Meine Jugend nach der Mauer

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Author: Daniel Acker
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Zoom – näher dran!

Meine Jugend nach der Mauer

• MEINE JUGEND NACH DER MAUER bietet aktuellen und neuen Lesestoff, der die ganze Klasse zu engagierten Lesern macht • Gesellschaftliche Umbrüche erleben, Ideologien erkennen, Klischees begegnen - Themen und Aufgaben, mit denen Sie lebhafte und intensive Diskussionen fördern • Nutzen Sie die Themenmodule als ‚Ideensteinbruch’, um den Unterricht optimal auf die unterschiedlichen Schülerbedürfnisse anzupassen • Finden Sie in diesem Handbuch viele fächerübergreifende Anregungen zu Ethik, Geschichte, Politik und Wirtschaft • Kopiervorlagen für alle Unterrichtsmodule und Klausurvorschläge zu Textanalyse oder kreativem Schreiben

Andrea Hanna Hünniger Meine Jugend nach der Mauer

• Generationenkonflikt, Erwachsenwerden, Orientierung suchen – Themen, die Ihre Schüler bewegen

Themenfelder „Meine Jugend nach der Mauer“: Wiedervereinigung · Identitätsfindung · Familie · Ost-West · Ideologie · Vorurteile · Heimat · Sachbuch

Andrea Hanna Hünniger

Meine Jugend nach der Mauer

Lehrerhandbuch

Lehrerhandbuch

von Kerstin Sonnenwald

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Andrea Hanna Hünniger

Meine Jugend nach der Mauer

Lehrerhandbuch von Kerstin Sonnenwald

Ernst Klett Sprachen Stuttgart

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Einführung

Einführung Zum Inhalt Als die Mauer 1989 fiel und es im Jahr darauf zur deutschen Wiedervereinigung kam, ging Andrea Hanna Hünniger in den Kindergarten. Aus eigener Anschauung kennt sie die DDR nicht mehr. Was aber von der DDR übrig blieb – ob Plattenbau, Jugendweihe, Meinungen der Elterngeneration zur Stasi – und die Verwerfungen, die der rasante Umbruch für die Menschen in der ehemaligen DDR mit sich brachte, bilden die Koor­ dinaten von Hünnigers Kindheit und Jugend. Darüber schreibt sie in dem autobio­gra­ fischen Buch Meine Jugend nach der Mauer. Hünniger wählt einen sehr persönlichen Zugriff auf ihre erst kurz zurückliegende Vergangenheit. Sie schildert Begebenheiten aus der Familie, dem Freundeskreis, der Schule und aus dem Wohnviertel. Erste Er­ innerungen reichen in die Endzeit der DDR, als Hünniger ihre Eltern in eine schwierige Lage manövriert, weil sie im Kindergarten protzt, der Vater habe einen VW Käfer. Das entspringt zwar lediglich ihrer blühenden Fantasie, stellt aber die Eltern in den Augen der Kindergärtnerin und der Nachbarn unter den Verdacht, mehr als statthaft günstige Verbindungen zu Regierungskreisen oder in den Westen zu haben. Wie sehr die Eltern auch nach der Wende noch Angst haben, ins Gerede zu kommen, zeigt auch die Anek­ dote vom paranoiden Umgang des Vaters mit dem Telefon: Unter Androhung von Stra­ fen dürfen Hünniger und ihre zwei jüngeren Geschwister die Nummer niemandem wei­ tergeben, und als das Telefon dann doch mal läutet, treten dem Vater Schweiß­perlen auf die Stirn. Später, im Gymnasium, macht Hünniger erste Erfahrungen mit Drogen und wird mit der Meinung konfrontiert, in der DDR habe es „so was“ nicht gegeben. Sie beob­achtet, wie die Mutter das illegale Verhalten der Tochter nicht zum amtlichen Vor­ gang werden lässt, sondern den Polizisten besticht. Hünnigers Mutter zeigt überhaupt großen Pragmatismus nach der Wende, schult um, verdient das Geld für die Familie, setzt sich mit den Lehrern der Kinder auseinander. Sie lebt in der Gegenwart und schweigt über ihre jüdische Herkunft. Der Vater fällt in eine Depression, die väterliche Groß­familie trauert der DDR nach und bagatellisiert die Verbrechen der DDR-Führung. Immer wieder enden familiäre Unternehmungen in einer Katastrophe und dann im Schweigen. Die erste Auslandsreise nach Frankreich kristallisiert in Hünnigers Erin­ne­ rung zu einer stundenlangen Geisterfahrt durch ein Parkhaus in Cannes: Keiner der Familie versteht das Wort „sortie“, die Stimmung ist gereizt und jedes weitere Wort zu viel. Das Schweigen ist eines der zentralen Themen von Hünniger: Die Eltern – die für eine ganze Generation stehen – finden keine Worte, den Kindern die Vergangenheit zu er­ klären, die dennoch in ihrem Denken und Handeln fortlebt; die Geschichts­dokumen­ta­ tio­nen stellen die DDR in einer Art und Weise dar, dass die, die sie erlebt haben, sie nicht wiedererkennen – sie schweigen also darüber, wie es tatsächlich war; und schließ­ lich verschweigt Hünniger den Leserinnen und Lesern ihre grundsätzliche Meinung zu den geschilderten Vorgängen. Sie schreibt meist aus der Sicht des Kindes und der Jugendlichen und vermeidet dadurch ein distanziertes, reflektiertes Urteil. Formal spie­ gelt sich diese Erzählhaltung in der Verwendung des historischen Präsens, in umgangs­ sprach­lichen Wendungen, in lapidar formulierten und weitgehend parataktisch gebau­ ten Sätzen. Auf die Unmittelbarkeit des Erzählten kommt es der Autorin an. Damit korrespondiert die spontane und assoziative Gedankenführung im Text: Hünni­ ger erzählt nicht chronologisch, sondern nach Themen gebündelt in 9 Kapiteln. Etliche

