hier auch ein größeres Set an Kenngrößen vorstellbar – etwa in Form einer Balanced Scorecard mit etwa 20 Kennzahlen und einem Set ergänzender finanzieller Messgrößen. Das Zusammenspiel von diagnostisch und interaktiv genutzten Kennzahlen beschreibt Simons als kreatives Spannungsverhältnis von stabilisierenden und expansiven Kräften. Werden alle Kennzahlen ausschließlich diagnostisch genutzt, wird es dem Unternehmen tendenziell an Institute of Management Accounting and Control (IMC)

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Spannung fehlen. Es verliert den notwendigen Dampf („running out of steam“, vergleiche Weber/Schäffer 1999, S. 336). Wenn hingegen einige Kennzahlen interaktiv als „Scheinwerfer“ genutzt werden, aber ein funktionierendes diagnostisch genutztes Kennzahlensystem nicht gleichzeitig vorliegt, wird das „normale“ Geschäft vernachlässigt. Man fokussiert, ohne die Sicherheit zu haben, die anderen Aspekte wie in einem Leitstand im Blick zu haben und auf negative Abweichungen rechtzeitig aufmerksam zu werden. Entsprechend ist in der Regel die Kombination aus einem eher breiten Set an diagnostisch und einer kleinen Auswahl an interaktiv zu nutzenden Kennzahlen sinnvoll. Allerdings macht der Schritt zur Fokussierung je nach verfolgter Strategie mehr oder weniger Sinn. Arbeitet eine Organisation in einem Umfeld sehr hoher Unsicherheit, mag ein klarer Fokus kontraproduktiv sein. In einem klar definierten Wettbewerbsumfeld, wie zum Beispiel bei den „Cola-Kriegen“ zwischen Pepsi und Coca-Cola, kann er hingegen bis auf eine Kennzahl – den relativen Marktanteil – reduziert werden. Welche Kennzahlen nutzen Sie bewusst diagnostisch, welche interaktiv? Schlussbetrachtung Mit der Antwort auf die Leitfrage „Messen Sie die richtigen Dinge?“ kann eine umfassende Diskussion der richtigen Auswahl von Kennzahlen nicht enden. Das wurde in den vorstehenden Zeilen bereits hinreichend deutlich. Daher werden wir uns im zweiten Teil des Beitrags mit den ergänzenden Leitfragen „Messen Sie diese Dinge richtig?“ und „Erzielen Ihre Kennzahlen auch die richtige Wirkung?“ befassen. Erst die Gesamtschau rundet das Bild ab. Zusammenfassung • Aus der Fülle von Kennzahlen die richtigen für das eigene Unternehmen auszuwählen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. • Ein Katalog gezielt gestellter Fragen kann bei der Auswahl Hilfestellung geben. • Mit dem ersten Fragenblock lässt sich identifizieren, was überhaupt gemessen werden sollte („measure the right things“).

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Zwölf Fragen zur Auswahl der richtigen Kennzahlen für Ihr Unternehmen Messen Sie die richtigen Dinge? 1. Haben Sie den Strategiebezug der Kennzahlen sichergesellt? 2. Haben Sie eine angemessene Balance aus Leistungstreibern und finanziellen Aspekten realisiert? 3. Wie viele Kennzahlen brauchen Sie? 4. Welche Kennzahlen stehen im Fokus der Betrachtung? Messen Sie die Dinge richtig? 5. Decken Ihre Kennzahlen das zu Messende hinreichend ab? 6. Sind Ihre Kennzahlen so objektiv wie möglich? 7. Ist die Qualität der zugrunde liegenden Daten ausreichend? 8. Sind die Informationserfassung und -bereitstellung wirtschaftlich? Erzielen Ihre Kennzahlen (die richtige) Wirkung? 9. In welchem Maße sollten Ihre Kennzahlen von den Verantwortlichen beeinflussbar sein? 10. Haben Sie Ihre Kennzahlen auf mögliche dysfunktionale Verhaltenswirkungen geprüft? 11. Sind Ihre Kennzahlen nachvollziehbar und gut verständlich? 12. Haben Sie die Verantwortlichen hinreichend in die Definition der Kennzahlen eingebunden?

Kernthesen • Dass etwas gemessen werden kann, bedeutet nicht automatisch, dass es auch gemessen werden sollte. • Auch wenn Frühindikatoren manchmal schwierig zu erfassen sind, kann man auf sie nicht verzichten. • Eine starke Beschränkung der Anzahl von Kennzahlen macht deutlich, was wirklich wichtig ist. • Die Unterscheidung von interaktiven und diagnostischen Kennzahlen hilft, die Komplexität des Kennzahlensystems im Griff zu behalten.

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünschen Ihnen Utz Schäffer und Jürgen Weber Institute of Management Accounting and Control (IMC)

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Literatur Chenhall, R. S. (2003): Management Control Systems Design within its Organizational Context: Findings from Contingency-based Research and Directions for the Future, in: Accounting, Organizations and Society, Vol. 28, Issues 2-3, S. 127-168. Kaplan, R. S./Norton, D. P. (1996): Translating Strategy into Action: The Balanced Scorecard, Boston. Kaplan, R. S./Norton, D. P. (2004): Strategy Maps: Converting intangible Assets into tangible Outcomes, Boston. Miller, G. A. (1956): The Magical Number Seven, Plus or Minus Two: Some Limits on our Capacity for Processing Information, in: Psychological Review, 63 (2), S. 81-97. Simons, R. (1995): Levers of Control: How Managers use Innovative Control Systems to Drive Strategic Renewal, Boston. Simons, R. (2000): Performance Measurement and Control Systems for Implementing Strategy: Text & Cases, Upper Saddle River. Weber, J./Schäffer, U. (1999): Auf dem Weg zu einem aktiven Kennzahlenmanagement, in: Die Unternehmung, 53 (5), S. 333-350. Weber, J./Schäffer, U. (2014): Einführung in das Controlling, 14. Auflage, Stuttgart.

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