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Einführung

Anekdoten, etwa die folgenreiche Äußerung im Kindergarten über den vermeintlichen VW des Vaters, greift sie leitmotivisch mehrmals auf. Doch auch die einzelnen Themen verfolgt sie nicht stringent, sondern lässt sich auf querschießende Gedanken ein. So schreibt Hünniger, wie die Familie nach dem Verlassen des Parkhauses in Cannes nach Marseille fährt und dort in einem heruntergekommenen Hotel absteigt, das den Vater an Russland erinnert. Abrupt endet dort dieser Erzählstrang, ohne wieder aufgegriffen zu werden. Hünniger berichtet stattdessen im nächsten Absatz von der SED-Vergangen­ heit ihrer Verwandten, bevor sie darüber nachdenkt, aus welchen Motiven heraus die DDR 1947 gegründet wurde. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, die ge­ schilderten Erlebnisse, Eindrücke und Meinungen zu strukturieren und reflektieren; sie bleiben weiterhin gefordert, Mehrdeutigkeiten im Text zuzulassen. Hünnigers charakteristische Erzählhaltung ist ironisch und provoziert; so schreibt sie lapidar: „In Weimar begegnete man, wo immer man hinging, Hitler oder Goethe.“ (S. 14) Häufig erzeugt die kindliche, nur vermeintlich naive Erzählerstimme die Ironie. In einem übergeordneten Sinn urteilt Hünniger eben sehr wohl – buchstäblich – „über“ das Ge­ schehen, etwa wenn sie immer wieder die Beschränktheit der Eltern vorführt.

Zur Autorin Andrea Hanna Hünniger wurde am 13. Oktober 1984 in Weimar geboren. Nach dem Abi­ tur studierte sie Kulturwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Göttingen und Berlin. Inzwischen schreibt sie als freie Journalistin. Ihre Texte veröffentlicht sie unter anderem in der Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung und in der Wochen­zeit­ schrift Die Zeit. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch: Das Paradies – Meine Jugend nach der Mauer. Die Lektürefassung unter dem Titel Meine Jugend nach der Mauer ist eine für den Schulgebrauch gekürzte und mit Anmerkungen versehene Fassung.

Didaktische Überlegungen Jeder Autobiograf sieht sich vor die Frage gestellt, wann der richtige Zeitpunkt ge­kom­ men ist, um die eigenen Erinnerungen aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Gilt in der literarischen Tradition dann der Augenblick als günstig, wenn schon viel gelebte Zeit hinter einem liegt, so bringen es vielleicht das unter dem abwertenden Begriff „Jugendwahn“ gefasste Phänomen oder die schwindende Scheu, in sozialen Netz­wer­ ken Privates mit einer großen community zu teilen, mit sich, dass zunehmend auch jüngere Menschen den Wunsch verspüren, die Erinnerungen an das eben Erlebte mit der Öffentlichkeit zu teilen, auch in der herkömmlichen Form der Buch­veröffent­lichung.1 Diese Gründe mögen bei Andrea Hanna Hünniger eine Rolle gespielt haben, ent­schei­ dend waren sie nicht. Eine wesentliche Absicht von Hünniger ist es, einen Teil der jüngsten deutschen Vergangenheit sichtbar zu machen, der von der Mehrheit der Deut­ schen weder selbst erlebt noch ausreichend wahrgenommen oder gar verstanden wurde: nämlich die ersten beiden Jahrzehnte nach der Wende aus der Sicht der Kinder, deren Eltern in der DDR zu Hause waren. Für die heutigen Schülerinnen und Schüler handelt es sich dabei in jedem Fall um unbekannte Erfahrungen. Die Beschäftigung mit der Lektüre Meine Jugend nach der Mauer bietet ihnen die Chance, sich mit dieser sehr 1 Zwei prominente Beispiele: Philipp Lahm und Christian Seiler: Der feine Unterschied: Wie man Spitzenfußballer wird (2011) oder Natascha Kampusch: 3096 Tage (2010).

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Einführung

speziellen deutschen Vergangenheit vertraut zu machen. Dabei ist mit einer geteilten Rezeption zu rechnen: Kinder, deren Eltern oder Großeltern die DDR noch aus eigener Anschauung kennen, fassen wahrscheinlich Hünnigers Text anders auf als Kinder, die ausschließlich im Westen sozialisiert sind. Falls eine Klasse Schülerinnen und Schüler beider Gruppen vereint, besteht die Möglichkeit, ohne didaktisches Arrangement über Multiperspektivität ins Gespräch zu kommen. Diverse Aspekte allerdings erschweren den Schülerinnen und Schülern den Zugang zum Text: Dazu gehören der assoziative Zugriff auf die Erinnerungen, die ironische Darstellung, der besondere Blickwinkel Hünnigers und die historischen Bezüge, die nicht erklärt werden. Es ist sinnvoll, die Schülerinnen und Schüler auf den besonderen Blickwinkel vorzubereiten und den historischen Hintergrund im Vorfeld zu sichern. Sie verstehen dann den Inhalt besser und erkennen, wie nah ihnen Hünnigers Sichtweise des Kindes bzw. der Jugendlichen auf die unverständliche Welt der Erwachsenen ist. Hünnigers Text kann als Abrechnung einer der Pubertät gerade entwachsenen Tochter gelesen werden: der Text als notwendige Ablösung von den Eltern. Dieses Lebensgefühl ist den Schülerinnen und Schülern nur allzu bekannt. Eine Vielzahl von Adjektiven gebrauchten die Rezensenten um Meine Jugend nach der  Mauer zu beschreiben: „popjournalistisch“, „komisch“, „grotesk“, „tragisch“, „melancholisch“, „poetisch“ – um nur einige zu nennen. In der Tat ist Hünnigers Stil sehr vielseitig, eine Analyse durch die Schülerinnen und Schüler entsprechend ergiebig und lehrreich. Die Ironie, Komik und die assoziative Struktur sind allerdings schwierig zu durchdringen. Dabei werden leistungsstarke Schülerinnen und Schüler gefordert.

Fächerübergreifende Fragestellungen bieten sich insbesondere in Verbindung zum Fach Geschichte an. In der Regel wird die Entwicklung des geteilten und wiedervereinten Deutschlands Ende Klasse 9 unterrichtet. Die Lektüre von Hünnigers autobiografischem Text ergänzt den eher politischen, wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Vergangenheit, wie er in Geschichte auf die DDR geworfen wird. Hünniger macht die Konsequenzen der historischen Entwicklung für den Einzelnen und für die Familien deutlich. Berührungspunkte gibt es auch zu den Fächern Ethik, Wirtschaft und Gemeinschaftskunde. Hinweise auf fächerverbindende Fragestellungen werden in den einzelnen Unterrichtsvorschlägen mit dem „Deutsch-plus“-Symbol gekennzeichnet.

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Die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich stellen in ihrem seinerzeit bahnbrechenden Werk Die Unfähigkeit zu trauern (1977) die These auf, dass die fehlende Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu einer kollektiven Deformation der Psyche von Deutschen führte, die sich in Selbstmitleid und Aggression gegen Fremdes zeigt. Die psychische Deformation werde – so die Autoren – unbewusst an die nachfolgende Generation weitergegeben. Auch wenn die Systeme Nationalsozialismus und DDR nur sehr eingeschränkt zu einem historischen Vergleich taugen, lohnt die Frage, welche Traumata die letzte DDR-Generation entwickelte und inwiefern diese sich in Hünnigers Text widerspiegeln, in dem es über „die Zeit nach dem Fall der Mauer“ heißt, sie sei „eine Erfahrung der Trauer und des Schweigens“ gewesen (S. 45).

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Einführung

Die Unterrichtsvorschläge Die Unterrichtsvorschläge sind so konzipiert, dass sie • eine kritische Auseinandersetzung mit dem schwierigen Prozess der sogenannten Wende auf menschlicher Ebene ermöglichen, • das historische Wissen über die Alltagsgeschichte der DDR und der ersten beiden Jahrzehnte nach der Maueröffnung bereichern, • das sprachliche Ausdrucksvermögen erweitern, • die Sprachreflexion schulen und • die analytische und kreative Schreibkompetenz fördern. Die Vorschläge dieser Lehrerhandreichung sind für die Klassenstufen 9 und 10 ent­ wickelt, • weil sich Hünnigers Erinnerungen auf deren Kindheit und Jugend beziehen, das heißt, die Schülerinnen und Schüler können ihre eigenen Erfahrungen mit denen Hünnigers gewinnbringend in Beziehung setzen; das betrifft insbesondere das schwierige Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, einem zentralen Thema in Meine Jugend nach der Mauer; • weil in der 9. Klasse die deutsche Geschichte nach 1945 im Fach Geschichte im Lehr­ plan vorgesehen ist und so fächerübergreifende Fragestellungen sinnvoll platziert sind; • weil mit der Behandlung des Textes jene Kompetenzen eingeübt werden können, die in den Klassenstufen 9 und 10 in den Lehrplänen vorgesehen sind; • weil in diesen Jahrgangsstufen – im Gegensatz zur Kursstufe – zeitlich die Mög­lich­ keit besteht, eine Lektüre zu behandeln, die nicht zum klassischen Kanon gehört. In Modul 1 wird die Lektüre vorbereitet: Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich mit ihren Erwartungen an Meine Jugend nach der Mauer, sie nähern sich induktiv einer besonders charakteristischen Erzählhaltung Hünnigers, dem kindlichen Blick, sie erhal­ ten Einblick in die Geschichte der DDR und der Zeit nach der Wende, soweit das für das Verständnis der Lektüre wichtig ist. Modul 2 widmet sich exemplarisch vier Kapiteln der Autobiografie. Dabei stehen die Erzählerin selbst, die Eltern und schließlich die generel­ le Bedeutung des Mauerfalls für eine Generation im Fokus. Im letzten Teil, im Modul 3, untersuchen die Schülerinnen und Schüler sprachliche und stilistische Besonderheiten der Lektüre. Dafür ist die Kenntnis der gesamten Lektüre notwendig. Trotz mancher fächerübergreifender Fragestellung, trotz mancher inhaltlicher, meist historischer Themenschwerpunkte steht insgesamt eine genaue Beschäftigung mit dem Text im Vordergrund. Darum gibt es zahlreiche Arbeitsphasen, in denen die Schüle­ rinnen und Schüler einzelne Passagen gründlich lesen und auswerten.

Benutzung der Lehrerhandreichung Die Arbeitsaufträge sind methodisch möglichst offen angelegt. Auf der Kopiervorlage meist in der 2. Person Singular formuliert, können sie dennoch häufig auch als Partneroder Gruppenarbeit vergeben werden. In den Erläuterungen sind dahingehend immer wieder Empfehlungen ausgesprochen. Dabei gilt: Die Arbeitsaufträge sollen passend zur Lehrerpersönlichkeit und zur Lerngruppe eingesetzt werden.

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Einführung

In den Unterrichtsvorschlägen wird verschiedentlich darauf hingewiesen, wie die ein­zel­ nen Arbeitsaufträge mit einer schwächeren oder stärkeren Lerngruppe durchgeführt werden können. Entsprechend sind die Aufträge auch innerhalb einer Klasse binnen­ differenzierend einsetzbar. Bis einschließlich Modul 2 lassen sich die Unterrichtsvorschläge lektürebegleitend durch­führen. Anschließend sollte den Schülerinnen und Schülern der gesamte Text be­kannt sein. Die Lehrerhandreichung ist jedoch so angelegt, dass alle Lehrenden selbst entscheiden können, ob die Lektüre von den Schülerinnen und Schülern vor­ bereitend oder begleitend gelesen werden soll.. Die Abfolge der Unterrichts­vorschläge kann – abgesehen von der oben genannten Einschränkung Modul 3 betreffend – ver­ ändert, einzelne Unterrichtsvorschläge können weggelassen werden. Sofern auf Vor­he­ riges aufgebaut wird, gibt es einen entsprechenden Hinweis. Bei den Hinweisen zur Durchführung ist das für manche Unterrichtsvorschläge benötigte Zusatzmaterial aufgelistet.

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Modul 2.3 – Der Mauerfall: Das Leben in Freiheit beginnt (nicht)

Hünniger den Werdegang und das Verhalten ihrer Eltern als typisch für deren Generation verstanden wissen will.

Modul 2.3 | Der Mauerfall: Das Leben in Freiheit beginnt (nicht)

Im kollektiven Gedächtnis ist der Mauerfall als Symbol für Freiheit verankert: Meinungsund Pressefreiheit, Reisefreiheit, die Freiheit der Berufswahl und die schier unendlichen Möglichkeiten des Konsumierens. Außerdem steht der Mauerfall für die Wiedervereinigung, für die friedliche Revolution, für das Ende des Sozialismus und des Kalten Krieges.

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Sachanalyse/Didaktische Überlegungen

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Geschichte – Entwicklung im geteilten und vereinten Deutschland

Gegen diese positiven Konnotationen schreibt Hünniger an, insbesondere im Kapitel Freiheit. Für die Menschen der Weimarer Plattenbausiedlung brachte der Mauerfall – so Hünniger – Depressionen, Alkoholismus und Neonazis mit sich. Es geht Hünniger nicht um die historische Wahrheit, sondern um die subjektive Befindlichkeit zweier spezieller Generationen: den in der DDR Geborenen und ihren Kindern. Trotz der Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis ist Hünnigers Darstellung provokant, etwa wenn sie schreibt: „Die Einheit war für uns lange ein Raubzug, ein Kahlschlag, eine Zerstörung, eine Brandrodung.“ (S. 48, Z. 24 – 26) Sie demontiert ein kollektives Symbol, ein Symbol, das zum Klischee zu erstarren droht. Damit erfüllt ihr Text eine wichtige Funktion von Literatur: Er legt verkrustetes Denken frei. Es hängt vom Rezipienten ab, ob er Hünnigers Auffassung vom Mauerfall und seine Folgen als überspitzt und plakativ oder als zugespitzt und ironisch auffasst. Mittels genauer Texterschließung erkennen die Schülerinnen und Schüler die Demontage des Symbols „Mauerfall“. Der Unterrichtsvorschlag sieht die Übung von Lese- und Interpretationsstrategien vor. Es bietet sich abschließend an, die Beobachtungen und Erkenntnisse in eine schriftliche Analyse einfließen zu lassen – um die Schreibkompetenz zu fördern und die Klassenarbeit (Klausurvorschlag I) zur Lektüre vorzubereiten.

Hinweise zur Durchführung Sofern Auftrag 1 als vorbereitende und Auftrag 5 als nachbereitende Hausaufgabe gegeben wird, kann der Unterrichtsvorschlag in 1 Schulstunde durchgeführt werden. Die Aufträge 3 und 4 können die Schülerinnen und Schüler einzeln oder zu zweit erledigen.

Zu den Arbeitsaufträgen Auftrag 1 der Kopiervorlage 6 fragt die kollektive Erinnerung und symbolische Bedeutung des im Foto abgebildeten Mauerfalls am 9./10. November 1989 ab. Da das Ereignis für die Schülerinnen und Schüler unter Umständen unbekannt ist, werden sie aufgefordert, zusätzlich noch Eltern und Großeltern zu befragen. Zu erwarten ist, dass der Mauerfall mehrheitlich für Freiheit, friedliche Revolution, Wiedervereinigung, für das Ende der DDR, des Sozialismus und des Kalten Krieges steht. Diese Bedeutung im Hinterkopf, merken die Schülerinnen und Schüler beim Lesen und Markieren eines längeren Abschnitts aus dem Kapitel Freiheit (Auftrag 2) rasch, dass

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Modul 2 – Während der Lektüre

Hünniger den Mauerfall mit gänzlich anderen Zuschreibungen versieht. Auftrag 3 er­for­ dert genaue Textarbeit. Die Schülerinnen und Schüler ordnen die markierten Text­pas­sa­ gen in einer Tabelle und stellen fest, dass der Mauerfall mehrheitlich als be­drü­ckende Erfahrung geschildert wird: • Die Plattenbausiedlung verfällt und verwaist (S. 42, Z. 11 ff.), zum Beispiel wird der Kindergarten geschlossen (S. 42, Z. 19 ff.). • Neonazis treffen sich im ehemaligen Kindergarten (S. 43, Z. 2 ff.). • Der Vater wird depressiv (S. 43, Z. 17 ff.). • Alkoholismus ist verbreitet (S. 43, Z. 19). • Die Menschen sind beschämt (S. 43, Z. 24 f.). • Die Menschen klauen Bild-Zeitung (S. 44, Z. 22). Die einzige erfreuliche Erfahrung dieser Zeit, von der man in diesem Textabschnitt erfährt, ist die Eröffnung von Disneyland Paris. Hünniger beobachtet sie begeistert im Fernsehen (S. 45, Z. 8 ff.). Ob die Anschaffung des Videorekorders (S. 44, Z. 26 ff.) zu den bedrückenden oder erfreulichen Erfahrungen zählt, ist eine Leerstelle im Text. Aller­ dings legt die Depression des Vaters nahe, dass sein exzessiver Videokonsum für die Familie eine Belastung ist. In Auftrag 4 fassen die Schülerinnen und Schüler ihre Beobachtungen zusammen und setzen sie in Beziehung zu zwei Zitaten. Darin äußert sich Hünniger allgemein über die Zeit nach dem Mauerfall: Ihre Erlebnisse entlarven die symbolische Bedeutung des Mauerfalls als positiv besetztes Klischee. Ihre Erfahrungen stehen dem diametral entgegen. In den Augen des Kindes besteht die einzige positive Folge des Mauerfalls darin, von nun an der Welt des Konsums teilhaben zu können. Hünnigers Verall­ge­mei­ nerungen sind holzschnittartig und bewusst provokativ. Die analytische Schreibaufgabe in Auftrag 5 verlangt eine Verschriftlichung der gesam­ melten Erkenntnisse in Verbindung mit der Analyse des sehr privaten Freiheitsbegriffs, den Hünniger mit der Kapitelüberschrift setzt und auf S. 48 skizziert: Die Freiheit für die Kinder der Ostdeutschen besteht darin, dass sie ohne Regeln und Gesetze aufwachsen. Dahinter steckt subtile Ironie, da Demokratie ja auf dem Fundament ruht, dass sich die Menschen freiwillig und verbindlich den Regeln und der Kontrolle der Gesellschaft unterwerfen. Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler mögen das unter Umständen erkennen.

Modul 2.4 | Disneyland DDR Sachanalyse/Didaktische Hinweise Drei wesentliche Erzählstränge gibt es im letzten Kapitel Ausland: Beschrieben werden eine Reise nach Frankreich – tatsächliches Ausland –, eine Reise nach Bayern – gefühl­ tes Ausland – und die Atmosphäre im „Osten. Ostdeutschland. Ehemalige DDR. Zone“ (S. 119, Z. 1 – 2), eine Atmosphäre, die allen, die sie nicht aus eigener Erfahrung kennen, ausländisch vorkommt. Das peinliche, unbeholfene Verhalten der Eltern in Frankreich bringt Hünniger auf den Gedanken, statt der Wiedervereinigung wäre es besser ge­ wesen, aus der DDR ein riesiges Disneyland zu machen. Das zu bereisen hätte großen Unterhaltungswert, suggeriert Hünniger. Überspitzt und komisch schildert sie, was es dort zu betrachten gäbe: etwa Stasi-Schauprozesse, Schikanen bei der Grenzüber­schrei­ tung, Margot Honecker in einer Varietéshow, LPG-Führungen (S. 129, Z. 15 ff.).

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Modul 2.4 – Disneyland DDR

Ironie zu erkennen, ist für Schülerinnen und Schüler häufig schwierig. Ironie ist aber andererseits ein wesentliches Merkmal von Hünnigers Erzählhaltung. Damit die Schülerinnen und Schüler dies verstehen können, sieht der Unterrichtsvorschlag vor, Hünnigers Gedankenexperiment zu visualisieren: Sie gestalten einen Flyer für das Disneyland DDR. Die Absurdität eines solchen Projekts wird ihnen so buchstäblich vor Augen geführt und kann abschließend gemeinsam besprochen werden. Die exemplarische Analyse ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, auch die Ironie und Komik der anderen beiden Erzählstränge des Kapitels und des gesamten Textes zu erkennen. Außerdem beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema „Werbung“ und deren spezifischen sprachlichen Machart. Die Gestaltung des Flyers ist die Vorbereitung für den Klausurvorschlag II.

Hinweise zur Durchführung Es bieten sich verschiedene Varianten an: •





Aufträge 1 und 3 werden als Hausaufgabe erledigt. Im Unterricht bearbeiten die Schülerinnen und Schüler Auftrag 2 und Auftrag 5. In der folgenden Stunde erstellen die Schülerinnen und Schüler den Flyer (Auftrag 4). Sofern notwendig, stellen sie ihn zu Hause fertig. Für die Vorstellung und Auswertung der Flyer sollte man eine weitere Schulstunde vorsehen. Leistungsschwächere Schüler werden bei dieser Variante durch die Sicherung der Zwischenergebnisse im Unterricht unterstützt. In Einzel- oder Gruppenarbeit werden die Aufträge 1 – 5 als Projekt zu Hause erledigt. Für die Vorstellung der Flyer und die Abschlussdiskussion reicht dann 1 Schulstunde. Diese Variante eignet sich für eine leistungsstarke Klasse. In der Abschlussdiskussion sollen die Schülerinnen und Schüler eine differenzierte Meinung zu Hünnigers Vorschlag äußern oder spätestens zu diesem Zeitpunkt entwickeln. Es bietet sich außerdem an, darüber zu sprechen, inwiefern Hünniger die Reise nach Frankreich und nach Bayern nach einem ähnlichen Schema schildert. Damit wird die kreative Arbeit am Flyer für die analytische Erkenntnisfähigkeit der Schülerinnen und Schüler nutzbar gemacht. Abschließend formulieren sie auf diese Weise, dass Hünniger bewusst ironisiert und komisch schreibt. Das trifft auch auf die beiden anderen erwähnten Erzählstränge des Kapitels zu und generell auf viele Passagen des Textes.

Material evtl. PC, Internetzugang (für die Gestaltung der Flyer)

Zu den Arbeitsaufträgen Zunächst besorgen sich die Schülerinnen und Schüler Flyer von Freizeitparks (Auftrag 1 von Kopiervorlage 7). Falls kein Stadtinfoladen oder Freizeitpark in der Nähe ist, kann man sie auf die Flyer beispielsweise von Legoland oder vom Europapark im Internet aufmerksam machen. Daraus leiten sie in Auftrag 2 ein allgemeines Muster ab, nach dem diese Flyer gestaltet sind, in etwa so:

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Der Mauerfall: Das Leben in Freiheit beginnt (nicht) 1. Welche Assoziationen weckt bei dir das Bild? Befrage dazu außerdem ein paar Leute von der Generation deiner Eltern oder Großeltern.

2. Lies S. 41, Z. 13 bis S. 45, Z. 24 und markiere Passagen, die über die Veränderungen nach dem Mauerfall Auskunft geben. 3. Welche bedrückenden und welche erfreulichen Erfahrungen berichtet die Autorin von der Zeit des Mauerfalls? Erstelle eine Tabelle und fülle sie stichwortartig unter Angabe von Seiten- und Zeilenzahlen aus. 4. Fasse Hünnigers Darstellung von der Zeit nach dem Mauerfall zusammen und überlege, wie sie zu den beiden Zitaten und zur allgemeinen Auffassung vom Mauerfall passt.

Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass die Zeit nach dem Fall der Mauer eine Erfahrung der Trauer und des Schweigens war. (S. 45, Z. 25 – 27)

Mauerfall war etwas Wunderbares, und ich war mir sicher, dass wunderbare Dinge geschehen würden. Es hatte gut begonnen, damit, dass unsere ziemlich reiche Tante Sibylle mir ein schönes Mountainbike schenkte […]. (S. 19, Z. 28 – 32)

5. Schreibe eine Analyse über S. 41, Z. 13 bis S. 45, Z. 24. Gehe dabei auf die Überschrift des Kapitels – „Freiheit“ – und S. 48, Z. 5 – 23 ein.

© Ernst Klett Sprachen GmbH, Stuttgart 2012 | www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Kopieren für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. ISBN 978-3-12-666904-7

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Disneyland DDR 1.  Besorge dir einige Flyer von Freizeitparks: Viele Stadtinfoläden legen sie aus. Häufig  kann man sie im Internet herunterladen. 2.  Schreibe eine Liste, über welche Themen die Flyer informieren, und notiere, wie sie  gestaltet sind. 3.  Lies die Seiten 119 – 134 im Kapitel „Ausland“ und markiere alle Passagen, die von der  DDR handeln. 4.  Stelle dir vor, es gäbe das „Disneyland DDR“ tatsächlich. Gestalte einen Flyer dafür.  Richte dich bei der Gestaltung und der Beschreibung an deinen Erkenntnissen von  Aufgabe 2.

Ellipsen

(rhetorische) Fragesätze

ive Imperat Häufung von Ausrufezeichen

Rhetorik-Werkzeuge

Wort-Werkzeuge

Satz-Werkzeuge

5.  Zur sprachlichen Gestaltung des Flyers findest du hier noch ein paar Anregungen mit  Werkzeugen von Werbetextern. Kläre unbekannte Begriffe und suche passende Bei­ spiele aus der Werbung. Falls dir keine passenden Werbesprüche einfallen, kannst du  unter der Internetadresse http://de.wikiquote.org/wiki/Werbesprüche nachschauen.

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wertende Adjektive

lative

Super

Hochwörter

ndungen

umgangssprachliche We Wortschöpfungen

Reim Parallelismus ion Alliterat Abwandlung von Sprichwörtern/Zitaten Übertreibung

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